Buch lesen: «DNA», Seite 5

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ZEHN

Endlich, die Glocke, das muss er sein.

Aufgeregt laufe ich zur Eingangstüre, sehe in die Kamera und tatsächlich, da lächelt mich „Onkel“ Juan an, er hat sich mit einem Taxi bringen lassen, wie er es angekündigt hatte. Schnell drücke ich auf den Öffner für das Tor und laufe nach draußen, das Taxi startet gerade um die letzten Meter bis zum Haus zu fahren, ich muss mich beherrschen um ihm nicht entgegen zu laufen.

Mein „Onkel“ hat kaum die Gelegenheit aus dem Taxi auszusteigen, da falle ich ihm bereits um den Hals. Meine Augen werden feucht, diesmal allerdings vor Freude da-rüber, ein bekanntes und geliebtes Gesicht zu sehen. In meinem Eifer bemerke ich erst nicht, dass sich noch jemand im Taxi befindet. Ein Mann, ganz in den Farben orange und rot gekleidet, steigt ebenfalls aus dem Taxi, während der Professor den Fahrer entlohnt, der mehrere Taschen aus dem Kofferraum des Taxis auslädt.

Völlig überrascht und erstaunt über die würdevolle Ausstrahlung des Mannes in Orange, kann ich ihn nur anstarren und werde erst durch die Stimme meines „Onkels“, wieder aus meiner Starre geholt.

>>Das ist mein guter Freund Li Song<<, stellt er den Mann in Orange vor, der eine große Tasche neben sich abstellt, die Hände vor der Brust zusammenlegt und sich vor mir verneigt.

Immer noch zu keinem Wort fähig, verbeuge ich mich ebenfalls vor ihm, niemals habe ich eine Verbeugung richtiger empfunden, als in diesem Moment. Wäre Buddha vor mir erschienen, hätte ich nicht ehrfürchtiger sein können. Der Mann strahlt eine sofort spürbare, wohltuende Ruhe aus. Jetzt erst fällt mir auf, dass er wie ein buddhistischer Mönch gekleidet ist. Er ist sehr groß und schlank, wie bei Mönchen üblich, ist er auf dem Kopf kahl rasiert. Er lächelt mich an und sein Gesicht scheint zu leuchten. Kleine Fältchen bilden sich an seinen gütigen Augen und mir ist sofort klar, dass ich einen Menschen vor mir habe, der das Leben und alles was sich darin bewegt liebt und ehrt. Ich bin völlig ergriffen von seiner spirituellen, fast möchte ich sagen, erleuchteten Ausstrahlung.

Plötzlich höre ich ein leises Jaulen, es kommt aus der großen Tasche, die Li Song vor der Begrüßung neben sich abstellte. Mein Blick wandert von ihm zu meinem „Onkel“, der mich mit einem breiten Grinsen ansieht.

>>Sieh nach Nicole, ich habe eine Überraschung für dich<<, fordert er mich auf.

Ich stürze mich auf die Tasche und öffne vorsichtig den Reißverschluss.

>>Woher wusstest du, dass ich mir Hunde wünsche<<, rufe ich erfreut aus.

Aus der Tasche sehen mich zwei Hundebabys mit großen braunen Augen an.

Überglücklich schnappe ich alle Beide und hebe sie aus der Tasche um sie auf dem Grundstück laufen zu lassen.

>>Es handelt sich um zwei Bordeaux Doggen<<, erklärt der Professor lächelnd.

Die kleinen Hundebabys machen keine Anstalten sich von mir weg zu bewegen und so knie ich mich zu ihnen hinunter und wir machen uns ausgiebig miteinander bekannt, ich vergesse alles um mich herum, so fasziniert bin ich von den beiden Tieren.

Dann fällt mir ein, dass ich einen Gast habe, erschreckt springe ich auf, doch nur der Professor steht neben mir, von Li Song keine Spur. >>Entschuldige bitte „Onkel“, wie unhöflich von mir, wo ist denn unser Gast?<<

>>Li sieht sich auf dem Grundstück um Nicole, kein Grund zur Sorge, er nimmt dir dein Benehmen sicherlich nicht übel. Lass uns einfach schon vorgehen, es wird sicher eine Weile dauern, bis er mit jedem Baum und jeder Pflanze gesprochen hat<<, setzt er lächelnd hinzu.

>>Machst du Witze?<<

>>Irgendwie schon<<, lächelt der Professor mich an, >>und irgendwie auch nicht, Shaolin Mönche sind eine Spezies für sich<<, er schüttelt lächelnd den Kopf und geht auf die Eingangstüre zu. >>Die Hunde kannst du draußen bei Li lassen<<, ruft er mir zu, bevor er im Haus verschwindet.

Seufzend schubse ich die Hundebabys in Richtung Wiese, sehe noch kurz nach Li, kann ihn allerdings nirgends entdecken und folge meinem „Onkel“ ins Haus.

>>Schön hast du alles eingerichtet<<, empfängt er mich, als ich das Wohnzimmer betrete.

>>Auch ich habe eine Überraschung für dich „Onkel“<<, ich kann es kaum erwarten, ihm das Labor zu zeigen und schiebe ihn aufgeregt in Richtung Kellertüre.

>>Nicht so schnell, ich bin ein alter Mann<<, wehrt er sich nicht wirklich ernsthaft und lacht, als ich ihn die Kellertreppe hinunter führe. >>Hast du eine Folterkammer für mich eingerichtet?<<

>>So etwas ähnliches<<, lache ich ihn an.

>>Augen zu, du musst mir vertrauen, ich führe dich zu einer Türe und du darfst erst die Augen öffnen, wenn ich die Türe geöffnet habe. So jetzt kannst du die Augen öffnen.<< Auf seine Reaktion gespannt, bleibe ich angespannt neben ihm stehen.

>>Nicole<<, flüstert er überwältigt, bevor ihm Tränen der Rührung übers Gesicht laufen, sein Blick fällt auf ein komplett ausgestattetes Labor. Was er bis jetzt sehen kann, handelt es sich bei den Geräten um die Neuesten, die auf dem Markt angeboten werden. Diese Einrichtung muss Hunderttausende verschlungen haben, aber das ist es nicht, was den Professor rührt, er weiß, dass sich Nicole ebenso wenig aus Geld macht, wie es ihre Eltern getan haben, allein die Tatsache, dass sie ihm dieses Geschenk macht, rührt ihn zu Tränen. Wie gut sie ihn doch kennt, ohne seine Bücher oder ein Labor zu leben, wäre für den Professor, als säße er in einem Gefängnis.

>>Ich weiß nicht, ob alles da ist, was du benötigst „Onkel“<<, beginne ich vorsichtig. Auf einmal bin ich mir nicht mehr sicher, ob er sich über meine Überraschung freut, doch da dreht er sich zu mir, nimmt mich in den Arm und sagt mir, dass ich ihm keine größere Freude hätte machen können.

>>Das ist ein Traum Nicole, dass du bei all der Arbeit die du hattest auch noch an mich gedacht hast<<, abermals vor Rührung überwältigt, versagt ihm die Stimme.

>>Ich habe in den letzten Wochen kaum an etwas anderes als an dich gedacht<<, er-widere ich leise, >>du bist für mich der wichtigste Mensch in meinem Leben geworden und ich möchte, dass es dir hier so gut, wie nur irgend möglich, geht. Du bist nur wegen mir hier, ich habe dich aus deinem Leben gerissen, dies hier ist das Wenigste, was ich für dich tun konnte.<<

Ernst sieht Professor mich an, nimmt meine Hände und küsst sie. >>Nie wieder möchte ich von dir hören, dass ich irgendetwas für dich aufgegeben hätte, du bist für mich wie eine Tochter, eine Freundin, mein Leben. Nicht nur ich bin der wichtigste Mensch für dich, Nicole, auch du bist mir teurer als mein eigenes Leben geworden, wir sind, wenn du es möchtest eine Familie.<<

>>Ich liebe dich „Onkel“ Juan<<, meine Stimme zittert und Freudentränen steigen in meine Augen, während wir uns fest umarmen, dabei dachte ich, ich hätte keine Tränen mehr. >>Komm Professor, lass uns wieder nach oben gehen, ich zeige dir deine Zimmer.<< Während ich ihn in den ersten Stock geleite, erzählt er mir, auf meine Bitte hin, von Li Song.

>>Ich habe mich mit Li Song in Verbindung gesetzt Nicole, weil du fest entschlossen bist den Tod deiner Eltern zu rächen, auf welche Weise auch immer<<, fährt er mit einem Seitenblick auf mich fort. >>Li Song ist ein Shaolin Meister, er kann dir Kampftechniken beibringen, wie kein Zweiter. Die Shaolin sind Meister des „Leisen Todes“, er kann dir beibringen, wie du ohne Kraftaufwand, nur durch das Wissen, wo du den Schlag anbringen musst, einen Menschen töten kannst. Er hat allerdings noch nicht zu gesagt<<, schränkt der Professor schüchtern ein. >>Ich habe ihm deine, unsere Situation geschildert, auch weiß er von deinen Fähigkeiten, aber er wollte sich erst selbst ein Bild von dir machen. Er hat zugesagt, ein paar Tage hier zu bleiben und dich kennen zu lernen, erst dann wird er entscheiden, ob er dich trainieren wird oder nicht und noch etwas, sollte er sich dazu entschließen, muss dir klar sein Nicole, dass er es nur tut, wenn du dich verpflichtest, mindestens zwei Jahre seine Schülerin zu sein, bist du dazu bereit?<<

>>Zwei Jahre?<<

Ich bin entsetzt, das hatte ich mir anders vorgestellt. Sicher ich wollte und brauche eine Zeit der Ruhe, aber zwei Jahre?

So lange?

>>Das ist seine Bedingung, wenn du dazu nicht bereit bist, wird er wieder abreisen.<<

>>Wirst du es denn zwei Jahre mit mir hier allein aushalten?<<

>>Nicole, ich bitte dich<<, erwidert er lächelnd, >>du hast mir ein besseres Labor geschenkt, als ich es an der Uni in München hatte, ich habe alles was ich brauche.<<

>>Vielleicht ist diese lange Zeit wirklich nötig, nicht um die Kampftechniken zu erlernen, aber zu lernen wie ich diese Macht vernünftig einsetze<<, überlege ich laut.

>>Ein sehr weiser Gedanke einer möglichen Schülerin.<<

Li Song ist unbemerkt hinter uns ins Zimmer getreten. >>Deine Fähigkeiten in Verbindung mit meinen Kenntnissen, sind in ungeschulten Händen eine zu große Verantwortung, welche ich nicht tragen könnte. Ich kann dir meine Kenntnisse nur dann vermitteln, wenn ich mir sicher sein kann, dass du gewillt und fähig bist, sie weise ein zu setzen. Den ersten Schritt dazu hast du bereits getan, Juan hat nicht zu viel versprochen, du bist eine sehr ungewöhnliche Frau.<<

>>Ich danke dir Meister Li und hoffe, dass ich mich deines und „Onkel“ Juans Vertrauen würdig erweise.<< Während ich mich vor Li Song verbeuge, fällt mir plötzlich auf, dass er deutsch gesprochen hat. >>Du sprichst unsere Sprache<<, platzt es respektlos aus mir hervor.

Li lächelt mich an, >>ja ich habe in Deutschland studiert. Shaolin Mönche leben nicht hinter dem Mond<<, setzt er immer noch lächelnd hinzu.

>>Ich wusste nicht, ob und wie lange du bleibst, deshalb habe ich die separate Wohnung noch nicht hergerichtet, bitte suche dir solange, bis du dich entschieden hast, ob du bleiben möchtest, ein Gästezimmer aus.<<

>>Es wird sich ein Platz für mich finden<<, erwidert Meister Li demütig.

***

In den ersten Wochen im Zusammenleben mit meinem „Onkel“ und Meister Li bekomme ich den Professor kaum zusehen, entweder ist er im Labor, oder unterwegs um etwas für sein Labor zu besorgen. Nicht, dass ich viel Zeit für ihn gehabt hätte, denn Meister Li weiß mich jede Minute des Tages zu beschäftigen.

Es beginnt mit der Gestaltung des Grundstückes, ich schufte tagein, tagaus, um dem Grundstück die Form zu geben, die Meister Li vorschwebt. Der Rasen wird nicht, wie von mir erwartet, mit einem Rasenmäher getrimmt, weit gefehlt, mit einer Sichel muss ich die Halme kürzen und Meister Li hat ein Auge dafür, wo der Rasen um ein paar Millimeter länger ist als an anderen Stellen. Er lässt mich auf Bäume klettern, in die Berge steigen, tagelang schweigen. Der Mönch verlangt völlige Unterordnung von mir, Übungen die ich bereits hundert Male gemacht habe, muss ich immer und immer wiederholen.

Als ich eines Tages nachfrage, wann denn endlich das Training beginnt, sieht er mich erstaunt an und meint, >>du trainierst bereits seit Wochen.<<

ELF

Meine Tage sind ausgefüllt mit „Training“, ich habe noch keine einzige Kampftechnik gelernt, die wenige Freizeit die mir bleibt, verbringe ich mit meinen Hunden Yin und Yang, oder mit, leider nur noch sehr wenigen Besuchen bei Resi, die von meinem „Onkel“, den ich selbstverständlich vorstellen musste, ganz begeistert ist.

Die Hunde sind ein Rüde und ein Weibchen, da boten sich die Namen geradezu an. Die Beiden lieben mich wirklich und ich versäume es auch nicht, sie täglich zu trainieren, sie müssen lernen, aufs Wort zu gehorchen und das Grundstück zu bewachen, wenn die zwei ausgewachsen sind, wiegt ein Tier 45 bis 50 Kilogramm, da ist es schon sehr wichtig, dass sie ihren Platz kennen. So sehr die Beiden mich lieben, aber an Meister Li hängen sie mit einer Verehrung, die mich manchmal direkt zum Lachen bringt. Li Song muss sie nur ansehen und die zwei scheinen genau zu wissen, was von ihnen erwartet wird. Wenn die Hunde anschlagen, weil es ein Reh oder Hase, gewagt hat, an unserem Grundstück vorbei zu laufen und sie sich nicht beruhigen wollen, obwohl ich sie zurecht weise, muss Meister Li nur nach draußen gehen und die Hand heben, um Beide ruhig zu stellen. Sie geben daraufhin nur noch einen kurzen Jaul Laut von sich, als wollten sie sich für den Krach bei ihm entschuldigen. Ab und zu mache ich mir den Spaß und fordere sie nur halbherzig auf ruhig zu sein, damit ich mir dieses Schauspiel immer wieder ansehen kann.

Viel langsamer, als ich es mir wünsche, beginnt Meister Li endlich damit, mir Kampf-techniken, zunächst nur zur Verteidigung, bei zu bringen. Gleichzeitig trainiert er meine Ausdauer, indem er mich bis zum Umfallen, Runde um Runde auf unserem Grundstück drehen lässt. Er zeigt mir Konzentrationsübungen, die mir dabei helfen, mich auf einzelne Körperteile zu konzentrieren und bringt mir dadurch bei, wie ich nur durch Konzentration den Schmerz ausschalten kann. Vor und nach jedem Training lässt er mich mindestens eine Stunde meditieren.

„Onkel“ Juan taucht nur noch zu den Mahlzeiten aus seinem Labor auf, also bleibt mir nichts anderes übrig, als zu ihm hinunter zu steigen, wenn ich wie jetzt, mit ihm sprechen möchte. Er bemerkt mich nicht, als ich die Tür zu seinem Labor öffne, so vertieft ist er in seine Versuchsreihe, die er gerade durchs Mikroskop betrachtet. Er hat mich kürzlich um etwas von meinem Blut gebeten und wollte damit einige Versuche anstellen, wobei ich ihn jetzt wahrscheinlich störe, aber das ist mir egal, er fehlt mir.

>>Hallo „Onkel“.<<

>>Nicole<<, ruft er erschrocken aus, >>ich habe dich nicht kommen hören.<<

>>Du bist so vertieft in deine Arbeit, ich bekomme dich gar nicht mehr zu sehen, nicht dass ich viel Zeit hätte, Meister Li belegt mich ganz schön mit Beschlag, aber ich vermisse dich so sehr<<, füge ich traurig hinzu.

>>Tut mir leid meine Liebe, ich gelobe Besserung.<<

Er kommt auf mich zu und nimmt mich in den Arm. >>Wolltest du nicht mehr über die Gentechnik erfahren, um deine Mutation besser zu verstehen? Wenn du ein bisschen Zeit hast, würde ich jetzt gerne mit dir darüber sprechen, ich denke nämlich, ich weiß jetzt, warum die Russen so scharf auf dich sind, aber um das zu verstehen, muss ich dir ein Grundwissen über die Genforschung vermitteln.<<

>>Ist gut, ich habe Zeit und so kann ich wenigstens ein bisschen in deiner Nähe sein, ohne das Gefühl zu haben, dich zu stören.<<

>>Habe ich dir das Gefühl gegeben, du würdest mich stören?<< Fragt der Professor verwirrt nach, >>das war nie meine Absicht, du störst nie Nicole, wann immer du möchtest, kannst du zu mir kommen, das solltest du doch wissen<<, fährt er unsicher fort.

>>Ist schon gut „Onkel“, wahrscheinlich reagiere ich ein bisschen über, weil ich durch das Training mit Meister Li etwas demotiviert bin, irgendwie erscheinen mir seine Trainingsmethoden wenig sinnvoll.<<

Der Professor lacht mich an. >>Ich habe genau dasselbe durchmachen müssen Nicole, auch ich konnte mir nicht vorstellen, was Rasenmähen, Spannungs- und Entspannungsübungen mit wirklicher Kampftechnik zu tun haben, aber Li weiß was er tut, er ist einer der größten Shaolin Meister in ganz Tibet, wenn du mit dem Training fertig bist, wirst du Kenntnisse über den menschlichen Körper und dem Zusammenwirken zwischen Konzentration und Schmerz haben, wie es dir kein Zweiter beibringen könnte.<<

>>Du hast mit ihm trainiert?<< Frage ich überrascht und fasziniert nach.

>>Ich lebte nach meinem Studium fünf Jahre in Tibet, damals haben wir uns kennen- gelernt, glaube mir Nicole, einen besseren Lehrer gibt es nicht, begib dich vertrauensvoll in seine Hände und du wirst sehen, am Ende werden deine Erwartungen noch übertroffen sein und jetzt setzt dich bitte zu mir, ich werde versuchen, dir in verständlichen Worten, meine Arbeit zu erklären.

Die DNA oder DNS wie es eigentlich richtig heißt, ist ein in allen Lebewesen vorkommendes Biomolekül, der Träger von Erbinformationen. Ausgesprochen wird es Desoxyribonukleinsäure, aber das sagt heute kein Mensch mehr, allgemein wird nur von der DNA gesprochen. Die DNA ist in einer Doppelhelix organisiert.<<

Er zeichnet eine Doppelhelix auf.

>>Es handelt sich dabei um zwei DNA Stränge, die einander parallel umlaufen. Dazwischen befinden sich die Basenstränge, die beide DNA-Stränge untereinander verbinden. Dies ist ganz wichtig<<, fährt „Onkel“ Juan mit seiner Erklärung fort, >>denn, möchte man in die DNA eingreifen oder sie verändern, dann erfolgt dies über diese Basenstränge. Durch den Austausch von Basenpaaren in der DNA werden Proteine verändert oder anderes reguliert, was eine Änderung des Körperbaus, der Körperfunktion oder das Verhalten des Organismus zur Folge hat.

Laut Darwin ist die Mutation für die Vielfalt auf der Erde verantwortlich und somit ein natürliches Phänomen, die erst die Artenvielfalt ermöglichte.

Dies war der Ansatz meiner Arbeit.

Davon ausgehend, dass ein Gen, ein Abschnitt auf der DNA, alle Erbinformationen, auch Genome genannt, eines Organismus trägt, so stellte sich nun nur noch die Frage, welche Gene sich zur Veränderung eignen. Wir unterscheiden zwischen sechs unter-schiedliche Gene oder DNA-Sequenzen.

>>Stopp „Onkel“ Juan, mir schwirrt jetzt schon der Kopf, geht das Ganze nicht noch ein bisschen einfacher<<, unterbreche ich ihn unsicher, weiß ich doch, wie gern mein „Onkel“ über seine Arbeit referiert.

>>Entschuldige Nicole, da bin ich wohl etwas abgeschweift<<, lächelt er mich verzeihend an und fährt fort.

>>Ich versuche es für dich noch einfacher zu machen.

Der Begriff der Gentechnik umfasst die Veränderung und Neuzusammensetzung von DNA-Sequenzen, wie vorher beschrieben, im Reagenzglas oder am lebenden Organismus. Es wird nach mehreren Anwendungsbereichen unterschieden, für uns ist jedoch nur die „Rote Gentechnik“ von Interesse, sie findet Anwendung bei Wirbeltieren, Menschen, in der Medizin und in der Pharmazeutik. Die Gentechnik wird zur Herstellung neu kombinierter DNA innerhalb einer Art, vor allem aber über Art-Grenzen hinaus verwendet, da alle Lebewesen einen genetischen Code benutzen.

Hier muss man also ansetzen, um die Übertragung von tierischer, auf menschliche DNA zu ermöglichen. Man bringt einen Organismus deshalb durch die Veränderung des Erbgutes zur Mutation. Die Abfolge der Nuklein Basen oder die Chromosomenzahl wird verändert. Chromosomen sind Strukturen, die Gene und damit Erbinformationen enthalten, sie bestehen aus DNA, die mit vielen Proteinen verpackt sind. Ich sehe dir an, ich schweife wieder ab<<, wirft der Professor nach einem Seitenblick auf mich ein.

>>Ich gelobe Besserung<<, lacht er und fährt fort.

>>Durch die Mutation wird die in der DNA gespeicherte Information, sowie die Ausprägung der spezifischen Eigenschaften verändert. Sichelzellenanämie, Albinismus, Rot-Grün Blindheit, die Bluterkrankheit und viele andere Krankheiten mehr, sind auf Genmutation zurück zu führen und können heute bereits mehr oder weniger erfolgreich behandelt werden. Bei dir meine liebe Nicole, habe ich zum ersten Mal in der Geschichte der Gentechnik den Versuch gewagt, eine bis dahin völlig verkannte DNA-Sequenz zu benutzen. Die Junk – DNA, dies war bis dahin ein DNA-Abschnitt, von dem man annahm, dass sie über keinerlei genetische Information verfügt. Inzwischen weiß man, dass in diesen DNA-Sequenzen „alte Code“ als Vorstufe für Gensequenzen zu finden sind. Ich nahm an, dass sich diese Sequenzen zur Mischung mit artfremder, zum Beispiel tierischer DNA eignen und ich hatte recht. Ich entnahm deiner DNA ein Basenpaar und ersetzte es durch ein Basenpaar einer Katze. Deine Genesung schritt in erstaunlichem Tempo voran und Nebenwirkungen waren nicht zu erwarten<<, fügt er resigniert hinzu.

>>Die Mutation trat erst zwei Jahre später auf, wie du ja selbst am besten weißt, auch kann nicht ausgeschlossen werden, dass es weitere, nicht beeinflussbare Mutationen geben wird<<, schließt mein „Onkel“ leise.

Obwohl ich das eben gehörte erst verarbeiten muss, brennt mir doch eine Frage auf der Zunge. >>Wieso habe ich überlebt und so viele andere, die du behandelt hast, sind gestorben?<<

>>Ich habe lange darüber nachgedacht und immer wieder verschiedene Versuchs-reihen durchgeführt, aber erst diese Woche bin ich auf des Rätsels Lösung gestoßen<<, erwidert er lächelnd, >>es war so einfach, dass ich nicht darauf gekommen bin.

Der überwiegende Teil, der von mir behandelten Personen waren Kinder, es ist zu, so genannten Konditional letalen Mutationen gekommen. Das sind Veränderungen des Genprodukts eines Organismus, die nur bei bestimmten Wachstumsbedingungen töten. Die Kinder waren noch in der Wachstumsphase, das ist die eine Erklärung und bei den beiden älteren Personen, konnte ich durch Nachforschung in Erfahrung bringen, dass diese mit Umweltgiften, oder radioaktiver Strahlung in Berührung gekommen sind. Dadurch kann sich die Mutation in Krebszellen verwandeln, in Ausnahmefällen sogar den Altersprozess eines Organismus beeinträchtigen. Ich mache mir deshalb in Bezug auf dich nur Sorgen vor einem erneuten Mutationsschub. Das Einsetzen der Mutation liegt bei dir bereits sieben Jahr zurück, wir Chinesen gehen davon aus, dass der Körper des Menschen sich alle sieben Jahre verändert, ich rechne deshalb in der nächsten Zeit mit einem erneuten Schub. Mein Unvermögen, dir hierzu nähere Angaben machen zu können, lässt mich zurzeit keine Ruhe finden.<<

>>Ich gebe dir recht, „Onkel“, deine Worte wirken nicht sehr beruhigend auf mich, aber ich habe auch keine Angst davor, was noch auf mich zukommen wird, du hast mir geholfen, meinen Fähigkeiten zu kontrollieren und ich vertraue auch in Zukunft auf dich.<<

Während ich diese Worte ausspreche, wird mir bewusst, wie ernst ich es damit meine, „Onkel“ Juan würde ich tatsächlich mein Leben anvertrauen.

***

Obwohl Meister Li mich in den nächsten Wochen und Monaten immer mehr fordert, geht mir das Gespräch mit dem Professor nicht mehr aus dem Kopf.

Es erinnert mich wieder daran, wie es war, als ich meine Mutation das erste Mal bewusst wahrnahm. Zuerst nahm meine Kraft zu, was ich anfangs kaum bemerkte.

Nach der Operation und der anschließenden Genesungszeit stellten sich die Zunahme der Kraft und Schnelligkeit so schleichend ein, dass ich zunächst keine Notiz davon nahm. Erst als sich meine Sehkraft, was mir vor allem nachts auffiel und sich auch mein Hörsinn steigerte, sprach ich meinen Vater darauf an. Wir führten lange Gespräche und reisten oft zum Professor nach Russland, wo verschiedene Test mit mir durchgeführt wurden. Es war nicht mehr von der Hand zu weisen, ich konnte siebenmal besser sehen und hören als jeder andere Mensch und meine Reflexe, meine Kraft und Schnelligkeit waren für mein Alter außergewöhnlich.

Vor allem mein gesteigerter Hörsinn verursachte mir große Probleme, ich war anfangs nicht mehr in der Lage, einem geregelten Leben nachzugehen. Der Gang auf die Straße bereitete mir körperliche Schmerzen, der Straßenverkehr, die Gespräche der Menschen um mich herum, alles prasselte ungeschützt auf mich ein.

Mein Vater brachte mich für mehrere Wochen in Russland in unserem Landhaus unter, wo „Onkel“ Juan mir dabei half, durch Meditation und Konzentration meine Fähigkeit in den Griff zu bekommen und so weit zu beherrschen, dass ich mich Abschirmen konnte, sodass es mir wieder möglich war, in der Stadt zu wohnen und meinem Studium nach zu gehen. Es dauerte auch bei meinen anderen Fähigkeiten einige Monate, bis ich mich daran gewöhnt hatte und nicht Gefahr lief, dass ich sie unbeabsichtigt in der Öffentlichkeit einsetze. Darin waren sich meine Eltern und ich sofort einig, niemand sollte etwas davon mitbekommen.

In diesen Wochen und Monaten, in denen ich mich mehr und mehr von meinen Freunden und Studienkollegen zurückzog, ja zurückziehen musste, veränderten sich meine gesellschaftlichen Aktivitäten sehr. Ich konzentrierte mich mehr und mehr auf mein Studium, zu Anlässen, wie Geburtstagspartys oder Discobesuchen, zu denen ich zunächst noch eingeladen wurde, lies ich mir immer neue Ausreden einfallen. Meine Freunde und Studienkollegen zogen sich immer mehr zurück, sodass ich bald kaum noch gesellschaftliche Kontakte hatte.

Dafür traten andere Menschen in mein Leben, wie zum Beispiel der Professor, der mir durch seine fernöstliche Lebensweise, die Meditation und vor allem durch seine Freundschaft viel mehr geben hat, als die sorglosen, um nicht zu sagen, gedanken-losen Menschen, die ich vor meinem Unfall meine Freunde nannte und zu denen ich wohl auch gehörte, vielleicht noch heute gehören würde, hätte das Schicksal nicht eingegriffen. So wurde aus mir zwar ein ernster, aber kein unglücklicher Mensch.

Ganz im Gegenteil, ich hielt mich bis zum Tod meiner Eltern für einen von der Göttin Fortuna geküssten Menschen, liebte mein Studium, das Zusammenleben und Reisen mit meinen Eltern und das Gefühl, mir stünde die ganze Welt offen. Dies hat sich mit dem Tode meiner Eltern geändert und wäre nicht Meister Li in mein Leben getreten, so hätte aus mir ein sehr verbitterter, ja vielleicht sogar böser Mensch werden können.

Lange Zeit habe ich mit dem Schicksal gehadert, gejammert, geklagt, ja sogar gehasst, doch Meister Li hat mich gelehrt, das Leben mit neuen Augen zu sehen.

Er brachte mir bei, in jedem Lebewesen, ob Mensch, Tier oder Pflanze das Leben zu entdecken und sich daran und darüber zu freuen. In schier endlosen Gesprächen hat Meister Li mich gelehrt, das Leben in jeder Form zu achten und zu ehren. Er hat mir den Buddhismus nahe gebracht und durch ihn habe ich meine innere Ruhe wieder gefunden, die Freude und mein Lachen.

Für mich steht nun nicht länger im Vordergrund, die Mörder meiner Eltern zu suchen und zu finden, dies wird von ganz allein geschehen, davon bin ich heute überzeugt. Ich habe beschlossen, die Arbeit meines Vaters weiterzuführen, Beweise gegen die illegalen Genlabore zu beschaffen und mögliche Opfer vor deren Zugriff zu schützen, oder zu befreien, alles andere wird sich ergeben.

Ein rächendes Herz ist nicht frei, wie Meister Li sagen würde.

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