Hagakure. Die Maximen der Samurai

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Hagakure. Die Maximen der Samurai
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Jōchō Yamamoto

Hagakure

Die Maximen der Samurai

Reclam

2021 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Coverabbildung: unter Verwendung eines Holzschnittes (»Sakai Ukon Masano«) von Utagawa Kuniyoshi (1798–1861)

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2021

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-961880-7

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014165-6

www.reclam.de

Inhalt

  Hagakure Lehrsätze Band 1 Lehrsätze Band 2

  Nachwort

Hagakure

Diese Schrift, die insgesamt aus elf Bänden besteht, wird früher oder später unbedingt verbrannt werden müssen. Denn es handelt sich hierbei um Angelegenheiten wie Kritik an der Politik, Recht und Unrecht unter den Kriegern des Klans, Strömungen in der Welt und der Gesellschaft, oder auch um eigene Gedanken und ähnliche Dinge, die ich, Tashiro Tsuramoto, der Reihe nach so aufschrieb, wie ich sie von meinem ehrenwerten Lehrer Yamamoto Jōchō hörte, der diese Dinge und Angelegenheiten zur eigenen Erbauung in Erinnerung behalten hatte. Sollte jemand dies lesen, würde er ohne Zweifel erzürnen und einen Groll hegen. Darum wurde mir auch von meinem ehrenwerten Lehrer dringend ans Herz gelegt, diese Schrift auf jeden Fall zu verbrennen.

Am 5. Tag des 3. Monats des Jahres 7 der Ära Hōei hatte ich zum ersten Mal die Ehre.

Die Wildkirsche –

Wie viel Meilen weit entfernt

Von der vergänglichen Welt?

Kogan

Die weißen Wolken

Auf ihrer Suche

Nach Blumen.

Kisui

Lehrsätze Band 1
Plauderei in den Schatten des Abends

Als Gefolgsmann des Hauses Nabeshima muss man der Landeskunde, d. h. der Geschichte des Hauses Nabeshima, seinen Traditionen und Gebräuchen, großes Interesse entgegenbringen. Aber in letzter Zeit wird der Landeskunde immer weniger Beachtung geschenkt. Warum sollte man überhaupt Interesse daran haben? Man sollte dies tun, um von der ursprünglichen Entstehung des Klans Kenntnis zu erlangen und zu begreifen, wie durch die Mühen und die Gnade unserer hochverehrten Ahnen der ehrenwerte Klan über viele Jahre gedieh. Durch die große Barmherzigkeit und die Kühnheit von Fürst Tsunatada, durch die Wohltätigkeit und Frömmigkeit von Fürst Risō, sowie durch die Kraft von Fürst Takanobu und Fürst Nippō, die deren Nachfolge antraten, dauert das ehrenwerte Haus Nabeshima bereits über viele Jahre hinweg bis in die heutige Zeit als namhafter Klan ohne seinesgleichen unter dem Himmel an. Die Männer des Klans haben in letzter Zeit selbst diese Umstände schon längst vergessen und vergöttern die Seelen Verstorbener fremder Orte. Aber das ist etwas, was mir unbegreiflich erscheint. Weder Buddha Shakyamuni noch Konfuzius, weder Kusunoki noch Shingen dienten je unserem Haus Nabeshima, und sie passen überhaupt nicht zur Eigenart unseres ehrenwerten Klans.

Sei es zu Friedenszeiten oder während eines Krieges: Solange man die ehrwürdigen Ahnen hochachtet und anbetet, ihre Weisungen in sich aufnimmt und ihnen treu bleibt, reicht das vollkommen aus, unabhängig davon, ob man eine hohe oder niedrige Stellung hat. Was die verschiedenen Wege angeht, gehört es sich, dem Gründer des jeweiligen Hauses Respekt zu zollen, aber als Gefolgsmann des Hauses Nabeshima besteht keine Notwendigkeit, die Angelegenheiten fremder Orte zu studieren. Nur wenn man die Landeskunde des eigenen Hoheitsgebiets begriffen hat, mag es angehen, zum Vergnügen auch andere Dinge zu studieren. Kennt und versteht man die Tradition des Hauses Nabeshima wirklich gut, gibt es nichts, was in irgendeiner Weise unzugänglich wäre. Würde man nun von Männern anderer Häuser nach der Herkunft der Häuser Ryūzōji und Nabeshima gefragt werden, oder nach der Ursache für den Übergang des Herrschaftsgebiets der Ryūzōji auf die Nabeshima; oder sollte man gefragt werden: »Ich habe sagen hören, die Ryūzōji und die Nabeshima seien die kriegerischsten Klans Kyūshūs, aber was für militärische Verdienste und Leistungen haben sie denn aufzuweisen?«, wird man auf diese Fragen nicht einmal mit einem einzigen Wort antworten können, wenn man die eigene Landeskunde nicht kennt.

Nun, darüber hinaus ist es nur nötig, dass ein jeder seine Energie in die Erfüllung seiner Dienstpflicht steckt, alles andere ist völlig unwichtig. Viele Männer erliegen dem Irrtum, dass ihnen ihre Dienstposition nicht gefällt und sie neidisch auf einen anderen Posten sind, und dadurch verbuchen sie fürchterliche Misserfolge. Gute Beispiele für Redlichkeit der eigenen Arbeit gegenüber finden sich in den ehrenwerten Fürsten Nippō und Taisei’in. Auch die Gefolgsleute jener Zeit erfüllten ihre Pflicht erschöpfend. Die Fürsten machten Männer ausfindig, die ihnen zu Diensten sein konnten, während die Gefolgsleute alles versuchten, um ihrerseits von Nutzen zu sein. So befand sich der Wille von Hoch und Tief im Einklang, und der Klan floss von Lebenskraft über.

Die Mühen des ehrwürdigen Fürsten Nippō lassen sich in Worten gar nicht ausdrücken. In erbitterten Kämpfen behauptete er, blutverschmiert und schweißbefleckt, sich und sein Haus mit großem Kriegsglück, obwohl er unter den widrigsten Umständen schon oft den Entschluss gefasst haben soll, seppuku zu begehen. Auch Fürst Taisei’in konnte erst zum Landesfürsten aufsteigen, nachdem er nur knapp der Mühsal entgangen war, seppuku begehen zu müssen. Darüber hinaus bemühte er sich, abgesehen von seiner Arbeit im Krieg, außerordentlich um die Herrschaft über den Klan, den Schutz des Klan-Gebiets und die Politik des Landes und war dabei immer von einer derart tiefen Ehrfurcht vor seinen Ahnen ergriffen, dass er schrieb:

»Wer das Haus, das der ehrenwerte Fürst Nippō ins Leben rief, nicht würdigt, wird vom Himmel bestraft werden. Um jeden Preis muss man dafür sorgen, dass das Haus bis zu unseren Kindern und Kindeskindern in Frieden und Wohlstand gedeiht. In Friedenszeiten wird es in der Welt nach und nach immer prächtiger und die Menschen leben immer extravaganter, während sie die Umstände zu Kriegszeiten völlig vergessen. Dadurch steigen die Ausgaben, und Hoch und Niedrig stürzen in Armut und fallen im In- und Ausland in Schmach und Schande, bis schließlich der Klan zugrunde geht. Die alten Veteranen des Klans sterben langsam aus, während die jungen Männer nur noch die Moden und Strömungen ihrer eigenen Zeit im Auge haben. Wenn man wenigstens die alten Sitten und Gebräuche in einem Buch zusammenfasste, damit sie auch späteren Generationen überliefert würden; und wenn man den jungen Männern bei der Übergabe des Hauses dieses Buch überreichte, würden sie es hoffentlich durchsehen und sich die alten Zeiten in Erinnerung rufen.«

So beliebte er sich auszudrücken, umgab sich in seinen letzten Lebensjahren mit Büchern und brachte seine Gedanken so zu Papier.

Die geheimen Überlieferungen des Hauses sind mir unbekannt, aber nach einer Erzählung alter Veteranen geruhte unser ehrenwerter Fürst hochselbst zur Zeit der Titelübergabe an seinen Nachfolger eine Militärstrategie des sicheren Triumphs namens Kachikuchi in mündlicher Form zu übermitteln. Weiterhin befinden sich solche Werke wie das Shichōkaku chishō und Senkō san’iki unter den Büchern seines Besitzes, die er auch so gnädig war, bei der Übergabe des Klan-Vorstands seinem Nachfolger zu überreichen.

Darüber hinaus hielt er die Strafregeln innerhalb des Klans, die vielen verschiedenen Organisationsstrukturen innerhalb der Domäne, die Dienstpflichten gegenüber dem bakufu sowie die politischen Angelegenheiten des Klans vollständig im Tori-no-ko Gochō fest und führte detailliert die Statuten für die einzelnen Ämter in Denkschriften aus. Diesen Mühen ist es zu verdanken, dass der Klan über viele Jahre hinweg gedieh, was im höchsten Maße zu beglückwünschen ist.

Wenn es mir auch nicht zusteht, das zu sagen, so möchte ich unserem gegenwärtigen Fürsten doch sehr ans Herz legen, über die Mühseligkeiten seiner ehrenwerten Vorfahren Nippō und Taisei’in nachzudenken und zumindest die ihm anvertrauten Bücher sorgfältig zu studieren und sie fest in seinem Herzen zu bewahren. Weil ihn die Gefolgsleute des Klans seit seiner Geburt als »junger Fürst, junger Fürst« verhätschelten, musste er sich nie Mühe geben, kennt sich mit der Landeskunde nicht aus, ist ausgesprochen eigensinnig und macht nur das, was er will. Darunter beliebt seine Arbeit als Landesfürst zu leiden, und weil es in den letzten Jahren auch viele neuzeitliche Exzentrizitäten gibt, hat auch die Klan-Politik angefangen, an Kraft zu verlieren.

Zu solchen Zeiten treten pfiffige Leutchen in Erscheinung, die von dem tiefgründigen Sinn der Welt keine Ahnung haben, aber trotzdem mit ihrem seichten Wissen angeben, Männer, die sich immer neue Sachen ausdenken und dadurch beim Fürsten Anklang finden, die sich wichtig machen und tun und lassen, was sie wollen, und dadurch alles ins Chaos stürzen. Um ein paar Beispiele anzuführen: Die Zwietracht unter den drei Zweigfamilien, die das Fürstenhaus unterstützen; die Einführung des neuen Rangs chakuza in der Klan-Hierarchie; die Indienststellung von »Ausländern«, d. h. Männern aus anderen Domänen; die Ernennung des Rangs der teakiyari zu monogashira, also zu Truppführern von Fußsoldaten, und die daraus folgende Störung und Unordnung der Hierarchie sowie der militärischen Struktur; der Umzug in ein neues fürstliches Anwesen; die Einsetzung eines karō, eines Klan-Ältesten, aus den Rängen der shinrui dōkaku; der Abbruch des konfuzianischen Tempels Kōyōken; die Revision der Klan-Statuten; die Rangeinteilung der buddhistischen Tempel; die Errichtung der westlichen Fürstenvilla und ihr späterer Abbruch; die Umstrukturierung der ashigaru-Truppen; die Veräußerung des fürstlichen Hausrats; usw., usw. Dabei handelt es sich bei allem um Fehler, die man zur Übergabe des Fürstentitels beging, nur weil man etwas Neumodisches verfolgte. Nur deshalb, weil die Verfahren und Prozeduren der fürstlichen Vorfahren solide und zuverlässig sind, kommt die Basis der Domäne kein bisschen in Aufruhr, so dass es, auch dann, wenn die Politik ein wenig fehlgeleitet ist, im Klan zu keinen Störungen und alles zuverlässig zur Ruhe kommt, solange Hoch und Niedrig nur den Weisungen der ehrenwerten Fürsten Nippō und Taisei’in folgen.

 

Davon einmal abgesehen: Die Tatsache, dass es unter den Generationen unserer ehrenwerten Fürsten keinen Herrn gab, von dem gesagt wird, dass er gewalttätig oder töricht war, und dass es auch nicht einen gab, der selbst im Vergleich zu allen Fürsten Japans weiter als an zweiter oder dritter Stelle hintanstehen würde, zeigt, dass es sich um ein wirklich vortreffliches Haus handelt. Und das ist ohne Zweifel der tiefen Frömmigkeit der ehrenwerten fürstlichen Vorfahren zu verdanken. Auch kommt es nicht vor, dass Bewohner dieses Landes in andere Herrschaftsgebiete vertrieben werden, und es kommt nur selten vor, dass Leute aus anderen Domänen in Dienst gestellt werden. Und sowohl den Kriegern, denen der Befehl gegeben wurde, ihren Dienst zu quittieren und rōnin zu werden, als sogar auch den Kindern und Kindeskindern der Krieger, denen befohlen wurde, seppuku zu begehen, ist es gnädigerweise gestattet, in unserer Domäne wohnen zu bleiben. Und gerade eben dieses glückliche Schicksal, das uns so unverhofft in einem solch gnädigen Haus von derart tiefem Treuebündnis hat zur Welt kommen lassen, und das Ausmaß, wie tief wir alle, von den Gefolgsleuten bis zu den Bauern und Bürgern, über viele Generationen hinweg für all die fürstlichen Segnungen und Wohltaten in dessen Schuld stehen, lässt sich nur schwer in Worte fassen.

Über diese Umstände gut nachzudenken und seinen Entschluss zu festigen, diese Gnade unbedingt zu vergelten; und, wenn man in unmittelbarem Dienst zum Fürsten steht, sich natürlich vollkommen uneigennützig seinem Dienst zu widmen; oder, wenn man den Befehl erhalten hat, rōnin zu werden bzw. seppuku zu begehen, das auch als einen Dienst am Fürsten zu betrachten; wenn man versteckt irgendwo tief in den Bergen wohnt, oder selbst, nachdem man schon gestorben ist, fortwährend den Wunsch nach dem Frieden des Hauses im Herzen zu bewahren: gerade das ist das ursprüngliche Anliegen eines Nabeshima-Samurai und das Mark seiner Knochen.

Mir, Jōchō, als buddhistischem Mönch mag es nicht anstehen, das zu sagen, aber ich hatte nie das Verlangen, als Buddha in den ewigen Frieden einzugehen, sondern habe mir in die Tiefen meines Herzens die Entschlossenheit eingraviert, bis zu sieben Mal als Nabeshima-Samurai wiedergeboren zu werden und dem Land Frieden zu bringen.

Man braucht weder Genie noch Talent. Um es in einem Wort auszudrücken, reicht die feste Entschlossenheit völlig aus, das Haus ganz allein auf dem Rücken tragen zu wollen. Wer sollte einem schon überlegen und wem sollte man unterlegen sein, solange es sich nur um einen Menschen handelt?

Im Grunde genommen kann man die persönliche Schulung zu einem ausgereiften Menschen auch nicht ohne große Anmaßung und Arroganz durchführen. Solange man nicht lauthals mit der Absicht antritt, den Klan ganz allein in Bewegung zu bringen, wird man es auch nicht zuwege bringen. Das ist dann allerdings wie ein Wasserkessel, der schnell heiß wird, aber sich genauso schnell wieder abkühlt. Aber da gibt es eine Methode, nicht abzukühlen, nämlich ein Gelübde nach eigenem Stil.

 1. Was Bushidō, den Weg des Kriegers, angeht, niemandem nachzustehen.

 2. Dem Lehnsfürsten zu Diensten zu stehen.

 3. Den Eltern gehorsam zu sein.

 4. Ein Herz von großer Barmherzigkeit und Anteilnahme zu fassen und zum Wohle der Menschen zu wirken.

Wenn man diese vier Gelübde jeden Morgen vor den Göttern und Buddhas intoniert, verdoppelt sich die eigene Kraft und Entschlossenheit und geht nicht mehr zurück. Mit der Geschwindigkeit einer Spannerraupe wird das schrittweise, langsam aber sicher ins Herz eindringen. Auch den Göttern und den Buddhas gegenüber bedarf es erst einmal eines solchen Gelöbnisses.

Notizen Nr. I

I-1. Dass jemand, der ein Krieger ist, es sich um den budō, den militärischen Weg, angelegen sein lässt, ist selbstverständlich und ganz und gar keine Seltenheit. Aber es scheint, dass viele dieser Männer nachlässig sind, oder nicht wirklich zu begreifen scheinen, worum es eigentlich geht. Der Grund, warum ich das sage, besteht darin, dass es nur wenige Leute gibt, die sofort antworten können, wenn man sie fragt: »Was, glauben Sie, ist die Grundlage des budō?« Das liegt daran, dass sie es nicht alltäglich klar und fest in ihrem Herzen verankert haben. Und gerade das ist der Beweis dafür, dass sie sich nicht wirklich um den militärischen Weg bemühen, was eine Nachlässigkeit ohnegleichen bedeutet.

I-2. Mir ist klar geworden, dass der bushidō, der Weg des Kriegers, seine Erfüllung im Sterben findet. Wenn es um eine Entscheidung auf Leben und Tod geht, braucht man nur den Tod zu wählen, braucht man nur zu sterben. Man braucht nicht darüber nachzudenken. Fasse einen Entschluss und stoße vor! Der Einwand, zu sterben, ohne sein Ziel zu erreichen, sei ein wertloser Tod wie der eines Hundes, ist ein verweichlichter und frivoler bushidō, wie er in Ōsaka vorherrscht. Kann man in einer verzweifelten Lage, in der es um Leben und Tod geht, beurteilen, ob man erfolgreich sein kann oder nicht?

Uns Menschen liegt unser Leben am Herzen. Darum argumentieren wir für das, was uns lieb ist. Überlebt man allerdings nur, ohne sein Ziel erreicht zu haben, ist man eine Memme. Diese Trennungslinie ist riskant. Zu sterben, ohne sein Ziel erreicht zu haben, ist ein wertloser Tod und völliger Wahnsinn. Aber ein solcher Tod bringt keine Schande. Das ist die Lebensweise eines Mannes, der nach dem Weg des Kriegers lebt.

Wenn man jeden Morgen und jeden Abend ruhig und entspannt an den Tod denkt, über ihn nachsinnt und sich so stets in einem Zustand befindet, in dem man praktisch schon ein Leichnam ist, verinnerlicht man die Entschlossenheit des bushidō und wird ein Leben lang seine Pflicht als Krieger erfüllen können, ohne einen Fehler zu begehen.

I-3. Für einen Krieger reicht es vollkommen aus, von ganzem Herzen seinen Lehnsherrn in Ehren zu halten. Ein solcher Mann ist ein Vasall von höchster Güte. Man denke nur darüber nach, welch tiefen Dank man den Generationen seiner Vorfahren dafür schuldet, dass man in den über Generationen hinweg ruhmreichen Nabeshima-Klan geboren wurde. Man braucht nur sein Leben einzusetzen und von ganzem Herzen an seinen Lehnsherrn zu denken. Wenn man darüber hinaus noch über Weisheit und Talent verfügt und diese angemessen zu Nutzen bringt, ist das auch gut. Aber selbst ein tolpatschiger und nutzloser Mann ist ein verlässlicher Gefolgsmann, solange er nur von ganzem Herzen seinen Lehnsherrn in Ehren hält. Solchen Männern können die, die nur mit ihrer Weisheit und ihren Talenten dienen, nicht das Wasser reichen.

I-4. Es gibt Männer mit dem angeborenen Talent, augenblicklich mit einem guten Ratschlag aufwarten zu können. Und es gibt Männer, denen erst im Nachhinein ein guter Ratschlag einfällt, nachdem sie sich den Kopf zerbrochen haben, als hätten sie ein Kissen ausgewrungen. Wenn man über das Wesen dieses Sachverhalts nachdenkt, so mag es zwar angeborene Überlegenheit und Minderwertigkeit geben, aber um das zu überwinden, braucht man nur auf der Basis der vier Gelübde seine Eigensucht abzuwerfen und kommt beim Nachdenken auf hervorragende Gedanken und Ideen. Viele Menschen glauben, dass, wenn man nur tief genug nachdenke, man auf ausgezeichnete Pläne komme, aber eigennützige Pläne bedeuten nichts anderes als Verschlagenheit. Für den gewöhnlichen Alltagsmenschen ist es schwierig, seinen Eigennutz abzuwerfen. Aber solange man nur den Willen dazu aufbringt, erst einmal die vier Gelübde im Herzen wiederholt, und sich dann etwas einfallen lässt, um seine Eigennützigkeit abzuwerfen, dann wird man keine allzu großen Fehler machen.

I-5. Wer alle Dinge allein mit dem eigenen Verstand zu ermessen versucht, versteigt sich leicht in Eigennutz, weicht vom rechten Weg ab und schlägt fehl. Auch in den Augen anderer Menschen haben solche Urteile, die nur auf dem Ermessen einer einzelnen Person beruhen, keine Überzeugungskraft, erscheinen selbstsüchtig und haben keine Aussicht, Wirksamkeit zu entfalten. Zu Zeiten, in denen einem kein rechtes Urteil in den Sinn kommt, sollte man sich mit jemandem beraten, der über Weisheit und Einsicht verfügt. Weil es sich nicht um seine eigene Sache handelt, wird er ein unparteiisches Urteil fällen, denn er wird von einem objektiven Standpunkt aus denken. Folgt man diesem Urteil, erscheint das auch in den Augen anderer als zweifelsfrei wahr.

Ein Urteil aufgrund der Einbeziehung vieler Ratschläge ist zum Beispiel wie ein großer Baum, der viele Wurzeln geschlagen hat. Eine Entscheidung aufgrund der Findigkeit eines Einzelnen ist wie ein Holzstock, den man gerade erst in den Boden gesteckt hat.

I-6. Die »Goldenen Worte« der Altvorderen und die Geschichten ihrer Leistungen hört man sich auch an, um nicht in Eigennutz zu verfallen. Solange man seine eigene Engstirnigkeit abwirft und die vortrefflichen Weisheiten der Altvorderen berücksichtigt, wird man in seinem Benehmen und Verhalten keine Fehler begehen, vorausgesetzt, dass man sich nur mit anderen unterredet. Dass Fürst Katsushige auf die Weisheit seines ehrenwerten Vaters Fürst Naoshige zurückgriff, steht auch in der Schrift Ohanashi kikigaki. Was für ein vortreffliches Ermessen!

Derselbige machte auch seine jüngeren Brüder zu Gefolgsleuten und nahm sie immer zum Dienst nach Edo oder Ōsaka und Kyōto mit. Und weil er sich sowohl über private als auch über dienstliche Dinge mit seinen Brüdern beriet, bevor er eine Sache entschied, beging er auch keine Fehler, so wird gesagt.

I-7. Sagara Kyūma war ein Krieger, der sein Herz und seine Seele mit seinem Lehnsherrn verknüpfte, als sei er eines Herzens und eines Leibes mit ihm, und der ihm diente, als sei er bereits eines toten Leibes. Man muss ihn einen Krieger nennen, der es mit tausend Gegnern aufnehmen konnte. In einem Jahr allerdings fand im Mizugae-Anwesen von Herrn Sakyō eine große Beratung statt, in der Kyūmas seppuku beschlossen wurde. Zu jener Zeit gab es bei der Vorstadtvilla von Herrn Taku Nui in Ōsaki ein dreistöckiges Teehaus. Kyūma hatte das Teehaus gemietet, die Nichtsnutze von Saga dort versammelt, Puppenspieler gerufen und sogar selbst eine Puppe gespielt. So hatte er mehrere Tage und Nächte Trinkgelage veranstaltet und die Zeit in einer wüsten Orgie zugebracht. Weil man von dem Teehaus auf die Villa von Herrn Sakyō herunterblicken kann, stellt das eine famose Unehrerbietigkeit dar. Kyūma hatte das allerdings mit Absicht so gemacht. Um von dem Unrecht seines Lehnsherrn abzulenken, der einem verdienten Gefolgsmann befohlen hatte, seppuku zu begehen, beging er selbst ein Vergehen mit der vollen Bereitschaft, dafür seinen eigenen Bauch aufzuschneiden. Ist das nicht ein bewundernswerter Krieger?

I-8. Nach einer Erzählung von Ittei: »Sagara Kyūma war ein Mann, der auf Geheiß des ehrenwerten Fürsten Taisei’in Fürst Mitsushige diente. Er war ein Mann von solch außergewöhnlicher Begabung, dass ihm sogar jedes Jahr zum Jahresende das Aufsetzen der fürstlichen Neujahrsbittschriften an die Götter überlassen wurde. So wird die Bittschrift des Jahres vor seinem Tod jetzt bestimmt in der fürstlichen Schatzkammer bewahrt.

Selbst an diesem Kyūma verbleibt letzten Endes eine gewisse Unzufriedenheit. Er hätte vor seinem Tode eigentlich sagen sollen: ›Während ich große Gunsterweisungen erhielt, die ich überhaupt nicht verdiente, gelang es mir nicht, diese Gnade wiedergutzumachen. Weil mein Sohn Sukejirō noch zu jung ist und seine Anlagen und Talente noch nicht abzusehen sind, gebe ich mein Lehen ehrerbietig zurück. Sollte ein Nachfolger eingesetzt werden, der den Familiennamen weiterführt, bitte ich darum, Sukejirō ein Lehen entsprechend seinen Talenten und Befähigungen zu verleihen.‹ Aber Kyūma ließ nichts dergleichen verlauten. Es besteht kein Grund dazu, zu glauben, dass ein Mann von Kyūmas Format sich nicht dessen bewusst war, sich derart ausdrücken zu müssen. Man könnte fast annehmen, er habe das unter einem kränklichen Leiden vergessen.

 

Bedauernswerterweise wird das Haus Sagara in den nächsten drei Jahren wahrscheinlich zugrunde gehen. Für Sukejirō bedeutete die Gnade, den Namen und damit das Amt seines Vaters weiterführen zu dürfen, eine zu große Last.

Oder auch der gewisse Herr Soundso ist zwar sehr aufmerksam, aber er ist ein Gefolgsmann, dem man nicht einen Hauch davon ansehen kann, dass er charakterlich wächst. In den nächsten vier, fünf Jahren wird auch diese Person wohl ihr Schicksal finden.«

So sprach der ehrenwerte Lehrer Ittei, und alles traf genau so ein. Er war wirklich eine mysteriöse Person, die in die Zukunft sehen konnte. Seitdem versuche auch ich, auf die Geschehnisse in der Domäne achtzugeben, und kann ungefähr einschätzen, wie viele Jahre lang sich ein Gefolgsmann, der zwar Talent, aber nicht die richtige Entschlossenheit besitzt, noch halten kann.

Was den nun lehenslosen Sukejirō angeht: Eines Tages hing am Tor des Großinspektors Yamamoto Gorōzaemon eine Notiz, dass Kyūma Sukejirō Unrecht an Bauern begangen hätte. Als man dementsprechend Nachforschungen unternahm, stellte sich tatsächlich heraus, dass es Unregelmäßigkeiten gegeben hatte. Daraufhin wurden mehrere Gefolgsleute für ihre Vergehen bestraft, und Kyūma Sukejirō wurde befohlen, sein Lehen abzugeben.

I-9. Solange es Gefolgsleute gibt, die unserem Lehnsherrn Folge leisten, ihm die Entscheidung über Gut und Böse überlassen und ihm mit ihrem Leben dienen, braucht man sich über die Zukunft unseres Klans keine Sorgen zu machen. Wenn es zwei oder drei solcher Gefolgsleute gibt, fließt der Klan von Lebenskraft über.

Beobachtet man eine geraume Weile die Welt, erkennt man, dass, solange sich Seine Hoheit der Fürst bei guter Gesundheit befindet, es viele selbstgefällige Männer gibt, die mit ihrer Gescheitheit, ihrer Vernunft oder ihrer Kunstfertigkeit ausgelassen in der Gegend herumhüpfen, angeblich, um unserem Fürsten von Diensten zu sein. Sobald aber Seine Hoheit in den Ruhestand oder gar von uns geht, gibt es viele Männer, die ihm in genau dem Augenblick den Rücken zukehren und versuchen, sich in die Gunst der neuen Machthaber einzuschmeicheln. Ich beobachtete schon einige solcher Personen. Mich daran zu erinnern erregt Ekel in mir.

Männer von großem Wuchs oder von kleinem Wuchs, gescheite oder kunstfertige Männer, sie alle machen ein Gesicht, als ob gerade sie Seiner Hoheit von Diensten sein könnten, aber wenn es dazu kommt, für den Fürsten sein Leben geben zu müssen, kriegen sie es alle mit der Angst zu tun. Ihnen fehlt jedwede Frische und Erquicklichkeit.

Daneben kommt es vor, dass ein Mann, der normalerweise aussieht, als sei er von keinerlei Nutzen, sich in einem kritischen Augenblick als ein heldenhafter Krieger entpuppt, der es allein mit tausend Gegnern aufzunehmen vermag. Das liegt daran, dass er bereits im Voraus bereit war, seinem Fürsten mit seinem Leben zu dienen, und sich in einem Geisteszustand befand, in dem er eines Herzens und eines Leibes mit seinem Herrn war.

Ein derartiges Beispiel gab es beim ehrwürdigen Ableben des Fürsten Mitsushige. Die profilierten Persönlichkeiten, die tagtäglich prächtig das Maul aufgerissen und sich in die Brust werfend das große Wort geführt hatten, kehrten Seiner Hoheit gleichzeitig mit seinem Ableben den Rücken. Es mag zwar Männer geben, die glauben, ein Lehensabkommen oder die Pflichttreue wichtig zu nehmen sei ein Vorsatz aus ferner Vergangenheit, aber in Wirklichkeit ist das sehr naheliegend und einfach. Sollte man jetzt in diesem Augenblick den Entschluss fassen, für Seine Hoheit zu sterben, wird dadurch ein Gefolgsmann geboren, auf den man sich erfreulicherweise verlassen kann.

I-10. Was den fürstlichen Hausrat und die fürstlichen Utensilien angeht, die Seine Hoheit zu benutzen beliebte, ist man unwürdig, sie im eigenen Haus zu benutzen, selbst wenn es sich um Dinge handelt, die vom fürstlichen Haushalt veräußert wurden.

I-11. Yamazaki Kurando nahm solche veräußerten Utensilien des fürstlichen Haushalts sein Leben lang nicht in die Hand. Auch betrat er nie das Haus eines normalen Bürgers. Das ist die wahre Herzenshaltung eines Lehnsmannes, und man wünscht sich, genauso zu sein.

Auch Ishii Kurō’emon verwendete solche fürstlichen Utensilien nicht. Die Krieger jüngster Zeit verlangt es derart nach solchen veräußerten Waren des fürstlichen Haushalts, dass jeder der Erste sein will, sie zu kaufen. Dafür dringen sie aggressiv und ungebeten in bürgerliche Häuser ein, lassen sich bewirten und es sich ein Vergnügen sein, zu ihrem Kauf in Geschäftshäuser zu gehen. Ich halte das für einen ganz und gar unsittlichen Lebenswandel und glaube, dass das der Bestimmung eines Samurai widerspricht.

I-12. Vor dem Ableben unseres Fürsten Mitsushige befand ich mich auf Dienst in Kyōto, als mich unversehens der nachdrückliche Gedanke überkam, sofort nach Saga zurückkehren zu wollen. Daraufhin wandte ich mich an Herrn Kawamura und erhielt so den Auftrag, als Kurier Fürst Mitsushige die Reste des Kokin denju zu überbringen. Ich eilte Tag und Nacht ohne Pause nach Saga und erreichte unseren Fürsten mit Müh und Not noch rechtzeitig vor seiner Todesstunde.

Dies passierte seltsamerweise zu einer Zeit, als man in Kyōto noch nichts von der Verschlechterung des Krankheitszustandes unseres Fürsten Mitsushige wusste. Von jungen Jahren an war ich fest davon überzeugt, eben ein wahrer Lehnsmann unseres Fürsten zu sein. Darum glaube ich, dass es sich um eine Eingebung der Götter und Buddhas gehandelt haben muss, von denen meine innigste Überzeugung erhört worden war. Weder habe ich ins Auge stechende Dienste erwiesen noch verfüge ich über irgendwelche Tugenden, aber schon vor langer Zeit habe ich den Entschluss gefasst, bei einem schwerwiegenden Ereignis auch ganz allein Seiner Hoheit das Geleit in den Tod zu geben und den Namen und die Ehre unseres Fürsten keinesfalls zu beschmutzen. Ist es nicht unendlich trostlos, wenn zum Ableben eines Fürsten niemand ihm das Geleit gibt?

Zu dem Zeitpunkt durchschaute ich die Herzen der Menschen. Es gibt niemanden, der für seinen Lehnsfürsten seinen eigenen Leib abwirft. Wenn man bloß sein Leben aufgeben würde, wäre es damit schon genug. Es gibt zu viele Männer, die weder Willenskraft noch Stolz besitzen, feige und habgierig sind und nur an sich selbst denken. Bis heute empfinde ich das als empörend, und mein Unbehagen darüber will nicht verlöschen.

I-13. Ungefähre Richtlinien, wie man etwas aussondern soll, wenn der Befehl erteilt wurde, Dinge zurückzugeben bzw. sie zu verbrennen oder wegzuwerfen:

(Mündliche Mitteilung)

Betreffs der Dinge, die aufgrund der Veränderung des politischen Milieus nicht mehr zur Arbeit des betreffenden Beamten gehören.

Betreffs der Dinge, bei denen es nichts ausmacht, ob sie vorhanden sind oder nicht.

Betreffs der Dinge, welche man mit einem Schloss versehen, versiegeln, sich von einem Beamten des Ranges toshiyori abstempeln lassen und so übergeben sollte.

Betreffs der Dinge, durch die man einem Verdacht ausgesetzt werden könnte.

Betreffs der Dinge, bei denen man von zwei Vorgesetzten zurückgehalten wurde.

Betreffs der Dinge, nach denen man sich Stück für Stück bei einer einzelnen Person erkundigte und das Einverständnis erhielt.

Betreffs der Dinge, die man mit dem Inventar verglich und aussortierte.

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