Buch lesen: «Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich», Seite 3

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2 Gesundheitssysteme im internationalen Vergleich: Länderberichte

Die in Kapitel 1 vorgestellte Typologie der Gesundheitssysteme kann die Wirklichkeit in den betrachteten Ländern in ihrer Vielfalt nicht vollständig erfassen. In der Realität stellen sich z.B. die Finanzierungsstrukturen und die Organisation der Leistungserbringung viel komplexer dar als es die notwendigerweise vereinfachende Typologie veranschaulichen kann. Deshalb werden die Gesundheitssysteme der in diesem Buch analysierten Industrieländer im Folgenden in ihren Grundzügen dargestellt. Gegenstand der Darstellung sind 23 Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU), aber auch weitere europäische Staaten, wie beispielsweise die Schweiz und Großbritannien, sowie außereuropäische Länder (USA, Kanada, Japan etc.). Alle dargestellten Länder sind Mitglieder der Organisation für Ökonomische Koordination und Entwicklung (Organization for Economic Coordination and Development – OECD). Dadurch ist eine Vergleichbarkeit auch in Bezug auf die Datenlage bzw. -qualität gewährleistet.

Bei der Darstellung wird insbesondere auf die Grundstrukturen des Systems, die Finanzierung, den Leistungsumfang sowie die Organisation der Leistungserbringung eingegangen. Ziel ist es, einen ersten Eindruck der einzelnen Gesundheitssysteme zu vermitteln, um so eine fundierte Ausgangsbasis für vertiefende Analysen zu schaffen. Die Ausführungen beruhen überwiegend auf den in Kapitel 9 angeführten Quellen. Um die vertiefende Recherche über das Gesundheitssystem eines bestimmten Landes zu ermöglichen, finden sich nach jedem Länderbericht Internet-Links zu den für die Gesundheitspolitik jeweils zuständigen Ministerien bzw. Behörden sowie zu umfassenderen Darstellungen der Gesundheitssysteme der entsprechenden Länder.

2.1 Länder mit nationalem Gesundheitsdienst

In Ländern mit nationalem Gesundheitsdienst wird die Gesundheitsversorgung direkt vom Zentralstaat organisiert bzw. reguliert sowie aus Steuermitteln finanziert. Die Einrichtungen und Dienste des Gesundheitswesens sind damit faktisch Teil der Staatsverwaltung und verfügen daher oft nicht über die Selbstständigkeit, die Leistungserbringer vor allem in Ländern mit Sozialversicherung innehaben. In Ländern mit nationalem Gesundheitsdienst ist die gesamte Wohnbevölkerung in die Absicherung im Krankheitsfall einbezogen. Die Leistungen folgen dem Sachleistungsprinzip. Prototyp ist der britische National Health Service.

2.1.1 Großbritannien

Grundstruktur

Großbritannien ist das „Mutterland“ des öffentlichen Gesundheitsdienstes. Mit dem 1946 eingeführten National Health Service (NHS) existiert dort seit über 70 Jahren ein nationaler Gesundheitsdienst, der für alle Einwohner Großbritanniens die gesundheitliche Versorgung sicherstellt. Obwohl er aus Steuermitteln des Zentralstaats finanziert wird, wird der NHS in England, Nordirland, Schottland und Wales separat verwaltet. In England wird die Gesundheitsversorgung seit 2012 – über aktuell 135 lokale Gesundheitsdienste (Clinical Commissioning Groups – CCGs) organisiert, die im Durchschnitt für jeweils 250.000 Einwohner zuständig sind. Letztere sind die eigentlichen Durchführungsorgane des NHS. Sie organisieren und finanzieren mit den ihnen zugewiesenen Budgets die ambulante und stationäre Versorgung durch Verträge mit den unterschiedlichen Leistungserbringern.

Die private Krankenversicherung (PKV) gewährt in Großbritannien vor allem einen schnelleren Zugang zur medizinischen Behandlung, mehr Komfort und mehr Wahlmöglichkeiten zwischen Leistungserbringern. Ungeachtet der Kapazitätsprobleme und Rationierungsmaßnahmen (s.u.) stagniert die Ausdehnung der PKV auf der Insel allerdings: Der Prozentsatz der privat Krankenversicherten liegt seit rund 20 Jahren nahezu konstant zwischen 11 und 12 Prozent (vgl. Boyle 2011). Häufig werden die Kosten der privaten Zusatzversicherungen von den Arbeitgebern getragen.

Finanzierung

In Großbritannien werden derzeit (Stand 2017) knapp zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) für Gesundheitsausgaben aufgewendet. Dieser Wert liegt leicht über dem Durchschnitt aller EU-Staaten (9,8 Prozent) und dem Durchschnitt der OECD-Länder (8,8 Prozent). Betrachtet man die Entwicklung des Anteils der Gesundheitsausgaben während der letzten 20 Jahre, so ist ein erheblicher Anstieg zu konstatieren: Während der Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP Mitte der 90er-Jahre noch bei 6,6 Prozent lag, lag er zehn Jahre später bereits zwei Prozentpunkte höher und liegt derzeit bei 9,8 Prozent. Dieser Steigerungsrate um rund 50 Prozent entspricht auch die Zunahme der absoluten Gesundheitsausgaben. Im Jahr 2017 wurden in Großbritannien pro Kopf kaufkraftbereinigt etwas weniger als 4.000 US-Dollar für Gesundheit ausgegeben; der Wert liegt etwas über dem Durchschnitt der EU bzw. OECD.

79 Prozent aller Gesundheitsausgaben in Großbritannien werden aktuell aus öffentlichen Quellen finanziert. 16 Prozent der Ausgaben tragen die privaten Haushalte in Form von Direktzahlungen, während die privaten Krankenversicherer rd. 3 Prozent beitragen. Insgesamt zählt das Vereinigte Königreich damit zu den Staaten mit einem vergleichsweise hohen öffentlichen Anteil an der Finanzierung des Gesundheitssystems.

Der NHS finanziert sich zum weitaus größten Teil, konkret zu ca. 80 Prozent, aus allgemeinen Steuereinnahmen des Zentralstaats, zu einem kleineren Teil aber auch aus Sozialversicherungsbeiträgen des National Insurance Fund, also der nationalen Sozialversicherung, in die Arbeitgeber und alle Erwerbstätigen, auch Selbstständige, einzahlen. Die dem NHS zur Verfügung stehenden Finanzmittel werden dann zum Großteil an die CCGs verteilt. Zur Finanzierung tragen zudem Zuzahlungen bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln und Zahnbehandlung bei: Für die Verschreibung von Arzneimitteln sind jeweils 9,15 britische Pfund zu entrichten. Für eine zahnmedizinische Behandlung fällt – abhängig von Art und Umfang – eine Selbstbeteiligung von bis zu 270 britischen Pfund an. Sozialhilfeempfänger, Kinder und Jugendliche unter 16 bzw. (bei Schülern) 19 Jahren, Schwangere und Mütter von Kleinkindern sind von diesen Zuzahlungen vollständig befreit. Rentner, Behinderte und chronisch Kranke sind von Arzneimittelzuzahlungen ausgenommen. Personen mit niedrigen Einkommen können vom NHS Nachlässe bzw. finanzielle Hilfen erhalten. Für Geldleistungen bei Krankheit und Mutterschaft, Invalidität, Alter, Hinterbliebene und Arbeitslosigkeit gibt es einen globalen Beitrag; Arbeitgeber müssen 13,8 Prozent, Arbeitnehmer 12 Prozent ihres Bruttoeinkommens entrichten.

Leistungen

Die Leistungen des NHS stehen der gesamten Bevölkerung zur Verfügung. Die medizinischen Leistungen werden nach dem Sachleistungsprinzip gewährt und sind grundsätzlich kostenlos. Sie erstrecken sich auf ärztliche und zahnärztliche Behandlung, Arzneimittel, Heil- und Hilfsmittel, stationäre Versorgung, Entbindungs- und Rehabilitationsmaßnahmen, Mutterschutz und Präventionsleistungen. Die Leistungen sind vergleichsweise umfassend; Sehhilfen gehören jedoch i.d.R. nicht dazu. Der umfassende Leistungskatalog ist die eine Seite des NHS – die andere ist die Tatsache, dass der NHS diese Leistungen häufig nicht in einem angemessenen Zeitraum zur Verfügung stellen kann. Der NHS rationiert vielmehr faktisch auf Basis des zur Verfügung stehenden Budgets über Leistungsrestriktionen oder Wartelisten, die regional unterschiedlich ausfallen können.

Die Wartelisten in der stationären Versorgung waren bislang und sind nach wie vor eines der größten Probleme des NHS. Sie sind eine Folge unzureichender finanzieller Mittel und fehlender Behandlungskapazitäten. Davon betroffen sind vor allem Patienten mit nicht lebensbedrohlichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen; die Akut- und Notfallmedizin kennt solche Probleme i.d.R. nicht. Die britische Regierung hat sich dieses Problems in den letzten Jahren verstärkt angenommen und die finanzielle Ausstattung des NHS deutlich verbessert. Eines der Ziele war die Erweiterung der Krankenhauskapazitäten. Verbesserungen sind mittlerweile deutlich spürbar: Während z.B. 1997 rd. 1,1 Mio. Engländer auf eine Krankenhausbehandlung warten mussten (davon 570.000 bereits länger als 13 Wochen und 283.000 länger als 26 Wochen), waren es 15 Jahre später nur noch rund die Hälfte. In den letzten Jahren hat sich die Anzahl der Patienten auf den Wartelisten allerdings wieder deutlich erhöht, gleichzeitig konnten die 2012 eingeführten Zielwerte z.B. für den zeitnahen Beginn onkologischer Behandlungen zuletzt häufig nicht mehr erreicht werden.

Neben den medizinischen Leistungen des NHS sieht Großbritanniens Gesundheitssystem auch Geldleistungen vor: Im Krankheitsfall zahlt der Arbeitgeber zunächst bis zu 7 Monate lang eine Pauschale als Lohnfortzahlung. Im Anschluss daran gewährt die Sozialversicherung arbeitsunfähigen Bürgern Krankengeld. Abhängig beschäftigte Frauen haben zudem gegenüber ihrem Arbeitgeber bei Mutterschaft gesetzlichen Anspruch auf Mutterschaftsgeld im Sinne einer Lohnfortzahlung; für nicht erwerbstätige Frauen gibt es Mutterschaftsbeihilfe.

Organisation der Versorgung

Die ambulante hausärztliche Versorgung erfolgt in Großbritannien in aller Regel über bei den CCGs angestellten oder an diese bzw. den NHS vertraglich gebundenen Hausärzte, die in eigener Praxis oder Gemeinschaftspraxis arbeiten. Seit einigen Jahren gibt es für Hausärzte bei Erreichen bestimmter Ziele (z.B. Impfquoten) Bonuszahlungen („Pay for Performance“). In Großbritannien besteht grundsätzlich freie (Haus-)Arztwahl; Voraussetzung ist allerdings, dass der ausgewählte Arzt auch zustimmt. Findet ein Patient keinen solchen, kann die zuständige NHS-Verwaltungseinheit ihn auf die Liste einer Praxis setzen. Die ambulant-fachärztliche Versorgung ist ausschließlich im Krankenhaus angesiedelt. Den Hausärzten kommt die Gatekeeper-Funktion zu: Die Konsultation eines Facharztes ist im NHS nur nach Überweisung durch den Hausarzt möglich. Viele in Krankenhäusern angestellte Fachärzte praktizieren allerdings auch privat. Patienten mit privaten Zusatzversicherungen haben direkten Zugang zu den privat behandelnden (Krankenhaus-) Fachärzten.

Die fachärztliche und die stationäre medizinische Versorgung erfolgt überwiegend durch öffentliche Krankenhäuser in Trägerschaft des NHS. Die Krankenhäuser erhielten in letzter Zeit zunehmend mehr Autonomie. Diese wurde begleitet durch eine Umwandlung der Rechtsform: Die große Mehrheit der öffentlichen Krankenhäuser arbeitet nunmehr in der Rechtsform von Stiftungen (sog. NHS Hospital Trusts und NHS Foundation Trusts). Eine freie Wahl des Krankenhauses gab es lange Zeit nicht. Die Überweisung erfolgte vielmehr durch den Hausarzt, der in der Regel das am besten geeignete Krankenhaus auswählte. Auch heute ist die Auswahl noch beschränkt. In den letzten Jahren wurden den Patienten jedoch vermehrt Wahlmöglichkeiten eröffnet, auch um auf diese Weise die Wartelisten abzubauen. So können Patienten, die eine elektive Behandlung benötigen, mittlerweile zwischen den Krankenhäusern wählen, darunter auch zwischen der noch kleinen, aber wachsenden Zahl von NHS-unabhängigen Behandlungszentren und privaten Kliniken. Im internationalen Vergleich auffällig ist die vergleichsweise geringe Anzahl an Krankenhausbetten: Während es im Durchschnitt der Europäischen Union (EU-28) im Jahr 2017 5,0 Krankenhausbetten je 1.000 Einwohner gab, waren es in Großbritannien gerade mal 2,1 Betten und somit weniger als die Hälfte.

Obwohl die Anzahl der Ärzte in den letzten Jahren zugenommen hat, lag die Arztdichte im Vereinigten Königreich 2017 mit 2,8 Ärzten pro 1.000 Einwohner immer noch deutlich unter dem EU-Durchschnitt von 3,6. Bei der Versorgung mit Pflegekräften liegt Großbritannien mit einer Kennzahl 7,8 pro 1.000 Einwohner leicht unter dem Durchschnitt der EU-Länder (8,5).

Zuständige Behörden im Internet

Department of Health: www.dh.gov.uk

Nationaler Gesundheitsdienst: www.nhs.uk

Vertiefende Literatur

OECD 2016b: OECD Reviews of Health Care Quality. United Kingdom 2016: Raising Standards. OECD Publishing, Paris.

OECD/European Observatory on Health Systems and Policies 2019, United Kingdom: Country Health Profile 2019, State of Health in the EU, OECD Publishing, Paris/European Observatory on Health Systems and Policies, Brussels.

Cylus, J. et al. 2015: United Kingdom. Health system review. Health systems in Transition, Copenhagen.

Thorlby, R./Sandeepa, A. 2017: The English Health Care System, in: Mossialos, E. et al. (Eds.): International Profiles of Health Care Systems. Commonwealth Fund. Washington, 49–57.

2.1.2 Irland

Grundstruktur

Der nationale Gesundheitsdienst Irlands steht grundsätzlich der gesamten Bevölkerung zur Verfügung, wobei der gewährte Leistungsumfang allerdings vom Einkommen abhängt (s.u.). Die konkrete Gesundheitsversorgung wird von vier regionalen Gesundheitsbehörden und 32 lokalen Gesundheitsämtern organisiert, die ihre Finanzmittel vom Zentralstaat erhalten. Im Jahr 2001, wurde eine aus insgesamt 121 Maßnahmen bestehende nationale Gesundheitsstrategie verbschiedet. Deren Hauptziel bestand in einer Verbesserung des Zugangs zu und der Effizienz von Gesundheitsleistungen. Dieses Maßnahmenpaket ist auch vor dem Hintergrund bestehender Wartelisten sowohl im ambulanten als auch insbesondere im stationären Sektor zu sehen. Mit Wirkung ab dem Jahr 2005 wurde für die Aufgaben der Gesundheitsversorgung eine neue Institution, die „Health Service Executive (HSE)“, geschaffen. Mit mehr als 67.000 Beschäftigten ist die HSE mittlerweile der größte Arbeitgeber Irlands. Zwei Jahre später, im Jahr 2007, wurde mit der „Health Information and Quality Authority“ eine weitere wichtige staatliche Institution gegründet. Deren Aufgaben bestehen in der Bereitstellung von relevanten Informationen sowie der Sicherstellung von Qualität im Gesundheitswesen. Mit dem „Sláintecare Report“ liegt seit 2019 ein parlamentarischer Konsens darüber vor, dass der irische Gesundheitsdienst dahingehend reformiert werden soll, dass er mittelfristig einen umfassenden und einheitlichen Zugang für alle Bevölkerungsgruppen bietet. Neben dem nationalen Gesundheitsdienst kommt in Irland auch der privaten Krankenversicherung eine gewisse Bedeutung zu. Sie schließt bestimmte Lücken des staatlichen Systems, insbesondere im fachärztlichen Bereich (s.u.) – zumindest für jene knapp 50 Prozent der Bevölkerung, die eine entsprechende zusätzliche Absicherung vorweisen können.

Finanzierung

Der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt lag im Jahr 2017 in Irland bei 7,2 Prozent und somit doch deutlich unter dem Durchschnitt aller EU-Länder (9,8 Prozent). Die Gesundheitsausgaben pro Kopf betrugen in Irland 2017 kaufkraftbereinigt 4.631 US-Dollar und lagen damit rund 15 Prozent über dem Durchschnitt der EU-Staaten. In den letzten 10 Jahren betrug die jährliche durchschnittliche Wachstumsrate diese Indikators 2,3 Prozent – womit Irland mit Blick auf die Wachstumsdynamik der Gesundheitsausgaben in der Schlussgruppe der in diesem Buch betrachteten Staaten lag.

2017 wurden 73 Prozent der irischen Gesundheitsausgaben aus öffentlichen Quellen finanziert; weitere 12 Prozent beruhen auf den Direktzahlungen der privaten Haushalte und 13 Prozent werden durch die private Krankenversicherung aufgebracht.

Die Sachleistungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes sind überwiegend (zu rund 90 Prozent) steuerfinanziert. Geldleistungen bei Krankheit also z.B. Krankengeld und Mutterschaftsgeld werden durch einkommensabhängige Beiträge im Rahmen der Sozialversicherung (social insurance) finanziert. Sowohl Arbeitnehmer als auch Selbstständige müssen im Regelfall 4 Prozent ihres Erwerbseinkommens als Beitrag zur Sozialversicherung entrichten. Eine Beitragsbemessungsgrenze gibt es seit 2011 nicht mehr. Arbeitnehmer mit geringen Einkünften (aktuell unter 352 Euro pro Woche) sind von den Beiträgen befreit. Die Arbeitgeber entrichten einen Beitrag in Höhe von 8,8 Prozent bei Wochenlöhnen von bis zu 395 Euro bzw. 11,05 Prozent bei höheren Löhnen; eine Bemessungsgrenze gibt es für sie ebenfalls nicht.

Zuzahlungen fallen in Irland in fast allen Leistungsbereichen des nationalen Gesundheitsdienstes und zum Teil in erheblichem Umfang an – allerdings nur für Personen, die aufgrund des Überschreitens der o.g. Einkommensgrenzen zu den „begrenzt Anspruchsberechtigten“ gehören. Diesen Status haben rund 70 Prozent der Bevölkerung; ca. 30 Prozent gehören zu den voll Anspruchsberechtigten, die generell zuzahlungsbefreit sind. Die Kosten einer ambulanten ärztlichen Behandlung müssen von begrenzt Anspruchsberechtigten zunächst selbst getragen werden; sie erhalten nur einen Teil der Kosten erstattet. Die ambulante fachärztliche Behandlung durch Krankenhausärzte ist allerdings zuzahlungsfrei. Im Krankenhaus ist für diese Personengruppe eine Selbstbeteiligung in Höhe von 80 Euro pro Nacht fällig; die Selbstbeteiligung ist allerdings auf höchstens 800 Euro in einem Zeitraum von 12 Monaten begrenzt. Bei Notaufnahmen ohne Überweisung durch einen praktischen Arzt fällt zudem eine Gebühr von 100 Euro an. Bei Geburten, bei der Behandlung von kleinen Kindern, von bestimmten Infektionskrankheiten oder bestimmten chronischen Erkrankungen entfallen die Zuzahlungen allerdings auch für begrenzt Anspruchsberechtigte. Zahnmedizinische Behandlung ist für begrenzt Anspruchsberechtigte nur in bestimmten Fällen zuzahlungsfrei. Für verschreibungspflichtige Medikamente ist die im Regelfall zu entrichtende Zuzahlung auf maximal 124 Euro im Monat beschränkt; für Heil- und Hilfsmittel fallen ebenfalls Zuzahlungen an.

Für private Krankenversicherungen besteht in Irland Kontrahierungszwang. Die Beiträge dürfen nicht nach Alter oder Gesundheitszustand variieren; allerdings müssen Menschen mit Vorerkrankungen ggf. längere Wartezeiten in Kauf nehmen, bis die Leistungspflicht der Krankenversicherung beginnt.

Leistungen

Die Leistungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes folgen dem Sachleistungsprinzip. Der Leistungskatalog ist vergleichsweise umfänglich und ähnelt insofern jenem der deutschen GKV. Im Gegensatz zum britischen NHS bietet der öffentliche Gesundheitsdienst in Irland keinen universellen Zugang für die komplette Wohnbevölkerung. Vielmehr hängt der konkrete Leistungsanspruch stark vom (sozioökonomischen) Status bzw. dem Alter der Bürger ab. 32 Prozent der Bevölkerung sind vollumfänglich anspruchsberechtigt und von Zuzahlungen befreit (s.o.). Dies trifft u.a. auf alle Einwohner über 70 Jahren bzw. mit geringem Einkommen oder mit bestimmten Erkrankungen zu. Weitere 10 Prozent der Bevölkerung haben einen eingeschränkten Versorgungsanspruch. Die verbleibenden 58 Prozent der Bevölkerung müssen insbesondere die primärärztliche Versorgung komplett aus eigener Tasche bezahlen – sowie hohe sonstige Zuzahlungen leisten (s.o.). Auf der anderen Seite haben alle Einwohner freien bzw. kostengünstigen Zugang zur Versorgung in öffentlichen Krankenhäusern. Da hier jedoch noch immer lange Wartelisten bestehen, hat sich in Irland ein „Zwei-Säulen-System“ etabliert: Nahezu 50 Prozent der Bevölkerung verfügen über eine private Zusatzversicherung, mit der Wartelisten übersprungen werden können bzw. ein schneller Zugang zu Diagnose und stationärer Versorgung erreicht werden kann.

Geldleistungen im Fall von Krankheit oder Mutterschaft werden nicht vom öffentlichen Gesundheitsdienst, sondern vom Sozialversicherungssystem übernommen, das ansonsten die Risiken Alter und Invalidität absichert.

Organisation der Versorgung

Der irische Gesundheitsdienst wird von der Health Service Executive (HSE) (s.o.) gesteuert, die gleichermaßen als Finanzierer und Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen auftritt.

Hausärzte arbeiten i.d.R. in Einzelpraxis oder in kleineren Gemeinschaftspraxen. Im Zuge der aktuellen Reformpläne (s.o.) soll das System der Primärversorgung deutlich ausgebaut werden. Es ist angedacht, kommunale Dienste sowie Primär- und Sekundärversorgung auf regionaler Ebene zusammenzuführen – mit dem Ziel, dort allen Bürgern integrierte, strikt am medizinischen Bedarf orientierte Gesundheitsdienstleistungen anbieten zu können. Personen mit voller Anspruchsberechtigung haben kein Recht auf freie Arztwahl, sondern müssen ihren Hausarzt unter jenen Ärzten auswählen, mit denen die Gesundheitsbehörde vertragliche Vereinbarungen abgeschlossen hat. Personen mit begrenzter Anspruchsberechtigung, die den Hausarzt privat konsultieren, genießen freie Arztwahl.

Der Zugang zum Facharzt setzt im Regelfall die Überweisung durch den Hausarzt voraus; insofern kommt letzterem die Rolle des Gatekeepers zu. Fachärzte sind in öffentlichen Krankenhäusern angestellt, praktizieren jedoch daneben häufig auch privat.

Im internationalen Vergleich fällt auf, dass es in Irland vergleichsweise viele Pflegekräfte („nurses“) gibt: Während im Durchschnitt aller OECD-Mitgliedstaaten 8,8 Pflegekräfte auf je 1.000 Einwohner kommen, liegt der Wert in Irland bei 12,2 und somit fast 50 Prozent höher. Allerdings gibt es in Irland weniger Ärzte als im OECD-Durchschnitt: Im OECD-Durchschnitt kommen auf 1.000 Einwohner 3,5 Ärzte, im EU-Durchschnitt 3,6, in Irland sind es hingegen nur 3,1 (Werte jeweils für das Jahr 2017).

Die irischen Krankenhäuser befinden sich in öffentlicher Trägerschaft der Gesundheitsbehörde oder gehören freigemeinnützigen und privaten Trägern. Aus international vergleichender Perspektive gibt es in Irland relativ wenig Krankenhausbetten: Während im Durchschnitt der Europäischen Union (EU-28) im Jahr 2017 5,0 Betten je 1.000 Einwohner verzeichnet wurden, waren es in Irland nur 3,0 Betten. Private Krankenhäuser erbringen im Regelfall keine Leistungen für den öffentlichen Gesundheitsdienst.

Zuständige Behörden im Internet

Department of Health and Children: health.gov.ie/ und www.health.gov.ie/publications-research/

Health Service Executive: www.hse.ie

Vertiefende Literatur

Mc David, D. et al. 2009: Ireland. Health system review. Health Systems in Transition, Copenhagen.

OECD/European Observatory on Health Systems and Policies 2019: Ireland: Country Health Profile 2019, State of Health in the EU, OECD Publishing, Paris/ European Observatory on Health Systems and Policies, Brussels.