Der gebrochene Schwur

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Inhaltsverzeichnis

Erster Band

Erstes Kapitel. Nach acht Jahren.

Zweites Kapitel. R ü c k b l i c k.

Drittes Kapitel. Der neue Herr von Lislewood-Park.

Viertes Kapitel. An dem Parkthore.

Fünftes Kapitel. Major und Mrs. Granville Barney.

Sechstes Kapitel. Unterjocht.

Siebentes Kapitel. Unterwühlter Boden.

Achtes Kapitel. Beecher’s Ritt.

Neuntes Kapitel. Major Barney’s erster Schritt.

Zehntes Kapitel. Der Abgesandte des Majors.

Elftes Kapitel. Des Hauptmanns Gesicht verändert sich im Zwielicht.

Zwölftes Kapitel. Der Major beginnt die verworrenen Fäden zu entwirren.

Dreizehntes Kapitel. D i e A n z e i g e.

Vierzehntes Kapitel. Major Barney erscheint als Philantrop.

Fünfzehntes Kapitel. Gilbert Arnold wird zum Sprechen gebracht.

Sechzehntes Kapitel. Der wieder eingesetzte Besitzer von Lislewood.

Siebzehntes Kapitel. Mr. Salamons macht eine Reise.

Achtzehntes Kapitel. Der Lord von Lislewood verliebt sich.

Zweiter Band

Erstes Kapitel. A n g e n o m m e n.

Zweites Kapitel. Des Majors Schleier wird zu schlau.

Drittes Kapitel. Sir Rupert’s Werbung.

Viertes Kapitel. Es ist am Besten mit der alten Liebe zu brechen 2c.

Fünftes Kapitel. Olivia’s Hochzeit.

Sechstes Kapitel. »Was thun wir hier, mein Herz und ich?«

Siebentes Kapitel. Sir Rupert’s Empfang eines alten Bekannten.

Achtes Kapitel. In Belminster.

Neuntes Kapitel. Delirium.

Zehntes Kapitel. Im Zwielicht.

Elftes Kapitel. Macht gegen Recht.

Zwölftes Kapitel. Der arme Richard.

Dreizehntes Kapitel. Des Vicars Geschichte.

Vierzehntes Kapitel. Auf dem Marsche.

Fünfzehntes Kapitel. Weßhalb die Zigeuner Sir Rupert Lisle haßten.

Sechzehntes Kapitel. Das Wettrennen bei Chilton.

Siebzehntes Kapitel. Im Mondschein.

Achtzehntes Kapitel. Zu Stande gebracht.

Neunzehntes Kapitel. Zur Ruhe.

Impressum

Der gebrochene Schwur

Mary Elizabeth Braddon

Erster Band
Erstes Kapitel.

Nach acht Jahren.

Der röthliche Schein eines herbstlichen Sonnenunterganges beleuchtete die dunkeln Ginsterbüsche und die zittern den Spitzen des purpurnen Haidekrautes, welche den Gipfel eines Hügels in der Grafschaft Sussex zierten.

In der Ferne mischte sich in die leisem klagenden Töne des Septemberwindes das wie ein Weheruf klingende Tosen des weiten Oceans.

Auf einem schmalen Fußpfad, der sich den Hügel hinauf wand, schritt eine Dame in Witwenkleidung auf und ab, ohne ihre Augen von dem gluthrothen Horizont und der purpurnen Linie des fernen Meeres abzuwenden.

Ein Knabe von ungefähr sieben Jahren sprang hin und her in den Ginsterstauden, zuweilen stille stehend, um die gelben Blüthen zu pflücken, die er einige Minuten später unter seinen Füßen zertrat.

Der Rauch, der den Schornsteinen einiger Hütten am Fuße des Hügels entströmte, unterbrach allein die Oede der einförmigen Landschaft. Auf der gewundenen Straße, die sich an der Seite des Hügels hinzog, stand ein kleiner Phaëton mit einem Paar gefleckter Pony’s, welche ungeduldig auf dessen Insassen harrten. Dieser Wagen hielt schon beinahe eine Stunde, und der Kutscher war es schon müde, langsam hin und her zu fahren, und auf das Schwirren der Repphühner und das ferne Echo von eines Jägers Vogelflinte von der Düne her zu lauschen.

»Wann gehst Du nach Hause, Mama?« frug der Knabe plötzlich, zu seiner Mutter laufend.

»Bald.«

»Ich bin so müde.«

»Rupert,« sie legte ihre Hand liebkosend auf des Knaben Schulter, ohne jedoch ihre Blicke von der sinkenden Sonne und dem sich verdunkelnden Meere zu wenden, »mein Junge, Doctor Parsons sagte, Du mußtest Bewegung machen, darum führte ich Dich herauf. Springe herum, laufe herum, mein Herzchen.«

»Ich mag nicht herumlaufen Spiele mit mir, Mama. Spiele Pferdchen mit mir.«

Die Dame seufzte tief, und indem sie ihren langen Shawl fester um sich zog, bereitete sie sich vor, des Knaben Verlangen zu erfüllen. Sie war groß und schlank, beinahe zart von Ansehen, dabei blendend schön, hatte große, blaue Augen, die jedoch lieblicher an Farbe als bedeutend im Ausdruck waren, eine kleine, gerade Nase, einen Mund, der nicht das Gepräge von Energie trug, und lange, fliegende Locken vorn lichtesten Blond. Sie wäre eine schöne Puppe gewesen, war aber kein anziehendes Weib. Sie knüpfte ihren reichen Trauershawl an den Enden auf ihrem Rücken zusammen, und dieselben ihrem Sohne in die Hände gebend, begann sie den Bergrücken auf- und abzuschreiten, während der Knabe mit schwacher Stimme ihr zurief.

Dies hieß er Pferdchen spielen.

Sie ging nicht rasch, doch immer schnell genug ihrem Sohne zu Liebe, bis es ihr an Athem fehlte und sie plötzlich inne hielt, ihre beiden kleinen Hände über das klopfende Herz pressend, während der Knabe noch immer an den Fransen ihres Tuches riß.

Da — mit den letzten Strahlen des röthlichen Sonnenscheines auf seinen blassen, olivenfarbenen Zügen, mit dem sterbenden Lichte in den Tiefen seiner braunen Augen, mit seinem langen Schatten, der sich gigantisch und schreckhaft hinter ihm an der Hügelwand ausdehnte, auf dem Fußpfad ihr gerade gegenüber, stand ein Mann, den sie seit acht Jahren nicht gesehen.

»Hauptmann Walsingham!« rief sie mit einem erschrockenen Ausdrucke in ihrer Stimme, der jedoch weder einem Angstruf noch einem Schrei glich.

»Lady Lisle!«

Er lüftete seinen Hut, der Wind fuhr in die Locken seines schwarzen Haares und entfernte sie von seiner Stirne. Er war sehr hübsch, aber seine dunkle Schönheit hatte einen fremdartigen Charakter.

Stark markirte, aber vollkommen schön geformte Züge, dunkle Gesichtsfarbe und Augen, die, obschon braun, schwarz wie die Nacht unter ihren langen Wimpern hervorblickten, groß, mit breiter Brust und stattlichem Bau, stand er vor ihr.

Er hielt einen Stock in der Hand, auf dessen goldenen Knauf er sich lehnte, als er Lady Lisle gegenüberstand.

Es lag keine Ueberraschung in seinen Mienen bei dieser Begegnung, nur etwas Erregung. Nach einer Pause sagte er:

»Ich las seinen Tod aus einer Zeitung.

Sie blickte ihn mit starren, verwunderten Augen an, und murmelte:

» Ich glaubte Sie in Indien.«

»Ja, dort war ich, aber ich erfuhr seinen Tod in einem Clubhause in Calcutta, wo ich mit einigen billardspielenden Gefährten mich aufhielt. Einer derselben schob mir ein englisches Tageblatt in die Hand. Ich las dergleichen selten; doch als mein Blick darauf fiel, sah ich Sir Reginald Lisle Bart, von Lislewood-Park, Sussex, alt neunundzwanzig Jahre, unter den anderen Todesfällen. Die »Dalhaurie« segelte des andern Tages, und ich mit ihr.«

»Also noch immer —«

»Liebe ich Sie, so sehr wie sonst.«

Er nahm ihre kleine behandschuhte Hand in die seine, und drückte sie sanft an seine Lippen.

Der Knabe riß gewaltsam an den Fransen, und schrie laut:

»Wer ist er, Mama, und warum küßt er Deine Hand? Warum liebt er Dich? Er ist ja nicht mein lieber Papa.«

 

Hauptmann Walsingham legte seine Hand auf des Knaben Haupt, und sein blasses, kränkliches Gesichtchen gegen die matte Helle wendend, sah er ernst in dasselbe, indem er sagte:

»Du bist Deiner Mutter ähnlich, sowohl im Aeußern wie im Charakter, Sir Rupert Lisle, und wir Beide müssen Freunde werden. Ich will mit Dir Pferde spielen.«

»Dann will ich Dich recht lieb haben,« antwortete der Knabe.

»Sie waren überrascht mich zu sehen, Lady Lisle? Doch was ist natürlicher? Nachdem ich den Tod Sir Reginald’s vernommen, machte ich mich reisefertig. Tags darauf eilte ich nach England. In Dover angelangt, erfuhr ich, daß Sie noch immer in Lislewood lebten. Ich kam sogleich herüber, ohne London zu berühren, ging in’s Haus, man sagte mir, Sie seien mit dem Ponywagen ausgefahren, und kam hierher, Sie zu finden.«

»Warum hierher?« frug sie.

»Können Sie dies nicht errathen? Weil wir auf dem Gipfel dieses Hügels uns getrennt, vor acht Jahren im September, und weil ich dachte, Sie möchten wohl zuweilen diesen Ort aufsuchten.«

»Sie werden in’s Schloß kommen und da verweilen?«

»Nein. Ich will im »goldenen Löwen« in Lislewood absteigen und jeden Tag in’s Schloß hinüber reiten. Wenn ich in Ihrem Hause logierte, würden die Leute darüber reden.«

»Ach ja, Sie haben recht.«

Sie hatte so selten selbstständig gedacht, und war ihr ganzes Leben so gewohnt, nach der Meinung Anderer zu handeln, daß die naheliegendsten Ideen ihr nie freiwillig in den Sinn zu kommen schienen.

»Ich sah Ihren Ponywagen dort unten auf der Straße, und erkannte die Livrée der Lisle. Wollen Sie mich mit zurücknehmen?«

»Ja, wenn Sie mitkommen wollen. Wir speisen um Sieben, es ist zwar schon vorüber, wie ich glaube, aber ich lasse das Essen immer warten, man ist schon daran gewöhnt. Komm, Rupert.«

Sie nahm des Knaben Hand in die ihre, und sie stiegen den Hügel hinab.

Hauptmann Walsingham ihr zur Seite.

»Sie sagen nicht, daß Sie sich freuen mich zu sehen,« sagte er nach einer Pause, indem er mit der Spitze seines Stockes auf das bräunliche Haidekraut schlug.

»Sie erschreckten mich so sehr. Sie hätten schreiben sollen, um mich von Ihrem Kommen zu unterrichten. Ich bin nicht stark.«

»Nein,« sagte er, mit einem eigenthümlichem, beinahe spöttischem Lächeln, »nicht stark, niemals stark. Weder stark zu widerstehen, zu bekämpfen, noch zu dulden. Verzeiht, Lady Liste, doch Gott weiß, ob der Mangel dieser Eigenschaft in Ihrer Seele oder in Ihrer Constitution zu suchen ist. Zuweilen frage ich mich auch, ob Sie überhaupt eine Seele besitzen.«

»Sie sind grausam wie immer, Arthur,« sagte sie, indem ihre großen Augen sich mit Thränen füllten.

»Schicken Sie Ihren Sohn zum Wagen, und gehen Sie fünf Minuten mit mir allein.«

Sie gehorchte ihm sogleich, und der kleine Knabe lief den Hügel hinab zu dem Phaëton und kletterte auf seinen Sitz an der Seite des Kutschers.

»Claribel Lisle,« sagte der Offizier leidenschaftlich, »wissen Sie, daß ich vor Jahren im fernen Indien auf die Kniee fiel und Gott bat, diese heutige Begegnung mir zu gewähren? Es war eine gottlose Bitte, nicht wahr, denn sie umfaßte den Tod eines Mannes, der mich nie beleidigt hatte; doch sie ward erfüllt. Vielleicht mir zum Fluche erfüllt. Es war ein leidenschaftliches, wahnsinniges, verblendetes, ruheloses, verzweifeltes, heidnisches Gebet. »Laß’ mich sie wiederfinden als Bettlerin auf der Straße, wiederfinden von Krankheit niedergeworfen in einem Hospital, wiederfinden, verlassen und verachtet von jedem Geschöpf auf dieser weiten Erde, nur laß’ mich sie wiederfinden wie und wo immer es sein mag, und beim Lichte des Himmels, sie soll mein Weib werden!« Dies geschah vor Jahren; während dieser langen Zeit habe ich täglich dies Gebet erfleht. Es ist erhört und ich bin hier.«

»Sie Reginald meinte es gut mit mir,« sagte sie, als Antwort auf seine Rede. »Ich suchte meine Pflicht gegen ihn zu erfüllen.«

»O ja, Claribel, ich kann mir dies denken. Sie thaten auch Ihre Pflicht gegen Ihre Tante und Ihre Vormünder, als Sie vor acht Jahren mir das Herz brachen und mich verließen, um Sir Reginald Lisle zu heiraten.«

»Sie quälten mich so schrecklich, sagten so entsetzliche Dinge —«

»Ja, sie sagten ich sei in Ihr Vermögen verliebt, nicht wahr? Sie sagten, daß der mittellose Offizier nur um die verwaiste Tochter des reichen Kaufmannes werbe um der Tausende willen, die der Vater ihr hinterlassen. Das sagten sie, und Sie — Sie, die mich und meine Liebe kannten, Sie, Claribel, glaubten ihnen.«

»Ich wagte nicht meinem eigenen Urtheil zu trauen.«

»Ja, Lady Lisle, das war die, Sünde Ihres Lebens.«

Er umspannte ihre zarten Gelenke mit seinen beiden starken Händen, und hielt sie ein wenig von sich entfernt, indem er ihr ernst in’s Gesicht blickte.

»Gott im Himmel, welch ein gebrechliches, schwaches Rohr ist es, auf das ein Mann seines Lebens Glück baut! Wer kann sich wundern, wenn er Schiffbruch leidet? Meine arme, schöne, gebrechliche, seelenlose Claribel, man kann eben sowohl nach Stärke und Kraft suchen in dieser schwankenden Glockenblume, als auf Treue und Beständigkeit hoffen bei Ihnen.«

»Sie sind sehr grausam, Arthur.«

»Bin ich das? Erinnern Sie sich des Septembers vor acht Jahren? Wer war damals grausam? Claribel, wir stehen auf derselben Stelle, wo wir damals bei einander standen an jenem Trennungsabend. O, wie ergreift mich dieselbe Qual an diesem selben Ort! Wie kehren die alten Schmerzen zurück und nagen an diesem müden Herzens Nacht um Nacht, Jahr um Jahr hab’ ich geträumt von diesem Hügel und unserer Trennungsscene. Ich hörte das Rauschen Ihres Seidenkleides, als der Abendwind es über die niederen Büsche des Haidekrautes wehte; ich fühlte die leise Berührung Ihrer kleinen Hand, die auf meinem Arm ruhte, ich sah Ihre Thränen, wiederholte Ihre herzlosen Worte, nicht weniger herzlos für mich, weil sie Ihnen selbst peinlich waren. Ich drückte Sie an meine Brust in jenem letzten Abschiedsschmerz, und erwachte, um die Sterne zu sehen, die durch das Linnendach meines Lagerzeltes schimmerten, und das Geheul des hungrigen Schakals in der Ferne zu hören.«

»Auch ich litt. Ich litt so viel als Sie,« sagte sie mit bewegter Stimme.

»Nein, Claribel, Es ist ein allgemeiner Irrthum, zu glauben, daß ein Weib von solchem Kammer viel litte. Es leidet, ja, aber es leidet daheim; und der Gram hat oft in seiner tiefsten Tiefe einen verklärenden Einfluß, und macht es zu einem besseren Wesen. Mit einem Manne ist es anders. Er sieht seine Hoffnungen zerschellt und den Plan seines Lebens vernichtet, und diesem Wrack den Rücken wendend, zieht er hinaus in die Welt, um — Zerstreuung zu suchen! Ich will Ihnen nicht mittheilen, Lady Lisle, welch’ ein weites Feld das Wort »Zerstreuung« umschließt; ich will Ihnen nur sagen, daß vor acht Jahren ich Ihrer würdig war — heute bin ichs nicht mehr.«

»So lieben Sie mich nicht?« frug sie.

»Ja, Claribel, o ja. Ich hatte nie vermocht eine Andere zu lieben als Sie. Ich sah schönere und bessere Frauen, aber es war mein Wahn und mein Unglück, unvermögend zu sein, Sie zu vergessen oder aufzuhören Sie zu lieben. Ich verachtete Sie um Ihrer Falschheit willen, ich fluchte Ihnen Ihrer Treulosigkeit halber; aber durch acht verzweifelte, elende, hoffnungs- und ruhelose Jahre gedachte ich Ihrer und liebte nur Sie. Verdiene ich eine Belohnung? Sie sind Ihre eigene Herrin heute. Ihre Tante, deren Einfluß auf Sie so bedeutend war, ist längst todt. Ihre Vormünder haben keine Rechte mehr über Sie. Claribel, ich frage Sie jetzt, stehend auf der Stelle, wo vor acht Jahren ich, im leidenschaftlichen Taumel der Verzweiflung, zu Ihren Füßen sank, ich frage Sie jetzt, wo Sie frei sind, wollen Sie den Schwüren Ihrer Jugend treu sein?«

Sie war einige Augenblicke still.

Sie hatte während dieser ganzen Rede geweint, nun aber trocknete sie ihre Thränen, und sagte mit leiser Stimme:

»Ja, Arthur, wenn es Sie glücklich macht.«

Sie äußerte diese Worte mehr wie aus Furcht vor ihm als aus eigenem Antrieb.

Er schlang seinen Arm um sie, zog sie sanft an sich, küßte sie auf die Stirne, und führte sie dann schweigend den Hügel hinab zu dem Wagen.

»Mama, Mama!« rief des Knaben helle Stimme, als sie sich dem Phaëton näherten; »ich glaubte Du würdest gar nicht kommen. Ich bin so hungrig und es ist beinahe dunkel. Und Brooks mag mir keine Geschichten mehr erzählen.«

»Weil Sie sie schon alle zweimal hörten, Sir Rupert,« sagte der Diener, seinen Hut lüftend.

»So erzählt Dir Brooks Geschichten, Sir Rupert,« sagte der Hauptmann lachend. »Von Jacob, dem Riesentödter, vermuthlich und dem Däumling. Nun, ich werde Dir auch Geschichten erzählen, Geschichten von Indien.«

»O, da habe ich Sie sehr lieb, und möchte, daß Sie mein neuer Papa werden. Brooks sagt —«

»Spring’ hinein, Sir Rupert. Es ist beinahe acht Uhr und Mama will mich nach Hause fahren.«

Der leichte Phaëton flog dahin über den hügeligen Grund, und bog nach halbstündiger Fahrt in das Thor von Lislewood-Park, einem der schönsten und ausgedehntesten Edelsitze der Grafschaft Sussex.

Der kleine Baronet war entzückt über seinen neuen Bekannten, und der Hauptmann beschäftigte ihn bis neun Uhr durch Erzählungen von Feenmärchen und dergleichen zu seiner Unterhaltung. Aber zur genannten Stunde erschien die ernste Wärterin an der Thüre des Salons, und überredete Sir Rupert nicht ohne bedeutende Schwierigkeiten, sich mit ihr in sein eigenes Zimmer zu begeben.

»Sie verziehen Ihren Sohn, Claribel,« sagte der Hauptmann, als der Knabe gegangen war.

»Wie könnt ich anders? Er war Alles, was mir zu lieben geblieben war.«

»Er ist ein schöner Junge, aber er sieht nicht kräftig aus.«

»Nein, er ist auch nicht kräftig; und dies ist zum Theil auch die Ursache, weshalb ich ihm meist seinen Willen thue. Die Aerzte sagen mir, es dürfe ihm nicht widersprochen werden. Er ist ein so nervöses Kind.«

»Ist er begabt?« frug der Hauptmann.

»Nun, ich glaube kaum, daß er sehr begabt ist,« sagte Lady Lisle mit einigem Zögern; »er ist zurück in seinen Studien. Mr. Maysome, der Pfarrer, kommt jeden Morgen herüber, ihn zu unterrichten, aber ich fürchte er findet ihn lässig.«

»Klagt er über ihn?«

»Ja, zuweilen,« sagte Lady Lisle nachdenklich.

»Es thut nichts, Claribel; er wird einst ein reicher Mann und hat nicht nöthig gescheidt zu sein. Wir armen Schelme, die mit dem Leben kämpfen müssen, brauchen allen Verstand für uns.«

Der Hauptmann sagte dies mit einem bittern Lachen, und sich von seinem Sitz erhebend, ging er zum Kamin und blickte, seinen Arm aus das Marmorgesimse stützend, in die Gluth zu seinen Füßen. Der Schein des Feuers, der auf sein dunkles Gesicht fiel, beleuchtete die düstern Schatten seines braunen Auges und die scharfen Linien seines Mundes, der von einem schwarzen Schnurrbart beschattet war, den er unaufhörlich mit seiner starken Hand bearbeitete, während er brütend über dem Feuer lehnte.

Lady Lisle, welche auf der entgegengesetzten Seite an einem kleinen Tische saß, auf dem eine niedere, grünbeschirmte Lampe stand, sah mit ihren blauen Augen verwundert zu ihm auf.

»Sie sind verändert, Hauptmann Walsingham,« sagte sie nach einer Pause.

Er antwortete nicht sogleich, zuckte aber mit den Schultern und stieß den blanken Griff des Schürers mit der Fußspitze durch das Gitter hin und her. Dann sagte er:

»Sie meinen verändert? Verändert nach acht Jahren eines Lebens, wie es der Mann in Indien führt? Nach achtjährigem Genuß von Weißbier und Branntwein, nach acht Jahren Billardspiel und Ecarté, Hazard- und anderen Kartenspielen, Pferderennen, Tigerjagen, Raufen, Fechten, Hofmachen, Borgen und Spenden —- bah! Lady Lisle, ich thue wohl besser den Katalog nicht zu vollenden, Sie möchten sonst einige Punkte streichen.«

»Arthur,« sagte Claribel Lisle, ihre langen, blonden Locken nachlässig um ihre weißen, schlanken Finger rollend, »wissen Sie, daß Sie unterdessen ein wirklicher Bär geworden sind?«

»Ein Bär!« lachte er kurz und spöttisch. »Ist das die ganze Veränderung, welche Sie nach achtjähriger Trennung an mir finden? Mein Benehmen ist wohl nicht fein, ich habe ein rauhe, tiefe Stimme, ich spreche unverschämtes Zeug und lache den Leuten in’s Gesicht, ich bin ungeduldig und verstimmt, das heißt ich gebe nicht einmal vor in guter Laune zu sein, wie wohlerzogene Leute sollten, ich komme im Ueberrock und bunter Weste zur Tafel, suche eine Dame um sechs Uhr Abends auf, die mich vor acht Jahren verschmähte, und welche ich seitdem nicht wieder gesehen. Sie nicht zu Hause treffend, verfolge ich sie auf ihrem Spaziergange, belästige sie in ihrer Zurückgezogenheit, und bitte sie um ihre Hand, bevor noch ihr Witwenjahr verflossen. Kurzum, Lady Lisle, um Ihren eigenen, kräftigen Ausdruck zu gebrauchen, ich bin ein Bär geworden.«

 

Als er geendet, blickte er auf und begegnete seinem Spiegelbild über dem Kamin Er fuhr mit der Hand durch sein dichtes, schwarzes Haar, strich es nach einer Seite von der Stirn, und betrachtete sich einige Augenblicke mit gedankenvollem Lächeln.

Lady Lisle beobachtete ihn mit Erstaunen, sprach aber nicht. Sein Einfluß auf sie war augenscheinlich sehr groß, und in ihrem Benehmen gegen ihn machte sich stets eine gewisse Furcht bemerkbar, eine Furcht, welche dem Bewußtsein seiner Kraft und ihrer Schwäche zu entspringen schien, trotzdem aber mit der Kenntniß ihrer außerordentlichen Macht über ihn vermischt war, einer Macht, die sie nicht verfehlte in kleinlichen weiblichen Ansprüchen geltend zu machen.

»Lady Lisle, Sie finden mich verändert nach dem was ich im September vor acht Jahren war-? Wie, wenn ich sage, daß ich nicht mehr derselbe Mensch bin, der ich damals gewesen?«

»Arthur!«

»Betrachten Sie mein Gesicht im Spiegel; kommen Sie hierher, Claribel, stellen Sie sich neben mich und beschauen wir es Beide. Ich finde keine großen Veränderungen darin, nicht wahr? Einige kaum bemerkbare Falten unter den Augen, einige harte Linien um den Mund, und die Broncefarbe der indischen Sonne. Großer Gott! Wie wenig reflectiren die Gesichtszüge das Heez! Und welch’ ein narbenvolles, sturmgepeitschtes, abgebranntes Antlitz würde dies sein, wenn es die äußern Zeichen jedes inneren Kampfes trüge! Nun sehen Sie, welch eine hübsche brauchbare Maske daraus gemacht werden kann, und wie das große Räthsel — Mensch — sich dahinter verbergen kann!«

»Arthur, ich mag Sie nicht so sprechen hören.«

»Ja, es ist bärenhaft, nicht wahr? Ich sollte zu Ihren Füßen sitzen, Ihnen süße, liebliche Geschichten meines achtjährigen Aufenthaltes in Indien erzählen. Wie ich Ihnen zu Liebe nie Bier getrunken, um Ihretwillen Würfel und Spieltisch mied und die Gesellschaft der Frauen floh, um in der Erinnerung Ihrer schönen Züge zu schwelgen. Dies wäre das Rechte, nicht wahr? Aber, Claribel Lisle, ich sage Ihnen nichts dergleichen. Ich bin ein Bär, wie Sie sich ausdrückten, und sage Ihnen die Wahrheit. Hören Sie also. Ich hasse Sie eben so sehr, wie ich Sie liebe. Mein Herz ist getheilt in diese beiden Leidenschaften, und ich weiß kaum zu sagen, welche von ihnen mich aus Indien hierher und zu Ihren Füßen trieb. Sie haben durch Ihren Vorrath vor acht Jahren einen Mord begangen, und es ist der Geist des damals getödteten Arthur Walsingham, der in diesem Augenblick vor Ihnen steht. Durch Sie bin ich zum Spieler, Trunkenbold und Wüstling geworden. Das Andenken an Sie hat mich zur Flasche, zu den Karten und zu dem Lächeln herzloser Weiber getrieben, um Erleichterung meiner Qualen zu finden. Dies, Lady Lisle, mußte ich Ihnen sagen, wenn ich überhaupt sprechen wollte.«

»Arthur, es zerreißt mein Herz, Sie so reden zu hören,« sagte sie, als er sich abwandte, um sein Gesicht in seinen Händen zu verbergen. »Arthur, ich verspreche Alles zu thun, was in meinen Kräften steht, um das Vergangene wieder gut zu machen. Verspreche ichs nicht?« wiederholte sie, indem sie versuchte seinen Kopf mit ihren schwachen Händen zu erheben.

»Ja, ja, Sie sind sehr gütig, Claribel, und Sie versprechen endlich — endlich mein zu sein. O, meine Geliebte, meine Thyrannin, meine süße, meine grausame Claribel, beten Sie, daß die bittere Vergangenheit für immer vermischt werde, und daß keine traurigen Wirkungen jener trüben Zeit je Ihr liebes Haupt berühren mögen.«

Er legte ihre schönen Locken auf seine Schulter, und schaute auf sie nieder mit zärtlichem, bedauerndem aber düsterem Blick.

»Claribel, Sie haben versprochen mich zu heiraten. Bereuen Sie diesen raschen Schwur? War es Furcht, was Sie trieb meine Bitte zu gewähren? Besinne Dich, Geliebte, besinne Dich, ehe es zu spät. Ein Wort und ich verlasse diese Nacht noch diesen Ort, und bin in zwei Tagen auf dem Wege nach Indien. Ein Wort, Claribel, und Du bist frei von mir für immer.«

Sie erhob ihre thränenvollen Augen zu ihm, und ihre kleine Hand in die seine legend, sagte sie mit von Schluchzen unterbrochener Stimme:

»Ich liebte nie einen Andern als Dich. Ich war sehr schlecht, als ich Dich verschmähte und mich mit Sir Reginald Lisle vermälte, aber ich war zu feige dem Uebergewichte meiner Freunde zu widerstehen. Manchen Abend zu meines Gatten Lebzeit saß ich auf dieser Stelle ihm gegenüber, Dein gedenkend im fernen Indien, Dein gedenkend, bis der Raum um mich und meines Gatten Züge verschwanden, und ich Dich sah, verwundet in der Schlacht, oder schlafend im düstern Wald, allein, verlassen, krank, sterbend. Doch dem Himmel sei Dankt Du bist gerettet, bist zu mir zurückgekehrt, liebst mich noch.«

»Noch und immer. Ich sage Dir, es ist meine Leidenschaft, Claribel Lisle. Du willst Dich mit mir also verbinden, was auch kommen mag?«

»Was auch kommen mag, ja.«

Sie zitterte, als sie in sein dunkles Gesicht blickte, und sprach seine Worte nach, zagend und leise wie ein Kind.