Seemannserinnerungen – Seefahrt damals

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Seemannserinnerungen – Seefahrt damals
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Jürgen Ruszkowski

Seemannserinnerungen – Seefahrt damals

Anthologie – redigiert und herausgegeben von Jürgen Ruszkowski

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort des Herausgebers

Clemens Külberg

Von Clemens Külberg auf den Reisen erlebte Orte

Erinnerungen an die Hafenstadt Mersin /Türkei 1972

Auf nach Afrika…

Clemens Külberg: Bordparty

Clemens Küllbeg: Das gab’s auch

Clemens Küllberg: Patenschaften MS ALTMARK

Clemens Küllberg: Von alten Schiffen

Clemens Küllberg: Persönliche Erlebnisse eines Schiffbrüchigen

Clemens Külberg berichtet von gefährlichen Reisen ins Kriegsgebiet Persergolf:

Weitere Schiffe, auf denen Clemens Külberg arbeitete

Erhard Neumann

Dieter Wernicke erzählt:

Bernd Kunze erzählt

Kapitän Emil Feith berichtet

Almuth Petersen-Roil schreibt:

Seemännische Umgangssprache und Fachausdrücke

Weitere Informationen

Maritime gelbe Buchreihe „Zeitzeugen des Alltags“

Impressum neobooks

Vorwort des Herausgebers


Von 1970 bis 1997 leitete ich das größte Seemannsheim in Deutschland am Krayenkamp am Fuße der Hamburger Michaeliskirche, ein Hotel für Fahrensleute mit zeitweilig 140 Betten. In dieser Arbeit lernte ich Tausende Seeleute aus aller Welt kennen.


Im Februar 1992 kam mir der Gedanke, meine Erlebnisse bei der Begegnung mit den Seeleuten und deren Berichte aus ihrem Leben in einem Buch zusammenzutragen, dem ersten Band meiner maritimen gelben Reihe „Zeitzeugen des Alltags“:

Seemannsschicksale.

Insgesamt brachte ich bisher über 3.800 Exemplare davon an maritim interessierte Leser und erhielt etliche Zuschriften als Reaktionen zu meinem Buch.

Ein Schifffahrtsjournalist urteilte über Band 1: „...heute kam Ihr Buch per Post an – und ich habe es gleich in einem Rutsch komplett durchgelesen. Einfach toll! In der Sprache des Seemannes, abenteuerlich und engagiert. Storys von der Backschaftskiste und voll von Lebenslust, Leid und Tragik. Dieses Buch sollte man den Politikern und Reedern um die Ohren klatschen. Menschenschicksale voll von Hochs und Tiefs. Ich hoffe, dass das Buch eine große Verbreitung findet und mit Vorurteilen aufräumt. Da ich in der Schifffahrtsjournalistikbranche ganz gut engagiert bin, ...werde ich gerne dazu beitragen, dass Ihr Buch eine große Verbreitung findet... Ich bestelle hiermit noch fünf weitere Exemplare... Ich wünsche Ihnen viel Erfolg mit dem Buch, das wirklich Seinesgleichen sucht...“

Uwe V.

oder „...möchte Ihnen zu Ihrem Buch gratulieren ...fahre seit 1960 zur See, seit 18 Jahren als Kapitän bei einer namhaften Reederei. Habe in meiner Sturm- und Drangzeit selbst mal bei Ihnen gewohnt. Drei der von Ihnen beschriebenen Personen sind mir persönlich bekannt... Ein Buch, das die Seeleute der 1960/70 Jahre treffend beschreibt.“ Klaus S.

Diese Rezension erfreute mich: Ich bin immer wieder begeistert von der „Gelben Buchreihe“. Die Bände reißen einen einfach mit und vermitteln einem das Gefühl, mitten in den Besatzungen der Schiffe zu sein. Inzwischen habe ich ca. 20 Bände erworben und freue mich immer wieder, wenn ein neues Buch erscheint. Danke Herr Ruszkowski.

Die Reaktionen auf den ersten Band und die Nachfrage ermutigen mich, in weiteren Bänden noch mehr Menschen vorzustellen, die einige Wochen, Jahre oder ihr ganzes Leben der Seefahrt verschrieben haben.

So entstand über die Jahre als Ergebnis meines Rentner-Hobbys diese maritime gelbe Buchreihe.

Ende Januar 1999 traf ich als Ruheständler bei einem Besuch im Seemannsheim den mir vom Ansehen bekannten Kapitän E. Feith. Nachdem wir kurz ins Gespräch gekommen waren, ob er denn immer noch fahre, erwähnte er beiläufig, er habe seine Memoiren bereits fertig geschrieben in der Schublade zu liegen. Herr Feith war so freundlich, mir eine Kopie seiner Aufzeichnungen zum Lesen zur Verfügung zu stellen, und ich war begeistert über diese sehr detaillierte und farbige Darstellung seines interessanten Lebens als Seemann, angefangen von der Zeit als 16jähriger Moses auf einem Kümo vor dem Mast im Jahre 1952. Seine Texte veröffentlichte ich als Band 5 dieser Reihe. Das Buch fand in der Leserschaft großen Anklang. Jahrelang wartete ich auf einen weiteren Buchtext, den Herr Feith unter dem Titel „Master next God“ liefern wollte. Inzwischen muss ich leider davon ausgehen, dass daraus nichts mehr wird. Mir liegen allerdings einige Beiträge dazu von Herrn Feith vor, die in diesem Band 6 nun endlich die wartenden Leser erreichen sollen. Daneben kommen einige Autoren zu Wort, deren Erinnerungen an ihre Seefahrt ich im Internet fand und die mit der Veröffentlichung in diesem Band einverstanden sind.

In diesem Zusammenhang wurde ich bei der Lektüre mancher Texte an den bekannten Theologieprofessor und langjährigen Prediger auf der Kanzel des Hamburger Michels, Helmut Thielicke, erinnert, der 1958 eine Seereise nach Japan auch auf einem Frachtschiff der Hapag unternahm und seine Erlebnisse an Bord in dem Buch „Vom Schiff aus gesehen“ zusammenfasste. Seine hautnahen Begegnungen auf dieser wochenlangen Reise mit Seeleuten brachten ihn zu dem Bekenntnis, dass ihm eine ganz neue, bisher unbekannte Welt erschlossen worden sei und er nun eigentlich sein kurz zuvor veröffentlichtes Ethikwerk umschreiben müsse: „Ich bemühte mich nach Kräften, offen zum Hören zu bleiben und – so schwer es mir fällt – selbst meine stabilsten Meinungen in diesem thematischen Umkreis als mögliche Vorurteile zu unterstellen, die vielleicht einer Korrektur bedürfen. Ich frage mich ernstlich, was an diesen meinen stabilen Meinungen christlich und was bürgerlich ist… Ich merke, wie schwer es ist, sich im Hinblick auf alles Doktrinäre zu entschlacken und einfach hinzuhören – immer nur hören zu können und alles zu einer Anfrage werden zu lassen... Bei meiner Bibellektüre achte ich darauf, wie nachsichtig Jesus Christus mit den Sünden der Sinne ist und wie hart und unerbittlich er den Geiz, den Hochmut und die Lieblosigkeit richtet. Bei seinen Christen ist das meist umgekehrt.“

Hamburg, im November 2012 / 2014 Jürgen Ruszkowski


Clemens Külberg


Clemens Külberg veröffentlicht seine Seefahrterlebnisse unter

http://www.ms-altmark-dsr.com

Schon in frühester Kindheit zog es mich irgendwie magisch in die weite Ferne, und Wasser spielte dabei immer die prägende Rolle. Aufgewachsen am Rande Berlins im Hause eines Havelfischers, war man mit Wasser früh vertraut. Auf der anderen Seite einer weitestgehend unbelebten Straße in ländlicher Umgebung zog sich die Havel hier sehr breit entlang. Dort spielten wir Kinder täglich am Ufer des Flusses zwischen Netze flickenden Fischern, bestaunten volle Reusen und lauschten fasziniert dem Tuten der vorbeifahrenden Schleppkähne.

Früh erlernten wir das Schwimmen, durften dann ab und an mal mit einem kleinen Fischerboot mit oder wurden manchmal sogar von der Schule damit abgeholt. Die Havel machte hier einen scharfen Knick, den wir nie umfuhren. Hier begann für uns das Unbekannte, erweckte unsere Phantasien und die Frage: „Geht es von dort aus in die weite Welt?“ Nicht alle Eltern hatten damals bereits Fernsehgeräte, und wir saßen meistens mit fünf bis acht befreundeten Kindern vor der Flimmerkiste. Überwiegend sahen wir Filme über Entdecker, Piraten und mutige Taucher. Denen wollten wir nacheifern, und wir spielten in Schilfinseln James Cook, Cousteau u. ä. immer erfolgreich nach. Auch das Unglück der „PAMIR“ konnte uns vom Lebenstraum nicht abbringen. Als wir später das Lesen erlernten, machte die einschlägige Literatur bei uns selbsternannten Seeleuten die Runde. So manches Mal lag man mit der Taschenlampe unter der Bettdecke und las bis in die Nacht hinein, bis die Batterie den Geist aufgab. Jede fremde Briefmarke in unserer Sammlung wurde sofort im Atlas oder auf dem Globus lokalisiert. Da wollte ich auch mal hin... Ich will Seemann werden!

 

Mit ca.10 Jahren kam ich der Verwirklichung meiner beruflichen Träume immer näher. Das neue Domizil meiner Eltern wurde die Hafenstadt Rostock. Hier erlebte ich gleich zum Anfang einen Schulausflug auf das erste Handelsschiff der DSR –die „VORWÄRTS“. Das war bereits außer Dienst gestellt und an der Oberwarnow vertäut. Dieses Schiff diente nun als Jugendschiff zur Ausbildung maritimen Nachwuchses. Seit diesem Ausflug war es um mich geschehen. Sobald die Schule vorbei war, zog es mich dort hin.


Die nachfolgenden Besuche realisierte man, indem man sich Freikarten im Pionierhaus besorgte und dann, im zum Kinosaal umfunktionierten Laderaum der VORWÄRTS sich mit vier, fünf Gleichgesinnten, mitunter mutterseelenallein Filme anschaute. Man war erstmal an Bord und konnte alles erkunden. Später meldete man sich zum 14-tägigen Lehrgang an und erwarb das erste seemännische Rüstzeug. Kutter pullen, Knoten und viele andere Möglichkeiten im Zusammenhang mit Seefahrt wurden hier beitragsfrei geboten. Wir konnten nicht genug bekommen. Das Umfeld stimmte auch, konnte man doch nach der Ausbildung gleich zum gegenüberliegenden Bootsverleih und den Fluss weiter „hochrucksen“. Im Sommer konnte man die Badeanstalt unsicher machen oder zu anderen Jahreszeiten an der Schleuse dort, die VORWÄRTS immer vor Augen, dem Angelsport nachgehen. Diese Zeit hat mir auf dem Weg zum Beruf Seemann sehr geholfen.

Richtige „dicke Pötte“ kannte ich bisher nur aus den Erzählungen meines Großvaters, der im I. Weltkrieg auf einem Schlachtkreuzer seinen Militärdienst verrichtet hatte. In der Hansestadt Rostock änderte sich das. Hier war die Möglichkeit gegeben, richtige Schiffe näher kennenzulernen. Viele Familien hatten hier Bezug zu Schiffbau, Fischfang und Handelsschifffahrt. Gebannt lauschte ich immer den Erzählungen der Seeleute und war dann auch ab und zu Gast an Bord von Fischereischiffen, Frachtern und auch mal dem Passagierschiff der DSR „VÖLKERFREUNDSCHAFT“.

Für mich wurde dadurch früh klar, nur die Frachtschifffahrt wird meinen Wunsch ermöglichen, fremde Länder und Völker kennenzulernen.

Vom damals knapp bemessenen Taschengeld wurden immer mal 50 Pfennig abgezweigt, um nach Warnemünde zu fahren. Das war für mich immer der absolute Höhepunkt. Unvergessen die Ankunft am Bahnsteig dort, salzhaltige Luft und Möwengekreisch. Es roch für mich angenehm nach Teer, Labsal und Räucherfisch. Auf dem Weg am Alten Strom schnackte man mit den Fischern und später, an der Mole sitzend, schaute man sehnsuchtsvoll den auslaufenden Schiffen hinterher. Abends nahm man sich dann die aktuellen Schiffspositionen aus der Tagespresse vor und war in Gedanken schon mit an Bord. Joo, so war’s...

Viele Jahre war ein Schiff meine Heimat, und das Meer war mein zu Hause. Fünfzehn lange Jahre, die einen jungen Menschen prägten und seine Sichtweise auf die Welt beeinflussten. Diese Jahre, mit allen Höhen, Härten und Tiefen empfinde ich heute noch als die schönsten Jahre meines Lebens.


Jeder, der sich einmal mit dem Herzen der Seefahrt verschrieben hat, wird nachvollziehen können, wenn im Rückblick auf diese vergangenen Jahre eine gewisse Verklärung und Wehmut bei der Beschreibung der Fahrenszeit zum Ausdruck kommt. Über hundert Länder mit der einzigartigen Vielfältigkeit ihrer Häfen...

Schon als junger Mensch hat man viel gesehen und erlebt. Noch immer bekomme ich leuchtende Augen bei der Erinnerung an die vielen Erlebnisse und verschiedensten Storys, die man wahrscheinlich niemals vergessen wird. Das Anliegen dieser Texte soll es sein, diese Emotionen und Eindrücke für die Traditionspflege der DSR für die Nachwelt zu erhalten.

Viele Schiffe, ferne Länder, andere Kulturkreise... – wo fängt man an, wo hört man auf, ohne sich zu verzetteln?

Vom alten Frachter zum „Schiff der Zukunft“

Über die Containerschifffahrt kann ich immer noch schreiben...

Meine große Liebe gilt heute noch meinem ersten Schiff, auf dem ich fast fünf Jahre über die Meere fuhr – das Motorschiff „ALTMARK“.


Dieses Schiff habe ich daher in den Mittelpunkt meiner Aufzeichnungen gestellt. Ich werde über die Besatzung, das Bordleben, die Routen, das Schiff selbst und über die Seefahrt unter Hammer, Zirkel und Ährenkranz berichten, ein kleines Zeitfenster der Jahre 1972 bis 1976 öffnen. Wer mich bei dieser Reise in die Vergangenheit begleiten möchte, sei eingeladen, hier weiterzulesen...

Das Motorschiff ALTMARK hatte 1958 seinen Stapellauf und wurde für eine dänische Reederei unter dem Namen „INGE TOFT“ 1959 in Dienst gestellt (siehe Schiffsdaten). Unter dänischer Flagge verblieb das Schiff bei dieser Reederei bis zum Verkauf am 1. 05. 1964 an die Deutsche Seereederei.


Während der Werftzeit 1974 im dänischen Svendborg ist es möglich gewesen, Näheres über die Fahrtzeit der INGE TOFT in Erfahrung zu bringen. Bekannt wurde, dass die INGE TOFT schon mal in die Schlagzeilen der Weltpresse geriet und sogar Verhandlungsgegenstand der Vereinten Nationen war.

Auslöser dieser Reaktionen waren politische Verwicklungen zwischen Israel und Ägypten, in die das Schiff ohne Eigenverschulden geriet. Leidtragende waren, wie so oft, auch die Seeleute an Bord dieses Schiffes. Was war geschehen? Das dänische Handelsschiff INGE TOFT war mit einer Ladung Zement und Phosphat vom israelischen Hafen Haifa aus in den Suezkanal zur Durchreise eingelaufen und wurde von den ägyptischen Behörden an der Passage gehindert. Obwohl es seit 1888 international vertragliches Recht war, dass es jeder Nation freistehe, egal ob in Friedens- oder Kriegszeiten, unter welcher Flagge auch immer, den Suezkanal zur freien Durchfahrt zu nutzen, der Kanal weder bei Kriegs- noch Handelsschiffen zu einer Blockade genutzt werden darf, wurde Schiffen unter israelischer Flagge die Suez-Passage verwehrt.

Unter Verzicht der internationalen Rechte zur Durchfahrt eigener Schiffe sollte jetzt ein Schiff unter dänischer Flagge mit nicht-israelischer Fracht durch den Suez geschickt werden. Dies geschah – nach Absprache mit der UNO – nach achtjährigem Boykott israelischer Schiffe.

Im Mai 1959 wurde der INGE TOFT von der ägyptischen Regierung die Durchfahrt des Suez verweigert, das Schiff an die Kette gelegt und die Ladung beschlagnahmt. Ähnliches passierte auch noch anderen Schiffen.

Am härtesten traf es aber das dänische Schiff und die Besatzung der INGE TOFT. Sie wurden für 262 Tage (!) in Port Said festgesetzt.

Alle Proteste, des Schiffseigners, des Kapitäns, der Befrachter und anderer Betroffener bei der ägyptischen Regierung blieben wirkungslos. Auch sämtliche Gespräche seitens der Vereinten Nationen mit der Regierung Ägyptens blieben fruchtlos. Am Ende, nach 262 Tagen, gab der Kapitän die Ladung frei, und sie wurde von den ägyptischen Behörden konfisziert. Mit leeren Laderäumen kehrte die INGE TOFT nach Haifa zurück.


1959 – INGE TOFT an der Kette


Das war kein erfolgreicher Einstieg für das neue Schiff in diesem Fahrtgebiet.

Auf den Zustand des Schiffes wird sich diese lange Liegezeit sicherlich nicht positiv ausgewirkt haben.

Unbestätigten Berichten zufolge soll die INGE TOFT dann in anderen Fahrtgebieten eingesetzt worden sein. Angeblich sind sogar längere Routen von England nach Australien dabei gewesen. Hier soll es aber Probleme mit der Bevorratung von Trinkwasser auf Grund des geringen Volumens der Frischwassertanks gegeben haben.

Bei einem erneuten Einsatz in den angedachten Fahrtgebieten, u. a. auch im Mittelmeer, gab es dann wohl Schwierigkeiten, resultierend aus den Vorkommnissen mit der Suezpassage 1959.

Einige arabische Länder hatten das Schiff auf der „Schwarzen Liste“ (black list), die von Boykott bis zu Repressalien gegen Schiff und Besatzung zur Anwendung kam.

Vielleicht war das mit ein Grund für die dänische Reederei, das Schiff 1964 zu verkaufen.

Tatsache ist aber, dass Anfang der siebziger Jahre in arabischen Häfen, die Erinnerung an INGE TOFT noch lebendig war und man die ALTMARK – ohne Nachteile – damit in Verbindung brachte.


Jedes Besatzungsmitglied der DSR, dass nicht direkt auf den Lehr- und Ausbildungsschiffen seine seemännische Praxis erlangt hatte, musste bevor es das erste Mal an Bord eingesetzt wurde, einen so genannten schiffsspezifischen Sicherheitslehrgang absolvieren. Das bedeutete, jeder Neueingestellte zur Flotte der DSR aus den Landbereichen, musste einen 14-tägigen theoretischen Lehrgang besuchen. Dieser Lehrgang vermittelte allgemeine Kenntnisse zur Betriebsstruktur und Verkehrsökonomie der DSR, im Speziellen theoretische Kenntnisse zur Bootsmannschaft, Brand- und Arbeitsschutz. Man bekam Kenntnisse über die individuellen Rettungsmittel und ihre Handhabung vermittelt. Rettungsfunkstationen, Aussetzen der Boote und Handhabung der Rettungsflöße. In Verbindung mit diesen theoretischen Kenntnissen wurden dann später in der Praxis an Bord die Prüfungen zur Erlangung des benötigten Rettungsbootsmannsscheins penibel durchgeführt.




Bei einem kombinierten Sicherheitslehrgang, der vor der praktischen Tätigkeit an Bord der DSR-Schiffe absolviert werden musste, wurden theoretische Kenntnisse zur Erlangung der Befähigung „Feuerschutzmann“ erworben. Diese Lehrgänge fanden in den Anfangsjahren in Rostock, Krischanweg in der BBS statt. Später führte man diese Lehrgänge in Rerik durch. Man lernte Funktionsweisen von Brandbekämpfungsmitteln kennen und Verhalten bei der Brandbekämpfung. Atemschutzgeräte und CO2-Anlagen. Hier war es leicht verständliche Theorie. Als man später bei einer simulierten Übung, einem Baumwollladungsbrand in den Tropen, einen Verletzten aus der Luke mit Atemgerät bergen musste, sah die Sache anders aus. Trotzdem wusste man immer, wenn es mal zum Ernstfall kommt muss man sich selbst auf See helfen können.


Zu diesen Grundausbildungen, Rettungsbootsmann und Feuerschutzmann, kam später noch die im zweijährigen Turnus erneuerbare Ausbildung speziell zum Arbeitsschutz in der Seeschifffahrt. Wer über diese abgeschlossenen Ausbildungen verfügte, kam dann ab und an noch mal zum Einsatz im so genannten „Chemietrupp“. Hier war bei Übungen unter tropischer Hitze dann Vollschutz angesagt...

Alle praktischen Ausbildungen wurden regelmäßig wiederholt und geübt. Für in der Bootsrolle eingeteilte Atemschutzmaskenträger bedeutete das immer: Bart ab!

 

Kurs Mittelmeer

Nun bin ich endlich an Bord eines Schiffes, das mit blau-rot-blauer Schornsteinmarke und Heimathafen Rostock die Meere durchpflügt. Auslaufen Wismar, durch die Ostsee und Erstaunen über die andere Färbung der Nordsee. Später sollte ich feststellen, auch die Wellen der Nordsee sind anders geartet.

Zuerst vermutete ich einen Scherz mit einem Bordneuling der Besatzung, als mich der Chiefmate Höhe Skagen auf die Brücke beorderte. Mit einem ausgesägten grünen Holzfisch, an einem Besenstiel befestigt, sollte ich aus der Nock dänischen Fischern Signale zukommen lassen. Zu meiner Freude, einem Schabernack entgangen zu sein, gelang es auf Anhieb – zwei dänische Fischlogger kamen, nachdem wir die Maschine runtergefahren hatten, längsseits. Körbe mit Butt, Heringen, Dorsch und anderem Meeresgetier wechselten mit Hilfe der Wurfleinen den Besitzer. An Bord gezogen, in bereit gestellte Behältnisse entleert und im Gegenzug glückliche Augen der winkenden Fischer, die den Körben dann Whisky und Stangen Zigaretten als gewohntes Ritual entnahmen.

Auch den befahrenen Besatzungsmitgliedern fehlte es nicht an Organisationstalent. Erst stand ich hilflos vor den Mengen Fisch auf dem Achterdeck, dann hatte ich nur noch Messer und Schüsseln zu verteilen. Vom Chief bis zum letzten Lehrling kam jeder in seiner Freizeit vorbei und beteiligte sich unter Anleitung ehemaliger Fischer unter der Crew, beim Putzen der Fische. Rezeptvorschläge machten die Runde. Mit einem Schlag hatte sich die 36 Mann zählende Besatzung für die nächste Zeit mit Fisch aller Varianten, bis einschließlich Räuchern eingedeckt.

Rotterdam

Der erste Hafen ist planmäßig Rotterdam. Nicht zu glauben, von See aus kann man das Land und den Hafen riechen. Bevor die Silhouette R`dams am Horizont auftaucht, sind schon Gerüche der Zivilisation in Form von Abgasen der Ölraffinerien wahrzunehmen. Da waren die gestrigen Düfte in meiner Nase doch noch angenehmer. – Nun warteten mindestens sieben Tage (!) Hafenliegezeit, in einem schon damals modernsten Hafen der Welt, auf uns. Der erste Hafen meines beginnenden Seefahrerlebens. Der Ladebetrieb unserer Ladefirma PAKHOED mit Paletten, Netzbrooks und Gabelstapler auf der Pier, in den Luken und einem Wald von quietschenden Ladekränen. Nur die wartende Schlange wartender LKW an der Pier lässt sich mit heutigem Containerumschlag vergleichen.

Wir nutzten die Zeit zu einer Exkursion nach Amsterdam zur Floriade, der größten Blumenausstellung der Welt im Land der Tulpen und fuhren durch die Grachten. Wir lernten an jeder Ecke Pommesbuden kennen und machten regen Gebrauch davon. Der Seemannspastor organisierte ein Fußballspiel gegen das Hamburg-Süd-Schiff „CAP SAN NICOLAS“, das wir auch auf Grund unserer Jugend 3:1 gewannen. Das Schwesterschiff liegt heute als Museumsschiff „CAP SAN DIEGO“ an der Überseebrücke in Hamburg. Ja, solche Schiffe befuhren im Jahre 1972 noch überwiegend die Weltmeere...

Natürlich wurde auch das Amüsierviertel R`dams, der Katendrecht, inspiziert. In einer Seemannskneipe hätte bei meinem Einverständnis meine Seefahrt unter blau-rot-blau ein jähes Ende finden können. Ein Cuxhavener Heuerbaas versuchte vergeblich, seine Crew auf einem Fischereischiff zu komplettieren. Mit 3000 DM wäre ich dabei gewesen, so sagte er...

Das, was man aus Büchern kannte, wurde hier zur Realität, wurde dann zum alltäglichen Leben. Die erste Reise, auf der angeblich die Finger vom Koffertragen gerade werden und die Seebeine anfangen zu wachsen, war schon reichhaltig angefüllt mit Eindrücken und Erlebnissen...

Im Bauch des Schiffes

Das Maschinenhaus der ALTMARK befand sich im Bauch des Achterschiffes. Das Herz des Schiffes war das Reich des Chiefs, dem leitenden technischen Offizier, der gemeinsam mit anderen Ings., Maschinenassistenten, Motorenwärtern, dem E-Mix und Storekeeper nur das eine Ziel hatten: Die Schraube muss sich immer achtern drehen und die lebensnotwendigen Versorgungssysteme (Strom z. B) an Bord störungsfrei funktionieren, letztendlich hing die Schiffssicherheit davon ab.

Hier im „Schiffskeller“ war nichts zu spüren vom Fahrtwind an Deck oder dem Rauschen des vorbeiziehenden Ozeans. Ölgeschwängerte Luft schlug einem entgegen bei einem ohrenbetäubenden Stakkato der Dieselmotoren. Dieser Höllenlärm war dann kombiniert mit Temperaturen von mindestens +50 plus und erschwerte das Atmen. Schwarzverschmierte Gesichter starrten dem seltenen Besucher der Maschine meist entgegen und brüllten dem die Lautstärke ungewohnten Ohr irgendwelche unverständliche Fetzen entgegen. Wenn man das bei etwas stärkeren Seegang erlebte, wie sich dann noch die „Maschinesen“ mit Schweißtuch um den Kopf und Putzlappen in der Hand mit gekonnten Balanceakten in der Maschine fortbewegten, kam einem schon so ein Gedanke vom Vorhof der Hölle...

Ein verdammt harter Job, den man durch ein Dreiwachensystem, also vier Stunden Dienst und acht Stunden Ruhe, versuchte etwas zu entschärfen um dem Raubbau am Körper so entgegenzuwirken. Na ja, wie man sich eben acht Stunden Ruhe an Bord bei Seegang und Tropen auf einem unklimatisierten, aufgeheiztem Alttonnageschiff vorstellen muss. Hut ab vor solchen Seeleuten!

Kolben ziehen

Das Kolbenziehen zu jener Zeit, war eine in Intervallen von ca. 4.000 Betriebsstunden vorzunehmende Wartungsarbeit, die von der Maschinengang, meist geplant, im Hafen durchgeführt wurde. Schlimm kam es aber dann schon, wenn man auf See einen „Kolbenfresser“ hatte Der Feind der Maschine hat zugeschlagen! Der Schiffskörper fängt kaum merklich an zu vibrieren, dann zu zittern. Passiert es nachts, bekommt man das noch nicht mit. Aber dann: Als wenn einer mit einem Riesenhammer gegen die Bordwand hämmert. Das tagelang monotone Geräusch der Maschine verändert sich schlagartig und verstummt dann ganz. Telefone schrillen, hastende Menschen mit klatschenden Sandalen rennen durch die Gänge unter Zurufen Richtung Maschine. Der Rest der Besatzung ist wach und auf neueste Informationen gespannt. Das Schiff legt sich dann anders in die See, die Fahrt geht runter, die Dünung oder die Wellen können dem Schiff jetzt etwas mehr anhaben. Das Schiff rollt... Eine eigenartige Ruhe an Bord.

Viel später erfährt man Näheres. Sekunden vorher strömte wohl schon etwas zuviel Abgas aus dem Zylinder. Der Wettlauf mit der Zeit zum Fahrstand, um die Maschine auszukuppeln ging für Wach-Ing. und Wachassi. verloren. Das gefürchtete Klopfen kam vorher.

Kampf gegen die Zeit

Auf der Brücke ist indessen auch ein geschäftiges Treiben ausgebrochen. Kapitän, Nautiker und Funker warten auf den aktuellen Situationsbericht aus der Maschine. Schiffssicherheit voran, Versatz des Schiffes, ist Küste, sind Klippen oder Untiefen in der Nähe? Schlepper?

Gedanken macht man sich natürlich auch aus verkehrsökonomischen Gründen, wie viel Zeit verliert man, erreicht man pünktlich den nächsten Lade-/Löschhafen, erreicht man zum angemeldeten Termin den Konvoi zur Suezkanal-Passage?

Die Maschinengang muss es richten, erst wenn die Schraube wieder dreht, kann man wieder normal planen und ist eine voll handlungsfähige Besatzung eines funktionsfähigen Seeschiffes. Jeder Tag, der verloren geht, sind Zehntausende von Mark, die verlustig gehen, Imageschäden für die Reederei inbegriffen wegen Nachrede über den technischen Zustand des Schiffs eventuell.

In der Maschine…

Ein Rennen gegen die Zeit beginnt. Alles erfahrene Leute mit einschlägigen Kenntnissen. Lageeinschätzung vom Chief: „Buchse hält noch eine Weile, Kolben muss ausgewechselt werden – gerissen.“ Die Maschinengang arbeitet bis zur Erschöpfung, zwei Leute von Deck wurden noch zur Unterstützung abgestellt, den Kolben mit Flaschenzügen aus der Buchse bei Seegang ziehen ist sehr heikel. Einer steigt dann, in die noch heiße Buchse und beginnt, in verkrampfter Haltung auf dem Kurbellager stehend, die Arme angelegt, mit dem Ausschleifen der Innenwände. Andere wiederum bugsieren bei engen Verhältnissen, den neu einzusetzenden Kolben heran. Die Ringe müssen passgenau vermessen werden.

Übermüdete Seeleute, wortlos eingespielt arbeitend, ab und zu durch eine kurze Anweisung unterbrochen. Sechs Stunden, zehn Stunden und länger... Blasse, fahle Gesichter bei den Maschinenleuten, sonnengebräunte Gesichter bei den Decksleuten, ölig verschmiert, aber alle von Anstrengung gekennzeichnet, schweißverschmierte Leiber mit hellen Rinnsalen auf den schmutzverkrusteten Körpern. Es ist wie unter Tage im Bergwerk.

Ab und zu taucht der Kapitän in der Maschine auf, bespricht mit dem Chief den aktuellen Stand der Arbeiten und findet anerkennende, motivierende Worte für die hart arbeitenden Seeleute vor Ort. Auch die Kombüsenleute sind in Abständen dort präsent, kalte Getränke und ein angemessener Imbiss sind eine willkommene Abwechslung...

Epilog

Irgendwann geistert eine Zeitangabe an Bord umher. Quelle unbekannt. Einer weiß es aus der Maschine, einer von der Brücke, von der Kombüse, dem Bootsmann oder Funker – um X Uhr wird die Maschine hochgefahren. Alle erwarten diesen Zeitpunkt. Dann ist es soweit. Das Schiff schüttelt sich, das vertraute Geräusch ist wieder da, wir haben wieder eine Bugwelle, und achtern peitscht die Schraube wieder den Ozean mit erforderlichen Umdrehungen auf. Eine Brise von Fahrtwind und ein sich verändernder Horizont – wir fahren wieder.

So nach und nach kamen die übermüdeten und erschöpften Männer aus dem Maschinenraum auf das Achterdeck, vom Sonnenlicht geblendet, blinzelnd und stolz über ihre geleistete Arbeit. Die Kombüsencrew bringt die beiden, vom Kapitän und Chief gespendeten Kisten Bier, wohltemperiert aus der Proviantlast an Deck, die Stewardessen kalte Platten und Knabberzeug. Wer wachfrei hat setzt sich dazu, lässt sich berichten, was da so ablief... Kapitän und Chief danken für den Einsatz, geben das Bier frei, der Chief verspricht, aus seinem thüringischen Heimatort aus Hausschlachtung nächste Reise original Bratwurst für alle mitzubringen (und hält das auch). Scherzhafte Frotzeleien machen wieder die Runde, „Bilgenkrebse“, „Flurplattenindianer“ und „Decksaffen“ – wenn einer den anderen nicht hätte. Nächstes Mal trifft man sich an Deck oder in der Luke bei gemeinsamen Problemen. Letztendlich einigt man sich dann auf den Begriff „Überseetransportbegleiter“ für alle, wobei die Kombüsenbesatzung dann aber „verpflegungstechnische Betreuer für Überseetransportbegleiter“ wären, einfach wieder zu lang...

Es wurde noch viel gelacht, aber die Müdigkeit der Betroffenen lichtete schnell die Reihen.

Es war eine tolle Besatzung!

Badefreuden

In den früheren Jahren war es nicht immer selbstverständlich, an Bord von Frachtschiffen einen Swimmingpool zu haben. Sehnsüchtig schaute man von solchen Schiffen auf das umgebende Meer und musste mit einem kurzen „Abspülen“ mit Hilfe eines Seewasserschlauches vorlieb nehmen. Auf vielen Schiffen entstanden dann Provisorien, die von der Besatzung mit Hilfe einer Persenning und Stauholz, meist zwischen den Luken, als Bademöglichkeit errichtet wurden. So wurde mit Ideenreichtum für Abkühlung und Badespaß gesorgt. Seewasser an Deck, und der Kunstteich füllte sich. Jeder der wachfrei hatte, nutzte diese Chance weidlich, fuhr man doch noch häufig auf unklimatisierten Schiffen in tropischen Gefilden.