Der Capitän des Vultur

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»Laßt mich ihn sehen! — laßt mich ihn sehen!« sagte sie, »seines Vatersbruders einzige Tochter, seine nächste Verwandte — seine Spielgenossin — seine theure und liebende Freundin —«

»Die seine Frau hätte werden sollen,« unterbrach sie Mrs. Pecker.

»Ja, die niemals die Frau eines Andern hätte werden sollen, sondern feine liebende, treue und glückliche Frau. Laßt mich ihn sehen!« rief Millicent, ihre gefalteten Hände flehend emporhebend.

»Der Doktor ist im Zimmer, wollt Ihr, daß er Euch hört, Mrs. Duke?«

»Wenn mich die ganze Welt hörte, so würde ich nicht aufhören, Euch zu bitten. Sarah, laß mich meinen Cousin, Darrell Markham, sehen!«

Die Wirthin, die ein Licht in der Hand hielt, wurde, indem sie auf das jammervolle Gesicht und die thränenvollen Augen, die durch das hereinhängende goldene Haar fast geblendet wurden, niederblickte, ein wenig erweicht.

»Miß Millicent,« sagte sie, »der Doktor hat verboten, daß ein sterbliches Geschöpf in seine Nähe kommt — der Doktor hat verboten, daß eine sterbliche Seele ein Wort zu ihm spreche, das ihn beunruhigen und aufregen könnte — und glaubt Ihr, der Anblick Eures Gesichts würde ihn nicht aufregen?«

»Aber er hat mich zu sehen verlangt, Sarah, er hat von mir gesprochen.«

»Wann, Miß Millicent?«

Von Mitleid erfüllt für dieses jammervolle Gesicht, das zu ihr emporblickte, nannte die Wirthin die Tochter ihres verstorbenen Gebieters nicht mehr bei dem neuen, harten und grausamen Namen der Mistreß Duke. »Wann, Miß Millicent?«

»Diesen Abend — diesen Abend, Sarah.

»Master Darrell hätte gewünscht, Euch zu sehen! Wer hat Euch das gesagt?«

»Capitän Duke.«

»Master Darrell hat diesen Abend nicht mehr als ein Dutzend Worte gesprochen, Miß Millicent, und diese Worte waren unsinnige Worte. Er hat nicht ein einziges Mal Euren Namen genannt.«

»Aber mein Mann hat doch gesagt —-«

»Der Canitän schickt Euch also her?«

»Nein, nein, er hat mich nicht hergesendet. Er hat mir gesagt —- oder wenigstens zu verstehen gegeben, daß Darrell von mir gesprochen — daß er mich zu sehen verlangt hat.«

»Euer Mann ist ein seltsamer Herr, Miß Millicent.«

»Laßt mich ihn sehen, Sarah, laßt mich ihn nur sehen. Ich will kein Wort sprechen, keinen Seufzer ausstoßen; laßt mich ihn nur sehen.«

Mrs. Pecker zog sich einige Augenblicke in das blaue Zimmer zurück und flüsterte dem Arzte etwas zu. Nach einigen Minuten kehrte sie in Begleitung des Doktors, welcher die Treppe hinunterging, um in der Küche nach einem Trank zu sehen, den er für seinen Patienten verordnet hatte, zurück.

»Wenn Ihr auf einen leblosen Körper blicken wollt, so könnt Ihr hereinkommen, Miß Millicent, denn er liegt so still wie ein solcher,« sagte Mrs. Pecker.

Sie ergriff das Mädchen beim Arm und führte es in das Zimmer, wo Darrell Markham, einem hellen Kaminfeuer gegenüber, bewußtlos aus einem großen Himmelbett lag. Millicent wankte an die Seite des Lagers, setzte sich in den Armstuhl, den Sarah Pecker bisher eingenommen hatte, ergriff Darrell Markhams Hand und drückte sie an ihre zitternden Lippen. Es schien, als ob etwas Magisches in diesem sanften Druck läge, denn des jungen Mannes Augen öffneten sich seit der Scene in der Halle zum ersten Mal und blickten auf seine Cousine.

»Millicent,« sagte er ohne Ueberraschung, »liebe Millicent, es ist so gut von Dir, daß Du bei mir wachst.«

Sie hatte ihn vor drei Jahren während einer gefährlichen Krankheit gepflegt, und es war kaum auffallend, wenn er in seinem Delirium die Gegenwart mit der Vergangenheit verwechselte, indem er glaubte, daß er sich in seinem alten Zimmer in Compton Hall befände und daß seine Cousine an seinem Bette wache.

»Ruf meinen Onkel, ruf den Squire", sagte er, »ich wünsche ihn zu sehen,« und dann nach einer Pause murmelte er für sich: »das ist doch nicht das alte Zimmer; es muß es Jemand verändert haben.«

»Master Darrell,« rief die Wirthirn »wißt Ihr denn nicht, wo Ihr Euch befindet? Bei Freunden, Muster Darrell, bei treuen und aufrichtigen Freunden. Wißt Ihr denn nicht?«

»Ja, ja,« sagte er, »ich weiß, ich weiß. Ich habe lange in der Kälte draußen gelegen und mein Arm ist verletzt. Ich erinnere mich setzt, Sally, ich erinnere mich; aber ich habe ein sonderbares Gefühl in meinem Kopfe und ich kann nicht sagen, wo ich bin.«

»Seht her, Master Darrell, hier ist Mrs. Duke, die in dieser bitterkalten, finstern Nacht den weiten Weg vom andern Ende der Stadt hierher gekommen ist, um Euch zu sehen.«

Die gute Frau sagte dies, um dem Kranken eine Freude zu machen; aber die Erwähnung des Namens Duke erinnerte den jungen Mann an die Heirath seiner Cousine und er rief mit Bitterkeit aus:

»Mrs. Duke! Ja, ich erinnere mich’s, und dann den Kopf aus dem Kissen umdrehend, sagte er mit plötzlicher Heftigkeit: »Millicent Duke! Millicent Duke, weshalb kommst — Du hierher, um mich mit Deinem Anblick zu peinigen?«

In diesem Augenblicke erhob sich der Ton eines Wortwechsels in dem Hausflur unten, gefolgt von raschen Fußtritten auf der Treppe. Mrs. Pecker eilte nach der Thüre, aber ehe sie dieselbe erreichen konnte, wurde sie heftig aufgerissen und der Capitän des Vultur trat in das Zimmer. Ihm auf dem Fuße folgte der Arzt, der sogleich an das Bett ging, indem er mit halbunterdrücktem Zorn ausrief:

»Ich protestire dagegen, Capitän Duke, und wenn etwas Schlimmes daraus entstehen sollte, so mache ich Euch dafür verantwortlich.«

Der Capitän nahm keine Notiz von der Rede, sondern wandte sich an seine Frau und sagte in rohem Tone:

»Wird es Euch anstehen, mit mir nach Hause zu gehen, Mrs. Millicent? Es ist fast vier Uhr und das Zimmer eines kranken Gentlemans ist zu solcher Zeit kaum ein passender Ort für eine Dame.«

Darrell Markham richtete sich im Bette empor und rief mit krampfhaftem Lachen:

»Ich sage Dir, das ist der Mann, Millicent; Sarah, sieh ihn an. Das ist der Mann, der mich auf Compton Moor angehalten —- der Mann, der mich in den Arm geschossen — der Mann, der mir meine Briefe geraubt hat.«

»Darrell! Darrell!« rief Millicent, »Du weißt nicht, was Du sagst. Der Mann ist mein Gatte.«

»Dein Gatte! Ein Straßenräuber! ein —«

Das Wort, das noch auf Mr. Markhams Lippe war, blieb ungesprochen, denn er fiel bewußtlos auf das Kissen zurück.

»Capitän George Duke,« sagte der Arzt, seine Hand auf den Puls seines Patienten legend, »wenn dieser Mann stirbt, so habt Ihr einen Mord begangen.«


Drittes Capitel.

Rückblicke.

John Homerton, der Grobschmied, sagte nur die Wahrheit, wenn er behauptete, daß der junge Squire, Ringwood Markham, sich in London ruinire. Wenn auch die einfachen Landbewohner die Gefahren und Laster der Hauptstadt leicht übertreiben, so war doch, was der ehrliche Meister Homerton sagte, keine Uebertreibung, denn der junge Squire eilte mit schnellen Schritten auf der glatten und bequemen Straße dahin, die als der Weg zum Ruin bekannt ist.

Ringwood Markham war drei Jahre älter als seine Schwester Millicent und sechs Jahre jünger als sein Cousin Darrell, denn der alte Squire Markham hatte spät im Leben geheirathet und kurz nach seiner Hochzeit den kleinen Darrell adoptirt. Dieser war das einzige Kind seines jüngeren Bruders, der frühzeitig gestorben war und seinem Waisenknaben ein kleines Vermögen hinterlassen hatte.

Ringwood Markham hatte in seinem Aeußern große Aehnlichkeit mit seiner Schwester. Er besaß dasselbe blaßgoldene Haar, dieselben tiefblauen, glänzenden Augen, dieselben feinen Züge und dieselbe weiße und rosige Hautfarbe. Aber jene Art Schönheit, welche reizend an einem Mädchen von Neunzehn ist, war viel zu weibisch an einem Manne von Zweiundzwanzig, um gefallen zu können, und der alte Squire sah mit Verdruß seinen geliebten Sohn zu nichts Besserem als zu einem hübschen Knaben, zu einem puppenhaften Gecken aufwachsen, die Bewunderung von einfältigen Schulmädchen und überspanntem mittelalterlichen Frauen.

Ringwood war stets der Günstling seines Vaters gewesen, selbst mit Ausschluß der reizenden, liebenswürdigen und liebenden Millicent, und als Darrell zum Mann heranwuchs, kränkte es den alten Squire, in dem älteren Cousin einen muthigen, kühnen und kräftigen Jüngling zu sehen, der sich in allen männlichen Uebungen auszeichnete, während Ringwood nur an sein hübsches Gesicht und an seinen gestickten Rock dachte, und den glänzenden Griff seines Schwerts mehr liebte als die Klinge.

Es war hart für den Squire, sich die demüthigende Wahrheit bekennen zu müssen; aber die Thatsache ließ sich nicht in Abrede stellen, daß Ringwood Markham ein Feigling war.

Der alte Mann verbarg seine Kränkung in dem Innern seines Herzens und mit einem Gefühl von Ungerechtigkeit, welches eine der Schwächen leidenschaftlicher Liebe ist, haßte er Darrell, weil derselbe seinem Sohne überlegen war.

So kam es, daß sich das blasse Gesicht des Kummers zuerst in der kleinen Familiengruppe zu Compton Halt zeigte.

Darrell und Millicent hatten einander von Kindheit an geliebt und sie liebten einander so offen und aufrichtig, daß sie in dem gewöhnlichen Sinne des Wortes vielleicht niemals Liebende gewesen waren.

Sie hatten keine koketten Eifersüchteleien, keine reizenden Zwiste und noch reizendere Versöhnungen, keine verstohlenen Zusammenkünfte im Mondschein, keine Vermittlung von bestochenen Kammerzofen, welche mit der Besorgung parfümirter Liebesbriefe beauftragt waren. Nein, sie liebten einander ehrlich und offen mit einer ruhigen, unveränderten Zuneigung, die so wenig Worte bedurfte, daß vielleicht Niemand von der Tiefe und Stärke dieser stillen Leidenschaft eine Ahnung hatte.

 

Wenn der Squire diese wachsende Neigung zwischen den jungen Leuten auch wahrnahm, so that er doch nichts, um sie zu begünstigen oder zu entmuthigen. Um Millicent hatte er sich ohnehin nie viel bekümmert. Sie und ihr Bruder waren die Kinder einer Frau, die er wegen ihres schönen Vermögens geheirathet hatte und die unbeachtet und unbetrauert — Einige sagten, am gebrochenen Herzen — gestorben war, bevor Millicent ihr erstes Jahr vollendet hatte.

So verliefen die Dinge zu Compton Hals sehr friedlich. Darrell und Millicent ritten mit einander durch die schattigen grünen Feldwege und über die weite Moorfläche, während der Squire in dem eichengetäfelten Wohnzimmer oder in dem holländischen Garten seine Pfeife rauchte und Ringwood in dem Städtchen herumlungerte, oder in der Wirthsstube des Schwarzen Bären seine Zeit zubrachte. Aus diese Weise erschien das Leben ruhig und angenehm genug, bis ein Ereigniß die ganze Sachlage veränderte.

Darrell und Ringwood Markham hatten einen heftigen Streit, bei dem auf beiden Seiten harte Worte gesprochen und Schläge ausgetauscht wurden — einen Streit, der Darrells Aufenthalt zu Compton Halt plötzlich ein Ende machte.

Wir haben gesagt, daß Ringwood Markham ein Feigling und ein Müßiggänger war. Es gab aber Leute in Compton, die ihm noch schlimmere Namen beilegten, die ihn einen herzlosen Feigling und einen Lügner nannten, und der Tag kam, wo Darrell selbst dem angebeteten Sohn des Squires diese Namen in’s Gesicht schleuderte.

Er hatte ein Liebesverhältniß zwischen Ringwood und einem siebenzehnjährigen Mädchen, der Tochter eines kleinen Farmers entdeckt, und ihm darüber Vorstellungen gemacht.

Ringwood nahm dies sehr übel auf. Es entstand ein Wortwechsel zwischen ihnen, der damit endigte, daß der junge Mann, vor Zorn seiner nicht mehr mächtig, seinem Cousin wie eine Katze an den Hals sprang und ihn zu drosseln versuchte, als ein Schlag von Darrells kräftiger Faust ihn zu Boden streckte. Dies geschah, am Hause des erwähnten Farmers, in Gegenwart von mehreren Zeugen.

Darrell kehrte nach der Halle zurück, wo er einige Kleider in seinen Sattelranzen packte und zwei Briefe schrieb, einen an seinen Onkel, worin er ihm offen genug sagte, daß er Ringwood niedergeschlagen habe, weil er die Entdeckung gemacht, daß derselbe wie ein Schurke handle, und daß er es für besser halte, wenn sie sich, da jetzt böses Blut zwischen ihnen herrsche, von einander trennten. Sein zweiter Brief war an Millicent gerichtet und fast ebenso kurz als der erste. Er setzte sie blos von dem stattgehabten Streit in Kenntniß, indem er beifügte, daß er nach London gehe, um sein Glück zu machen, und daß er seiner Zeit zurückkehren werde, um ihre Hand zu verlangen.

Er ließ die Briefe in seinem Zimmer auf dem Tisch zurück und ging hinunter in den Stall, wo er sein eigenes Pferd Balmerino fand, es bestieg und das Haus verließ, in welchem er seine ganze Jugendzeit zugebracht hatte.

Er entfernte sich sehr traurig, aber von dem Geiste der Hoffnung beseelt, wie er hochherzigen Jünglingen eigen zu sein pflegt. Es schien ihm eine so leichte Sache, sein Glück zu machen, um es dann mit seiner Cousine Millicent zu theilen. Jene große Auster, die Welt, wartete ja nur darauf, durch den kühnen Streich seines abenteuerlichen Schwerts geöffnet zu werden, und wer konnte daran zweifeln, daß seltene und unschätzbare Perlen in der Schale verborgen waren, bereit, in die offenen Hände des tapferen Abenteurers zu fallen?

Ringwood Markham kehrte spät am Abend mit blassem Gesicht und einem blutigen Tuch um seine Stirn, nach Hause zurück.

Er fand seinen Vater in dem eichengetäfelten Gemach auf der einen Seite der Halle am Kamin sitzen. Die Thür dieses Zimmers stand offen, und als der junge Mann aus seinem Wege nach seinem eigenen Zimmer sich vorbeizuschleichen suchte, rief ihn sein Vater an und befahl ihm mit gebieterischer Stimme, zu ihm herein zu kommen.

Langsam und mürrisch gehorchte der junge Mann, seinen zerschlagenen Kopf hängend und auf den Boden blickend.

»Was hast Du am Kopfe, Ringwood?« fragte der Squire.

»Mein Pferd ist vor einigen Schafen auf dem Moor scheu geworden und hat mich gegen einen Stein geschleudert,« murmelte der junge Mann.

»Du sagst eine Lüge, Ringwood Markham,« rief sein Vater in zornigem Tone. »Ich habe einen Brief von Deinem Cousin Darrell in meiner Tasche. Bah, Mann! Du bist der Erste der Markhams, der jemals einen Schlag hinnahm, ohne ihn mit Interessen zurückzuzahlen. Du hast den Milch- und Wassercharakter Deiner Mutter, wie ihr rothes und weißes Gesicht.«

»Ihr braucht nicht von ihr zu sprechen,« sagte Ringwood; »Ihr habt sie nicht allzu gut behandelt, wenn die Leute, die es wissen können, die Wahrheit sprechen!«

»Ringwood Markham, reize mich nicht. Es ist hart genug für einen Markham von Compton, einen Sohn zu haben, der sich nicht vertheidigen kann. Gehe zu Bett.«

Der junge Mann verließ das Gemach mit denselben schlotternden Schritten, mit denen er es betreten hatte. Er stahl sich vorsichtig die Treppe hinauf, denn er glaubte, sein Cousin Darrell befinde sich noch im Hause, und er hatte keine Lust, mit ihm zusammenzutreffen.

So blieb Millicent einsam in Compton Halt zurück, ganz einsam, denn sie hatte Niemand, der sie liebte.

Sie glich einem zarten und gebrechlichen Mechanismus, der vortrefflich war, wenn er in Ordnung gehalten werden konnte, der aber auch sehr leicht der Beschädigung und Zerstörung ausgesetzt ist. Die Tochter des Squires war kein hochgebildetes Mädchen. Ihre geistige Unterhaltung war von der einfachsten Art. Ein alter Roman konnte sie Tage lang glücklich machen und sie konnte über die zahmsten Verse irgend eines Dichters der damaligen Zeit in Thränen ausbrechen. Bei ihr nahm das Herz den Platz des Verstandes ein. Wer sich an ihre Zuneigung wendete, der konnte aus ihr machen, was er wollte. Liebe sie und ihre ganze Natur entfaltet sich gleich einer prachtvollen Blume, die ihren Kelch in der Morgensonne erschließt. Entferne diesen wohlthätigen Einfluß und dieselbe Natur zieht sich in sich selbst zurück und wird ein kleines unscheinbares Ding, das durch raue Behandlung leicht zerbrochen wird.

Nachdem also Darrell fort war und die liebe alte Sally Masterson die Halle verlassen hatte, um Gebieterin vom Schwarzen Bären zu werden, war die arme Millicent ganz der Barmherzigkeit ihres Vaters und ihres Bruders überlassen, von denen keiner sich mehr um sie bekümmerte, als um ihren kleinen spanischen Hund« der sie im Hause begleitete. So kam der zarte Mechanismus in Unordnung und Millicents Tage waren dem Romanlesen und der Stickerei einer für Darrell bestimmten Weste gewidmet, deren Farben bereits durch die Thränen verblichen waren, welche die geduldige Arbeiterin bei dem Gedanken an den abwesenden Geliebten auf die Stiche hatte fallen lassen.

In allen Dingen, welche das Leben und die Welt betrafen, war sie so unerfahren wie ein kleines Kind und sie hegte nicht den geringsten Zweifel darüber, daß ihr Cousin sein Glück machen und in wenigen Jahren zu ihr zurückkehren werde, um sie als seine Frau heimzuführen. Aber trotz dieser Hoffnung war ihr Leben sehr langweilig und traurig, ihr Vater theilnahmslos, ihr Bruder anmaßend und ihre ganze Umgebung war dazu angethan, sie elend zu machen.

Das bitterste Leid stand ihr aber noch bevor. Es kam in der Person eines gewissen Capitän George Duke, der auf seinem Wege von Marley Water nach der Hauptstadt sich einige Tage in Compton aufgehalten und in dem Herrenzimmer des Schwarzen Bären die Bekanntschaft von Squire Markham gemacht hatte. Auch mit Ringwood Markham war er bekannt und befreundet geworden und der offenherzige Seemann hatte versprochen, bei seiner Rückkehr nach seinem Schiff, dem Vultur, wieder in Compton anzuhalten.

Die einfachen Leute des kleinen Städtchens nahmen den Capitän bereitwillig für das, wofür er sich ausgab — für einen Offizier der Flotte Sr. Majestät; aber in dem Seehafen von Marley Water fanden sich Leute, welche behaupteten, daß das gute Schiff, das unter dem Namen Vultur in den Büchern der Admiralität eingetragen war, ein ganz anderes Fahrzeug sei, als die nette kleine Barke, die zuweilen in einem ruhigen Winkel des obscuren Hafens von Marley vor Anker lag; Es gab sogar boshafte Menschen, welche Worte, wie »Seeräuber,« »Sklavenhändler,« flüsterten; aber die kecksten dieser Verleumder trugen Sorge, diese Worte außer der Hörweite des Capitäns zu flüstern, denn George Duke’s Schwert befand sich während seines kurzen Aufenthalts in dem kleinen Seehafen öfter aus als in der Scheide.

Wie sich aber dies auch verhalten mochte, gewiß ist, daß der hübsche, leichtherzige, freigebige George Duke sehr bald ein großer Günstling von Squire Markham und seinem Sohn Ringwood wurde. Seine heitere Laune brachte Leben in die düstere alte Behausung Seine Erzählungen von Seeabenteuern gefielen den beiden Landjunkern und der Seeoffizier, der ein Mann von Welt war und es verstand, einer vortheilhaften Bekanntschaft zu schmeicheln, galt für den angenehmsten und herzlichsten Gesellschafter.

So ertönte Compton Hall Nacht um Nacht von seinem fröhlichen Gelächter; Korke flogen und Gläser klangen, während die drei Männer bis Mitternacht beisammen saßen. Es war bei einem dieser halbtrunkenen Gelage, als Squire Markham dem Capitän George Duke die Hand seiner Tochter Millicent versprach.

»Ihr seid in sie verliebt, George, und Ihr sollt sie haben,« sagte der alte Mann. »Ich kann ihr bei meinem Tode ein paar tausend Pfund geben und wenn Ringwood etwas zustoßen sollte, so wird sie die alleinige Erbin der Halle und des dazu gehörigen Guts sein. Ihr sollt sie haben, mein Junge. Ich weiß, daß so eine Art Liebschaft zwischen Milly und einem breitschultrigen blondhaarigen Neffen von mir besteht; aber das soll kein Hinderniß für Euch sein, denn der Bursche ist kein Günstling von mir und wenn es mir so beliebt, so muß meine feine zimperliche Miß Euch in einer Woche heirathen.«

Capitän Duke sprang von seinem Stuhl auf und schüttelte die Hand des Squire, indem er mit dem Entzücken eines Liebhabers ausrief:

»Sie ist das schönste Mädchen in England und ich möchte sie lieber zur Frau haben, als eine Herzogin zu St. James.«

»Sie ist allerdings hübsch genug,« sagte Ringwood boshaft »und sie würde noch viel hübscher sein, wenn sie nicht immer jammerte.«

Der Farmer Marrison hätte eine Geschichte davon erzählen können, wie Master Ringwood selbst an dem Tage, wo ihn sein Cousin Darrell niedergeschlagen hatte, in der Küche des kleinen Farmhauses gejammert hatte. Der einfache Farmer hatte keine geringe Verachtung für den Erben von Compton Hall gefühlt, dessen Kopfwunde er aus Barmherzigkeit verband, ehe er ihn mit der eindringlichen Versicherung entließ, daß er, wenn er je wieder seinem Hause nahe kommen sollte, eine solche Tracht Prügel erhalten werde, die er in seinem ganzen Leben nicht mehr vergessen würde.

Die beiden Kinder hatten etwas von der nervösen Schwäche ihrer armen zarten und vernachlässigten Mutter geerbt, die vor siebzehn Jahren in Sally Mastersons Armen gestorben war; aber ich glaube, daß in Millicents Natur bei all ihrer Furchtsamkeit und Empfindlichkeit ein gewisser ruhiger Muth schlummerte, der in Ringwoods selbstsüchtigem und frivolem Charakter fehlte.

Nachdem Squire Markham seinem neuen Günstling, dem Capitän, die Hand seiner Tochter versprochen hatte, verlor er keine Zeit, um seine Absicht auszuführen. Er ließ Millicent am Morgen nach dem trunkenen Gelage in das eichengetäfelte Zimmer kommen und kündigte ihr an, auf welche Weise er über ihr Schicksal verfügt habe.

Raue Worte bei dieser wie bei jeder andern Gelegenheit , thaten ihr Werk bei Millicent Markham. Sie vernahm den Entschluß ihres Vaters, daß sie den Capitän Duke heirathen sollte, Anfangs nur mit einem Blicke des Erstaunens, als ob sie den Umfang ihres Elends nicht recht zu fassen vermöchte: dann, als er seinen Befehl wiederholte, flossen ihre klaren blauen Augen von großen Thränen über und sie fiel vor den Füßen des Squire auf ihre Kniee nieder.

»Es ist Euer Ernst nicht, Sir,« sagte sie kläglich, ihre armen, kleinen, schwachen Hände faltend und flehend zu ihrem Vater erhebend, »Ihr wißt, daß ich meinen Cousin Darrell liebe, daß wir einander innig und aufrichtig geliebt haben, seit wir kleine Kinder gewesen, und daß wir Mann und Frau werden sollten, sobald wir Eure Einwilligung dazu erhalten hätten. Ihr müßtet das schon lange gewußt haben, obschon wir nicht den Muth hatten, es Euch zu sagen. Ich will in allen andern Dingen Euer gehorsames Kind sein, aber ich kann niemals einen andern Mann heirathen als Darrell.«

 

Brauchen wir die alte Geschichte von der Wuth und Tyrannei eines einfältigen, eigensinnigen und engherzigen Landjunkers zu erzählen? Squire Markham wollte von keinem Aufschub hören und ehe Darrell den Brief erhalten konnte, welchen Millicent an ein Kaffeehaus in der Nähe von Covent-Garden adressirte — ehe sich die Augen der Braut von den langen durchweinten Nächten erholt hatten — ehe das Städtchen die Sache kaum halb besprochen hatte, ließen die Glocken der Kirche von Compton im Morgensonnenschein ihr fröhliches Hochzeitsgeläute ertönen und Millicent Markham und George Duke standen neben einander am Altare.

Als Darrell Markham den kleinen thränenbenetzten Brief erhielt, der ihm von der unglücklichen Heirath Kunde gab, verfiel er in einen blinden Wuthausbruch, der sich gegen den alten Squire, gegen den jungen Ringwood, gegen Capitän Duke und selbst gegen die arme unglückliche Millicent richtete. Es ist schwer für einen Mann, den Einfluß zu begreifen, den die Tyrannei eines unmenschlichen Vaters auf ein armes schwaches Weib auszuüben vermag. Darrell sagte sich, Millicent hätte ihm trotz der ganzen Welt treu bleiben sollen, wie er es selbst durch alle Prüfungen geblieben wäre. Er eilte hinunter nach Compton und schlich sich, um dem Mädchen, das er liebte, keine Verlegenheit zu bereiten, nach Eintritt der Dunkelheit in das Städtchen, wo er erfuhr, daß er zu spät gekommen sei und daß der Squire sein Wort gehalten habe.

Voll Verzweiflung über den Schiffbruch seiner Hoffnungen kehrte der junge Mann nach London zurück. Mit grollenden Gefühlen in der Brust stürzte er sich eine kurze Zeit lang in die Zerstreuungen der Hauptstadt, in denen er das liebliche Gesicht seiner Cousine zu vergessen suchte.

Eine Heirath, unter solchen Umständen geschlossen, hatte wenig Aussicht, eine glückliche zu werden. Der leichtherzige fröhliche Capitän Duke war am häuslichen Heerd nichts weniger als eine angenehme Persönlichkeit. Der Mann, dessen gute Laune das Entzücken seiner Zechgenossen bildet, zeigt sich im Familienkreise nur zu häufig als ein widerwärtiger Gesell. Zu Hause war der Capitän mürrisch und übellaunig, stets geneigt, über Millicents blasses Gesicht und thränengeschwollene Augen zu murren. Während des größten Theiles des Jahres befand er sich mit seinem Schiff auf einer jener geheimnißvollen Fahrten, von denen die Admiralität keine Kunde hatte, und während dieser langen Abwesenheit desselben hatte Millicent, wenn sie auch nicht glücklich war, wenigstens Ruhe. Drei Monate nach der Hochzeit wurde der alte Squire, vom Schlage gerührt, todt in seinem Lehnstuhl gefunden und Ringwood, der Erbe des Guts, schloß das Herrenhaus und eilte nach London, wo er sich bald in einem Strudel von Verschwendung und Lastern verlor.

So standen die Dinge, als George Duke und Millicent fünfzehn Monate verheirathet waren und Darrell Markham auf dem öden Moor von Compton durch die Hand eines Straßenräubers fast sein Leben verloren hätte.