Buch lesen: «Besonderes Verwaltungsrecht», Seite 23

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Teil I Kommunalrecht › § 9 Wirtschaftliche Betätigung der Kommunen

§ 9 Wirtschaftliche Betätigung der Kommunen

Inhaltsverzeichnis

I. Errichtung und Erweiterung wirtschaftlicher Unternehmen

II. Rechtsformen kommunaler Wirtschaftsunternehmen

III. Rechtsstellung privater Konkurrenten

IV. Veräußerung wirtschaftlicher Unternehmen

V. Spezialbereich: Unternehmerische Betätigung im Kreditwesen

VI. Kommunale Wirtschaftsförderung

VII. Kommunale Auftragsvergabe

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Fall 9: „Die kommunale Wohnungsvermittlung“

Die Stadt B in NRW betreibt in den Räumen des Rathauses eine „Städtische Wohnungsvermittlung“, deren Aufgabe die Vermittlung von ihr vorgehaltener und angebotener – auch frei finanzierter – Wohnungen an Wohnungssuchende ist. Für eine erfolgreiche Vermittlung wird eine Gebühr in Höhe einer halben Netto-Monatsmiete erhoben. 2018 betrug der „Marktanteil“ der kommunalen Wohnungsvermittlungsstelle (bezogen auf die Gesamtzahl aller in B vermittelten Wohnungen) 5%. Dabei wurden 20 000 Euro an Vermittlungsgebühren eingenommen; aus allgemeinen Haushaltsmitteln musste die Stadt ca. 75 000 Euro zum Betrieb der Wohnungsvermittlungsstelle zuschießen. Anfang 2019 erhebt der private Wohnungsmakler M Klage vor dem zuständigen Verwaltungsgericht und beantragt, der Stadt B zu untersagen, Wohnungen zu vermitteln, die nicht dem Gesetz zur Sicherung der Zweckbestimmung von Sozialwohnungen unterliegen. M hält selbst in einer Stadt, in der Wohnraum Mangelware ist, die kommunale Wohnungsvermittlung für unvereinbar mit der GO NRW und rügt zusätzlich Grundrechtsverstöße (Art. 2 I, 3 I, 12 und 14 GG).

Nach Ansicht der Stadt ist die Klage schon unzulässig, da wettbewerbsrechtliche Streitigkeiten vor den Zivilgerichten auszutragen seien.

Wie ist über die verwaltungsgerichtliche Klage Mʼs zu entscheiden? Rn 297, 318, 321, 323

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Im Rahmen der Vorschriften über die Gemeindewirtschaft enthalten alle Gemeindeordnungen einen eigenen Abschnitt über wirtschaftliche Betätigung und privatrechtliche Beteiligung[1] (vgl §§ 102 ff bd.wtt.GO; Art. 86 ff bay.GO[2]; §§ 91 ff BbgKVerf.; §§ 121 ff hess.GO; §§ 68 ff m.v.KVerf.; §§ 136 ff NKomVG[3]; §§ 107 ff GO NRW; §§ 85 ff rh.pf.GO; §§ 108 ff saarl.KSVG; §§ 94a ff sächs.GO[4]; §§ 116 ff s.anh.GO; §§ 101 ff schl.h.GO; §§ 71 ff thür.KO).

Insbesondere innerhalb der letzten Jahre sind dabei in der Mehrzahl der Bundesländer inhaltlich divergierende Entwicklungsschritte zu registrieren, die eine zunehmende Rechtszersplitterung auf dem traditionell homogenen Gebiet des Kommunalwirtschaftsrechts[5] begründen. Schon die Grenzziehung im Einzelnen droht jeweils zu einem „kommunalpolitischen Dauerbrenner“ zu werden[6] und die zur Verwendung gekommenen Formelkompromisse eröffnen häufig genug, anstatt Rechtssicherheit zu vermitteln, ihrerseits weitere Grauzonen.

Teil I Kommunalrecht › § 9 Wirtschaftliche Betätigung der Kommunen › I. Errichtung und Erweiterung wirtschaftlicher Unternehmen

I. Errichtung und Erweiterung wirtschaftlicher Unternehmen

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Zunächst stellt sich die Frage, ob die Gemeinde sich wirtschaftlich betätigen darf. Die Gemeinde wird zum Konkurrenten mit Wettbewerbsvorteil gegenüber privaten Anbietern, da ihre Insolvenzfähigkeit ausgeschlossen ist, sie dadurch Darlehen zu besseren Konditionen bekommen kann und ihre Unternehmen gewisse steuerliche Vorteile genießen. Die Landesgesetzgeber begegnen diesem Umstand, indem sie die Zulässigkeit wirtschaftlicher Betätigung von Kommunen in dreifacher Hinsicht beschränken (Schrankentrias)[7]: Die Gemeinde darf nach gängiger Anforderung wirtschaftliche Unternehmen errichten, übernehmen oder wesentlich erweitern[8], wenn die Voraussetzungen einer kumulativ wirkenden Schrankentrias[9] erfüllt sind, wenn also



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Auch die Gründung eines Unternehmens in einer Rechtsform des privaten Rechts sowie die gemeindliche Beteiligung an einem solchen Unternehmen ist nur zulässig, wenn ein öffentlicher Zweck vorliegt[14]. Die Kommunen müssen des Weiteren ua auch sicherstellen, dass eine Rechtsform gewählt wird, welche die Haftung auf einen bestimmten Betrag begrenzt, und angemessener Einfluss auf die Geschäftsführung besteht (vgl im Einzelnen etwa Art. 92 I bay.GO; § 69 I m.v.KVerf.; § 137 I NKomVG; § 108 I GO NRW). Daher erweist es sich als erforderlich, den Begriff des wirtschaftlichen Unternehmens zu klären und die Voraussetzungen für seine Errichtung genauer zu beleuchten.

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Während das kommunale Wirtschaftsrecht der meisten Länder die Schrankentrias auf die Errichtung, Übernahme oder wesentliche Erweiterung von (wirtschaftlichen) Unternehmen bezieht, vermeiden das NKomVG und die GO NRW zunächst diesen Begriff und nehmen statt dessen die „wirtschaftliche Betätigung“ zum terminologischen Ausgangspunkt. Alsdann unterscheiden sie dann aber wieder zwischen (wirtschaftlichen) Unternehmen und (nichtwirtschaftlichen) Einrichtungen (vgl. §§ 136 III, 138 NKomVG; §§ 107, 108 GO NRW). Durch diese sprachliche Abweichung sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass die Erfordernisse der Schrankentrias nicht nur in einem einmaligen Gründungs-, Übernahme- oder Erweiterungsakt vorliegen müssen, sondern kontinuierlich während der gesamten Dauer der wirtschaftlichen Betätigung überprüft werden müssen.

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Zur näheren Konturierung des in § 107 I 3 GO NRW nur unzureichend definierten Begriffs der wirtschaftlichen Betätigung (u. Rn 295) hat das OVG NRW[15] aber auf den Unternehmensgegenstand[16] abgestellt und damit diesen Ansatz konterkariert:

„Für den Begriff der wirtschaftlichen Betätigung iSd § 107 Abs. 1 GO NRW kommt es nicht auf den Charakter jeder einzelnen wirtschaftlichen Handlung an. Der Begriff ist nämlich betriebs-, nicht handlungsbezogen: Die Definition stellt ab auf den Betrieb eines Unternehmens, das in bestimmter Weise am Markt tätig wird, nicht auf die einzelne Tätigkeit des Herstellens, Anbietens oder Verteilens von Gütern oder Dienstleistungen.“

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Auf der Basis dieser Rechtsprechung, die auch für Nds. Geltung beanspruchen dürfte, ergeben sich mithhin keine Besonderheiten, die von der Rechtslage in anderen Bundesländern abweichen. Auch diese fokussieren die kommunalwirtschaftlichen Eingangsvoraussetzungen auf den Gegenstand des Unternehmens und sehen Nebengeschäfte bzw sog. Annexgeschäfte, die auf Gewinnerzielung gerichtet sind, als zulässig an, soweit das Unternehmen selbst nicht ausschließlich auf Gewinnerzielung gerichtet ist[17].

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Mit Blick auf die klassische, regelmäßig als drittes Element der Schrankentrias aufgeführte Anforderung des § 67 I DGO 1935 („wenn der Zweck nicht besser und wirtschaftlicher durch einen anderen erfüllt wird oder erfüllt werden kann“), welche in den heute gültigen landesrechtlichen Bestimmungen jeweils eine unveränderte Übernahme, eine Verschärfung oder auch eine Lockerung erfahren haben kann, hat sich seit einiger Zeit eine lebhafte Debatte entzündet. Sie dreht sich darum, inwieweit dort in der Tat von einer – echten oder unechten, üblichen oder verschärften – Subsidiaritätsklausel gesprochen werden kann, welche Wirkung den betreffenden Formeln vor allem hinsichtlich einer Beweislastverteilung zukommt und inwieweit sich aus Art. 28 II GG Bedenken gegenüber den betreffenden normativen Restriktionen für kommunale Aufgabenwahrnehmung herleiten lassen[18].

Mittlerweile nimmt die Subsidiaritätsklausel darüber hinaus in vielen Kommunalverfassungen bestimmte Wirtschaftssektoren, insbesondere die Energieversorgung, die Wasserversorgung, den ÖPNV sowie das Betreiben von Telekommunikationsnetzen aus (vgl § 136 I 3, 4 NKomVG, § 107 I Nr 3 GO NRW). Ziel dieser Einschränkungen ist es, den sich ändernden Rahmenbedingungen für die kommunale Wirtschaft Rechnung zu tragen, die Handlungsspielräume der Kommunen zu vergrößern und den interkommunalen Wettbewerb zu fördern[19]. Die landesrechtlichen Regelungen in diesem Feld verlieren dadurch allerdings an Einheitlichkeit.

1. Begriff der wirtschaftlichen Betätigung

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Üblicherweise werden unter den Begriff der wirtschaftlichen Betätigung bzw des wirtschaftlichen Unternehmens (s. Rn 291 f) solche Aktivitäten subsumiert, die auch von Privaten mit der Absicht der Gewinnerzielung betrieben werden können[20]. In § 107 I 3 GO NRW heißt es ganz im Sinne dieses allgemeinen Verständnisses:

„Als wirtschaftliche Betätigung ist der Betrieb von Unternehmen zu verstehen, die als Hersteller, Anbieter oder Verteiler von Gütern oder Dienstleistungen am Markt tätig werden, sofern die Leistung ihrer Art nach auch von einem Privaten mit der Absicht der Gewinnerzielung erbracht werden könnte.“

Als Beispiele kommunaler wirtschaftlicher Betätigung wird auch heute noch auf die in der Ausführungsanweisung zur EigenbetriebsVO 1938 – zum Eigenbetrieb siehe noch unten Rn 307 – aufgezählten Felder verwiesen: Elektrizitätswerke, Hafenbahnen, Lagerhäuser, Molkereien, Sägewerke und Brunnenbetriebe. Zudem sind die Gemeinden und Kreise heute häufig auch in der Wasserversorgung, der Abfallbeseitigung, dem öffentlichen Nahverkehr oder der Datenverarbeitung wirtschaftlich aktiv. Darüber hinaus reicht das Spektrum im Einzelfall aber auch hinein in Geschäftsbereiche wie die Gartenpflege, Nachhilfeangebote, Autorecycling oder Bestattungsunternehmen.

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Um insbesondere im Bereich der kommunalen Daseinsvorsorge bestimmte Tätigkeiten zu privilegieren, dh: von den besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen einer wirtschaftlichen Betätigung zu befreien, fingieren die meisten Länder sog. nichtwirtschaftliche Unternehmen. Demnach gilt kraft gesetzlicher Anordnung (vgl § 102 IV bd.wtt.GO; § 136 III NKomVG; § 107 II GO NRW) nicht als wirtschaftliche Betätigung ua der Betrieb von


Einrichtungen, die als Hilfsbetriebe ausschließlich zur Deckung des Eigenbedarfs von Gemeinden und Gemeindeverbänden dienen. Beispiele: Gemeindedruckerei, Bauhof Neben diesen regelmäßig anzutreffenden Gruppen findet sich in den meisten Gemeindeordnungen noch eine Wendung, welche die Ausnahme auf öffentliche Einrichtungen „ähnlicher Art“ bezieht und damit Gelegenheit bietet, weitere Aktionsfelder als sog. nichtwirtschaftliche Unternehmen anzusehen (vgl zB § 102 IV Nr 2 bd.wtt.GO, § 136 III Nr 2 NKomVG). Als besonders detailreich erweist sich wiederum die Regelung in § 107 II GO NRW, die viele weitere Tätigkeitsbereiche ausdrücklich benennt, die ausgeklammert bleiben sollen, zB Einrichtungen der Fremdenverkehrsförderung, der Wohnraumversorgung oder des Messe- und Ausstellungswesens. Doch sind auch diese Einrichtungen – trotzt ihrer Einordnung als „nichtwirtschaftlich“ – nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu führen, soweit es mit ihrem öffentlichen Zweck vereinbar ist (vgl § 102 IV 2 bd.wtt.GO, § 107 II 2 GO NRW).

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Lösungshinweis zu Fall 9 (Rn 287):

Die im Ausgangsfall betriebene städtische Wohnungsvermittlung beschränkt ihre Aktivitäten nicht auf solchen Wohnraum, der den gesetzlichen Bestimmungen zur Sicherung der Zweckbestimmung von Sozialwohnungen unterliegt, sondern bezieht auch frei finanzierte Wohnungen mit ein. Anders als in den meisten anderen Ländern findet sich in § 107 II 1 Nr 3 GO NRW der Hinweis, die „Wohnraumversorgung“ gelte nicht als wirtschaftliche Betätigung. Angesichts dieser eher undeutlichen Formulierung wird man annehmen können, dass insoweit eher an den sozialgebundenen Wohnraum gedacht ist[25], so dass es sich der Sache nach hier wohl eher um eine wirtschaftliche Betätigung iSv § 107 I GO NRW auf einem Felde handelt, das gängigerweise beruflich von Privaten, nämlich von Maklern, abgedeckt wird (vgl § 34c GewO).

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Vor diesem gesetzlichen Hintergrund ist die manchmal schwierige Abgrenzung von „Betreuungs“-Einrichtungen (vgl oben § 7) und wirtschaftlichen Unternehmen vorzunehmen[26].

Erstere sind gekennzeichnet durch den zugrundeliegenden gemeinnützigen Zweck, während für Letztere die bei entsprechender Betätigung Privater bestehende Gewinnerzielungsabsicht als prägend bezeichnet wird. Das hat dazu geführt, dass einige Gemeindeordnungen nunmehr auch bei der Nutzung von Organisationsformen des Privatrechts begrifflich zwischen Unternehmen (bei wirtschaftlicher Betätigung i.o.S.) und Einrichtungen (bei nichtwirtschaftlicher Betätigung) unterscheiden[27]. Allerdings ist die theoretisch prägnante Abgrenzung zwischen einem zugrundeliegenden gemeinnützigen Zweck und der auf Gewinnerzielung ausgerichteten Tätigkeit für die praktische Anwendung vergleichsweise konturenlos und stößt zudem auf verfassungsimmanente Probleme (s. Rn 299), denn auch für wirtschaftliche Unternehmen der Gemeinden wird ein sich aus der verfassungsrechtlichen Gemeinwohlbindung ergebender „(dringender) öffentlicher Zweck“ gefordert, wodurch die rein erwerbswirtschaftliche Orientierung auch für solche Betriebe von vornherein auszuscheiden hat[28].

Durchaus verständlich erscheint es daher, wenn zunehmend die Begriffe „wirtschaftliches Unternehmen“ und „öffentliche Einrichtung“ nicht mehr als gegensätzlich aufgefasst werden, sondern konzediert wird, dass öff. Einrichtungen zugleich wirtschaftliche Unternehmen im vorgenannten Sinne sein können[29]. Insbesondere die Zuordnung der Entsorgungswirtschaft, einem höchst profitablen Wirtschaftszweig, zu den „Einrichtungen des Umweltschutzes“ und damit zu den nichtwirtschaftlichen Unternehmen ist in der Tat nur schwer nachvollziehbar[30].

In der bay.GO wurde daraus bereits 1998 die Konsequenz gezogen, auf die Unterscheidung von wirtschaftlicher und nichtwirtschaftlicher Betätigung gänzlich zu verzichten:

„Das kommunale Wirtschaftsrecht wird in ein kommunales Unternehmensrecht umgewandelt; die fragwürdig gewordene und praktisch wie rechtlich immer weniger bedeutsame Unterscheidung zwischen wirtschaftlichen und nichtwirtschaftlichen Unternehmen wird aufgegeben.“[31] Thüringen ist diesem Ansatz inzwischen gefolgt (vgl § 71 I ThürKomO).

2. Gesetzliche Schranken[32]

a) Bindung an den öffentlichen Zweck

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Die Bindung an das Erfordernis eines öffentlichen Zwecks (vgl Art. 87 I Nr 1 bay.GO; § 68 II Nr 1 m.v.KVerf.; § 136 I 2 Nr 1 NKomVG; § 107 I 1 Nr 1 GO NRW) soll sicherstellen, dass eine Gemeinde bei der Entscheidung hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Betätigung ihre zentralen Versorgungs- und Betreuungsfunktionen im Auge behält und die Erforderlichkeit einer entsprechenden Betätigung im Hinblick darauf geprüft und zu Recht bejaht hat[33].

Die verlangte Verfolgung öffentlicher Zwecke erweist sich dabei als einfachrechtliche Bekräftigung bereits verfassungsrechtlich fundierter Maßgaben. Denn insoweit handelt es sich um eine Folgerung aus dem Rechtsstaatsprinzip, das angesichts des Homogenitätsgebotes in Art. 28 I 1 GG auch für die Kommunen als Teile der vollziehenden Gewalt der Länder gilt. Eine Konsequenz aus dem Rechtsstaatsprinzip ist die prinzipielle Orientierung des staatlichen Handelns an den Interessen des Gemeinwohls: Staatliches und kommunales Handeln darf nicht reiner Selbstzweck sein, sondern muss stets der Verwirklichung bestimmter gemeinwohlorientierter Ziele dienen, denn das Gemeinwohl bildet den allgemeinen Legitimationsgrund aller Staatlichkeit[34]. Aus diesem Gemeinwohlgebot folgt die Notwendigkeit jede staatliche Betätigung durch gemeinwohlbezogene Erwägungen zu rechtfertigen – insbesondere auch die öffentliche Wirtschaftsaktivität[35]. Die rein erwerbswirtschaftliche Tätigkeit des Staates zu Finanzierungszwecken ohne Gemeinwohlbezug konfligiert demgegenüber mit der Teleologie des Steuerstaates und ist daher unzulässig[36]. Immerhin lässt sich der Finanzverfassung entnehmen, dass der Staat seine Einnahmen im Wesentlichen über Steuern bestreiten soll.

Eine gemeindliche wirtschaftliche Betätigung als solche stellt damit an sich keinen eigenen legitimen Zweck dar, sondern ist nur Mittel zur Erfüllung öffentlicher Zwecke. Die kommunale wirtschaftliche Betätigung hat also nur eine dienende Funktion und ist lediglich eine Modalität der kommunalen Aufgabenerfüllung[37].

b) Bindung an Leistungsfähigkeit und Bedarf

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Zudem muss die Betätigung nach Art und Umfang in angemessener Relation zur Leistungsfähigkeit der Gemeinde und zum voraussichtlichen Bedarf stehen (vgl Art. 87 I Nr 2 bay.GO; § 68 II Nr 2 m.v.KVerf.; § 136 I 2 Nr 2 NKomVG; ohne Bezug auf den Bedarf § 107 I 1 Nr 2 GO NRW), was in ersterer Hinsicht eine Orientierung am Leistungsspektrum vergleichbarer Kommunen und in letzterer Hinsicht eine überzeugende Bedarfsprognose bedingt.

c) Subsidiarität gemeindlicher Betätigung

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Des Weiteren darf nach verbreiteter gesetzlicher Anforderung (vgl o. in Rn 289) der mit der beabsichtigten wirtschaftlichen Betätigung erstrebte Zweck durch andere, namentlich in privater Hand betriebene Unternehmen nicht besser und wirtschaftlicher resp. ebenso gut und wirtschaftlich erfüllt werden können. Damit hat nahezu überall[38] der Subsidiaritätsgedanke in mehr oder weniger starker Ausprägung an wichtiger Stelle Eingang ins Kommunalwirtschaftsrecht gefunden und bietet so kontinuierlich Anlass für Initiativen zur materiellen Privatisierung (u. Rn 328) und zur Diskussion um die drittschützende Wirkung der Norm (Rn 319).

d) Beschränkung auf das Gemeindegebiet

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Ein weiterer stets aktueller Diskussionspunkt ist die Frage, ob kommunalwirtschaftliche Aktivitäten auch außerhalb ihres eigenen Zuständigkeitsraumes, also außerhalb des Hoheitsgebietes der Gemeinde zulässig sind.

Abzulehnen ist zunächst die pauschale Negierung eines Örtlichkeitsprinzips außerhalb des Bereichs der Hoheitsverwaltung[39]. Kommunale Verbandskompetenz kann immer nur auf Art. 28 II GG („Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft“) gegründet sein, auch auf dem Sektor der Kommunalwirtschaft[40]. Wenn der Bezug zur eigenen Einwohnerschaft verloren geht und der Schwerpunkt der Wertschöpfung außerhalb des eigenen Gemeindegebiets liegen soll, ist dies keine örtliche Angelegenheit. Eine solche ist jedoch Wirksamkeitsbedingung kommunaler Wirtschaftsbetätigung. Andererseits lässt sich freilich auch ein rigides Örtlichkeitsprinzip im Sinne einer strikten Festlegung des gesamten kommunalen Handelns auf Aktivitäten ausschließlich im eigenen Gebiet nicht nachweisen.

Eine Gebietsüberschreitung bedeutet nicht notwendigerweise, dass damit eine örtliche Angelegenheit nicht mehr vorliegt. Kommunale Unternehmen sehen sich, ebenso wie private Unternehmen, einer zunehmenden Liberalisierung und Globalisierung der Märkte ausgesetzt. Dementsprechend haben sich auch die Betätigungsfelder und Anforderungen der jeweiligen Wirtschaftszweige verändert. Ohne das Gebot der örtlichen Radizierung kommunaler Wirtschaftstätigkeit aus den Augen zu verlieren, sollte daher weniger auf den rein territorialen Aspekt, als vielmehr darauf eingegangen werden, ob die Leistungserbringung durch wirtschaftliche Betätigung den Bürgern der Gemeinde zu Gute kommt[41]. Notwendig erscheint eine sachgebietsbezogene Wertung im Einzelfall, inwieweit nach diesem Maßstab noch von einer örtlichen Radizierung des Tätigkeitsfeldes die Rede sein kann. Wenn aber Art. 28 II 1 GG zugleich eine kommunalinterne Kompetenzverteilung enthält (siehe o. Rn 67), so bedarf es andererseits auch des Respekts vor dem jeweiligen kommunalnachbarlichen Tätigkeitsfeld. Wertungsmaßstab kann dann nur sein, ob der spezifische öffentliche Zweck, dem jedes kommunale Handeln zu dienen hat, einen territorialen Ausgriff rechtfertigt oder sogar erfordert. Bedenken sind vor allem dann angebracht, wenn wirtschaftliche Aktivitäten auf dem Boden von Nachbargemeinden gegen deren Willen („Feindliche Übernahme“, „Kannibalismus“) in Rede stehen[42].

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In der Konsequenz dieser Argumentation ist einsichtig, dass ein grenzüberschreitender Betrieb von wirtschaftlichen Unternehmen in den Formen der kommunalen Zusammenarbeit ebenso wenig ausgeschlossen ist, wie punktuelle Auswirkungen des wirtschaftlichen Engagements auf das Hoheitsgebiet einer anderen Kommune[43]. Unzulässig ist jedoch eine gezielte Erweiterung des operativen Geschäfts auf die Befriedigung einer Nachfrage, die nur oder überwiegend extra muros besteht.

Den Bedürfnissen der Praxis nach stärkeren Grenzüberschreitungen kann daher nur durch eine eindeutige Entscheidung des Gesetzgebers de lege ferenda Rechnung getragen werden, durch die das Örtlichkeitsprinzip gelockert und der Aktionsradius der kommunalen Unternehmen erweitert wird. Als Reaktion auf die veränderten Rahmenbedingungen in verschiedenen Märkten ist dies in den meisten Ländern, etwa in Nordrhein-Westfalen und Bayern, auch bereits geschehen[44], wobei auch hier die gesetzlich liberalisierten Tätigkeiten im Blickpunkt des Interesses gestanden haben. In Niedersachsen hat sich der Gesetzgeber auch mit Neueinführung des NKomVG noch nicht zu einer solchen Vorschrift durchringen können. Um eine Vereinbarkeit mit Art. 28 II GG zu wahren, müsste sie aus verfassungsrechtlichen Gründen als Mindestvoraussetzung allerdings klarstellen, dass die allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine kommunalwirtschaftliche Betätigung – also insbesondere die Rechtfertigung des Unternehmens durch einen öffentlichen Zweck – auch bei einer Tätigkeit außerhalb des Gemeindegebietes erfüllt sein müssen und dass die Tätigkeit nicht gegen die Interessen der Gebietskörperschaft, in deren Selbstverwaltungsbereich agiert werden soll, erfolgt.[45]

Teil I Kommunalrecht › § 9 Wirtschaftliche Betätigung der Kommunen › II. Rechtsformen kommunaler Wirtschaftsunternehmen

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0+
Umfang:
1469 S. 16 Illustrationen
ISBN:
9783811453593
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