Der Capitän des Vultur

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Viertes Capitel.

Capitän Duke weist ein Alibi nach.

Darrell Markham starb nicht an den Folgens der Aufregung, von der der Arzt sagte, daß sie tödtlich werden könne. Der Doctor kämpfte tapfer mit dem Fieber und richtete den gebrochenen Arm mit Geschick wieder ein, wobei der Patient allerdings große Schmerzen litt, denn in jenen Tagen wußte man noch nichts von Betäubungsmitteln.

Darrells Wiedergenesung schritt nur sehr langsam fort, so langsam, daß der Schnee dicht auf dem Moorland unter den Fenstern des Schwarzen Bären lag, ehe der gesplitterte Arm wieder fest verheilt war und der geschwächte Körper seine frühere Kraft wieder erlangt hatte. Es war eine traurige und langwierige Krankheit. Die biedere Sarah Pecker wurde indeß nicht müde, ihren kranken Knaben, wie sie Darrell nannte, zu pflegen. Der schwachsichtige und schwachköpfige Samuel mußte Filzschuhe tragen und in seinem geräumigen Hause wie ein Dieb herumschleichen. Die Abendbesucher wurden in die Trinkstube auf der Rückseite des Hauses verwiesen, um durch ihren Lärm den Kranken nicht zu stören. Trübsinn und Trauer herrschte in dem Schwarzen Bären bis zu jenem glücklichen Tage, wo Dr. Jordan seinen Patienten außer Gefahr erklärte. Sarah Pecker gab an diesem fröhlichen Abend ein Faß ihres stärksten Ale den Besuchern des Schwarzen Bären zum Besten.

Capitän George Duke war auf einer kurzen Fahrt nach der spanischen Küste abwesend, als Darrell Markham sich zu bessern begann; aber zur Zeit, wo der junge Mann seine volle Genesung , erlangt hatte, war der Seemann wieder nach Compton zurückgekehrt.

Der Schnee lag tief in den engen Straßen des Städtchens, als er zurückkam. Er erschien ohne vorherige Nachricht und trat ruhig in das kleine Wohnzimmer, wo er Millicent am Kamin sitzen fand, einen Roman lesend.

Aber er war bei dieser Gelegenheit in besserer Laune als gewöhnlich und sah in seiner kleidsamen Uniform wundervoll, hübsch und kühn aus. Es war nicht ganz des Königs Uniform, wie einige Leute behaupteten, sondern ihr sehr ähnlich mit einigen , leichten Abänderungen, die gegen den Capitän sprachen.

George Duke nahm Millicent in den Arm und gab ihr einen derben Kuß auf beide Wangen.

»Ich komme zu Dir mit allerlei guten Dingen beladen nach Hause, Mistreß Milly,« sagte er, ihr gegenüber Platz nehmend. »Eine Kiste mit Orangen und ein Faß Wein von Cadix — flüssiges Gold, fast eben so werthvoll als das kostbare Metall, und ich habe einen Haufen glänzenden Flitterstaat für Dich, um ihn an Deine rosigen Ohren, an Deinen weißen Hals zu befestigen.«

Der Capitän nahm ein altmodisches ledernes Kästchen aus der Tasche und öffnete es auf dem kleinen Tisch, wo er eine Menge fremder Juwelen ausbreitete, die im Lichte des Kaminfeuers funkelten. Arabeskisches Gold von wundervoller Arbeit und vielfarbige ausländische Edelsteine glänzten auf dem dunkelpolirten Tisch und spiegelten sich auf demselben ab wie Sterne in einem Fluß.

Millicent erröthete, während sie sich über den Schmuck beugte, und stammelte einige dankbare Phrasen hervor.

Sie erröthete bei dem Gedanken, wie wenig sie sich aus diesem Flitter machte und wie ihre Seele sich nach einem andern Schatz sehnte, der ihr niemals angehören konnte — nach dem verbotenen Schatz von Darrells tiefer und redlicher Liebe.

Während sie dies dachte, blickte sie der Capitän an, dem Anschein nach absichtslos, in der That aber mit einem scharfen forschenden Blick.

»Wie geht es denn Deinem hübschen blonden Cousin?« sagte er. »Hat er sich von jener Geschichte wieder erholt, oder war sie sein Tod?«

Es lag ein boshafter Ausdruck in seinem Gesichte, als er das grausame Wort »Tod« aussprach.

»Er ist viel besser, fast ganz hergestellt,« antwortete Millicent.

»Hast Du ihn gesehen?«

»Nicht mehr seit der Nacht, wo Du mich an seinem Bette fandest.«

Sie blickte ihn ruhig, fast stolz an, als sie dies sagte. Es war ein Blick, der zu sagen schien:

»Ich habe ein reines Gewissen. Du magst thun, was Du willst, so kannst Du mich nicht erröthen oder stocken machen.«

Sie hatte in der That ein reines Gewissen. Mehr als einmal war Sarah Pecker zu ihr gekommen und hatte gesagt:

»Euer Cousin ist diesen Abend sehr krank, Miß Millicent; kommt und setzt Euch ein halbes Stündchen an sein Bett, um ihn ein wenig aufzuheitern. Die arme alte Sally wird bei Euch bleiben und wo sie ist, da kann selbst der Härteste nicht sagen, daß etwas Unrechtes dabei ist.«

Aber Millicent hatte sich immer entschieden geweigert, indem sie sagte:

»Es würde uns Beide nur unglücklich machen, liebe Sally. Ich will lieber nicht kommen.«

Einer von den Leuten des Vultur brachte noch am Abend der Rückkehr des Capitäns die Kiste mit Orangen und das Faß spanischen Wein von Marley nach Compton und George Duke trank eine halbe Flasche von dem flüssigen Gold, bevor er zu Bett ging. Er versuchte umsonst, Millicent zu bewegen, ebenfalls davon zu kosten. Der Schlüsselblumenwein von Sarah Pecker war ihr lieber als der feinste Xeres, der auf der spanischen Halbinsel wuchs.

Frühzeitig am nächsten Morgen erschien der Constabel von Compton im Hause des jungen Ehepaars mit einem Verhaftsbefehl gegen Capitän George Duke wegen einer Anklage auf Mordversuch und Raub auf des Königs Heerstraße. Blaß vor Wuth trat der Capitän in das kleine Wohnzimmer, wo Millicent beim Frühstück saß.

»Darf ich fragen, Mrs. Millicent,« sagte er, »wer Deinen schönen Cousin dazu verleitet hat, einen unschuldigen Mann verurtheilen und hängen zu lassen mit der Absicht, wie ich glaube, um aus Dir eine hänfene Wittwe zu machen? Was soll das heißen?»

»Was, George?« fragte sie, verwirrt durch sein Benehmen.

Er theilte ihr die ganze Geschichte des Verhaftsbefehls mit.

»Du wirst Dich wahrscheinlich noch erinnern,« sagte er, »wie dieser Master Darrell ausgerufen hat, daß ich es sei, der auf ihn geschossen habe.«

»Ja, George; ich dachte damals, daß es irgend eine seltsame Fieberphantasie sei, und ich denke es auch jetzt noch.«

»Ich bin Dir für Deine gute Meinung sehr verbunden, Mrs. Duke,« antwortete er. »Ich hätte sie kaum von Dir erwartet. Glücklicher Weise kann ich mich von dieser wahnsinnigen Anklage leicht reinigen: aber ich bin darum Darrell Markham für seine freundliche Absicht nicht weniger verbunden.«

Der Constabel führte George Duke sogleich in das Zimmer der Magistratsperson, welche mit der Untersuchung solcher Fälle beauftragt war. Darrell Markham, blaß von seiner langen Krankheit und den Arm noch in der Schlinge, war bereits dort anwesend.

»Dank Euch, Mr. Markham, für diesen guten Dienst,« sagte der Capitän, seine Arme über einander schlagend, »wir werden wahrscheinlich demnächst Gelegenheit finden, unsere Rechnung mit einander auszugleichen.«

Die würdige Magistratsperson war nicht wenig in Verlegenheit, wie sie den vorliegenden Fall behandeln sollte. Obschon nur sehr wenig über Capitän George Duke in Compton bekannt war, so schien es doch unglaublich, daß ein so feiner Gentleman, der Gatte von Squire Markhams Tochter, des Straßenraubs schuldig sein könne. Aber in jenen Tagen war der Straßenraub ein sehr gewöhnliches Verbrechen und das Publikum durch mehr als eine auffallende Entdeckung in Erstaunen gesetzt worden. Feinere Gentleman als Capitän Duke hatten ihre verzweifelten Vermögensumstände auf des Königs Heerstraße zu verbessern gesucht.

Darrell brachte seine Anklage in der einfachsten und geradesten Weise vor. Er sei vom Schwarzen Bären weg geritten, um sich nach Marley Water zu begeben. Drei Meilen von Compton sei ein Mann, der, wie er beschwören wolle, kein Anderer als der Angeklagte gewesen, auf ihn zu geritten und habe seine Börse gefordert. Er (Darrell) habe ein Pistol gezogen, aber während er im Spannen desselben begriffen gewesen, habe der Mann, Capitän Duke, ihn in den Arm geschossen, vom Pferde gerissen und auf den Boden geworfen. Er könne sich an nichts weiter erinnern, bis er in dem Hausflur des Schwarzen Bären wieder zu sich gekommen sei und den Angeklagten unter den Anwesenden erkannt habe.

Der Richter hustete zweifelhaft.

»Fälle von Verkennung der Person sind nichts Seltenes in der Rechtsgeschichte dieses Landes,« sagte er mit einem gewissen Nachdruck. »Könnt Ihr wirklich schwören, Mr. Markham, daß der Mann, der Euch angegriffen hat, Capitän George Duke war?«

»Wenn der Mann, der dort steht, Capitän Duke ist, so kann ich einen feierlichen Eid leisten, daß er der Mann ist, der mich beraubt hat.«

»Als Ihr von den Personen, die Euch aufgehoben, gefunden wurdet, wurde Euer Pferd ebenfalls gefunden?«

»Nein, das Pferd war fort.«

»Würdet Ihr es wieder erkennen?«

»Gewiß; ich würde es unter Tausenden wieder erkennen.«

»Hum!« sagte der Richter, »das ist ein Punkt von großer Wichtigkeit. Ich halte das Pferd für einen wichtigen Punkt.«

Er sann so lange über diesen wichtigen Theil des Falles nach, daß sein Schreiber ihn achtungsvoll anstieß und ihm etwas in’s Ohr flüsterte.

»Oh, oh, ja, natürlich,« murmelte er hilflos, dann sich räuspernd, sagte er in seinem amtlichen Tone:

»Capitän Duke, was habt Ihr zu dieser Anklage zu sagen?«

»Seht wenig,« antwortete der Capitän ruhig; »aber ehe ich überhaupt spreche, muß ich den Wunsch ausdrücken, daß Samuel Pecker vom Schwarzen Bären herbeigeholt werde.«

Der Richter flüsterte dem Schreiber etwas zu und dieser nickte, worauf der Richter sagte:

»Geh Einer von Euch hin und hole den genannten Samuel Pecker.«

Während Einer der Anwesenden den Auftrag vollzog, nickte der würdige Richter über seiner »Fliegenden Post« seiner damaligen Zeitung, der Schreiber schürte das Feuer und Mr. Markham und der Capitän maßen einander mit wüthenden Blicken, während in den braunen Augen des letzteren ein verhängnißvolles röthliches Feuer blitzte.

 

Mr. Pecker erschien endlich mit blassem Gesicht und unordentlichem Haare. Er hatte eine vage Idee, daß diese Vorladung für ihn von schrecklichen Folgen sein könne, selbst das Hängen nicht ausgeschlossen. Er konnte nicht glauben, daß er aus einem andern Grund in die Gerichtsstube gerufen werde, als um wegen eines ungeheueren, aber unbewußt begangenen Verbrechens zur Verantwortung gezogen zu werden.

Er stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, als ihm Jemand im Saale zuflüsterte, daß er als Zeuge vernommen werden solle.

»Nun, Capitän Duke,« sagte der Richter, »was habt Ihr dazu zu sagen?«

»Wollt Ihr die Güte haben, an Mr. Darrell Markham zwei oder drei Fragen zu stellen?«

Der Richter blickte den Schreiber an, der Schreiber nickte dem Richter zu, und der Richter gab durch Ricken dem Capitän seine Zustimmung zu erkennen.

»Wollt Ihr fragen, ob er weiß, zu welcher Zeit der Angriff stattgefunden hat?«

Bevor der Richter etwas darauf sagen konnte, erwiederte Darrell Markham:

»Ich kann zufällig diese Frage mit Bestimmtheit beantworten. Der Wind blies gerade über das Moor und ich hörte genau die Kirchuhr von Compton dreiviertel auf Acht Uhr schlagen, als er auf mich zuritt.«

»Als ich aus Euch zuritt?« fragte Capitän Duke.

»Als Ihr auf mich zurittet,« antwortete Darrell.

»Mr. Samuel Pecker, wollt Ihr so gut fein und dem Richter sagen, wo ich um dreiviertel auf Acht Uhr am Abend des 27. October gewesen bin?«

»Ihr wart im Herrenzimmer des Schwarzen Bären,« antwortete Samuel stotternd, »und Ihr kamt in’s Wirthszimmer, um zu fragen, wie viel Uhr es sei, worauf ich hinausging und nach der Uhr an der Treppe sah, die nie eine Minute zu früh oder zu spät geht.«

»Es waren an diesem Abend noch andere Leute im Zimmer, welche mich sahen und hörten, wie ich die Frage stellte: ist’s nicht so, Mr. Pecker?«

»Es waren noch viele da,« antwortete Samuel, »welche Euch Eure Uhr nach der Treppenuhr richten sahen; denn nicht Ihr wart es, Capitän Duke, der Muster Darrell beraubt hat. Ich weiß es, wer es war.«

Diese außerordentliche Behauptung rief großes Erstaunen im Gerichtssaal hervor.

»Ihr wißt es?« rief der Richter. »Und warum habt Ihr diese Kenntniß vor denen zurückgehalten, die berechtigt sind, sie zu vernehmen? Das ist sehr unrecht, Mr. Pecker, wirklich sehr unrecht!«

Der unglückliche Samuel fühlte, daß er sich in einer Patsche befand.

»Es war eben so wenig Capitän Duke als ich es war,« stöhnte er, »es war der Andere.«

»Der Andere! Welcher Andere?«

»Der, welcher mit seinem Pferde an der Thür des Schwarzen Bären anhielt und sich über den Weg nach Marley Water erkundigte.«

Etwas Weiteres war aus Samuel Pecker durch alle Kreuz- und Querfragen nicht heraus zu bringen. Er blieb dabei, daß ein Mann, der dem Capitän Duke so ähnlich gesehen, daß sowohl er, Samuel Pecker, als John Homerton, der Grobschmied, dadurch getäuscht worden seien, am Schwarzen Bären angehalten und sich nach dem Wege von Marley Water erkundigt habe.

Er keuchte und stotterte und war verwirrt; aber er wich nicht von seiner Behauptung ab, und bat, daß John Homerton gerufen werden möchte, um seine Aussage zu bestätigen.

John Homerton wurde gerufen und erklärte, daß es nach seinem besten Glauben und Wissen Capitän Duke gewesen sei, der am Schwarzen Bären angehalten habe, während er, Master Darrell Markham und der Wirth vor der Thür gestanden.

Aber diese Behauptung wurde sogleich durch ein Alibi entkräftet. Eine Viertelstunde darauf, nachdem der Reisende den Weg nach Marley eingeschlagen hatte, sah man den Capitän die Hauptstraße herunter kommen und nach dem Gasthause gehen. Dies wurde nicht blos von Samuel Pecker, sondern auch von andern Zeugen bestätigt.

Weder der Richter noch der Schreiber hatten etwas darauf zu sagen. Die Sache schien ein unerklärliches Geheimniß zu sein, für welches sich der juristischen Erfahrung der würdigen Herren von Compton kein Vorgang darbot.

Während der Richter und sein Factotum mit einander flüsternd berathschlagten, ohne zu einer Entscheidung gelangen zu können, kam ihnen George Duke selbst zu Hilfe.

»Ich denke, nachdem die Anklage in dieser Weise gescheitert ist, brauche ich nicht länger hier zu bleiben, Sir?« sagte er.

Der Richter griff begierig nach diesem Auskunftsmittel.

»Die Anklage ist gescheitert,« erwiederte er mit feierlicher Wichtigkeit, »und wie Ihr bemerkt, Capitän Duke, und wie ich eben selbst bemerken wollte, ist es für uns nicht nothwendig, Euch länger zurückzuhalten. Ihr verlaßt diesen Saal mit eben so gutem Charakter, wie Ihr ihn betreten habt,« setzte er hinzu, während ein leichtes Kichern über dieses zweideutige Compliment unter einem Theil der Zuhörer die Runde machte. »Ich bedauere, Mr. Markham, daß diese Sache so in Geheimniß gehüllt ist. Es ist offenbar ein Fall von Verkennung der Person, der zu der schwierigsten Klasse von Fällen gehört, mit denen das Gesetz jemals zu thun hatte; aber wie ich vorher gesagt, betrachte ich das vermißte Pferd als einen großen Punkt - als einen sehr starken Punkt.«

Der Capitän und Darrell Markham verließen gleichzeitig den Saal.

»Ich habe für das Werk dieses Morgens eine Rechnung mit Euch auszugleichen, Mr. Markham,« flüsterte der Capitän seinem Ankläger zu.«

»Ich schlage mich nicht mit Straßenräubern,« antwortete Darrell stolz.

»Was, Ihr wagt es, noch immer zu behaupten —«

»Ich wage zu sagen, daß ich nicht an diese Geschichte mit George Duke und seinem Doppelgänger glaube. Ich glaube vielmehr, daß Ihr durch eine Taschenspielerei mit der Uhr im Schwarzen Bären ein Alibi nachgewiesen habt, und ich bin fest überzeugt, daß Ihr der Mann seid, der auf mich geschossen hat.«

»Ihr sollt mir für diese Verdächtigung büßen,« sagte der Capitän wüthend, »Ihr sollt mir für jedes unverschämte Wort büßen, Darrell Markham, ehe wir mit einander fertig sind.«

Er entfernte sich, nachdem er dem Cousin seiner Frau noch einen grimmigen Blick zugeworfen hatte, und kehrte nach seinem Hause zurück, wo Millicent blaß und angstvoll den Ausgang des Verhörs erwartete.

Darrell Markham verließ am Abend dieses Tages mit der Postkutsche das Städtchen und kehrte, ärmer durch den Verlust seines Pferdes, seiner Uhr und seiner Börse wieder nach London zurück, um dort sein Glück zu suchen.


Fünftes Capitel.

Millicent begegnet dem Schatten ihres Mannes.

Vierzehn Tage nach Darrells Abreise war das gute Schiff Vultur zu einer neuen Fahrt bereit und Capitän Duke ritt nach Marley Water, um die letzten Zurüstungen zu überwachen.

»Ich werde am 30. unter Segel gehen, Milly,« sagte er am Tage, wo er Compton verließ, »und da ich nicht mehr Zeit habe, herüber zureiten und Abschied von Dir zu nehmen, so wäre es , mir lieb, wenn Du mich vor meiner Abreise in Marley besuchen wolltest.«

»Ich werde kommen, wenn Du es wünschest, George,« antwortete sie ruhig.

Sie war stets sanft und gehorsam, etwa wie ein Kind gegen einen harten Zuchtmeister, aber nicht wie eine Frau, die ihren Mann liebt.

»Ganz gut. Es geht wöchentlich dreimal eine Postkutsche hier durch nach Marley. Du kannst mit dieser kommen, Millicent.«

»Ja, George.«

Während des ganzen düsteren Januarmonats war der Schnee auf dem Compton-Moor nicht geschmolzen. Millicent fühlte einen eigenthümlichen dumpfen Schmerz im Herzen, während sie vor der Thür des Schwarzen Bären stand, die nach Marley bestimmte Kutsche erwartend und hinaus auf die weiße glänzende Schneefläche blickend, die sich in weiter Ferne unter dem bleifarbigen Abendhimmel ausdehnte.

Mrs. Sarah Pecker war sehr empört über diese winterliche Reise.

»Was beabsichtigt der Capitän damit,« rief sie, »daß er ein armes zartes Lamm, wie Ihr, vierundzwanzig Meilen weit in einer alten dumpfen Kutsche an einem Winterabend wie dieser fortzusenden verlangt? Wenn er Euren Tod wünscht, Miß Milly, so ist er auf dem Wege, seine schlechten Wünsche in Erfüllung gehen zu sehen.«

Die schwere rumpelnde Kutsche kam angefahren, während sich Mrs. Pecker noch immer über diesen Gegenstand verbreitete. Einer oder zwei der Innenpassagiere blickten heraus und verlangten Branntwein und Wasser, während die Pferde gewechselt wurden. Einige von den Außensitzenden kletterten vom Dach des Wagens herunter und gingen in die Wirthsstube, um sich am lodernden Kaminfeuer die Hände zu wärmen und Branntwein zu trinken. Ein Mann, der auf dem Bocke saß, weigerte sich, abzusteigen, als ihn der Kutscher dazu aufforderte. Er kehrte das Gesicht von dem Wirthshause ab und blickte unverwandt auf die schneeige Moorfläche hinaus, diese Stellung so lange beibehaltend, als die Kutsche anhielt.

Selbst wenn dieser Mann sein, Gesicht der kleinen Gruppe vor dem Bären zugewendet hätte, würde es schwierig gewesen sein, etwas Genaues von seinen Zügen zu sehen, denn sein dreieckiger Hut war tief in die Stirn gedrückt und der Kragen seines dicken Reitermantels über die Ohren aufgeschlagen.

Mrs. Pecker hob Millicent in die Kutsche, pflanzte sie in eine warme Ecke und hüllte sie in ihren Camelot-Mantel.

»Ihr würdet besser daran thun, Miß Milly, eine von Samuels großen wollenen Binden um den Hals zu nehmen und eine Decke um Eure Füße zu wickeln. Es ist bitterkaltes Wetter für eine solche Reise.«

Millicent lehnte beide Anerbieten ab, aber sie küßte ihre frühere Dienerin.

»Gott segne Euch, Sally,« sagte sie, »ich wünschte, die Reise wäre vorüber und ich zurück und wieder bei Euch.«

Die Kutsche fuhr ab, ehe Mrs. Pecker etwas erwiedern konnte.

»Liebes, armes Kind,« sagte die Wirthin, zu denken, »daß sie an einem solchen Tage allein und freundlos sich auf eine Reise begeben muß! Sie wünscht sich wieder zurück zu sein. Ich denke mir zuweilen, daß ein Ausdruck in ihren armen blauen Augen zu lesen sei, als wünschte sie sich: still und ruhig im Kirchhof von Compton zu liegen.«

Die Landstraße von Compton nach Marley Moor führte in vielfachen Windungen über ödes Moorland, nur selten ein Dorf oder ein einsames Farmhaus berührend. Die Reise auf dieser Straße dauerte länger als auf dem ebenfalls über das Moor führenden Reitweg und es war bereits finster, als die Kutsche über das holprige Pflaster von Marley Water hinfuhr.

An dem Wirthshause, wo die Kutsche anhielt, wurde Millicent von ihrem Gatten erwartet.

»Du kommst gerade recht, Milly,« sagte er, »der Vultur geht noch in dieser Nacht unter Segel.

Capitän Duke wohnte in einem Wirthshause am Quai. Er legte Millicents Arm in den seinigen und führte sie durch die enge Hauptstraße, die nur in weiter Entfernung von Oellampen beleuchtet war, welche ein schwaches Licht verbreiteten.

Als Millicent einmal, verwirrt durch den Lärm des kleinen geschäftigen Seestädtchens, zurückblickte, war sie überrascht, den vermummten Außenpassagier, den sie in Compton bemerkt hätte, ihnen auf den Füßen folgen zu sehen.

Capitän Duke fühlte, wie die kleine Hand seinen Arm plötzlich fester umfaßte und zitterte.

»Was hat Dich erschreckt?« fragte er.

»Der — der Mann!«

»Welcher Mann?« .

»Ein Mann, der außen ans der Kutsche reiste und dessen Gesicht durch seinen Hut und Mantel ganz verhüllt war. Ich hörte die andern Reisenden von dem Mann sprechen. Er war so unhöflich und so schweigsam, daß die Leute eine Abneigung gegen ihn hegten. Er befindet sich gerade hinter uns.«

George Duke blickte zurück, aber der Außenpassagier war nicht mehr zu sehen.

»Was für ein einfältiges Kind Du bist, Millicent!« sagte er.

»Was ist da Besonderes daran, wenn Du einen Deiner Mitreisenden in der Hauptstraße erblickst, zehn Minuten nachdem der Wagen angehalten hat?«

»Aber er schien uns zu folgen!«

»Bah! in lebhaften Städten gehen die Leute hinter einander, ohne einen Gedanken, daß sie ihren Nachbarn folgen. Millicent, Millicent, wann wirst Du lernen, klug zu werden?«

Der Capitän des Vultur schien in dieser kalten Januarnacht in ungewöhnlich guter Laune zu sein.

 

»In vierundzwanzig Stunden werde ich mich in weiter Ferne auf dem blauen Wasser befinden, Milly,« sagte er. »Nur ein Seemann weiß, was es heißt, wenn ein Seemann des Lebens auf dem Lande überdrüssig ist. Ich habe am Vorigen Abend von Deinem Bruder Ringwood gehört.«

»Schlechte Nachrichten?« fragte Millicent ängstlich.

»Nein, gute Nachrichten für Dich, die sein Vermögen erhält, wenn er unverheirathet stirbt. Er führt ein wildes Leben und richtet in Wirthshäusern und an weit schlimmeren Orten als in Wirthshäusern seine Gesundheit zu Grunde. Zum Glück für Dich ist das Gut zu Compton so gesichert, daß er es weder verkaufen noch verpfänden kann.«

Das kleine Wirthshaus, in welchem George Duke wohnte, lag dem Hafen gegenüber und Millicent konnte von dem Zimmer aus, in welchem für das Ehepaar zum Abendessen gedeckt war, die Lichter des Vultur durch die Winternacht schimmern sehen.

»Um welche Stunde wirst Du absegeln, George?« fragte sie.

»Ein wenig vor Mitternacht. Du kannst mit mir hinunter in den Hafen gehen, dort von mir Abschied nehmen und dann morgen früh mit der Kutsche nach Compton zurückkehren.«

»Ich werde thun, wie Du wünschest. Wird diese Reise lange dauern?«

»Nicht lange; ich werde spätestens in drei Monaten zurück sein.« .

Ihr Herz sank ihr bei dieser bestimmten Antwort. Sie war immer viel glücklicher, wenn ihr Gatte abwesend war, als wenn er sie mit seiner Gesellschaft beehrte.

Während George und seine Frau beim Abendessen saßen, trat ein Kellner mit der Meldung herein, daß Jemand den Capitän Duke zu sprechen wünsche.

»Wer wünscht mich zu sprechen ?« fragte er ungeduldig.

»Ein Mann, der in einen Reitermantel gehüllt ist und den Hut tief in die Stirne gedrückt hat, Capitän.«

»Habt Ihr ihm gesagt, daß ich beschäftigt sei, daß ich im Begriff stehe, unter Segel zu geben?«

»Ja, Capitän; aber er sagt, er müsse Euch sprechen. Er sei deshalb über zweihundert Meilen weit gereist.«

Das hübsche Gesicht des Capitäns verfinsterte sich.

»Verwünscht seien alle unzeitigen Besucher!« sagte er zornig. »Laßt ihn in Teufels Namen herauskommen. Hier, Millicent,« setzte er hinzu, als der Kellner das Zimmer verlassen hatte, »nimm eines von diesen Lichtern und gehe in das gegenüberliegende Zimmer; es ist mein Schlafgemach Es wird das Beste sein, wenn ich diesen Mann allein sehe. Schnell, Mädchen, schnell.«

Capitän Duke gab mit einer ungeduldigen Gebärde seiner Frau den Leuchter in die Hand und schob sie in seiner Eile und Aufregung fast zur Thüre hinaus.

Sie schritt über den Gang in das gegenüberliegende Zimmer.

Ehe sie es aber betrat, erkannte sie in dem Manne, der die Treppe heraufkam, den Außenpassagier wieder, welcher ihr und dem Capitän auf der Hauptstraße gefolgt war, und ehe sie die Thüre wieder schloß, hörte sie ihren Mann sagen:

»Du hier! Beim Himmel, ich hatte es mir gedacht.«

In dem Schlafzimmer des Capitäns brannte ein Feuer und Millicent setzte sich au den Kamin. Sie saß fast eine Stunde da, verwundert über den langen Besuch des Fremden. Einmal ging sie hinaus auf den Gang, um sich zu versichern, ob derselbe sich noch nicht entfernt hatte. Er befand sich aber immer noch bei dem Capitän. Sie hörte die Stimmen der beiden Männer, welche laut und zornig klangen; sie konnte aber ihre Worte nicht verstehen. Die Uhr schlug elf, als die Thüre des Speisezimmers geöffnet wurde und der Fremde die Treppe hinunterging.

Gleich darauf kam der Capitän herüber und rief zur Thüre herein:

»Komm, Millicent, ich habe kaum noch eine halbe Stunde Zeit; ziehe Deinen Mantel an und komm mit mir.«

Es war eine bitter kalte Nacht. Der Mond schien voll und klar auf den weißen Steindamm und sein blasses Licht verlieh jedem Gegenstand, auf den es fiel, eine gespenstige Helle. Die letzten Zecher hatten die Schenken auf dem Quai verlassen, die engen Straßen waren leer, die Lichter in den Fenstern der Häuser erloschen und es herrschte in Marley Water ein wenig nach elf Uhr eine Stille wie auf dem Kirchhof zu Compton.

Millicent fröstelte, als sie an der Seite ihres Mannes den Quai entlang ging. Er hatte nicht mehr mit ihr gesprochen, seit er ihr befohlen hatte, sie solle ihn zum Landungsplatz begleiten. Sie hatte ihn ein- oder zweimal verstohlen angeblickt und in dem hellen Mondlicht an seinem Gesicht gesehen, daß ihn etwas beunruhigte. Sie stiegen zum Hafendamm hinunter, der sich weit in die See hinaus erstreckte.

»Das Boot wartet am andern Ende auf mich,« sagte Capitän Duke. »Die Fluth ist eingetreten und der Wind uns günstig.«

Er schritt eine Zeit lang schweigend dahin, während ihn Millicent scheu beobachtete. Darauf blieb er plötzlich stehen und sagte:

»Mistreß Millicent, hast Du einen Ring oder einen ähnlichen Schmuckgegenstand bei Dir?«

»Einen Ring, George?« sagte sie, verwirrt durch die Plötzlichkeit der Frage.

»Einen Ring, eine Broche, ein Armband, irgend Etwas, worauf Du in zwanzig Jahren, wenn nöthig, schwören könntest?«

Sie hatte einen Armband, das ihr Darrell an ihrem sechzehnten Geburtstag gegeben hatte, ein Armband, das etwas von seinem Haare enthielt, und von dem sie sich um keinen Preis getrennt hätte.

»Ein Armband!« sagte sie zögernd.

»Irgend Etwas! Habe ich nicht gesagt, irgend Etwas?«

»Ich habe die kleinen Diamantringe, George, in meinen Ohren, die Du mir von Spanien mitgebracht hast.«

»So gib mir einen davon. Ich möchte irgend ein Andenken von Dir mit auf die Reise nehmen. Der Ohrring thut es.«

Sie nahm das Juwel aus ihrem Ohre und überreichte es ihm. Sie war zu gleichgültig gegen ihn und gegen alle Dinge ihres traurigen Lebens, um sich auch nur darüber zu wundern, dass er den Schmuckgegenstand von ihr verlangte.

»Dies ist besser, als sonst etwas,« sagte er, das Juwel in die Westentasche steckend; »die Ohrringe sind von indischer Arbeit und ein seltenes Muster. Vergiß nicht, Millicent, daß der Mann, der zu Dir kommt, und sich Deinen Gatten nennt, nicht George Duke ist, wenn er Dir diesen Diamantohrring nicht zurückgeben kann.«

»Was willst Du damit sagen, George?«

»Wenn ich nach Compton zurückkomme, so frage mich nach dem Ohrring, der zu dem gehört, den Du noch im Ohre hast. Wenn ich ihn Dir nicht zeigen kann, so behandle mich als einen Betrüger und treibe mich von Deiner Thüre.«

»Aber ich würde Dich ja kennen, George, wozu bedarf es da noch eines Erinnerungszeichens, um Dich wieder zu erkennen?«

»Du wirst es vielleicht doch bedürfen. Seltsame Dinge begegnen Männern, die ein solches Leben führen wie ich. Ich kann vielleicht an Bord gefangen und Jahre lang von Dir fern gehalten werden. Mag ich aber nun in drei Monaten, oder in zehn Jahren zurückkommen, jedenfalls verlange von mir den Ohrring; und wenn ich ihn nicht vorzeigen kann, so glaube mir nicht.«

»Aber Du kannst ihn verlieren.«

»Ich werde ihn nicht verlieren.«

»Aber ich begreife nicht, George —«

»Ich verlange nicht, daß Du es begreifst,« erwiederte der Capitän ungeduldig.

»Ich verlange nur, daß Du dessen, was ich Dir sage, eingedenk bist und mir gehorchest,«

Er verfiel darauf wieder in Schweigen. Sie gingen nach dem äußersten Ende des langen Steindammes, während der Mond hoch in dem wolkenlosen Himmel vor ihnen hinsegelte und ihre Gestalten lange Schatten hinter sich warfen.

Sie waren eine halbe Meile von dem Quai entfernt und allein aus dem Steindamm, wo nur das Echo ihrer Tritte und das Rauschen der Wogen sich vernehmen ließen.

Das Boot des Vultur wartete am Ende des Steindamms. Capitän Duke nahm seine Frau in seine Arme und drückte einen Kuß ans ihre kalte Stirne.

»Du wirst einen einsamen Rückweg nach dem Wirthshause haben, Millicent,« sagte er, »ich habe ihnen aber anbefohlen für Deine Bequemlichkeit Sorge zu tragen und darauf zu sehen, daß Du morgen mit der Kutsche sicher wieder nach Hause befördert wirst. Lebe wohl und Gott segne Dich. Gedenke dessen, was ich Dir diesen Abend gesagt habe!«

Etwas in seinem Benehmen — eine Zärtlichkeit, die ihm sonst fremd war, rührte ihr sanftes Herz.

Sie hielt ihn auf, als er im Begriff war, die Stufen hinunter zu steigen.

»Es war mein Mißgeschick, daß ich Dir niemals eine gute Frau war, George Duke. Ich will für Deine Sicherheit beten, während Du fern auf der grausamen See bist.«

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