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Buch lesen: «Am Rio de la Plata», Seite 26

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Gomarra wußte außer der ersteren Stelle eine zweite oberhalb derselben. Dort war das Uferland auch hart und wir setzten über. Dann ritten wir die betreffende Strecke abwärts, bis wir so nahe waren, daß wir uns vor dem Sumpfe in acht nehmen mußten. Dieser wurde umritten und dann ritt ich mit Gomarra allein vor, um zu erkunden, ob unsere Verfolger bereits da seien. Sie waren glücklicherweise noch nicht angekommen.

Späher durften nicht ausgesandt werden, da dieselben dem weichen Boden ihre Spuren eingedrückt hätten. Darum blieben die Soldaten halten, hinter Sträuchern verborgen, und ich entfernte mich mit Gomarra, um unsere Gefährten wieder aufzusuchen. Vorher wurde verabredet, daß der Oberst, welcher bei den Truppen blieb, sobald er einen Schuß höre, hervorbrechen, einen Bogen reiten und den Feind im Rücken nehmen solle.

Gomarra wußte einen Weg, welcher uns auch von hier aus nach unserm Ziele brachte. Die Gefährten freuten sich königlich, daß unsere Sendung einen so ausgezeichneten Erfolg gehabt hatte. Sie hatten es sich bequem gemacht, und wir setzten uns zu ihnen, um der Dinge zu harren, die da kommen sollten.

Von da aus, wo wir saßen, konnten wir weit in den Campo hinausblicken. Wir mußten die Erwarteten schon aus bedeutender Entfernung sehen. An eine Ueberraschung war nicht zu denken, und so machte ich den Vorschlag, den versäumten Schlaf nachzuholen. Die Wache konnte die Schlafenden ja rechtzeitig wecken. Das wurde sehr gern acceptiert. Bald lagen sie alle in Schlummer außer mir und dem Frater, welcher die Wache an erster Stelle überkommen hatte.

Ich nahm diese Gelegenheit wahr, ihm alles zu erzählen, was ich von Gomarra gehört hatte, und er erstaunte nicht wenig, als er vernahm, daß nun schon die Kipus entdeckt seien, welche der Sendador dem Yerbatero als nicht mehr vorhanden bezeichnet hatte.

»Da sieht man wieder, es giebt keinen Zufall. Oder sollte es ein so ganz zufälliges Zusammentreffen der Umstände sein, daß Sie erst dem Yerbatero begegnen, welcher von den Zeichnungen des Sendador weiß, dann dem sterbenden Gambusino, welcher die Mordthat kennt und die Kipus entdeckt hat? Wenn das keine Fügung des Himmels ist, so giebt es überhaupt weder Himmel noch Gott. Wollen Sie mit hinauf nach dem Salzsee?«

»Gewiß.«

»Ich gehe mit. Der Sendador muß uns hinführen.«

»Ob er es thun wird?«

»Ja; denn wir werden ihm eine ausgezeichnete Bezahlung versprechen. Haben Sie Hoffnung, die Kipus zu enträtseln?«

»Nein. Dazu besitze ich die Kenntnisse nicht. Ich werde sie mir aber anzueignen suchen, sobald ich die Schnuren habe, und dann ruhe ich gewiß nicht eher, als bis mir das Dechiffrieren gelungen ist.«

»Aber aus den Zeichnungen, welche der Sendador hat, werden wir wohl klug werden?«

»Hoffentlich. Wenigstens habe ich keine Angst davor, obgleich ich sonst kein Bleistiftkünstler bin.«

»Und so haben Sie also diesem Gomarra alles gesagt, was Sie wissen?«

»Nein. Daß es sich um verborgene Schätze handelt, weiß er nicht. Aber er soll es erfahren, allerdings so spät wie möglich, damit er sich nicht etwa Hoffnungen in den Kopf setzt, welche in keiner Weise in Erfüllung gehen können.«

Der Bruder blickte mich lächelnd an und sagte:

»Sie scheinen an diesen Schatz nicht recht zu glauben?«

»Die Peruaner besaßen ungeheure Reichtümer. Es ist erwiesen, daß unschätzbare Werte vergraben wurden. Wenn echte Kipus und echte Pläne über eine Stelle, an welcher solche Kostbarkeiten vergraben wurden, vorhanden sind, so zweifle ich nicht an der Wahrheit der Sache.«

»Und doch läßt diese Sache Sie so kalt! Wie erkläre ich mir das?«

»Es giebt verschiedenerlei Schätze. Ein Klumpen Gold oder ein kürbisgroßer Diamant ist gewiß etwas sehr Schönes; aber ein Schluck frischen Wassers, wenn man rechten Durst hat, ist noch viel besser und eine Handvoll Schlaf ist mir augenblicklich nötiger. Erlauben Sie mir also, die Augen zu schließen, mein lieber Frater!«

Ich legte mich um und schlief auch fast augenblicklich ein, mochte aber wohl kaum zehn Minuten geschlafen haben, als ich von des Fraters lauter Stimme geweckt wurde:

»Wacht auf, Sennores; sie kommen!«

Wir sprangen alle im Nu auf und blickten auf den Camp hinaus. Ja, da kamen sie im Galopp herbei. Einige von ihnen hatten Kameraden hinter sich sitzen. Das waren diejenigen, deren Pferde wir mitgenommen hatten. Sie ritten in breiter Reihe und schienen den Sumpf gar nicht zu bemerken.

»Cielo! Sie reiten hinein!« sagte der Frater. »Man muß sie warnen.«

Er legte die Hände an den Mund und wollte einen Ruf ausstoßen. Ich hinderte ihn daran.

»Still, Bruder! Wenn auch einige hinein geraten, so haben sie genug Kameraden bei sich, von denen sie wieder herausgezogen werden können.«

Es kam übrigens auch gar nicht so weit, daß einer verunglückte. Sie riefen einander selbst zur Vorsicht an und parierten noch im letzten Augenblicke die Pferde. Einige stiegen ab, um den Sumpf zu untersuchen. Sie nahmen ihre Lanzen und stießen sie in das Moor. Da erkannten sie nun freilich, daß hier nicht zu spaßen sei. Der Major rief seine Offiziere zusammen und beriet sich mit ihnen.

»Ob sie kommen werden?« fragte der Yerbatero begierig.

»Jedenfalls!« antwortete einer seiner Kameraden.

»Da wären sie verrückt.«

»Sie können doch nicht wissen, daß wir uns hier befinden?«

»Aber man kann wenigstens vorher nachsehen lassen, ob – — – ah! siehe da, der Major thut es wirklich. Ja, er ist ein Offizier, der seine Sache vortrefflich gelernt hat!«

Der Kommandant schickte nämlich zwei Reiter ab, welche den Weg untersuchen sollten. Sie ritten langsam vor, sich ganz in unsern Stapfen haltend.

»O wehe!« meinte Turnerstick. »Jetzt schickt er die beiden Avisoboote aus. Wenn die ganz herüber kommen, so werden sie uns sehen und alles verraten.«

»Sie dürfen uns eben nicht sehen,« antwortete ich. »Wir müssen uns verstecken. Schilf und Büsche giebt’s ja genug.«

»Aber sie werden hier bleiben, um die andern zu erwarten. Da sind sie uns im Wege.«

»Werde sie aus dem Wege schaffen!« meinte Larsen, der Steuermann, indem er seine Fäuste behaglich ausstreckte. »Will auch mal was zu thun haben, Sir.«

»Nur keine Uebereilung!« bat ich. »Körperkraft thut es hier nicht. Man muß sie am Schreien verhindern.«

»Werde schon zugreifen, daß ihnen die Musik im Halse stecken bleibt.«

Es sollte ihm aber nicht so wohl werden, seine Riesenstärke in Anwendung zu bringen. Wir versteckten uns, und die beiden Reiter kamen herbei. Sie sahen sich auf dem Platze um, an welchem wir gelagert hatten. Das beunruhigte sie. Dann sahen sie die Fährten, welche ich mit dem Oberst und Gomarra gemacht hatte, als wir fortgeritten waren, und das beruhigte sie wieder. Sie schienen zu meinen, daß wir hier eine kurze Zeit geruht hätten und dann weiter geritten wären. Jetzt durften wir uns noch nicht an ihnen vergreifen. Erst mußten sie das Zeichen geben, daß alles in Ordnung sei und die übrigen kommen könnten. Aber das thaten sie nicht, sondern ritten zurück, um dem Major zu rapportieren.

»Schade, jammerschade!« meinte der Steuermann. »Ich bekomme doch all meine Lebtage nichts mehr in die Hände!«

Es war aber besser so, sowohl für die beiden Reiter als auch für uns. Es hätte uns mißglücken können, sie lautlos zu überwältigen, und dann wären wir verraten gewesen.

Wir sahen, daß der Major mit den beiden sprach; dann gab er das Zeichen, dem Pfade zu folgen, und setzte sich an die Spitze des Zuges, der sich nun langsam auf uns zuschlängelte. Der Major war ungeduldig und trieb sein Pferd mehr an als die andern, welche dem gefährlichen Wege mit mehr Vorsicht folgten. So kam er seinen Leuten ziemlich weit voran.

»Was ist da zu thun?« fragte der Bruder. »Lassen wir ihn heran oder nicht?«

»Natürlich!« antwortete ich.

»So kommen aber auch seine Leute, und wenn wir sie bis hierher auf den festen Boden lassen, so kommt es ganz sicher zum Kampfe, was wir doch lieber vermeiden sollten.«

»Haben Sie keine Sorge! Er wird, wenn ich ihn packe, schon so laut schreien, daß sie halten bleiben.«

»Packen?« fragte der Steuermann. »Soll nicht ich das lieber besorgen?«

»Meinetwegen. Aber zerbrechen Sie ihn nicht! Setzen Sie ihn aus dem Sattel hierher auf die Erde. Das genügt.«

Wir stellten uns hinter den Sträuchern so auf, daß er uns nicht sofort sehen konnte. Jetzt hatte er den Pfad hinter sich und gelangte auf festen Boden. Er trieb sein Pferd durch die Büsche und – erblickte uns. Einen Augenblick lang war er wie starr vor Schrecken; dann aber schrie er auf. Klug wäre er gewesen, wenn er zum schnellen Angriffe kommandiert hätte; aber er rief:

»Halt! Zurück, zurück! Sie sind da!«

Also hatte er uns fangen wollen und jagte nun, als er uns sah, seine Leute zur Flucht! Sonderbarer Mensch! Zugleich wollte er sein Pferd wenden. Da aber hatte ihn auch schon der Steuermann beim Gürtel, riß ihn aus dem Sattel und schwang ihn im Halbkreise auf die Erde nieder, wo der Offizier nicht allzu sanft zum Aufsitzen kam.

Ein Blick überzeugte mich, daß die Kolonne zum Stehen gekommen war. Der vorderste Reiter hielt ungefähr zehn Pferdelängen von uns. Der hinterste hatte auch schon den festen Boden verlassen und befand sich zwischen den Sümpfen, so daß wir nun die ganze Kolonne glücklich so hatten, wie wir sie hatten haben wollen. Der Major sah sich umringt. Die Flucht war ihm, wenn er nicht von den Seinen herausgehauen wurde, unmöglich. Er blickte ganz ratlos von einem zum andern und sagte zunächst kein Wort.

»\Willkommen, Sennor!« begrüßte ich ihn. »Endlich sehen wir Sie wieder, aber an einem anderen Orte.«

Er biß sich auf die Lippen und antwortete nicht.

»Wir warteten so lange auf Ihre Rückkehr,« fuhr ich fort, »aber das Essen, welches die Ranchera Ihnen präsentiert hatte, schien Sie so sehr zu fesseln, daß wir unmöglich länger warten konnten. Wir gingen also fort. Ich hoffe, daß Sie das nicht für eine Versündigung gegen die gute Sitte erklären werden.«

Er schwieg noch immer. Darum meinte der Yerbatero:

»Die Freude, uns wiederzusehen, hat den armen Teufel um die Sprache gebracht!«

»Tormenta!« antwortete er jetzt. »Ich verbitte mir solche Beleidigungen!«

»Nun!« antwortete ich. »Sie befinden sich in einer Lage, welche keineswegs zur Hochachtung und Bewunderung hinreißt.«

»Ich werde Sie darüber seiner Zeit zur Rechenschaft ziehen. Wie können Sie es wagen, sich an mir zu vergreifen!«

»Mit einem größeren Rechte als demjenigen, mit welchem Sie sich an uns vergreifen wollten. Sie sind unser Gefangener.«

Er sprang von der Erde auf und griff nach seinem Säbel. Ich hielt ihm den Revolver vor die Nase und drohte:

»Die Hand vom Degen, sonst schieße ich! Sie verkennen Ihre Lage. Sie befinden sich mit allen Ihren Leuten in unsern Händen.«

»Oho. Ich brauche nur den Befehl zu geben, so avancieren meine Leute und treten euch nieder!«

»Versuchen Sie das! Sehen Sie denn nicht, daß stets nur zwei Ihrer Leute front gegen uns sind? Wir schießen die vorderen Paare nieder; diese bilden dann für uns einen Wall, über welchen die andern nicht angreifen können. Auf diese Weise sind wir dann unangreifbar.«

»So lasse ich Sie umgehen und von der Seite nehmen.«

»Das ist auch ein ganz unausführbarer Vorsatz, wie ich Ihnen beweisen werde. Sie sagen “Ich lasse – —” Sie haben nach unserem Willen zu handeln. Damit Sie denselben kennen lernen, fordere ich hiermit von Ihnen, daß Sie Ihren Leuten den Befehl erteilen, erst ihre Waffen und dann sich selbst an uns auszuliefern!«

Er machte ein so erstauntes Gesicht, wie nur selten eines zu sehen ist.

»Wir – — uns Ihnen ausliefern!« rief er aus. »Vierhundert Mann sollen sich an zehn Civilisten ergeben!«

Er schlug ein lautes Gelächter auf.

»Pah! Lachen Sie!« meinte ich ruhig. »Sie befinden sich in einer Lage, in welcher sich Ihre ganze Truppe mir allein ergeben müßte, wenn ich wollte. Wenn ich die ersten und die letzten vier oder sechs Pferde erschieße, so können Ihre Leute weder vor- noch rückwärts. Und wollten sie zur Seite, so würden sie den sichern Untergang im Moraste finden. Sehen Sie nicht, daß Ihre Pferde und Leute immer tiefer einsinken? Dieser Weg ist nicht fest genug, die Last einer solchen Reitermenge zu tragen. In zehn Minuten sinkt er ein, und Ihre gerühmten vierhundert Mann sind verloren.«

Er warf einen forschenden Blick hinaus und erbleichte. Er sah, daß ich recht hatte. Der Weg gab wirklich nach; er sank ein, und die Soldaten, welche sich nicht erklären konnten, daß sie nicht vorwärts durften und auf dem trügerischen, gefährlichen Terrain halten mußten, begannen laut zu murren und zu rufen. Es war wirklich keine Zeit zu verlieren, wenn die Leute nicht versinken sollten. Darum fuhr ich fort:

»Sie meinen, nur uns hier gegen sich zu haben, befinden sich aber in einem bedeutenden Irrtume. Hätten Sie die Gegend untersuchen lassen, bevor Sie sich auf den Sumpf wagten, so hätten Sie gewiß die Falle entdeckt, welche wir Ihnen gestellt haben und in welche Sie gegangen sind. Passen Sie auf: Ich werde sie jetzt zuklappen lassen!«

Ich winkte dem Yerbatero, und dieser schoß sein Gewehr ab. Kaum war das verklungen, so kamen von finks her die Truppen des Obersten herbeigejagt, je zwei Mann auf einem Pferde. Die Sattelreiter blieben sitzen.

Die hinter ihnen befindlichen aber sprangen ab. Im Nu war eine Doppellinie gebildet, welche den Aufrührerischen den Rückweg versperrte, vorn hundert Mann zu Fuß und hinter ihnen ebenso viele Reiter, alle mit guten Gewehren bewaffnet, während die Leute des Majors nur wenige derselben besaßen und ihre Lassos und Bolas gar nicht gebrauchen konnten.

Diese letztern erkannten, daß ihnen der Rückweg verlegt war, und indem nun auch wir vortraten und die Gewehre auf sie richteten, mußten sie einsehen, daß sie auch nicht vorwärts konnten, ohne sich unsern Kugeln preiszugeben.

Die Gefährlichkeit ihrer Lage wurde noch dadurch erhöht, daß der schmale Pfad, auf welchem sie hielten, sich immer mehr senkte. Er bestand nur aus einer festeren Moorlage, welche auf dem weichen Sumpfe ruhte und nachgeben Mußte, wenn sie eine zu große Last zu tragen hatte. Ein solches Uebergewicht war jetzt vorhanden. Es war vorauszusehen, daß sämtliche Reiter einsinken und im Moore ersticken würden, wenn es ihnen nicht möglich würde, noch zur rechten Zeit festen Boden zu gewinnen. Jenseits des Sumpfes ertönte die Stimme des Obersten, welcher die Feinde aufforderte, sich zu ergeben. Diesseits richtete ich dasselbe Verlangen an den Major, welcher zähneknirschend die Lage seiner Leute überschaute und mir dennoch in grimmigem Tone antwortete:

»Mögen sie versinken und zu Grunde gehen. Meine Leute bekommen Sie nicht!«

»So mag ich auch Sie nicht haben. Ich gebe Sie frei. Kehren Sie also zu den Ihrigen zurück!«

Er sah mich ganz erstaunt an und fragte:

»Aber Sie begeben sich da eines großen Vorteiles!«

»Nur aus Freundschaft für Sie. Wollen Sie Ihre Leute wirklich opfern, so will ich Ihnen Gelegenheit geben, an dem Schicksale derselben teilzunehmen. Man wird Sie als einen großen Helden preisen, wenn man erfährt, daß Sie mit den Ihrigen in den Tod gegangen sind.«

Jetzt erschrak er.

»Das können Sie doch nicht wollen!« rief er aus.

»Ich will es, Sennor! Sollten aber Sie es nicht wollen, so zwinge ich Sie. Ich lasse Sie mit dem Lasso zu Ihren Leuten hinüberpeitschen, wenn Sie nicht freiwillig gehen. Ich gebe Ihnen nur eine einzige Minute Zeit. Fordern Sie bis dahin Ihre Leute auf, sich zu ergeben und uns ihre Waffen auszuliefern, dann gut. Thun Sie aber das nicht, so sollen Sie denselben Tod erleiden, in welchen Sie diese armen Menschen jagen. Ich scherze nicht! Hören Sie?«

Die Angst seiner Leute war höher und höher gestiegen; ihre Pferde gehorchten nicht mehr. Sie riefen ihm zu, sich zu ergeben. Die letzten wendeten bereits um und überlieferten sich den Leuten des Oberst, um ihr Leben zu retten. Sie sprangen, sobald sie festen Boden erreichten, von den Pferden und warfen alle Waffen von sich. Einer folgte dem andern. Der Major sah nun ein, daß seine Weigerung fruchtlos sei. Seine Leute gehorchten ihm nicht mehr, und da es mit seinem persönlichen Heldentume im Angesichte des Todes auch nicht glänzend stand, so sagte er:

»Nun gut, für diesesmal haben Sie das Spiel gewonnen; hoffentlich aber beginnen wir baldigst eine neue Partie, welche Sie dann sicher verlieren werden. Ich ergebe mich!«

»Das ist überflüssig, denn wir haben Sie ja schon. Ich verlange von Ihnen den Befehl an Ihre Truppe, umzukehren und sich dem Obersten zu überliefern.«

Er rief seinen Leuten die betreffende Weisung zu, und sie gehorchten derselben mit größter Bereitwilligkeit. Diejenigen, welche uns nahe waren, wollten nicht erst umkehren, sondern gleich zu uns herüber, da ihnen der Rückweg als gefährlich erschien, aber ich duldete es nicht, da wir hier nicht zahlreich genug waren und auch nicht den genügenden Raum hatten, sie bei uns aufzunehmen. Sie mußten zurück, obgleich der Weg von Minute zu Minute gefährlicher wurde. Da sie gezwungen waren, sehr vorsichtig und langsam zu reiten, so kamen sie nur einzeln drüben an und konnten also ohne Mühe unschädlich gemacht werden. Ihre Pferde wurden zur Seite geschafft, ihre Waffen ebenso. Sie mußten sich lagern und wurden eng umschlossen. Keinem von ihnen kam wohl der Gedanke, daß er jetzt noch fliehen könne.

Da der Sumpfpfad zu sehr gelitten hatte, so war es für uns gefährlich, denselben zu benutzen. Wir machten also einen Umweg am Flusse entlang, bis wir rechts abbiegen konnten und nun von dieser Seite zu dem Oberst stießen. Der Major hatte gehen müssen, Als wir drüben anlangten, stellte er sich dem Genannten mit den Worten vor:

»Sennor, heute war das Glück für Sie. Ich hoffe, Sie werden Ihr Verhalten nach der Ueberzeugung richten, daß es nächstens gegen Sie und für uns sein kann!«

Der Angeredete warf ihm einen verächtlichen Blick zu und antwortete:

»Ich mache mein Verhalten nie vom Glücke, sondern nur von meiner Pflicht abhängig. Wer seiner Pflicht untreu wird, hat von mir weder Achtung noch Rücksicht zu erwarten. Sie sind ein Aufrührer, der seinen Eid gebrochen hat. Als Anführer von Empörern sind Sie als der Verführer derselben zu betrachten und also zehnfach straffällig. Ihr Rang ist für mich nicht ein Grund, Sie besser zu behandeln als die Irregeleiteten, sondern in ihm liegt für mich die Aufforderung, so streng wie möglich gegen Sie vorzugehen. Weiter habe ich Ihnen nichts zu sagen!«

Er wandte sich ab. Der Major rief ihm zornig nach:

»Sie haben uns nur durch Verrat in Ihre Hände bekommen. Ein Mann, der seine Erfolge einem Verräter verdankt, sollte sich hüten, so stolze Worte zu sprechen!«

Und zu Antonio Gomarra gewendet, fuhr er fort:

»Du bist es, der uns in diese Falle gelockt hat. Hüte dich, je einmal in meine Hand zu geraten. Der Strick würde dir sicher sein!«

»Nun, wenn es so wäre, so dürften am allerwenigsten Sie mich anklagen, der Sie selbst ein Verräter an dem Präsidenten sind, dem Sie Treue geschworen haben. Wer ist da ein größerer Halunke, Sie oder ich?« antwortete Gomarra.

»Schurke, kommst du mir so? Ich erwürge dich!«

Er sprang auf Gomarra ein. Der Oberst aber trat schnell zwischen beide und gebot seinen Leuten:

»Bindet ihn, damit er einsehe, daß er ohne meine Erlaubnis weder etwas sagen noch unternehmen darf. Ueberhaupt werden allen Gefangenen die Hände mit ihren eigenen Lassos gebunden; dann mögen sie in die Sättel steigen, und wir brechen auf! Ich will nach Palmar und habe keine Zeit zu verlieren.«

Dieser Befehl, gegen den sich die entwaffneten Gegner nicht wehren konnten, wurde sofort ausgeführt. Die erbeuteten Lassos bildeten die Fesseln; die Waffen wurden unter die Sieger verteilt. Dann nahmen wir die Gefangenen zwischen uns und brachen auf, um der Stadt Palmar und neuen Ereignissen entgegenzureiten.

Viertes Kapitel: In der Höhle des Löwen

Wir hatten die Bolamänner am jenseitigen Ufer verschwinden sehen, und auch das Floß war fort; es war also wohl kein eigentlicher Grund zur Besorgnis vorhanden, und doch fühlte ich eine Unruhe, welche mich von dem Lagerplatze forttrieb. Ich stand auf und ging, um zu rekognoscieren, wobei ich mich hart am Ufer hielt. Ich konnte nichts Verdächtiges bemerken und kehrte nach etwas über einer halben Stunde um. Dabei war ich ganz ohne Ahnung, daß ich einem feindlichen Wesen begegnen könne, da gegen Süden der schon erwähnte Posten ausgestellt worden war, welcher ihre Annäherung unbedingt bemerken mußte. Ein Ueberfall konnte also hier unmöglich gelingen.

Indem ich so langsam durch das Schilf stieg, hörte ich seitwärts hinter mir ein Geräusch. Schnell drehte ich mich um. Ein Mann war hinter einem Busche, wo er sich versteckt hatte, hervorgetreten und warf soeben die Schlinge seines Lasso nach mir. Ich hatte gerade noch Zeit, meine Büchse in der Mitte zu fassen und dieselbe in wagerechter Lage mir über den Kopf zu halten. Dadurch hielt ich zwar die Schlinge ab, so daß sie nicht auf mich niederfallen konnte, aber sie schlang sich um den Lauf des Gewehres und riß mir dasselbe in der Weise aus der Hand, daß der Kolben mir mit aller Kraft an den Kopf geschlagen wurde.

Einen Augenblick stand ich halb betäubt. Es flimmerte mir vor den Augen. Dennoch sah ich, daß noch mehrere Kerle aus dem Gebüsche traten. Ich griff nach dem Gürtel, um die Revolver zu ziehen; da aber flogen zu gleicher Zeit drei Bolas auf mich zu. Ich wollte zur Seite springen, brachte es aber nicht fertig. Die drei Kugeln der einen Bola wirbelten mir um die Beine, so daß die Riemen sich mir um die Füße schlangen. Die beiden andern trafen mich an Kopf und Oberleib. Ich wurde augenblicklich niedergerissen und hatte nun an mir selbst den Beweis von der Gefährlichkeit dieser Schleuderwaffen. Kaum war ich gestürzt, so warfen sich die Männer auf mich. Ich konnte mich gar nicht wehren, da die Bolas sich mir auch um die Arme geschlungen hatten. Im Nu war ich gebunden und aller meiner Habseligkeiten beraubt. Die sechs Kerle grinsten mich höhnisch an und überschütteten mich mit beleidigenden Fragen und Drohungen, für welche ich natürlich kein Wort der Entgegnung hatte.

Sie gehörten zu den Bolamännern. Ich erkannte sie sofort. Wie war es ihnen möglich gewesen, unbemerkt zurückzukommen? Jedenfalls hatte der Posten seine Pflicht versäumt.

Ich hatte keinen einzigen Schuß, keinen Ruf, ja nicht den geringsten Laut gehört, aus welchem ich auf einen Kampf hätte schließen können. Also war es meinen Gefährten ebenso ergangen, wie mir: sie waren auf dem Lagerplatze während meiner jetzigen Abwesenheit überfallen worden, ohne Gegenwehr leisten zu können.

Da ich gebunden war, konnte ich nicht gehen und glaubte daher, daß man mich forttragen werde. Das geschah aber nicht. Man schlang mir einen Lasso unter den Armen hindurch und schleifte mich auf diese Weise nach der Halbinsel. Wäre mein Anzug nicht von Leder gewesen, so wäre er vollständig zerfetzt worden. Die Männer kündeten ihren Sieg durch laute Rufe an, so daß diejenigen, welche sich auf der Halbinsel befanden, bereits benachrichtigt waren, ehe wir dort ankamen.

Wie ich nicht anders erwarten konnte, befand sich der Major mit seinen Leuten dort. Außer den sechs waren noch andere abgeschickt worden, mir aufzulauern, denn man hatte nicht gewußt, aus welcher Richtung ich kommen werde. Diese Leute kamen nun auch herbei, da sie durch die jubelnden Rufe belehrt wurden, daß man sich meiner bemächtigt habe. Meine Gefährten lagen unter den Bäumen, ebenso gefesselt, wie ich. Keiner von ihnen fehlte, und keiner war verwundet. Wie hatten diese Menschen sich nur so überraschen und ohne allen Widerstand festnehmen lassen können! Es war mir unbegreiflich.

Freilich war ich selbst auch nicht aufmerksam und vorsichtig genug gewesen; aber man hätte mir doch keinen Hinterhalt legen können, wenn die Gefährten weniger sorglos gewesen wären. Hätte nur einer von ihnen einen Schuß abgegeben, so wäre dieser von mir gehört worden und ich hätte Verdacht gefaßt. Selbst im Falle ihre Verteidigung ohne Erfolg gewesen wäre, hätte wenigstens ich die Freiheit behalten und dieselbe natürlich nur dazu benützt, ihnen auf irgend eine Art und Weise Hilfe zu bringen.

Ich wurde vor den Major geschleift. Er kreuzte die Arme über die Brust und begrüßte mich unter höhnischem Lachen:

»Mein Kompliment, Sennor! Es freut mich sehr, Sie wiederzusehen! Wie geht es Ihnen?«

Ich antwortete ihm nicht.

»Reden Sie!« schnauzte er mich an, indem er mir einen Tritt gab. Auch diese Aufforderung war ohne Erfolg.

»Ah!« lachte er. »Ich verstehe! Der Deutsche ist ein vornehmer Sennor. Sein Stolz verbietet ihm, mit uns zu sprechen, wenn er an der Erde liegt. Richtet ihn also auf, und lehnt ihn an den Baum! Vielleicht hat er dann die Gnade, mich einer Antwort zu würdigen.«

Man gehorchte diesem Befehle. Der Mann hatte mich erschießen lassen wollen. Vielleicht war er gewillt, dies jetzt zu thun. Ich verhehlte mir nicht, daß ich mich in Lebensgefahr befand, zumal ich es war, auf den sein Haß und seine Absicht der Rache vorzüglich gerichtet sein mußte. Darum erschien es mir nicht geraten, seinen Zorn absichtlich herauszufordern. Es war jedenfalls vorteilhafter für mich, anstatt zu schweigen, ihm seine Fragen zu beantworten.

»Nun, Sennor,« sagte er, »Sie nehmen jetzt diejenige aufrechte Stelle ein, welche Ihrer Würde angemessen ist, und werden nun wohl Ihre liebe Stimme hören lassen. Freuen Sie sich nicht ebensosehr, wie ich, über unsere jetzige Begegnung?«

»Außerordentlich!« nickte ich.

»Sie geschah schneller, als Sie dachten. Ich hatte es Ihnen vorausgesagt. Sie wollten es mir aber nicht glauben. Jedenfalls haben Sie noch nicht vergessen, was Sie mir für den Fall eines nochmaligen Zusammentreffens angedroht haben? Sie sagten, daß Sie mich nicht so schonen würden, wie bisher. Erinnern Sie sich dessen, Sennor?«

»Sehr gut.«

»Nun aber ist es anders gekommen. Nicht ich befinde mich in Ihren Händen, sondern Sie sind in den meinigen. Erwarten Sie vielleicht Schonung von mir?«

»Ich weiß nicht, was Sie Schonung nennen.«

»Schonung ist’s zum Beispiel, wenn ich Ihnen nicht das Leben nehme, Sie aber dadurch unschädlich mache, daß ich Ihnen eine Ladung Pulver in die Augen schieße. Was sagen Sie dazu?«

»Sie werden weder das eine, noch das andere thun!«

»Meinen Sie? Wie kommen Sie zu dieser ganz unbegründeten Ansicht?«

»Dadurch, daß ich Sie nicht für ein wildes Tier, sondern für einen Menschen halte. Sie wissen sehr genau, daß nicht ich es bin, welcher die Schuld an den bisherigen Feindseligkeiten trägt. «

»Ich doch wohl nicht! Sie sind ein Landesverräter und Mörder. Man muß Ihnen die Kugel oder den Strick geben!«

»Sie selbst glauben nicht an die Anschuldigung, welche Sie aussprechen. Selbst wenn ich das, was Sie mir vorwerfen, gethan hätte, wären Sie nicht zuständig und nicht berechtigt, über mich ein Urteil zu fällen oder gar dasselbe auszuführen.«

»Was ich bin und was ich thun werde, das weiß ich selbst; Ihre Ansicht brauche ich da nicht, Sennor. Damit Sie aber nicht in Zweifel bleiben über das, was Ihrer wartet, will ich es Ihnen mitteilen. Ja, ich hatte die Absicht, Sie erschießen zu lassen, denn es gab Gründe, Sie zu entfernen, und bei Ihrer Gewaltthätigkeit war nicht anzunehmen, daß ich Sie glücklich bis hierher bringen würde. Nun wir uns aber hier befinden, so fällt es mir gar nicht ein, Ihnen das Leben zu nehmen. Sie werden Soldat, verstanden?«

Diese letzteren Worte beruhigten mich außerordentlich. Wenn man mir das Leben ließ, so war ja alles gut. Was man sonst mit mir vorhatte, konnte mir sehr gleichgültig sein, denn ich wußte im voraus, was ich dagegen zu thun hatte. Freilich konnte ich mir nicht erklären, welche Gründe der Major gehabt hatte, mich am Rio Negro erschießen zu lassen, und welche andere Gründe ihn jetzt hier am Uruguay veranlassen konnten, darauf zu verzichten.

»Ich verstehe!« antwortete ich.

»Natürlich werden Sie sich bei mir für diesen Entschluß, den ich gefaßt habe, auf das herzlichste bedanken!«

»Das kann mir nicht einfallen, denn Sie haben weder das Recht, mich erschießen zu lassen, noch dasjenige, mich unter die Soldaten zu stecken!«

»Ich nehme es mir! Ich bin Ihr Kommandeur und werde Sie beim ersten Vergehen gegen die Subordination erschießen lassen!«

»Ich bin Ihnen keinen Gehorsam schuldig!«

»Und ich werde Ihnen das Gegenteil beweisen, indem ich Ihre Angelegenheit dem General vortrage und diesen entscheiden lasse. Da ich überzeugt bin, daß er meine Bestimmungen bestätigen wird, so betrachte ich Sie bereits jetzt als Soldat.«

»Und ich nehme nach wie vor an, daß ich Civilist bin. Nur derjenige ist Soldat und kann wegen etwaiger Subordination bestraft werden, der zur Fahne geschworen hat.«

»Das werden Sie sehr bald thun. Uebrigens sind Sie es nicht allein, sondern Ihre sämtlichen Gefährten werden gezwungen, in unsere Reihen zu treten. Sie haben sich schon dazu bereit erklärt.«

»Das ist nicht meine, sondern ihre Sache. Ich werde niemals meine Zustimmung geben.«

»Sie werden sie geben, denn das ist der einzige Weg, auf welchem Sie Ihr Leben retten können. Was hindert mich, Sie gleich jetzt erschießen zu lassen? Nichts, gar nichts! Sie haben es nur meiner ungewöhnlichen Güte und Nachsicht zu verdanken, wenn ich es nicht thue. Diese Nachsicht haben Sie nicht verdient, und ich stehe soeben im Begriff, Ihnen Gelegenheit zu geben, sich derselben würdig zu machen. Warten Sie einen Augenblick!«

Er prüfte alle die Gegenstände, welche man mir abgenommen hatte, ließ dann meine Taschen und den Gürtel nochmals genau untersuchen und sagte, als nichts gefunden wurde:

»Ich habe gesehen, welch ein vorzüglicher Reiter Sie sind. Sie haben auch bewiesen, daß Sie Mut, ja Verwegenheit besitzen. Sobald Sie auf Ihren jetzigen Widerstand verzichtet haben, werden Sie ein höchst brauchbarer Soldat sein. Waren Sie vielleicht schon Militär?«

»Nein.«

»So werde ich Sie einexerzieren lassen, und Sie können dann sicher sein, daß Sie schnell avancieren. Ich weiß, daß Sie mir das später Dank wissen werden. Wenn ich diese Absicht ausführen soll, muß ich für eine geeignete Ausrüstung für Sie sorgen. Dazu reicht aber Ihr Geld nicht aus.«

Diese Worte sagten mir, was er jetzt verlangen werde. Darum antwortete ich ihm:

»Wer für die Ausrüstung sorgt, hat sie auch zu bezahlen! Uebrigens reicht die Summe, welche Sie mir abgenommen haben, aus, zehn Offiziere auszustatten.«