Fürst und Leiermann

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Fürst und Leiermann
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KARL MAY
FÜRST UND LEIERMANN

HUMORESKE

Aus

KARL MAYS

GESAMMELTE WERKE

BAND 42

„DER ALTE DESSAUER“

© Karl-May-Verlag

eISBN 978-3-7802-1325-9

Die Erzählung spielt im Jahre 1740.

KARL-MAY-VERLAG

BAMBERG • RADEBEUL

Inhalt

Fürst und Leiermann

Fürst und Leiermann

(1740)

Es war kurz nach dem Ausbruch des Ersten Schlesischen Krieges1. Auf der Straße, die nahe der hannoverschen Grenze von Arendsee nach Ziemendorf führte, schritten zwei Männer dahin. Sie trugen die Kleidung gewöhnlicher Land- oder Bürgersleute; ein scharfsinniger Beschauer aber würde leicht einiges bemerkt haben, was damit nicht so recht übereinstimmte. Die großen, steilgewichsten Schnurrbärte, ihre stramme, kerzengerade Haltung, die straffe, militärische Art ihrer Bewegungen und besonders das kriegerische Äußere des einen, älteren von ihnen, standen gerade jetzt, wo sie sich unbeobachtet wussten, zu dem friedlichen Rock in einem Gegensatz. Und dieser Eindruck wurde durch die derben, stacheligen Knotenstöcke, die sie in den Händen trugen, noch erhöht.

„Papperlapapp, Hauptmann; lasse Er das unnütze Reden!“, meinte der Ältere. „Ich bin kein Schuljunge, sondern regierender Reichsfürst und kommandierender Feldmarschall. Als solcher werde ich wohl wissen, was ich tu! Selbst ist der Mann, und was ich mit meinen eigenen Augen seh’, das ist mir mehr wert als der Bericht von hundert Spionen.“

„Aber wenn Euer Durchlaucht durch irgendeinen Zufall erkannt werden!“, bemerkte trotz dieser Zurechtweisung der andere.

„So mag man nur erst sehen, ob man mich bekommt! Ich hätte heut gerade Lust, mir einmal ein bisschen Bewegung zu machen; man wird bei dieser ewigen Faulenzerei von innen und von außen sauer und läuft schließlich gar wie alter Käse auseinander. Während der Teufelskerl, der Fritz, dem man das gar nicht zugetraut hätte, die Österreicher trotz ihrer vielgerühmten Kavallerie nach Noten walkt, muss ich als Kettenhund auf der Bärenhaut liegen und den Jörg von Hannover anknurren, wenn er mit den Pantoffeln klappert. Könnte ich mich doch nur einmal so nach Herzenslust über ihn hermachen! Denn weiß Er, Hauptmann, ich habe eine ganz verteufelte Wut auf ihn, noch von dazumal her, wo wir ihm Anno neunundzwanzig einige dumme Rekruten weggeschnappt und er darüber einen Spektakel verübte, der das ganze Heilige Römische Reich in Aufruhr brachte.“

„Vielleicht geht es auch hier noch los, Durchlaucht!“

„Das gebe Gott! Das mag sündhaft klingen, aber bei dieser Langeweile fahr' ich entweder aus der Haut, oder schrumpfe vor Ärger zusammen wie eine gebackne Pflaume. Ein fröhliches Dreinschlagen hat auch sein Gutes, man weiß dann wenigstens, woran man ist. Aber pst! Was ist denn das?“

Er blieb stehn, fasste seinen Begleiter am Arm und deutete nach seitwärts, wo eine schmale Öffnung des Gebüschs eine kleine Lichtung freigab, die rings von dichten Sträuchern eingefasst war. Mitten auf dem freien Platz kniete mit gefalteten Händen ein Mädchen. Das um den Kopf geschlungene Tuch war zurückgefallen und ließ das abgelöste dunkle Haar sehen, das in dichten Ringen über die Schultern herabquoll. Das feine, von innerer Erregung gerötete Gesicht war mit einer Inbrunst aufwärts gerichtet, die nur dem tiefsten Grund des Herzens entstammen konnte; die Augen schwammen in Tränen und die Lippen bewegten sich zuckend wie im Schmerz.

„Sie betet!“, flüsterte der Fürst. „Hauptmann, hat Er vielleicht meine Anneliese einmal gesehen, als sie noch jung war?“

„Nein, Durchlaucht!“

„So seh Er sich das Mädchen da einmal recht genau an! Solch eine Ähnlichkeit ist mir fast noch nie vorgekommen.“ Er fuhr sich nachdenklich und sichtbar ergriffen mit der Hand über das alte, wetterharte Gesicht. „Was ihr nur fehlen mag?“

„Das könnten wir ja leicht erfahren.“

„Da hat Er Recht! Ich hab das Plappern und Frommtun niemals leiden mögen, aber dieses Gebet da kommt aus einer reinen und gläubigen Seele und sollte darum wohl Erhörung finden. Freilich kommt der liebe Herrgott nicht vom Himmel herunter, um gleich eigenhändig zuzugreifen, sondern er schickt seine Leute, die, wie zum Beispiel wir jetzt eben, das Ding beim rechten Zipfel anzufassen haben. Komm Er! Sie ist aufgestanden.“

Mit raschen Schritten eilte er zwischen den Büschen hindurch und stand nach wenigen Augenblicken vor dem Mädchen, das sich beim Anblick der beiden unbekannten Männer ängstlich hinter einen mit Waldstreu hab gefüllten Korb zurückzog.

„Brauchst dich nicht zu fürchten, Kleine!“, suchte sie der Fürst mit seinem mildesten Ton zu beruhigen. „Wir haben dich von der Straße aus beten sehen, und weil du ein frommes und braves Kind zu sein scheinst, so schickt uns der da droben, um dir zu helfen. Welcher Halunke ist denn schuld, dass du weinst, he?“

Sie stand fast zitternd vor dem Mann, der sie mit seinen dunklen Augen so eigentümlich anblitzte, dass sie ihre Fassung vollends schwinden fühlte. Noch hingen ihr die Tränen an den Wimpern und die zuckenden Lippen verrieten, dass die Flut von Neuem hervorzubrechen drohte.

„Weine nicht, sondern sage, was dir fehlt! Wenn es uns möglich ist, so werden wir dir helfen.“

Langsam und unsicher suchte ihr Blick den seinen und mit zitternder Stimme klang es leise: „Ihr könnt nicht helfen! Wer seid ihr?“

„Papperlapapp, nicht helfen! Das wird sich finden! Und wer wir sind? Nun, wir sind zwei Kerle, die schon manches fertig gebracht haben, was anderen Menschenkindern niemals gelungen wäre. Also, nur immer heraus mit der Antwort! Wie heißest du?“

„Ich heiße Emma und mein Vater ist der Schulmeister Brehmer in Ziemendorf.“

„Brehmer? Hm, hm! Stammt er von hier?“

„Nein; er ist gebürtig aus Ottersleben bei Magdeburg.“

„Brehmer – hm! Ottersleben – hm!“, brummte der Frager nachdenklich. „Ist er stets Schulmeister gewesen?“

„O nein! Er hat lange, lange Jahre beim Militär gestanden, wurde aber verwundet und musste infolgedessen seinen Abschied nehmen.“

„Dachte es mir doch; konnte mich nur nicht gleich besinnen! Nicht wahr, er bekam eine Kugel in die Achsel?“

„Ja“, antwortete sie, ihn überrascht anblickend. „Kennt Ihr ihn?“

„Ein wenig. Wenn ich mir das Ding richtig betrachte, so sind wir eigentlich Kriegskameraden.“

„Ist es wahr? Habt Ihr vielleicht auch mit dem Alten Dessauer gegen die Schweden gefochten?“

„Mit dem Alten Dessauer? Da muss doch gleich – na ja, du kannst nichts dafür, und ich hab’ wirklich einmal mit dem alten Grobian zu tun gehabt. Wer den zum General gemacht hat, kann es auch in seinem ganzen Leben nicht verantworten.“

„Oho!“, antwortete sie und es schien auf einmal alle Furcht von ihr gewichen zu sein. „Das solltet Ihr in Gegenwart meines Vaters sagen; der würde Euch eine Antwort geben, die sich gewaschen hätte.“

„So! Würde mich auch ganz gewaltig vor ihm entsetzen! Muss den Mann nur einmal aufsuchen, wenn wir jetzt nach Ziemendorf kommen. Ist er zu Haus?“

„Nein“, entgegnete sie, indem ihre Züge in den früheren traurigen Ausdruck zurückfielen. „Er ist gefangen.“

„Gefangen? Alle Wetter, was hat er denn verbrochen, dass er eingesponnen werden musste?“

„Nichts hat er verbrochen, gar nichts; er wollte nur den Paul zurückbringen und da hat man auch ihn festgehalten.“

„Den Paul? Wer ist denn der?“

„Das ist – das ist...“

„Aha, weiß schon, das ist dein Schatz? Na, na, brauchst dich nicht zu schämen. Hab’ auch einen Schatz gehabt, und was für einen! Also der Paul ist gefangen? Wo denn? Erzähl uns doch die Geschichte einmal ausführlich!“

„Ja, das ist so: Der Paul ist der einzige Sohn einer armen Witfrau und Oberknecht beim Wiesenbauer, der ein Gut hat, größer als manche herrschaftliche Domäne. Und weil er gar so brav und immer meines Vaters bester Schüler gewesen ist, so haben die Eltern es gern gesehen, dass er viel auf mich hält und mich – mich am Ende gar – noch heiraten will. Da aber ist der rote David aus Prezelle gekommen und mir auf Schritt und Tritt nachgelaufen, bis ihn der Paul einmal gehörig heimgeschickt hat. Aus Wut darüber hat er ihm gestern in der Nacht die hannoverschen Seelenverkäufer über den Hals geschickt, und die – die...“

Sie konnte nicht weiter, die Tränen erstickten ihre Stimme.

„Mord und Teufel! Die Lumpenröcke von da drüben hätten es gewagt, über die Grenze herüberzukommen und den Untertan eines fremden Souveräns zu pressen? Da sollen ihnen doch gleich nuenundneunzigtausend Hagelwetter auf den Hals fahren! Und dein Vater ist ihnen nachgegangen, um den armen Tropf aus der Tinte wieder herauszuangeln?“

„Ja, er hat bloß gute Worte geben wollen, aber sie sind auch über ihn hergefallen und haben ihn hinter Schloss und Riegel gesteckt.“

„Was? Einen alten, wohlverabschiedeten Soldaten und ehrlichen Schulmeister wie einen Spitzbuben und Strauchdieb um die Freiheit zu betrügen! Wartet, ich werde hinter euch herfahren wie die Watte hinter den Flöhen und euch das Kurfürstentum Hannover um die Köpfe schlagen, dass die lieben Englein im Himmel darüber singen, pfeifen und trompeten sollen! Wo stecken denn die Millionenhunde?“

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