Moritz von Sachsen (1521-1553)

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Moritz von Sachsen (1521-1553)
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Moritz von Sachsen


Moritz von Sachsen

(1521–1553)

Landes-, Reichs- und Friedensfürst

Von Johannes Herrmann


Gewidmet Ingeborg

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:/dnb.ddb.de abrufbar.

ISBN 978-3-934544-47-5 (Print)

ISBN 978-3-86729-518-5 (EPUB)

ISBN 978-3-86729-519-2 (PDF)

2., korr. und erw. Auflage 2013

Alle Rechte vorbehalten

© Sax-Verlag, Beucha-Markkleeberg 2003

Einbandgestaltung: Birgit Röhling, Markkleeberg

Herstellung: PögeDruck Leipzig-Mölkau

www.sax-verlag.de

eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

Inhalt

Vorrede

Das geteilte Sachsen im Deutschen Reich um 1500

Der gehorsame Sohn macht sich frei

Geburt im Freiberger Ländchen

Erziehung – die Mutter weiß, was sie will

Am Renaissancehof in Halle

Bei Herzog Georg, dem frommen Verwalter

Zu Gast beim „dicken Vetter“ in Torgau

Die hessische Hochzeit: Moritz und Agnes

Der humanistische Landesfürst lebt in schwierigen Partnerschaften

Der junge Herr wird Nachfolger seines Vaters

Moritz tritt die Herrschaft an

Moritz lässt sich beraten

Auf dem Weg zum neuen Staat

Der Platz unter den evangelischen Ländern des Reichs

Evangelische Kirchenpolitik

Moritz, der Kaiser und das Reich

Der Pakt mit dem Kaiser in Regensburg

Enttäuschender Erfolg

Moritz bindet sich an Landgraf Philipp

Der eigenständige Reichsfürst sucht seinen Platz

Die sächsische Ordnung geht dem Reichstag voran

Reichstag zu Augsburg 1547/48 – die Wege trennen sich

In Sachsen ändert sich nichts

Der Weg zur Ordnung des Leipziger Landtages 1548

Wege in die weite Welt

Erste Entscheidungen gegen den Kaiser

Sicherung der Position

Magdeburg – Verhandlung und Krieg zugleich

Moritz sucht Verbündete

An die Spitze des Fürstenbundes

Auf kriegerischen Wegen zum Frieden im Reich

Warten auf den französischen Vertrag

Krieg als Mittel der Diplomatie

Ferdinand verhandelt in Linz

Der Kaiser flieht aus Innsbruck

Ohne den Reichstag – der Vertrag in Passau

Der versprochene Türkenfeldzug

Außenpolitik nach allen Seiten

Kurfürst Moritz, der bestimmende Vermittler

Die schwere Schlacht von Sievershausen

Das Leben ist für den Himmel gerettet

Fazit

Schlusswort

Anhang

Lebenslauf von Moritz in Daten

Literaturauswahl

Abkürzungsverzeichnis

Bildnachweis

Register

Vorrede

Moritz von Sachsen hat fast 500 Jahre vor unserer Gegenwart gelebt. In seiner Zeit bewegte die Reformation der Kirche die Herzen und Gedanken der Menschen. Dazu bestimmten die Gegensätze zwischen dem Kaiser, dem König von Frankreich und den größeren Fürsten des Deutschen Reiches das politische Geschehen.

Je größer der Abstand des Menschen, den wir verstehen wollen, zur Gegenwart ist, um so schwerer wird es, unter den vielen ungewohnten Bedingungen, die erkannt und verstanden werden müssen, die Eigenpersönlichkeit dieses einen Menschen in seiner Zeit zu erfassen. Obwohl durch Jahrhunderte die Zeit Luthers und der Reformation bei den evangelischen Deutschen als eine Idealzeit galt, steht sie uns heute schon fern. Das Leben der einfachen Menschen und der bestimmenden Kreise ist uns in seiner alltäglichen Mühsal nicht mehr vertraut.

Moritz von Sachsen könnte sehr schnell zu einem nur allgemeinen Beispiel für Menschen und Fürsten der Zeit vor 1550 werden, Moritz ist in vielem ein Kind seiner Zeit, die damit an ihm sichtbar und fühlbar wird. Aber an vielen Stellen blitzt in einem persönlichen Brief oder in der Wendung einer Verhandlung das Bild einer Person auf, die uns nah ist als ein Mensch wie wir. Wir haben zu ihm keinen Jahrhunderte langen Abstand, wenn er seiner Frau etwa in einem Brief zur baldigen Rückkehr versichert: dann werde ich lang, lang, lang bei dir bleiben; oder von sich sagt: wenn man dem jungen Narren gefolgt wäre, dann wären die Sachen besser gelaufen; oder wenn er in einer Verhandlung die Versammelten des Adels gegen alle politische Zweckmäßigkeit so wütend behandelt, dass ihm sein Kanzler die Freundschaft kündigt. Man sollte hinter dem fürstlichen Politiker auch den Menschen sehen, von hohem Verstand, aber gedrängt und verletzt, mit Plänen zum Ausgleich, doch eingespannt in die Absichten anderer, zu vielem Neuen entschlossen, aber gebunden in die Art seiner Zeit, glaubend, doch ungläubig genannt. Dieser Mensch hat Sachsen mit seinem Handeln in Politik und Kirche auf Jahrhunderte geprägt. Und er hat sich in den reformationszeitlichen Auseinandersetzungen im Reich innerhalb nur eines Jahrfünfts zu einer zentralen Figur entwickelt, deren letztliche Dimension und Perspektive uns sein früher Tod verschließt.

Die hier vorliegende 2. Auflage hat nötige Korrekturen sowie Ergänzungen in Text und Abbildung erfahren. In den Fußnoten konnten die Fundstellen der Aktenstücke nach dem 2006 erschienenen abschließenden 6. Band der „Politischen Korrespondenz des Herzogs und Kurfürsten Moritz von Sachsen“ genau nachgewiesen werden, was in der ersten Auflage dieser Biografie nur nach dem damaligen Manuskript möglich war. Dem ganz persönlichen Verhältnis von Moritz und Agnes ist der erweiterte Abschnitt „Die hessische Hochzeit“ gewidmet. Schließlich konnte nach jüngsten Forschungen „Die schwere Schlacht bei Sievershausen“ neu formuliert werden. Hinzugekommen sind im Anhang eine Zeittafel mit Lebensdaten von Moritz und eine kleine Literaturauswahl.

 

Leipzig am 1. Advent 2012

Das geteilte Sachsen im Deutschen Reich um 1500

Das Geschlecht der wettinischen Markgrafen von Meißen gewann im 15. Jahrhundert seine große Bedeutung für das Deutsche Reich. Kaiser Sigismund belehnte die Wettiner 1423 mit dem Herzogtum Sachsen, zu dem die Kurstimme bei der Wahl des deutschen Königs und der Kurkreis um Wittenberg zusammen mit der Grafschaft Brehna südlich davon und die halbe Pfalz Sachsen in Thüringen nördlich der Unstrut gehörten. Seitdem konnten sich die Wettiner als Markgrafen von Meißen und als Landgrafen von Thüringen auch Herzog von Sachsen nennen. Nach 1500 wurde „Herzog von Sachsen“ als höchster Titel der wettinischen Fürsten immer mehr auf das ganze Land zwischen Wittenberg und dem Erzgebirge angewendet. Damit kam Sachsen im 16. Jahrhundert zu seinem heutigen Namen.

Als im Jahre 1482 die Thüringer Nebenlinie in Weimar mit Herzog Wilhelm ausstarb, war das gesamte wettinische Territorium geeint. Die Brüder Ernst und Albrecht verwalteten das Gebiet gemeinsam, das von der Werra im Westen bis zur schlesischen Herrschaft Sorau hinter der Neiße, und von dem Raum um Gommern und Beeskow im Norden bis an den Kamm des Erzgebirges und zur Coburger Pflege in Oberfranken reichte. Dies war nach den Landen der Habsburger das größte Territorium im Deutschen Reich. Erst durch den Erwerb von Böhmen und Ungarn im 16. Jahrhundert erhielt der Besitz der Habsburger sein großes Übergewicht.

Durch den Erwerb der Kurwürde im Jahre 1423 wurde Sachsen zu einem wichtigen Territorium des Reiches, zu dem auch die Habsburger in Österreich gern die Verbindungen hielten. Die Stifte von Meißen, Merseburg und Naumburg, die von den wettinischen Landen umschlossen waren, besaßen reichsunmittelbar nur kleine Gebiete. Sie konnten keine eigenständige, von den Wettinern unabhängige Politik betreiben und ließen sich im 15. Jahrhundert auf den Reichstagen durch die Wettiner vertreten. Sie waren fast wie Grafen und Herren in die wettinischen Lande eingeordnet. Auf den wettinischen Landtagen waren sie vertreten wie die vielen kleinen Grafen südlich des Harzes in Thüringen und im Muldental. Nur die Herren von Reuß schafften es, sich schließlich selbstständig als Reichsfürsten zu halten.

Der neu erblühte Silberbergbau brachte gute Einnahmen und machte die Wettiner zum Teil von den großen Kaufleuten der Städte unabhängig. Die neuen Bergstädte im Erzgebirge Schneeberg, Annaberg, Marienberg wuchsen durch reiche Silberfunde wie Pilze. Die aktienähnlichen Kuxen, die eine Geschäftsbeteiligung für Kapitalgeber an den Bergwerken darstellten, boten zumindest am Anfang neuer Gruben sehr gute Gewinnaussichten. Die Bevölkerungszahl der ganzen Lande war durch die Pest um 1350 stark gesunken, sie erreichte aber in den letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts wieder die Stärke aus der Zeit vor dieser großen Katastrophe. Damit gab es genügend Arbeitskräfte für die vielen Bauvorhaben seit dem letzten Drittel des 15. Jahrhunderts. In den Städten wuchsen Kirchen und Klöster, Stadtmauern, Torbefestigungen und Vorratshäuser empor. Auf den Dörfern wurden Altarräume zur Verehrung des Leibes Christi, der Hostie, gebaut.


Herzog Albrecht der Beherzte, Stammvater der albertinischen Linie des wettinischen Hauses, Ölgemälde eines flämischen Meisters, um 1491

Seit 1464 regierten die wettinischen Brüder Ernst und Albrecht gemeinsam das Land. Dabei war allerdings Albrecht als Feldherr für die Habsburger Kaiser Friedrich III. und Maximilian I. vielfach unterwegs. Damit stand er besonders dem Kaiser Maximilian I. nahe. Das Gleichgewicht unter den beiden Brüdern war nach dem Heimfall der Besitzungen der ausgestorbenen Weimarer Linie der Wettiner 1482 schwankend geworden. So teilten sie 1485 das Land unter sich. Seitdem gab es immer zwei Linien der Wettiner, die Ernestiner und die Albertiner, genannt nach den beiden Brüdern, die Sachsen unter sich aufgeteilt hatten. Die Teilung war von den fürstlichen Räten und Ständen des Landes so ausgearbeitet worden, dass beide Teile wirtschaftlich und politisch im Gleichgewicht, aber zur Zusammenarbeit gezwungen waren, weil sie sich durchdrangen und keine natürlichen Grenzen gegeneinander hatten.

Grundbestand bei den Albertinern wurde die Markgrafschaft Meißen, zu der ein Streifen in Nordthüringen von Leipzig bis südlich Mühlhausen zusammen mit einer Oberherrschaft über die Grafen südlich des Harzes kam. Kernland der Ernestiner war die Landgrafschaft Thüringen, bei denen auch das Vogtland und die Kurfürstenwürde und dazu das Muldental blieb. Mit der Würde des Kurfürsten blieben die Kurlande um


Wittenberg und Torgau bei den Ernestinern. Sie residierten in Wittenberg und in Weimar. Das moderne Schloss in Meißen, das hoch über der Elbe neben dem Dom eigentlich für die gemeinsame Herrschaft gebaut worden war, konnte diese Rolle nach der Teilung nicht spielen. Die Albertiner hatten nunmehr ihren Hauptsitz in Dresden. Die Urkunden sollten gemeinsam verwaltet werden. Allerdings wurde auch eine ganze Anzahl von Besitzungen und Bergstädte wie das ertragreiche Schneeberg gemeinsam genutzt.

Der Fernhandel brachte neben dem Bergbau den sächsischen Städten Einkünfte. Herzog Georg der Bärtige, der Sohn und Nachfolger Herzog Albrechts, sorgte dafür, dass Leipzig durch den Kaiser Maximilian seine wichtigen Messeprivilegien erhielt. Den Albertinern wuchsen besonders in Annaberg und Marienberg neu gegründete ertragreiche Bergstädte zu. Durch den aufstrebenden Bergbau im silberreichen Erzgebirge und im Mansfelder Kupferschiefer wanderten kapitalkräftige Familien aus Süddeutschland in die Städte Plauen, Zwickau, Leipzig ein. Auch die Kupfergewinnung von Mansfeld und Eisleben war eng mit Franken verbunden.

Auf den Handelswegen kam der Humanismus nach Norden in die Universitäten von Erfurt und Leipzig und nach der Neugründung im Jahre 1502 auch nach Wittenberg. In Halle am Hofe des Erzbischofs Albrecht von Magdeburg und Mainz weilte aus Süddeutschland Ulrich von Hutten. In Wittenberg wirkten Hermann von dem Busche, Lucas Cranach, Georg Spalatin, Andreas Bodenstein aus Karlstadt, Martin Polich aus Mellerstadt und Philipp Melanchthon. Größter Stern der Wittenberger Universität wurde Martin Luther. Hieronymus Emser kam über Erfurt an den Hof Herzog Georgs. Ihm folgte schließlich Johannes Cochläus als Hofprediger nach Dresden.


Herzog Georg von Sachsen, Holzschnitt von Hans Brosamer vor 1534, nach einer Vorlage von Lucas Cranach d. Ä.

Vor der Leipziger Teilung von 1485 war Sachsen eines der bestimmenden Territorien des Reiches. Durch die Teilung verlor es sein großes Gewicht in der Reichspolitik. Seine beiden Teile besaßen nur durch den Handel und ihre Währung, die auf dem Silberbergbau beruhte, mehr Bedeutung als andere mittlere Territorien des Reiches wie etwa Brandenburg.

Obwohl man sich gemeinsam als Haus Sachsen fühlte und Hofgericht und Urkundenarchiv gemeinsam führte, bestand seit der Teilung immer eine mehr oder weniger große Rivalität zwischen beiden wettinischen Linien. Der Gegensatz verschärfte sich, als durch Martin Luther Wittenberg der Ursprungsort für die Reformation der Kirche wurde. Der ernestinische Kurfürst Friedrich der Weise wollte dem Willen Gottes mit der Macht des Staates nicht vorgreifen und ließ Luther und seine Anhänger gewähren. Der albertinische Herzog Georg dagegen lehnte seit 1521 Luther ganz bewusst und grundsätzlich ab.


Herzog Heinrich der Fromme, Herr des Freiberger Ländchens, Gemälde von Lucas Cranach d. Ä., Öl auf Lindenholz, bez. und datiert 1537 (Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister)

Der gehorsame Sohn macht sich frei

Geburt im Freiberger Ländchen

Durch seine Geburt hatte Herzog Moritz zunächst nur einen Platz am Rande der großen Möglichkeiten und Geschehnisse. Sein Großvater Herzog Albrecht der Beherzte hatte die „väterliche Ordnung“ erlassen, nach welcher immer der erstgeborene Wettiner die albertinischen Stammlande erbte. Herzog Georg der Bärtige trat deshalb 1500 in Dresden die Nachfolge seines Vaters Albrecht des Beherzten an. Für den streitbaren Heerführer hatte Georg schon seit 1488, seinem siebzehnten Lebensjahr, die Regentschaft geführt. Für den zweitgeborenen Sohn Heinrich erwarb sich Albrecht 1498 die Rechte als Ewiger Gubernator von Friesland und kaufte dem Hause Burgund 1499 dazu noch die Herrschaft über Groningen und Ommeland ab. Der Bereich Friesland reichte damit von der Zuidersee bis an die Wesermündung. Aber Heinrich wurde von den Friesen zuerst um Groningen und dann allgemein nicht anerkannt. Albrecht der Beherzte setzte sich zwar wieder in Friesland durch, doch nach dessen Tod wollte Heinrich als Nachfolger diese mühsame Herrschaft nicht führen und gab sie lieber an seinen älteren Bruder Georg ab. Er erhielt dafür das Freiberger Ländchen mit den Ämtern Freiberg und Wolkenstein in der Mark Meißen und jährlich 12000, später 20000 Gulden und zwölf Fuder Wein zu seinem Unterhalt.

Herzog Georg baute eine geordnete Verwaltung für Friesland auf, die auch nach seinem Weggang lange in Geltung blieb. Er konnte die sächsische Herrschaft jedoch gegen den Widerstand der Friesen nur bis 1515 halten und verkaufte nach einer völligen Niederlage Friesland wieder an den jungen Burgunder Karl, den späteren Kaiser Karl V.

Die beiden Brüder waren unterschiedlich begabt. Georg beherrschte die Verwaltung eines Landes von Grund auf. Er schrieb selbst gern in seiner fürstlichen Kanzlei die Entwürfe für wichtige Schriftstücke und beherrschte so viel Latein, dass er mit Erasmus von Rotterdam, dem Fürsten aller Humanisten Europas, korrespondieren konnte. Dagegen hasste Herzog Heinrich schriftliche Arbeiten. Die Schreiber sind ihm nachgelaufen, um eine Unterschrift zu bekommen, so ungern unterschrieb er selbst Briefe und Schriftstücke. Vielleicht spielte auch beim Verzicht Heinrichs auf Friesland ein gewisser Trotz gegen den großen, immer besseren Bruder eine Rolle, der schon in der Jugend in seine Aufgabe als regierender Fürst im albertinischen Sachsen als Statthalter des in Kriegen abwesenden Vaters hineinwachsen konnte.

50 Jahre hat Georg als Patriarch, der sich für das Große ebenso verantwortlich fühlte wie für das Kleine, das albertinische Herzogtum verwaltet. Dagegen blieb anfangs für Heinrich nur das abgelegene, windige Friesland, dessen Bewohner sich einer sächsischen Gubernation keinesfalls fügen wollten. Deshalb hat er viel lieber in der moderneren Bergstadt Freiberg gewohnt. Über 30 Jahre hat dann der körperlich große Herzog Heinrich sein Denken und Handeln auf das Freiberger Ländchen beschränkt. Er reiste nicht zu den Reichstagen. Dieses Recht nahm sein Bruder für ihn wahr. In seinem Ländchen war Heinrich ein populärer Fürst, der seine Untertanen kannte. Er kümmerte sich um Handwerk und Gewerbe. Er liebte die Freuden der Tafel und hörte gern Gesang. In den Erzgebirgswäldern ging er auf die Jagd. Er hatte Zeit, sich dem Sammeln von Kanonenrohren und Handfeuerwaffen zu widmen, die er in Freiberg gießen ließ.


Prinz Moritz von Sachsen, Kinderbild nach einem Gemälde von Lucas Cranach d. Ä., 1526

Seine größte Tat war, dass er mit fast 40 Jahren – in damaliger Zeit an der Schwelle des Alters – die fast 15 Jahre jüngere Katharina von Mecklenburg am 7. Juli 1512 heiratete. Sie war keine schöne, aber eine selbstbewusste, kluge und energische Frau. Der Landgraf Philipp von Hessen und der Kurprinz Johann Friedrich waren ihre Neffen, Kinder ihrer älteren Schwestern. Vielleicht wollten Hessen und Kursachsen mit der Ehe etwas mehr Einfluss im albertinischen Raum gewinnen?

 

Katharina wurde die treibende Kraft im Leben des großen und gutmütigen Mannes. Sie brachte ihrem Mann erst drei Mädchen zur Welt: Emilie, Sibylle und Sidonia, und dann drei Knaben: Moritz, Severin und August. Nach den Bildern Lucas Cranachs ist Heinrich größer und schlanker als seine schwergewichtigen ernestinischen Vettern von Friedrich dem Weisen bis zu Johann Friedrich. Nach der damals üblichen Geste von Fürsten liegt die Hand von Heinrich auf dem Schwertgriff auf den Bildern von Cranach. Mit dem Handeln Heinrichs hat die Geste nichts zu tun. Er hatte wenig vom praktisch kriegerischen Sinn seines Vaters geerbt. Heinrichs Körpergröße erbte der Enkel Georg Friedrich in Bayreuth, der über zwei Meter erreichte. Luther meinte 1539 schließlich nach der Regierungsübernahme in Dresden über den alten Heinrich: Ach, der gute Fürst hat nun ein groß Land, aber er ist alt, schwach und ungeschickt dazu.1 Elisabeth von Rochlitz sagte noch schärfer: Wer S. L. zum regiment tuchtig gewest, S. L. vater hette im nicht das narrenteil also verordnet.2

Katharina konnte mit den 20000 Gulden Jahreseinkommen in Freiberg nicht viel erreichen, denn sie trat gern in höfischer Pracht auf. Sogar noch als Witwe von 62 Jahren scheute sie eine Reise zum kaiserlichen Hof nach Brüssel und einen Empfang bei Karl V. nicht. Sie suchte Bedeutung durch die Ehen ihrer Kinder zu gewinnen.

Moritz wurde am 21. März 1521 in Freiberg im mittelalterlichen Schloss Freudenstein geboren. Er war der erste Sohn des so unterschiedlichen Fürstenpaares. Heinrich war mit rund 48 Jahren für Moritz ein alter Vater. Die meisten Menschen starben, auch wenn sie in gesicherten Verhältnissen lebten, damals zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr. Der Kardinal und Erzbischof Albrecht von Mainz und Magdeburg wurde neben Herzog Georg dem Bärtigen Pate von Moritz, weil er Herzog Heinrich das für einen ersten Sohn versprochen hatte. Dieser wurde deshalb nicht Wilhelm oder Friedrich, Johann oder Heinrich genannt, sondern auf den für die Wettiner ungewöhnlichen Namen Moritz nach dem Heiligen des Erzbistums Magdeburg getauft.3 Für den Sohn der unbedeutenden Freiberger Nebenlinie der Wettiner war es gut, den mächtigsten deutschen Kirchenfürsten als künftigen Helfer zu haben. Vielleicht stand dahinter die vage Hoffnung, dass Moritz dessen Nachfolger im Erzbistum Magdeburg werden könne.

Die älteste persönliche Nachricht von Moritz ist das Kinderbild, das Lucas Cranach der Ältere im Jahre 1526 von ihm gemalt hat. Es zeigt einen schmalen Knaben im groß geratenen Festtagsgewand. Seine rötlich blonden Locken sind sicher für das Malen gelegt worden. Sie lassen eine hohe Stirn frei. So gelockt wurden damals Engel und Heilige, Fürsten und Adlige dargestellt. Sein etwas spitzes Kinn stammt wohl von der Mutter. Als Erwachsener hat Moritz sein eher schmales Gesicht mit einem großen Bart eindrücklicher gemacht. Die Hände im Kinderbild halten sich am Gürtel, denn er würde als Sohn des Freiberger Ländchens gewiss keine wesentlichen Attribute der Macht zu halten haben.

Es heißt, dass Moritz als Kind weniger Anlage zum kriegerischen Beruf gezeigt hätte als sein jüngerer Bruder Severin, der kecker (mutiger) in Zweikämpfen mit ihm gewesen sei.4 Noch das Moritzmonument von 1553/54 an der Brühlschen Terrasse in Dresden, sein Ehebild zusammen mit seiner Gemahlin Agnes von Lucas Cranach d. J. und das Standbild auf dem Grabmal im Freiberger Dom zeigen seinen Körper nicht korpulent und das Gesicht eher schmal. Er hat wohl nicht die Anlagen der Ernestiner zum Körpergewicht besessen. Bei seiner Trauerfeier 1553 war ein junger Mann mit der Rüstung des Kurfürsten Moritz bekleidet. Noch 1550 nennt ihn Philipp von Hessen „Mormau“5, was eher ein kindlicher Spitzname als ein wirklicher Deckname ist, wie er nötig war. Vielleicht war der Name auch „Morman“ (d. h. Moritzchen). Moritz hat auch von Größe und Gewicht her solche Benennungen nicht ablegen können. Er hatte wahrscheinlich die Statur seiner Mutter geerbt, die es drahtig und zäh auf das für ihre Zeit hohe Alter von 74 Jahren brachte.

Moritz scheint in seiner körperlichen Leistungsfähigkeit vom Willen und Verstand bestimmt gewesen zu sein. Wo deren harte Gründe fehlten, weil sie das Ziel erreicht hatten, verlangte der Körper sein Recht. Mehrfach rufen Krankheiten oder große körperliche und seelische Anstrengungen lange andauernde Erschöpfungen hervor, so nachdem er seine Ehe durchgesetzt hatte im Mai 1541, nach einer Durchfallerkrankung im September 1545 und nach dem Sommer und Herbst 1552 auf der Rückreise vom Feldzug nach Ungarn, als ihn Schwäche handlungsunfähig machte.

Erziehung – die Mutter weiß, was sie will

In Freiberg bestand neben der Knaben- und Mädchenschule eine selbstbewusste, eigenständige Lateinschule, die vom Humanismus geprägt war. In den dreißiger Jahren war Johann Rivius dort Rektor. Er wurde später durch Moritz Rektor der Meißner Fürstenschule. Die Ausgebildeten einer besonderen Freiberger Stuhlschreiber- und Rechenschule wurden für die Verwaltung der Bergwerke gebraucht. Da man nach Einführung der Reformation 1538 keine Winkelschule dulden wollte, in denen aus privater Initiative Schreiben und Lesen unterrichtet wurde, muss es sie vorher gegeben haben. Die Kunst des Lesens und Schreibens war demnach unter den Bürgern der Bergstadt weit verbreitet. Der Hofstaat des Herzogs Heinrich stand dahinter nicht zurück.

Christoph von Karlowitz geleitete Anfang 1533 den jungen Moritz nach Halle an den Hof seines Patenonkels Kardinal und Erzbischof Albrecht. Dabei meinte sein Onkel Georg der Bärtige, er solle dort Latein lernen. Demnach musste Moritz zu dieser Zeit seine Grundausbildung für die Schule beendet haben. Er konnte lesen und verstand zu schreiben. Moritz hat später eine klare und gut lesbare Handschrift. Diese weist in ihren Formen eher auf die Schreibschriften der mitteldeutschen Humanisten als auf die deutschen Traditionen aus dem 15. Jahrhundert, wie sie etwa bei Luther zu sehen sind. Diese Schriftformen stammen aus der Freiberger Kindheit. Wer schreiben konnte, vermochte auch zu lesen. Moritz hat aber später nicht sehr gern Briefentwürfe verfasst, sondern sie lieber seinen persönlichen Sekretären diktiert. Seine eigenen Schreiben haben kurze klare Sätze, anders als man sie in den Kanzleien der Zeit formulierte. Viel selbst zu schreiben, wird in der fürstlichen Familie in Freiberg kaum als Tugend gegolten haben. Seine diktierten Entwürfe zeigen die gleiche klare Form.

Merkwürdig ist, dass sich Moritz als Erwachsener an drei Stellen, wo sein innerstes Empfinden spürbar wird, Narr genannt hat. Immer dann, wenn er sich in seiner Denkfähigkeit nicht ernst genommen sah – so in der Beratung zum Sturm auf Pest 1542, beim Streit mit Markgraf Johann am Abend des 3. Oktober 1551 und in einem kleinen Brief an seine Frau um den 1. Juni 1552.6 Hat sich Moritz von Kind an dagegen gewehrt, gegenüber den älteren Schwestern und gegenüber der Mutter ein Narr zu sein, und blieb ihm diese Unsicherheit? Nahm seine Mutter das altkluge Reden des Kindes vor den großen Schwestern nicht ernst, zumal er noch körperlich schwächer war als der kleinere Bruder Severin?

Die Mutter regierte ihre Umgebung, oder ihre Kinder, manchmal dadurch, dass sie ihnen tage- oder auch wochenlang jedes Wort verweigerte. Sicher ist, dass Moritz zu seiner Mutter nie ein herzliches Verhältnis hatte. Andererseits nennt Christoph von Karlowitz, der Moritz von Kindheit an kannte, unter den Eigenschaften von Moritz zuerst die Vernunft7, d. h. die Denkfähigkeit, in seinem Briefnachruf. Erst danach werden Geschicklichkeit, Redlichkeit, Mannhaftigkeit und Tapferkeit aufgezählt.


Die Mutter – Herzogin Katharina, Gemälde von Lucas Cranach d. Ä., Öl auf Lindenholz 1514, auf Leinwand übertragen

Es war üblich, mit fünf bis sechs Jahren den Unterricht der fürstlichen Kinder zu beginnen. Friedrich der Weise ließ seinen Neffen Johann Friedrich d. Ä., der für die Nachfolge als Kurfürst vorgesehen ist, in diesem Alter in einer kleinen Gruppe von Georg Spalatin unterrichten. Mutter Katharina, die möglichst viel mit ihren Kindern erreichen wollte, bemerkte wohl das schnelle Begreifen ihres Ältesten früh. Der erste Erzieher („Zuchtmeister“) für Moritz und seinen Bruder Severin ist Balthasar Rische,8 von ihm wird er auch das erste schulische Wissen erhalten haben.

Neben Balthasar Rische werden Christoph Ering, Johann Kriegmann9 und Martin Obendörfer als Lehrer genannt. Sie hatten in Leipzig studiert und ließen sich in Merseburg zum Priester weihen. Leipzig ist in seiner Artisten- und Juristenfakultät schon vor 1500 dem Humanismus offen. Ulrich von Hutten, Hermann von dem Busche, Richard Crocus, Johann Aesticampianus, schließlich Petrus Mosellanus und Dr. Heinrich Stromer aus Auerbach lehrten in Leipzig. Dr. Georg Komerstadt und Christoph von Karlowitz, Dr. Melchior von Ossa, die sich als Humanisten fühlten, studierten hier. Sofort nach der Disputation Luthers versuchten Leipziger Magister ein an Wittenbergs Ordnungen angelehntes Vorlesungsprogramm an der artistischen Fakultät durchzusetzen. Christoph Ering stammt aus einer Leipziger Familie, die schon vor 1524 evangelisch dachte. Bei Herzog Georg war er seit 1516 bis 1525 Hofkaplan. Dieser entließ ihn 1529 als Prediger wegen evangelischer Predigt in Annaberg. Von Kriegmann wissen wir, dass er 1544 evangelischer Domvikar in Meißen, 1549 evangelischer Pfarrer war.

Drei der Erzieher hatten sich zum Priester weihen lassen, deshalb ist nicht mit einer religiös gleichgültigen Bildung zu rechnen. Bestimmt haben aber die Erzieher Moritz einen positiven Gesamteindruck moderner, d. h. humanistischer Bildung gegeben, wenn auch nicht sehr viele ihrer Inhalte vermittelt. Der Humanismus in Mitteldeutschland war anders als in Italien von Erasmus her und noch mehr durch Melanchthon christlich geprägt. Die schulische Erziehung bestand damals zu einem sehr großen Teil aus dem Auswendiglernen und Einprägen bestimmter Stoffe. Aus der Erinnerung an seine Kinderzeit stammt deshalb vermutlich auch die private Äußerung von Moritz gegenüber seiner Frau, dass er so gern schreibe, wie er bete. Beides waren wohl mechanische Lernstoffe des Freiberger Unterrichtes. Moritz ist es immer um das selbstständige Bedenken und Kombinieren und nicht um die reine Wiederholung des Gewohnten gegangen. Er kam für humanistisches Denken aufgeschlossen nach Halle.

Das Reiten und die Jagd wird Moritz in der Freiberger Kindheit an der Seite des Vaters kennen gelernt haben. Die Jagd war für die Fürsten ein wichtiges Vergnügen. Moritz ist gern zur Jagd geritten. Gegenüber seiner Frau muss er sich später heftig verteidigen, dass er lieber bei der Saujagd sei als bei ihr. Er musste nicht wie sein Vetter Kurfürst Johann Friedrich mit einer Leiter aufs Pferd steigen. Als Fürst ist er mehrfach mit geringer Begleitung und in hohem Tempo zu wichtigen Verhandlungen geritten. Zur Verwunderung eines königlichen Gesandten kam er nur mit fünf Pferden im Februar 1552 im Schlosse zu Dresden an, während sonst ein Fürst seines Ranges etwa auf den Reichstag mit 100 Pferden reiste.


Turm von Schloss Freudenstein in Freiberg (vor der Restaurierung)

Der Hof in Freiberg neigte seit der Mitte der zwanziger Jahre dem neuen, evangelischen Glauben zu, denn Herzog Georg verlangte 1529 in seinen Anmerkungen zu einem Ehevertrag für den noch kindlichen Moritz mit Bohunka von Pernstein aus dem böhmischen Hochadel, dass diese nicht in die lutherische Sekte gedrängt werden dürfe.10

Am Renaissancehof in Halle

Halle war durch seine unerschöpfliche Salzsiederei und den um 1530 dahin verlegten Regierungssitz des Erzbischofs wirtschaftlich bedeutender als Wittenberg, Torgau und Dresden. In der reichen Stadt Halle konnten die Bürger sich dreistöckige Häuser in Stein und Fachwerk unter hohen Dächern leisten, die nicht nur einen Giebel, sondern die Traufe zur Straße zeigten. Durch den Kardinal Albrecht aus dem Hause Hohenzollern war Halle ein humanistisches Zentrum, an dem sogar Ulrich von Hutten einige Zeit lebte. Matthias Grünewald stand die letzten Jahre seines Lebens bei dem Kardinal im Dienst. Albrecht war der mächtigste Kirchenfürst im deutschen Reich – als Erzbischof von Mainz und Magdeburg und Bischof von Halberstadt in einer Person.