Buch lesen: «DNA», Seite 4

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SIEBEN

Am nächsten Morgen führe ich ein weiteres Gespräch mit Rechtsanwalt Dr. Peter Hoffmann, indem ich ihn bitte, ein Haus für uns, mit einem großen Grundstück, in einer abgelegenen Gegend, in Österreich zu finden. Mir ist diese Nacht klar geworden, dass ich den Tod meiner Eltern nicht ungesühnt lassen kann, mir zurzeit aber die Kraft und die Informationen fehlen, etwas zu unternehmen. Deshalb habe ich mich entschlossen, mit dem Professor, zunächst Deutschland zu verlassen, zur Ruhe zu kommen und alle Informationen zu sammeln, die ich benötige um die Mörder meiner Eltern ausfindig zu machen.

Als Erstes lege ich mir eine schwarze Langhaarperücke zu, verwende in den nächsten Tagen nur noch meinen neuen russischen Pass und achte darauf, deutsch mit russischem Akzent zu sprechen. Zunächst überlege ich noch, was ich an meinem Aussehen außer der Perücke verändern könnte, bis ich sie zu Hause das erste Mal ausprobiere. Die Perücke verändert mein Aussehen so komplett, dass ich mich selbst kaum wieder erkenne. Meine, von Natur aus leicht gebräunte Haut, wirkt im Kontrast zu den dunklen Haaren plötzlich fast weiß und meine grünen Augen leuchten, wie ich es nie für möglich gehalten hätte. Kurz überlege ich, ob ich noch farbige Kontaktlinsen besorgen sollte, kann mir aber nicht vorstellen, dass ich auf eventuell geschossenen Bildern, an meiner Augenfarbe erkannt werden könnte. Die Veränderung durch die dunklen Haare ist so extrem, dass selbst mein „Onkel“ zweimal hinsehen muss, bis er mich erkennt.

Als er sich von dem Schock erholt hat, scherzt er, mit der Perücke würde ich wie eine zu groß geratene Eurasierin aussehen und wirklich, mit meinen leicht schräg stehenden Augen und dem hellen Teint könnte ich glatt für die Mischung aus einer Europäerin und einer Chinesin gehalten werden.

Um unerkannt Deutschland zu verlassen und in Österreich ab und zu zum Einkaufen zu gehen, denn ich habe nicht vor, das Grundstück oft zu verlassen, wird es reichen.

ACHT

Seit dem Tod meiner Eltern ist bereits eine Woche vergangen, da erreicht mich der Anruf des Kriminalbeamten, der am Tatort war, als ich bei meinem Elternhaus eintraf, er bittet mich und „Onkel“ Juan darum, in sein Dezernat zu kommen um eine schriftliche Aussage aufzunehmen. Ich sage zu und wir machen uns wenig später auf den Weg dorthin.

Im Dezernat angekommen, wird der Professor sofort von einer drallen blonden Beamtin in Beschlag genommen, während man mich bittet noch einen Moment zu warten, Kriminaloberkommissar Krämer hätte gleich Zeit für mich. Es dauert auch nur ein paar Minuten, da öffnet sich die Tür mir gegenüber und Kommissar Krämer bittet mich mit einem freundlichen Lächeln in sein Büro.

Mir war bei unserem ersten Treffen nicht aufgefallen, wie attraktiv dieser Mann ist. Während er um seinen Schreibtisch herumgeht und auf dem Stuhl dahinter Platz nimmt, habe ich Gelegenheit, ihn genauer an zusehen.

Kriminaloberkommissar Krämer ist ohne Zweifel Sportler, sein Körper ist zwar sehr schlank, aber bis in den letzten Muskel durchtrainiert. Da ich selbst ein sehr sportlicher Mensch bin und bereits viele trainierte Körper gesehen habe, kann ich dies beurteilen.

Er ist ein ganzes Stück größer als ich, schätzungsweise 190 cm. Sein dunkles, fast schwarzes, schulterlanges Haar trägt er lässig nach hinten gekämmt, zu einem Zopf gebunden, das Hervorstechende an ihm jedoch sind seine Augen. Als er auf dem Stuhl Platz nimmt und mich direkt ansieht, verliere ich mich beinahe in seinen strahlend blauen Augen. Langsam, ohne den Blick von diesen Augen wenden zu können nehme ich vor seinem Schreibtisch Platz. Seine Augen scheinen auf den Grund meiner Seele blicken zu können und als mir auffällt, dass ich ihn seit Minuten nur anstarre, spüre ich, wie mir die Röte ins Gesicht steigt. Verlegen rutsche ich auf dem Stuhl hin und her und wage es nicht mehr, ihm in die Augen zu sehen.

Wann beginnt er endlich zu sprechen?

>>Ich hoffe, ihnen geht es inzwischen wieder etwas besser<<, eröffnet er endlich das Gespräch. >>Ich habe sie an der Beerdigung vermisst, weder der Professor, noch sie waren anwesend.<<

Es war uns Beiden gesundheitlich nicht möglich, antworte ich leise. Was sollte ich antworten, dass ich befürchtete an der Beerdigung meiner Eltern verschleppt oder ermordet zu werden? Kurz denke ich darüber nach, ob ich ihm den Brief meines Vaters zeigen soll, doch ich verwerfe den Gedanken schnell. Ich müsste alles offen legen, meine Mutation, die im Grunde illegale OP meines „Onkels“ an mir, ohne Rücksprache mit MAD Major Berger, der auch in dem Schreiben genannt wird, möchte ich dies nicht entscheiden, jetzt noch nicht.

Der Kommissar sieht mich zweifelnd an, belässt es aber bei meiner Antwort und befragt mich danach, wo ich war, bevor ich im Haus meiner Eltern aufgetaucht bin.

Ich erzähle ihm, dass ich mit dem Flug aus Milano in München ankam und ohne Auf-enthalt direkt zu meinem Elternhaus gefahren bin, der Taxifahrer könnte dies bestätigen, sollte es notwendig sein. Von meinem Erlebnis auf dem Mailänder Flughafen und der deshalb verpassten Maschine, erwähne ich nichts.

Als er wieder auf den Raub zu sprechen kommt, versuche ich ihn nochmals davon zu überzeugen, dass ich diesen für gestellt halte, dass es sich hierbei um die gezielte Ermordung meiner Eltern handelte. Da ich jedoch meinen Verdacht nur damit begründen kann, dass die wertvollsten Gegenstände nicht geraubt wurden, glaubt Kriminaloberkommissar Krämer weiterhin an einen Raub.

>>Es hat sich wahrscheinlich und bedauerlicherweise<<, wie er hinzufügt, >>um ganz besonders dumme Räuber gehandelt. Vielleicht sollte es zunächst nur ein Einbruch werden und die Täter wurden von meinen Eltern überrascht.<<

Da ich ihn über die Hintergründe nicht aufklären kann, nicht bevor ich mich mit diesem Major vom MAD unterhalten habe, belasse ich es resigniert bei seiner Vermutung. Mein Vater hat durch seinen Brief sehr deutlich klar gemacht, dass ich nur sehr wenig Leuten vertrauen kann und selbst wenn mir dieser Beamte sehr sympathisch ist, so kann ich mir nicht sicher sein, dass er mir glauben schenken würde.

Nach etwa einer Stunde ist die Befragung zu Ende, wobei mir die letzten Minuten davon vorkommen, als ob er lediglich noch Zeit schinden will, was mir sehr schmeichelt. Hätten wir uns unter anderen Umständen kennen gelernt, so wäre ich nur zu gern bereit, diesen Mann näher kennen zu lernen. Er hat nicht nur wunderschöne, tiefblaue Augen, die mich an die unendliche Tiefe des Meeres erinnern, auch sein männliches, überaus markantes, fast schon verwegen wirkendes Gesicht, sprechen mich sehr an. Um nicht zu sagen, dass er mir ausgesprochen gut gefällt. Aufseufzend stelle ich enttäuscht fest, wären die Umstände andere, könnte ich mir einiges mit ihm vorstellen.

Bevor ich mich von ihm verabschiede, frage ich nach, ob noch weitere Befragungen nötig sind.

Er sieht mich verwundert an.

>>Ich möchte mich für eine Weile zurückziehen, die letzten Tage waren einfach zu viel für mich<<, kläre ich ihn auf.

>>Nein, eine weitere Befragung wird nicht nötig sein, sollten allerdings einige Gegen-stände aus dem Raub wieder auftauchen, dann würde ich sie Zwecks Identifizierung der Stücke benötigen<<, erwidert er sichtlich bedauernd.

Seine Reaktion zeigt mir, dass es ihm ähnlich wie mir ergeht, er würde mich sicher auch gerne wieder sehen. Erfreut und doch gleichzeitig bedauernd, übergebe ich ihm eine Visitenkarte des Rechtsanwaltes Dr. Hoffmann, mit dem Hinweis, dass dieser mich jederzeit erreichen könnte und verabschiede mich.

Das Leben geht wirklich seltsame Wege.

Der erste Mann, der mich interessiert tritt in mein Leben, als mir nichts ferner liegt, als eine Beziehung zu beginnen. Mein Leben wurde von einer Minute auf die andere total auf den Kopf gestellt und meine Gedanken sind ausschließlich davon bestimmt, die Mörder meiner Eltern zu finden. Liebe und Glück haben im Moment keinen Platz in meinen Gedanken, ja ich kann mir zurzeit nicht einmal vorstellen, überhaupt wieder so etwas wie Glück zu empfinden.

Der Professor wartet bereits auf dem Flur und wir machen uns auf den Weg, zurück in seine Wohnung.

***

>>„Onkel“ Juan?<<

Beginne ich vorsichtig, er sitzt im Schneidersitz auf dem Wohnzimmerboden und ich befürchte schon, dass ich ihn in seiner Meditation gestört habe, doch er sieht freundlich zu mir auf.

>>Wie kann ich dir helfen?<<

>>Ich werde diese Mörder nicht davon kommen lassen<<. Langsam lasse ich mich, ebenfalls im Schneidersitz, vor ihm nieder. >>Ich werde die Arbeit meines Vaters fortsetzten und bei dieser Gelegenheit nach den Mördern meiner Eltern suchen.<< Und obwohl meine Augen feucht werden, ist meine Stimme entschlossen und hart.

Entsetzt sieht „Onkel“ Juan mich an.

>>Das ist Wahnsinn Nicole, warst es nicht du, die mir heute Morgen noch sagte, dass solange wir Beide leben, der Tod deiner Eltern nicht umsonst war?<<

>>Ich habe nicht vor zu sterben „Onkel“<<, erwidere ich bestimmt. >>Wie du weißt verfüge ich über außergewöhnliche Fähigkeiten. Ich habe mir alles sehr genau überlegt. Sobald Rechtsanwalt Hoffmann einen geeigneten Ort für uns gefunden hat, werde ich mich genau über die Arbeit meines Vaters informieren, du wirst mir alles über Gentechnik beibringen, was du weißt und ich werde jeden Tag trainieren. Ich suche mir einen Trainer der mich in verschiedenen Kampftechniken ausbildet und wenn ich alle Informationen habe, die ich benötige, werde ich die Mörder meiner Eltern aufspüren.<<

>>Und dann Nicole, was wirst du dann tun?

Willst du sie töten?<<

>>Ich weiß es nicht<<, gestehe ich resigniert, soweit hatte ich noch nicht gedacht. War ich wirklich bereit die Mörder meiner Eltern zu töten, bereit schon, aber könnte ich es auch?

>>Du bist fest entschlossen nicht wahr?<< Lenkt der Professor ein.

>>Ich kann mich nicht irgendwo auf der Welt verkriechen und einfach so weiterleben als wäre nichts geschehen. Es ist etwas Schreckliches geschehen, mein gesamtes Weltbild ist von einem auf den anderen Tag zerstört worden, von Menschen zerstört worden, gegen die, wenn ich nichts unternehme, niemand etwas unternimmt<<, entgegne ich verzweifelt.

Der Professor nickt langsam und nachdenklich mit dem Kopf. >>Ich verstehe dich besser als du denkst Nicole, aber du bist noch nicht bereit dazu. Ich gebe dir recht, du hast besondere Fähigkeiten, die durch gezieltes Training wirkungsvoll eingesetzt werden könnten.<<

>>Du wirst mir also helfen<<, rufe ich erfreut aus.

>>Dafür bin ich nicht die richtige Person, aber ich kenne jemanden, der dir helfen könnte, falls er es möchte<<, fügt er zweifelnd hinzu. >>Es ist spät geworden, lass uns morgen weiter reden, ich muss eine Nacht darüber schlafen.<<

Mit diesen Worten steht mein „Onkel“ auf und begibt sich langsam in sein Schlafzimmer.

Ich kann vor Aufregung kaum einschlafen, wenn der Professor mir zur Seite steht, kann ich alles schaffen. Doch sein Einwand, wie ich reagieren werde, sollte ich den Mördern meiner Eltern gegenüber stehen, hat mich mehr verwirrt, als ich zugeben will. Ich war noch niemals in der Situation, mir Gedanken darüber zu machen, ob ich dazu fähig wäre, einen Menschen zu töten.

Lange liege ich wach und komme zu keinem Ergebnis, bis ich endlich mit dem Ge-danken, dass, sollte ich vor eine solche Entscheidung gestellt werden, sicher die Richtige treffen werde, einschlafe.

NEUN

Seit vier Wochen bin ich in Österreich.

Rechtsanwalt Hoffmann hat einen wundervollen Ort für uns gefunden. Das Haus liegt sehr abgelegen und ist von einem weitläufigen Grundstück umgeben. Der kleine Ort trägt den Namen Glanz, und liegt so entlegen, dass er nur auf wenigen Karten verzeichnet ist. Obwohl sich dieser Ort im Nationalpark Hohe Tauern befindet, ist der Tourismus noch nicht bis hier her vorgedrungen. Glanz ist eine Ansiedlung von einigen wenigen Bauernhöfen sowie zwei Ferienhäusern, unweit zum Großglockner und dem dazugehörigen Hohe Tauern Gebirge. Zum Einkaufen muss man in die, wenige Kilometer entfernte, Stadt Matrei, fahren, Gaststätten und Lebensmittelgeschäfte sucht man vor Ort vergebens.

Das Grundstück liegt einige hundert Meter hinter dem Ort Glanz und ist nur über einen privaten Schotterweg zu erreichen, es führen keine weiteren Straßen oder Wanderwege am Anwesen vorbei, ferner ist das Grundstück von Feldern und Wiesen umgeben, sodass jeder Besucher bereits von Weitem gesehen werden kann. Fährt man aus Glanz heraus auf das Grundstück zu, hat man das Gefühl, das Haus würde direkt am Fuße des Großglockners stehen, in Wirklichkeit sind es allerdings noch mehrere Kilometer. Bei guter Sicht meint man fast einzelne Felsvorsprünge erkennen zu können, so nah erscheint dieser gewaltige Berg, der mit 3798 m der Höchste Österreichs ist.

Ich habe mich sofort in den Ort und das Haus verliebt, als ich vor vier Wochen hier angekommen bin. Die Lage ist geradezu ideal, kaum anzunehmen, dass uns hier jemand finden oder vermuten wird. Das Gebäude ist sehr großzügig und modern geschnitten, von außen wirkt es eher wie ein typisches Bauernhaus, mit den grünen Fensterläden und den Balkonen aus dunklem Holz, innen erwartet einen jedoch eine modern geschnittene Wohnfläche. Das ca. 40 qm große Wohnzimmer, ist zum Garten hin mit einem, über die gesamte Breite reichenden Panoramafenster ausgestattet, dadurch wirkt es sehr hell und freundlich, ein großer offener Kamin gegenüber, bildet einen gemütlichen Blickfang, doch die Aussicht durch die Glasfront, auf den Großglockner ist das Highlight des Zimmers, der Blick ist einfach atemberaubend.

Ich habe immer davon geträumt, eines Tages in der Nähe von Bergen zu wohnen, wären die Umstände anders, könnte ich mein Glück kaum fassen. Es ist mir jedoch immer noch nicht möglich, wirklich Freude zu empfinden, die Tränen sind zwar inzwischen versiegt, irgendwann hat man einfach keine Tränen mehr, aber an ihre Stelle ist eine ständige Traurigkeit getreten, die ich nur sehr schwer ertrage.

Meiner Mutter würde es hier sehr gut gefallen. Sie ist in der Schweiz aufgewachsen und vielleicht liegt die, mir immer unerklärliche Sehnsucht nach Bergen, deshalb in meinen Genen. Meine Eltern sind einfach viel zu früh von mir gegangen. Mit Ende und Anfang 50 denkt doch niemand ans Sterben. Klar habe ich schon mal daran gedacht, wie es ohne meine Eltern sein könnte, aber in meinen Gedanken hatten sie ein langes erfülltes Leben hinter sich. Auch kam mir schon in den Sinn, dass sie vielleicht krank werden könnten, ich hätte sie mit Freude gepflegt. Niemals wäre mir in den Sinn gekommen, ich könnte sie so plötzlich und unerwartet verlieren.

Sicher sie waren in Krisengebieten unterwegs, was auch nicht immer ungefährlich war, doch niemals wäre ich auf den Gedanken gekommen, dass ich sie so jung und auf so grausame Art verlieren könnte.

Wenn man über den Tod und das Sterben grübelt, denkt man doch meist, dass dies nach langer Krankheit passiert. Man stellt sich vor, man könnte sich dann darauf ein-stellen. Aber ist das wirklich so? Wird der Verlust geliebter Menschen einfacher, nur dadurch dass man vorher weiß, dass derjenige sterben wird? Gerade die letzten Wochen waren sehr schwer für mich. Obwohl ich mit der Einrichtung des Hauses sehr viel zu tun habe, es handelt sich sämtlich um die Möbel aus meinem Elternhaus, die ich mir habe nachsenden lassen, bleibt mir doch immer noch sehr viel Zeit, vor allem in den Abendstunden, über die Geschehnisse der letzten Wochen nach zudenken.

Entgegen meiner ersten Reaktion, es wäre für mich zu schmerzhaft, die Möbel meiner verstorbenen Eltern um mich zu haben, habe ich mich dazu entschieden, das Haus damit einzurichten und es war eine gute Entscheidung. Meine Eltern sind mir dadurch nahe und manchmal glaube ich fast noch den Geruch von ihnen in manchen Gegenständen wahrnehmen zu können.

Ich kann es kaum noch erwarten, bis mein „Onkel“ endlich nachkommt, die Einsamkeit beginnt mich langsam zu erdrücken und vor allem möchte ich ihm die Überraschung zeigen, die ich für ihn vorbereitet habe.

Der Professor konnte nicht sofort mit mir nach Österreich reisen, da er noch Vorlesungen an der Ludwig-Maximilian-Universität halten muss, die er nicht so kurzfristig absagen kann und dann hat er versprochen, einen Trainer für mich zu besorgen, was sich allerdings nicht so einfach gestaltet, da sich dieser in Tibet aufhält und es einige Zeit dauert, bis er alle Papiere beisammen hat, die er für die Ausreise nach Deutschland benötigt.

„Onkel“ Juan wird sicherlich total überrascht sein, wenn ich ihm die Kellerräume des Hauses zeige. Bei meiner Ankunft habe ich das Haus komplett unterkellert vorgefunden und nicht nur das, der Keller ist in drei große Räume eingeteilt, wovon einer als Heizungsraum dient, während die anderen komplett leer stehen, jedoch beheizbar sind, was mich auf die Idee brachte, aus beiden Räumen einen zu machen und für den Professor ein Labor einzurichten. Heute wurden die letzten Labortische geliefert und in den Keller gebracht, sicherlich wird noch einiges fehlen, aber ich habe mich gründlich darüber informiert, welche Geräte für ein biologisches Labor von Nöten sind und denke, dass ich an fast alles gedacht habe.

Ich freue mich schon auf sein Gesicht.

Dieser Gedanke lässt mich wieder lächeln und meine Einsamkeit für kurze Zeit vergessen. Gut gelaunt mache ich einen Rundgang durch unser neues Heim, mein „Onkel“ hat sich für morgen angekündigt und es soll alles für seine und die Ankunft seines Freundes bereit sein.

In dem weitläufigen Wohnzimmer haben die beiden Sitzlandschaften aus unserm Haus bequem Platz. Die größere der Beiden habe ich so vor dem offenen Kamin platziert, dass man es sich mit Blick auf das offene Feuer darauf gemütlich machen kann. Die etwas Kleinere stellte ich vor die große Fensterfront um die atemberaubende Aussicht auf die Berge jederzeit genießen zu können. Die kostbaren Gemälde aus unserem Haus verschönern die rau verputzen Wände, ich habe kleine Strahler anbringen lassen, die dezentes Licht auf die Kunstwerke werfen und diese dadurch gekonnt in Szene setzen. Einige wenige Regale an den Wänden, mit den Lieblingsbüchern meines Vaters, machen das Zimmer wohnlich, auf Schränke habe ich vollständig verzichtet.

Des Weiteren befinden sind im Erdgeschoss noch drei große Zimmer, eine Küche und ein Badezimmer. Die Küche verfügt ebenfalls über eine großflächige Fensterfront mit Zugang zur Terrasse. Sie ist sehr großzügig geschnitten und bei meinem Einzug fand ich bereits eine neuwertige Küchenzeile mit separater Kochinsel vor. Der riesige Küchentisch meiner Eltern und die acht dazu passenden Stühle vervollständigen die Einrichtung. Ich hoffe, dass irgendwann wieder eine Zeit kommen wird, da alle Stühle von Menschen die mir wichtig sind, besetzt sein werden.

Einen Raum habe ich als Schlafzimmer eingerichtet, in dem zweiten, die Bibliothek meines Vaters, seinen Schreibtisch und sein geliebtes Sofa untergebracht, das dritte Zimmer, welches, wie das Wohnzimmer über eine große Glasfront verfügt steht noch leer. Im Obergeschoss befinden sich ebenfalls ein Bad und vier Zimmer, von denen ich drei mit Möbeln aus unseren Gästezimmern ausgestattet habe. Das vierte und größte Zimmer habe ich für mich eingerichtet.

Da es mit fast 50 qm eher einem Apartment gleicht, habe ich außer einem großen Bett und einem Kleiderschrank auch ein gemütliches Sofa erstanden, sodass ich das Zimmer nicht nur zum Schlafen nutzen, sondern mich auch mit einem guten Buch zurückziehen kann. Das große bodennahe Panoramafenster, welches wie im Wohnzimmer einen grandiosen Blick auf die Berge zulässt hat den Ausschlag dafür gegeben, dieses Zimmer für mich persönlich einzurichten.

Ferner verfügt das Haus über eine kleine, aber komplett separate Wohnung, die sowohl direkt durch die Küche des Hauses, als auch von außen, über das Grundstück betreten werden kann. Es handelt sich dabei um eine kleine Zweizimmerwohnung, mit einer Dusche und kleiner Küchenzeile. Da der Professor mir noch nicht sagen konnte, ob und wie lange sein Freund bei uns bleibt, habe ich darauf verzichtet, diese Wohnung einzurichten.

Nachdem ich am Ende des Rundganges durchs Haus, alles zu meiner Zufriedenheit vorgefunden habe, begebe ich mich in den Garten. Es ist ein herrlicher Sommerabend, die Luft ist noch warm, obwohl die Sonne bereits beginnt unter zu gehen. Das Grundstück hat einen sehr alten Baumbestand und der Garten sieht verdammt verwildert aus, die Zeit mich darum zu kümmern habe ich bis jetzt noch nicht gefunden und einen Landschaftsgärtner wollte ich damit nicht beauftragen. Sobald der Professor hier ist, wird sich sicher die Zeit dafür finden. Im Moment genieße ich es einfach, durch die hohe, nicht gemähte Wiese zwischen den Bäumen hindurch zu laufen. Das Anwesen ist 5000 Quadratmeter groß und von einer hohen Hecke, die dringend geschnitten werden muss, umgeben. Das ehemalige Tor aus Holz, habe ich durch ein Stahltor ersetzen lassen und es bei dieser Gelegenheit mit einer Kamera ausgestattet. Der Zutritt ist nur durch Einlass von innen, oder mittels einer Codeeingabe möglich. Darauf, das Haus mit einer Alarmanlage auszustatten, habe ich zunächst noch verzichtet, lieber würde ich mir ein paar Hunde anschaffen, möchte dies aber erst mit „Onkel“ Juan besprechen.

Ich bin so aufgeregt und freue mich so sehr, dass er morgen kommt. Der Professor war für mich schon immer ein ganz besonderer Mensch, aber seit dem Tod meiner Eltern hat sich eine ganz neue Beziehung zwischen uns entwickelt. Die Zuneigung zueinander hat sich vertieft. Hatten wir früher eher ein verwandtschaftliches Verhältnis zueinander, so sind wir in den letzten Wochen Freunde geworden, die sich mit viel gegenseitigem Respekt und Liebe begegnen.

Da es mir unmöglich ist, heute früh schlafen zu gehen, steige ich auf mein Fahrrad und fahre in den Ort zu Resi. Ich habe sie kurz nach meiner Ankunft kennen gelernt. Auf einem ziellosen Spaziergang in der Umgebung, begegnete ich ihr beim Weiden der Kühe. Resi stand in einem Alltagsdirndl, sie trägt nur dieses „Gwand“, Hosen sind ihr ein Gräuel, wie sie mir zwinkernd gesteht, zwischen ihren Kühen auf der Weide. Eine imposante Erscheinung, wir in Bayern würden sagen, eine „Bavaria“. Groß und kräftig von Statur, eine gesunde rosige Gesichtsfarbe und ein von Sommersprossen übersätes, freundliches Gesicht. Obwohl sie anfangs etwas zugeknöpft war, sie haben es hier nicht so mit „Zuagroasten“, taute Resi recht schnell auf, als sie feststellte, wie gut ich mich mit ihrem Hund und auch mit ihren Rindern verstehe.

Obwohl ich in der Stadt aufgewachsen bin, sind meine Eltern, als ich noch klein war, oft mit mir aufs Land gefahren und ich liebe Tiere bis heute, dabei ist es völlig egal, ob es sich dabei um Nutz- oder Kuscheltiere handelt.

Da ich mich für ihr Leben auf dem Land interessiere, kommen wir sehr schnell ins Plaudern und ich erfahre, dass sie auf ihrem Hof einen kleinen Hofladen unterhält, hauptsächlich für die feinen Herren, die hier ihre Ferienhäuser haben, wie sie mir hinter vorgehaltener Hand erzählt, in dem ich Brot, Eier, Milch und Gemüse kaufen könnte. Das Angebot habe ich gerne angenommen und fahre seit dem mehrmals wöchentlich bei Resi vorbei, teils um etwas einzukaufen, oft aber auch einfach nur um zu „ratschen“, so wie heute.

Nach einigen Treffen wollte Resi natürlich wissen, was mich als „Städterin“ aufs Land verschlagen hat und ich blieb so gut ich konnte bei der Wahrheit. Erzählte ihr von meinem Schicksalsschlag und dass ich mich für einige Monate mit meinem „Onkel“ aufs Land zurückziehen möchte. Ich sehe wohl, dass Resi gerne noch mehr gehört hätte, aber sie ist ein sehr einfühlsamer Mensch und erkennt, dass ich nicht mehr sagen kann oder möchte und lässt es bei meiner Erklärung. Sie hat mich seither nie mehr darauf angesprochen.

Wenn wir uns treffen, erzählt sie mir den neuesten Klatsch aus dem Ort oder der „Stadt“ Matrei, während ich ihr von den Orten und Ländern berichte, die ich Dank meiner Eltern bereisen durfte.

Resi bewirtschaftet zusammen mit ihrem Mann einen kleinen Hof. Etwas Milchvieh ein paar Ochsen, ein paar Hühner und ein bisschen Land für das Futter der Tiere. Da ihr Mann und sie den Hof als Biolandwirte führen, kommen sie ganz gut zurecht. Sie haben einen Sohn, der allerdings in Salzburg als Tierarzt arbeitet, hoffen dennoch, wie sie mir seufzend gesteht, dass er sich irgendwann dazu entschließt, den Hof zu übernehmen.

Ich habe mir angewöhnt, nie das Haus ohne Perücke zu verlassen, schon im Hinblick darauf, dass ich hier mit meinem „Onkel“ wohnen werde und er eindeutig asiatisch aussieht. Da die Perücke eine Eurasierin aus mir macht, ist die Geschichte, dass sich in meiner Familie Chinesen mit Europäern mischen, glaubhafter. Da Resi noch nie, außer im Fernsehen natürlich, einen Chinesen gesehen hat, freut sie sich ganz besonders auf den Professor und bittet mich, bald mit ihm bei ihr vorbei zu kommen. Sie würde auch ihren berühmten Apfelkuchen für ihn backen, den man wirklich probieren sollte, ich liebe diesen Kuchen inzwischen sehr.

Überhaupt habe ich mich schnell mit Resi angefreundet, mit ihrer fürsorglichen und mütterlichen Art hat sie es irgendwie in der kurzen Zeit geschafft, so etwas wie ein Mutterersatz für mich zu werden. Es ist wirklich nicht meine Art, mich bei fremden Menschen auszuweinen, aber als ich Resi von Tod meiner Eltern erzählte und mir die Tränen kommen, ist sie so mitfühlend und fürsorglich zu mir, dass ich es einfach zu-lasse, als sie mich in den Arm nimmt und mich wie ein kleines Kind wiegt, bis ich mich wieder gefasst habe.

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