Dr. Karl Semper und seine Studien auf den Palau-Inseln im Sillen Ozean

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Dr. Karl Semper und seine Studien auf den Palau-Inseln im Sillen Ozean
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Jürgen Ruszkowski

Dr. Karl Semper und seine Studien auf den Palau-Inseln im Sillen Ozean

Band 105-1 in der maritimen gelben Reihe bei Jürgen Ruszkowski

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort des Herausgebers

Alfred Tetens

Dr. Karl Gottfried Semper

I. Die Palau-Inseln im Stillen Ozean

Von Manila nach den Palau-Inseln

Abfahrt der „LADY LEIGH“

II. Erster Aufenthalt am Lande

Die sozialen Strukturen der Palau-Insulaner

Bau eines eigenen Hauses für mich

Beginn meiner Forschungsarbeiten

Der Angriff auf Aibukit

Friedensschluss

Das „Geld“ der Insulaner

Badebräuche der Insulaner

III. Ich zahle Lehrgeld

IV. Ich werde selbständig

V. Wanderleben

VI. Kreiangel

VII. Getäuschte Hoffnungen

VIII. Era Tabatteldil

IX. Reise nach Coröre

N achtrag: Über das Aussterben der Palau-Insulaner und dessen mutmaßliche Ursachen

D ie maritime gelbe Buchreihe

W eitere Informationen

Impressum neobooks

Vorwort des Herausgebers


Von 1970 bis 1997 leitete ich das größte Seemannsheim in Deutschland am Krayenkamp am Fuße der Hamburger Michaeliskirche. Dabei lernte ich Tausende Seeleute aus aller Welt kennen.


Im Februar 1992 entschloss ich mich, meine Erlebnisse mit den Seeleuten und deren Berichte aus ihrem Leben in einem Buch zusammenzutragen. Es stieß auf großes Interesse. Mehrfach wurde in Leserreaktionen der Wunsch laut, es mö­gen noch mehr solcher Bände erscheinen. Deshalb folgten dem ersten Band der „Seemannsschicksale“ weitere Bände.

Zufällig kamen mir die Texte über Alfred Tetens auf einem Flohmarkt in die Hände, welche die große Zeit der Handels­schifffahrt unter Segeln des 19. Jahrhunderts sehr plastisch beschreiben.

Der 1835 im damals noch dänischen Wilster geborene Al­fred Tetens reiste im Auftrage des in Blankenese wohnenden Hamburger Reeders Joh. Ces. Godeffroy & Sohn erstmals 1865 mit der Brig „VESTA“ in die Südsee, um dort mit den Be­wohnern der Palau-Inseln Handel zu treiben. Er belieferte Go­defroy auftragsgemäß auch mit diversen Exponaten für des­sen naturkundliches Museum.

Alfred Tetens begegnete auf den Palau-Inseln auch Dr. Karl Semper. Diesem deutschen Naturforscher und seiner unver­gesslichen Leistung sei dieser Band 105e gewidmet.

Der vom Herausgeber vor Jahren neu geschaffene Beitrag bei Wikipedia ist inzwischen zu einer umfangreichen wissen­schaftlichen Würdigung angewachsen:

https://de.wikipedia.org/wiki/Alfred_Tetens

Hamburg, 2019 Jürgen Ruszkowski


Ruhestands-Arbeitsplatz des Herausgebers


Alfred Tetens



Alfred Tetens, am 1.07.1835 in Wilster als Spröss­ling Nummer Sieben eines in dänischen Diensten ste­henden Justizrates und Senators geboren, fuhr als Schiffsjunge, Matrose, Steuermann und Kapitän in briti­schen, dänischen, peruanischen, bremischen und ham­burgischen Diensten jahrelang weltweit auf Segelschif­fen zur See, ‚entdeckte’ und erschloss in den 1860er Jahren etliche pazifische Inselgruppen im Auftrage des „Königs der Südsee“, des Hamburger Handelshauses J. C. Godeffroy & Sohn für den Handel mit Deutschland und bekleidete später das Amt des Wasserschouts ‚ei­nes hohen Senats’ der Freien und Hansestadt Hamburg. Er war 1891 auch Mitbegründer der noch heute für See­leute aus aller Welt gemeinnützig arbeitenden Deut­schen Seemannsmission in Hamburg R.V.


Der bei uns in Vergessenheit geratene Name des Kapitäns Alfred Tetens taucht heute noch in mehreren englischsprachigen Internetseiten und auch in einer spa­nischen im Zusammenhang mit der Geschichte der mi­kronesischen Inselwelt auf:

www.micsem.org/pubs/articles/historical/bcomber/sources.htm

In seinen 1889 in Hamburg beim Verlag G. W. Niemeyer Nachfolger (G. Wolfhagen) erschienenen und von S. Steinberg bearbeiteten „Erinnerungen aus dem Leben eines Capitäns – Vom Schiffsjungen zum Wasser­schout“, die ich zufällig in einem antiquarischen Floh­markt-Bücherkarton fand und die es im Handel nicht mehr gibt, habe ich als der Herausgeber dieser mariti­men gelben Buchreihe den Band 4e

(unter ISBN 978-3-7467-8730-5 – unter dem Titel Weltweit unter Se­geln um 1850-70 – bei Amazon unter ISBN 978-1515096061 ­– auch als eBook im ePub- und Kindle-Format

unter ISBN 978-3-7380-3510-0) gestaltet.



Hier die entscheidende Passage aus Band 4:

„Mit wem habe ich die Ehre?“, fragte der Fremde höf­lich. – „Mein Name ist Tetens, ich bin Führer der „ACIS“ und Teilhaber des Kapitäns Cheyne.“ – „Sehr erfreut, Herr Tetens, ich bin Dr. Semper. – „Darf ich mir eine Frage gestatten, Herr Doktor?“ – „Bitte sehr.“ – „Sind Sie Engländer?“ – „Nein, nein, ich bin Deutscher.“

Bis jetzt war die Unterhaltung in englischer Sprache geführt, als ich nun aber deutsch antwortete und meine holsteinische Heimat nannte, da sprang Dr. Semper freudig erregt empor. „Das ist ja famos, dann sind Sie ja nicht nur mein Landsmann im Allgemeinen, sondern auch im engeren Sinne, ich bin aus Altona.

Es waren angenehme Stunden, die ich in Gesell­schaft des Gelehrten verlebte. Nicht nur die Erinnerung an die ferne Heimat war geweckt, es füllte mich auch mit Bewunderung, wie der deutsche Forscher im Dienste der Wissenschaft alle Strapazen, jedes Ungemach ertrug und mit welcher unermüdlichen Ausdauer er seine wis­senschaftliche Aufgabe zu erfüllen suchte.

Im Allgemeinen ist unter dem Volke die Ansicht vor­herrschend, dass der deutsche Professor nur Auge und Sinn für das streng Wissenschaftliche habe, dass er al­les, was seinem eigentlichen Gebiete ferner liegt, nicht beachte und mit den einfachsten Dingen weit unprakti­scher verfahre wie der Mann aus dem Volke. Hat diese Meinung eine gewisse Berechtigung, so machte Dr. Semper eine glänzende Ausnahme. Ihm war auch nichts entgangen, selbst die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse der Inselgruppe hatte er mit einer seltenen Klarheit erfasst und er wusste die gering­fügigsten Vorkommnisse wissenschaftlich zu erläutern.

Von allen Einwohnern geachtet, hatte der deutsche Gelehrte in einer verhältnismäßig kurzen Zeit nicht nur alles Wissenswerte erfahren, sondern auch, vom Zufall begünstigt, Cheynes selbstsüchtige Pläne entdeckt und höchst geschickt vereitelt.

 

König Abba Thule war im Besitze eines Buches: „An Account of the Pelew-Islands“, dessen Verfasser Wilson im Jahre 1780 auf den Palau-Inseln gescheitert und der somit wohl die erste eingehende Schilderung von die­sem Volke geliefert hat. Der König betrachtete dieses Buch als ein Heiligtum, erzählte es doch von einem jun­gen Königssohn, der einst die Insel verlassen, um in England europäische Sitten zu erlernen, dort im fernen Lande von einem frühzeitigen Tod ereilt worden, und der nie wieder in seine Heimat zurückgekehrt war. Dr. Sem­per empfing dieses Buch zur Durchsicht aus den Hän­den des Königs, fand auch manche wissenschaftlichen Aufschlüsse, aber weit mehr als der Inhalt, fesselten den aufmerksamen Forscher zwei zufällig zwischen die Blät­ter des Buches geratene Abschriften eines geheimen Vertrags zwischen dem Könige und dem Kapitän Chey­ne, sowie einer Konstitution von Palau.

Die Originale dieser interessanten Schriftstücke be­fanden sich im englischen Konsulate in Manila. Wurden die Bestimmungen ausgeführt, so war Kapitän Cheyne tatsächlich König von ganz Palau. Dr. Semper hatte Ab­schrift von den Dokumenten genommen und sowohl die­se, wie auch die mutwillige Zerstörung von Korror-Dör­fern durch das englische Kriegsschiff „SPHINX“ in der in Manila erscheinenden Zeitung Diario de Manila veröf­fentlichen lassen.

Spanien, das angeblich vor 150 Jahren die Palau-In­seln als Eigentum erworben haben will, schenkte diesem Vorkommnis zwar nicht die erwünschte Beachtung, aber der deutsche Gelehrte erreichte wenigstens den morali­schen Erfolg, dass Cheynes Handlungsweise in weiten Kreisen zur Kenntnis kam und seine Pläne wie von un­sichtbarer Macht durchkreuzt wurden.

Für mich waren die freimütigen Eröffnungen meines gelehrten Landsmannes von höchster Wichtigkeit; wenn ich mich auch nicht um Politik kümmerte, so hatte ich doch den wahren Charakter meines Reeders kennen ge­lernt und konnte demnach meine Maßregeln treffen.


Der Herausgeber dieses Bandes 105e war beim Le­sen der Texte des Dr. Semper und dessen Darstellung der Begegnung zwischen beiden Anfang November 1862 auf der Insel Corror sehr erstaunt über die doch recht unterschiedliche Darstellung dieser Begegnung. Laut Dr. Semper hatte Tetens bereits vor dieser Begeg­nung in Manila von seinem hier forschenden Landsmann gehört. Es ist durchaus möglich, dass diese unter­schiedliche Darstellung auf den Ghostwriter Sammy Steinberg zurückzuführen ist, der den ursprünglichen Be­richt Alfred Tetens' für eine Buch-Veröffentlichung umge­schrieben und nachweislich verfälscht hat.

Dr. Karl Gottfried Semper

h ttps://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Semper

geboren am 6. Juli 1832 in Altona

verstorben am 29. Mai 1893 in Würzburg

Semper war Naturforscher, Zoologe, Ethnologe und Forschungsreisender. Er studierte an der Technischen Hochschule in Hannover, wo er 1852 Mitglied des Corps Visurgia wurde. Als Ethnograph bereiste er 1859 bis 1864 die Philippinen und die Palauinseln und kehrte im November 1865 über Hongkong, Saigon und Ceylon nach Europa zurück.

In Manila hatte er die aus Hamburg stammende Anna Hermann (* 28. Oktober 1826) kennen gelernt. Sie wird in den nachfolgenden Texten von ihm als Verlobte mehrfach erwähnt.

1866 habilitierte er an der Universität Würzburg in Zoologie und wurde dort 1868 Professor für Zoologie und vergleichende Anatomie.

S o sieht der Originaltext in Dr. Sempers bei Brockhaus erschienenem Buch aus dem Jahre 1873 aus.

I. Die Palau-Inseln im Stillen Ozean

Original 1873 bei F A Brockhaus in Leipzig erschienen


Von Manila nach den Palau-Inseln

Es war im Mai des Jahres 1859. Von Luban, einem hoch am nordöstlichen Abhange des erloschenen Vul­kans Banajao auf Luzon liegenden Bergdorfes aus ritt ich auf schlechtem, aber wunderbar schönem Wege nach Mauban zu. Ehe ich diesen an der östlichen Küste liegenden Ort erreichte, bot mir noch in ziemlicher Höhe eine Windung des Weges den ersten Blick auf den Stil­len Ozean, dessen langgestreckte Wogen sich an den Riffen des Ufers brachen, während er im Horizont mit dem Himmel zu verschmelzen schien.

Die Bewegung des Seeganges war nur an dem Schaum der Küste zu erkennen; und das Meer selbst schien gänzlich ruhig dazulegen, in der Tat ein stiller Ozean, auf dessen weiter Fläche kein Boot, kein Schiff zu erblicken war. Aber der unbegrenzte Horizont setzte meiner Phantasie kein Hindernis entgegen; weiter und weiter nach Osten zu schweifte mein Blick in die Ferne, und je weiter er drang, umso bewegter schien mir auch das Leben des Meeres zu werden. Zunächst traf mein Auge die Marianen, unter denen mir Tinian in der Erinne­rung an Anson’s warme Schilderung tiefe Sehnsucht er­weckte, während von südwärts her die kraushaarigen dunkelbraunen Bewohner der Carolinen gastlich zu win­ken schienen.

Abba Thules (siehe das Buch von Keate Wilson, „an Accoutt of the Pelew Islanda“ London 1783, das seinerzeit großes Aufsehen erregte und auch in Deutschland viel gele­sen wurde) und Leeboos freundliche Gestalten zogen, bedeutungsvoll lächeln, an mir vorüber; aber auch grau­same Mordszenen zwischen Farbigen und Weißen tra­ten mir vor das Auge. Bald sah ich die Fidschi-Insulaner den getöteten Feind als Sühnopfer verzehren, während von ihrer heimatlichen Insel vertriebene Bewohner der Samao-Inseln nach Tonga und Neuseeland absegelten, bis plötzlich ein großartiger Ausbruch des Mauna-Roa das Bild zerstörte, das sich mir so in der Fülle des tropi­schen Lebens und mir geschichtlichen Erinnerungen ver­webt entrollt hatte. Verlangen nach den wunderbaren Koralleninseln des Stillen Ozeans erfasste mich mächtig, und ich gelobte mir, keine Gelegenheit unbenutzt vor­übergehen zu lassen, wenigstens einen kleinen Zug aus dem übervollen Freudenbecher zu tun, den ich dort zu meinen Füßen so unermesslich weit ausgebreitet zu se­hen wähnte.

Mit diesem Entschluss, einige Inseln des Stillen Oze­ans kennen zu lernen, kehrte ich nach Manila zurück. Bald schien sich mir eine treffliche Gelegenheit zu bie­ten. Ich erfuhr durch einen Freund, dass ein englischer Kapitän namens Cheyne soeben mit einer Ladung Tre­pang (so heißen die für den Handel nach China zubereiteten Holothurien, eigentümliche fast wurmartige Tiere aus der Klas­se der Echinodermen) von einer den Spaniern längst be­kannten Inselgruppe, den Palaos (Pelew-Islands der Engländer, besser Palau-Inseln), angekommen sei und nach Verkauf derselben möglichst rasch wieder dahin zurückzukehren gedenke.

Zwar lagen diese Inseln noch ziemlich nahe an den Philippinen und schienen so von keinem besonderen In­teresse, aber da ihre Bewohner sicherlich einer ganz an­dern der tagalischen, ganz fern stehenden Rasse ange­hörten und ihre Barrièrenriffe mit den durch sie einge­schlossenen Kanälen und Lagunen reiche zoologische Ernte versprachen, so verschaffte ich mir eine Empfeh­lung an diesen Kapitän. Ich besuchte ihn an Bord seines Dreimasters. Er empfing mich freundlich, fast zu sehr, war gleich bereit mich mitzunehmen und deutete mir so­gar an, dass ich mit ihm reisend wohl auch im Handel mit den Eingeborenen, den er mir gestatten wolle eini­gen Ersatz für meine Reisekosten würde finden können. Dennoch wies er mich nachher mit einigen Entschuldi­gungen ab.

Ich vergaß bald diese Enttäuschung während einer gleich danach unternommenen Reise nach dem süd­lichsten Punkte der Philippinen, nach Zamboanga und Basilan; und ich vergaß Cheyne um so leichter, als ich bei meinen Erkundigungen nach dem Trepang-Handel mit den Palaos in Erfahrung gebracht dass noch andere Kapitäne von Zeit zu Zeit in Manila einzulaufen pflegten, welche vom Stillen Ozean herkämen, dass ich also leicht zu einer andern Zeit den ungern aufgegebenen Plan würde ausführen können.

Jahre vergingen nun. Rastlos wandernd, bald zu Fuß, bald zu Pferde oder im Boot durchzog ich das nördliche Luzon nach allen Richtungen bis mich endlich im Okto­ber des Jahres 1861 eine lang genährte aber nicht er­kannte und unbeachtet gelassene Dysenterie (Die Dysen­terie ist eine Entzündung des Darms, die oft zu starker Diar­rhö, Magenschmerzen und Erbrechen führt.) so danieder warf, dass ich die Reise unterbrechend rasch nach Mani­la zurückkehren musste. Meinen Diener Antonio Angara schickte ich weiter auf der begonnenen Reise, da ich hoffte, ihn in kürzester Frist wieder irgendwo im Norden treffen zu können. Das Schicksal hatte es anders be­schlossen. Dort in Manila obgleich von treuen liebenden Händen gepflegt und von einem geschickten deutschen Arzt behandelt, wurde ich des Nebels nicht Herr – und mitten in meinem Gram über die Unmöglichkeit meiner Weiterreise überraschte mich eines Tages meine Braut mit dem Worte, dass der Arzt eine Seereise dringend an­rate und dass sie bereits ein Schiff gefunden habe, wel­ches in wenig Wochen nach den Carolinen absegeln sol­le! Alles war bereits mit dem Kapitän Woodin verabre­det, ich brauchte nur noch mein Wort zu geben, dass ich mich der auf höchstens vier bis fünf Monate berechneten Expedition anschließen wolle. Die sicher scheinende Aussicht auf Erfüllung eines meiner sehnsüchtigsten Wünsche gab meiner Spannkraft neue Nahrung – und ich entschloss mich leicht und gern zu einer Reise, die ich krank, nur unvollständig ausgerüstet und ohne mei­nen treuen erprobten Antonio antreten musste, die aber zu einer der genussreichsten und zugleich mühseligsten meines ganzen Wanderlebens werden sollte!

Kapitän Woodin der Befehlshaber der „LADY LEIGH“ ein alter englischer Seemann von echtem Schrot und Korn empfing mich aufs freundlichste. Zwar bot er mir nicht an wie Cheyne es früher getan, dort neben ihm Handel treiben zu dürfen, ja er verweigerte sogar seine Einwilligung Äxte Beile und eiserne Kochschalen, die dort auf den Inseln beliebtesten Artikel zum Zweck des Eintauschens von Tieren mitnehmen zu dürfen. Aber gerade diese Offenheit und die humane Gesinnung, die aus seinem nicht sehr geistreichen Auge sprach, nah­men mich für den Mann ein. Unter seiner Leitung be­sorgte ich denn auch meine Ausrüstung, obgleich ich mir namentlich in Bezug auf Lebensmittel wie Schokolade Biscuit, Tee Plumpudding und konserviertes Fleisch eini­ge Ausschreitungen erlaubte, und es kostete mir einen kleinen Kampf, seine Einwilligung zu meinem Plane zu erhalten außer einem nur für meine leiblichen Bedürfnis­se sorgenden Diener Alejandro, noch einen jungen Mes­tizen D Enrique Gonzalez, seines Zeichens ein angehen­der Maler, mitzunehmen. Mit diesem letzteren wollte ich einmal den Versuch wagen, ob nicht ein in der zu Manila 1859 gegründeten und unter der Leitung des trefflichen spanischen Malers D Matias de Sainz stehenden Maler­schule (Real Academia de pinturas) gebildeter Mestize der Leitung seines Lehrers entzogen und selbständig ar­beitend Tüchtiges würde leisten können.

Durch seine Hilfe hoffte ich eine Fülle ethnologischer Studien und Porträts, ohne selbst viel Zeit an die Verfer­tigung von Skizzen verwenden zu müssen, sammeln, statt dessen aber meine Zeit zu Beobachtungen aller Art und zum Fangen von Tieren verwenden zu können. Während ich teilweise die Anschaffung der Lebensmittel und der benötigten Tauschartikel (Reis, Pulver und Flin­tenkugeln, weißer und roter Calico (Kattun - Baumwolle), Taschenmesser usw. dem Kapitän überließ, wendete ich die geringe mir noch zu Gebote stehende Zeit und kör­perliche Kraft dazu an, meine Gläser für die Reise einzu­packen und alle nötigen Vorbereitungen zu zoologischen Arbeiten zu machen.

Abfahrt der „LADY LEIGH“

Endlich war alles bereit. Meiner Braut, die nun so nah vor der Trennung sich einer sorgenden Ängstlichkeit nicht ganz erwehren konnte, rief ich Trost noch die Scheideworte zu, „dass es ja nur eine Spazierfahrt zu nennen und etwa einer Reise von Deutschland nach Ita­lien zu vergleichen sei“; und am letzten Tage des Jahres 1861 fuhr ich, eher heiter als trübe gestimmt um 5 Uhr abends an Bord der „LADY LEIGH“. Der kleine Schoner von 110 Tonnen Gehalt lichtete um 6 Uhr die Anker.

 

K arte aus dem Originalbuch

Aber schon die Neujahrsnacht brachte uns Unglück. Noch in der Bai von Manila in der Nähe des Leuchtturms der Insel Corregider mussten wir ankern – das Schiff machte Wasser – und erst am 2. Januar konnte das Leck gestopft werden, denn Kapitän Woodin war ein energischer Seemann, aber auch ein frommer Englän­der, der am Neujahrstag nur das eindringende Wasser auspumpen ließ, sonst aber nicht arbeiten lassen wollte. Mittags den 2. Januar fuhren wir fort, und nun ging es lustig bei frischem Winde zum Hafen hinaus an Ambil vorbei in die Straße zwischen Mindoro und der Provinz Natangas hinein. Hier wechselten stürmische Winde und Windstillen. Mochte nun bei dem heftigen Herum­werfen des kleinen und alten Fahrzeuges das frühere Leck wieder aufgesprungen oder ein neues entstanden sein, genug, wir mussten während dieser Tage wieder ziemlich stark pumpen und schließlich im Hafen von Bu­rias am 7. Januar einlaufen, um das Schiff womöglich gründlichen Reparatur zu unterwerfen.

Die Einfahrt in den kleinen, aber sehr geschützten Ha­fen von Bunas ist schmal und eng, durch die zahlreichen von Korallen bedeckten Untiefen in der Nähe der Ufer gefährlich und nur bei gutem Winde und am Tage zu passieren. Dadurch dass diese kanalartige Lücke zwi­schen der eigentlichen Insel Burias und der nach Wes­ten liegenden Insel Busin sich in der Nähe der Haupt­stadt des kleinen Distrikts bassinartig ausweitet, entsteht ein jeglichem Seegange fast gänzlich entzogener und auch gegen die Südweststürme wie gegen den heftigen Nordostmonsun geschützter Hafen. Doch wird er nur im Binnenverkehr von einiger Bedeutung sein können; denn er ist einesteils zu klein und der Eingang zu schwierig für große Schiffe, andererseits aber ist die Insel selbst von zu geringer Bedeutung und den Nachbarprovinzen ge­genüber zu ungünstig gelegen, um jemals zu einem Aus­fuhrhafen nach fremden Ländern werden zu können. Die Insel selbst, lang und schmal, hügelig aber sicher nicht im Mittel die Höhe von 800 bis 1000 Fuß überstei­gend (nach Schätzung) ist zum größten Teil bedeckt von Wiesen, die hier und da von mächtigen Waldungen un­terbrochen sind und zahlreichen Rinderherden Weide geben. Es ist die Zucht und die Ausfuhr der lebenden Kühe, hauptsächlich nach den nächstliegenden Provin­zen, die einzige Beschäftigung der nur einige hundert Tribute (als Tribut bezeichnet man auf den Philippinen die Summe der Abgaben, welche zwei erwachsene Menschen zu­sammen zahlen; Kinder bis zu 10 Jahren und Greise über 60 Jahren sind gänzlich frei. Die Zahl der Tribute gibt daher we­niger als die Hälfte der Einwohner an. Kurzweg bezeichnet man auch je zwei Menschen immer als einen Tribut; man fragt viele „tributantes“ im Dorfe seien, sondern nur wie viele „tribu­tos“) zahlenden Einwohner. Ursprünglich waren es aus­schließlich militärische Sträflinge, die hierher geschickt wurden: sie siedelten sich hier an, und so entstand all­mählich das kleine Gemeinwesen, das von einem Kapi­tän der Armee als sogenanntem Kommandanten des Mi­litärdistrikts geleitet wird.

Obgleich nun trotz des längeren Lebens auf der See mein Unwohlsein nicht ganz gehoben, meine Kräfte noch nicht völlig wiederhergestellt waren, so konnte ich doch der Versuchung nicht widerstehen, der in den An­nalen der Conchologie (die Conchologie ist ein Teilgebiet Zoologie und befasst sich mit Schalenweichtieren – Muscheln) berühmt gewordenen Isla Temple einen Besuch abzu­statten. Der Kommandant selbst ein Schalenliebhaber, wusste mir viel von dem Reichtum der kleinen Insel an Landschnecken zu erzählen; er besorgte mir ein Boot und Leute, und so fuhr ich denn von einem ebenfalls als Passagier auf der „LADY LEIGH“ befindlichen Schwe­den, Namens Johnson, begleitet, am 9. Januar morgens dahin ab. Dieser Schwede war ein alter Bekannter des Kapitäns. Als Mr. Woodin in früheren Jahren noch reich und Besitzer mehrerer großen Schiffe gewesen war, wel­che alle zwischen Hobarttown, China und den Inseln des Stillen Ozeans fuhren, war Johnson auf einem derselben als Kajütenjunge angestellt gewesen. Unglückliche Spe­kulationen zwangen Woodin eins oder zwei seiner Schif­fe zu verkaufen, ein anderes wurde irgendwo in China kondemniert ( im Seewesen soviel wie ein seeuntüchtig ge­wordenes Schiff von der Seefahrt ausschließen), und das, worauf Johnson fuhr, scheiterte beim Einlaufen in einen Hafen der Palau-Inseln. Es ging ihm wie so manchem europäischen Matrosen. Die Freundlichkeit der Einge­borenen gegen den kräftigen und jungen hübschen Men­schen und die Achtung, in welcher unter jenen Wilden je­der noch so ungebildete Europäer steht, erleichterten ihm die Angewöhnung an ihr häusliches Leben, sodass er gern das gezwungene Exil zu einem freiwilligen mach­te, als vorbeifahrende Schiffe seinen Gefährten und auch ihm die Rückkehr ins europäische Leben ermögli­chen wollten. Hier fand ihn dann – ich weiß nicht nach wie viel Jahren – sein alter Kapitän der nun verarmt wie­der am Ende seiner Tage zum abenteuernden Leben des handeltreibenden Seefahrers seine Zuflucht nehmen musste; aber er fand ihn schon halb als Eingeborenen, kaum noch fähig, seine Muttersprache korrekt zu schrei­ben, schwach und krank, sodass er ihm aus Mitleid freie Passage nach Manila gewährte, um ihm durch bessere Nahrung und weniger ausschweifendes Leben wieder zu Kräften zu verhelfen. Sein Plan freilich, ihn seinem Va­terlande wieder zu gewinnen schlug fehl.

Mochte Johnson wirklich sein den Eingeborenen gege­benes Wort, wieder zurückzukehren heilig halten, wie er vorschützte; oder glaubte er, verleitet durch die Ehr­furcht, die er als Weißer genoss, „der Erste in dem klei­nen Ländchen werden zu können“ genug er kehrte mit uns wieder nach den Palaus zurück. Mir war natürlich ein Europäer, der irre ich nicht, schon vier oder fünf Jah­re mit den Bewohnern gelebt ihre Sprache erlernt und manche ihrer Gebräuche und Sitten mit offenem Auge, wie mir damals schien, beobachtet hatte, ein angeneh­mer und nützlicher Reisegefährte, ein angenehmer, denn die Hoffnung, wirklich gebildete Begleiter zu finden, hatte ich längst aufgegeben, und ein nützlicher, denn wäre er mehr das gewesen, was er zu sein schien, so hätte ich sicherlich nicht so sehr mit meinen eigenen Au­gen sehen gelernt, als ich es nachher tat.


Wir kamen auf der Insel Temple nach ruhiger und be­quemer Fahrt an. Schon in ziemlicher Entfernung sahen wir am Meeresgrunde zahlreiche Korallen, in wunderba­ren Gestalten und prangend im prächtigsten Farben­schmuck, regellos durcheinander wachsend dem lang­sam ansteigenden Meeresboden folgen, ohne ein ei­gentliches durch schäumende Wogen – die sogenannten Brecher – bezeichnetes Korallenriff zu bilden. Nur an ei­nigen vorspringenden Punkten am Südende der Insel brachen sich die unbedeutenden Wellen, die der leichte und wechselnde Wind erhob. Aus dem so ganz allmäh­lich vom Meeresgrunde emporwachsenden Korallenbo­den, der aber bis einige Fuß unter die tiefste Ebbelinie von größtenteils abgestorbenen Korallen gebildet ward, stieg die niedrige, ganz aus Korallenkalk und einem Kon­glomerat von Korallenfragmenten, Muscheln und Sand gebildete Insel in steilen Klippen empor. Nur an ge­schützten Stellen, Buchten und Einschnitten war das Ge­stein unter Korallensand begraben, während an den vor­springenden Punkten die Klippen einen durch die Bran­dung ziemlich tief ausgewaschenen Fuß zeigten. Nir­gends war eine Spur eruptiven Gesteins zu bemerken. Überall mit ziemlich dichtem Wald bedeckt, unter dessen Bäumen vor allem die herrlichen Barringtonien (Palo Ma­ria) und die unschönen aber charakteristischen Panda­nusarten auffielen, stieg die Insel zu höchstens (schät­zungsweise) 30 bis 40 Fuß über dem Meeresspiegel an. Das Wetter war köstlich während der zwei Tage, die ich dort zubrachte – im Sinne des Touristen; denn mir, der ich mit Schmetterlingsnetz und Schachteln ausgerüstet war, schien die Trockenheit, welche schon seit langer Zeit hier geherrscht haben musste, nach dem verstaub­ten und vertrockneten Aussehen der Blätter zu urteilen, ein ungünstiges Zeichen für die gehoffte Ernte. In der Tat fing ich denn auch fast gar keine Insekten, während ich doch im Jahre vorher zur selben Zeit in den ewig feuchten tiefen Schluchten der Gebirge in Zentral- Luzon viele der schönsten Schmetterlinge erbeutete. Dennoch aber füllten sich die Bambusrohre, welche mir auf mei­nen Reisen seit langem die Schachteln und Körbe er­setzten, rasch mit zahlreichen von den Baumblättern ab­gelesenen Landschnecken, welche in allen Altersstufen vertreten waren. Hier fand ich Eierhaufen in wie Düten zusammengedrehten Blättern; dort krochen die kleinen durchscheinenden Tierchen munter herum, während für die grün gebänderten oder roh und gelblich gesprenkel­ten halb oder ganz erwachsenen Tiere der Wonnemonat gekommen zu sein schien. Wie aber erstaunte ich erst, als ich am 11. Januar schon auf der Rückfahrt begriffen, auf einer kleinen zwischen Temple und Busin liegenden Insel landete. Hier waren fast buchstäblich die Bäume mit Schnecken bedeckt. In weniger als drei Stunden sammelten wir mehr als 1.200 Stück durch Schütteln der Bäume, wobei natürlich immer nur ein Teil der Tiere her­ab fiel aber die einzelnen Bäume zu ersteigen oder ihre Äste auch nur herabzubiegen, war eine zu große Mühe, da wir durch einige rasche Stöße an den Baumstamm mehr Exemplare auf den Boden brachten, als wir nach­her wieder auflesen konnten. Auch unter diesen, die alle einer einzigen Art angehörten, fanden sich sämtliche Al­tersstadien vom Ei bis zum ausgewachsenen Tiere vor.

Ganz anders zeigte sich das Verhältnis in Bunas selbst, wo ich am 11. Januar abends wieder eintraf. Ob­gleich die nächste hügelige Umgebung des Hafens von Burias (Die genannten und noch einige andere in der Nähe liegende Inseln sind durchweg niedrig, die Hügel selbst aber dicht am Meere oft sehr schroff aufsteigend. Diese Felsen be­stehen aus einem Konglomerat einer Unzahl von solchen Mu­schel und Korallenfragmenten, wie man sie jetzt noch am Ufer aller dortigen Koralleninseln findet. Die einzelnen Teile des Conglomerats werden durch einen stark kalkhaltigen Kitt zu­sammengehalten, und das Gestein häufig weiß, nimmt durch den Kitt oft, so namentlich bei der Stadt Burias und an der Nordseite der Insel – die deshalb auch Punta Colorada d. h. rote Spitze genannt wird – eine rotbraune oder selbst schwärzliche Färbung an. Bei Burias an der Südostseite des Hafens steht ein brauner grobkörniger harter Sandstein an mit sehr zahlreichen Schalen von Ostreen und Pecten, sowie zahlreichen Fragmenten von Echinidenstacheln, aber fast ganz ohne alle Cephalophoren. Alle Inseln, namentlich die kleineren, tragen den deutlichsten Charakter allmählicher Auf­lösung; einzelne abgerissene Felsblöcke, die auf schmaler Ba­sis stehen – Resultat der Ausfressung durch die Brandung – zeigen deutlich die Fortsetzung korrespondierender Schichten an den ihnen benachbarten Inseln. Die Schichten lagern fast ganz horizontal.) aus gehobenem Korallenkalk und Schichten desselben Kalkkonglomerats bestand, welches ich auch auf Temple beobachtet hatte, so fanden sich hier doch weder genau dieselben Arten, als dort noch auch die vorhandenen in so großer Individuenzahl. Dagegen flogen hier, wenn auch spärlich, doch mehrere Arten von Schmetterlingen, und auf den Büschen erhaschte ich manche Insekten, während ich von Temple deren fast gar keine mitbrachte. Da sich nun aber mein altes Übel durch einen leichten Anfall bei mir wieder in Erinnerung gebracht hatte, so folgte ich dem Rate des Kapitäns, unterließ die Landexcursionen und brachte die Tage, welche wir noch zur Reparatur des lecken Schiffs dort verweilen mussten mit gelegentlichen Untersuchungen von Meertieren und einem unter dem Tropenhimmel so glücklich machenden dolce far niente (süßes Nichtstun) zu.