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Buch lesen: «Der beiden Quitzows letzte Fahrten», Seite 7

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»Nun, wie ist derselbe geheißen?«

»Grabsdorf.«

»Und wo liegt er?«

»Dort,« berichtete er, mit der ausgestreckten Hand die Richtung bezeichnend, in welcher der Ort lag.

»Ist es dort möglich, eine Erfrischung zu bekommen?«

»Vielleicht.«

»Höre, Bursche,« mengte sich jetzt einer der beiden Begleiter mit in das Gespräch, »Du scheinst mir ein sehr einsylbiger Kauz zu sein, aber ich mache Dich darauf aufmerksam, den Mund etwas besser aufzuthun, wenn wir ihn Dir nicht etwa öffnen sollen!«

Dietrichs Auge überflog den Sprecher mit einem verächtlichen Blicke; dann drehte er sich zur Seite und fuhr in seiner Beschäftigung fort.

»Nun?« frug der junge Herr, jetzt selbst etwas ungeduldig. »Kannst Du uns Niemanden nennen, uns den Weg zeigen oder, was noch besser wäre, uns nach Grabsdorf führen?«

»Namen brauche ich Euch nicht zu sagen, denn Ihr werdet abgewiesen oder aufgenommen von einem Jeden, wie es ihm eben paßt. Den Weg habe ich Euch schon gezeigt; da hinter der Waldesecke liegt das Dorf, und mein Mitgehen ist also nicht nothwendig.«

»Aber wir halten es doch für besser, daß Du uns begleitest,« entgegnete der Reisige. »Lege Deine Hacke weg und komme mit uns!«

»Das werde ich wohl bleiben lassen!«

»Das wirst Du wohl thun müssen!« lautete die drohende Erwiderung, indem der Sprecher sein Pferd näher an Dietrich drängte.

»Wollt Ihr es mir vielleicht gebieten?« frug dieser, indem seine Hand sich fester um den Stiel der Hacke legte und sein dunkles Auge kampfeslustig blitzte. »Ich bin ein armer Bauersmann, aber ich habe Niemandem Gehorsam zu leisten als unserm Herrn, dem Ritter Werner von Holzendorf!«

»Dem Herrn Werner gehört Grabsdorf? Daran habe ich gar nicht gedacht!« fiel der Jüngling ein, indem er sich an seine Begleitung wendete. »Wie ist es denn da um unsere Sicherheit bestellt, Ihr Mannen?«

»Der Ritter Werner von Holzendorf sitzt als Markgräflicher Hauptmann auf Schloß Bötzow; er ist ein Diener des gnädigen Herrn, und so dürfen wir wohl auf seinem Grund und Boden weilen.«

»Das lügt Ihr!« rief ihm Dietrich, sich vergessend, dazwischen. »Wer hat Herrn Werner zum markgräflichen Hauptmann gemacht? Wohl der Burggraf? Und wer ist es, der Euch die Unwahrheit berichtete, daß der Ritter ein Diener des »gnädigen Herrn« sei, wie Ihr zu sagen beliebt? Wohl auch der Burggraf selbst?«

»Sei ruhig Gesell, sonst schlagen wir Dich auf den Mund! Wie kannst Du es wagen, den Herrn Markgrafen Friedrich von Zollern einen Lügner zu nennen, da sein erlauchter Sohn, der Prinz Johann, selbst sich vor Dir befindet!«

Bei diesen Worten leuchtete es blitzartig über Dietrichs Angesicht. Welch’ ein Glück, welch’ ein Zufall! Bot sich hier nicht eine treffliche Gelegenheit zur Rache, eine Gelegenheit, sich die theuersten Vortheile zu erringen? Doch schnell beherrschte er sich und antwortete mürrisch:

»Das habe ich nicht gewußt und bekümmere mich auch gar nicht um Eure dummen Geschichten. Aber da Ihr der Prinz seid, so will ich Euch den Weg zeigen!«

Seine Hacke auf die Schulter nehmend, schritt er von dannen, ohne sich viel umzusehen, ob die Drei ihm auch folgten.

Die Gedanken, welche er vor Ankunft der drei Reiter gehegt hatte, waren vollständig verschwunden und ganz anderen gewichen, welche jetzt gleich eilenden Pfeilen seinen Kopf durchschwirrten. Es dünkte ihm, als sei es ihm jetzt in die Hand gegeben, sein Schicksal auf glücklichere und hoffnungsreichere Wege zu bringen. Das Vorhaben war kühn und gewagt, ja, es war vielleicht nur durch eine That auszuführen, welche, wenn auch von seinen Freunden bewundert und gutgeheißen, doch vom Munde seiner Feinde mit dem Namen eines Verbrechens bezeichnet würde. Sollte er den günstigen Augenblick muthvoll ergreifen oder ihn unbenutzt vorübergehen lassen? Nicht Unentschlossenheit oder gar Feigheit war es, welche ihn diese Frage aussprechen oder vielmehr denken ließ, nein, aber die Folgen seiner That, wenn er sie wirklich ausführte, waren so gewaltige, so tief eingreifende und weittragende, daß sie wohl überlegt werden mußten.

So schritt er, in tiefes Sinnen versunken, langsam dahin, und die Drei folgten ihm, ein wortloses Schweigen beobachtend. Da plötzlich rief Einer der beiden Reisigen:

»Gottlob, dort kommen einige von unserer Gesellschaft, die uns suchen werden, aus dem Busche. Ich erkenne den Herrn Nymand von Löben an seinem großen Schecken, mit welchem er voranreitet!«

So war es auch. Eine Anzahl Reiter nahten von der Seite her, und aus der Richtung, welche sie innehielten, war zu schließen, daß auch sie die Absicht gehegt hatten, Grabsdorf zu erreichen. Jetzt hielt der Vorderste von ihnen seinen Schecken an und beschattete mit der vorgehaltenen Rechten das Auge; er hatte den Prinzen erkannt, wandte sich mit einem frohen Rufe an die ihm Folgenden und kam nun mit ihnen im Galoppe über die Felder dahergesprengt.

»Dank sei der heiligen Jungfrau, Prinz, daß wir Euch endlich wiederfinden!« rief er. »Wir haben große Sorge wegen Euch gelitten, als wir sahen, daß Ihr uns verloren seiet. Darum meine ich jetzt, daß – – —« er unterbrach bestürzt seine Rede; sein Auge war auf Dietrich gefallen. »Um Gott, mein lieber Junker, in welcher Gesellschaft muß ich Euch da treffen! Irrt sich mein Auge nicht, so ist dieser Knecht kein Anderer, als der Ritter Dietrich von Quitzow, den wir verfolgen und suchen. Der Holzendorf hat ihn in Grabsdorf vor unserm Forschen versteckt gehalten!«

Wie eine zündende Rakete fuhr dieses Wort unter die Reiter.

»Dietrich von Quitzow?!« rief’s wie aus einem Munde, und aller Hände streckten sich nach ihm aus. »Haltet ihn, haltet ihn fest, damit er uns nicht entrinne!«

War er bisher darüber unschlüssig gewesen, was er thun und beginnen werde, jetzt gebot ihm die gefährliche Lage, in welcher er sich befand, zu handeln. Mit einem raschen Sprunge saß er hinter dem Prinzen auf dessen Pferde, rieß ihm die Zügel aus der Hand und zog, die Hacke in der gewaltigen Faust schwingend, das Thier vorn in die Höhe, um es durch die Feinde zu treiben.

»Ja haltet mich, Ihr feilen Memmen, haltet mich, wenn Ihr könnt!« donnerte er und schlug den Nächsten von ihnen über den Kopf, daß er zusammensank. »Noch bin ich frei, und wer mich haben will, der mag mich greifen!«

Der Schrecken über die Kühnheit seines Handelns und die Gefahr, in welcher sich demzufolge der Prinz befand, hielt ihre Glieder gelähmt, und als nun endlich Bewegung unter sie kam, war er längst zwischen sie hindurch und jagte in weiter Entfernung von ihnen über den Bruch.

»Ihm nach, ihm nach!« rief es. Flüche und Verwünschungen erschollen; mit lauten Rufen und kräftigen Stößen suchte man die Pferde anzufeuern, und es begann eine Jagd, die für Dietrich gefährlich hätte werden können, wenn nicht der Vorsprung, welchen er hatte, so groß und sein Pferd das beste im ganzen Trupp gewesen wäre. Aller Grimm, alle Schnelligkeit, der man sich jetzt befleißigte, halfen nichts; der rasch entschlossene und verwegene Mann und mit ihm der Prinz waren und blieben für die Nachfolgenden verschwunden.

Kapitel 6: Detlev

Auf der Straße von Lenzen nach Grabow, welche wir schon kennen, ritten zwei Männer dahin, denen ein reisiger Knecht folgte. Es waren Herr Henning von Bismarck und der junge Detlev aus dem Zauberhause zu Tangermünde.

Beide beobachteten ein tiefes Schweigen. Sie näherten sich jetzt immer mehr der Gegend, in welcher das Ziel ihres Rittes lag, dessen Resultat ein höchst zweifelhaftes war. Herr Henning trug sich mit gar ernsten Gedanken. Er kannte den Ruf, in welchem die Bewohner von Garlosen standen, wußte auch, daß sie ihm nicht freundlich gesinnt seien und hegte jetzt in Beziehung auf seine Sicherheit Bedenken, welche desto größer wurden, je näher sie dem Schlosse kamen. Und Detlev war trotz seiner Jugend in diesem Augenblicke ebenso gedankenreich wie sein Gefährte. Er befand sich auf dem ersten Ausfluge, welcher ihm vielleicht Gelegenheit gab, seinen Muth und seine Geschicklichkeit in Führung der Waffen zu beweisen, und vor der ersten Probe klopft das Herz eines Jeden, auch des festesten und sichersten Mannes lebhafter als zu anderen Zeiten. Da endlich brach Bismarck das Schweigen.

»Ihr seid so still und nachdenklich, mein junger Freund. Reut es Euch vielleicht, Euch mit mir in eine Gefahr begeben zu haben?«

»Wie könnt Ihr so fragen, Herr Ritter! Ich fühle mich hochbeglückt, in Eurer Nähe weilen zu können, und wünsche nur, daß bald eine günstige Gelegenheit komme, Euch zu beweisen, daß ich die Gefahr nicht fürchte.«

»Ich will Euch das wohl recht gern glauben, aber die Gefahr, in welche wir uns begeben, ist eine solche, welcher sich nicht mit dem Schwerte begegnen läßt. Wer sich auf Schloß Garlosen begiebt, um die Boldewins wegen einer ihrer Thaten zur Rede zu stellen, der setzt sich sehr der Gefahr aus, von ihnen gefangen genommen und im Burgverließe untergebracht zu werden. Eine Gegenwehr würde da nur Wahnsinn sein. Wollt Ihr es mit mir wagen?«

»Fragt doch nur nicht, Herr! Ich bin mit Euch gegangen und werde bei Euch bleiben in jeder Fährlichkeit, so lange Ihr mich in Eurer Nähe behalten möget!«

Der Ritter reichte dem jungen Manne mit anerkennendem Lächeln die Hand hin.

»Das habe ich von Euch erwartet; aber es könnte mir wohl wenig nützen, Euch mit mir in die gleiche Gefahr zu bringen; ich habe Eure Begleitung vielmehr begehrt, damit Ihr mir auf andre Weise Beihülfe leisten könntet.«

»So wollt Ihr mich von Euch weisen?«

»Nein, ich will Euch vielmehr das Amt eines Wächters anvertrauen, der dafür sorgt, daß mir die Rathschläge der Feinde keinen Schaden bringen.«

»O sagt, was ich thun und beginnen soll! Ich werde Alles treulich ausführen.«

»Das hoffe ich von Euch. Also hört: Ich werde in Begleitung meines Knechtes jetzt nach Garlosen reiten, Ihr bleibt zurück und hütet die Straße. Wenn ich bis zum Anbruche des Abends nicht wieder zurück bin, so haben sie mich gewaltsam zurückgehalten, und Ihr begebt Euch unverzüglich zu meinem Bruder Claus auf Burgstall, welcher das Weitere dann schleunig verfügen wird. Wollt Ihr das für mich thun?«

Es verging eine Zeit, ehe die Antwort auf diese Frage erfolgte, und als sie endlich ausgesprochen wurde, geschah es in einem Tone, welchem nicht viel Freudigkeit anzuhören war.

»Entschuldigt mein Zögern, ja zu sagen zu Euren Anforderungen; ich bin von dem Leben noch nicht geprüft worden, aber ich weiß und fühle, daß ich nie ein Freund des Wartens und Zögerns, sondern ein Mann der That sein werde. Könnte ich mitgehen und für Euch mit dem Schwerte drein schlagen, so würde ich das viel lieber thun, als mich an die Straße stellen, um es widerstandslos geschehen zu lassen, daß man Euch Leides thut. Doch werdet Ihr besser wissen als ich, was zu Eurem Heile dient, und so will ich Eurem Willen nicht widerstreben. Ich werde bis zum Abend warten. Kehrt Ihr nicht wieder, so soll die größte Eile mich zu Herrn Claus tragen, und Ihr werdet mir erlauben, auch meinem Vater Kunde zu geben. Es führt mein Weg durch Tangermünde, und er wird nicht säumen, Euch hilfreich beizuspringen.«

»Euern Vater? Ihr meint doch Suteminn?«

»Ja.«

»Ist er Euer rechter Vater?«

»Nein, aber er ist mir lieb und werth gleich einem Vater; ich habe der Liebe und Pflege so viel von ihm genossen, als mir die Eltern nicht hätten angedeihen lassen können, und werde Dankbarkeit und Treue gegen ihn hegen, so lange als mein Leben währt.«

»So habt Ihr Eure Eltern wohl gar nicht gekannt?«

»Wohl habe ich sie gekannt, aber die Länge der Zeit hat die Schärfe der Bilder verwischt, welche ich aus meiner Kindheit mit herübergenommen habe in das spätere Leben. Ich erinnere mich des Vaters als eines großen, stolzen Mannes, dessen Augen immer so tief und ernst auf mir und dem Schwesterlein ruhten, und die Mutter— ja die Mutter, die kann ich Euch gar nicht beschreiben. Wenn ich an sie denke, so ist es mir immer, als weilte ich in dem Paradiese, wo lichte Engel und gütige Feen ihr frommes, segnendes Wesen treiben.«

»Und wie habt Ihr Beide verloren, wie seid Ihr von ihnen gekommen?«

»Das geschah in einem Augenblicke, dessen Schrecken sich meiner Seele tief eingeprägt haben, und den ich nimmer, nimmer vergessen werde. Es war in einem tiefen, dunklen Walde, wo wir reisten; da fielen wilde Männer über uns her und schlugen erst unsere Knechte und dann auch den Vater nieder, obgleich ihnen ein wackerer Gesell zu Hilfe eilte, der brav darein schlug, um uns beizustehen. Der Anführer der Strolche war ein schwarzer Mann, der auf einem eben so schwarzen Pferde unter den Bäumen hielt und nicht eher an dem Kampfe Theil nahm, als bis ein Zweiter herbeigeeilt kam, der unsere Hilferufe vernommen hatte und nun wie ein Teufel unter den Strauchdieben aufräumte. Dann griff der Schwarze an und lockte ihn durch eine Flucht von dem Kampfplatze hinweg; währenddem wurden wir alle gefesselt; einige von den Räubern schleppten die Mutter fort, deren herzbrechendes Klagen und Wimmern mir heut noch in die Ohren klingt, die Anderen trugen den Vater mit sich fort und mit ihm den wackern Burschen, welcher uns Hilfe geleistet hatte und auch niedergeschlagen worden war, und wir beiden, das Schwesterlein und ich, blieben gebunden liegen, bis wir von dem Ritter gefunden worden, der den Schwarzen vergeblich verfolgt hatte und nun zurückkehrte, um nachzusehen, ob auf dem Kampfplatze vielleicht Jemand noch des Beistandes bedürfe. Er nahm uns mit sich, und da es ihm unmöglich war, die Eltern aufzufinden, so beschloß er, uns bei sich zu behalten an Kindesstatt.«

»So war dieser Ritter Suteminn?«

»Ja, und der Anführer der Bande war der schwarze Dietrich, von dem auch Ihr vernommen haben werdet.«

»Wie sollte ich nicht von ihm gehört haben; er ist ja ein Schrecken des Landes gewesen lange Zeit, bis er mit sammt den Seinen plötzlich verscholl. Doch sollte ich meinen, daß Eure Eltern noch am Leben sein könnten, denn mich will bedünken, daß der schwarze Dietrich nicht ihr Leben geschont haben würde, wenn er nicht Ursache gehabt hätte, es zu erhalten. Es sind mir längst schon in Beziehung auf seine Person gewisse Gedanken im Kopfe herumgegangen, und wenn sich mir einst Gelegenheit bietet, Gewißheit zu erhalten, so werde ich nicht säumen, auch nach den Eurigen zu forschen.«

»Ritter,« rief Detlev erregt, »was Ihr da sagt, weckt Hoffnungen in meinem Herzen, die bisher noch niemals darin wach gewesen sind. O, wenn es Euch möglich sein sollte, auch nur eine kleine Spur meiner Eltern aufzufinden, ich würde Euch dafür tausend Leben opfern, wenn ich sie besäße! Wollt darum dieses Eures Versprechens nicht vergessen, sondern seiner gedenken zur günstigen Zeit!«

»Das werde ich; Ihr dürft Euch darauf verlassen! Jetzt aber scheint mir die Zeit gekommen, daß Ihr mich ohne Eure Begleitung weiter ziehen laßt. Es kann uns von Vortheilen sein, wenn die Ritter von dem Kruge nicht wissen, daß ich einen Getreuen in der Nähe habe, welcher die Meinen von dem benachrichtigen wird, was mir widerfährt. Also verbergt Euch wohl, und reitet sofort von dannen, wenn ich bis zum Abende noch nicht zurückgekehrt bin!«

Nach kurzem Abschiede trabte er mit dem Knechte davon, während Detlev sein Pferd über eine Waldblöße lenkte, um hinter den angrenzenden Büschen Schutz und Verborgenheit zu suchen. Er band das Thier an einen Baum und streckte sich dann, tief in den Mantel gehüllt, in ruhender Stellung am Boden aus.

Aber die Kälte des Wintertages war doch zu stark, als daß er es lange so auf dem mit Schnee bedeckten Boden ausgehalten hätte, vielmehr erhob er sich gar bald und beschloß, um sich warm zu erhalten, einen Gang tiefer in den Wald hinein zu unternehmen. Die Rückkehr Bismarcks war jetzt noch nicht zu erwarten, und so schritt er denn ohne Sorge vorwärts, halb sinnend, halb träumend, wie man es eben thut, wenn nichts Wichtiges die Gedanken beschäftigt.

So war fast eine Stunde vergangen, als er sich zur Umkehr entschloß. Da vernahm er seitwärts von sich kräftige Schritte, unter denen der Schnee knarrte. In seiner Lage war es ihm geboten, auf Alles wohl Acht zu haben; hier führte kein Pfad durch den tiefen Forst, und der Mann, welcher vorüberschritt, ging also vielleicht einen Weg, welcher vor Andern verborgen bleiben sollte. So leise wie möglich schritt er dem Schalle nach und gewahrte bald einen Mann, welcher, mit einem feisten Rehbock über den Schultern, sich durch das niedere, abgestorbene Gezweig Bahn brach. Es war eine ungewöhnlich lange, hagere Gestalt, auf welche aber dennoch die Schwere der Last keinen Eindruck zu machen schien, denn der Träger derselben schritt nur wenig gebückt mit seinen dürren, ausgezehrten Beinen so schnell dahin, daß ihm Detlev kaum zu folgen vermochte. Schon wollte dieser in dem Glauben, er habe nur einen für ihn harmlosen Wilderer vor sich, dessen Bahn er nicht zu kreuzen brauche, umkehren, als ihn der Klang einer tiefen Baßstimme diesen Entschluß aufgeben ließ.

»Halt, Pruder Steckelpein!« klang es; »pald wäre ich üper Dich hergefallen und hätte Dir Eins üper den Kopf gegepen, weil ich dachte, es wäre ein Fremder! Aper sage mir doch nur, wie Du mit dem Viehzeuge hierher in diese apgelegene Gegend kommst, die wir doch nur pei heimlichen Gelegenheiten petreten dürfen!«

»So, also, Du bist es, Kaspar Liebenow? Komm, nimm mir doch einmal den Braten vom Halse, daß ich ordentlich reden kann!«

»Das kann geschehen. Aper, Mordelement, Gott straf mich, wenn ich fluche, ist das ein fettes Piest. Sag, wie ist denn der Pock eigentlich auf Deinen Puckel gekommen?«

»D’rauf gesprungen ist er mir nicht! So, also: ich ritt mit meinem Herrn von Stavenow nach Garlosen, und unterwegs sagte ich zu ihm:

»Hört, Ritter, darf ich vielleicht einmal abseits gehen?«

Er sah mich an und antwortete:

»Hrrr! Hm! Was hast Du denn da auf der Abseite zu suchen, he?«

»So, also, das sollt Ihr gleich zu hören bekommen: Ich habe nähmlich gestern, während Ihr mit Denen von dem Kruge bei der Kanne saßet, auf dem Gebiete dessen von Deibow einige Drahtschlingen angebracht. Ihr wißt ja, daß der alte Herr von seinem Lehnstuhle nicht herunter kommt, und deshalb die Thiere seines Waldes wie im Paradiese leben.«

»Hrrr! Hm! Und nun willst Du nachsehen, wie es in dem Paradiese aussieht?«

»Wenn Ihr es erlaubt, Herr?« antwortete ich und freute mich über sein dickes Gesicht, welches in Hoffnung auf den Deibow’schen Braten ein seliges Schmunzeln zeigte.

»Hrrr! Hm! Gut, so gehe abseits; aber sei nicht lange aus, und trage was Du findest nicht auf der Straße nach Garlosen, sondern bringe es durch den Gang. Weißt schon, welchen ich meine! Es ist nicht gut, wenn sich Einer von den Meinigen mit einem Bockleder sehen läßt, welches nicht auf meinem Gebiete gewachsen ist.«

Ich danke, Ritter! Ihr sollt mit mir zufrieden sein, aber meinen Gregorimanorosewitsch kann ich nicht mitnehmen. Wollt Ihr ihn vielleicht an die Zügel binden?«

»Hrrr! Hm! Gieb die alte Ziege her! Sie wird mir nicht viel Sprünge machen; wenn sich nur mein Schimmel nicht vor dem dürren Gespenste fürchtet.«

»Tragt keine Sorge! Der ist zum Fürchten zu leutselig. So, also, da hängt er fest. Gehabt Euch wohl!«

Ich ging, fand den Bock, gab ihm den Gnadenstoß, lud ihn auf und trug ihn davon. Da hast Du die ganze Geschichte. Nun weißt Du sie!«

»Mordelement, Gott straf mich, wenn ich fluche, aper Du pist doch ein Deiwelskerl, Pruder Steckelpein, denn auf den Gedanken mit den Schlingen wäre ich nicht gekommen! Also Dein Herr ist nach Garlosen?«

»Ja, Du hast es doch gehört!«

Das ist gut, denn da prauche ich nicht nach Stapenow zu laufen, was keine ehrliche Kriegsgurgel gern zu Fuße thun wird!«

»Nach Stavenow? Was hast Du denn da zu suchen, Kaspar?«

»Ja, das ist eine ganz verdeiwelte Geschichte. Du kannst Dich doch noch auf die Juden pesinnen, welche wir da unten in dem Loche stecken hapen?«

»Warum sollte ich nicht? Es ist ja nur erst einige Tage her, seit wir sie hinunter steckten.

»Gut. Da kommt vorhin ein Ritter, ich glaupe, es war Einer von Pismarck, und sagt, die Juden hätten Gelder pei sich, die ihm gehörten; er verlange sein Eigenthum zurück und außerdem die Freiheit der peiden Männer und ihrer Tochter; sie seien von Gardelegen, wo Einer hause, der es üpel vermerken werde, wenn man Leute peraupe, welche seinem Schutze anvertrauet seien.«

»So, also, und was haben denn unsere Ritter zu dieser dreisten Rede gesagt?«

»Sie hapen ihm erst mit der Faust gewinkt, daß er gehen solle, und als er trotzdem dagepliepen ist und fortschimpfiret hat, hapen sie ihn festgenommen und in ein Gelaß gesperrt, wo es nicht gar üpel ist.«

»Das hätte ich auch gethan. Was hat sich ein Bismarck um das zu kümmern, was auf Garlosen geschieht!«

»Höre, Pruder Palthasar, Du redest mit einem schiefen Schnapel! Wenn das Geld ihm gehört, so praucht er es sich nicht nehmen zu lassen, und wie der alte Poldewin pemerkte, so hat der Pismarck einen ganz verdeiwelt guten Stand pei dem Purggrafen. Der wird es nicht leiden, daß man einen seiner Ritter des Geldes und der Freiheit peraupe, und ich glaupe, wir sehen ihn pald mit einigen wenigen Leuten vor Garlosen erscheinen, um uns aus der alten vermaledeieten Donnerpüchse ganz gehörig anzuspucken.«

»So, also! Und vor der fürchtest Du Dich? Die reite ich mit meinem Gregorimanorosewitsch über den Haufen, daß die Stücke davonfliegen!«

»Pruder Steckelpein, das wirst Du wohl pleipen lassen! Allen Respect vor Dir und Deinem Laforikorilorimitsch mit sammt Euren langen Peinen, aper die Püchse, das ist das große Wunderthier mit den siepen Köpfen, was in der Pipel steht und Feuer speit grad’ so wie der perühmte Perg Vesuvius in Welschland, in dem der große Höllendrache wohnt, dem sie alle Tage zwölf siepzehnjährige Jungfrauen zu fressen gepen müssen, wenn er nicht das Land verwüsten soll.«

»Das ist ja ganz schauderhaftes Viehzeug, Kaspar, aber einen schlechten Geschmack scheint er mir nicht zu haben, denn so ein siebzehnjähriges Burgfräulein muß doch zarter sein, als solch altes Pergament wie Du und ich.«

»Höre, Palthasar, Du darfst mich nicht peleidigen! Ich und mein Pruder Peter, wir sind die schmucksten Purschen gewesen in den ganzen Marken, und die Mädels hapen sich unsertwegen fast die Augen aus den Köpfen gedreht. Jetzt freilich pin ich etwas weniger hüpsch, aper immer noch ein ganz reputirlicher Kerl.«

»So, also, einen Bruder hast Du gehabt? Welchem Herrn dient der jetzt?«

»Du, der ist ein ganz verdeiwelt perühmter Mensch geworden. Mordelement, Gott straf mich, wenn ich fluche, aper gegen den pin ich ungefähr ganz und gar Nichts. Der hat sich nämlich auf das Meer verlaufen und ist auf einem Schiffe, womit man Garlosen über den Haufen fahren könnte. Er war einmal auf Pesuch pei mir, als ich dazumal in Plaue lepte, und hat einem fremden Ritter peigestanden, der von dem schwarzen Dietrich überfallen worden war, ich glaupe, es war ein Herzog oder König von Arapien oder Engelland. Der hat ihn mitgenommen, und seit dieser Zeit hape ich nichts mehr von ihm gehört, aper ich kenne den Peter, und es wird gar nicht lange gedauert hapen, so wird er ein Prinz geworden sein.«

»Ein Prinz, Kaspar? Das ist ein gar grausam großes Thier! Wird er das aushalten können?«

»Der? Mordelement, Gott straf mich, wenn ich fluche, aper der Peter war ein ganzer Kerl und fast nach mir gerathen. Er hatte nur einen Fehler, und den hape ich ihm nie apgewöhnen können, nämlich er sprach das sanfte p grad’ so aus wie das scharfe p und prachte nicht einmal seinen eigenen Namen Liepenow richtig üper die Zunge, denn er sprach ihn stets nur Liepenow, und es muß doch heißen: Liepenow. Ich hape mir viel Mühe mit ihm gegepen, aper es ist umsonst gewesen, denn der Fehler stammt von unserm Vater, der auch immer Pruder statt Pruder gesagt hat und Paum statt Paum.«

»So, also! Und ich hatte auch einen Bruder, der auf das Wasser gerathen ist. Er war ein Zwilling von mir und hieß Samuel Haberland. Wir sahen einander ähnlich wie ein Ei dem andern, und ich habe nie wieder Etwas von ihm gehört, seit er fortgegangen ist; ich glaube, er ist einmal in ein tiefes Loch gerathen und hat darin elendiglich ertrinken müssen, denn auf der See soll es ganz heillose Löcher geben, so tief wie ein halber Kirchenthurm, die bis obenheran voll Wasser sind. Es kann mir Leid thun um den armen Teufel, und ich gäbe gleich meinen Gregorimanoro – – nein, den nicht, aber diesen fetten Bock hier gäbe ich auf der Stelle darum, wenn ich erfahren könnte, an welchem Orte sie ihn dort begraben haben.«

»Das will ich Dir glaupen, Pruder Palthasar, denn für einen Pruder thut man mehr, als für einen fremden Menschen. Da Du aper doch hier auf diese Kunde nicht warten kannst, so will ich Dir das Thier jetzt wieder auf die Achseln hepen; wir müssen zurück in das Schloß, denn man weiß nicht, was da wegen des gefangenen Ritters für Dinge vorgehen können, pei denen wir gepraucht werden. Ich hape das Licht in dem Gange prennen lassen. Komm, so, prr, ist das Piest dick und schwer! Da, jetzt hast Du es open, und nun vorwärts, daß wir hinein kommen!«

»So, also, geh Du voran und mache die Sträucher auseinander, daß ich hindurch kann!« – —

Dem Lauscher war kein Wort dieses eigenthümlichen Gespräches entgangen, und wenngleich er die beiden Leute nicht kannte und ihm auch manche Aeußerungen unklar waren, so hatte er doch so viel verstanden, daß Herr Henning von Bismarck zurückgehalten worden sei und vielleicht gar als ein wirklich Gefangener behandelt werde. Hier war es nothwendig, einen schnellen Entschluß zu fassen. Wie weißlich hatte der vorsichtige Ritter gehandelt, ihn nicht mit auf das Schloß zu nehmen, denn so war es ihm nun möglich, den Seinigen schnelle Nachricht zu bringen. Jedenfalls hatten die Herren von dem Kruge so ein Derartiges vermuthet, da ihr Bote, welcher Claus von Quitzow von Stavenow holen sollte, sonst nicht den Weg durch einen verborgenen Gang gesucht, sondern die Burg auf die gewöhnliche offene Weise verlassen hätte.

Aber war es unter den vorhandenen Umständen auch rathsam, der Weisung Bismarcks sofort zu folgen und schleunigst nach Burgstall zu reiten? Der Weg war weit und die Hülfe schwer und erst spät herbei zu schaffen. Konnte dieselbe nicht vielleicht auf kürzerem, wenn auch gefährlicherem Wege geleistet werden? Detlev überlegte nicht lange. Der Muth, welcher ihn beseelte und das Bewußtsein seiner körperlichen Kraft und Gewandtheit ließen ihn von Zweiem das am nächsten Liegende wählen, und mit möglichster Vorsicht schlich er sich deshalb den beiden Männern nach.

Sie blieben vor einem dichtverwachsenen Strauchwerk stehen, welches zur Laubzeit des Sommers fast undurchdringlich sein mußte. Daß dem aber nicht so war, bewies Liebenow, denn er schob an einer Stelle das Dickicht auseinander und hielt die dadurch entstandene Lücke so lange offen, bis der Andere mit seiner Last hindurch gelangt war.

Detlev blieb noch einige Augenblicke zurück, um sie erst in den Gang, von welchem sie gesprochen hatten, eintreten zu lassen. Er mußte sich hüten, seine Anwesenheit durch das Knacken der Zweige zu verrathen und schlüpfte darum nicht eher an derselben Stelle durch das Gesträuch, als bis er sich sicher glaubte. Es war nur eine enge Felsenspalte, welche sich hinter demselben zeigte, aber sie erweiterte sich nach kurzer Zeit zu einem ausgehauenen Gange, welcher, wie an mehreren Umständen zu erkennen war, viel betreten sein mußte. Mit beiden Händen sich an den Seitenwänden forttastend, schritt er vorwärts und vernahm nun bald die Schritte der ihm Vorangehenden. Zu gleicher Zeit bemerkte er den Schein des Lichtes, welches Liebenow jedenfalls trug, und nun war es ihm möglich, immer den nöthigen Abstand zwischen sich und ihnen zu halten und auch ihnen zu folgen, ohne sich vielleicht in einen Seitengang zu verirren.

Nachdem der Weg eine geraume Weile grad’ und eben fortgeführt hatte, stieg er nach und nach immer mehr aufwärts, krümmte sich verschiedene Male, wurde von gemachähnlichen Erweiterungen und Stufen oder Treppen unterbrochen und mündete endlich in ein Gewölbe, an dessen beiden Seiten lange Reihen von Särgen standen. Es war die Todtengruft der früheren Besitzer von Garlosen. Hier klangen die Schritte laut von den steinernen Wänden und der von schweren Bögen getragenen Decke wieder. Dieser Umstand konnte an dem Eindringlinge zum Verräther werden; er hielt unwillkürlich seinen Fuß zurück und schlich erst dann sich weiter, als er bemerkte, daß der Lichtschein vor ihm plötzlich verschwunden sei.

Da ertönte ein raschelndes Klirren hinter ihm, dem ein dumpfer Stoß folgte, als ob leere Kästen aneinander stießen. Was war das? Schnell trat er zur Seite; es war ja möglich, daß von daher eine Gefahr ihm drohe, die er an sich vorüber gehen lassen müsse. Als sich aber ein Weiteres nicht vernehmen ließ, schritt er zurück, um vor allen Dingen die Ursache des vernommenen Geräusches zu untersuchen. Sie war bald gefunden. Die Mündung des Ganges nämlich war jetzt durch eine Anzahl über— und nebeneinander gestellter und dicht zusammengefügter Särge verdeckt, die eine Wand bildeten, welche durch irgend einen Mechanismus beweglich sein mußte.

Jetzt war ihm der Ausgang versperrt; auf dem zurückgelegten Wege konnte er das Schloß nicht wieder verlassen; dies wurde ihm nur dann möglich, wenn es ihm gelang, die Vorrichtung zu entdecken, durch welche die Sargwand verschoben werden konnte. Von Neuem schritt er durch die Dunkelheit vorwärts. Sie wurde gemildert nur durch einige kleine Oeffnungen, welche von oben her schräg durch die dicke Mauer führten und dem Tageslichte einen außerordentlich spärlichen Zutritt gestatteten. Bald jedoch hatte sich sein Auge einigermaßen an den Lichtmangel gewöhnt und er gewahrte nun am Ende des Gewölbes eine Stufenreihe, welche nach aufwärts führte. Er stieg hinan. Die Oeffnung, zu welcher sie führte, war durch eine Steinplatte verschlossen, deren Gewicht ein mit nicht ungewöhnlicher Körperkraft ausgestatteter Mensch wohl kaum bewältigt hätte. Detlev aber war der dabei nothwendigen Anstrengung mehr als gewachsen. Er stemmte die eine Schulter an den Stein, hob ihn leise und nur ein wenig empor und versuchte, durch die entstandene Spalte einen Blick in den Raum zu werfen, welcher über dem Grabgewölbe lag. Leicht war es möglich, daß sich Jemand in demselben befand und durch die Bewegung des Steines auf ihn aufmerksam gemacht wurde.