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Im Lande des Mahdi II

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»Ich werde dir zeigen, über wem es flammt. Folgt mir jetzt diesen Weg hinauf!«

Die Kamele waren abgesattelt worden und weideten im Grase. Drei Asaker blieben bei ihnen zurück. Die andern Soldaten nahmen die Gefangenen zwischen sich und führten sie hinter mir her das Regenbett empor. Es läßt sich denken, wie die letzteren erschraken, als sie, oben angekommen, vierzig Kameraden gefangen an der Erde liegen sahen. Abd Asl schrie vor Wut laut auf und überflutete mich dann mit solchen Grobheiten und Beleidigungen, daß mein Ben Nil sich sofort der Peitsche bediente, um ihn zum Schweigen zu bringen. Die andern verhielten sich still; sie wurden alle wieder an den Füßen gebunden und zu den übrigen gelegt.

Jetzt konnte ich aufbrechen. Die zwanzig Mann, welche ich mit bei den Fessarah gehabt hatte, blieben da, um die Gefangenen und die Kamele zu bewachen; die vierzig, welche mir der Reïs Effendina gestern mitgegeben hatte, begleiteten mich. Eigentlich sollte Ben Nil die ersteren befehligen; aber er bat mich so dringend, ihn mitzunehmen, daß ich ihm die Erlaubnis dazu gab. Ich konnte dem Fessarah-Führer und dem alten Asaker, welcher den Befehl über seine Kameraden schon einmal geführt hatte, gar wohl das nötige Vertrauen schenken. An eine Ueberrumpelung war nicht zu denken, und da die Gefangenen gut gefesselt waren, so gab es gar keinen Grund, die zwanzig Asaker, deren Treue unzweifelhaft war, noch durch einen besondern Vertrauensmann überwachen zu lassen. Sie hätten sich überhaupt dadurch beleidigt fühlen können.

Es war bestimmt worden, daß ich eine Stunde nach der Morgenröte den Dschebel Arasch Qol erreichen werde. Als wir jetzt aufbrachen, war es etwas später, was aber keineswegs von Nachteil sein konnte. Ich schärfte den zurückbleibenden Asakern auf das entschiedenste ein, gute Wache zu halten, gab ihnen für gewisse Fälle, deren Eintreten immerhin im Bereiche der Möglichkeit lag, bestimmte Verhaltungsmaßregeln und war nun überzeugt, daß keine Unregelmäßigkeit, kein Fehler, vorkommen werde. Es war mir undenkbar, damit einen Fehler begangen zu haben, und doch hatte ich mich, wie sich später zeigte, eines zu großen Vertrauens schuldig gemacht.

Während ich mich gestern auf der Ostseite des Maijeh gehalten hatte, marschierten wir jetzt auf seiner westlichen Seite nach Norden. Der Raum zwischen ihm und dem Berge war hier von der Breite einer Viertelstunde, doch gab es verschiedene Aus- und Einbuchtungen, durch welche diese Breite zeitweilig verringert oder vergrößert wurde. Der Berg war oben kahl und nur an seinem Fuße mit Grün bestanden. Je weiter wir kamen, desto höher stieg er an und desto steiler wurden seine Felsen, auch trat der Maijeh immer weiter zu ihm heran.

Nachdem wir längere Zeit gegangen waren, näherte sich der Sumpf von rechts her so weit, daß wir stellenweise nur zu zweien nebeneinander gehen konnten. Vor uns tauchten einzelne Laubbäume auf, deren Blätter unpaarig gefiedert waren. Ich erkannte sie schon von weitem. Es waren die Gafulbäume, welche uns andeuteten, daß wir uns der Stelle näherten, an welcher wir auf Ibn Asl und seine Leute zu treffen rechneten. Als ich Ben Nil, welcher neben mir ging, darauf aufmerksam machte, sagte er: »Wollen wir nicht halten bleiben, Effendi? Es muß einer heimlich vorkriechen, um zu erkunden, wo die Sklavenjäger stecken.«

»Das ist überflüssig. Es ist ja heller Tag.«

»Aber du hast dich auch schon bei Tage angeschlichen!«

»Weil das Terrain es mir erlaubte. Hier aber ist die Oertlichkeit, auf welcher man sich bewegen kann, zu schmal. Ibn Asl hat jedenfalls einen Posten ausgestellt. Dieser braucht nur auf den schmalen Weg zu achten, um einen etwaigen Kundschafter von uns sofort gewahren zu können. Nein, wir marschieren ruhig weiter.«

»Dann laufen wir ihnen doch gerade in die Hände!«

»Das will ich ja! Man wird keineswegs sofort auf uns schießen, sondern uns anrufen. Ibn Asl will mich lebendig haben; er hat jedenfalls Befehl gegeben, nicht auf mich zu schießen. Wenn ich also vorangehe, seid ihr sicher. Bleib mit den andern ein wenig zurück, und laß mich ungefähr dreißig Schritte weit vor euch herschreiten. Wenn ich stehen bleibe, so bleibt auch ihr solange halten, bis ich euch befehle, heranzukommen.«

»Ich muß dir leider gehorchen, möchte aber lieber an deiner Seite bleiben, denn die Entscheidung liegt ganz nahe vor uns.«

»Noch nicht. Ibn Asl wird sich nicht eher zeigen, als bis wir uns mitten in der eigentlichen Enge befinden, die wir noch gar nicht betreten haben.«

»Aber wenn der Reïs Effendina dann noch nicht zur Stelle ist!«

»So hätte es auch keine Gefahr für uns. Wir würden ihm Ibn Asl zutreiben. Zu befürchten wäre für uns nichts, da wir ja keinen Feind hinter uns haben. Es wäre nur der eine Nachteil zu befürchten, das Ibn Asl uns entkommen könnte.«

Wir setzten den Weg in der angedeuteten Weise fort. Ich ging allein voraus, und die andern folgten mir in der angegebenen Entfernung. Als ich die ersten Gafulbäume passiert hatte, bog der hier nun ganz schmal werdende Weg scharf nach rechts ab, denn die bereits erwähnte Bucht des Sumpfes begann hier an dieser Stelle.

Sie trat von links her weit in den Felsen hinein. Dieser stieg senkrecht empor und bildete, um mich so ausdrücken zu dürfen, einen halben Hohlcylinder, an dessen Wand der Fuß eines Menschen unmöglich zu haften vermochte. Zu meiner linken Hand lag der Sumpf, vollständig mit Omm Sufah bedeckt, zwischen welcher einzelne freie, ölig glänzende Wasserstellen wie triefende Hexenaugen zu mir heraufstarrten. Von der obern Kante der Felsen waren Steine abgebrochen und heruntergestürzt. Sie lagen neben- und übereinander, von feuchtem Moose überzogen oder von verwesenden, stinkigen Pflanzenresten bedeckt, durch oder über welche der oft ausgleitende Fuß nur mit Vorsicht schreiten durfte.

Wer hier von vorn und zugleich von hinten angegriffen wurde, der konnte sich unmöglich wehren, der mußte sich ergeben. Rechts boten ihm die unersteiglichen Felsen keinen Weg zur Flucht, und links gähnte der Sumpf, aus dessen Schilf die widerlichen Köpfe unzähliger Krokodile glotzten. Es war so recht ein Ort des Schreckens, des Verderbens. Also ich allein sollte hier geschont werden, um für noch viel entsetzlichere Qualen aufgehoben zu sein; meine Asaker aber sollten in den Sumpf gedrängt, hineingeschleudert werden, ein Fraß für die Saurier, welche da unten in solcher Menge vorhanden waren, daß es schien, sie könnten nur dadurch das Leben fristen, daß die stärkeren die schwächeren verzehrten.

Wäre es unmenschlich gewesen, wenn ich den Sklavenjägern ganz das gleiche Schicksal bereitete? Wieviel Blut klebte an ihren Händen! Wieviele tausend und aber tausend Neger waren von ihnen unglücklich gemacht worden! Es schien mir, als sei es für sie keine zu harte, sondern nur eine sehr gerechte Strafe, sie in den Maijeh hinabzustoßen. Wie du mir, so ich dir, das ist das Gesetz der Wüste ebenso wie dasjenige der Prairie, der Savanne, der Pampas und Llanos Südamerikas, und wenn – – aber ich konnte diesen Gedanken nicht vollständig ausdenken, denn gar nicht weit von mir ertönte eine laute, gebieterische Stimme:

»Halt, keinen Schritt weiter, sonst schießen wir!«

Ich blieb stehen und blickte scharf nach vorn. Da standen zwei Gafulbäume nebeneinander, und vor denselben lagen einige große Felsstücke, hinter denen drei Männer versteckt sein mußten, denn ich sah ebensoviele Gewehrläufe, welche auf mich gerichtet waren – eine fatale Situation, denn es bedurfte dort nur eines Fingerdruckes, so fuhr mir das tödliche Blei in den Körper.

»Wer bist du denn?« fragte ich, indem ich that, als ob ich nur einen vor mir zu haben glaubte.

»Ich bin ein alter Bekannter von dir. Willst du mich sehen?« antwortete es.

»Natürlich!«

»Lege deine Waffen weg, dann trete ich hervor!«

»Daß ich ein Thor wäre!«

Ich that einen Sprung nach dem nächsten Baume, hinter dessen Stamm ich vollste Deckung fand. Diese Leute befanden sich jedenfalls in Verlegenheit. Sie waren zur rechten Zeit hier eingetroffen und warteten auf das Zeichen, welches ihnen der Scheik el Beled hatte geben wollen. Ich war ihnen auf den Leib gerückt; sie konnten mich unmöglich näher kommen oder gar vorüber lassen, und doch hatten sie sich erst dann sehen lassen sollen, wenn der Schuß des Scheiks gefallen war. Was nun thun? Durch Redensarten Zeit gewinnen? Fast schien es so, denn der Sprecher erwiderte:

»Wir können dich leicht zwingen, wenn wir nur wollen; aber du sollst auf friedliche Weise erfahren, was wir von dir verlangen.«

»So sage es!«

»So nicht. Laß deine Waffen zurück, und komm bis zu dem Steine, der mitten zwischen uns liegt! Ich werde dasselbe thun.«

»Gut, ich komme. Aber wenn ich nur die geringste Waffe, das kleinste Messer bei dir bemerke, fährst du dorthin, von wo du nicht wiederkommen kannst!«

Ich steckte die Revolver in die Hosentaschen, lehnte das Gewehr an den Stamm und legte das Messer daneben. Ich hätte die Revolver ruhig zurücklassen können, denn ich war meiner Sache vollständig sicher. Ein Blick nach rückwärts belehrte mich, daß meine Leute halten geblieben waren. Die Vordersten von ihnen, dabei Ben Nil, standen hinter einem Gebüsch, welches ein Eck bildete; sie konnten zwar von mir, nicht aber von dem, der mit mir sprach, gesehen werden. Wer dieser war, das wußte ich, denn ich hatte ihn an der Stimme erkannt. Es war der Oberlieutenant von Ibn Asl. Warum aber redete mich dieser nicht selbst an?

Ganz getrost hinter meinem Baume hervortretend, ging ich nach dem mir bezeichneten Steine und blieb dort stehen. Da ließ sich auch der Oberlieutenant sehen; er kam auf mich zu, blieb einige Schritte vor mir stehen und fragte in höhnischem Tone:

»Mich hast du hier wohl nicht erwartet?«

»Ja und auch nein,« antwortete ich ruhig. »Ich wußte, daß ich von euch hier erwartet werde. Und sage auch nein, weil ich glaubte, nicht von dir, sondern von Ibn Asl angeredet zu werden.«

 

»Allah! Du wußtest, daß wir hier auf dich warten?«

»Pah! Ich weiß noch mehr; ich weiß alles. Jetzt wartest du auf das Zeichen, welches der Scheik el Beled euch geben wollte. Oder ist‘s nicht so, daß ein Schuß aus seiner Flinte euch den Beginn der Feindseligkeit andeuten sollte?«

»Allah ist allwissend. Er hört, sieht und kennt alles. Wie aber kannst du von dem Scheik und seiner Absicht wissen!«

»Das werdet ihr erfahren. Rufe Ibn Asl herbei!«

»Er ist nicht da.«

»Ich weiß, daß er sich hier befindet!«

»Du weißt es? So ist deine berühmte Allwissenheit doch nicht so bedeutend, wie du uns glauben machen willst. Wenn du wüßtest, wo Ibn Asl sich jetzt befindet, so würdest du dich weit weniger zuversichtlich, als du jetzt bist, zeigen!«

Diese Worte gaben mir zu denken. Hätte ich doch Ben Nil bei den Gefangenen zurückgelassen! Ich ahnte nämlich jetzt sofort, daß Ibn Asl seinen Plan, soweit es nämlich seine Person betraf, geändert habe. Er traute dem Scheik wohl nicht genug Umsicht zu und hatte darum das Kommando hier seinen beiden Offizieren übergeben und war nach dem nördlichen Ende des Maijeh gegangen, um die dortigen vierzig Sklavenhändler hinter mir herzuführen. Glücklicherweise war er zu spät dort angekommen. Wir hatten diese Leute gefangen genommen. Wenn ich mir nun auch sagte, daß er allein sie unmöglich befreien könne, so konnte er doch noch Leute bei sich haben, oder es konnte irgend ein Zufall ihm eine unvorhergesehene Gunst erweisen. Auf alle Fälle aber stand uns seine Gefangennahme nicht so sicher bevor, wie wir bisher geglaubt hatten. Natürlich ließ ich mir von meiner Besorgnis nichts merken, sondern antwortete mit einem überlegenen Lächeln:

»Wo er sich befindet, brauchst du mir nicht zu sagen. Er ist hier am Maijeh. Steht er nicht da vorn bei den sechzig Mann, so ist er zu den vierzig Mann gegangen, welche in dem Thalkessel des Regenbettes auf mich warten sollten.«

»Ja latif – du meine Güte! Er weiß es von dem Regenbette!« rief der Oberlieutenant. »Wer hat es dir verraten?«

»Ich weiß es; das ist genug. Ich habe dir schon gesagt, daß ich alles weiß. Ihr Dummköpfe solltet euch nun endlich doch einmal sagen, daß ihr mich nicht täuschen oder mir gar eine Falle, in der ich mich fange, stellen könnt. Die Falle, in welcher wir uns jetzt befinden, habe ich euch gestellt, nicht ihr uns.«

»Du? Und diese Falle?« lachte er höhnisch auf. »Ich will nicht sagen, daß Allah dich mit Blindheit geschlagen hat, denn du hast bisher nur mich sehen können; aber ich will dir mitteilen, daß du mit deinen zwanzig Asakern rundum eingeschlossen bist. Du hast uns vorhin Dummköpfe genannt, und doch ist mir noch nie im Leben so ein Dummkopf, wie du bist, vorgekommen!«

»Wirklich? Willst du mir das beweisen, du Klugkopf aller Klugköpfe?«

»Der Beweis ist sehr leicht. War es nicht die größte Dummheit, die es geben kann, daß du dem Scheik el Beled erzähltest, daß du die Absicht hattest, deine Gefangenen hierher zu führen, um sie den Krokodilen vorzuwerfen?«

»Eine Dummheit ist das gewesen? Mann, ich möchte vor Mitleid über dich weinen! Nicht eine Dummheit war es, sondern eine sehr schlaue Berechnung, welche sich in diesem Augenblicke als ganz richtig erweist.« Und nun erzählte ich ihm, wie ich es angefangen und was ich bereits erreicht hatte. Da schlug er die Hände zusammen und rief aus:

»O Allah, o Muhammed! Das – das – das soll man glauben?!«

»Wenn du es nicht glauben willst, wirst du es glauben müssen. Wo ist der Scheik mit seinen vierzig Männern? Warum giebt er nicht das verabredete Zeichen? Warum schießt er nicht?«

»Er kommt noch; er kommt ganz sicher noch! Und wenn er nicht käme, so dürftest du doch nicht triumphieren. Du hast nur zwanzig Mann bei dir; wir aber sind noch über sechzig Köpfe und werden – —«

»Nichts werdet ihr, gar nichts! Ihr könnt nichts anderes thun als euch auf Gnade und Ungnade ergeben.«

»Hältst du uns für wahnsinnig?«

»Da ihr so bereitwillig und unüberlegt in meine Falle gelaufen seid, sollte ich euch freilich für unsinnig halten. Aber du gehst mit dieser deiner Frage von einer sehr falschen Voraussetzung aus. Du glaubst, den Rücken frei zu haben; dies ist aber keineswegs der Fall, denn hinter euch steht jetzt der Reïs Effendina mit seinen Asakern.«

»Der – Reïs – Effen – dina?« stotterte er. »Du lügst!«

»Ich sage die Wahrheit. Und auch ich habe nicht zwanzig Köpfe, sondern viel, viel mehr bei mir. Zwanzig hatte ich erst, und ich habe dir ja gesagt, daß mir gestern abend der Reïs Effendina noch andere Leute mitgegeben hat. Ich fordere dich hiermit auf, die Waffen zu strecken. Wenn du dich dessen weigerst, wird mit euch geschehen, was ihr uns thun wolltet: wir werden euch den Krokodilen vorwerfen.«

»Effendi, was fällt dir ein! Du willst mich durch Lügen – —«

»Sei still, und beleidige mich nicht!« unterbrach ich ihn in strengem Tone. »Ich will die Gnade haben, dir die Wahrheit meiner Worte zu beweisen, damit unnützes Blutvergießen verhütet werde; – – Reïs Effendina —! Emir —!«

Ich rief diese beiden Namen, indem ich die beiden Hände hohl an den Mund legte, über den Busen des Sumpfes hinüber.

»Hier sind wir, Effendi, hier!« ertönte die Antwort, und zwar aus viel größerer Nähe, als ich sie zu hören geglaubt hatte.

»Nun?« fragte ich den Oberlieutenant. »Hörst du an dem Schalle, daß der Emir nicht zweihundert Schritte von mir steht?«

»War er das?«

»Wer sonst soll es gewesen sein? Mein Ruf hat ihm gesagt, daß ich da bin, und nun wird er vorwärts rücken. Ich rate dir, dich zu ergeben. Du sollst auch meine Leute sehen.«

Ich wendete mich rückwärts und winkte. Da brach Ben Nil mit seinen vierzig Asakern hinter dem Gesträuch hervor und kam schnell herbei. Die Leute hielten ihre Gewehre schußbereit. Zwar mußten sie hintereinander gehen; aber da der Weg einen Bogen machte, brauchten sie sich nicht bloß nach vorn zu richten, sondern konnten ihre Kugeln über den Busen hinüber und zu den Sklavenjägern senden. Als der Oberlieutenant diese meine Leute kommen sah, rief er aus:

»O Allah! Das sind ja fast hundert Mann! Ich lasse mich nicht von ihnen erwischen. Effendi, ich gehe, ich gehe!«

Er sprang nach den Bäumen, hinter welchen er gesteckt hatte und holte sein Gewehr. Dann eilte er noch weiter zurück, gefolgt von den beiden andern, die ihm dort Gesellschaft geleistet hatten. Wir avancierten eine kurze Strecke hinter ihm her, bis ich sah, daß es leidliche Deckung für uns gab. Ich glaubte nicht, daß es zum Kampfe kommen werde, dennoch stellte ich meine Leute so, daß sie hinter Steinen, Bäumen oder Büschen möglichst verborgen steckten.

Nun wartete ich, was geschehen werde. Ich war bereit und mußte vorerst erfahren, was auf der Seite unsers Emir geschah. Der Oberlieutenant hatte einen heilsamen Schreck erhalten. Er war von der langen Einzellinie meiner Leute so getäuscht worden, daß er sie für viel zahlreicher hielt, als sie waren. Das konnte mir nur lieb sein. Für je übermächtiger er uns hielt, desto größer mußte seine Besorgnis sein und also auch seine Bereitwilligkeit, sich zu ergeben.

Da hörte ich jenseits des Busens laute Stimmen; die Worte aber, welche gesprochen wurden, konnte ich nicht verstehen. Dann erdröhnte ein Schuß, noch einer, ein dritter und ein vierter. Menschen schrieen. Dann wurde es plötzlich wieder ruhig. Eine Viertelstunde verging. Da kam ein Mann um die Krümmung des Weges; er trug die Uniform der Asaker des Emirs. Ich trat hinter dem Baume, an welchem ich stand, hervor. Ich kannte ihn; ein Betrug war unmöglich. Als er mich sah, kam er schnell auf mich zu.

»Die Sklavenjäger haben dich durchgelassen?« fragte ich voller Hoffnung.

»Ja, Effendi; sie mußten, denn sie haben die Waffen gestreckt,« antwortete er.

»Gott sei Dank! Aber es fielen Schüsse!«

»Der Emir wollte ihnen zeigen, daß wir Ernst machen. Es sind vier von ihnen erschossen worden; dann erst baten die beiden Offiziere um Gnade. Nun sollst du mit deinen Leuten näher kommen, um mitzuhelfen, den Gefangenen die Hände zu binden.«

Auf diese Weisung hin marschierten wir vorwärts und stießen sehr bald auf die ersten Feinde. Diejenigen, welche ich sehen konnte, hielten ihre Gewehre noch in den Händen, machten aber keine Miene, sie gegen uns zu gebrauchen.

»Effendi!« hörte ich die Stimme des Emirs rufen.

»Hier!« antwortete ich.

»Die Gegner legen die Waffen nieder und werden, die Hände hinten gefesselt, immer einer an den andern gebunden, so daß sie eine Einzelreihe bilden und so auf dem schmalen Wege transportiert werden können. Laß keinen entkommen. Wir marschieren nach dem Regenbette.«

Dieses Arrangement war bei der Schmalheit des Weges das einzig richtige. Oft konnten nur zwei nebeneinander stehen. Die Stricke und Riemen zum binden, ebenso die erbeuteten Waffen, mußten von dem einen dem andern zugereicht werden. Als ich vorn fertig war und der Emir von sich dasselbe gemeldet hatte, setzten wir uns in Bewegung, zunächst meine Asaker voran, darauf die Gefangenen und dann der Emir mit seinen Leuten. Nachdem später der Weg breiter geworden war, bildeten wir aus der Einzelreihe der Sklavenjäger eine doppelte, neben welcher die Asaker hermarschierten, immer ihre Waffen zum Gebrauche bereit, um einen etwaigen Fluchtversuch zu vereiteln. Später konnten wir es uns noch bequemer machen, und da kam auch der Emir nach vorn, um mit mir zu sprechen. Er war natürlich ebenso wie ich über das Gelingen unseres Unternehmens erfreut, ärgerte sich aber auch in demselben Grade darüber, daß wir Ibn Asl nicht mit erwischt hatten.

»Wo mag er stecken?« fragte er.

»Hat der Oberlieutenant es dir nicht gesagt?«

»Er gestand mir, daß er nach dem Regenbette sei. Dieser Gedanke scheint ihm erst gegen Morgen gekommen zu sein. Vielleicht ergreifen wir ihn noch.«

»Schwerlich! Nämlich wenn er nicht schon ergriffen worden ist.«

»Von unseren Wächtern am Kessel des Regenbettes?«

»Nein, sondern von den Kamelwächtern. Ehe er den Kessel erreichen konnte, mußte er an diesen Leuten vorüber.«

»Wieviele sind es?«

»Solange ich dort anwesend war, hielt ich drei Personen für ausreichend; aber als ich fortging, befahl ich, daß noch zwei dazu kommen sollten.«

»Das genügt vollständig. Gegen fünf Mann hat Ibn Asl unmöglich etwas machen können.«

»Durch Gewalt wohl nicht, aber ob auch nicht durch List —?!«

»Welche List hätte er in Anwendung bringen können?«

»Hm! Ist er allen deinen Asakern persönlich bekannt?«

»Nein.«

»So steht zu erwarten, daß er sich für einen andern ausgegeben hat. Ist ihm Glauben geschenkt worden, so kann er uns wohl bedeutenden Schaden angerichtet haben.«

»Das ist wahr. Wollen uns beeilen!«

»Soll ich nicht lieber vorausgehen? Je eher einer von uns ankommt, desto leichter ist ein etwa vorgefallener Fehler gut zu machen.«

»Ja, eile vor uns her, und nimm deinen Ben Nil mit, auf den du dich verlassen kannst! Wir kommen so schnell wie möglich nach.«

Es zeigte sich leider, daß meine Befürchtung nicht unbegründet gewesen war. Als ich mit Ben Nil an die Nordseite des Berges gelangte und da die weidenden Kamele erblickte, sah ich zugleich etwas, was mir bewies, daß nicht alles in Ordnung sei. Außerhalb des Platzes, auf welchem sich die Kamele befanden, standen fünf Wächter, und innerhalb dieses Halbkreises, da, wo das Regenbett in den Berg zu schneiden begann, gab es eine Gruppe von Menschen, welche sich nicht hier befinden durften, wenn nichts Regelwidriges geschehen war. Es waren fünf Personen. Zwei lagen an der Erde, und drei kauerten bei ihnen, indem sie sich mit ihnen beschäftigten. Als diese drei uns kommen sahen, sprangen sie auf und blieben stehen, um unser Nahen zu erwarten. Es war der Fessarahführer, der alte Askari, dem ich den Befehl übergeben hatte, und noch ein Soldat. Schon von weitem sah ich es ihnen an, daß sie sich in einer nicht ungewöhnlichen Verlegenheit befanden.

»Was ist denn geschehen?« fragte ich sie. »Warum liegen diese zwei, ohne sich zu bewegen, an der Erde?«

»Sie sind – – verwundet, Effendi,« antwortete der Alte.

»Von wem?«

»Von einem Fremden.«

»Wie ist das möglich gewesen? Kanntet ihr den Mann?«

»Nein. Ich habe ihn gar nicht gesehen, und dieser da,« – er deutete auf den Soldaten – »welcher mit Wache stand, hat ihn nicht gekannt.«

»Und die andern Wächter?«

»Ob diese den Mann gekannt haben, weiß ich nicht; ich kann sie nicht darnach fragen, da sie ohne Besinnung sind.«

»Aber das sind zwei, und dieser Soldat hier, das ergiebt drei; ich hatte aber doch befohlen, daß fünf bei den Kamelen sein sollten!«

»Effendi, es sind jetzt ja fünf Mann da!« meinte der Alte, indem er die Augen niederschlug.

 

»Fünf!« zürnte ich. »Jetzt sind in Summa zehn Mann hier; also befinden sich nur zehn, anstatt fünfzehn Personen droben bei den Gefangenen. Was ist das für eine Wirtschaft! Wenn du meinen Anordnungen nicht besser Gehorsam leistest, ist es freilich nicht zum verwundern, daß solche Dinge geschehen. Du bist der älteste der Asaker; aber hätte ich einem Kinde den Oberbefehl übergeben, so wären meine Weisungen jedenfalls gewissenhafter befolgt worden. Und diese beiden Männer sollen nur verwundet sein?«

»Ich denke es, Effendi; ich hoffe es, daß sie nur besinnungslos sind und bald wieder zu sich kommen.«

»Habt ihr euch mit ihnen beschäftigt?«

»Schon seit einer Stunde; sie wollen aber trotz unserer Bemühungen nicht erwachen.«

»Das glaube ich wohl. Sieh doch ihre Gesichter an! Das sind hippokratische Züge. Wollen einmal sehen!«

Ich kniete nieder, um die Verwundeten, welche in einer Blutlache lagen, zu untersuchen. Der eine war in den Hinterkopf und der andere in die Brust geschossen. Man hatte ihnen nicht einmal die Jacken geöffnet. Sie waren tot.

»Mensch,« fuhr ich den Alten zornig an, »hast du denn keine Augen gehabt! Diese beiden Leute sind nach den Schüssen, welche sie erhielten, sofort tot gewesen. Und nun will ich wissen, wie dieses Unglück geschehen konnte und wie es geschehen ist!«

»Effendi, frage den; der war dabei!«

Er deutete auf den Soldaten.

»Erzähle!« gebot ich diesem.

»Herr,« begann dieser zaghaft, »mich trifft keine Schuld; das glaube mir! Wir drei hatten eben die Wächter abgelöst – —«

»Ihr drei?« fiel ich ihm in die Rede. »Also sind es selbst nach der Ablösung trotz meines bestimmten Befehles nur drei Posten gewesen?«

»Ja; aber ich kann nicht dafür.«

»Das weiß ich, denn du warst es ja nicht, der zu bestimmen hatte. Weiter!«

»Also wir drei hatten eben die Wächter abgelöst, als wir einen Mann sahen, der um den Sumpf herum und über die Steppe kam. Seine eiligen Schritte waren gerade auf uns gerichtet; aber als er uns erblickte, blieb er wie erschrocken stehen. Dann kam er langsam auf uns zu.«

»Er war bewaffnet?«

»Ja. Ich stand ihm am nächsten und rief ihn an. Er gehorchte, blieb stehen und kam erst dann vollends heran, als ich ihm die Erlaubnis dazu erteilt hatte.«

»Das war ein Fehler. Entweder durftet ihr ihn gar nicht heranlassen, oder ihr mußtet ihn gefangennehmen.«

»Dieses letztere wollten wir ja auch, und nur darum erlaubten wir ihm, zu uns zu kommen.«

»Fragte er, wer ihr seid?«

»Ja.«

»Und du antwortetest?«

»Ja. Es gab doch keinen Grund, ihm zu verschweigen, daß wir Asaker des Reïs Effendina sind!«

»Es gab wohl Grund, und zwar allen, allen Grund!

Du hast da eine Albernheit begangen, welche ganz unverzeihlich ist. Er wollte erfahren, wen er vor sich hatte, um darnach seine Antworten und Auskünfte einzurichten. Siehst du das nicht ein? Er war klüger als ihr. Ich muß unbedingt ganz genau erfahren, was geschehen ist; ich muß jedes Wort wissen, was gesprochen wurde, womöglich sogar die Reihenfolge der Fragen und Antworten. Besinne dich also, und gieb ehrlich Auskunft! Nur dadurch kannst du dir meine Verzeihung, welche du gar nicht verdient hast, erwerben. Also er fragte zuerst, was?«

»Wer wir seien. Ich sagte es ihm. Dann wollte er wissen, wo unsere Kameraden seien. Ich wollte es ihm nicht sagen, und da teilte er mir mit, daß er ein Freund des Emirs sei.«

»Das glaubtest du?«

»Nicht sofort. Ich war vorsichtig, Effendi, und sagte ihm in das Gesicht, daß seine Worte Lügen seien. Da aber begann er, sehr stolz zu sprechen. Er behauptete, ein Eilbote des Gouverneurs von Chartum zu sein; er sei an den Reïs Effendina abgesandt, um diesem höchst wichtige Befehle zu bringen.«

»Der Gouverneur von Chartum hat dem Emir nichts zu befehlen!«

»Das wußte ich nicht. Er gab sich für einen hohen Offizier, nämlich für einen Mir Alaj[36] aus und sprach in einer so befehlshaberischen Weise zu uns, daß wir ihm Glauben schenken mußten.«

»Mußten? Wenn ein Hund dich anbellt, anstatt demütig zu winseln, mußt du ihn deshalb für einen Löwen halten? Doch weiter! Er hat sich jedenfalls nach allem erkundigt?«

»Ja. Er kannte auch dich und sprach so freundlich von dir, daß unser Mißtrauen völlig schwand. Er wollte wissen, wo du seist, wo die Gefangenen sich befänden; kurz, wir mußten ihm alles, alles sagen.«

»Daß die Gefangenen da oben im Kessel des Regenbettes sind?«

»Ja. Wir mußten ihm erzählen, wie die vierzig Mann heute früh in unsere Hände geraten seien.«

»So erfuhr er auch, daß der Reïs Effendina sich hier am Maijeh befindet und wieviel Asaker er bei sich hat?«

»Auch das.«

»Sagtet ihr auch, in welcher Weise wir In Asl fangen wollten?«

»Darnach fragte er uns ganz besonders und eindringlich.«

»Nun, da haben gerade die richtigen Kerle für ihn dagestanden. Er konnte sie sich gar nicht dümmer und leichtgläubiger wünschen! Wo habt ihr nur eure Köpfe und eure Gedanken gehabt! Diesem fremden Manne alles, alles zu sagen, anstatt ihn festzunehmen und ihm bis zu meiner Rückkehr alles zu verheimlichen, wie es eure Pflicht und Schuldigkeit war! Wie sah er aus?«

»Er trug einen weißen Haïk, Effendi.«

»Seine Gestalt?«

»Er war nicht lang, aber sehr breit.«

»Sein Gesicht?«

»Es war ganz von einem schwarzen Vollbart bedeckt.«

»Dachte es mir! Weißt du denn, du Sohn, Enkel und Urenkel eines Großvaters der Albernheit, mit wem du da gesprochen und wem du diese wichtigen Dinge verraten hast? Ibn Asl war es, der berüchtigte Sklavenjäger, der Anführer unserer Feinde in eigener Person!«

»Allah w‘Allah! Wäre es möglich?!«

»Natürlich! Denn bei dir ist alles möglich, selbst die allerunmöglichste Kopflosigkeit, wie du ja bewiesen hast! Was that er denn, nachdem du ihm eine so schöne und ausführliche Auskunft erteilt hattest?«

»Er verlangte mit demjenigen zu sprechen, dem du das Kommando hier übergeben hättest.«

»Gut! Weißt du denn, was eigentlich nun geschehen mußte?«

»Was, Effendi? Ich glaube keinen Fehler gemacht zu haben.«

»Hättet ihr richtig gehandelt, so stände es jetzt hier anders. Während einer von euch hier bei den Kamelen blieb, mußten die beiden andern ihm die Waffen abfordern und ihn dann in die Mitte nehmen, um ihn zu dem Kommandierenden zu bringen. Habt ihr dies etwa gethan?«

»Nein, das nicht.«

»Und warum nicht?«

»Weil er befahl, es sollte einer von uns gehen, um den Kommandanten zu holen.«

»Und wer ging?«

»Ich.«

»Das hat dir das Leben gerettet. Drei waren ihm doch zu viel und zu gefährlich; darum schickte er einen fort, um mit den andern leichter fertig werden zu können. Erzähle weiter!«

»Ich ging. Ich hatte doch noch Verdacht gegen ihn und blieb, als ich mich zwischen den hohen Ufern des Regenbettes befand, stehen, um zu überlegen, ob es nicht vielleicht besser sei, ihn gleich mitzunehmen. Indem ich so darüber nachdachte, hörte ich zwei Schüsse schnell hintereinander fallen. Das war bei den Kamelen. Ich sprang auf das eiligste zurück und sah diesen Mann das weiße Hedschihn besteigen; meine beiden Kameraden aber lagen an der Erde. Wie du jetzt gesagt hast, sind sie von ihm erschossen worden.«

»Schossest du nicht nach ihm?«

»Natürlich! Ich legte mein Gewehr sofort auf ihn an und zielte nach seinem Kopfe; aber die Kugel ging leider fehl, und dann war er mit dem Kamele so schnell und so weit fort, daß ihn meine zweite Kugel gar nicht erreichen konnte.«

»Wohin ritt er?«

»Dahin, woher er gekommen war.«

»Also östlich?«

»Ja; er verschwand hinter dem Sumpfe.«

»Und dann?«

»Dann kam der Alte hier, denn er hatte die Schüsse auch gehört. Ich erzählte ihm, was geschehen war. Da stellte er fünf Wächter her, und wir gaben uns Mühe, die Toten aufzuwecken, haben aber, bis du kamst, keinen Erfolg gehabt.«

»Ja, jeder Dummkopf macht erst dann, wenn es zu spät ist, seine Fehler gut! Ihr seid schuld am Tode eurer Kameraden und an dem Entkommen des Sklavenjägers. Ich will nicht mit euch rechten, sondern dies dem Reïs Effendina überlassen. Ich will lieber versuchen, eure Thorheit ungeschehen zu machen, obgleich ich überzeugt bin, daß dies fast unmöglich ist. Helft mir schnell, mein und Ben Nils Kamel zu satteln; sie sind die schnellsten von allen. Wir werden Ibn Asl nachreiten. Du aber, Alter, kehre jetzt zu den Gefangenen zurück! Da du nur zehn Wächter bei ihnen gelassen hast, könnte zu dem ersten Unfalle leicht noch ein zweiter kommen. Dem Reïs Effendina melde, daß ich wohl nicht sehr lange fortbleiben werde.«

36Oberst.