Buch lesen: «Ich sag's mit Sax!», Seite 2

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Zu Gast im Mittagsmagazin

Ich bekam die erste Einladung ins Mittagsmagazin »MDR um zwölf«. Das bedeutete: Ich durfte als Studiogast der charmanten Moderatorin Andrea Horn gegenübersitzen, über neue Projekte mit dem Saxophon und meine Arbeit als Saxophon-Lehrerin mit den Kindern und Jugendlichen erzählen. Natürlich bereitete ich mich darauf vor und überlegte, was das Publikum interessieren könnte.

Einer meiner Lebensgrundsätze ist: »Unterschätze niemals dein Publikum!« Ich glaube, dass das ein grober Fehler wäre. Die Leute, die mir zuhören, will ich auch begeistern. Und JEDER kann Musik beurteilen, völlig unabhängig von der eigenen Musikalität. Ich vergleiche es gern mit einem Bäcker. Wenn ich seinen Kuchen esse, kann ich ja auch sagen, ob er mir gut schmeckt oder nicht. Dafür muss ich nicht selbst backen können. Und so ist es auch mit der Musik. Außerdem merken die Zuschauer ganz schnell, wenn Sie verarscht werden. Die Leute sind ja nicht dumm.

Also brauchte ich, um die Zuschauer nicht zu langweilen, schon die Ordnung in meinem Kopf – was ist wichtig, was unwichtig. Zufällig kündigte sich in unserem Haus kurz vorher Besuch an, nämlich Wolfgang Winkler. Wolfgang spielte in der Krimiserie »Polizeiruf 110« neben Jaecki Schwarz den Hauptkommissar Schneider und hatte mir Galaxien von Erfahrungen bei TV-Interviews voraus. Also erzählte ich Wolfgang von meiner Einladung und bat ihn um Hilfe. Als erstklassiger Schauspieler fing er an zu zelebrieren, er erzählte voller Betonung über Gott und die Welt und war richtig in einer Rolle drin, ich hörte ihm zu gern zu!

Plötzlich kam der entscheidende Tipp: »Sag doch einfach: FRAUEN BLASEN BESSER – leg eine kurze Atempause ein, und sprich dann weiter – DAS SAXOPHON!«

Wolfgang trug das alles vor wie ein Theaterstück von Berthold Brecht und aus seinem Mund klang es total seriös und klug, richtig weise! Fast so, als würde ich Helmut Schmidt zuhören. Ich war begeistert von seiner Schauspielerei und speicherte seine Worte in meinem Hinterkopf ab.

Magdeburg, Landesfunkhaus.

Die Maske schaffte es, mein Gesicht kameratauglich zu schminken und ich fühlte mich großartig. Matthias Makosch, der verantwortliche Redakteur, war eine Seele von Mensch und Moderatorin Andrea Horn (ich mag sie sowieso) nahm mir wie immer das Lampenfieber durch ihre lockere Ausstrahlung.

Irgendwann fragte sie mich dann, ob das Instrument nicht ungewöhnlich für eine Frau sei. In diesem Augenblick fiel mir Wolfgangs Vortrag ein und ich polterte los: »Sehen Sie, es ist so … Frauen blasen besser – das Saxophon«.

Ich merkte schlagartig, dass es bei mir nicht wirklich klug und weise rüberkam. Ich merkte auch, dass sogar Andrea irritiert war und kurz nach einer passenden Antwort suchen musste.

Ich sah sofort ein, dass ich mächtig Mist erzählt hatte. Und war wieder um eine Erfahrung reicher: Jemanden kopieren zu wollen, kann richtig schiefgehen. Und – warum wollte ich eigentlich eine Kopie spielen – wenn ich doch als bemerkenswertes Original auf die Welt kam! Heute lachen wir natürlich über diese Geschichte und manche Dinge passieren nun mal …

Viel Zeit zum Ärgern hatte ich auch nicht. Noch am gleichen Tag führte mein Weg 600 Kilometer weiter nach Friedrichshafen, zur Generalprobe für den Weltkonzern EADS Astrium. Ich war am nächsten Tag zur Eröffnungsshow der Tagung über die neuesten Entwicklungen der Luft- und Raumfahrttechnik gebucht. Nicht wirklich mein Fachgebiet. Abendsprache war englisch und ich hatte von dem Thema nicht mal in Deutsch eine Ahnung. Also bereitete ich mich auf meine Englisch-Moderation sicherheitshalber auch die gesamte Autobahnfahrt vor.

Klar saß ich nicht selbst am Steuer. Bei allen Veranstaltungen begleitet mich ein Mann. Er fährt das Auto, er sitzt am Mischpult und regelt den Ton, er korrigiert mich durch Tipps, er macht Fotos für Facebook, er passt auf, dass ich nichts vergesse, er sorgt für Süßigkeiten im Auto und heißt Peter.

Peter schließt vorm Auftritt sogar meine Abendkleider – und er meckert dabei regelmäßig, wenn der Reißverschluss mal wieder etwas schwerer zu geht.

Aber das liegt daran, dass die Kleider durch SEINE eingepackten Süßigkeiten im Auto irgendwie einlaufen.

Peter ist oft an vielen Dingen schuld …!

Das Lied vom Schwan

Danny Dittrich gehörte zu den Künstler- und Konzertagenturen, die mich inzwischen regelmäßig buchten. Er sorgte so dafür, dass ich ebenso regelmäßig alle anfallenden Rechnungen im Alltag bezahlen konnte. Ich mochte ihn und schätzte ihn schon damals wegen seiner außergewöhnlichen Inszenierungen.

Eines Tages rief er an und meinte, für eine bestimmte Gala wäre etwas mehr Aufwand erforderlich. Ich sollte ein Lied speziell für seine neue Show produzieren. Er sagte: »Kathrinchen, das gewünschte Lied heißt Schwanensee!«

Oha, nun gut … Tschaikowskis Ballettmusik fand ich schon faszinierend. Schließlich handelt es von einer Prinzessin, die vom bösen Zauberer in einen wunderschönen Schwan verwandelt wurde. Und nur die bedingungslose Liebe eines Prinzen konnte diesen Zauber rückgängig machen. Ich fand es ein grandioses Thema, ein wahrer Diamant unter den Edelsteinen der Klassik. Und eine Melodie – bestens geeignet zum Interpretieren – also ganz großes Kino!

Ich sagte sofort am Telefon zu und bat ihn, mir einen tollen Prinzen in Form eines klassischen Balletttänzers für die Live-Inszenierung an die Seite zu stellen. Erstaunt fragte er, warum es ein Prinz sein sollte und im Original komme doch ein Prinz gar nicht vor …

Wir redeten offensichtlich über sehr unterschiedliche Themen. Auf genauere Nachfrage von mir kam seine Antwort: »Na was weiß ich wie das Lied genau heißt! Irgendwas mit Schwan!« Mir »schwante« es – und so produzierte ich statt Tschaikowskis Schwanensee nun den Schwanenkönig von Karat.

Die Gala war ausverkauft und meine Fassung des »Schwanen-Königs« schien echt zu gefallen. Das musste ich nutzen! Ich erinnerte mich an Rainer Trautmann, einen Radio-Redakteur beim MDR, rief ihn an – bekam einen Termin und spielte ihm das Lied vor. Kurz darauf lief »mein Schwanenkönig« sogar im Radio. Die momentane Glückssträhne hielt an und ich bekam die Zusage für »Musik für Sie«, einer Samstagabend-Show.

Tragischerweise brach jetzt die Vogelgrippe aus!

Und ich hatte ein Lied im Gepäck, das nicht von liebenden Prinzen handelt, sondern von einem liebenden – aber sterbenden Vogel. »Es ist ein Schwanenkönig, der in Liebe stirbt!«

So schnell, wie ich im Fernsehen war – war ich fast wieder raus. Denn ein Redakteur empfand es als völlig abartig, zu dieser Zeit auch noch musikalisch Vögel sterben zu lassen. Und als »Nobody-Z-Promi« diskutiert man nicht mit TV-Leuten. Aber irgendwie fanden sie das Lied dann doch zu schön, um es in den Papierkorb zu verdammen. Nach sehr klarer und akzentuierter Ansage des zuständigen Regisseurs musste der geniale Background-Gesang »wenn ein Schwan singt …« auf »ha-ha-ha-hah« (man nennt das »Vocalisen«) umgestellt werden.

Ich konnte damit leben und freute mich, die Sendung nicht heulend auf dem Sofa als Zuschauer, sondern Saxophon spielend im TV-Studio zu erleben.


Von der Ostsee in den Sattel – Dreh mit Pferden

Ein Donnerstag im sonnigen Juli 2004, zehn Uhr:

Wir, meine Techniker und ich, waren in Heringsdorf an der wunderschönen Ostsee nach fünfstündiger Fahrt angekommen. Dass der Wecker zur Abfahrt bereits vier Uhr klingelte, war nicht schlimm, die Vorfreude auf den Strand und die bevorstehende Gala war hoch. Der Ferrero-Konzern feierte Jubiläum und für uns war das eine dieser Traum-Veranstaltungen, die mit Arbeit nicht viel zu tun haben. Nicht, weil wir wirklich wenig zu tun hatten (ganz im Gegenteil – musikalisch gesehen hatte ich schon ne Menge vor – immerhin stand unter anderem der »Bolero« von Maurice Ravel auf dem Plan). Aber das Umfeld war genial, um einige Stunden Kraft zu tanken.

Donnerstag, 15 Uhr

Soundcheck und zwei Stunden Probe waren erledigt … und jetzt einfach mal abschalten! Ich liebe das Meer und den Sound der Wellen. Barfuß am Strand entlangzulaufen und Leute beobachten, wirkt wie Seelenmassage pur. Die Rufe der Möwen erzählten viele Geschichten, und ich ließ mich davon inspirieren. Innerhalb von wenigen Minuten kann ich in solchen Situationen von einhundert auf null runter fahren. Ich sammelte Muscheln für daheim, legte mich in den Sand und hatte das Gefühl, nie wieder ein Rezept für »Gute-Laune-Tabletten« zu brauchen. Einfach nur genießen – völlig fern von Raum, Zeit und Tagesplan.

Von dieser Art Veranstaltung gibt es nicht viele. Oft sehen wir nur die Autobahn und die jeweilige Stadt beim Durchqueren auf dem Weg vom Hotel zum Veranstaltungsort. Wir wohnten in einem Luxushotel, direkt am Strand gelegen, mit allen Vorzügen, die ein solches Hotel hat. Es war total wie Urlaub, naja, fast wie Urlaub – denn wir hatten für diesen Luxus leider viel zu wenig Zeit.


Donnerstag, 20 Uhr

Die Ferrero-Gala lief hervorragend, ich hatte erstklassige Technik vor Ort, die Bühne war sehr stilvoll gestaltet und mit tollem Licht bestückt. Also Wohlfühl-Atmosphäre pur. Mein Bolero klappte bestens, wobei einige Schwierigkeiten zusätzlich eingebaut waren. Der Bolero ist grundsätzlich nicht unbedingt leicht, und wenn ich bei diesem Stück einmal rauskommen würde, fällt es richtig auf (von wegen Umspielung blasen, improvisieren und wieder rein – NICHT bei DIESEM Werk!).

Und, ich sollte dabei noch die lange Foyer-Treppe hinabschreiten und förmlich »erscheinen«. Klingt echt leichter als es ist: Ich trug nämlich ein Kleid mit langer Schleppe und extrem hohen Schuhen. Mein geliebtes Saxophon führte mich erstaunlicherweise wie von selbst und ich war happy.

Donnerstag, 23 Uhr

Einziger Wermutstropfen: Wir hatten leider keine Zeit, um an den Strand zu gehen, um den geglückten Auftritt und die geliebte Ostsee zu genießen. Wir konnten auch nicht in unseren Hotelzimmern mit Blick auf die Ostsee schlafen und am nächsten Morgen luxuriös frühstücken. Denn mein Zeitplan befahl: Koffer packen, 550 Kilometer Autobahn zurück nach Sachsen-Anhalt.

Freitag, vier Uhr

Kurz schlafen – der Wecker klingelte bereits nach drei Stunden. Denn am nächsten Tag stand eine neue und spannende TV-Aufzeichnung an: Dreh mit Beppo Küster und Pferden für Super-Illu-TV! Pferde gehören zu meinen Lieblingstieren, ich mag die Sanftmütigkeit, die weichen Nüstern und den Klang, wenn sie schnauben. Außerdem war ich selbst leidenschaftliche Reiterin.

So entstand die Idee, eine neue Show »Sax & Horse« gemeinsam mit Profi-Reitern zu inszenieren. Die Eleganz der Dressurpferde – ein Traum. Das Ganze in eine Kür mit Saxophon zu verpacken, war die Realisierung des Traums, gemeinsam mit den edlen Tieren und ihren Reitern Andrea und Otto Ränsch. Beide sind wahre Könner im Dressurreiten, mehrfache Landesmeister und sammelten Punkte bei Weltcup-Prüfungen im Grand Prix Special. Wir drehten über diese außergewöhnliche Kombination eine Reportage für den MDR, Regisseur war Beppo Küster und mit seinem TV-Team hervorragend geeignet für derartige Inszenierungen. Als Kulisse hatten wir das majestätische Schloss in Delitzsch.

Freitag, 12 Uhr, Drehbeginn

Die Pferde Astor und Racido waren geputzt, trugen weiße Schabracken und sahen uns mit ihren großen Augen an, beinahe als wollten sie fragen: »Wann geht’s los?« Kamera an – Musik go – Start!

Ich begann mit Wolfgang Amadeus Mozarts »Vogelfänger« – die Pferde schwebten über den Rasen. Piaffen, Passagen, Traversalen, fliegende Galoppwechsel. Genial. Andrea und Otto saßen tief im Sattel, mit stilvoller Haltung und es sah aus, als wäre es ein Kinderspiel, die Pferde auf diesem Niveau zu führen.

Beppo Küster ließ uns die Kür einige Male wiederholen und drehte stets aus unterschiedlichen Perspektiven. Die Blicke der Reiter, die Bewegungen der weiß bandagierten Pferdebeine, die Hufe im Gras, all das fing die Kamera ein.

Die Musik mischte sich mit dem Schnauben der Pferde – es waren sehr emotionale Augenblicke und für mich einer der schönsten und außergewöhnlichsten Drehs.

Wer jemals mit Tieren gelebt und gearbeitet hat, kann dieses Glück nachvollziehen. Es ist eine Partnerschaft, in der eigentlich unterschiedliche Sprachen gesprochen werden, man sich aber trotzdem versteht und sich tief in die Seele blicken kann …

Es war inzwischen 18 Uhr.

Ich hatte durch die Freude an der Arbeit gar nicht bemerkt, dass meine Techniker und ich inzwischen fast ununterbrochen seit 38 Stunden auf den Beinen waren.


Mit Sax im Boxring

4. Juni 2010, Landesgartenschau Aschersleben

An dieses Datum erinnere ich mich besonders, weil Peter Geburtstag hatte und trotzdem mit mir arbeiten musste :-), aber es sollte ein sehr spannender und schöner Tag werden!

Unsere Reise führte zu einem großen Boxspektakel, veranstaltet von SES Sport Events Steinfurth.

Ich durfte die deutsche Nationalhymne spielen, für Ramona Kühne. Wohl möglich und denkbar, dass Frauenboxen bis zu einer gewissen Zeit nicht jedermanns Sache war. Aber Frauen an bestimmten Musikinstrumenten wurden auch hin und wieder von fundamentierten Machos als »am Instrument nuckelnde Gogo-Girls« abgestempelt. Könnte sein, dass dies in von Männern dominierten Branchen nicht ganz unüblich ist.

Boxen galt lange als Männerdomäne. Doch die gebrochene Nase von Stefan Raab durch Regina Halmich zeigte, dass Frauen nicht nur beim Sockenstricken begabt sein können, sondern auch in jeder anderen Form von Hand-, Faust- und Beinarbeit. Auch der beeindruckende Kinofilm »Million Dollar Baby« trug selbstredend dazu bei, die anachronistische Einstellung in vielen Köpfen zu durchbrechen. Nebenbei und aus ganz weiblicher Sicht bemerkt: Ich fänd’s genial zu wissen, dass mein rechter Haken, wenn es sein muss, einsatzbereit ist und angemessene Wirkung zeigt. Beim Box-Open-Air in Aschersleben sollte Ramona Kühne um die vakanten WM-Titel der WBO und WBF fighten und damit eine Dreifach-Weltmeisterschaft bestreiten.

Außerhalb des Rings ist sie eine superschöne, elegante Frau und ebenso im Abendkleid ein echter Hingucker. Also musste die Hymne zu ihr passend elegant gespielt werden. Anmutig, feminin und trotzdem kraftvoll. Diese Gedanken hatte ich bei der Erarbeitung der Interpretation. Ging ja nicht um die Weltmeisterschaft im Topflappenhäkeln, sondern um Profiboxen einer Lady!

So landete ich das erste Mal in meinem Leben im Boxring und war vielleicht genauso aufgeregt wie die Boxerinnen. Nur dass ich, realistisch gesehen, wesentlich bessere Chancen hatte, ohne Cuts und Blessuren aus dem Ring zu kommen.

Sicherheitshalber beeilte ich mich, als die Hymne beendet war, auch tatsächlich den Ring zu verlassen. Mit meinem Sax, allerhand technischer Verkabelung, im langen Kleid und hohen Schuhen musste ich ja noch durch die Seile kriechen, bevor es zur Sache ging. Wir hatten dank SES Karten in der ersten Reihe. Wahnsinn! Bisher verfolgte ich Boxen immer nur im Fernsehen. Aber live ist das noch mal hundert Zacken schärfer. Niemals hätte ich gedacht, welche Kraft in den Fäusten steckt und wie deutlich man das auch hört!

Ramona gewann den Kampf durch einen K.O. in der vierten Runde und hatte den dreifachen Weltmeistertitel! Unmittelbar nach ihrem Fight trafen wir uns backstage. Beim Gratulieren war ich völlig perplex und erstaunt, wie fit Ramona nach dem Kampf aussah und sich mit mir unterhielt … sie muss Fitness pur getankt haben! Der Boxabend ging für uns noch weiter, ab jetzt ausschließlich als Gäste. Das hatte einen wesentlichen Vorteil: Wir konnten nämlich endlich mit Sekt auf Peters Geburtstag anstoßen. Vorher war einfach keine Gelegenheit und außerdem trinken wir nie Alkohol, wenn wir arbeiten.

Als nächstes Highlight des Abends kam der Schwergewichtskampf von Timo Hoffmann, der »Deutschen Eiche«. Er war ehemaliger deutscher Meister im Schwergewicht.

Im Jahr 2000 boxte Timo gegen Vitali Klitschko um die Europameisterschaft. Er verlor zwar nach Punkten, ist aber bis heute neben einigen Größen im Schwergewicht, wie zum Beispiel dem Amerikaner Shannon Briggs und dem Briten Dereck Chisora, der einzige Boxer, der mit Vitali Klitschko über die volle Distanz von zwölf Runden ging. Ein Jahr zuvor unterlag »die deutsche Eiche« dem Südafrikaner Francis Botha nur ganz knapp nach Punkten und war immer noch der beste aktive deutsche Schwergewichtler.

Wir trafen ihn hinten, einige Minuten vor seinem Einmarsch. In der Anspannung auf seinen bevorstehenden Kampf formulierte er mit dem Feinsinn eines Schwergewichtsboxers:

»… würde mich freuen, wenn du auch mal für mich bläst, also die Nationalhymne …«

Wir lachten und Timo stieg aufs Motorrad. Er fuhr doch tatsächlich mit 100 PS durch die inzwischen abgesperrten Wege, und zwar quer durch das Publikum. Klar wurde er dafür von seinen Fans bejubelt. War einfach ne richtig geile Inszenierung unter freiem Himmel. Wir saßen inzwischen wieder in der ersten Reihe. Beim Schwergewicht der Männer knallten die Fäuste im fortefortissimo. Völlig irre.

Leider konnten wir diese stattlichen Eindrücke nur knappe fünf Minuten auf uns wirken lassen. Timo Hoffmann schickte Harry Duiven jr. flott zu Boden und gewann damit durch K.O. bereits in der zweiten Runde. Timo sagte anschließend: »Für mich war das heute ein Kampf am Scheideweg. Ich habe gesagt, wenn ich gewinne, greife ich nochmal an Richtung Europameisterschaft. Wenn ich verliere, fahre ich nach Hause und dann ist Schluss mit Boxen.«

Zwei Jahre später liefen die Vorbereitungen zur Europameisterschaft für Timo Hoffmann. Und für mich die Vorbereitungen zur neuen Variante der Nationalhymne. Ich nahm Timos charmantes Angebot von damals an. Wir trafen uns einige Male und ich lernte ihn kennen. Na, wenn ich schon einen durchtrainierten Sportler bei mir daheim zu Gast hatte … da musste ich ihn freilich löchern nach allem rund um Muskelaufbau und Fitness. So kamen wir beide in durchaus witzige Situationen. Wir saßen beispielsweise gemütlich im Wohnzimmer bei Kaffee und Kuchen – dabei allerdings zeitgleich mit Hanteln in der Hand (!) – Timo zeigte mir effektive Übungen für definierte Arme. Haben Sie schon mal mit der rechten Hand Kuchen gegessen und mit der linken Hanteln bewegt?

Fühlt sich echt komisch an. Das schlechte Gewissen packte mich und die Frage nach passenden Bauch-Übungen lag nahe. Upps, nach der Frage lag ich schneller als mir in dem Augenblick lieb war auf dem Teppich in der Diele. Timo legte seine Hand auf meinen Bauch und ging zum Trainerton über: »Und hoch – und nochmal – und fester – drück doch meine Hand endlich mal weg!« Wie bitte? Seine schwere Hand mit meinem Bauch wegdrücken? Klar doch »Deutsche Eiche«! … DU Schwergewichtsboxer … ICH nichts!

Irgendwie war ich verdammt untrainiert – ab sofort beherzigte ich alle seine Tipps und ordnete meine bisherigen sportlichen Aktivitäten neu. Im Ring wollte ich wenigstens etwas sportlich aussehen! Außerdem fand ich es Hammer – wer hat schon nen Profiboxer als Personaltrainer, wenn auch nur für einige Stunden! Timo blies aber auch mal ins Saxophon – so konnte ich mein Ego wenigstens für diese kurzen Minuten wieder aufrichten. Es war auf jeden Fall hoch spannend, jeweils in die Welt des anderen einzutauchen. Der Sportvirus hatte mich lange infiziert und das Boxen fasziniert.

Peter und ich besuchten Timo im Boxcamp. Uwe Schuster, sein Trainer wurde von den Boxern liebevoll »Der Commander« genannt. Schusti ist nicht unbedingt der klassische Anzugträger, der sich auf Empfängen und Galas wie zu Hause fühlt. In seinem Innersten ist er aber eine Seele, der für seine Jungs durchs Feuer geht. In seinem Boxcamp durfte ich Boxhandschuhe anziehen und die Jungs zeigten mir, wie man Boxbirnen zum Speedball werden lässt. Und wie man gegen Sandsäcke haut. Das mussten sie mir zeigen, beim ersten Mal bewegte sich dieser dämliche Sandsack (peinlicherweise) nämlich gar nicht.


Ruhe vor dem Sturm.


Get ready to rumble!

Parallel zur Vorbereitung auf die deutsche Nationalhymne hatte ich mit den Boxern einen »Haydn«-Spaß im wahrsten Sinne des Wortes. Intuitiv war mir längst klar, wie ich die neue Version angehen wollte. Für Timo musste das Werk rocken. Musikalisch und in Lautstärke gedacht. Es sollte aus den Boxen schallen und auch nach Boxen klingen. Im Takt mancher Passagen musste man den Rhythmus der Schlag- und Treffer-Kombinationen hören! So Rocky-mäßig, back to the roots – wie im Boxcamp. Der Journalist Detlef Färber, übrigens ein wahrer Meister der Wortkunst, schrieb, nachdem er die Hymne gehört hatte:

»Zum Beispiel in dem Teil, wo man nach dem langsamen ›Einigkeit und Recht und …‹ plötzlich schneller das Wort ›Frei-a-heit‹ singen müsste. Das rockt … so Kling Klang Klong auf die Glocke, dass sofort klar wird, was die musikalische Aussage ist – nämlich Freiheit muss man sich immer wieder neu erkämpfen. Zur Freiheit muss man sich immer wieder durchboxen … Und für das Glück das Gleiche. Eipert spielt die Zeile ›Blüh im Glanze dieses Glückes‹ genauso dynamisch und rockig wie schon die Freiheits-Phrase!«

Die Version passte zu Timo wie seine (Box-)Faust aufs Auge. Joseph Haydn möge mir diese Bearbeitung verzeihen, die Melodie der Hymne schrieb er im Jahr 1797 ursprünglich für ein Streichquartett als »Kaiserlied«.

Am 14. September 2012 war es dann soweit. Mit Live-Übertragung auf Sport1. Jetzt hieß es, sich zusammenreißen – bei dem Werk hatten sich bekanntlich schon richtige Musik-Größen vertan. Außerdem saßen nicht nur ne Menge Leute vorm Fernseher, ich hatte auch noch einige liebe Freunde zu dem Open Air eingeladen. Und DAS potenziert mein Lampenfieber dann um ein Vielfaches. Im Ring – Dr. Andreas Günther war der Ringsprecher und moderierte mich an.

Nochmal tief Luft holen und los!

Alles klappte! Applaus.

Später erfuhr ich, dass Werner Kastor live auf Sport1 zugeschaltet war und den Kampf kommentierte. Kastor ist übrigens promovierter Politologe und genießt als Box-Kommentator Kultstatus. Meine Musik kommentierte er auch: »Das war die beste Version der deutschen Nationalhymne, die ich bisher gehört habe. So ein bisschen mehr Tempo macht das Ding richtig gut!«

Leider musste der Kampf später wegen eines Unwetters und demzufolge aus Sicherheitsgründen abgebrochen werden. Die Hanteln habe ich übrigens noch heute in den Händen, laufe fast jeden Morgen, und wenn die Klamotten mal wieder enger werden, beherzige ich den Ernährungsplan der »Deutschen Eiche« alias Timo Hoffmann, der als Veranstalter und Ringrichter dem Boxsport treu geblieben ist.


Der kostenlose Auszug ist beendet.

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