Buch lesen: «Euroskeptizismus auf dem Vormarsch», Seite 2

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2 Euroskeptizismus und die politische Rechte

Um die anschließende Analyse in einen theoretischen Kontext setzen zu können, wird in den nächsten Kapiteln zunächst näher auf das Phänomen Euroskeptizismus und den aktuellen Forschungsstand eingegangen. Dabei wird versucht, die gängigsten Typologisierungsmodelle für Euroskeptizismus aufzuschlüsseln, um ein für diese Untersuchung angemessenes Verständnis herauszuarbeiten. Im nächsten Schritt wird auf die allgemeinen Schwierigkeiten der Begrifflichkeit des Euroskeptizismus eingegangen, um danach die konkreten Herausforderungen für das Forschungsfeld ‚Euroskeptizismus‘ zu erläutern. Abschließend werden einige Erklärungen für den Euroskeptizismus aufgeführt, um diesen im Kontext weltpolitischer Ereignisse zu betrachten. Danach wird ein kurzer Überblick über das politische Spektrum rechter Parteien gegeben, um die in der Analyse untersuchten Parteien im Anschluss den jeweiligen Ausprägungen entsprechend zuordnen zu können.

2.1 Was ist Euroskeptizismus?

Der Euroskeptizismus ist kein unbekanntes oder neuaufgetretenes Phänomen. Die französische Politikwissenschaftlerin Cécile Leconte (2010: 3) weist darauf hin, dass bereits Mitte der 1960er Jahre, während Charles de Gaulle Präsident Frankreichs war, der Begriff Eurocrat in französische Wörterbücher aufgenommen wurde und schon damals den Unterschied zwischen der europäischen Elite und den durchschnittlichen BürgerInnen Europas klar hervorhob. Nichtsdestotrotz bemerkt sie auch, dass der Begriff zwar nicht synonym zu Euroskeptizismus verwendet werden kann, die Aufnahme des Begriffs in das französische Wörterbuch jedoch belege, dass bereits in den Anfängen der EU einige Grundideen des euroskeptischen Diskurses vorhanden waren (ebd.). Später verwendeten vor allem britische Medien den Begriff in Zusammenhang mit explizit britischem Euroskeptizismus und bezeichneten im Zuge dessen auch die ehemaligen Premierminister Winston Churchill (1940-1945 und 1951-1955), Harold Wilson (1964-1970 und 1974-1976) und Margaret Thatcher (1979-1990) allesamt als Euroskeptiker bzw. Euroskeptikerin, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen: Churchill (1946) war der Meinung, dass sich vor allem Kontinentaleuropa zu einem Staatenverbund zusammenschließen sollte, während er Großbritannien explizit außerhalb einer solchen Konstellation sah. Wilson (1974) hingegen war zwar ein grundsätzlicher Befürworter der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), versprach aber im Zuge seiner Wahlkampagne 1974 eine Neuverhandlung der Mitgliedsverträge Großbritanniens und stimmte einem Referendum zum Verbleib in der EWG zu, welches schließlich 1975 stattfand. Auch Thatcher (1988) hob immer wieder hervor, wie wichtig die Wahrung nationaler Interessen sei, da Europa nur unter dieser Prämisse funktionieren könne. In einer Rede zur Zukunft Europas am College of Europe in Brügge betonte sie diesbezüglich, es sei am besten, eine aktive Kooperation zwischen den unabhängigen und souveränen Mitgliedstaaten der Union aufrechtzuerhalten und zu pflegen, um eine erfolgreiche europäische Gemeinschaft aufzubauen. Sie unterstrich vor allem, dass es schädlich sei, die „nationhood“ zu unterdrücken und Europa entsprechend stärker wäre, wenn „France as France, Spain as Spain, Britain as Britain, each with its own customs, traditions and identity“ (Thatcher 1988) fortbestünde. Dennoch merkte sie an, dass es ihr besonders wichtig sei, ein geeinigtes Europa zu schaffen, welches ein gemeinsames Ziel verfolgte, auch wenn sie an dieser Stelle erneut darauf hinwies, dass dies nur bei ausreichendem Schutz nationaler Traditionen, politischer Machtverhältnisse und des jeweiligen Nationalstolzes der unterschiedlichen Länder möglich sei. Im Laufe ihrer Amtszeit gelang es ihr, in zahlreichen Punkten vorteilhafte Sonderregelungen für Großbritannien – wie bspw. den sog. Britenrabatt – auszuhandeln, die anderen Mitgliedstaaten jedoch nicht eingeräumt wurden.

Bei Aufkommen des Terminus Euroskeptizismus wurde dieser in Großbritannien zunächst vornehmlich synonym zu dem Begriff „anti-marketeer“ verwendet. Als „anti-marketeer“ bezeichnete man diejenigen Personen, die grundsätzlich gegen den Beitritt Großbritanniens zum Europäischen Binnenmarkt waren und diese Position auch nach dem britischen Referendum 1975 weiterhin beibehielten. Mit der Zeit entwickelte sich die Verwendung des Terminus Euroskeptizismus aber immer mehr zu einem generischen Sammelbegriff britischer Zweifel in Bezug auf Europa (vgl. Spiering 2004: 128). Später öffnete sich der Begriff etwas und fasste von nun an verschiedenste kritische Haltungen gegenüber der Europäischen Integration im Allgemeinen und der EU im Speziellen zusammen. Harmsen und Spiering (2004: 13) gingen sogar noch einen Schritt weiter und sprachen von einem eindeutig britischen Phänomen, dass dazu beitragen sollte, „a sense of the country’s ‚awkwardness‘ or ‚otherness‘ in relation to a Continental European project of political and economic integration“ hervorzuheben. Beschränkte sich die Euroskeptizismusforschung zu Beginn noch vornehmlich auf die westeuropäischen Staaten (u. a. Taggert 1998), so öffnete sich die Debatte mit der ersten Osterweiterung 2004 auch für die Staaten aus Mittel- und Osteuropa (u. a. Hooghe & Marks 2007; Szczerbiak & Taggert 2008).

2.1.1 Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Euroskeptizismus und der aktuelle Forschungsstand

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema des Euroskep-tizismus wurde hauptsächlich von der Öffnung des Begriffs und seiner Erweiterung auf ganz Europa vorangetrieben. Die Diskussion erfuhr aber auch durch verschiedenste politische Entwicklungen in den 1990er Jahren zusätzliche Aufmerksamkeit, wie bspw. die Unterzeichnung der Einheitlichen Europäischen Akte (1986) oder des Vertrags von Maastricht (1992). In dieser Zeit wurden vor allem zwei Ebenen des Euroskeptizismus wissenschaftlich untersucht: parteibasierter Euroskeptizismus und Masseneuroskeptizismus.1 Szczerbiak und Taggert (2003: 6) bemerken hierzu, dass die alleinige Verwendung des Sammelbegriffs Euroskeptizismus zur Beschreibung und Analyse der Auswirkung der Europäischen Integration auf Innenpolitik und Parteiensysteme vor allem dann Schwierigkeiten hervorbringe, wenn versucht würde, das Phänomen des Euroskeptizismus vergleichend – und hierbei im Speziellen – pan-europäisch zu untersuchen.

Aus diesem Grund versuchte der britische Politikwissenschaftler Paul Taggert (1998) eine allgemeine Definition des Euroskeptizismus, welche vor allem für den politischen Diskurs verwendbar sein sollte und eine präzisiere Differenzierung erlaubte. In diesem Zusammenhang unterteilte er den Euroskeptizismus zunächst in drei verschiedene Arten, die sich mit der Einstellung zur EU erklären lassen. In der ersten Kategorie definiert er den Euroskeptizismus im Sinne eines vollständigen Widerstandes gegen die europäische Integration und damit auch gegen die EU an sich (Taggert 1998: 365). Während diese Kategorie eine klar ablehnende Haltung gegenüber der EU impliziert, ist die Unterscheidung der anderen beiden Charakterisierungen nicht so eindeutig. Beide richten sich nicht prinzipiell gegen die europäische Integration, stehen jedoch der Annahme skeptisch gegenüberstehen, die EU verfolge die beste Art der Integration. Kategorie 2 argumentiert, die EU sei zu inklusiv und versuche Dinge zusammenzuführen, die zu unterschiedlich sind. Taggert (1998: 366) fasst hierunter diejenigen SkeptikerInnen zusammen, die der Meinung sind, die Rechte der einzelnen Staaten würden eingeschränkt werden und eine europäische Integration würde zwangsläufig große Migrationsströme mit sich ziehen. Typus 3 hingegen argumentiert, die EU sei sowohl auf geografischer als auch auf sozialer Ebene zu exklusiv. Hier bezieht sich Taggert vor allem auf diejenigen KritikerInnen, die bspw. meinen, die EU sollte auch außereuropäische Länder aufnehmen oder sie würde die Interessen der internationalen Arbeiterklasse übergehen. Zusammenfassend stellt Taggert (1998: 366) fest, dass Euroskeptizismus „the idea of contingent or qualified opposition, as well as incorporating outright and unqualified opposition to the process of European integration” ausdrückt. Nur kurze Zeit später konkretisierten Taggert und Szczerbiak Taggerts ursprüngliche Definition des Euroskeptizismus und führten die Unterscheidung zwischen weichem und hartem Euroskeptizismus ein, um vor allem den Grad der Ablehnung der europäischen Integration in der Definition deutlicher zu differenzieren. Demnach sehen sie im harten Euroskeptizismus einen generellen Widerspruch zur Europäischen Integration, der per definitionem die Forderung nach dem EU-Austritt nach sich zieht (Taggert & Szczerbiak 2001: 10).2 Auf der anderen Seite bezeichnen sie es als weichen Euroskeptizismus, wenn nur ein anteiliger Widerspruch gegen die Europäische Integration und die Mitgliedschaft in der EU besteht, die VertreterInnen dieser Form des Euroskeptizismus aber nicht grundsätzlich antieuropäisch eingestellt sind (Taggert & Szczerbiak 2001: 10). Einen zusätzlichen Unterscheidungsfaktor sehen Taggert und Szczerbiak im politisch und nationalistisch motivierten Euroskeptizismus (ebd.). Während der politisch motivierte Euroskeptizismus vor allem eine oppositionelle Haltung gegenüber vereinzelter politischer Themenfelder oder Verfahrensweisen darstellt, die je nach Aktualität oder individuellen Neigungen variieren können, bezeichnet der nationalistisch motivierte Euroskeptizismus das vehemente Eintreten für nationale Interessen auf europäischer Ebene. Bei dieser Unterteilung ist jedoch zu beachten, dass sich beide Formen des Euroskeptizismus nicht gegenseitig ausschließen müssen und es vereinzelt zu Überschneidungen kommen kann.

Vor allem am Begriff des weichen Euroskeptizismus kritisiert Miliopoulos (2017: 61), dass nach dieser Differenzierung keine Möglichkeit bestehe, zwischen weichem Euroskeptizismus und konstruktiv gemeinter EU-Kritik zu unterscheiden und dementsprechend fast jede kritische Haltung gegenüber der Politik der EU als weich euroskeptisch bezeichnet werden müsste.3 Auch Kopecký und Mudde (2002) kritisieren eine fehlende Präzision in der Unterscheidung der unterschiedlichen Ausprägungen des Euroskeptizismus.4 Ihre Kritik zielt vor allem auf vier Punkte ab. Wie auch Miliopoulos (2017) merken sie an, dass der Begriff des weichen Euroskeptizismus so weit gefasst sei, dass nahezu jede Nichtübereinstimmung mit einer EU-politischen Entscheidung in dieser Kategorie angesiedelt werden müsse und die Definition daher überinklusiv sei (Kopecký & Mudde 2002: 300). Zudem kritisieren sie, bereits die vermeintlich klare Unterteilung in hart und weich würde von Taggert und Szczerbiak selbst verwischt werden, da sie behaupten, der harte Euroskeptizismus könne als grundlegender Einwand gegenüber dem aktuellen Zustand der europäischen Integration in der EU identifiziert werden, was nach eigener Definition eher dem weichen Euroskeptizismus entspräche (Kopecký & Mudde 2002: 300). Der dritte Punkt ihrer Kritik zielt darauf ab, die Autoren würden sich nicht dazu äußern, weshalb es so schwierig sei, die Existenz verschiedener Arten des Euroskeptizismus zu unterscheiden, da die expliziten Kriterien, die zur Unterscheidung zwischen hart und weich verwendet wurden, unklar bleiben. Abschließend bemerken sie, eine Kategorisierung in harten und weichen Euroskeptizismus würde der Unterscheidung zwischen den Ideen der europäischen Integration und der EU als Körperschaft dieser Ideen nicht ausreichend gerecht werden. Folglich sei diese Definition des Begriff Euroskeptizismus fälschlicherweise Parteien und Ideologien zugeschrieben, die sowohl grundsätzlich pro-europäisch als auch gänzlich antieuropäisch eingestellt sein können. Dies könnte in der Folge dazu führen, dass es in parteipolitischen Systemen zu einer Über- aber auch zu einer Unterschätzung der Stärke dieses Phänomens kommt und dementsprechend entweder mehr oder weniger Euroskeptizismus erkennen lässt als tatsächlich vorhanden ist (ebd.).

Nichtsdestotrotz kritisieren Kopecký und Mudde (2002) nicht nur den Ansatz von Taggert und Szczerbiak (2001), sondern stellen gleichzeitig einen alternativen Definitionsversuch in vier unterschiedlichen Kategorisierungen vor. Dieser Ansatz zeichnet sich dadurch aus, dass er weniger inklusiv ist, sondern insgesamt präziser, weil er Euroskeptizismus in den Kontext anderer (Partei-) Positionen innerhalb Europas setzt. Hierbei berufen sie sich, wie zahlreiche andere WissenschaftlerInnen, die gängige Definitionen des Euroskeptizismus hervorgebracht haben (vgl. u. a. Krouwel & Abts 2007; Weßels 2009), auf einstellungstheoretische Ansätze, die auf David Eastons Konzept der politischen Unterstützung (1965) basieren. In seinem Konzept unterteilte Easton (1965: 273) die politische Unterstützung in eine spezifische Unterstützung, die sich durch Kurzfristigkeit auszeichnet, sich an Resultaten orientiert und leistungsbezogen evaluiert wird, und eine diffuse, die eine grundsätzliche Loyalität gegenüber dem System mitbringt und langfristig gesehen an ein Gelingen glaubt. In der EU würde dies bedeuten, dass eine spezifische Unterstützung der Bevölerung immer den aktuellen Zustand der EU misst und im Zweifelsfall die Effektivität und die demografische Legitimität der institutionellen Prozesse und derzeitigen AkteurInnen in Frage stellt. Im Gegensatz hierzu steht die diffuse Unterstützung, deren VertreterInnen zwar ebenfalls negative Entwicklungen wahrnehmen, jedoch die grundsätzlichen Ideen der europäischen Integration miteinbeziehen und an ein letztliches Gelingen der EU glauben. Miliopoulos (2017: 61) merkt diesbezüglich an, dass sich diese Form der Unterstützung „im Falle der EU nicht wie bei klassischen Nationalstaaten auf eine sprachlich-kulturell und historisch konnotierte politische Gesellschaft [bezieht], […] sondern stärker auf abstrakte Ideen und Werte, auf die sich die EU als Staatenverbund sui generis gründet“. Eine weitere Unterteilung stellen die beiden Dimensionen dar, die Kopecký und Mudde (2002: 301) einführen, um die Unterstützung für die europäische Integration im Allgemeinen und den Skeptizismus im Besonderen zu betrachten. In diesem Zusammenhang unterscheiden sie zunächst zwischen europhil und europhob. Demnach glauben europhile UnterstützerInnen an die Grundideen der europäischen Integration und befürworten die Idee einer institutionalisierten Zusammenarbeit auf der Grundlage einer zusammengelegten Souveränität (als politisches Element) und einer integrierten freien Marktwirtschaft (als wirtschaftliches Element) unabhängig davon, wie die europäische Integration definiert oder durchgeführt wird. Europhobe UnterstützerInnentreten den allgemeinen Ideen der europäischen Integration entgegen oder unterstützen diese grundsätzlich nicht. Kopecký und Mudde (2002: 301) erklären hierzu, dass dies auf nationalistische, sozialistische oder isolationistische Einstellungen zurückzuführen sei oder aber daran liege, dass diese Art der UnterstützerInnen schlichtweg glaubte, die europäische Integration sei aufgrund der Vielfalt und der daraus resultierenden Unvereinbarkeit der europäischen Staaten unmöglich. Zusätzlich unterscheiden sie zwischen EU-OptimistInnen („EU-optimists“, Kopecký & Mudde 2002: 302) und EU-PessimistInnen („EU-pessimists“, ebd.). Demnach sind EU-optimistisch eingestellte Personen mit dem aktuellen Zustand der EU zufrieden und sehen auch der Entwicklung der EU grundsätzlich positiv entgegen, was auch von kritischen Haltungen gegenüber einzelnen Entscheidungen der EU nicht geschmälert wird. Im Gegensatz hierzu unterstützen EU-PessimistInnen die EU in ihrer aktuellen Form nicht oder sind mit ihrer Entwicklung unzufrieden. Auch hier ist festzuhalten, dass EU-PessimistInnen die Mitgliedschaft in der EU nicht automatisch ablehnen, sondern lediglich der Meinung sind, dass sich der aktuelle Zustand der EU und ihre Grundidee nicht decken und eine starke Abweichung von den grundlegenden Vorstellungen der europäischen Integration erkennbar ist (Kopecký & Mudde 2002: 302). Aus den Unterteilungen europhil/ europhob und EU-OptimistIn/ EU-PessimistIn leiten Kopecký und Mudde (2002: 302f.) die folgenden vier idealtypischen Kategorien der Parteipositionierung in der EU ab:

1 EuroenthusiastInnen (europhile EU-OptimistInnen, euroenthusiasts), die die generellen Ideen der europäischen Integration unterstützen und an eine positive Entwicklung der EU glauben,

2 EuroskeptikerInnen (europhile EU-PessimistInnen, eurosceptics), die zwar die generelle Idee der EU unterstützen, den aktuellen und zukünftigen Entwicklungen der EU aber pessimistisch gegenüberstehen,

3 EuropragmatikerInnen (europhobe EU-OptimistInnen, europragmatics), die den der EU zugrundeliegenden Ideen der europäischen Integration ablehnend gegenüberstehen, die EU in ihrer aktuellen Form jedoch unterstützen, und

4 EurogegnerInnen (europhobe EU-PessimistInnen, eurorejects), die sich weder den grundlegenden Ideen der europäischen Integration noch der EU verschreiben.

Im Vergleich zum zweistufigen Modell von Taggert und Szczerbiak (2001) weisen die idealtypischen Kategorien von Kopecký und Mudde vor allem zwei Vorteile auf. Zum einen heben sie die grundlegenden Merkmale des Euroskeptizismus wie die Ablehnung des Leitgedanken der europäischen Integration und die Opposition zu vereinzelten Politiken der EU deutlicher und differenzierter hervor und zum anderen schließen sie nicht nur vollständig ablehnende Haltungen sondern auch befürwortende Sichtweisen auf die europäische Integration in ihre Überlegungen mit ein und vermeiden so, dass es wie im Falle des weichen Euroskeptizismus zu einer zu geringen bzw. zu starken Differenzierung des Euroskeptizismus kommt. Dennoch ist anzumerken, dass auch dieses Modell Probleme in der Kategorisierung aufwirft. Henderson (2008: 118) argumentiert beispielsweise, dass es schwer wäre, „a party flexible enough to embrace EU membership for strategic reasons“ auszumachen und somit die Kategorie der EuropragmatikerInnen – zumindest auf der Parteiebene – überhaupt nicht existiere. Mudde (2007: 162) hingegen führt als europragmatische Partei im Sinne dieser Definition die rumänische PRM (‚Großrumänien-Partei‘, Partidul România Mare) auf, die in den 1990er Jahren der Meinung war, Ungarn würde mit Hilfe der EU versuchen, Transsilvanien zurückzugewinnen. Um dem vorzubeugen, sprach sich die PRM aus strategischen Gründen für einen Beitritt Rumäniens zur EU aus, obwohl sie den grundlegenden Ideen der EU ablehnend gegenüberstand.

Im Jahr 2015 führte die griechische Politikwissenschaftlerin Sofia Vasilopoulou eine Meta-Analyse von Zeitungsartikeln zu Euroskeptizismus durch, um einen Trend in der Euroskeptizismusforschung ausmachen zu können. Hierzu untersuchte sie zunächst 28 Zeitschriftenartikel, die zwischen 1998 und 2013 veröffentlicht wurden und in einem zweiten Schritt 26 Artikel aus dem Jahr 2014. Während im ersten Schritt einige Voraussetzungen in Bezug auf die Relevanz der Artikel für die Forschung vorgegeben waren – die jeweiligen Artikel mussten mindestens 20 Mal zitiert worden sein (h-Index = 20) –, wurden im zweiten Schritt alle Veröffentlichungen des Jahres 2014 in die Analyse einbezogen (vgl. Vasilopoulou 2018: 27). Da lediglich 20 Artikel diese Vorgabe erfüllten, fügte Vasilopoulou der Liste weitere Artikel hinzu, die ihrerseits mindestens 15 Mal zitiert worden waren. Beide Kategorien verglich sie unter dem Gesichtspunkt des Fokus der Analyse. Abbildung 1 zeigt eine vereinfachte Darstellung der Ergebnisse:


meistzitiert Veröffentlichungen 2014
Fokus der Analyse Öffentlichkeit 17 8
Parteien/ Eliten 6 12
Beides (Öffentlichkeit und Parteien) 4 2
Sonstiges 1 4

Abb. 1: Schwerpunkte der Untersuchung des Euroskeptizismus nach Vasilopoulou (2018).

Aus den Ergebnissen geht hervor, dass hinsichtlich der meistzitierten Artikel vor allem die öffentliche Meinung im Fokus der Forschung stand und eher seltener parteipolitische Aspekte. Beachtenswert ist jedoch, dass insbesondere in Bezug auf die Parteien- und Elitenforschung in Zusammenhang mit Euroskeptizismus 2014 eine deutliche Steigerung der Veröffentlichungen festzustellen ist. Aufgrund der augenscheinlichen Bedeutung der öffentlichen Meinung für die Euroskeptizismusforschung sollen in der Folge zusätzlich zu den bereits erwähnten Euroskeptizismusmodellen aus parteipolitischer Sicht auch ausgewählte Modelle zur Bestimmung des Euroskeptizismus vorgestellt werden, die sowohl die öffentliche Meinung als auch die Einstellung der Bevölkerung zur EU und ihren Institutionen erfassen.

Krouwel und Abts (2007) berufen sich bei ihrer Typologisierung ebenso wie Kopecký und Mudde (2002) auf Eastons Modell der politischen Unterstützung. Sie unterscheiden jedoch nicht nur zwischen diffuser und spezifischer Unterstützung, sondern beziehen auch die drei von Easton (1965: 157) als „political objects“ benannten Ebenen der Autoritäten, des Regimes und der politischen Gemeinschaft mit ein. Als Autoritäten bezeichnet er konkret die Inhaber von Herrschaftspositionen und damit die politische Führung. Dies kann sich gleichermaßen auf ein Individuum, wie bspw. ein Staatsoberhaupt oder ein Parlamentsmitglied, wie auch auf ein Kollektiv, respektive ein Parlament oder ein Gericht, beziehen (ebd. 205f.). Das Regime ist gekennzeichnet durch seine politischen Werte, Normen und institutionellen Strukturen und nimmt somit Bezug auf die konstitutionelle Ordnung (Easton 1965: 193). Die politische Gemeinschaft nimmt eine spezifische Rolle ein, da sie die Beziehung individueller Mitglieder des Systems untereinander beschreibt und die Unterstützung einer politischen Gemeinschaft ein Zusammengehörigkeitsgefühl hervorrufen kann (ebd. 177). Auf dieser Grundlage erstellen Krouwel und Abts (2007: 254, Hervorheb. im Original) zunächst zwei unterschiedliche Achsen. Die erste Achse beinhaltet die „targets of supportive or rejective attitudes“, während sich die zweite Achse auf den „degree of reflexivity“ bezieht. Um die Ziele der Unzufriedenheit bestimmen zu können, gehen sie auf die Bewertung der drei politischen Objekte ein. Die europäischen Autoritäten werden aufgrund der Integrität und der Kompetenz der politischen Handelnden beurteilt. In Bezug auf das europäische Regime stehen sein Auftreten sowie die Reaktivität auf die Bedürfnisse der BürgerInnen und bei der europäischen Gemeinschaft der Grad der Verbundenheit zum Gedanken einer EU, die den Frieden und das Volk sichert, im Vordergrund (ebd. 256f.).

Demgegenüber stehen auf der zweiten Achse drei Elemente, die die Einstellung des Volkes und die jeweiligen Gefühle gegenüber bestimmter Handlungsweisen der politischen Objekte widerspiegeln. Auf dieser Achse untersuchen Krouwel und Abts (2007: 258) den Grad der Kontrolle der politischen Umgebung, den Grad der Unterscheidung zwischen bestimmten Zielen und den Grad der Offenheit zur Evaluierung relevanter Daten. Auf einer Skala von Vertrauen bis Entfremdung evaluierten sie beide Achsen und arbeiteten fünf Abstufungen der Einstellung zu den politischen Objekten heraus. Ob und inwiefern die Haltung nun positiv oder negativ ist, hängt hierbei vom Grad des Vertrauens bzw. der Entfremdung ab. Die erste Stufe bezeichnen Krouwel und Abts (2007: 261f., Hervorheb. im Original) als „Euroconfidence“ und beschreiben damit eine Einstellung zur EU, die sich durch blinde Zustimmung zu den Entscheidungen der EU aufgrund des hohen Vertrauens in die EU und ihre AkteurInnen auszeichnet. Auf zweiter Stufe steht der „Euroscepticism“, der eine Mischung aus Unzufriedenheit mit dem aktuellen Auftreten der EU auf der einen und Vertrauen in das europäische Projekt im Allgemeinen auf der anderen Seite verbindet. An dritter Stelle folgt der „Eurodistrust“, der die Frustration über das Versagen der EU in Bezug auf die Erwartungen und Begehren der BürgerInnen ausdrückt. Der „Eurocynicism“ an vierter Stelle repräsentiert eine Geringschätzung der europäischen Autoritäten und ein tiefes Misstrauen gegenüber dem Funktionieren der europäischen Institutionen. Abschließend bezeichnen Krouwel und Abts (2007: 263, Hervorheb. im Original) die tiefe Abneigung und Ablehnung der EU als „Euroalienation“. Abbildung 2 zeigt eine vereinfachte Darstellung der Kategorien basierend auf der graduellen Entwicklung von Vertrauen hin zur Entfremdung gegenüber den politischen Objekten.


Vertrauen Entfremdung Euroconfidence
Euroscepticism
Eurodistrust
Eurocynicism
Euroalienation

Abb. 2: Einstellung zu den politischen Objekten nach Krouwel & Abts (2007).

Weßels (2009: 54) hebt zwar hervor, dass „die von Krouwel und Abts vorgelegte Typologie in der Systematik, Komplexität und Reichweite über andere Typologien deutlich hinaus[geht]“, kritisiert an diesem Ansatz jedoch, dass er vor allem in der Operationalisierung Schwächen aufweise. Er bemerkt, dass die Orientierung gegenüber der Gemeinschaft gefühlsbasiert sei, da sie einer Identifizierung des Individuums innerhalb der Gemeinschaft gleichkäme, während die Orientierung gegenüber dem Regime und den Autoritäten in erster Linie eine Bewertung darstelle (ebd. 55). Gleichzeitig konstatiert er auch, dass sich eine umfassende Typologie des Euroskeptizismus auf alle Einstellungsobjekte und Orientierungsmodi beziehen müsse, das letztliche Erscheinungsbild dieser Typologie aber immer davon abhinge, „welche Aspekte des Skeptizismus als relevant erachtet werden und in welcher Form bzw. Kombination [diese] zusammenwirken“ (Weßels 2009: 55). Dies bedeutet, dass es aufgrund der unterschiedlichen Motive und Aspekte des Euroskeptizismus keine allgemeingültige Typologie für das Phänomen geben kann, da diese weder miteinander vergleichbar sind, noch grundsätzlich ähnlichen Kategorien zugeordnet werden können. Usherwood (2016a: 15) merkt hierzu an, dass ein eindeutiges Modell zur Definition von Euroskeptizismus vor allem aufgrund der populären Verwendung des Begriffs ‚Euroskeptizismus‘ für sämtliche Formen der Kritik oder der Ablehnung vereinzelter Aspekte unmöglich erscheint. Dennoch versucht sich auch Weßels (2009: 56) an einem Konzept des politischen Euroskeptizismus und untersucht – ebenfalls nach Eastons Modell – die Einstellungen der Bevölkerung gegenüber der Funktionsweise und Leistung sowie den Normen und Werten des politischen Systems. Er stellt fest, dass politische Skepsis nicht per se negativ zu verstehen sei, da die Demokratie von konstruktiver Kritik und der Pluralität verschiedener Meinungen lebe (Weßels 2009: 66). Dementsprechend ist es für die Euroskeptizismusforschung nach Weßels‘ Ansatz lediglich wichtig, ob man die politische Ordnung selbst hinterfragt oder nur einige Aspekte innerhalb der Ordnung. Er unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen zwei Grundspielarten – fundamental und konstruktiv – und orientiert sich sowohl an Taggert und Szczerbiaks (2001) Konzept des harten und weichen Euroskeptizismus als auch an Hirschmans (1978) Termini zur Äußerung von Unzufriedenheit gegenüber Systemen. Hirschman (1978: 90) spricht davon, dass ein unzufriedenes Individuum innerhalb eines Systems grundsätzlich zwei Möglichkeiten hat. Entweder es erhebt seine Stimme („voice“) und versucht das System zu verändern oder es verlässt das System („exit“). Genauso erklärt Weßels (2009: 66), dass die fundamentalen EU-SkeptikerInnen der EU als politischer Gemeinschaft grundsätzlich ablehnend gegenüberstehen – wie auch die harten EuroskeptikerInnen – und somit den „exit“ als einzige angemessene Option ansehen. Auf der anderen Seite stehen die konstruktiven EU-SkeptikerInnen, die lediglich einige Funktionsweisen der EU kritisieren, ihr aber grundsätzlich positiv gegenüberstehen und daher versuchen, durch Widerspruch oder Reformen („voice“) Verbesserungen am System zu bewirken.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es ganz unterschiedliche Herangehensweisen der Euroskeptizismusforschung gibt und mit unterschiedlichen Typologien gearbeitet wird. Ein Vorteil der mehrstufigen Einteilung (Kopecký & Mudde 2002; Krouwel & Abts 2007) gegenüber den zwei Kategorien von Taggert und Szczerbiak (2001) oder Weßels (2009) ist, dass durch die feinere graduelle Abstufung nicht nur zwischen grundsätzlichen EU-GegnerInnen und partiellen KritikerInnen der EU unterschieden wird, sondern auch positive Einstellungen gegenüber der EU – die nicht unbedingt frei von Kritik oder Skepsis sein müssen – in die Betrachtung eingeschlossen werden. Somit wird verdeutlicht, dass der Euroskeptizismus nicht per se negativ sein muss, da eine konstruktive Kritik durchaus positive Aspekte mit sich bringen kann. Dennoch fällt auf, dass Weßels (2009) trotz zahlreicher Definitionsversuche, die seit Taggerts (1998) ursprünglichem Ansatz unternommen wurden, wieder zu einer puristischeren und allgemeineren Definition zurückgekehrt ist. Dies erklärt sich hauptsächlich durch die zahlreichen unterschiedlichen Ansätze und Aspekte, die zur Typologisierung des Euroskeptizismus – und hierbei ist es unerheblich, ob man den Euroskeptizismus aus parteipolitischer Sicht oder in Bezug auf die öffentliche Meinung untersucht – in Betracht gezogen werden müssen. Es erscheint so, als sei eine Zusammenfassung aller euroskeptischen Stimmen unter einem gesammelten Begriff aufgrund der weitgefassten Definition nicht nur irreführend, sondern auch kontraproduktiv (vgl. hierzu auch Leruth et al. 2018). Unabhängig davon, ob Euroskeptizismus nun lediglich kurzfristig als Wahlkampfstrategie verwendet wird oder die tatsächliche Ideologie widerspiegelt, gilt es, den Begriff weiter einzugrenzen, um ihn transparenter zu machen.5

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