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4. Fehlerfolgen

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Kommunale Satzungen, die auch nur an einem einzigen Verfahrens- oder Formmangel leiden, sind entsprechend den allgemeinen Gültigkeitsregeln für Normen nichtig. Aus Rechtssicherheitsgründen enthalten Fachgesetze (vgl die Spezialregelung in §§ 214, 215 BauGB), aber auch die meisten Gemeindeordnungen jedoch die Einschränkung, dass die Verletzung von bestimmten gesetzlichen Verfahrens- oder Formvorschriften beim Satzungserlass – abgesehen von einzelnen zentralen Anforderungen – unbeachtlich ist oder nach Ablauf eines Jahres seit ihrer Verkündung nicht mehr geltend gemacht werden kann (vgl nur § 4 IV bd.wtt.GO; § 5 V m.v.KVerf.; § 10 II NKomVG[19]; § 7 VI GO NRW).

Stellt sich – etwa anlässlich eines Rechtsstreits – heraus, dass eine kommunale Satzung nichtig ist, so bleibt es der Kommune auch unter Berücksichtigung allgemeiner rechtsstaatlicher Schranken für eine echte Rückwirkung von Normen[20] (Stichwort: Vertrauensschutz des Bürgers) grds. unbenommen, eine neue, rechtlich unbedenkliche Satzung mit rückwirkender Kraft zu erlassen[21].

Teil I Kommunalrecht › § 6 Kommunales Satzungsrecht › III. Pflichtsatzungen und fakultative Satzungen

III. Pflichtsatzungen und fakultative Satzungen

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Im Hinblick auf den Erlass von Satzungen besteht für die Gemeinden eine unterschiedliche Verpflichtungsintensität. Zu unterscheiden sind

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Pflichtsatzungen (obligatorische Satzungen). Hier besteht eine strikte Verpflichtung zum Satzungserlass. Beispiele: Haushaltssatzung (Art. 63 bay.GO; § 47 I m.v.KVerf.; § 112 I NKomVG; § 78 I GO NRW), oft auch die Hauptsatzung (§ 5 II m.v.KVerf.; § 12 I NKomVG; § 7 III GO NRW). Bebauungspläne (§ 10 BauGB) sind von den Gemeinden aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist (§ 1 III 1 BauGB).

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Fakultative Satzungen. Hier steht der Erlass der Satzungen hinsichtlich des „Ob“ und des „Wie“ weitgehend im kommunalpolitischen Ermessen der Gemeinde. Beispiele: Erlass örtlicher Bauvorschriften durch Satzung (Art. 81 bay.BauO; § 86 m.v.LBauO; § 84 nds.BauO; § 86 BauO NRW), Satzung über eine Veränderungssperre (§ 16 BauGB) oder über ein besonderes Vorkaufsrecht (§ 25 BauGB); Satzung über die Ausübung von Sondernutzungen an Straßen (Art. 22a bay.StrWG; § 24 I m.v.StrWG; § 18 nds.StrG; § 19 StrWG NRW).

Teil I Kommunalrecht › § 6 Kommunales Satzungsrecht › IV. Belastungen kraft kommunaler Satzung

IV. Belastungen kraft kommunaler Satzung

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Kommunale Satzungen enthalten durchweg auch Verpflichtungen für die Einwohner und demgemäß personenbezogene, sachgüterbezogene oder finanzielle Belastungen. In letzterer Hinsicht klären die Kommunalabgabengesetze, dass die Gemeinden und Gemeindeverbände berechtigt sind, nach gesetzlicher Maßgabe Abgaben (Steuern, Gebühren und Beiträge) auf Grund einer Satzung von den Einwohnern zu erheben (vgl Art 2 I bay.KAG; § 2 I m.v.KAG; § 2 I nds.KAG; § 2 I KAG NRW)[23].

Daraus folgt aber auch, dass die kommunalen Gebietskörperschaften ohne entsprechende Satzung ein Entgelt für die Benutzung ihrer öffentlichen Einrichtungen nicht analog § 812 I 1 BGB oder auf Grund eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs fordern können[24].

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Der auf eine ordnungsgemäße Satzung abgestützte kommunale Abgabenbescheid muss sodann den einschlägigen materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen Anforderungen genügen[25].

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Vorsätzliche und fahrlässige Zuwiderhandlungen gegen satzungsmäßige Gebote und Verbote können als Ordnungswidrigkeiten sogar mit einem Bußgeld bedroht werden (vgl Art. 24 II 2 bay.GO; § 5 III 2 m.v.KVerf.; § 10 V 2 NKomVG; § 7 II 1 GO NRW).

Im Übrigen aber ist nochmals darauf zu verweisen, dass gemeindliche Satzungen den gesetzlichen Vorgaben genügen müssen, was insbesondere bei Benutzungsgebühren zu einer strikten Kostenorientierung führt[26].

Zudem haben Satzungen, wie die anderen generellen Regelungen, die allgemeinen verfassungsrechtlichen Postulate, namentlich die grundrechtlichen Bindungen und die rechtsstaatlichen Anforderungen (Bestimmtheit, Übermaßverbot), zu beachten[27]. Dies bedingt bei kommunalrechtlichen Übungsarbeiten einen entsprechenden Prüfungsaufbau.

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Lösungsskizze zu Fall 6 (Rn 217):

Für die Begründetheitsprüfung im Ausgangsfall ist etwa folgende Prüfungsreihenfolge angebracht:


1.
2. Rechtmäßigkeit der satzungsmäßigen „Gebühren“-Regelung a) Förmliche Gültigkeit der Satzung aa) Landesabfallgesetz als spezielle gesetzliche Basis? bb) Formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen (Satzungsbeschluss, Publikation, evtl. Genehmigung) b) Vereinbarkeit der satzungsmäßigen Abgabenregelung mit materiellem Recht aa) Qualifikation der Abgabe („Gebühr“ oder „Beitrag“?) bb) Vereinbarkeit mit den gesetzlichen Maßstäben cc) Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht – Art. 3 GG (iVm Sozialstaatsprinzip) – Rechtsstaatsprinzip (Bestimmtheit, Übermaßverbot)
3.

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Lehrreich unter diesem Blickwinkel ist auch der Verlauf der Diskussion um den sog. Kindergartenbeitrag. Der VGH Kassel[34] hatte bei einer satzungsmäßigen Gebührenstaffelung für die Benutzung von Kindergärten nach dem Elterneinkommen Verstöße gegen das im hess. Kommunalabgabenrecht verankerte Gebührenprinzip der speziellen Entgeltlichkeit sowie gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz gerügt. Angesichts der hiermit verbundenen vielfältigen rechtlichen Fragestellungen[35] sind unterschiedliche Auffassungen, soweit sie gut begründet werden, gleichermaßen vertretbar. Das Bundesverfassungsgericht hat die grundsätzliche Zulässigkeit einer Staffelung von Kindergartengebühren nach dem Familieneinkommen bestätigt[36] und auch das Bundesverwaltungsgericht sieht aus der von Verfassungs wegen gebotenen Schonung des familiären Existenzminimums bei direkter Besteuerung (Art. 6 I GG) keine entsprechenden Folgerungen für die Erhebung von Kindergartenentgelten geboten[37].

Wiederholungs- und Verständnisfragen


1. Wie unterscheiden sich kommunale Satzung und Rechtsverordnung? Rn 219
2. Welche allgemeinen Gültigkeitsvoraussetzungen gelten für kommunale Satzungen? Rn 221
3. Inwiefern sind Gemeinden zum Satzungserlass gesetzlich verpflichtet? Rn 226 ff

Anmerkungen

[1]

BVerwGE 6, 247; vgl auch oben Rn 55.

[2]

Vgl nur Mann, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 80 Rn 2, 11 mwN.

[3]

Vgl insoweit § 4 bd.wtt.GO; Art. 23 ff bay.GO; § 3 BbgKVerf; § 3 Verf.Bremerhaven; § 5 hess.GO; § 5 m.v.KVerf; § 10 NKomVG; § 7 GO NRW; § 24 rh.pf.GO; § 4 sächs.GO; § 8 KVG LSA; § 12 saarl.KSVG; § 4 schl.h.GO; §§ 19, 20 thür.KO. – Siehe zur satzungsmäßigen Anordnung eines Anschluss- und Benutzungszwangs unten Rn 273.

[4]

Vgl grundlegend Schmidt-Aßmann, Die kommunale Rechtsetzung im Gefüge der administrativen Handlungsformen und Rechtsquellen, 1981.

[5]

Dazu oben Rn 9.

[6]

Nds.OVG, NVwZ-RR 2007, 422 (speziell zur Übertragung der Straßenreinigungspflicht auf Anlieger durch Satzung).

[7]

BVerwGE 90, 359 ff. Dagegen hielt BVerwGE 96, 272 ff eine kommunale Verpackungsteuer als Lenkungsinstrument für zulässig; hiergegen sodann BVerfGE 98, 106 (122 ff); dazu auch oben Rn 202.

[8]

Siehe BayVGH, NVwZ 1998, 540.

[9]

BVerfGE 33, 171 (185).

[10]

Vgl § 5 IV 2 m.v.KVerf; § 11 NKomVG; § 7 V GO NRW; anders Art. 26 II bay.GO.

[11]

Dieser Ausfertigung kommt die Funktion des Authentizitätsnachweises und des Legitimitätsnachweises zu; vgl OVG Rh.-Pf., NVwZ-RR 1998, 95; Starke, NVwZ 1995, 1186 (dort mit Blick auch auf die Ausfertigung von Berufskammersatzungen). Speziell zur Ausfertigung von Bebauungsplänen siehe BVerwGE 88, 204 ff.

[12]

Zu den rechtlichen Problemen solcher amtlicher Pressepublikationen siehe Wahlhäuser, NWVBl. 2013, 318 ff.

[13]

BVerwG, NVwZ 2007, 334 (335).

[14]

Nds OVG, NdsVBl. 2013, 44 f.

[15]

Siehe BVerfGE 10, 20 (50). Eine Genehmigung „nach Maßgabe“ bestimmter Änderungen bedeutet Ablehnung der vorgelegten Fassung, verbunden mit der antizipierten Genehmigung einer entsprechend abgeänderten Fassung (OVG NRW, OVGE 23, 240).

[16]

Vgl BVerwGE 34, 301.

[17]

OVG NRW, OVGE 19, 195.

[18]

OVG Lüneburg, DVBl. 1971, 322.

[19]

Hierzu VG Göttingen, NdsVBl. 2007, 253 (254 f) – fehlende Stimmenmehrheit beim Satzungsbeschluss nach Ablauf eines Jahres seit Verkündung unbeachtlich.

[20]

Siehe BVerfGE 13, 261 (271); 101, 239 (263); stRspr; dazu allg. Stern, StaatsR I, 2. Aufl. 1984, S. 831 ff; Maurer, in: HStR IV, 3. Aufl. 2008, § 79.

[21]

BVerwGE 67, 129; 50, 2: „Eine Beitragssatzung darf in der Regel rückwirkend geändert werden, wenn die Rückwirkung dazu dienen soll, eine ungültige oder in ihrer Gültigkeit zweifelhafte Satzung durch eine neue Satzung zu ersetzen.“ Vgl auch OVG NRW, NWVBl. 1991, 349. – Nach BVerwGE 64, 218 kann sogar das In-Kraft-Treten einer Satzung ohne Rückwirkungsanordnung bewirken, dass ein vorher erlassener – mangels Entstehens der Beitragspflicht zunächst rechtswidriger – Erschließungsbeitragsbescheid rechtmäßig wird und deshalb nicht der Aufhebung unterliegt.

[22]

Vgl BVerwG, NVwZ-RR 1990, 433; VG Düsseldorf BeckRS 2009, 39150.

[23]

Zur kommunalen Gebührenerhebung plastisch Bd.Wtt. VGH, MDR 1981, 610 – „Musikschule“; BayVGH, BayVBl. 1985, 17 – „Müllabfuhr“. – Von diesen gesetzlichen Bindungen kann die Gemeinde sich nicht durch Einschaltung einer Eigengesellschaft (dazu noch Rn 247) lösen, vgl BGHZ 91, 84 (95 ff).

[24]

So ausdrücklich Bd.Wtt. VGH, VBlBW 1996, 220 f – „Obdachlosenunterkunft“.

[25]

Vgl etwa zur gemeinschaftlichen Inanspruchnahme von Miteigentümern eines an die öffentliche Kanalisation angeschlossenen Grundstücks OVG NRW, NWVBl. 1997, 24.

[26]

Vgl die Kostendefinition in § 6 II KAG NRW: „die nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen ansatzfähigen Kosten“; dazu ausf. Heßhaus, Kalkulation kommunaler Benutzungsgebühren, 1997; aus der Rspr OVG NRW, NWVBl. 1994, 428 (m. Anm. Mann, NWVBl. 1994, 435) u. NWVBl. 1998, 484 einerseits sowie VG Gelsenkirchen, NWVBl. 1994, 181 (m. Anm. Mann, NWVBl. 1994, 187) u. NWVBl. 1998, 32 ff andererseits („kalkulatorische Kosten“), aber auch BVerwG, UPR 1995, 142 f.

[27]

Vgl BGHSt 42, 79 u. OVG NRW, NVwZ 1986, 494 sowie unten Rn 259 zum sog. Auswärtigenzuschlag.

[28]

Vgl insoweit – dezidiert ablehnend – OVG NRW, NWVBl. 1988, 377.

[29]

Dass belastende Verwaltungsakte vorliegender Art einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedürfen, lässt sich bereits aus Art. 20 III GG ableiten; vgl nur BVerfGE 49, 89 (126); Maurer/Waldhoff, Allg.VerwR, § 6 Rn 4 ff u. § 10 Rn 26.

[30]

Siehe BVerwG, UPR 1995, 142 (143).

[31]

NVwZ-RR 1993, 99.

[32]

NWVBl. 1995, 24.

[33]

Dazu näher Tettinger, NWVBl. 1986, 81 ff mwN; Aengenvoort, NWVBl. 1997, 449 ff; Wild, DVBl. 2005, 733 ff.

[34]

VGH Kassel, NJW 1977, 452 mit zust. Anm. K. Vogel; vgl auch VGH München, NJW 2013, 249.

[35]

Vgl zB zur Belastungsgrenze für die höchste Einkommensgruppe Nds.OVG, NdsVBl. 1998, 93 f; zu den sozialrechtlichen Vorgaben des Bundesrechts BVerwG, NVwZ 1995, 173; zu den kommunalabgabenrechtlichen Bemessungsmaßstäben des Äquivalenz- und des Kostendeckungsprinzips Schumacher, Rechtsfragen der sozialen Bemessung von Gebühren, 2003.

[36]

BVerfGE 97, 332; dazu Sachs/Windthorst, JuS 1999, 857 ff.

[37]

BVerwG, NJW 2000, 1129.

Teil I Kommunalrecht › § 7 Kommunale öffentliche Einrichtungen und ihre Benutzung

§ 7 Kommunale öffentliche Einrichtungen und ihre Benutzung

Inhaltsverzeichnis

I. Gesetzliche Leitlinie kommunaler Daseinsvorsorge

II. Rechtsformen öffentlicher Einrichtungen

III. Ausgestaltung des Benutzungsverhältnisses

IV. Benutzungsanspruch der Einwohner

V. Inhalt und Grenzen des Zulassungsanspruchs

VI. Öffentliche Einrichtungen in privatrechtlicher Form

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Fall 7: „Warum ist es am Rhein so schön?“

Der Stadt Düsseldorf gehört ein am Rheinufer gelegenes, im Flächennutzungsplan als Festplatz ausgewiesenes größeres Wiesengelände, das sie seit längerem einige Male im Jahr für Schützenfeste, Kirmesveranstaltungen und Zirkusvorführungen verpachtet. Während der übrigen Zeit dient das Gelände, das mit Wasser- und Stromanschluss, Beleuchtung und teilweise gepflasterten Wegen ausgestattet ist, der Bevölkerung zu Erholungszwecken und ist gleichzeitig an den Eigentümer einer Schafherde verpachtet. Zu Jahresbeginn beantragt der Kreisverband Düsseldorf der NPD, ihm die Benutzung der Wiesen für das im Spätsommer 2018 geplante Pressefest, zu dem etwa 25 000 Besucher aus dem gesamten Bundesgebiet erwartet werden, zu gestatten.

Diesen Antrag lehnt die Stadt mit der Begründung ab, bei dem Wiesengelände handele es sich nicht um eine öffentliche Einrichtung im Sinne der Gemeindeordnung, da es an der dafür erforderlichen Widmung fehle. Der Abschluss von Verträgen über Gegenstände ihres Privatvermögens stehe auf Grund der Vertragsfreiheit in ihrem freien Ermessen. Selbst wenn man aber das Wiesengelände als öffentliche Einrichtung ansehen wolle, stehe der NPD kein Anspruch zu, da die Rheinwiesen, wie sich aus der bisherigen Übung ergebe, jedenfalls nicht für Veranstaltungen politischer – zumal verfassungsfeindlicher – Parteien vorgesehen seien.

Hätte eine verwaltungsgerichtliche Klage der NPD mit dem Antrag, die Stadt zu verpflichten, ihr die Rheinwiesen für das Pressefest zur Verfügung zu stellen, Aussicht auf Erfolg? Rn 240, 266

Teil I Kommunalrecht › § 7 Kommunale öffentliche Einrichtungen und ihre Benutzung › I. Gesetzliche Leitlinie kommunaler Daseinsvorsorge

I. Gesetzliche Leitlinie kommunaler Daseinsvorsorge

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Die Gemeindeordnungen[1] enthalten durchgängig eine Leitlinie für die seitens der Gemeinde vorzuhaltenden Einrichtungen der Daseinsvorsorge (zu diesem Begriff oben Rn 57). So bestimmt § 4 I NKomVG (ähnl. § 8 I GO NRW):

„Die Kommunen … stellen in den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit die für die Einwohnerinnen und Einwohner erforderlichen sozialen, kulturellen, sportlichen und wirtschaftlichen öffentlichen Einrichtungen bereit.“

1. Begriff der kommunalen öffentlichen Einrichtung

237

Der Begriff der kommunalen öffentlichen Einrichtung ist in den Gemeinde- und Kreisordnungen der Länder nicht legaldefiniert, aber im weitesten Sinne zu verstehen. Entscheidend für die Zuordnung ist lediglich, dass die Gemeinde einen besonderen Sachinbegriff im öffentlichen Interesse unterhält und durch Widmung der allgemeinen Benutzung durch die Einwohner zugänglich macht. In Orientierung an dem klassischen Anstaltsbegriff hat das OVG NRW folgende eher blasse Formel verwendet:

„Eine öffentliche Einrichtung ist eine Zusammenfassung personeller Kräfte und sachlicher Mittel in der Hand eines Trägers öffentlicher Verwaltung zur dauernden Wahrnehmung bestimmter Aufgaben der öffentlichen Verwaltung“[2].

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Für den Widmungsakt, durch den die Einrichtung ihren öffentlichen Charakter bekommt und aus dem sich ergibt, welche Arten von Nutzungen in der Einrichtung stattfinden sollen, bedarf es nicht – wie im Straßenrecht (vgl § 2 FStrG) – der Einhaltung vorgeschriebener Förmlichkeiten. Die Widmung kann vielmehr auf verschiedenste Weise – durch VA, Satzung, Bebauungsplan, schlichten Ratsbeschluss, Realakt (Einweihung), amtliche Verlautbarungen – mithin auch formlos, gegebenenfalls sogar konkludent erfolgen, wobei es dann darauf ankommt, diesbezügliche Indizien zu beachten.

Im Falle konkludenter Widmung durch faktische Indienststellung ergeben sich die Maßstäbe für die Nutzung der Einrichtung und für die Grenzen der entsprechenden Nutzungsberechtigung aus der bisherigen Überlassungs- und Nutzungspraxis[3]. Durch eine ständige Verwaltungspraxis kann auch eine faktische Widmungserweiterung bewirkt werden, auf die sich ein Bewerber solange berufen kann, bis eine entsprechende Praxisänderung (Rückführung auf den ursprünglichen Widmungszweck) erfolgt ist[4].

Im Übrigen gilt der Grundsatz der (durch die Gemeinde widerlegbaren) Vermutung für die Widmung einer kommunalen Einrichtung zur öffentlichen Benutzung[5].

239

Vor diesem durch verfassungsrechtliche (vgl oben Rn 57), spezialgesetzliche und kommunalrechtliche Direktiven geprägten normativen Hintergrund kann in der Realität auf ein breites Spektrum kommunaler Einrichtungen verwiesen werden.

Beispiele:

Stadthallen[6], Mehrzweckhallen[7], Schwimmbäder[8] und Sportplätze[9], Sparkassen[10], Versorgungs- und Verkehrsbetriebe[11], Theater[12], Museen, Altenheime, Obdachlosenunterkünfte[13], Bibliotheken, Friedhöfe oder Krankenhäuser, aber etwa auch gemeindeeigene Flächen für Volksfeste[14] sowie Weihnachtsmärkte[15] oder öffentlich-rechtlich verantwortete Internetseiten der Kommune[16]. Nicht erfasst sind allerdings öffentliche Sachen im Gemeingebrauch, zB öffentliche Straßen und Plätze, bei denen es keiner Zulassung bedarf, sondern deren Benutzung jedermann zusteht[17]. Ebenso auszuklammern sind kommunale Amtsblätter, die lediglich Informationsinstrumente für die Einwohner, nicht aber eigenständige öffentliche Einrichtungen sind[18].

Nicht erfasst sind schließlich auch lediglich „private“ Einrichtungen der Gemeinde wie Mietshäuser, Ratskeller, Brauereien und dergleichen[19].

240

Lösungshinweis zu Fall 7 (Rn 235):

Im Ausgangsfall ist der Verwaltungsrechtsweg (§ 40 VwGO) eröffnet, wenn es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art handelt. Der mit dem Klageantrag geltend gemachte Anspruch wurzelt im öffentlichen Recht, wenn sich die begehrte Rechtsfolge unmittelbar aus einer öffentlich-rechtlichen Norm ableiten lässt. In Frage kommt hier ein Zulassungsanspruch gemäß § 8 II GO NRW[20], einer kommunalrechtlichen Bestimmung. Dann müsste es sich bei den Rheinwiesen aber um eine öffentliche Einrichtung im Sinne dieser Vorschrift handeln.

Im Gegensatz zur Anstalt im organisatorischen Sinne genügt für eine öffentliche Einrichtung zunächst, dass ein Sachinbegriff einem öffentlichen Zweck dient, sodass Parks, aber auch Freizeitgelände oder Plätze für Großveranstaltungen hierunter fallen können. Solche Plätze sind dann als öffentliche Einrichtung anzusehen, wenn eine entsprechende Widmung vorliegt. Die bestehende Vermutung für die Bereitstellung als öffentliche Einrichtung, die hier noch durch Sachverhaltsangaben bekräftigt wird, kann die Stadt nur durch den Nachweis widerlegen, dass sich aus der Bereitstellung der Einrichtung eindeutig ergebe, sie solle als private Einrichtung betrieben werden. Da mithin hier davon auszugehen ist, dass es sich bei den Rheinwiesen um eine öffentliche Einrichtung iSv § 8 II GO NRW handelt, ist der Verwaltungsrechtsweg für diese Streitigkeit eröffnet. Richtige Klageart ist die Verpflichtungsklage gem. § 42 I VwGO. Angesichts § 8 IV GO NRW[21] und § 5 ParteiG bestehen hinsichtlich der Klagebefugnis des Kreisverbandes keine Bedenken. Nach Durchführung eines Vorverfahrens (§§ 68 ff VwGO) wäre die Klage zulässig.

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1469 S. 16 Illustrationen
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9783811453593
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