Buch lesen: «7 Engel», Seite 3

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Der Makler, dem der Schweiß von der Stirn tropfte, erklärte die Gegebenheiten der Villa und dass es wünschenswert wäre, den Gärtner beziehungsweise Handwerker John Smith und die Haushälterin beziehungsweise Köchin Sue Smith, ein Ehepaar Mitte fünfzig, zu übernehmen, wenn das Grundstück den Besitzer wechselte. Laurenz nickte zufrieden und hakte in Gedanken einen weiteren Punkt auf seiner Liste ab. Das Innere war genauso vielversprechend wie der Garten. Im Erdgeschoss befanden sich ein Wohnzimmer mit Essbereich, eine Küche, ein Büro, ein Haushaltsraum und eine Toilette. Im oberen Stockwerk waren ein geräumiges Badezimmer mit Eckbadewanne und Dusche, drei Schlafräume und eine weitere Toilette untergebracht. Alles war im Stil des Hauses geschmackvoll eingerichtet und sauber geputzt.

„Ich wusste gar nicht, dass alles möbliert ist, sind die Möbel im Kaufpreis inbegriffen?“, fragte Laurenz den Makler, der durch das Treppensteigen außer Atem geraten war.

„Äh, Entschuldigung, dass ich Ihnen diese Information vorenthalten habe, aber Sie haben recht, die Möbel sind im Kaufpreis inkludiert“, erwiderte der mittlerweile penetrant nach Schweiß riechende Verkäufer.

„Das läuft ja besser, als ich dachte. Wenn ich geahnt hätte, dass das Haus bezugsfertig ist, hätte ich mir einiges an Planung erspart“, rügte Laurenz den Makler, der daraufhin ein bedauerndes „Tut mir leid!“ murmelte.

„Na ja, besser so als umgekehrt. Ich werde das Haus kaufen und melde mich am Montagmorgen in Ihrem Büro, um die Formalitäten zu klären.“ Laurenz reichte dem schwitzenden Mann die Hand, der sie mit einem breiten Grinsen schüttelte.

Das weitere Gespräch der beiden nutzte Elina, um das Haus genauer unter die Lupe zu nehmen. Mit Staunen betrachtete sie die liebevollen Einzelheiten, die das Flair dieses Anwesens ausmachten. Sie fühlte sich wie in einem verzauberten Schloss. Sie stellte sich vor, wie sich ein waschechter König und eine waschechte Königin mit ihrem gesamten Personal in dem Haus tummelten. Der Prinz und die Prinzessin spielten mit ihren wertvollen Spielsachen, während in der Küche ein königliches Dinner zubereitet wurde. Man konnte förmlich riechen, wie der köstliche Duft das Haus erfüllte.

Der Blick aus dem Fenster rundete das Gesamtbild ihrer romantischen Fantasie ab. Der Ausblick war zu schön, um wahr zu sein. Der perfekte Spielplatz für ihre erdachten königlichen Kinder und der beste Erholungsort für deren vielbeschäftigte Eltern. Im Augenwinkel bemerkte sie, dass der Makler ins Auto stieg und davonfuhr.

„Ich möchte dir etwas zeigen.“ Elina schrie auf, als Laurenz plötzlich hinter ihr stand. „Entschuldigung, ich wollte dich nicht erschrecken.“

„Oh, ich war nur in Gedanken. Das Haus ist umwerfend schön.“

Laurenz forderte sie auf: „Komm mit mir in den Garten. Es wird dir gefallen.“

Bereitwillig folgte sie ihm. Vorsichtig nahm er ihre Hand und führte sie nach draußen. Er überraschte Elina mit einem Picknick am Teich, um den erfolgreichen Kauf zu feiern. Auf der Wiese lagen eine Decke und ein prall gefüllter Picknickkorb mit verschiedenen Käsesorten, Weintrauben, Feigen, Oliven, Baguette, Wasser und Wein. Auch das dazupassende Geschirr stand parat.

„Wann hast du ...“

Laurenz legte seinen ausgestreckten Zeigefinger auf ihre Lippen. „Ein Anruf genügt“, erwiderte Laurenz mit seinem zauberhaften Lächeln und Elina wurde schon wieder schwindelig. Nach einem langen, ausgedehnten Abendessen legten sich Elina und Laurenz ins Gras, um die Sterne zu bewundern. Ihr Bauch spannte von den ausgezeichneten Speisen aus dem Picknickkorb.

„Elina?“

„Ja?“

„Ich habe das Gefühl, als wären wir schon immer Freunde gewesen. Ich würde dich gerne küssen, aber ich weiß nicht, ob dir das recht ist. Ich muss am Montag nach Los Angeles zurück und werde so schnell nicht wiederkommen.“

„Ich weiß, aber ich würde dich auch gerne berühren.“

Glücklich beugte er sich über sie. Elina schaute ihm tief in die dunklen Augen, wie von einem Magneten fühlte sie sich von ihm angezogen. Als sich ihre Lippen im Schein des Mondes trafen, war es für Elina wie ein Feuerwerk, das in ihrem Inneren losbrach. Das Gefühl des Verbotenen stieg in ihr auf und das Verlangen nach mehr wuchs in ihrem Herzen.

Laurenz brachte sie nach diesem wunderschönen Tagesausklang nach Hause. Mit einem weiteren innigen Kuss entließ er sie in die Nacht.

Elina konnte an diesem Abend trotz Müdigkeit lange nicht einschlafen, in ihrem Kopf stritt sich die Leidenschaft mit dem unbestimmten Gefühl, einen großen Fehler zu begehen.

*

Kapitel 5

Am nächsten Tag machte Laurenz, in Elinas Beisein, den Vertrag über den Hauskauf klar. Der Makler rieb sich fröhlich die verschwitzten Hände, in Erwartung der saftigen Provision, die ihm der Verkauf sicherlich einbrachte.

Anschließend stand noch ein Besuch beim Gemeindeamt an, der keine weiteren Probleme aufwarf. Laurenz’ Freund Richard Benigna besaß nach wie vor die britische Staatsbürgerschaft. Daher waren nur Formalitäten zu klären, die umgehend abgewickelt waren.

Alles in allem waren der Hauskauf und die dazugehörigen Behördengänge schnell geregelt. Laurenz wurde glaubhaft versichert, dass alle Papiere schnellstmöglich ausgestellt und zugesandt werden würden, sodass Richard das Haus ohne böse Überraschungen beziehen konnte, sobald er in Großbritannien eintraf.

Ein kurzer Besuch auf der Bank, die die Finanzen Richard Benignas verwaltete, beendete den offiziellen Teil des Tages. Zum jetzigen Zeitpunkt wurde von dem Bankberater gewährleistet, dass alle Versicherungen, die Richard in Bezug auf den Hauskauf abgeschlossen hatte, gültig seien und jederzeit Bargeld für ihn zur Verfügung stehen würde.

So beschlossen Laurenz und Elina nach einem späten Mittagessen, das aus einem einfachen Sandwich bestand, nach London zu reisen. Dort wollten sie einen schönen Nachmittag verbringen, durch die Stadt bummeln, essen gehen und den Abend in Soho ausklingen lassen. Beide umhüllte der Glanz der Aufregung, auch wenn sie es sich gegenseitig nie eingestanden hätten.

Dort angekommen spendierte Laurenz seiner Begleiterin eine Fahrt im London Eye und sie genossen den beeindruckenden Blick über die Stadt. Laurenz unterhielt die ganze Gondel mit seinen lustigen Anekdoten über die Geschichte Englands, Dingen, über die sich die Geschichtsbücher für gewöhnlich ausschwiegen.

Danach nahmen sie in einem Pub ein einfaches, traditionell englisches Abendessen ein. Die Fish and Chips schmeckten köstlich und das genau richtig temperierte, also lauwarme britische Bier mit dem Namen London Pride rundete das Ganze ab. Ein Apple Pie war das Sahnehäubchen obendrauf.

Elina, die etwas zu viel gegessen hatte, hielt plötzlich nichts mehr von einem Abend in Soho, sie zog es zu einer ruhigeren Beschäftigung. So suchten die beiden ein Kino am Trafalgar Square auf. Wie der Zufall es wollte, lief ein Film im Kino, in dem Laurenz Winter eine Nebenrolle spielte. Elina wollte ihn unbedingt sehen. Sie bearbeitete ihn mit ihrem Charme.

Laurenz wehrte sich zuerst, willigte dann aber beschämt ein, den Film mit ihr anzusehen. Denn eigentlich wollte er nur ihre Hand halten und ihre Gegenwart spüren. Er würde alles tun, um sie in seiner Nähe zu haben. Irgendwie kam er sich wie ein Teenager vor, der das erste Mal verliebt war und versuchte, das Herz seiner Angebeteten im Sturm zu erobern.

Er zahlte die Kinotickets und beide mussten über das Filmplakat lachen, welches neben der Kassiererin hing. Laurenz war an dessen linkem Rand zu sehen, grimmig dreinblickend. Er ahmte den bösartigen Gesichtsausdruck nach, was die Angestellte verunsicherte. Sie bemerkte nicht, dass sie einen Schauspieler des Kinostreifens vor sich hatte, an den sie gerade Karten verkaufte. Elina konnte sich nicht mehr halten vor Lachen. Laurenz benahm sich wieder einmal wie ein kleiner Junge.

Beim Kauf von Popcorn und Cola war es nicht besser. Er brachte den Typen hinter der Theke zur Verzweiflung mit seinen gespielten Extrawünschen und der Unentschlossenheit, was er trinken wollte. Nur um im Endeffekt das Erstgenannte zu kaufen. Erleichtert sah der Verkäufer zu, als sie endlich in Richtung Kinosaal abzogen.

Laurenz sprach flüsternd seinen Rollentext in Elinas Ohr, nicht ohne es theatralisch zu überziehen. Durch ihr Gelächter zog sie die bösen Blicke der anderen Kinobesucher auf sich, die in Ruhe den Film sehen wollten. Sie fühlte sich so unbeschwert und leicht, ihr Handeln widersprach zwar ihrer angeborenen Vernunft, deren Stimme beängstigende Ähnlichkeit mit der von Ruth hatte. Aber heute war ihr das egal, sie wollte einfach nur einmal Spaß haben, ohne viel nachzudenken. Schmunzelnd versuchte sie sich trotz Laurenz’ Blödeleien auf den Film zu konzentrieren. Doch irgendwie war es komisch, ihn als Bösewicht auf der Leinwand zu sehen, wie er all diese schrecklichen Verbrechen beging. Sie staunte, wie atemberaubend schön er auf der großen Bildfläche wirkte. Unbewusst wanderte ihr Blick auf den echten Laurenz Winter und sie begann, ihn von oben bis unten zu mustern. Erst zu spät bemerkte sie, wie er sie dabei schmunzelnd beobachtete. Schnell richtete sie ihren Blick wieder geradeaus.

Sie strich über seine Handflächen, und als sich die beiden Hauptdarsteller küssten, beugte sich Elina zu Laurenz, um seine weichen Lippen zu spüren. Diese formten sich zu einem bezaubernden Lächeln, als Elina ihm tief in die Augen schaute. In dem abgedunkelten Kino hatte das fast etwas Geheimnisvolles. Sie küssten sich leidenschaftlich. Es kam ihr vor wie ein Traum, hier zu sitzen, an den schönsten Schauspieler des Films geschmiegt. Sie wollte nie wieder aufwachen.

Die ersten Sonnenstrahlen des Tages kitzelten Elina an der Nase, sie öffnete ihre Augen, um festzustellen, dass sie nicht allein war. Laurenz lag friedlich schlummernd neben ihr. Sie erschrak und sah an sich herab, sie hatte noch immer die Kleider vom Vortag an, aber sie lag in ihrem eigenen Bett.

Sie musste im Auto eingeschlafen sein, als Laurenz regelrecht nach Sevenoaks zurückflog. Daraufhin dürfte er sie sanft ins Bett getragen haben und neben ihr eingeschlafen sein. Sonst könnte sie sich erinnern, wenn es anders gewesen wäre. Elina seufzte erleichtert, sie hatte nichts Unrechtes getan, außer sich zu sehr der Nähe dieses Mannes, dessen Anblick ihr jedes Mal ein Kribbeln im Bauch bescherte, hingegeben zu haben.

„Du gehst zu weit, Elina!“ Malak stand mitten im Raum, in gleißendes Licht gehüllt. „Gott hat Wichtiges mit dir vor!“

Elina schrie vor Schreck auf und der Engel, der gerade noch vor ihr gestanden hatte, war verschwunden. Laurenz fuhr aus dem Schlaf hoch und nahm sie verwirrt in den Arm, sie schluchzte. Ganz eng kuschelte sie sich an ihn. Was meinte Malak nur damit, dass sie zu weit ging? Sie konnte sich nur vorstellen, dass sie Laurenz zu nah an sich heranließ, aber was sollte falsch daran sein? Ihr war so viel Leid in ihrem Leben widerfahren, dagegen war es unbeschreiblich schön, in Laurenz’ Armen zu liegen. Abermals stieg Ärger über sich selbst in ihr hoch, den Engel erneut nicht bis zum Ende angehört zu haben. Musste sie so schreckhaft sein?

„Elina, ich habe dich sehr gerne!“, unterbrach Laurenz ihre Gedanken und küsste sie fester als bisher auf den Mund.

Seine Hand grub sich in ihren Nacken, während sein Kuss fordernder wurde. Elina keuchte und schob ihn sanft von sich. Verunsichert vom Erscheinen des Himmelsboten schaute sie den Mann in ihrem Bett fragend an. Sein Blick verriet ihr, dass er ihre Reaktion in keiner Weise verstand. Aber wie sollte er auch?

„Entschuldigung, ich ...“, stammelte Laurenz.

„Ich hab dich auch sehr gerne“, erwiderte Elina, „aber ich kann meine Gefühle nicht richtig einordnen.“ Schnell verschwand sie im Bad und ließ ihn enttäuscht zurück.

Elina kochte gerade Kaffee, als Laurenz mit nass glänzenden Haaren, nur in ein Handtuch gehüllt, in der Tür erschien. Sie hätte am liebsten erneut aufgeschrien, denn sein Anblick entfachte ein Feuer in ihr, das sie selbst nicht zu löschen vermochte. Sein muskulöser Oberkörper war wie aus Porzellan gemeißelt.

„Elina, du gehst zu weit!“, ertönte die glockenhelle Engelsstimme in ihrem Kopf.

Beschämt schaute sie auf die Kaffeekanne.

„Elina, du weißt, dass ich morgen abreisen muss. Ich werde mein Leben in Los Angeles fortsetzen und nur ganz selten hier in der Nähe sein. Ich kann dir ein Leben an meiner Seite in Hollywood anbieten, auch wenn ich weiß, dass eine so besondere Frau wie du in dieser oberflächlichen Filmwelt sehr schwer einen Platz finden wird. Ich möchte dich nicht abschrecken, ich möchte nur ehrlich zu dir sein.“

Elina legte ihm den Zeigefinger auf die Lippen. „Lass gut sein, mein Platz ist hier, nicht in Amerika oder sonst wo. Ich mag mein bescheidenes Leben, ich habe schließlich hart dafür gearbeitet, außerdem kommt Ruth irgendwann wieder und dann möchte ich da sein.“

Laurenz küsste sie auf die Stirn. „Elina, ich dachte, wir könnten noch ... ich ...“ Plötzlich verließ ihn der Mut.

Stattdessen näherte er sich ihr vorsichtig und küsste sie genauso drängend wie zuvor, strich ihr zärtlich über den Hals, die Schultern, den Rücken, massierte sanft ihre Brust. Er hob sie hoch und trug sie ins Schlafzimmer, behutsam legte er sie auf das Bett und diesmal gab Elina sich ihrem Verlangen hin, versank mit ihm in einem Feuerwerk der Lust.

„Du gehst zu weit, Elina!“, kreiste der Gedanke in ihrem Kopf.

Warum konnte sie Laurenz’ Umarmung nicht genießen? Sie spürte noch immer seine Leidenschaft, mit der er sie geliebt hatte, doch es plagten sie Schuldgefühle. Elina wurde nicht schlau daraus. Sie wusste, dass Ruth das hier niemals gutheißen würde, für ihre Schwester gehörten Sex und Ehe zusammen. Aber Ruth konnte nicht fühlen, was Elina gerade empfand, sie war noch nie so glücklich gewesen. Laurenz schmiegte sein Gesicht an ihren Hals, seine Nähe machte sie verrückt.

„Ich muss meine Sachen packen und alles für den Abflug morgen früh vorbereiten. Wenn du möchtest, würde ich gerne den Rest des Tages mit dir verbringen?“

Elina nickte. „Ich begleite dich!“

„Oh, eigentlich wollte ich dich um einen Gefallen bitten, damit ich schneller wieder ganz und gar bei dir sein kann. Könntest du meinen Termin in dreißig Minuten mit dem Hauspersonal übernehmen?“

„Am Sonntag?“, fragte Elina ungläubig.

„Es geht nur um die Verlängerung des Vertrages von John und Sue Smith. Es ist alles vorbereitet, sie haben die Papiere bereits erhalten. Ich habe mit ihnen telefoniert und sie sind überglücklich, ihre Arbeit behalten zu können, und dankbar für die Gehaltserhöhung. Sie wollen beide zustimmen, es fehlt nur noch ihre Unterschrift. Wir treffen uns in, sagen wir, einer Stunde beim Haus?“

Elina stimmte zähneknirschend zu, wollte sie doch keine Sekunde der verbleibenden Zeit mit Laurenz verpassen. Ein kleines Loch fraß sich in ihr Herz und ließ sie ahnen, dass sie doch zu weit gegangen war.

*

Kapitel 6

Elina verabschiedete sich vom Hauspersonal, dem Ehepaar Smith. Die beiden waren sehr freundlich. Warum war sie ihnen vorher nie begegnet? Sie wohnten direkt neben der Backsteinvilla in einem Personalhäuschen, das genau auf der gegenüberliegenden Seite von Ruths Heim stand. Elina war bis jetzt entgangen, dass dieses Gebäude überhaupt bewohnt war, aber sie hatte sich auch nie gefragt, wem das gesamte Anwesen gehörte, geschweige denn wer es bewirtschaftete.

John und Sue erzählten ihr, der Vorbesitzer Mr Cobbler wäre im Alter von zweiundachtzig Jahren verstorben. Der rüstige alte Mann war vor etwa drei Monaten einem Herzversagen erlegen. In seinem Testament habe er verfügt, die Smiths weitere sechs Monate zu bezahlen, damit sie sich einen anderen Job suchen konnten, falls der Hauskäufer keinen Bedarf an Personal hatte. Aber sie liebten ihre Arbeit und waren nun dankbar, bleiben zu können.

Vor der Tür traute sie ihren Augen kaum. Da stand eine Kutsche, vor die eine stattliche Shire Horse Stute gespannt war. Das edle Tier wirkte ruhig und entspannt. Auf dem Kutschbock saß Laurenz, bekleidet mit einer weißen eleganten Hose und einem tiefblauen Poloshirt. Mit seinen dunklen Haaren sah er unverschämt gut aus. Elina lief so gar nicht damenhaft auf ihn zu.

„Madame“, grinste er freudestrahlend. In gehobener, veralteter Sprache fuhr er fort: „Würden Sie mir die Ehre erweisen? Ich bitte Sie höflichst einzusteigen.“

Seine betont strenge und hochnäsige Miene ließ Elina laut auflachen, er konnte so komisch sein.

Sie schwang sich elegant auf den Kutschbock und setzte sich neben Laurenz, der ihr die Zügel reichte. Sie nahm sie schweigend entgegen und grinste in sich hinein wegen seines Versuchs, sie zu verunsichern.

Sie lenkte die Kutsche gekonnt durch den Park, was ihren Kavalier in Staunen, gepaart mit Bewunderung, versetzte. „Woher kannst du das? Ich wollte dich eigentlich nur necken. Damit habe ich nicht gerechnet.“

„Oh, ich habe früher auf einem Gestüt Kutschfahrten für Kinder begleitet und mir so am Wochenende etwas Geld dazuverdient. Ich glaube, da war ich so vierzehn Jahre alt.“

Laurenz sah traurig zu Boden. „Elina, es gibt so viel, das ich nicht von dir weiß. Ich würde so gerne noch mehr von dir erfahren.“

„Du könntest mir E-Mails schreiben, wenn du wieder zu Hause bist“, schlug sie vor.

„Ja, zumindest das könnten wir tun, um in Kontakt zu bleiben“, flüsterte Laurenz ihr ins Ohr und küsste ihren Hals.

Eine warme Sommerbrise wehte ihnen ins Gesicht, die malerische Landschaft flog an ihnen vorbei, der Moment war perfekt. Elina schwebte über den Wolken, weit weg vom Boden der Tatsachen, der sie nur allzu bald einholen sollte.

Nach der romantischen Kutschfahrt in der wunderschönen Umgebung von Sevenoaks dirigierte Laurenz Elina erneut zur Weide am Teich, süße Erinnerungen an den vorletzten Abend machten sich in ihrem Kopf breit.

Die Ankunft bei der Backsteinvilla ließ sie davon träumen, hier mit Laurenz an ihrer Seite zu leben. Sie würden mit ihren Kindern gemeinsam am Teich spielen und eine glückliche, zufriedene Familie sein. Doch sie wusste nur zu gut, dass dieser Traum nicht der Realität entsprach und ein ebensolcher bleiben würde. Ihre Wünsche waren schon verflogen, ehe sie einen genauen Blick darauf werfen konnte.

Elina erwachte aus ihrem Tagtraum, als sie den gedeckten Tisch mit zwei eleganten weißen Stühlen, einer Weinkaraffe und zwei Gläsern, sowie einem weißen Blumengesteck im Holzpavillon bemerkte. Laurenz bat sie an den Tisch und rückte ihr den Stuhl zurecht, ehe er selbst Platz nahm. Alles war liebevoll bis ins kleinste Detail arrangiert. Eine geübte Hand musste das während ihrer Abwesenheit zuwege gebracht haben. Wie aus dem Nichts erschien ein Kellner, schenkte Wein ein und brachte wenig später die Vorspeise, kleine Gurkensandwiches mit Zitronenbutter.

„Wann hast du das schon wieder organisiert?“

„Ein paar Anrufe haben genügt“, zwinkerte ihr Laurenz zu.

Elina wusste, dass ihre Welt eine ganz andere war als die ihres Gegenübers. Warum verblüffte sie das immer noch? Alles schien bei diesem Mann so unendlich leicht zu sein, vielleicht liebte sie deshalb seine Gesellschaft, er ließ sie die Sorgen des Alltags vergessen.

Der Salat mit Avocado und Birnen schmeckte himmlisch, die Apfelsuppe schmeichelte Elinas Gaumen, doch das Roastbeef mit Yorkshirepudding und Wirsingkohl war das beste Gericht, das sie jemals gegessen hatte. Solche erlesenen Speisen kannte sie nur aus der Zeit, als sie als Kellnerin gejobbt hatte. Da hatte sie die Reste zu essen bekommen, die übrig geblieben waren.

Das als Nachspeise gereichte Trifle erinnerte sie an glückliche Kindheitstage. Im Geiste sah sie ihre Familie am Tisch sitzen und aus einem besonderen Anlass ebenjenes Dessert regelrecht verschlingen, weil es so gut schmeckte.

„Danke für das perfekte Dinner. Ich liebe traditionelle englische Küche.“

„Ich weiß.“ Laurenz lehnte sich selbstzufrieden zurück und nippte an seinem Weinglas.

Bei Käse und Portwein angelangt, brannte Elina noch eine Frage auf der Zunge. „Warum kauft sich Richard Benigna hier ein Haus, wenn er überall auf dieser Welt in Saus und Braus leben könnte?“

Laurenz erzählte, dass Richard nicht der Typ für übermäßigen Reichtum sei, auch der Rummel um seine Person wäre ihm oft zu viel. Er liebe die Schauspielerei, wolle aber seine Privatsphäre in einem gewissen Maße bewahren.

„Er ist ein Vorbild, wie er mit seinem Geld umgeht, er vergisst nicht, wie viele Menschen auf dieser Welt in Armut leben, und unterstützt viele Hilfsprojekte finanziell.“ Laurenz bemerkte, er persönlich wäre eher gefährdet, dass ihm der Ruhm zu Kopfe stiege und er durch nicht enden wollende Partynächte sein Geld einfach so zum Fenster hinauswürfe. Richard wäre anders, er wolle anderen Leuten einfach eine Freude machen mit seinen Filmen.

Auch seine Freundin und Schauspielkollegin Mary Jakob sei nicht immer mit seinem Lebensstil einverstanden gewesen, aber sie hätten sich geliebt und wollten eine Familie gründen. Bis er eines Tages erfahren hätte, dass sie ihn mit dem Regisseur ihres neuen Filmprojektes betrog. Daraufhin habe er tief enttäuscht seine Sachen gepackt und sei vor Laurenz’ Tür gestanden. Er hätte bitterlich geweint und wäre mehrere Tage nicht außer Haus gegangen.

„Nach einem Monat, in dem seine Beziehung in allen Klatschspalten gehörig durch den Kakao gezogen worden war, hat er beschlossen, wieder in die Nähe von London zu ziehen, um Abstand von seinem Kummer zu gewinnen und wieder etwas zur Ruhe zu finden. Außerdem vermisst er seine Heimat England.“

„Aber warum hat er dich geschickt?“ Elina war sehr neugierig.

„Er muss die Arbeiten zu einem Film abschließen, möchte dann aber gleich los. Mein derzeitiges Projekt ließ mir ein paar Tage Freizeit, deshalb bot ich an, ihm zu helfen. Er nahm dankbar an, er weiß, er kann sich auf mich voll und ganz verlassen.“

Als der Kellner mit den letzten Tellern gegangen war, schlug Laurenz vor, im Teich zu baden. Elina war sich nicht sicher, sie hatte keine Badekleidung dabei.

Laurenz lachte. „Ich habe dich bereits nackt gesehen und es würde mich nicht stören, wenn du dich noch einmal ausziehst. Ich liebe deinen Körper, es macht mich glücklich, ihn zu betrachten.“ Er ging auf sie zu, küsste ihre roten Wangen und begann, sie langsam auszuziehen.

Das lauwarme Wasser prickelte auf Elinas Haut. Laurenz fasste sie um die Hüfte und küsste ihren Nacken, während sie zum Mond hinaufblickte und wusste, dass es das letzte Mal in trauter Zweisamkeit war. Laurenz würde morgen früh im Flieger nach Hollywood sitzen, das waren ihre letzten gemeinsamen Stunden. Wehmut kam in ihr auf.

Elina drehte sich um, das Wasser umspülte ihre Brust, ihre Haut glitzerte im Mondlicht. Laurenz küsste sie erregt auf die Lippen. Sie erwiderte aller Bedenken zum Trotz die Zärtlichkeit dieses muskulösen Mannes in ihren Armen. Sie begehrte ihn.

Unter der Weide vergaßen Elina und Laurenz die Welt um sich herum und erbebten unter ihren innigen Berührungen. Der Mond wurde zum einzigen Zeugen ihrer Vereinigung. Erschöpft kuschelten sie sich aneinander, kämpften gegen den Schlaf an, doch beide verloren.

Der nächste Morgen sorgte bei Elina für Überraschungen. Sie lag eingehüllt in eine Picknickdecke unter der Weide, Blätter hatten sich in ihren Haaren verfangen. Laurenz war weit und breit nicht zu sehen. Sie fand nur einen Zettel auf dem Boden mit den Worten:

Liebe Elina!

Danke für die schöne gemeinsame Zeit. Ich werde dich in meinem Herzen bewahren.

Dein Laurenz

Und darunter stand:

laurenz@winter.com.

Elina rannen die Tränen über die Wangen, wie konnte sie nur den Abschied verpassen? Jetzt war es vorbei, das Märchen von Elina und Laurenz, zerplatzt wie eine Seifenblase. Ein Abgrund tat sich in ihrem Herzen auf und eine Woge des Schmerzes überrollte sie. Verzweifelt wollte sie die letzten Stunden des vergangenen Abends festhalten, aber sie entglitten ihr und rannen ihr durch die Finger wie Sand. Die Welt brach über sie herein und schien sie langsam, aber sicher zu erdrücken.

„Vor diesem Schmerz wollte ich dich bewahren“, erklang plötzlich die Engelsstimme von Malak.

Elina versuchte, durch ihre tränenverhangenen Wimpern etwas zu erkennen. Malak stand umgeben von blendend weißem Licht vor ihr, hinter ihm sechs weitere Engel, die stumm blieben. Elina schämte sich plötzlich, nackt zu sein, sie wickelte die Decke noch enger um sich.

„Wir sind hier im Auftrag unseres Herrn Jesus Christus. Gott lässt dich in deinem Schmerz nicht allein, auch wenn es besser gewesen wäre, dich selbst davor zu bewahren.“

„Ich verstehe nicht!“, stammelte Elina.

„Elina, du bist ein Kind Gottes. Du hättest diese Beziehung nicht eingehen sollen. Laurenz wird nicht zurückkommen, er hat dir nur Schmerz hinterlassen und diesen Schmerz auch selbst mitgenommen. Außerdem hast du noch etwas anderes außer Acht gelassen.“

„Was?“, fragte sie schüchtern.

Der Engel antwortete: „Wenn aus dieser Verbindung ein Kind hervorgegangen wäre, wolltest du es weit weg von seinem Vater alleine aufziehen?“

In Elina stieg die Panik hoch, daran hatte sie nicht gedacht, zu sehr war sie im Rausch ihrer Gefühle gefangen gewesen.

„Keine Angst, Elina, es ist noch nicht an der Zeit für dich, Mutter zu werden. Ich wollte dir nur erklären, warum die ganze Geschichte unüberlegt war.“

„Wolltest du mir das die ganze Zeit sagen?“

Malak nickte. „Ja, aber ich kann dir nur etwas mitteilen, wenn du Gottes Worte in dein Herz lässt. Erst der Schmerz hat dich für Jesus offen gemacht. Doch er weiß auch, dass du dein Leid erst überwinden musst, um bereit für deine Berufung zu sein. Gott wird dich heilen, wenn du ihn darum bittest. Geh nach Hause und lies in der Bibel deiner Mutter den Psalm 91. Finde Trost in diesen Worten.“

Malak und seine Engel waren verschwunden. Elina blieb mit gemischten Gefühlen zurück, einerseits diesem unendlichen Schmerz, der in ihrem Inneren wütete, andererseits diesem übernatürlichen Frieden, den diese Himmelsboten bei ihr auslösten. Das war zu viel für sie, sie konnte diese eigenartigen Gegensätze nur schwer ertragen.

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