Echnatons Wahn

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„Ich mag es nicht, wenn du gewinnst.“

Er fasste sie mit seinen starken Händen um die Unterarme. Sie wehrte sich, doch nur zum Schein. Rasch spreizte er seine Arme, ließ sie los und fasste sie um ihren Rücken und presste sie an sich. Sie gab ihren Widerstand auf und schlang ihre Arme um seinen Hals. Sanft zog er sie zu sich hinauf, und ihre Lippen pressten sich aufeinander.

Endlich ließen sie sich los. Er wollte sie um Verzeihung bitten, doch sie legte ihre Hand auf seinen Mund.

„Du solltest jetzt gehen“, sagte sie nur. „Aber du musst mir Revanche gewähren. Bald.“

Sie streckte ihm ihren linken Arm entgegen. Er fasste ihre Hand und drückte sie leicht. Dann gingen sie ohne ein weiteres Wort auseinander.

Unterdessen hatten die königliche Barke und die zwei Begleitboote die Insel Elephantine erreicht. Hier empfing sie der Statthalter des Vizekönigs, der Gouverneur der Provinz von Wawat. Der führte sie in seinen Palast und überreichte dem Pharao Gold und Elfenbein zum Geschenk.

Chunes war glücklich, seinen Vater wieder zu sehen, und der war stolz, dass sein Sohn es zu einem so hohen Rang im ägyptischen Heer gebracht hatte.

Beim Bankett, das der Gouverneur zu Ehren der Gäste gab, war auch ein Gaufürst mit seiner Gemahlin und zwei Töchtern geladen. Der Gouverneur hatte dies nicht ohne eine bestimmte Absicht getan. Er hatte sich erinnert, dass sein Sohn damals mit Tamit, der jüngeren der beiden Schwestern, gut befreundet gewesen war. Beide Väter hofften, Chunes Liebe zu der jungen Tamit würde wieder aufflammen und die beiden würden ein Paar. Ihre Hoffnung wurde nicht enttäuscht. Tamit war zu einer schönen, lebenslustigen Frau herangewachsen, und Chunit wünschte sich nichts sehnlicher, als Tamit als seine Gemahlin mit nach Ägypten nehmen zu können.

Auch Ti, obwohl von ruhigerem Charakter, war nicht minder hübsch. Auch sie hoffte, in Ägypten ihr Glück finden zu können. Schließlich kam man überein, dass Chunes bis zur Rückkehr der Boote bei seinem Vater bleibe und man auf der Heimfahrt wieder bei der Insel Elephantine anlege. Chunes werde Tamit nach Memphis mitnehmen, wo sie seine Gemahlin werden solle. Und ihre Schwester Ti war bereit mitzufahren, um vorerst im Haus ihrer Schwester als Wirtschafterin zum Rechten zu sehen. Gewiss würde sich bald auch ein Mann für sie finden lassen.

„Majestät“, sagte der Gouverneur am Tag der Weiterreise seiner hohen Gäste zu Pharao, „gestatte mir, der königlichen Barke einen erfahrenen Schiffsführer mitzugeben, der das Schiff durch den gefährlichen Katarakt bringen wird. Weiter oben könnten euch die Flusspferde gefährlich werden. Mein Schiffsführer kann, so du es wünschest, euch auch durch diese Zone begleiten.“

„Ich habe von den Schwierigkeiten gehört, welche die Durchfahrt durch den Katarakt erschweren“, erwiderte der Pharao. „Wie du weißt, habe ich außer deinem Sohn auch Aku, den Sohn des Fürsten Imuk, auf unsere Reise mitgenommen. Aku kennt das Land, hat er doch seine Jugend hier verbracht. Aber er war gewiss, wie auch dein Sohn, der ohnehin nicht mit uns fährt, noch zu jung, als er in unsere Obhut kam, um die Tücken des Flusses kennen zu lernen. Ich bin dir deshalb dankbar für dieses Angebot, und nehme es gerne an. Aku wird auf dem zweiten Boot dem unseren folgen. Er soll am Bug stehen und so den besten Weg durch die Inseln und Klippen kennen lernen.“

Auf den Wink des Gouverneurs trat ein kräftiger Mann im mittleren Alter zu ihm und warf sich vor dem Pharao auf den Boden und küsste ihm die Füße. Der Pharao gab ihm das Zeichen aufzustehen.

„Ich vertraue dir“, sagte Amenhotep zu dem Mann. Und zum Gouverneur: „Wenn wir mit unseren Booten ohne Schaden zu nehmen auch auf unserer Rückfahrt durch den Katarakt schiffen können, werde ich hier auf der Insel zu Ehren der Kataraktgöttin Satet und ihrer Begleiter Chnum und Anuket einen Tempel bauen lassen, auf dass sie in alle Ewigkeit verehrt und in ihrem Heiligtum um den Schutz bei der Durchfahrung des Kataraktes angefleht werden kann.“

Nachdem der Pharao dieses Versprechen abgegeben hatte, stieg er mit seinen Leuten und in Begleitung des Gouverneurs und seiner Gefolgschaft hinunter zum Hafen, wo die Boote bereit zur Weiterfahrt lagen.

Der Lotse führte die königliche Barke sicher zwischen den Felsen und den mannigfaltigen Strömungen hindurch, und die andern Boote folgten ihr.

Der König und seine Gäste standen auf dem Deck und bewunderten nicht nur die Geschicklichkeit des Lotsen und der Ruderer, die das Boot um die Klippen und Felsen im Fluss herum lenkten, sondern auch die wunderschöne Landschaft, die felsigen Bergspitzen, die zuweilen wie Pyramiden aus dem Wüstensand märchenhaft gespenstig aufragten

Überall bei den Dörfern, wo die königliche Barke mit ihrem Gefolge auftauchte, wurden sie mit Jubel empfangen, und in den Städten, in denen sie anlegten, zeigte ihnen die Bevölkerung die gebührende Ehrerbietung. Die Fürsten, die den Pharao und seine Hofleute als Gäste einluden, überreichten dem Herrscher reichlich Geschenke, vor allem Gold, Elfenbein und Edelsteine.

Endlich erreichten die Boote Sehotep Neteru, die Hauptstadt des Vizekönigs Merimes.

Am dritten Tag nach der Ankunft in Sehotep Neteru lud Merimes seine Gäste zu einer Löwenjagd. Darauf hatten sich die Jäger, die auf den Barken mitgefahren waren, besonders gefreut. Amenhotep, der Sohn des Hapu, blieb im Palast des Vizekönigs, ließ sich Papyrus geben und begann Pläne für den Tempel auf Elephantine zu zeichnen.

Mit sieben Wagen für die Jagd, die jeder von zwei Pferden gezogen wurden, und drei Wagen für Zelte und Verpflegung machte sich die Jagdgesellschaft auf in die Steppe. Jeder Wagen wurde von einem Wagenlenker des Vizekönigs geführt. Fünf Wagen, auf denen neben den einheimischen Lenkern Aku, zwei Jäger aus Pharaos Gefolge und zwei nubische Bogenschützen standen, trieben die Löwen dem Pharao und dem Vizekönig entgegen. Mit seinen Pfeilen tötete Amenhotep während der ganzen Jagd, die fünf Tage dauerte, achtzehn Löwen, mehr als der Vizekönig und die andern Jäger zusammen.

Der junge Pharao war begeistert von diesem Abenteuer und versprach, im nächsten Jahr wieder zu kommen, und Merimes musste ihm sein Wort geben, dannzumal wieder mit ihm auf die Löwenjagd zu gehen, auf der sie noch größere Beute machen wollten.

Zwei Tage später wartete der zweite Katarakt auf die Reisenden, doch der Lotse, den ihnen der Gouverneur von Wawat mitgegeben hatte, führte sie auch sicher durch diese Klippe.

Das eigentliche Ziel von Pharaos Reise lag weit südlich des zweiten Katarakts in Obernubien, im Lande Kusch. Dies war Tejes ursprüngliche Heimat. Und hier, in Chaem-Maat wollte er zu Ehren der Großen Königsgemahlin einen Tempel errichten.

Die Fahrt dauerte noch zwei weitere Tage. Mit Hilfe von Amenhotep, Sohn des Hapu, der die Gegend kannte, fand der Pharao die geeignete Stelle für einen Tempel, auf halbem Weg zwischen Chaem-Maat und der Stadt des Fürsten Imuk. Der, hocherfreut, seinen Sohn Aku wieder zu sehen, tauschte mit dem Pharao kostbare Geschenke aus.

Der Baumeister benutzte den Aufenthalt, an drei aufeinander folgenden Tagen, die Örtlichkeit auszumessen und Pläne zu zeichnen. Doch weitere Vorbereitungen wurden nicht getroffen. Es gab keine geeigneten Baumeister am Ort, denen der Sohn des Hapu eine so große und wichtige Aufgabe hätte übertragen wollen.

„Ich werde das später selber an die Hand nehmen“, meinte er, und der Pharao gab sich damit zufrieden.

„Vergiss aber nicht“, mahnte er den Sohn des Hapu, und vor seinen Augen erschien wieder jene Vision, die ihn beim Tempel von Thutmosis erleuchtet hatte, „eines Tages werde ich meine Residenz nach Theben verlegen. Dann baue ich dort im Fruchtland, südlich von Thutmosis’ Tempel meinen Palast. Dann wird deine große Zeit gekommen sein, mein lieber Huy, wo du auch meinen Tempel für die Ewigkeit bauen kannst. Vorher aber will ich an dieser Stelle der Großen Königsgemahlin ihren Tempel weihen können.“

„Ich flehe die Götter an“, erwiderte Amenhotep, Sohn des Hapu, „dass sie mich nicht sterben lassen, ehe ich alle deine Wünsche erfüllt habe.“

„Ich wünsche, dass Amun-Re und alle Götter dir ein so langes Leben schenken.“

Die Heimfahrt dauerte nicht so lange wie die Fahrt nilaufwärts. In Sehotep Neteru machten sie schon am nächsten Tag noch einmal einen Zwischenhalt, wo ihnen Merimes die inzwischen präparierten Trophäen ihrer Jagd, die Felle der erlegten Löwen mitgab. Auch an der Insel Elephantine legten sie nach erfolgreicher Durchquerung des Katarakts noch einmal an, um den nubischen Lotsen an Land gehen zu lassen und dem Gouverneur noch einmal zu versichern, dass der Tempel zu Ehren der Göttin Satet gebaut werde. Tamit und Ti, die beiden Schwestern, die als Gäste des Gouverneurs die Gesellschaft von Chunes und seinem Vater genossen und auf die Rückkehr der königlichen Barke gewartet hatten, stiegen an Bord. Tamit brachte für ihren zukünftigen Gemahl Gold und Edelsteine, die ihr Vater aus seiner Schatzkammer geholt hatte, als Brautgeschenk mit.

Auch in Karnak wurde noch einmal Halt gemacht, und Amenhotep brachte seinem Vater Amun Opfergaben dar.

Die Fluten des Flusses trugen die königliche Barke und die zwei Boote mit den Gästen des Pharaos und den Dienern unter dem Schutz von Hapi heimwärts. Nur abends, wenn Re hinter den westlichen Felsen verschwunden war, legten sie an, um den Morgen abzuwarten. Doch sobald Re wiedergeboren war und die Felsen im Morgenlicht hell erleuchtete, hoben sie wieder ab.

Als sie Memphis erreichten, verbreitete sich die Nachricht von ihrer Rückkehr wie ein Lauffeuer. Der Lärm der Bevölkerung drang bis in den Palast. Teje, die den Jubel richtig deutete, nahm ihre beiden Kinder und stürmte zur Anlegestelle, hinter ihr die beiden Mütter und der ganze Hofstaat. Nachdem die Landungsbrücke angelegt war, schritt Amenhotep, wieder gekleidet in seinen königlichen Gewändern, ans Land. Teje verneigte sich ehrerbietig vor ihm, der Pharao streckte seine Arme aus und drückte sie liebevoll an seine Brust.

 

Die Schöne ist gekommen

Bald nach der Rückkehr lud Chunes seinen Vorgesetzten und Freund Eje zum Essen in sein Haus, vor allem, um ihm seine Schwägerin vorzustellen.

„Fühlst du dich nicht einsam in deinem Haus?“, fragte er Eje. „Du bist nicht verheiratet, hast nur einen einzigen Diener. Hast du kein Verlangen nach einer Frau in deinem Haushalt?“

Für Eje kam diese Frage überraschend. Seine heimliche Liebe galt nach wie vor Teje. Ans Heiraten hatte er noch nicht gedacht.

„Ich fühle mich ohne Frau ganz wohl in meiner Haut“, log er, obwohl er dabei dachte, wie herrlich es wäre, mit einer Frau wie Teje zusammen leben zu können.

„Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie schön das Eheleben ist“, schwärmte Chunes. „Seit Tamit bei mir ist, bin ich ein anderer Mensch geworden. Tamit ist nicht nur schön und fröhlich, sie ist auch klug und lieb. Und ihre Schwester gleicht ihr in all ihren Tugenden. Ich wüsste für dich keine bessere Frau und für sie keinen besseren Mann.“

Teje musste zugeben, dass ihm Ti ganz gut gefiel.

„Es ist ja nicht so, dass Ti uns stören würde. Aber du verstehst sicher, dass Tamit und ich...“

„Ja, ja, ich verstehe. Ihr möchtet in eurem jungen Glück nicht stets auf Ti Rücksicht nehmen müssen“, antwortete Eje.

„Es ist auch für sie besser, wenn sie nicht täglich unser Glück vor Augen hat, das ihr selber noch nicht zuteil wird. Du brauchst sie ja nicht gleich zu deiner Frau zu nehmen. Sie könnte dir vorerst einmal den Haushalt machen. Und ich verspreche dir, ich kenne keine bessere Köchin.“

„Gemach, gemach, mein Freund. Du weißt ja noch gar nicht, ob sie auch will“, gemahnte Eje.

„Du brauchst sie ja nicht gleich mitzunehmen. Besuch uns doch öfter. Dann lernt ihr euch besser kennen.“

Eje kam in den folgenden Wochen der Aufforderung seines Freundes häufig nach. Und tatsächlich begann in ihm das Verlangen nach der jungen und schönen Ti aufzukeimen. Doch hütete er sich noch, sie zu sich in sein Haus zu nehmen, würden sie doch dann schon als Eheleute gelten.

Mit gemischten Gefühlen erfuhr Teje eines Tages doch von Eje, dass er die junge Ti in sein Haus genommen hatte. Es gab ihr zwar einen kleinen Stich ins Herz, andererseits war sie froh, dass Eje nun eine Frau hatte. Das gab ihr auch einen gewissen Schutz vor dem Gerede, das bei Ejes Besuchen aufkommen könnte.

Fast zur gleichen Zeit wurden die beiden Schwestern schwanger. Als erste gebar Ti eine Tochter – Mutnedjemet.

Zwei Wochen später erwartete auch Tamit ihre Niederkunft.

Chunes war gerade von der Kaserne zurückgekehrt, als die Wehen begannen. Er ließ die Hebamme kommen, die kurze Zeit später eintraf. Dann, als er Tamit in guter Obhut wusste, eilte er zu Ejes Haus. Ti hatte gerade die kleine Mutnedjemet an ihrer Brust gesäugt und wiegte das Kind noch in ihren Armen, bevor sie es in die Wiege legen wollte. Da trat Chunes herein und verkündete die Nachricht. Hoch erfreut, dass ihre Schwester auch bald das Mutterglück erfahren durfte, begleitete sie mit dem Kind auf dem Arm und mit Eje den Schwager, um bei der Geburt dabei zu sein und helfen zu können.

Auf einem Tischchen hatte die Hebamme eine Geburtshelferkröte aus Keramik hingelegt. Sie stellte Heket, die Göttin der Geburt dar und sollte der Gebärenden beistehen und zu einer leichten Geburt verhelfen.

Chunes und Eje hielten sich in einem Nebenraum auf. Anders als bei der Geburt eines königlichen Kindes, wo viele Zeugen dabei sein mussten, hatten hier die Männer nichts zu suchen.

Als die Abstände zwischen den Wehen immer kürzer wurden und Tamits Stöhnen in lautes Schreien überging, bekam es Chunes mit der Angst zu tun. Er schritt im Zimmer auf und ab. Eje versuchte ihn zu beruhigen. Bei Ti sei das auch so gewesen.

Doch als Tamit immer lauter schrie und das Kind noch immer nicht kommen wollte, fing auch ihre Schwester zu bangen an. Mit leiser Stimme flehte sie zu Hathor, der Liebesgöttin, die auch bei der Geburt beistand. Doch als auch das nichts nützte, schickte sie Eje in den am nächsten gelegenen Tempel, um einen Priester oder Magier zu holen.

Auch Chunes hielt es im Nebenzimmer nicht mehr aus. Er ging hinüber und trat zu Tamit ans Bett. Mit einem feuchten Tuch wischte er den Schweiß von ihrer Stirne, während seiner ihm über das Gesicht und von der nackten Brust auf den Wickelschurz rann. Auch Ti, obwohl sie selber Schlimmes befürchtete, redete auf Chunes ein. Sie habe das auch durchgemacht und überstanden. Ohne Schmerzen gehe das nun einmal nicht.

Eje brachte einen älteren, untersetzten Mann mit, der in der Hand eine kleine Statue der Göttin Thoëris in der Gestalt eines aufrecht stehenden Nilpferds trug. Die langen Brüste hingen über dem dicken, schwangeren Bauch des Nilpferdes. Der Priester hielt die Statue über Tamit und murmelte unverständliche Beschwörungsformeln.

Es war eine schwere, schmerzvolle Geburt. Doch umso größer war die Freude und Erleichterung, nicht nur bei Tamit, sondern bei allen Umherstehenden, als das Kind, es war ein Mädchen, endlich aus der Mutterhöhle herausgezogen werden konnte und zu schreien anfing.

Tamit verlor viel Blut und versank nach kurzer Zeit in einen tiefen Schlaf.

Es war schon dunkle Nacht, als Eje und Ti mit ihrem Kind nach Hause zurückkehrten, ermattet, aber glücklich, dass alles überstanden war.

Am nächsten Tag, gegen Mittag, kam Chunes angerannt. Er war aufgelöst und hielt ein schreiendes Bündel vor sich in den Händen. Er streckte es Ti entgegen und sank, als sie es ihm abgenommen hatte, auf einen Stuhl.

Eje, der ebenfalls zugegen war, und Ti waren erschrocken.

„Was ist geschehen?“, fragte Eje. Doch Chunes gab keine Antwort. Er saß da und hielt das Gesicht in den Händen verborgen.

Das Kind heulte. Doch Ti hielt die Kleine noch immer fassungslos in den Armen und starrte auf den armen Vater, der sich offensichtlich in seiner Verzweiflung nicht zu helfen wusste.

„Gib ihm endlich zu trinken!“, schrie Chunes und sah seine Schwägerin mit irrem Blick an.

„Sag mir zuerst, was los ist!“, gab Ti zurück. Sie begann an seinem Verstand zu zweifeln.

„Tamit ist tot“, würgte er hervor.

Eine beklemmende Stille trat ein. Selbst das Kind hatte für einen Augenblick aufgehört zu schreien. Als es wieder zu heulen anfing, entblößte Ti instinktiv ihre Brust und gab ihm zu trinken.

Allmählich war aus dem verstörten Chunes herauszubekommen, was geschehen war. Tamit war nach einem langen Schlaf aufgewacht. Von dem großen Blutverlust war sie geschwächt. Sie hatte nach dem Kind verlangt, und Chunes hatte es aus der Wiege gehoben und es ihr an die Brust gereicht. Beinahe entzückt hatte er zugeschaut, wie das Kind trank, bis er auf einmal bemerkte, wie sich der weiße Überwurf, der die Stillende bedeckte, rot färbte. Er schlug die Decke zurück und sah, dass Tamit wieder eine Menge Blut verloren hatte. Er war verzweifelt, wollte einen Arzt oder die Hebamme holen, wagte aber auch nicht, seine Frau zu verlassen. Es war ohnehin zu spät. Tamit hauchte ihr Leben aus, noch während das Kind an ihrer Brust lag.

„Ihr müsst das Kind nehmen“, bat Chunes. „Es braucht doch eine Amme. Ich weiß mir sonst keinen Rat.“

Ti und Eje waren sich einig. Sie brauchten dazu kein Wort zu verlieren.

„Hat das Mädchen denn schon einen Namen?“, fragte Eje.

„Nein, wir hatten noch gar keine Zeit, darüber nachzudenken“, erwiderte Chunes.

„Ist es nicht ein schönes Kind?“, meinte Ti, als sie das Mädchen gesäugt hatte und sie es mit ausgestreckten Armen vor sich hinhielt.

„Nennen wir es doch Nofretete, ‚die Schöne ist gekommen’“, sagte Eje. Und Chunes und Ti waren einverstanden.

Chunes kehrte mit Eje in sein Haus zurück. Eje ließ Hilfe holen, um die Tote zu waschen und für die Einbalsamierung vorzubereiten.

Die Einbalsamierer holten die Leiche ab. In wochenlanger Arbeit würden sie nun ihrem Körper die Organe entnehmen, den präparierten Leib einbalsamieren und mit Leinentüchern umwickeln. Chunes brachte den Priestern einige Amulette und die Schmuckstücke, die Tamit besonders gerne getragen hatte, damit sie diese in die Tücher einwickeln konnten.

Am Ende der siebzig Tage dauernden Trauerzeit wurde der mumifizierte Körper in einen bemalten Sarg gelegt und in der Nekropole Saqqara auf der Westseite des Nils begraben, nachdem Chunes seiner verstorbenen Gemahlin den Liebesdienst der Mundöffnung erwiesen hatte, damit sie Osiris in der Duat auf seine Fragen antworten und ihr Ba den Körper verlassen und wieder in ihn zurückfinden konnte.

Die letzte Löwenjagd

Amenhotep liebte die Löwenjagd über alles. Nie, wenn er auf seiner Barke in den Süden fuhr, um einige Zeit in Theben zu residieren und in Karnak den Göttern, allen voran seinem göttlichen Vater Amun, zu huldigen, versäumte er es, den Nil weiter hinauf nach Kusch zu fahren, um mit dem Vizekönig auf die Jagd zu gehen.

Zu den Opet-Festen in Karnak durfte auch die Große Königsgemahlin nicht fehlen. Mit im Hofstaat, der in weiteren Booten hinter der königlichen Barke fuhr, war nun auch Eje, der von Amenhotep zum General und Berater ernannt worden war. Manchmal war auch Eje mit dabei auf der Löwenjagd, zuweilen aber blieb er mit Teje zurück zu ihrem persönlichen Schutz.

Zweieinhalb Jahre nach der Geburt von Thutmes und nur wenige Wochen nach der Geburt von Mutnedjemet und Nofretete hatte Teje ihren zweiten Sohn geboren, der nach seinem Vater Amenhotep genannt wurde. Es war eine schwere Geburt. Die Ärzte befürchteten das Schlimmste. Amenhotep, der Sohn des Hapu, der sich wie kein anderer in der Magie auskannte, beschwor die Götter mit magischen Sprüchen. Der Junge überstand die Krise, doch er blieb ein schwächliches Kind. Er hatte nicht den molligen Körper der Säuglinge. Der Kopf war lang und schmal, die Brust flach, und seine Arme und Beine waren dünn. Nur langsam nahm er an Gewicht zu.

Trotz der Sorge, die im Palast um das Leben des Kindes herrschte, fuhr der Pharao im Jahr nach dessen Geburt wieder zur Löwenjagd und ließ Teje in Memphis zurück.

Eje, der wegen der militärischen Ungewissheit im Norden gute Gründe gehabt hatte, den Pharao nicht zu begleiten, besuchte Teje schon in der ersten Woche nach Amenhoteps Abfahrt.

Die Große Königsgemahlin saß in ihrer Kammer mit dem Jüngsten in ihren Armen, als Eje eingelassen wurde. Das Kind schrie und weigerte sich zu essen.

„Eje, was soll ich tun?“, fragte sie. „Das Kind stirbt mir noch in den Armen hinweg, wenn es nicht mehr isst. Die Ärzte wissen nicht, was ihm fehlt. Er hat an Gewicht verloren. Sieh nur, wie dünn sein Körper ist, so zerbrechlich.“

„Ich verstehe nicht, dass Pharao dich jetzt allein lässt, nur um auf die Löwenjagd zu gehen. Ist seine Leidenschaft tatsächlich so groß, dass ihn die Krankheit seines Kindes unberührt lässt?“

„Es ist nicht nur das“, antwortete Teje. „Ich glaube, er gibt mir die Schuld, dass das Kind so schwächlich ist. Und manchmal denke ich, dass er Recht hat. Das Kind hat sich schon in meinem Leib nicht richtig entwickeln können.“

„Du hast keinen Grund, dich selber schuldig zu fühlen“, entgegnete Eje und ergriff ihre Hand. „Pharao wird enttäuscht sein, dass sein zweiter Sohn nicht so kräftig ist. Vielleicht hat er sich vorgestellt, dass er einmal mit seinen Söhnen auf die Löwenjagd gehen wird. Aber er hat ja noch Thutmes. Der ist doch ein munteres, kräftiges Kind. Hab keine Angst, Amenhotep wird dir nicht ewig grollen können.“

„Es ist nicht das allein“, erwiderte Teje mit einem Ausdruck in ihrem Gesicht, das teils Kummer, teils aber auch Unmut zeigte. „Zwar sucht er mich immer noch ab und zu in der Nacht in meiner Schlafkammer auf. Trotzdem hat er seit der Geburt des Kleinen immer wieder Töchter von Haremsfrauen seines Vaters geholt. Er beteuert mir jedoch seine Liebe, und er bespricht die Geschäfte mit mir und hört nicht nur auf den Sohn des Hapu. Und er legt großen Wert darauf, dass alle Dokumente, die sein Siegel tragen müssen, auch von mir gesiegelt werden.“

„Du wirst sehen“, sprach ihr Eje zu, „wenn er zurückkommt, wird er dich mehr vermisst haben als die Mädchen aus dem Harem, und er wird dich lieben wie zuvor.“

 

Teje wollte es gerne glauben, doch die Gewissheit schien ihr verloren gegangen zu sein. Mit einem Blick, in dem tausend Fragen auf ihre Beantwortung zu warten schienen, verabschiedete sie ihren Freund.

Eje fühlte sich wohl in der Gegenwart seiner Gemahlin. Ti war so zu sagen der ruhende Mittelpunkt seines Lebens geworden. Wenn er aus der Kaserne von seinen Soldaten oder aus dem Palast und den Besprechungen mit dem Pharao und dem Sohn des Hapu nach Hause zurückkehrte, konnte er sich bei Ti ausruhen und erholen. Sie umsorgte ihn auf ihre ruhige, leise Art mit ihrer Liebe. Doch wenn er allein war, ertappte er sich immer wieder, dass er an Teje dachte und sich mehr nach ihr als nach Ti sehnte. Und da er jetzt wegen seiner Stellung als Oberbefehlshaber des Heeres und königlicher Berater in militärischen und politischen Fragen ungehindert im Palast ein und aus ging, geschah es immer öfter, dass er auch mit Teje zusammentraf.

Der Pharao blieb auch diesmal lange weg, und Eje suchte seine Freundin öfter auf, um nach dem Gesundheitszustand ihres Kindes zu sehen.

Ihr Umgang wurde gerade in dieser Zeit von Pharaos Abwesenheit immer vertraulicher. Eines Abends im Mesore, als schon die Monate Tybi und Mechir vorübergegangen waren und Pharao immer noch nicht zurückgekehrt war, blieb Eje länger als sonst. Es war ein warmer Abend. Kein Wind wehte. Die beiden hatten im Teich geschwommen. Nachdem die Dienerinnen sie abgetrocknet und ihre Haut mit duftenden Ölen eingerieben hatten, nahmen sie in Tejes Kammer das Abendmahl ein. Es bestand aus Geflügel mit Lattich und Portulak, darnach Kuchen, Datteln und Sykomorenfeigen, zum Abschluss Weintrauben. Der Wein stammte von einem Gut im Fajjum.

Der Tisch wurde abgetragen, und Teje entließ die Dienerinnen. Die Kinder schliefen. Teje hatte ihnen schon vor dem Abendessen gute Nacht gesagt, nachdem eine Dienerin sie zu Bett gebracht hatte.

Die Luft im Zimmer war noch von der Hitze des Tages erwärmt. Die Fenster unter der Decke brachten nur wenig Linderung. Ejes Brust war nackt, und Teje trug ein leichtes, durchsichtiges Leinenkleid. Sie hatten es sich in einer Ecke auf weichen Kissen bequem gemacht. Die Salben auf ihrer Haut verbreiteten einen süßen, betörenden Duft.

„Ich weiß nicht, was ich ohne deine Freundschaft tun würde“, sagte Teje. „Du bist immer da, wenn ich dich brauche. Dein Rat ist mir wertvoll, gerade jetzt, da Pharao weg ist.“

„Es freut mich“, antwortete Eje, „dass du das sagst. Aber ich glaube kaum, dass du meinen Rat brauchst. Du bist eine kluge Frau, kennst dich in den Staatsgeschäften so gut aus wie Pharao und der Sohn des Hapu. Und du triffst deine Entscheidungen selbst mit einer bemerkenswerten Sicherheit.“

„Das mag so scheinen. Doch deine Gespräche sind mir wichtig. Du weißt nicht nur Bescheid über das Militär. Du kennst dich aus in der Politik, über unsere Beziehungen zu den Nachbarn im Westen und in Asien. Auch wenn du mir keine Ratschläge gibst, so sind es doch deine Gedanken und Überlegungen, an denen du mich teilhaben lässt, die mir in meinen Gesprächen mit Pharao, den Beratungen mit dem Sohn des Hapu und bei den Entscheidungen helfen. Hast du bei unsern gemeinsamen Besprechungen nicht bemerkt, dass meine Ansichten meist mit den deinen übereinstimmen?“

Eje schwieg, und Teje schaute in sein nachdenkliches Gesicht. Nach einer Weile sagte sie: „Ich wüsste allzu gerne, woran du eben gedacht hast.“

„Ach“, begann Eje mit einem tiefen Seufzer. „Du weißt, dass ich mehr bin als nur ein Freund. In mir brennt immer noch das Feuer der Liebe. Und dass unsere Gedanken und unsere Ansichten so oft übereinstimmen, deute ich so, dass auch in dir diese Flamme noch nicht ganz erloschen ist.“

Teje ergriff seine Hand.

„Du hast Recht“, erwiderte sie. Und nach einer langen Pause fügte sie leise hinzu: „Manchmal sehne ich mich mehr nach dir als nach meinem Gemahl. Und gerade in dieser Zeit seiner Abwesenheit, erwarte ich dein Kommen oft mit Ungeduld.“

Eje wollte in diesem Augenblick seine Freundin nicht an Ti erinnern. Er sagte nur: „Mir ergeht es ebenso.“ Als Teje ihn fragen wollte, ob er denn unglücklich sei mit Ti, schüttelte er nur seinen Kopf, lächelte ein wenig gezwungen und legte seine Hand auf ihren Mund. Sanft zog er sie an sich, und sie legten sich nebeneinander auf die Kissen.

Teje wollte die kleine Flamme des Öllichts, das die mit nackten Tänzerinnen bemalten Wände des Raumes fahl erleuchtete, auslöschen, doch Eje hielt ihre Hand zurück und sagte: „Lass es brennen, ich möchte dein Gesicht sehen.“

Einige Tage vor der Rückkehr des Pharaos spürte Teje, dass sie schwanger war.

Der große Jäger kehrte mit reicher Beute zurück. Er war stolz, wieder eine ganze Anzahl Löwen erlegt zu haben. Teje war enttäuscht, dass er sich kaum nach dem Befinden ihres jüngsten Kindes erkundigte. Über die ersten Gehversuche des Knaben schien er sich nicht sonderlich zu freuen. Ganz anders begrüßte er die beiden größeren, Sat-Amun und Thutmes und erzählte ihnen von seinen Abenteuern.

„Du solltest mich nicht mehr so lange allein lassen“, bat Teje, als sie zusammen beim Abendessen saßen. Sie versuchte ihre Verlegenheit zu überspielen. „Ich habe dich vermisst. Willst du nicht heute Abend bei mir bleiben?“

Sie umschmeichelte ihn, strich mit der Hand durch seine Haare, streichelte seinen Hals und reizte seine Sinne. Sie schmiegte sich eng an ihn, so dass sein Geschlecht erwachte, und er begann auch sie zu liebkosen. Gemeinsam gingen sie hernach in ihre Schlafkammer.

Noch im gleichen Jahr vollendete sich Amenhoteps zehnjährige Herrschaftszeit. Zu diesem Anlass ließ er wieder eine größere Anzahl Skarabäen herstellen, wie er es zu seiner Vermählung mit Teje getan hatte. Doch diesmal ließ er auf diese Weise im ganzen Land verkünden, dass er in den zehn Jahren einhundertzwei Löwen erlegt habe.

„Das sei doch wohl genug“, meinte Teje, und der Pharao gab ihr Recht und versprach ihr, nie mehr auf die Löwenjagd zu gehen. Nicht etwa, weil seine Lust daran vergangen war, sondern weil er größere Pläne hatte. Immer wieder, wenn er nach Karnak gekommen war, war ihm bewusst geworden, wie groß die Macht der Priesterschaft war. Das meiste Gold aus Nubien floss in ihre Schatzkammern, und ihre Ländereien wuchsen ins Unermessliche. Memphis war zu weit von Karnak entfernt. Irgendeinmal, und nicht in allzu ferner Zeit, wollte er seine Residenz wirklich nach Theben verlegen. Die Idee, dort auf der Westseite des Nils eine prachtvolle Residenz und Heiligtümer zu bauen, die alle bisherigen übertreffen sollten, hatte sich in seinem Kopf festgesetzt. Und keiner könnte seine Pläne besser zu verwirklichen helfen als Amenhotep, der Sohn des Hapu. Doch der war schon alt. Zwar wollte er einhundertzehn Jahre alt werden. Aber wer wurde schon so alt? Auch wenn Huy eine ganz besondere Verbindung zu den Göttern und magische Kräfte hatte, so gab es doch keine Sicherheit, dass sein Wunsch in Erfüllung ging. Besser war es da schon, möglichst bald mit dem Planen zu beginnen.

Dass Teje wieder schwanger war, erfüllte Pharao mit Stolz. Er hoffte, sie würde ihm einen weiteren Sohn gebären, einen gesunden.

Teje sah mit einiger Sorge ihrer Niederkunft entgegen, nicht nur weil sie an die letzte Geburt, an ihre eigenen Schmerzen und die Gefahr, das Neugeborene zu verlieren, zurückdachte. Wem würde das Kind gleichen? Würde, wenn es ein Junge wäre und er Ejes Gesichtszüge trüge, Pharao irgendwann erkennen, dass es nicht sein Kind war?

Ihre Wehen begannen mitten in der Nacht. Eine Dienerin eilte zu Pharao. Vor seinem Gemach stand ein Wachsoldat. Der weckte den Herrscher. Pharao schickte sofort einen Boten zu Amenhotep, dem Sohn des Hapu, einen andern zu Eje und eilte selber zur Kammer der Großen Königsgemahlin. Die Hebamme und zwei Ärzte, die seit Tagen in ihrer Nähe auf das große Ereignis warteten, waren bereits bei ihr. Bald trafen auch Eje und all die andern, die als Zeugen geladen waren, ein.