Dr. Karl Semper und seine Studien auf den Palau-Inseln im Sillen Ozean

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Dies war den Bewohnern von Coröre sowohl wie sei­nem Rivalen ein unangenehmer Entschluss. Jene fürch­teten, dass sie, gering an Zahl, nur im Besitz einer klei­nen Insel, die hauptsächlich seit Wilson's Zeiten und teil­weise durch dessen tätige Hilfe gewonnene Übermacht über die übrigen Staaten der Inselgruppe einbüßen wür­den, wenn nun durch Woodin ein direkter Handel mit den nördlichen Staaten eröffnet würde, die bisher von ihnen durch größeren Reichtum und durch die bedeutendere Zahl von Feuerwaffen in einer gewissen Botmäßigkeit erhalten worden waren. Cheyne aber besorgte seinen Lieblingsplan, dessen Verwirklichung er in der Tat später nahe genug kam, scheitern zu sehen, wenn es Woodin wirklich gelänge, festen Fuß im Norden zu fassen. Die spätere Entwickelung der Vorgänge zeigte nämlich deut­lich, dass er zunächst den Handel dort in übermütigster Weise zu monopolisieren, dann aber auch sich den Dank seines Vaterlandes dadurch zu erwerben gedach­te, dass er ein im Laufe der Jahre dort gewonnenes An­recht auf eine Insel oder die ganze Inselgruppe der eng­lischen Nation zu vermachen beschloss. Bei den Einge­borenen von Coröre war jedenfalls die Eifersucht gegen Aibukit so groß – ich will den Einfluss, welchen nach Woodin's und Barber's Behauptungen Cheyne auch hier­bei gehabt haben musste, nicht weiter untersuchen –, dass jene einen Feldzug gegen die Leute des Nordens und die „LADY LEIGH“ zu unternehmen beschlossen. Sie waren bei der Inszenierung ihres Planes, den alten Woodin von Aibukit zu verscheuchen, nur ihrem schon früher einmal gegen ein spanisches Fahrzeug geübten Verfahren treu geblieben, das sie ruhig zum Trepangfang nach der nördlich gelegenen Insel Jap absegeln, dort aber von den durch eine große Summe Geldes bestochenen Bewohnern wirklich „abschneiden“ (Abschneiden (cut off) ist der seemännische Kunstausdruck für die Beraubung und Zerstörung eines Schiffs durch Wilde) ließen. Wenigstens geht aus einem von Cheyne am 15. September an den schon nach dem Norden abgesegelten Woodin gerichteten Briefe hervor, dass nach Aussage der Fürsten von Coröre die Leute von Aibukit den Plan gefasst haben sollten, die „LADY LEIGH“ am Tage der Ankunft zu nehmen. Diese Mitteilung Cheyne's hatte offenbar den Zweck, den alten Woodin einzuschüchtern und zum Umkehren zu veranlassen. Als aber dieser trotz der Warnung doch im Hafen von Aibukit ankerte und hier statt feindlichen Empfangs das freundlichste Entgegenkommen von feiten der Eingeborenen fand, schrieb ihm Cheyne am 26. September abermals einen Brief, worin er andeutete, dass die Bewohner von Coröre dies Gerücht ausgesprengt oder auch wirklich den Leuten von Aibukit Geld bezahlt hätten, um ihn – Woodin – abzuschneiden; dass er aber seinerseits überzeugt sei, er werde in Aibukit gute Geschäfte machen, da er dort keine Gefahr zu besorgen habe. Diesen Brief übergab er Woodin's Steuermann Barber, welcher in Geschäften nach Coröre in einem Boote gekommen war, mit dem gleichzeitig gemachten Bemerken, er – Barber – solle lieber gleich bei ihm bleiben; er wolle ihn in Dienst nehmen, und es sei für ihn dies das Beste, da er wahrscheinlich, wie wenigstens gerüchtweise verlautete die „LADY LEIGH“ nicht mehr vorfinden werde. Barber eilte nun wirklich etwas in Angst versetzt, da er die Tücke der Bewohner von Coröre kannte, so rasch als möglich dem Norden zu und kam hier gerade noch zur rechten Zeit, um Woodin von dem Herannahen einer offenbar mit feindlichen Absichten aus dem Süden kommenden Flotille in Kenntnis zu setzen. Wenige Stunden nach ihm kamen wirklich die Kriegscanoes von Coröre, Armlimui und einigen andern Staaten des Südens an, fanden aber Woodin bereit, sie scharf zu empfangen. Nun änderten sie ihren Plan. Der vornehmste König unter ihnen, Ebadul von Coröre ging zu Woodin an Bord und setzte ihm im freundschaftlichsten Tone auseinander, dass sie gekommen seien, die Bewohner von Aibukit zu züchtigen dafür, dass sie sich Rechte anmaßten, welche ihnen nicht gebührten; er tue besser, statt dort oben zu bleiben, wieder mit ihnen nach Coröre umzukehren, um das alte freundschaftliche Verhältnis wieder anzuknüpfen, er solle von den Leuten des Südens so viel Trepang erhalten, als sein Schiff nur fassen könne.

Woodin blieb natürlich taub gegen die Versicherung der Freundschaft wie gegen das Versprechen, das ihm Ebadul machte. Unterdessen waren auch die Kriegsca­noes der Bewohner von Aibukit aus ihrem Hafen heraus­gekommen und stellten sich in Schlachtlinie so auf, das sie, ohne der „LADY LEIGH“ zu nahe zu kommen, unter beständigem Feuern aus Musketen und einigen kleinen Schiffskanonen dem im Halbkreise ruhig liegenden Fein­de entgegen rücken konnten. Zum Glück wurde aus der Schlacht keine Schlächterei. Auf Tausende von Schrit­ten brannten sie gegenseitig ihre Flinten und Kanonen ab, die ihre Kugeln kaum einige hundert Schritte weit entsenden konnten, und als nun endlich, ohne dass bis­her eine einzige Kugel ein Unglück angerichtet hätte, ein von einem jungen mutigen Fürsten befehligtes Canoe von Aibukit denen von Coröre so nahe gekommen war, dass wirklich ein von ihm abgesandtes Geschoss einem der feindlichen Canoes ein Loch schlug, sodass es au­genblicklich sank – da machte die ganze südliche Flotte kehrt und enteilte mit günstigem Winde den Verfolgungen des Feindes. Zur Verherrlichung des Sieges wurden dann in Aibukit Feste gehalten und Lieder gedichtet, in denen ganz besonders jener mutige Held gefeiert wurde, der mit einer einzigen glücklichen Kugel die ganze feindliche Armada des Südens in die Flucht geschlagen hatte. Mit diesem einen Siege hatte sich nun Aibukit eine Stellung errungen, wie es nie zuvor besessen hatte; gleich begaben sich mehrere kleinere Fürsten in seinen Schutz, sodass sich die zahlreichen Palaustaaten in zwei Gruppen teilten, deren eine dem südlich liegenden Coröre die andere Aibukit eine gewisse Führerschaft im Kriege wie in der Politik zuerkannte. Zwischen den Reichen beider Liguen fanden nun alle Augenblicke kleine Reibereien statt, die sich auf das Verbrennen einiger Canoes oder die Ermordung einiger weniger Personen beschränkten, bis endlich im Januar 1862 den Südländern die günstige Zeit zur Führung eines Hauptstreichs gekommen zu sein schien. Und die Geschichte desselben war es, welche unsere Freunde von Peleliu so in Aufregung erhielt und deren trüben Eindruck auch ich mich um so weniger erwehren konnte, als ich durch sie gleich an die Rolle erinnert wurde, welche wir Weißen nun schon seit Jahrzehnten mit oder ohne Schuld dort im Stillen Ozean spielen. Zwar erfuhren wir erst später den ganzen Zusammenhang des Vorfalls, als wir in Aibukit angekommen waren; aber so viel schien doch aus den verworrenen und offenbar sehr ausgeschmückten Erzählungen der Insulaner hervorzugehen, dass während der Abwesenheit der „LADY LEIGH“ das Dorf Aibukit abermals einem Angriffe von Seiten der Bewohner von Coröre ausgesetzt gewesen, dass aber diesmal für unser befreundetes Dorf die Sache sehr schlimm abgelaufen war, da Cheyne's Verbündete sich der tätigen Unterstützung von Seiten eines englischen Kriegsschiffs zu erfreuen gehabt hatten.

Trübe gestimmt von dieser Hiobspost, die uns mehr als vielleicht nötig erregte, da wir den Umfang des geta­nen Schadens nicht ermessen konnten, setzten wir un­sere Reise fort, an der Westseite der nun allmählich sich je weiter gen Norden zu um so mehr von den Inseln ent­fernenden Riffe entlang.

K arte aus dem Original mit der Insel Babelthaub

Am 23. März schon hatten wir den höchsten Berg der Insel Babelthaub passiert, der in seiner abgerundeten Kuppenform in schroffem Gegensatze zu den steilen schmalen Klippen des Südens sowohl wie zu einigen an­dern benachbarten Bergen derselben Insel stand. Das Leck hatte sich jetzt offenbar bedeutend vergrößert; denn nie mehr konnte die Pumpe ruhen bei Tag und Nacht. Aber meine durch so widerwärtige Reise noch mehr gesteigerte Ungeduld, endlich in den Hafen einzu­laufen, wo ich gleich das Schiff zu verlassen und mit Johnson's Hilfe meine Arbeiten zu beginnen gedachte, wurde erst am Nachmittag des 25. März befriedigt. Süd­liche Strömung hatte uns in der Nacht vom 24. auf den 25. weit nach Norden bis über den Kanal hinaus getrie­ben, welcher in nordwestlicher Richtung gegen Aibukit zu laufend das hier mehr als eine deutsche Meile weit von der Insel abstehende Riff durchbrach. Zum Glück drehte sich am Tage der Wind mehr nach Norden, so­dass wir gegen 3 Uhr nachmittags uns am Eingange des Kanals befanden. Ich stieg in den Mastkorb, um von hier aus unsere Einfahrt besser beobachten zu können. Trotz der ziemlich großen Entfernung des festen Landes war doch die Atmosphäre so durchsichtig, dass ich deut­lich die Insel erkennen konnte, wie sie dalag mit ihren hier und da hoch über die Waldung emporragenden Ko­kospalmen inmitten eines breiten Streifens prächtig meergrünen Wassers, während hart an den schäumen­den Rand des Außenriffs die tiefblaue See stieß. Sieht man aus solcher Höhe auf das Meer herab, so sind sei­ne mit der Tiefe wechselnden Farben von einer wunder­baren Pracht und Durchsichtigkeit. Und neben uns tum­melten sich auf der Fläche vier der Canoes von Aibukit, die uns entgegengekommen waren, um uns durch die schwierigen Kanäle hindurch zu geleiten. Wie die Mö­wen mitunter, wenn sie ermüdet sind, halb fliegend auf den Spitzen der Wellen zu ruhen scheinen, dennoch aber das schnellste Schiff rasch hinter sich lassen, so flogen die leichten Canoes über das Meer dahin, oft mehr als zur Hälfte aus dem Wasser an den Seiten unseres Schoners vorbei, vor uns und hinter uns herum; bald gönnten sie dem Schiffe, das seine 5 bis 6 Knoten lief, den Vorrang, dann aber schossen sie spielend in wenig Minuten wieder an ihm vorüber. Eins derselben schlug um, aber niemand kümmerte sich um die Insassen, und schon nach etwa 10 Minuten war das Boot wieder umgedreht, seines eingenommenen Wassers entledigt, und bald darauf flog es wieder heran, uns auch fernerhin in dem scheinbaren Spiele beizustehen. Sie dienten uns nämlich als Lotsen. Wo eine gefährliche Untiefe oder ein vorspringendes verdecktes Riff war, da sprang ein Mann ins Wasser und hielt das Boot an, bis wir glücklich vorüber waren; dann ging es weiter zur nächsten Station. In solcher Beschäftigung muss man die Bewohner der Inseln im Stillen Ozean bewundern lernen, da ist jede Spur von Indolenz und Trägheit aus ihrem Gesicht verschwunden, jede Bewegung ihres aufs äußerste angespannten Körpers ist richtig abgemessen, leicht und schön, und aus dem dunkeln Auge leuchtet die innigste Freude über das aufregende Spiel mit den Gefahren, die ihnen überall in den spitzen Korallenblöcken entgegen starren Sie brachten uns glücklich nach etwa einstündiger aufregender Fahrt zum Ankerplatz im Hafen von Aibukit, etwa einen guten Büchsenschuss vom Lande, und als der Anker fiel, da stiegen von allen Seiten auch schon die Insulaner herauf, und Kapitän Woodin und Johnson drückten ihren alten Freunden die braunen Hände. Leider bestätigten sie uns alle jene Nachrichten, die wir bei Peleliu erhalten hatten; aber in die Trauer über das Elend, dem sie sich bis dahin ausgesetzt gesehen hatten, mischte sich nun die kindlichste Freude über die glückliche Ankunft von Piter (Johnson) und Cabel Mul (Kapitän Woodin), die ihnen wie Boten einer glücklicheren Zukunft erschienen.

 

II. Erster Aufenthalt am Lande

Bis spät in den Abend hinein blieben unsere Freunde bei uns. Es waren fast ausschließlich Männer der unte­ren und mittleren Klassen, die uns zu helfen gekommen waren, und von denen gleich eine Anzahl durch Woodin engagiert wurde, zu pumpen und bei dem am nächsten Morgen zu beginnenden Löschen des Schiffs zu helfen, da die hauptsächlich aus Manilesen bestehende Mann­schaft sehr erschöpft war. Die Mehrzahl dieser Leute waren schlank und gut gewachsen, von dunkelbrauner, selbst schwarzbrauner Körperfarbe, die freilich oft durch das Gelb der aus Curcuma bereiteten Farbe verdeckt wurde, mit der sie sich in verschiedenster Weise bemalt hatten; auf dem Kopfe hatten sie meist eine mächtige aus krausen Locken gebildete Haarkrone, welche hinten in einen kurzen Zopf zusammengebunden war. In ihrem dichten Haargewirr steckte der so charakteristische drei­zackige Kamm mit weit gespreizten Zinken, wie er fast ausschließlich bei allen polynesischen Negerstämmen gefunden wird. Auch in den Gesichtszügen zeigte sich unverkennbar der papuasische Typus ausgeprägt; und schon unter den ersten Besuchern von Peleliu war mir ein kleiner Mann mit ausgesprochenen jüdischen Ge­sichtszügen aufgefallen. Ich kannte damals noch nicht das Reisewerk von Salomon Müller. in dessen prächti­gem Atlas ich später das Porträt eines Bewohners von Gobie auf Neuguinea fand, der ganz gut als der Bruder jenes Mannes von Peleliu hätte gelten können. Dieselbe Beobachtung wird aber von allen Reisenden gemacht, welche mit echten Papuas auf Neuguinea oder mit an­dern Negerrassen im Stillen Ozean wie den Bewohnern der Louisiaden, Fidji-Inseln oder selbst Australiens in Be­rührung kamen; allen ohne Ausnahme fielen solche aus­geprägt jüdische Physiognomien auf, wie man sie nie­mals unter den Stämmen rein malaiischen Ursprungs beobachtet hat. Dass aber die Bewohner von Aibukit neben Papuablut auch malaiisches in den Adern hatten, bewiesen abgesehen von dem meiner Meinung nach keinen Ausschlag gebenden glatten Haar (In dem äußerst dogmatisch gehaltenen Buche von Häckel „Urgeschichte der Schöpfung“ wird ein Stammbaum der Menschen aufgestellt, welchem das glatte oder das krause Haar als ganz scharfes und zutreffendes Merkmal zur Erkennung der Verwandtschaft der verschiedenen Menschenrassen zu Grunde gelegt wird. Es beruht dies wahrscheinlich auf der Untersuchung Pru­ner-Bei's, welcher den Querschnitt des krausen und glatten Haars ziemlich verschieden fand und daraufhin einen wesent­lichen Gegensatz auch sonst in den Rassen annehmen zu können glaubte; denn Pruner-Bei war der erste, der wenigs­tens genauer als bisher den Querschnitt der Haare in ethno­graphischer Beziehung untersuchte. Abgesehen nun davon, dass der Einfluss der Vermischung verschiedener Völker auf die Form des Haars (dessen Querschnitt) bisher nicht unter­sucht worden ist, abgesehen ferner von der Tatsache, dass je­der gewissenhaft beobachtende Reisende überall nur ge­mischte Rassen, nirgends reine findet – sodass die Frage, welchem der Urstämme diese oder jene Form des Haars zu­komme, gar nicht mehr zu entscheiden ist –; und abgesehen endlich davon, dass die Abhängigkeit des Haars in seinem Wachstum von den äußeren Lebensbedingungen absolut un­bekannt ist, also auch darin liegende Fehlerquellen bei der ganz hypothetischen Aufstellung jenes Dogmas vom Gegen­satz des krausen und glatten Haars gar nicht vermieden wer­den konnten: abgesehen von alledem stehen weder die Beob­achtungen Pruner Bei's mit seinen theoretischen Behauptun­gen vor allem das breitknochige fast viereckige Gehauptungen in so vollständigem Einklang, dass sie überhaupt beachtet zu werden verdienten, noch gehen seine Annahmen parallel mit den analogen Hypothesen anderer Ethnologen, welche glau­ben, durch einige Maße die typische Schädelform jedes Stam­mes feststellen, durch die Übereinstimmung in den Maßen auch die Menschenrassen ethnologisch gruppieren zu kön­nen. Hypothetische Voraussetzungen – und weiter nichts, ich wiederhole, ist Häckel’sche Menschenstammbaum – können nur dann einigen Anspruch Beachtung machen, wenn sie sich gegenseitig decken; widerspricht die eine andern, so sind sie gewiss beide verkehrt.) vor allem das breitknochige fast viereckige Gesicht mit den stark hervortretenden Ba­ckenknochen und die äußerst kleinen Augen.

Am nächsten Morgen wurden wir früh durch vorneh­men Besuch überrascht. Am Abend schon hatte uns Krei seinen Adoptivsohn, den kleinen Cordo, entführt; morgens kehrten sie beide zurück in Begleitung eines breitschulterigen, ausnehmend gutmütig aussehenden Mannes, des vornehmsten Fürsten im Staate Aibukit, Mad. Mit ihm kamen eine Anzahl anderer Fürsten und auch mehrere junge Mädchen, von denen zwei sich im­mer an der Seite Mad's hielten, während die andern in ziemlich freier Weise zwischen den fremden Matrosen mit ihren von der Taille bis zum Knie reichenden und seitlich die Schenkel ganz frei lassenden Blätterkleidern dahin rauschten. Fast alle trugen sie eine duftende Blu­me im Ohr. Die Männer, teilweise ganz nackt oder nur mit einem Lendengürtel bekleidet, den sie oft genug auch in der Hand hielten, blieben mit Ausnahme weniger Vornehmer ganz im Vordergrunde des Schiffs, weit ent­fernt von Krei und Mad, sodass ich durch die Achtung, welche beiden gezollt wurde, schon ihre hohe Würde hätte erraten können, selbst wenn ich nicht durch Woo­din und Johnson längst gehört hätte, dass ich hier die zwei mächtigsten Fürsten des Dorfs und Staats Aibukit vor mir sähe.

Die sozialen Strukturen der Palau-Insulaner

Beide Männer wurden immer nur mit dem angegebe­nen Namen angeredet, welche, obgleich beide, Mad wie Krei, Eigennamen, doch auch zugleich echte Titel für ei­nes jeden Stellung im Staate waren. Beide besitzen noch einen andern Namen, den ihrer Jugend, den sie aber beim Amtsantritt mit dem unwandelbaren Titel ihres Amts vertauscht hatten. Das gleiche Vorrecht haben nur noch die eigentlichen Fürsten – die rupacks –, deren Zahl und Namen ich leider nicht völlig genau ermitteln konnte und welche die erste Klasse der Bevölkerung bilden. Mad (d. h. Tod) ist der eigentliche König, dem als solchem neben dem Vorsitz im Fürstenrate die alleinige Entscheidung und Sorge über ihre religiösen Feste und alles, was sich mit ihrem Ahnenkultus verbindet, zusteht. Ihm ist ein wirklicher Almosenier untergeordnet, der Inateklò genannt, ebenfalls Sitz und Stimme im Fürstenrate hat. Zweiter im Staat ist Krei, der Krieger und Feldherr sowie Anordner aller öffentlichen und Gemeindearbeiten, ein echter Majordomus, der auch hier im Stillen Ozean öfter eine ähnliche Rolle gespielt hat, wie der Taikun in Japan oder die Hausmeier der Merovinger im Frankenreiche. Im Fürstenrate sitzt er Mad gegenüber; und jedem schließt sich auf seiner Seite ein Gefolge kleinerer Fürsten an, bei ihren großen Festen sowohl wie bei ihren feierlichen über das Wohl und Wehe des Staats beschließenden Sitzungen. Diese Teilung der Gesamtzahl der Fürsten in solche, welche dem Krei oder dem Mad folgen, ist aber nicht bloß auf das öffentliche Leben beschränkt. Ein jeder der beiden Fürstenhäupter ist zugleich auch Vorsteher seines Gefolges, mit welchem er zusammen ein großes Haus – hier bai genannt – besitzt und worin die Mitglieder dieser Vereinigung des sogenannten Clöbbergöll, die Nächte und einen großen Teil der Tageszeit zubringen.

G emeindehaus auf Palau

So bildet also in Aibukit – und ähnlich wie hier ist es in allen übrigen Staaten des Landes – die erste Klasse der eigentlichen Fürsten zwei sogenannte Clöbbergölls.

In der zweiten Klasse der Bevölkerung, der sogenann­ten kleinen Fürsten (kikeri rupack) oder derjenigen der Freien sowohl wie in der dritten der Hörigen – des ar­meau – finden sich ähnliche, aber viel zahlreichere Clöb­bergölls, die sich am besten wohl noch mit unsern Regi­mentern vergleichen lassen. Denn in der Tat herrscht hier eine allgemeine Wehrpflicht, wie sie weitgehender und in alle sozialen Verhältnisse tiefer eingreifend wohl kaum gedacht werden kann. Vom fünften oder sechsten Jahre an sind alle Knaben gezwungen, in einen solchen Clöbbergöll einzutreten, sich an den Kriegen und an den von der Regierung angeordneten öffentlichen Arbeiten zu beteiligen. Aber in ihnen sind die Freien und die Höri­gen nicht streng voneinander geschieden, wenngleich jene immer den Vorrang haben, einmal als Freie, dann aber auch, weil aus ihrer Zahl die eigentlichen Fürsten teils nach Erbfolgegesetzen, teils durch Wahl genommen werden. Während also von diesen viele nur bis zu einem gewissen Lebensalter einem der zahlreichen niederen Clöbbergölls angehören, dann aber als Rupacks in den Fürstenkongress eintreten, bleiben jene, die Männer des Armeau, bis an ihr Lebensende in den Regimentern zweiter Ordnung. Eine Trennung findet hier nur insofern statt, als in jedem einzelnen Clöbbergöll, welcher im Durchschnitt etwa 35 bis 40 Mann zählen mag, immer nur gleichaltrige Knaben oder Männer zugelassen werden, sodass ein jeder von ihnen während seines Lebens normaler Dauer wenigstens drei oder vier verschiedenen Clöbbergölls angehört hat.

Im Grunde genommen bildet nun eigentlich ein jedes Dorf einen in der angegebenen Weise gegliederten Staat für sich. Jeder derselben hat also auch seine besonde­ren Titel für die entsprechenden Ämter, die niemals die gleichen sind. So heißen die beiden Coröre regierenden Fürsten Ebadul (Abba Thule bei Wilson) und Arra Koo­ker; aber es sind auch hier nicht, wie Wilson meint, ihre Eigennamen, sondern nur ihre durch alle Generationen hindurch gleichbleibenden Titel. Ihr Sinn blieb mir leider unbekannt. Bald bestehen nun diese einzelnen Dörfer als Staaten für sich und nebeneinander, wie in Peleliu und auf Kreiangel, oder es ordnen sich mehrere einem mächtigeren unter und treten zu ihm in ein gewisses Va­sallenverhältnis. Ich hatte weiter oben schon angege­ben, wie sich infolge der Anwesenheit Cheyne's und Woodin's auf Babelthaub die Staaten in zwei Gruppen teilten, deren Führerschaft Coröre und Aibukit ausübten; mit jenem Staate waren außer den verschiedenen klei­neren Reichen Pelelius noch Armlimui und Eimelig an der Südwestküste und Aracalong an der Nordspitze von Babelthaub verbündet, während Athernal und Eirei die Verbündeten von Aibukit waren. Die im Norden der Gruppe, von ihr durch einen breiten Tiefwasserkanal getrennt liegende Insel Kreiangel – ein echter Atoll – verhielt sich neutral. Doch aber war die Absorptionskraft dieser beiden augenblicklich mächtigsten Staaten schon so groß geworden, dass eine Anzahl anderer Dörfer, welche früher teilweise eine nicht unbedeutende Rolle gespielt hatten, in ein direktes Abhängigkeitsverhältnis zu ihnen getreten waren, sodass die dem Mad oder Krei in Aibukit entsprechenden Fürsten z. B. von Rallap, Kaslau, Roll, Aulima und mehreren andern Dörfern, wohl in ihrer Heimat noch dieselbe Stellung einnahmen, aber im Fürstenrate von Aibukit selbst nur den Rang eines gewöhnlichen rupack beanspruchen konnten. Natürlich wurden dadurch in jenen Vasallenstaaten auch die andern Vornehmen um eine Stufe tiefer gestellt, sodass sie in Aibukit selbst genau dieselbe Stellung besaßen wie die zur Nachfolge bestimmten Vornehmen der zweiten Klasse. An den allgemeinen Beratungen des in Aibukit tagenden Fürstenrats konnten also auch nur die beiden ersten Rupacks der untergebenen Dörfer teilnehmen; und durch diese Verschmelzung kam es denn auch, dass mitunter ein solcher neben seinem vornehmeren Amte in der Heimat noch ein anderes, weniger ausgezeichnetes, im Staate Aibukit selbst bekleidete. So entsprach Arda in Rallap dem Mad in Aibukit, nahm aber in diesem Orte seinen Sitz ein unter dem Titel Albro als der dritte oder vierte hinter Mad.

 

Schon am Abend unserer Ankunft hatte ich Johnson ungern allein abreisen lassen, denn ich sehnte mich in die neue Umgebung hinein, überdrüssig der langweiligen Unterhaltung mit Woodin und Gonzalez; ich sah die Riffe in meilenweiter Ausdehnung vor mir, ohne dass ich auch nur eine Koralle von ihnen hätte abbrechen können, und zwischen den Palmen hindurch, die ziemlich bestimmt die Lage von Aibukit und einigen andern Dörfern be­zeichneten, stiegen Rauchwolken auf, die mich mahn­ten, dass dort ein weites Feld für meine Studien offen lag. Am 26. März endlich – die zwei Tage an Bord schienen mir eine Ewigkeit zu sein – ging ich, von John­son geleitet, mit Alejandro und Gonzalez ans Land. Es war gerade Flut. Wir fuhren in einem jener schnell se­gelnden einheimischen Boote dort „amlai“ („Amlai“ heißt ganz im allgemeinen Boot, Canoe, ohne Rücksicht auf Größe oder Bestimmung. Ihre Konstruktion ist eigentümlich; weiter unten folgt eine genauere Schilderung eines solchen Amlai. Doppelcanoes, wie sie bei den Polynesiern üblich sind, kom­men hier nicht vor; selbst die größten Kriegsamlais, in denen 60 bis 80 Personen Platz haben, besitzen nur einen Ausleger an der einen Seite des aus einem Einbaum bestehenden Boo­tes) genannt, in welchem man freilich vor dem Umschla­gen nie so recht sicher ist, auf eine lange, quer die nicht sehr tiefe Bucht von Aibukit absperrende künstlich auf­geführte Mauer zu, durch welche nur eine schmale, mit­tels einiger Planken überbrückte Öffnung hindurchführt. Hinter der Mauer wurde das schon sehr seichte Bassin mehr und mehr durch Mangrovendickichte eingeengt, bis wir uns endlich in einem kaum 30 Fuß breiten Kanale befanden, in welchen von allen Seiten die Rhizophoren ihre Luftwurzeln einsenkten. Die Mehrzahl dieser Bäu­me war offenbar jung; aber mitunter ragten aus dem etwa 40 bis 50 Fuß hohen dem Meer entsteigenden Wal­de einzelne viel höhere und dickere Bäume hervor. Von einem dieser letzteren waren bei dem oben erwähnten Angriff der Engländer durch eine Granate mehrere Äste abgerissen, und auch noch an andern Stellen wurden mir weite Löcher gezeigt, welche offenbar nur vom Kanal selbst aus abgeschossene Kugeln eingerissen haben konnten. Natürlich bildete bei dieser Fahrt jener Angriff den wichtigsten und einzigen Gegenstand der Unterhal­tung, und als wir am inneren Hafen des Dorfs landeten, trat mir in dem halb verbrannten Boothaus der Bewohner ein traurig stimmendes Zeichen des stattgefundenen Kampfes entgegen. Auch als wir dann auf ziemlich steilem, teilweise gepflastertem Wege nach etwa 10 Minuten bei den ersten Häusern des Dorfs ankamen, verfolgten mich überall die Spuren, die jene Krieger hier zurückgelassen hatten. Hier war ein Loch in dem Dach eines Hauses, durch welches eine Rakete hindurch fuhr noch nicht wieder ausgebessert. Eingeborene brachten mir gleich bei der ersten Begrüßung ausgebrannte Raketen und zersprungene Granaten herbei, und wo ich hinhörte – soweit ich mit Hilfe Johnson's und Cordo's, der mir auch mitunter als Dolmetscher diente, erfahren konnte –, wurde von nichts anderem gesprochen als vom letzten Kriege und von den Hoffnungen, die man nun auf Cabel Mul und auch auf mich setzte. Teilweise hatte ich hieran wohl selbst Schuld. Empörte mich doch in tiefster Seele das herzlose Spiel, das von Weißen mit diesen freundlichen Menschen getrieben worden war; und ich nahm mir vor, die Schuld, die jene Europäer auf sich geladen, dadurch zum Teil zu sühnen, dass ich die nächste Zeit ausschließlich zum Sammeln von Notizen benutzte, um die Geschichte des Angriffs mit allen ihren Einzelheiten der Vergessenheit entreißen und den einzig Schuldigen öffentlich bezeichnen zu können. In dieser Absicht durchstrich ich nun die nächste Umgebung von Aibukit nach allen Richtungen, begleitet von Johnson und Cordo als Dolmetscher und von zahlreichen Eingeborenen, die mein lebhaftes Interesse an dem Unglück das ihnen widerfahren, nicht anders auszulegen vermochten als durch die Annahme, ich sei ein mächtiger Rupack meines Landes, gekommen, sie zu beschützen und ihre Widersacher zu bestrafen. Das Resultat dieser während der ersten Zeit ganz mich absorbierenden Studien enthält ein Artikel, den ich später im Juli bei der ersten und einzigen Gelegenheit, Nachrichten von mir nach Manila gelangen zu lassen, an meinen Schwager Moritz Herrmann schickte, durch dessen Vermittlung derselbe im dortigen „Diario e Manila“ erschien. Ich gebe ihn auch hier unverkürzt wieder, um den Leser in den Stand zu setzen, sich selbst ein Urteil zu bilden.

* * *

„Die nachfolgende Erzählung bedarf keines Kommen­tars. Sie enthält die Schilderung der wichtigsten Mo­mente des Angriffs eines englischen Kriegsschiffs auf ein friedliches Dorf im Norden der Insel Babelthaub, zu welchem, wie es scheint, der Kapitän R. Browne „H. M. Ship SPHINX“ lediglich veranlasst wurde durch die Aus­sagen des Kapitän Cheyne, eines Mannes, dessen lang­jährigem Treiben im Stillen Ozean hoffentlich bald und für immer ein Ende gesetzt werden wird. Ich sammelte diese Angaben während meines jetzt viermonatlichen Aufenthalts in dem angegriffenen und teilweise zerstör­ten Dorfe, doch verwahre ich mich ausdrücklich gegen die Garantie der völligen Richtigkeit aller derselben, und ich publiziere sie nur, um teils die Aufmerksamkeit der zuständigen Behörden auf das rasche und inhumane Verfahren des Befehlshabers des Kriegsschiffs zu len­ken, teils um einem etwaigen Berichte von Seiten jenes Cheyne zu begegnen, da die Erfahrung gelehrt hat dass jedes Mal nach seiner Einkehr in einem englischen Ha­fen eine gänzlich entstellte Darstellung der Ereignisse auf den von ihm besuchten Inseln in den Blättern er­schien.

Im Monat Oktober 1861 warf das englische Schiff „SPINX“ Anker im Hafen von Coröre. Vom Admiral der Flottenstation in Hongkong auf eine friedliche Mission ausgesandt, verschollene Matrosen zu suchen – hatte es auch den Befehl erhalten, die Palauinseln zu berüh­ren. Kapitän Woodin hatte sich in Manila seines zweiten Steuermanns beraubt und ihn dem damals statt des kranken Kapitäns fungierenden ersten Lieutenant als Dolmetscher gegeben, mit der ausdrücklichen Bitte, ihn in Aibukit zu landen, wohin er – Woodin – später selbst mit seinem Schiffe zu gehen gesonnen war. Wie es scheint, genügten die Intrigen des Kapitäns Cheyne, über deren Ausdehnung natürlich nur wenig zu erfahren war, den jetzt wieder als Kommandeur fungierenden Kapitän Browne zu veranlassen, nicht allein das vom ersten Lieutenant als Kommandeur gegebene Wort zu ignorieren, sondern sogar eine Expedition gegen das Dorf Aibukit zu machen, deren Charakter ganz der eines beabsichtigten Angriffs war. Hierbei wurde, auf Anstiften des Kapitäns Cheyne jener Steuermann des Kapitän Woodin, gegen seinen ausdrücklich ausgesprochenen Wunsch, in Coröre zurückgelassen, und statt dieses Mannes, der obgleich spanischer Mestize, doch die Ehre der englischen Flagge gewahrt haben würde, fungierte als Dolmetscher ein seit nahe 30 Jahren hier lebender Engländer Namens Davis, der, lediglich ein Instrument des Kapitäns Cheyne, unter dem Schutze englischer Waffen seine und vielleicht auch fremde Rachsucht befriedigte.