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Im Lande des Mahdi II

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»Und das ist die Todesstunde dieser Männer?«

»Ja.«

»Wann brichst du von hier auf, Effendi?«

»Jetzt. Ich werde mir meine Kamele holen.«

Er begleitete mich zu dem Manne, bei welchem ich die Tiere untergestellt hatte und von dem ich sie gegen ganz geringe Futterkosten zurück bekam. Wir führten sie hinab zur Mischrah, um sie zu tränken, und dann wieder hinauf zur Höhe, wo sie gesattelt wurden. Eben stand ich im Begriff, den Sattelgurt festzuschnallen, da rief mir Ben Nil zu: »Effendi, schau dorthin!«

Er deutete hinaus auf die Steppe, über welche ein Kamelreiter geritten kam. Er war noch ziemlich weit entfernt, und doch erkannte ich ihn auf den ersten Blick. Es war Oram, der meinen Asakern entkommen war und Ibn Asl die Botschaft gebracht hatte. Ben Nil hatte ihn auch erkannt, denn er hob den Finger empor und meinte:

»Aufpassen, Effendi!«

Der Scheik el Beled stand dabei und hatte es gehört. Darum antwortete ich im gleichgültigsten Tone:

»Aufpassen? Wozu? Seit du mitgefangen gewesen bist, witterst du überall Gefahr. Dieser Reiter ist ein Reisender. Was weiter? Steig auf; wir müssen fort!«

Er gehorchte, warf mir aber dabei einen sehr erstaunten Blick zu. Ich reichte dem Scheik die Hand und verabschiedete mich von ihm. Er verneigte sich und sagte:

»Allah jihfazak – Gott bewahre dich! Werde ich dich nach dem Gericht am Maijeh wiedersehen?«

»Wahrscheinlich. Unser Wiedersehen bringe dir tausend Segen!«

Wir ritten fort in westlicher Richtung, während Oram, der erwähnte Reiter, von Süden gekommen war. Als er uns erblickt hatte, hatte er sein Tier angehalten und dann gar gewendet, um sich wieder zu entfernen. Jetzt wendete er sich im Sattel um und blickte zurück; er sah, daß wir fortritten und blieb halten. Nach einer Weile schien er sich sicher zu fühlen, denn er trieb sein Tier wieder dem Dorfe zu.

»Ich begreife dich nicht, Effendi!« meinte Ben Nil. »Der Reiter war doch Oram, der von In Asl kommt?«

»Natürlich!«

»Und du hast nicht gewartet, hast ihn nicht ergriffen!«

»Bedenke doch: alles, was ich dem Scheik gesagt habe, soll Ibn Asl erfahren; er wird es durch diesen Oram erfahren, und ich habe also alle Ursache, mich darüber, daß er gekommen ist, zu freuen. Statt dessen aber war es jedenfalls deine Ansicht, daß er festgenommen werden solle. Er wird nun von dem Scheik alles erfahren und Ibn Asl davon benachrichtigen; dieser marschiert dann ganz gewiß nach dem Dschebel Arasch Qol und geht uns in die Falle.«

»Allah gebe es! Hoffentlich verfehlen wir unsere Asaker nicht!«

»Davon kann keine Rede sein. Siehst du den dunklen Strich, der da im Grase vor uns herläuft?«

»Ja. Es ist eine Spur; aber weißt du, was für eine?«

»Es ist Orams Fährte. Er ist jedenfalls auf der unserigen geritten, welche, da er nur wenige Stunden hinter uns ritt, noch ganz frisch gewesen ist. Unsere Asaker sind ihm dann gefolgt, indem sie sich auf unserer und seiner Spur hielten. Wenn wir nun auf dieser letzteren zurückreiten, müssen wir mit unsern Gefährten zusammenstoßen. Laß dein Tier ausgreifen! Je eher wir sie treffen, desto besser ist es.«

Unsere Kamele hatten ausgeruht und freuten sich darüber, daß sie tüchtig laufen durften. Zur Mittagszeit hielten wir eine kurze Rast. Später wurde die Fährte bedeutend undeutlicher, doch konnte ich sie noch leidlich unterscheiden, wenn Ben Nil sich auch vergebliche Mühe gab, sie zu entdecken.

Unter solchen Umständen war anzunehmen, daß auch unsere Asaker sie nicht mehr erkennen konnten und also sehr wahrscheinlich von ihr abgewichen seien. Was war zu thun? Südlich von unserer Richtung gab es einen Brunnen, welcher Bir Safi, der klare Brunnen, hieß. Der Fessarahführer kannte ihn und hatte die Karawane sehr wahrscheinlich dorthin geführt. Wir bogen also nach Süden ab. Wenn wir so schnell wie bisher ritten, konnten wir vor Sonnenuntergang dort sein.

Meine Vermutung trügte mich nicht. Die Sonne war nur noch drei ihrer Durchmesser vom westlichen Horizonte entfernt, da sahen wir Bäume und Gesträuch in der Ferne; das war der Bir Safi. Bald sahen wir Kamele liegen und Menschen sich bewegen; das war unsere Karawane.

»Was wird Abd Asl sagen, wenn wir kommen!« meinte Ben Nil.

»Und der Fakir el Fukara, welcher Mahdi werden will!«

»Die Kerle haben jedenfalls schon geglaubt, daß wir zu Grunde gegangen sind. Allah vernichte sie! Ich habe dem Alten das Leben geschenkt. Hätte ich gewußt, was unser an der Dschesireh Hassanieh wartete, so hätte ich es nicht gethan.«

»Ich hoffe, daß du dich nicht noch nachträglich an ihm vergreifst!«

»Du hast nichts zu befürchten, Effendi! Dieser alte, stinkende Schakal ist mir viel zu widerwärtig, als daß ich mich an ihm vergreifen möchte. Vor meiner Berührung ist er sicher.«

Jetzt waren wir dem Brunnen so nahe, daß die dort Befindlichen uns erkennen konnten.

»Der Effendi!« hörte ich eine Stimme rufen.

»Der Effendi! Und Ben Nil! Der Effendi, der Effendi! Preis Allah und Heil uns! Sie kommen, sie kommen!« so riefen zwanzig Stimmen durcheinander und ebenso viele Männer kamen uns entgegengerannt. Wir mußten noch vor dem Brunnen von den Kamelen herab. Man drückte uns die Hände; man rief und schrie in allen Tonarten, und ich ließ sie gern gewähren, denn ihre Freude konnte uns ja keinen Schaden bringen und war mir ein wohlthuender Beweis, daß ich ihren Herzen nicht fremd geblieben war. In dieser Weise war selbst ihr Vorgesetzter, der Reïs Effendina nicht bewillkommnet worden, als er im Wadi el Berd auf uns traf.

Natürlich sollten wir erzählen. Vorher aber mußte ich wissen, wie es bei ihnen gegangen war. Wir setzten uns nieder, und der alte Askari, dem ich das Kommando anvertraut hatte, sagte:

»Es ist alles nach der richtigen Regel gelaufen, Effendi Es giebt nur eins, was wir zu beklagen haben. Es fehlt einer: Oram. Er hat sich von den Fesseln losgemacht, euch ein Kamel genommen und ist – – —«

»Uns nachgeritten,« fiel Ben Nil ein.

»Das ist ganz richtig! Wie aber könnt ihr es wissen?«

»Wir haben ihn gesehen.«

»Wo denn?«

»Das werden wir euch erzählen,« antwortete ich. »Vor allen Dingen möchte ich wissen, ob die Gefangenen gut gebunden sind.«

»Effendi, seit Oram uns entschlüpft ist, entkommt uns keiner mehr. Ich hoffe, daß du uns dessen Flucht nicht anrechnen wirst. Als er gefesselt wurde, warst du ja selbst noch da!«

»Nun, was das betrifft, so war der Mangel an Wachsamkeit wohl mehr schuld an seinem Entkommen als die ungenügende Fesselung. Ihr habt doch gewacht! Ihr habt einen Kreis um die Gefangenen gebildet. Da es ihm geglückt ist, aus demselben zu gelangten, so nehme ich an, daß ihr alle zusammen geschlafen habt.«

»Nein, Effendi, wir haben abwechselnd gewacht; aber dieser Hund muß einen Zauber besitzen und sich unsichtbar machen können.«

»So ist der Zauber bei mir und Ben Nil wirkungslos, denn wir haben ihn gesehen, und zwar mehreremale. Aber ich zürne euch nicht; ich habe sogar alle Veranlassung, mich über seine Flucht zu freuen. Sie hat uns Schaden bringen sollen, wird aber im Gegenteile von großem Vorteile für uns sein.«

»Ist das möglich!«

»Sehr! Heute konnten wir ihn fangen, wenn wir wollten; wir haben ihn aber laufen lassen, weil er uns, wenn er frei ist, mehr Nutzen schafft, als wenn er sich in Gefangenschaft bei uns befindet.«

Da rief der alte Abd, Asl unter höhnischem Gelächter herüber:

»Prahle nicht! Du redest solche Lügen, um uns zu ärgern; aber du täuschest uns nicht. Hättet ihr Oram gesehen, so hättet ihr ihn ergriffen. Da ihr das nicht gethan habt, habt ihr ihn auch nicht gesehen.«

»Dein Kopf ist der Brunnen aller Weisheit, o heiligster aller Moslemin,« antwortete ich ihm.

»Weißt du denn, wohin er gegangen ist?« fragte er lachend.

»Zu Ibn Asl, deinem Sohne, natürlich.«

»Wenn du ihn gesehen hättest, müßtest du bei Ibn Asl gewesen sein!«

»Wir waren bei ihm, waren sogar auf seinem Schiffe und haben mit ihm gesprochen.«

»Lüge! Lüge!«

»Nimm dich in acht, oder du bekommst die Peitsche. In deiner Lage hat man sich der Höflichkeit zu befleißigen.«

Da richtete sich der Fakir el Fukara in sitzende Stellung auf und sagte:

»Du forderst Höflichkeit? Behandelst du uns so, daß wir sie dir bieten können?«

»Ich behandle euch so, wie ihr es verdient habt.«

»Ich habe nichts gethan. Ich war euer Gast, und ihr habt mich gefesselt. Das ist ein Verbrechen, welches gar nicht vergeben werden kann.«

»Wer hat dich zu unserem Gaste gemacht? Habe ich das Wort Daif[35] gegen dich gebraucht? Habe ich »Habakek« oder »Wasahlan«, »Marhaba« ( Jedes dieser Worte bedeutet »Willkommen!«.) zu dir gesagt?«

»Nein; aber ich habe bei euch gesessen!«

»Und dich dann wieder weggesetzt! Ich habe, wie du zugeben mußt und auch eingestanden hast, dir das Leben gerettet, und dennoch wolltest du fort, um uns an Ibn Asl zu verraten!«

»Beweise es!«

»Ich weiß es, also ist es bewiesen! Diese Undankbarkeit hat dich in Fesseln gebracht, und wenn dir diese nicht gefallen, so zanke mit dir, aber nicht mit uns!«

»Ich verlange aber meine Freiheit und giebst du mir sie nicht sofort, so rufe ich den Fluch Allahs auf dich nieder!«

»Allah wird deinen Fluch in Segen verwandeln.«

»Und den Fluch des Propheten!«

»Dein Prophet geht mich nichts an!«

»Du wirst bald anders denken und anders sagen. Wenn du erfährst, welche Macht mir gegeben ist, wirst du mich um Gnade anwinseln!«

»Zunächst besitze ich die Macht, und zwar über dich. Ueber wen du später Macht ausüben wirst, ob über deinen Harem oder auch wohl über deine Hunde, das ist mir gleichgültig. Und nun schweig, sonst kommt die Peitsche über dich. Ich habe keine Lust, mich von einem Manne anbrüllen und verfluchen zu lassen, welcher sich so sehr von Allah und dessen Geboten entfernt hat, daß er sogar im stande ist, an seinem Lebensretter zum Verräter zu werden.«

 

»Gut, ich schweige; bald aber kommt die Zeit, und sie ist schon nahe, in welcher ich sprechen werde. Dann werden Millionen auf meine Stimme hören, und du wirst der erste sein, der vor mir im Staube kriecht!«

Er legte sich wieder nieder. Er sah doch ein, daß Schweigen klüger sei als Sprechen. Abd Asl aber konnte es nicht zu derselben Erkenntnis bringen; oder stand ihm die Vorsicht nicht so hoch wie die Begierde, zu erfahren, was ich während der Zeit meiner Abwesenheit gethan und erlebt hatte? Er hatte wohl geglaubt, daß ich in mein Verderben geritten sei; jetzt war ich wohlbehalten zurückgekehrt; wie konnte das geschehen? So fragte er sich. Er wollte und mußte Antwort haben, und anstatt ruhig zu warten, was ich thun oder sagen werde, fuhr er im Anschlusse an die letzten Worte des Fakir el Fukara auf:

»Ja, im Staube kriechen, und auch vor mir! Du hast keine Ahnung, in welcher Lage du dich befindest und welche Gefahren dich umschwirren. Mein Sohn wird als Rächer über dich kommen und dich vernichten, wie er den Reïs Effendina vernichtet hat!«

»Ja, den hat er allerdings vernichtet!« antwortete ich ernst, indem ich eine sehr trübsinnige Miene zeigte.

»Hat er? Hamdulillah, Allah sei Dank!« jubelte er. »Es ist gelungen. Die Feinde sind zermalmt und werden niemals wieder erstehen!«

»Zermalmt? Nein, sondern verbrannt sind sie worden.«

»Es ist geglückt, es ist geglückt! Hört ihr es, ihr Männer, ihr Freunde, ihr Gläubigen, es ist geglückt! Ich habe es euch mitgeteilt; ich habe es euch leise gesagt. Meine Seele war voller Erwartung, ob es gelingen werde. Nun ist der Teufel mit seinen Asakern zu Staub und Asche verbrannt, und der oberste der Teufel, welcher da vor uns sitzt und es uns erzählen muß, hat die Macht verloren und wird uns freigeben müssen, denn wenn er dies nicht thut, heute gleich thut, erwartet ihn ein Klappern der Zähne, welches ohne Ende ist!«

»Verrechne dich nicht!« warnte ich ihn im ruhigsten Tone. Darauf fuhr er, im höchsten Grade begeistert, fort:

»Mich verrechnen! Wie kann ich mich irren! Mein Sohn, der Tapferste der Tapfern, der Gefürchtetste der Gefürchteten, der Schrecklichste der Schrecklichen, hat den Reïs Effendina verbrannt und wird nun kommen, uns zu erlösen. Wehe euch, wenn er findet, daß einem einzigen von uns ein einziges Haar von seinem Haupte fehlt! Was an Qualen und Foltern nur zu erdenken ist, wird euch treffen, und ihr werdet heulen, wie die Verdammten heulen, welche auf dem tiefsten Grunde der Hölle wohnen. Frei will ich sein, frei, und zwar sofort! Du hast deine Ohnmacht eingesehen und deine Lächerlichkeit erkennen müssen, Effendi. Laß uns los, und eile fort; fliehe, soweit dich deine Füße und die Füße deines Kamels tragen, sonst kommt das Entsetzen über dich, wie der Löwe über das Schaf, welches sich gegen die Krallen des Mächtigen nicht zu wehren vermag!«

»Daß ich vor einem Löwen nicht fliehe, hast du erfahren; du kannst dir also denken, daß ich auch vor diesem deinem Entsetzen nicht davonlaufe. Dein Sohn mag kommen; er wird sehen, wie ich ihn empfange.«

»Er wird dich ebenso verbrennen, wie er den Emir mit Feuer vernichtet hat!«

Es läßt sich denken, welchen Eindruck diese Reden auf die Asaker machten. Ihr Emir verbrannt, mit seinen Soldaten ermordet. Sie sprangen auf und fielen mit Fragen über mich her. Ich gebot Stille und fügte hinzu:

»Ihr sollt alles erfahren, und ich will euch schon im voraus sagen, daß ihr ruhig sein könnt. Der Triumph dieses heiligen Moslem wird nicht lange währen. Ich ritt fort, um den Reïs Effendina zu retten, und was ich mir vorgenommen habe, das pflege ich, zumal wenn es etwas so Wichtiges ist, auch auszuführen. Der Emir lebt; er ist gerettet.«

Allah sei Dank!« erklang es rundum. Abd Asl aber rief:

»Er lügt! Er will uns unsere Freude verkümmern; aber das soll ihm nicht gelingen. Er gönnt uns unsern Jubel nicht; aber wir werden weiter jubeln, bis der Retter erscheint, welchen wir alle Augenblicke erwarten können!«

»So warte, bis du schwarz wirst und dir das sündige Fell im Grimme der Enttäuschung zerplatzt!« rief ihm Ben Nil zu. »Du wirst sogleich hören, ob unser Effendi seine Ohnmacht hat einsehen und seine Lächerlichkeit hat erkennen müssen! Hört, ihr Männer, ihr Asaker des Emirs; der Effendi wird sprechen!«

Aller Augen waren auf mich gerichtet. Es gab keinen, bei den Asakern sowohl wie auch bei den Gefangenen, der sich nicht in der größten Spannung befand. Die Sonne versank soeben; es war also Zeit, das Mogreb zu beten; aber niemand dachte an die Erfüllung dieser Pflicht. Ich erzählte, und zwar berichtete ich alles ausführlich bis zum Augenblicke, an welchem wir drei die Flucht von der »Eidechse« ergriffen hatten. Bis hierher konnten, ja sollten die Gefangenen alles hören; das Spätere aber mußte ihnen verschwiegen bleiben. Hätten sie erfahren, welche Falle ich Ihn Asl stellen wollte, so konnte es ihnen durch irgend einen Zufall gelingen, mir meinen Plan zunichte zu machen. Man bestürmte mich zwar, weiter zu erzählen, doch that Ben Nil dem Drängen Einhalt, indem er sagte:

»Seid still! Ihr habt für heute genug erfahren. Der Emir ist errettet; wir waren bei Ibn Asl auf seinem Schiffe; er hat uns erkannt und in Banden geschlagen; mehr als hundert Männer waren bei ihm, dennoch sind wir entkommen. Als wir im Boote nicht weit von der »Eidechse« hielten, konnten wir ihn leicht erschießen. Wir haben es nicht gethan; wir sind noch einmal gnädig mit ihm gewesen. Aber wehe ihm, wenn er sich wieder treffen läßt.«

»Aber was geschah dann, als ihr vom Schiffe wart?« fragte wieder einer. »Was habt ihr dann gemacht? Wo ist dein Großvater, der Steuermann, der doch bei euch war?«

»Deine Neugierde ist viel größer als mein Mund; dennoch will ich versuchen, sie zu befriedigen. Wir sind natürlich in dem Boote nach Hegasi gesegelt und von dort mit unsern Kamelen hierher geritten. Mein Großvater aber ist in Hegasi geblieben, um dort unsere Rückkehr zu erwarten.«

»Und der Reïs Effendina? Wo befindet er sich?«

»Auch in Hegasi, denn dorthin werden wir ihm diese Gefangenen liefern.«

»Warum hat er uns keine weiteren Asaker mitgesandt?«

»Weil, du Vater der Neugierde, keine Kamele zu haben waren, und weil wir Manns genug sind, diese feigen Kröten hier zu transportieren. Abd, Asl aber, der heiligste der Moslemin und die häßlichste der Kröten, mag nun fortfahren in dem Jubel, welchen er vorhin anstimmte und in dem er sich nicht unterbrechen lassen wollte!«

Das hatte Ben Nil nicht schlecht gemacht! Er hatte die Neugierde vollständig gestillt, ohne unsere weiteren Absichten auch nur mit einem Worte zu verraten. Es war jedenfalls besser, wenn selbst die Asaker noch nichts erfuhren. Eine unvorsichtige Aeußerung, von einem Gefangenen gehört, hätte uns Schaden bringen können. Uebrigens waren die ersteren froh, daß ich mich wieder bei ihnen befand. Sie hatten doch eine große Verantwortlichkeit zu tragen gehabt, und der alte Askari holte tief und erleichtert Atem, als ich ihm sagte, daß er nun nichts mehr zu verantworten habe. Ebenso befriedigt war der Fessarahführer davon, denn bei jedem vorkommenden Fehler hätte er auch einen Teil der Schuld auf sich zu nehmen gehabt.

Ich gab die Reihenfolge der Wachen an und legte mich dann zum Schlafen nieder. Ben Nil that ebenso, obgleich es noch nicht spät war. Wir hatten während der letzten Nacht gar nicht geschlafen. Früh weckte mich das Gebet der Morgenröte. In kurzem wurde aufgebrochen.

Es war ein ganz eigenartiges Geschäft, die Gefangenen auf die Kamele zu bringen, denn sie machten es uns so schwer wie nur immer möglich. Bei hartnäckigen Fällen mußte natürlich die Peitsche nachhelfen.

Da der Bir Safi südlich von der geraden Richtung lag und ich aus begründeter Vorsicht die letztere vermeiden wollte, hielt ich mich bis Mittag genau östlich und bog dann nach Süden ab. Auf diese Weise kamen wir fast streng aus Norden auf den Dschebel Arasch Qol zu, während wir sonst aus Nordwest gekommen wären. Ich hatte diese Richtung vermieden, weil der Scheik el Beled und infolgedessen auch Ibn Asl uns in derselben wußte. Möglicherweise konnte man auf den Gedanken gekommen sein, uns nicht erst am Maijeh, sondern schon vorher draußen auf der Steppe zu überfallen; dann befanden wir uns nicht in der Richtung, in welcher man uns suchte. Ibn Asl hatte wohl hundert Mann, ich aber nur zwanzig, ein Kampf auf offener Steppe hätte für uns leicht verhängnisvoll werden können.

Um der erste zu sein, der das Ziel erblickte, ritt ich den andern weit voran. Es war noch gar nicht spät am Nachmittage, als ich den Berg wie einen Nebelfleck im Süden liegen sah. Ich kehrte sogleich wieder um, um der Karawane, welche vielleicht eine englische Meile hinter mir gefolgt war, Halt zu gebieten. Ich that dies, damit keiner der Gefangenen den Dschebel Arasch sehen solle. Es war auf jeden Fall besser, wenn sie nicht wußten, wo sie sich befanden. Sie wurden von den Kamelen gehoben, und wir lagerten.

Die Asaker konnten sich den Grund nicht denken, warum dies schon so früh am Tage geschah. Es war nun Zeit, sie zu unterrichten. Erst wurden die Gefangenen gespeist und getränkt; dann führte ich die Soldaten weit zur Seite, ließ sie einen Kreis um mich bilden und teilte ihnen mit, was heute geschehen sollte. Kein Gefangener konnte es hören. Hätte ich ihnen gesagt, daß jeder von ihnen tausend Piaster erhalten solle, die Freude wäre auch nicht größer gewesen. Ibn Asl und alle seine Sklavenhändler in einer Falle fangen! Das war ein Gedanke, welcher sie begeisterte. Jeder wollte wissen, welche Aufgabe ihm dabei zufalle, welche Rolle er dabei zu spielen habe. Ich konnte es keinem sagen, denn es war vorher notwendig, zu rekognoscieren, und das konnte erst am Abend geschehen. Ibn Asl befand sich jedenfalls schon am Berge. Hätte ich mich demselben jetzt am hellen Tage genähert, ich wäre höchst wahrscheinlich bemerkt worden.

Die Asaker erhielten‘ den Befehl, selbst untereinander jetzt noch um keinen Preis ein Wort über unser Vorhaben zu sprechen, und bildeten dann, wie dies bisher täglich geschehen war, einen Kreis um die Gefangenen. Die Kamele lagerten, von einem Manne bewacht, außerhalb dieses Kreises.

Der Nachmittag verging, ohne daß auf der Steppe außer uns ein menschliches Wesen erblickt worden war. Die Sonne ging unter, und die Asaker beteten das Mogreb. Nun senkte sich schnell der Abend nieder, und ich konnte meine Rekognition beginnen. Es stand zu erwarten, daß ich mehrere Stunden, vielleicht sogar bis gegen Morgen, abwesend sein werde. Ich übergab trotz seiner Jugend Ben Nil den Befehl über die Karawane und unterrichtete ihn, wie er in jedem einzelnen Falle, welcher vorauszusehen war, sich zu verhalten habe. Dann bestieg ich mein Kamel und ritt dem Ziele entgegen.

Die Aufgabe, welche ich mir gestellt hatte, war nicht leicht. Ich wußte, wo der Hegelikwald lag, in welchem ich den Reïs Effendina finden sollte, nämlich am Südende der Ostseite des Sumpfes; aber bei der herrschenden Dunkelheit diesen Wald treffen, das war die Sache! Ja, wenn ich nur diese eine Sorge gehabt hätte! Aber wo war Ibn Asl mit seinen Leuten? Wohl auch am Süd- ende des Sumpfes. Aber wenn er sich vorgenommen hatte, seine Leute zu teilen, um mich in die Mitte zu bekommen, so war es für ihn weit bequemer, während der Nacht in der Mitte der östlichen Sumpfseite zu lagern. Dann konnte er am Morgen einen Teil seiner Leute rechts und die andere Abteilung links um den Sumpf schicken und mich auf diese Weise von vorn und von hinten packen. Lagerte er jetzt da, so mußte ich, um zu dem Emir zu kommen, an ihm vorüber und konnte, wenn er keine Feuer brennen hatte, ganz unerwartet mitten in sein Lager geraten. Er schien aber Freund von nächtlicher Helligkeit zu sein; wenigstens hatte er während der beiden Abende an der Hassanieh und am Maijeh es Saratin mehrere große Feuer brennen gehabt. Er wußte mich jetzt noch fern; er wußte ferner von der Anwesenheit des Emirs nichts; darum konnte er sich für sehr sicher halten, und es stand zu erwarten, daß er den Abend nicht im Dunkeln zubringen werde. In diesem Falle mußten seine Feuer mir sein Lager verraten, und ich konnte mich fern von demselben halten.

So ging es in raschem Schritte südwärts. Die Sterne waren aufgegangen, und ich konnte mich also nicht in der Richtung irren. Nach einer halben Stunde hatte ich das Sumpfgebiet erreicht, und es galt, auch wegen des trügerischen Bodens vorsichtig zu sein. Der Maijeh el Humma sendet mehrere Ausläufer in das Land, und darum war es geraten, möglichst weit ostwärts auszubiegen.

 

Eine Stunde und noch eine war ich geritten; es mochte nach unserer Zeit abends neun Uhr sein, da kam ich an einem einzelnen Baum vorüber, dessen Umrisse mir bekannt vorkamen, obgleich sie sich nur undeutlich gegen den Himmel abzeichneten. Ich ritt hin. Ja, das war der Hegelik, unter welchem ich bei meiner frühern Anwesenheit Schutz gegen die Sonne gesucht hatte. Ich hatte damals diese mächtigen Formen bewundert und sie mir eingeprägt. Gar nicht weit von hier, nur einige hundert Schritte rechts, begann der Hegelikwald, den ich suchte.

Ich ritt hinüber und an seinem Rande hin. Er lag mir wie eine hohe, dunkle Wand zur Seite, als Vorposten einzelne Büsche aussendend, zwischen denen ich mich hindurchwinden mußte. Nirgends ein Feuer zu sehen oder zu riechen. Ibn Asl befand sich gewiß nicht in der Nähe. Ich ließ halblaut das bekannte tiefe Lachen der Hyäne hören. Es klingt wie »Ommu ommu« und ist trotzdem einem Gelächter ähnlich. Keine Antwort erfolgte. Im langsamen Weiterreiten wiederholte ich dieses Zeichen mehrere Male. Endlich, nach dem siebenten oder achten Mal hörte ich rechts unter den Bäumen eine Stimme:

»Effendi?«

»Ja,« antwortete ich, das Kamel anhaltend.

»Komm hierher!«

Ich ritt hin. Ein Mann trat auf mich zu, blieb vor dem Tiere stehen, sah mich an und sagte dann:

»Ja, du bist es. Steig ab! Ich werde dich zu dem Emir führen.«

»Ist es weit von hier?«

»Ziemlich! Wir haben eine lange Postenkette, damit dir das Auffinden des Emir nicht so schwer fallen sollte.«

»Führe mich zu dem Posten, welcher der nächste beim Emir ist. Derselbe mag mein Kamel halten.«

Während wir nebeneinander hinschritten, fragte ich ihn, ob sie Ibn Asl mit seinen Leuten bemerkt hätten.

»Ja,« antwortete er. »Sie kamen kurz nach Mittag an und lagerten ganz am südlichen Ende des Maijeh.«

»Habt ihr sie, seit es dunkel geworden ist, beobachtet?«

»Der Reïs Effendina war dort.«

»Brennen sie Feuer?«

»Ich weiß es nicht; ich konnte es nicht erfahren, da ich mich seit jener Zeit auf dem Posten befand.«

Wir kamen an mehreren Asakern vorüber, bis einer von ihnen mein Tier zu halten bekam. Mein Führer meinte, ich solle ihm nun tiefer in den Wald folgen; ich aber gab ihm den Auftrag, mir lieber den Emir zu holen. Ich hatte mich mehr angestrengt als der Emir, mußte mich vielleicht auch noch mehr anstrengen und wollte mir den Weg durch den Wald und die dichten Nabakbüsche, welche das Unterholz bildeten, ersparen. Der Mann ging also allein und brachte mir bald den Reïs Effendina geführt. Er war sehr erfreut, mich zu sehen, besonders, da ich nicht sicher hatte sagen können, ob ich kommen werde. Er begrüßte mich mit einem kräftigen Händedrucke und sagte:

»Sie sind da, schon seit der Mittagszeit. Sie lagern am Ende des Maijeh.«

»Brennen sie Feuer?«

»Sechs, jedenfalls schon um der vielen Stechfliegen willen, vor denen es dort am offenen Sumpfe ohne Feuer gar nicht auszuhalten wäre. Hier im dichten, ziemlich trockenen Walde sind wir glücklicherweise nicht sehr von ihnen geplagt.«

»Kennst du den Plan, den Ibn Asl morgen verfolgen will?«

»Nein. Wie soll ich ihn kennen?«

»Ich denke, du bist dort gewesen. Hast du nicht gelauscht?«

»Werde mich hüten! Soll ich etwa soweit hinangehen, bis ich sie sprechen hören kann? Dann kann ich auch gesehen und ergriffen werden!«

»Aber es giebt oft gewisse Anzeichen, aus denen sich Schlüsse ziehen lassen. Hast du nichts Derartiges bemerkt?«

»Nein. Sie saßen um die Feuer und aßen und schwatzten. Aber was sie sprachen, das verstand ich nicht, da ich nicht nahe genug war.«

»Hast du Ibn Asl gesehen?«

»Ja. Er saß an dem ersten Feuer, welches man von hier aus erreicht.«

»Wie weit ist‘s bis dahin?«

»Fast eine halbe Stunde.«

»Ich muß hin. Willst du mich begleiten?«

»Sehr gern, wenn du nicht etwa verlangst, daß ich mich zu Ibn Asl setzen soll. Dir ist nämlich so etwas wohl zuzutrauen.«

Meinen hellen Haïk hatte ich in meinem Lager zurückgelassen; jetzt ließ ich auch die Gewehre hier, und dann gingen wir, immer zwischen einzelnen Büschen hindurch, bald rechts, bald links einer sumpfigen Lache, die sich durch phosphorescierenden Glanz verriet, ausweichend. Nach über einer Viertelstunde sah ich den Schein des ersten Feuers, dann noch eins und noch eins, bis ich auch sechs zählte. Es gab hier nur Gafulbäume, und zwar ohne Unterholz. Man lagerte ohne einen besonderen Plan, hier ein Feuer und dort eins, wie der Zufall oder Einfall es ergeben hatte. Wir standen hinter einem breiten Busch, wohl sechzig Schritte von dem ersten Feuer, an welchem ich Ibn Asl sitzen sah, entfernt. Es saßen außer ihm noch seine Offiziere und zwei Männer an demselben. Man hörte sie sprechen, ohne aber die einzelnen Worte verstehen zu können.

»Ich muß hin, unbedingt hin!« sagte ich mehr zu mir als zu dem Emir. Ach muß wissen, was sie reden.«

»Um Allahs willen, was fällt dir ein! Du würdest verloren sein. Man müßte dich ja sehen!«

»Nein. Ich habe mich schon unter ganz anderen Verhältnissen angeschlichen. Hier ist es geradezu ein Kinderspiel.«

»Ich sage dir, mich bringst du keinen Schritt weiter!«

»Das will ich auch nicht; ich gehe allein. Zwischen hier und dem Feuer stehen in gerader Linie zwei starke Bäume, deren Stämme einen ganz geraden, breiten Schatten hinter sich werfen. Krieche ich in diesem Schatten auf der Erde hin, so bin ich von dem Boden gar nicht zu unterscheiden. Dazu habe ich erst den ersten und dann den zweiten Baum als Deckung. Dieser letztere hat in Manneshöhe, auf der nach uns gerichteten Seite, einen starken Ast. Schwinge ich mich da hinauf, so sitze ich, hinter Zweigen und Blättern verborgen, höchstens fünfzehn Schritte vom Feuer entfernt und kann alles hören, was gesprochen wird.«

»Und wie kommst du dann zurück?«

»Auf demselben Wege, auf dem ich hingekommen bin.«

»Nein, Effendi, ich gebe es nicht zu! Ich will nicht haben, daß du dein Leben wagst.«

»Wage ich es nicht morgen, wenn wir kämpfen? Wagt es da nicht jeder? Warum also gerade jetzt nicht? Und wie nun, wenn dadurch, daß ich es jetzt wage, der Kampf vermieden werden kann?«

»Hältst du das für möglich?«

»Ja. Vielleicht erfahre ich etwas, was mich veranlaßt, eine Disposition zu treffen, nach welcher von seiten der Gegner jeder Widerstand vergeblich ist.«

Er griff nach mir, um mich zurückzuhalten; aber er war nicht schnell genug gewesen. Ich war rasch hinter dem Busche hervorgetreten, hatte mich niedergeduckt und kroch nun im dunkeln Schatten vorwärts. Es war gar keine Kunst. Um rechten Qualm zu erzeugen und die Stechfliegen abzuhalten, wurden feuchte Aeste in die Feuer geworfen; dies gab einen Rauch, der zuweilen so dick war, daß man nicht hindurchzusehen vermochte. Er zog sich, da die Sumpfluft schwer und drückend war, zuweilen ganz nahe am Boden hin. Solche Augenblicke benutzend, kam ich an den ersten, dann an den zweiten Baum und saß oben in den Aesten und Zweigen desselben, bevor seit dem vergeblichen Griffe des Reïs Effendina zwei Minuten vergangen waren. Ich hatte es außerordentlich glücklich getroffen, denn eben hatte ich mich zurechtgesetzt und spitzte die Ohren, da hörte ich weiter vorn ein Rufen, welches meine Aufmerksamkeit sogleich auf sich zog.

»Der Scheik, der Scheik el Beled!« hörte ich sagen. »Er ist da! Endlich ist er angekommen!«

Wahrhaftig, da kam er, vom hintersten Feuer her, ein Kamel am Zügel führend. Man hatte ihm dort gesagt, wo er Ibn Asl finden werde. Die Disziplin hielt die Leute ab, ihm zu folgen. Er ließ sein Tier sich legen und trat an das Feuer, wo er mit sichtlicher Genugthuung bewillkommnet wurde. Ich ahnte, um was es sich handelte. Er hatte nach uns ausspähen müssen. Einer von Ibn Asls Leuten hätte dies nicht thun dürfen, denn hätte ich ihn gesehen, so hätte ich ihn auch erkannt und wäre mißtrauisch geworden. Begegnete uns aber der Scheik el Beled, so standen demselben mehrere Ausreden zu Gebote, denen ich wohl Glauben schenken konnte.

»Setz‘ dich, und berichte!« forderte ihn Ibn Asl auf. »Hast du sie gesehen?«

35Gast.