Hagakure. Die Maximen der Samurai

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I-14. Jemanden zu ermahnen und ihn seine Schwächen korrigieren zu lassen ist äußerst wichtig. Es ist ein Ausdruck von großer Barmherzigkeit und Gnade und das erste Grundprinzip des Lehnsdienstes. Allerdings ist die Art und Weise, wie man jemanden ermahnen sollte, zum Verzweifeln schwierig. Die Tugenden und Laster anderer Männer herauszufinden ist einfach. Sie zu kritisieren ist auch einfach. Die meisten Männer glauben, dass es ein Zeichen von Freundlichkeit sei, jemandem etwas, was man nicht leiden kann, oder etwas Unangenehmes zu sagen, und behaupten, derjenige sei unverbesserlich, wenn er das Gesagte nicht akzeptiere. Aber das ist von keinem Vorteil und macht denjenigen nur lächerlich und bringt ihm Schande. Das ist das Gleiche, als wenn man ihn beschimpfen oder verleumden würde, und bedeutet nichts anderes, als seinen eigenen Unmut an anderen auszulassen.

Um jemand anderen zu ermahnen, muss man erst einschätzen, ob derjenige die Ermahnung wohl akzeptieren wird oder nicht. Zuerst muss man sich mit ihm vertraut machen und Verhältnisse herstellen, in denen den eigenen Worten Vertrauen entgegengebracht wird. Mit Gesprächen über Privatinteressen zieht man dessen Herz an sich. Man gibt sich Mühe, die richtigen Worte zu finden, und wählt den rechten Zeitpunkt aus. Und dann, manchmal mit einem Brief, manchmal in einem Gespräch, zum Beispiel wenn man sich eine Weile trennen muss, lässt man ihn die eigenen Schwächen oder eigene Misserfolge hören. Solches auf diese Weise zu tun, ohne ihn direkt zu ermahnen, und ihn wie beiläufig von selbst auf den Gedanken kommen zu lassen ist am besten. Ferner, die Stärken des Gegenübers zu loben, sich zu überlegen, wie man seine Stimmung bessern könnte, und ihn die Ratschläge so annehmen und ihn seine Schwächen so korrigieren zu lassen, als ob er Wasser trinken würde, wenn er durstig ist: Das bedeutet es, jemanden wahrlich zu ermahnen.

Jemanden so zu ermahnen ist äußerst schwierig und kein leichtes Unterfangen. Weil Schwächen und Mängel in langen Jahren bis in die Knochen gedrungen sind, lassen sie sich nicht so einfach korrigieren. Ich selbst habe da auch kein reines Gewissen. Aber es gehört nicht nur zu den Verpflichtungen eines Gefolgsmannes, seinem Lehnsherrn zu dienen, indem man mit seinen Kameraden und Kollegen vertraut werde, sich gegenseitig Schwächen korrigiere und so eines Herzens werde, sondern es handelt sich dabei auch um große Barmherzigkeit und Gnade. Wie kann man die Schwächen von jemandem korrigieren, indem man ihn nur böswillig beschämt?

I-15. Meinung einer gewissen Person gegenüber:

(mündliche Mitteilung)

Betreffs der Angelegenheit, dass ein rōnin, ein Krieger ohne Lehen und Amtsposten, einen Groll darüber hege, dass er seines Lehens enthoben wurde. Weil ein gewisser Mann inständig seine Vergehen und Mängel bereute, nachdem er sein Lehen verloren hatte, lehnte er es beim ersten Mal ab, als man ihm nach fünf, sechs Jahren erlaubte, in den Lehnsdienst zurückzukehren. Beim zweiten Mal nahm er an und leistete den Lehnsschwur. Hätte er nun beim ersten Mal, als er ablehnte, gesagt, er kehre nie wieder in den Dienst zurück, oder wäre er Mönch geworden und hätte so abgelehnt, hätte man das wirklich vortrefflich nennen können. Gleichermaßen darf man nicht erlauben, dass ein herrenloser Krieger in den Dienst zurückkehrt, solange er nicht so wie hier seine Mängel eingesehen hat.

Wer immer weiter seinen Ärger in sich hineinfrisst, weil er meint, dass Seine Hoheit hassenswert sei oder kein Mitleid habe, den wird erst recht die Strafe des Himmels treffen. Ein gewisser Herr soll, als er zum rōnin gemacht wurde, gesagt haben, dass ihn die gerechte Strafe ereilt habe. Einen solchen Mann wird man nicht aus den Augen verlieren. Daran zurückzudenken, dass die Schuld bei niemand anderem liegt als bei einem selbst, und sein Leben in Demut zu verbringen ist wirklich das Beste. Wenn man so handelt, wird auch die Rückkehr in den Dienst nicht lange auf sich warten lassen.

I-16. Als ich Sawabe Hirazaemon bei seinem seppuku sekundiert hatte, schickte mir Nakano Kazuma aus Edo einen etwas hochtrabenden Brief, in dem er mich pries, ich hätte die Ehre des Klans hochgehalten. Zu jener Zeit hatte ich das Gefühl, dass das etwas übertrieben sei, bloß weil ich bei einem seppuku sekundiert hatte. Später allerdings, nachdem ich gut darüber nachgedacht hatte, verstand ich, dass es sich bei dem Brief um die routinierte Tat eines Veteranen handelte. Zweifellos tat er das, um einen jungen Mann, nachdem er eine Aufgabe, selbst nur eine Kleinigkeit, wie ein echter Krieger ausgeführt hatte, zu loben, seine Stimmung aufzumuntern und ihn dazu anzuhalten, mutig und stolz so weiterzumachen. Von Nakano Shōgen erreichte mich auch sofort ein lobendes Schreiben. Beide Briefe habe ich immer noch in Verwahrung. Von Yamamoto Gorōzaemon bekam ich zur Belohnung einen Sattel und eine Rüstung überreicht.

I-17. In Gesellschaft zu gähnen bedeutet das Höchste an schlechten Manieren. Droht, ohne dass man das will, ein Gähnen auszubrechen, kann man es unterdrücken, indem man sich mit der Hand über die Stirn fährt. Oder man leckt sich, ohne den Mund zu öffnen, mit der Zunge über die Lippen, man versteckt das Gähnen hinter dem Aufschlag seines Kimono oder legt sich die Hand auf den Mund. Die Hauptsache ist, man lässt sich nichts anmerken. Mit dem Niesen ist es genauso. Was für ein dummes Gesicht man beim Niesen macht! Auch betreffs anderer Dinge sollte man es sich angelegen sein lassen, Anstand und gutes Benehmen an den Tag zu legen.

I-18. Alle Angelegenheiten des nächsten Tages sollte man immer am Abend vorher durchdenken und sich Notizen machen. Das macht man mit der Absicht, schneller als andere agieren und reagieren zu können. Hat man im Voraus eine Verabredung und muss irgendwohin ausgehen, sollte man nicht nur bereits am Vorabend alles über die andere Partei herausgefunden, sondern auch von den passenden Grußworten bis zu den Umständen des Treffens über alles nachgedacht haben.

Das Folgende sind die Worte meines ehrenwerten Lehrers Jōchō, als ich ihn einmal zum Haus eines gewissen Herrn begleitet habe: »Wenn man als Gast irgendwohin geht, sollte man gut über den Gastgeber nachdenken. Das ist der Weg der Eintracht und des guten Benehmens. Wurde man überdies von einer höhergestellten Persönlichkeit eingeladen, darf man auf keinen Fall gehen, ohne die rechte Lust an den Tag zu legen. Sonst wird das Treffen nicht entspannt verlaufen, wenn man sich begegnet. Darum ist es besser, sich selbst mit Nachdruck einzureden, was für eine dankbare Gelegenheit das sei und dass es bestimmt auch nützliche oder interessante Geschichten zu hören geben werde. Aber im Großen und Ganzen ist es besser, nicht ohne Einladung irgendwohin zu gehen, außer dann, wenn es sich um eine wichtige Angelegenheit handelt. Wurde man eingeladen, ist man ein schlechter Gast, wenn man nicht den Eindruck vermitteln kann, ein sehr angenehmer Gast zu sein. In jedem Fall ist es wichtig, im Voraus darüber nachzudenken, wie man die Zusammenkunft gestalten möchte. Das trifft besonders bei Banketten zu, wenn Alkohol im Spiel ist.

Zum Beispiel ist es schwierig, den richtigen Augenblick abzupassen, aufzustehen und sich zu verabschieden. Man sollte sich bemühen, nicht zu früh zu gehen, noch bevor man die Lust verloren hat. Auch sollte man sich gut überlegen, zu bescheiden zu sein und angebotenes Essen abzulehnen. Das gilt auch für das tägliche Leben. Wird einem immer noch etwas angeboten, auch nachdem man ein-, zweimal abgelehnt hat, mag es in Ordnung gehen, die Einladung zum Essen anzunehmen. Die gleiche Einstellung gilt auch, wenn man beim allzu plötzlichen Abschiednehmen zurückgehalten wird.«

I-19. Wie man die vier Gelübde pflegen kann: Was den Weg des Kriegers angeht, darf man hinter niemandem zurückstehen. Das bedeutet, den Entschluss zu fassen, der Welt seine Kühnheit zu beweisen. (Detaillierter im Gukenshū.)

Dass man seinem Lehnsfürsten zu Diensten sein soll, bedeutet, zum Klan-Ältesten zu avancieren und Seine Hoheit dabei zu unterstützen, das Land zu regieren.

(Detaillierter im Gukenshū.)

Dass man den eigenen Eltern gegenüber ehrerbietig sein soll, bedeutet, dass die kindliche Pietät den Eltern gegenüber der Loyalität gegenüber dem Lehnsherrn gleichkommt. Pietät und Loyalität sind ein und dasselbe. Wenn man loyal ist, ist man seinen Eltern gegenüber ehrerbietig.

Dass man große Barmherzigkeit zeigen und für die Menschen handeln soll, bedeutet, alle möglichen Männer zu Menschen zu erziehen, die unserem Lehnsherrn von Nutzen sein können.

I-20. Dies ist eine Angelegenheit, als ich betreffs der notwendigen Utensilien für eine Hochzeit allerlei nachforschte: Ein gewisser Herr sagte: »In dieser Liste sind koto und shamisen nicht aufgeführt, aber die sollten schon vorhanden sein, nicht wahr?« Daraufhin erwiderte eine gewisse Person mit grober Stimme: »Koto und shamisen sind unnötig!« Das sagte er absichtlich so, um es die Leute in der Umgebung hören zu lassen. Am nächsten Tag sagte dann diese gewisse Person aber: »Am Ende ist es doch komisch, wenn keine koto und shamisen vorhanden sind. Trag jeweils zwei Instrumente von feinster Qualität in die Liste ein.« So ist es mir von jemandem erzählt worden.

Dieser Jemand sagte dann: »Na, wenn das kein großartiger Mann ist!« Daraufhin erwiderte ich ihm: »Nein, nein, das ist keine gute Einstellung. Das war nur ein Vorwand, um seine eigene Autorität als Fachmann zu untermauern. Überhaupt kommt das bei Ausländern häufig vor. In erster Linie ist das gegenüber einer höhergestellten Person unhöflich und beleidigend. Außerdem trägt das nicht zum Nutzen des Hauses bei. Ein Mensch mit Vernunft und Verstand wird, auch wenn es sich wirklich um unnötige Dinge handeln sollte, so etwas sagen wie: ›Sie haben natürlich vollkommen recht, lassen Sie uns aber bitte später darüber nachdenken‹, und auf diese Weise versuchen, sein Gegenüber nicht der Scham auszusetzen und ihn angemessen zu behandeln. Das bedeutet es, ein Samurai zu sein. Und nicht nur das: Waren das letztlich nicht doch nötige Utensilien? Obwohl man sie am nächsten Tag hinzufügen musste, setzte er da erst einmal eine höhergestellte Person der Scham aus. So jemand taugt zu gar nichts, ist leichtsinnig und von schmutzigem Charakter.«

 

I-21. In der militärischen Strategie ist die Rede über Begriffe wie kaku-no shi, Krieger mit der rechten Bereitschaft, und fukaku-no shi, Krieger mit mangelnder Bereitschaft: Bei einem kaku-no shi handelt es sich nicht nur um jemanden, der vielen Situationen ausgesetzt war und so viele Erfahrungen sammeln konnte, sondern es handelt sich um jemanden, der im Voraus die verschiedensten Maßnahmen und Gegenmaßnahmen überprüft und eine Sache dann mit Erfolg durchführt, wenn er etwas in Angriff nimmt. Das bedeutet: Ein kaku-no shi ist ein Krieger, der sich im Voraus auf alles vorbereitet.

Ein fukaku-no shi ist ein Mann, der sich weder vorbereitet noch sonst irgendetwas tut. Selbst wenn es ihm einmal gelingt, etwas mit Erfolg zu erledigen, liegt das nur daran, dass er Glück hatte.

I-22. Zum 100. Todesjahr des ehrenwerten Fürsten Nippō wäre es wünschenswert, wenn alle rōnin ausnahmslos wieder rehabilitiert und in den Lehnsdienst zurückgerufen würden. Das wäre eine Gedenkfeier, über die sich unser verstorbener Fürst am meisten freuen würde. Dafür garantiere ich.

Allerdings heißt es in letzter Zeit bei allen Gelegenheiten immer nur: Sparsamkeit, Sparsamkeit, darum wird das wohl etwas schwierig sein.

In den letzten Jahren haben sich die Umstände so entwickelt, dass man die Nachkommen von rōnin oder solchen Leuten, die seppuku begehen mussten, völlig im Stich und fallen lässt, und dass teakiyari und rōnin zu einem Rang von Kriegern geworden sind, die überhaupt nicht mehr in Dienst gestellt werden. Weil die Geschichte des Klans und seine Traditionen nicht bekannt sind, wurde den teakiyari der Befehl erteilt, Truppführer der Fußsoldaten zu werden.

I-23. Bei Banketten muss man genauestens aufpassen. Sieht man aufmerksam zu, so sind die meisten Gäste nur mit Trinken beschäftigt. Ein Bankett ist gerade dann ein Bankett, wenn man ein schönes, rundes Ende findet. Wenn man da nicht aufpasst, sehen Menschen gemein und vulgär aus. Im Großen und Ganzen kann man an der Trinkweise auch den Charakter und die Persönlichkeit eines Mannes erkennen. Man sollte begreifen, dass auch Bankette Angelegenheiten sind, die in der Öffentlichkeit stattfinden.

I-24. Ein gewisser Herr hat eine Zeitlang strengstens die Wichtigkeit der Sparsamkeit gepredigt, aber das halte ich nicht für besonders gut. Es kommt vor, dass Fische nicht in Wasser leben können, das zu sauber ist. Gerade weil es Wasseralgen und Ähnliches gibt, können sich Fische unter diesen verstecken und im Wasser leben. Dadurch, dass man niederen Menschen gegenüber Kleinigkeiten übersieht und überhört, können sie in Ruhe leben. Auch in Bezug auf das Benehmen und den Lebenswandel der Menschen ist diese Einstellung nötig.

I-25. Ein gewisser Beamter des Stadtamtes kam eines Tages zur Verwaltungsbehörde der Domäne und wollte einem Mann dort von Amts wegen eine Klageschrift zustellen. Aber dieser zweite Beamte wollte die Klageschrift unter Vorgabe von allerlei Vorwänden nicht annehmen. Ein Kollege, der gerade dabeistand, vermittelte: »Nimm die Klageschrift für den Augenblick doch erst einmal an. Wenn sich herausstellen sollte, dass sie nicht nötig war, kannst du sie doch wieder zurückgeben.« Als er daraufhin einwilligte, »Gut, dann will ich sie erst einmal annehmen«, erwiderte der Stadtbeamte verächtlich: »Als ob ich etwas, das dazu bestimmt ist, zugestellt zu werden, wieder mitnehmen würde, ohne es abzugeben!« So erzählte es mir jemand.

Ich dachte eigentlich, dass dieser gewisse Stadtbeamte sich diese Art von schlechtem Benehmen schon längst abgewöhnt hätte, aber er scheint sich seine Hörner noch nicht abgestoßen zu haben.

Selbst wenn man sich gut miteinander versteht, gehört es zwischen zwei Ämtern zu den Umgangsformen, höflich miteinander umzugehen. Eine solche Person auf solch schmutzige, gemeine Art zu beschämen gehört nicht zu den Umgangsformen eines Kriegers.

I-26. Es kam einmal dazu, dass ein Mann von einem gewissen Herrn angesprochen wurde, ihm seine Villa abzutreten. Der Mann erklärte sich einverstanden, aber als man gerade die Verhandlungen um ein Ersatzgrundstück und die damit verbundenen Formalitäten vorantrieb, wurden die Verhandlungen auf halbem Wege wegen Umständen seitens des gewissen Herrn abgebrochen. Weil der Besitzer des Hauses daraufhin heftigen Protest einlegte, entschuldigte sich der Herr und bezahlte ein Abstandsgeld. Daraufhin erklärte sich der Besitzer auch mit dem Abbruch der Verhandlungen einverstanden.

Also wenn das nicht eine verquere Sache ist. In der Regel wird man es für unerfreulich halten, wenn man ununterbrochen aufs Glatteis geführt wird, aber in diesem Fall liegt die Sache anders. Jemandem keine Einwände zuzugestehen, unabhängig davon, um eine wie hochgestellte Persönlichkeit es sich auch handeln möge, ist etwas ganz anderes.

Bei dieser Geschichte geht es um Verlust und Gewinn, das heißt, die Wurzel des Problems ist von schmutziger Natur. Nichtsdestotrotz benutzte der Mann einer höhergestellten Person gegenüber eine drastische Redeweise und war extrem grob und unhöflich. Und nicht nur das, am Ende nahm er auch noch Geld an. Das ist eine Niederlage, ein Verlust im wahrsten Sinne des Wortes. In Zukunft wird ihm das zum Schaden gereichen.

Im Allgemeinen handelt es sich bei Einwänden in Streitsachen oder in öffentlichen Angelegenheiten um Streitereien um Gewinn und Verlust. Wenn man bereit wäre, Verluste zu ertragen, hätte man keine Gegner. Solange man nur einen Verlust erduldet, bedeutet das keine Niederlage. Aber weil die eigene Einsicht nicht ausreicht, will man das nicht begreifen.

I-27. Ishii Mata’emon war ein außerordentlich begabter Mann. Aber durch seine Krankheit wurde er zum völligen Idioten. Eines Jahres, als es eine Beratung zur Auswechslung der Leibdiener Seiner Hoheit gab, stellte ein gewisser Herr an Mata’emon eine Anfrage betreffs des Postens des Gedichtschreibers. Mata’emon antwortete: »Seit meiner Krankheit hat sich mein Gedächtnis verschlechtert, und ich kann nicht einmal Dinge der Gegenwart im Gedächtnis behalten. Selbst wenn ich mich erinnern könnte, könnte ich allen erzählen, dass Seine Hoheit mir befahl, keinem Menschen etwas zu sagen? Und außerdem kann ich mich nicht daran erinnern, ich habe es vergessen.«

I-28. Als einmal ein Feuer in der Villa eines gewissen Herrn ausbrach, machte sich Yamamoto Gorōzaemon als zuständiger Inspektor vom Dienst auf den Weg dorthin, aber die Gefolgsleute des Herrn hatten sich am Eingangstor gruppiert und wollten ihn nicht einlassen. Sie sagten: »Das Feuer ist nicht in diesem Haus ausgebrochen!«

Da wurde Gorōzaemon sofort sehr wütend: »Solltet ihr einen vertrauten Amtsinhaber Seiner Hoheit nicht einlassen, werde ich euch alle niedermähen!« Weil er mit diesen Worten sein Langschwert zog, öffneten die Gefolgsleute des Herrn flugs das Tor. Das Feuer wurde daraufhin von den herbeigeeilten Fußtruppen gelöscht.

I-29. Als Yasaburō mich einmal auf buntem Papier Kalligraphie schreiben ließ, hat er mich den Pinsel mit den Worten führen lassen: »Schreibe ein Schriftzeichen über das ganze Blatt Papier hinweg und mit genug Schwung und Energie, um das Papier zerreißen zu lassen. Schönschreiben oder nicht ist eine Angelegenheit für Kalligraphen. Krieger müssen nur über Schwung und Energie ihrer Schrift nachdenken.«

I-30. Als der junge Fürst einmal vor Abt Kaion ein Buch mit Geschichten vorlas, ließ er verlauten: »Ihr Novizen und Gehilfen, kommt und hört zu. Wenn es zu wenige Zuhörer gibt, verspürt man beim Lesen keinen Eifer.«

Der Abt war davon beeindruckt und sagte zu den Novizen: »Lasst bei allen Dingen diese Art von Energie und Eifer walten.«

I-31. Jedes Mal, wenn man morgens seine Gebete verrichtet, verbeugt man sich als Erstes entgegen Seiner Hoheit, dann in Richtung seiner Eltern, dann vor dem Schutzgott seiner Familie und schließlich zu seinem buddhistischen Schutzgott. Solange man nur den Fürsten hochschätzt, ist das auch eine Freude für die Eltern, und die Götter und Buddhas werden die dahinterliegende gute Absicht verstehen. Krieger brauchen an nichts anderes zu denken als an ihren Fürsten. Je erfüllter man von diesem Gefühl ist, desto eher wird die eigene Aufmerksamkeit alle Bereiche in der näheren Umgebung Seiner Hoheit erreichen. Außerdem sollten Frauen an erster Stelle ihre Ehemänner wie einen Lehnsfürsten behandeln und ihm dienen.

I-32. In der mündlichen Überlieferung des Amts für Etikette werden die zwei Zeichen für Verbeugung oder Verneigung nicht jigi, sondern date gelesen, also »galant« oder »großspurig«. Damit soll das galante, großspurige Herz einer Verbeugung zum Ausdruck gebracht werden, das heißt, dass es einer Verbeugung nicht würdig ist, wenn man sie nicht ein wenig großspurig und prunkhaft ausführt.

I-33. Betreffs der Beratung zu den Regengebeten im Frühling des 3. Jahres Shōtoku. In der Verwaltungsbehörde beschloss man folgendermaßen: Für die jährlichen Regengebete am Kinryū-Schrein veranstaltete man jedes Jahr Aufführungen von Akrobaten, Tänzern und Musikern, weshalb Hoch und Niedrig immer für die damit verbundenen hohen Unkosten aufkommen mussten. Deshalb beschloss man, dieses Mal die Aufführungen besonders prächtig zu gestalten, um sicherzugehen. Und sollte das keinen Effekt haben, wolle man sie nie wieder veranstalten. Daraufhin ließ man mit erstaunlicher Pracht die Musikgruppen, Tänzer und Komödianten von 33 Dörfern auftreten.

Die erstaunliche Wunderkraft der Regengebete des KinryūSchreins ist wirklich fantastisch. Aber diesmal hatten sie überhaupt keine Wirkung. Ganz im Gegenteil, an diesem Tag gab es Streit, als der Trommelleiter dem Trommler der großen Trommel die Schlegel aus der Hand riss, weil der die Trommel anders geschlagen hatte, als ihm vorher erklärt worden war. Deshalb kam es am unteren Schrein zu Schwertkämpfen und Schlägereien, und es gab sogar Tote. Auch unter den Zuschauern kam es zu Streitereien, und es gab Verletzte. Zu der Zeit munkelte das gemeine Volk: »Weil die Beratung in der Verwaltungsbehörde zu oberflächlich war, entwickelten sich die Festlichkeiten dieses Jahr durch den Fluch des Gottes Kinryū Gongen plötzlich zu einem unglückverheißenden Ereignis.«

»Unglück zu Zeiten von Schreinfesten ist oft ein schlechtes Omen«, sagte auch Fürst Sanenori. Denkt man darüber nach, dann gab es in diesem Jahr durch die Unregelmäßigkeiten der Beamten der Verwaltungsbehörde einige Männer, die zum Tode durch Enthaupten verurteilt wurden, und der Strand von Terai wurde von einer Flutwelle heimgesucht, bei der es viele Tote gab. An dem Strand steht der untere Schrein des Kinryū.

Auch schlug Hara Jūrōzaemon im Schloss jemanden mit dem Schwert nieder. Bei solchen Vorkommnissen bekommt man tatsächlich das Gefühl, dass die Geschehnisse beim Schreinfest ein schlechtes Omen waren.

I-34. Ein bestimmter Abt war eine für diese Zeit ungewöhnlich vortreffliche Persönlichkeit. Seine Großherzigkeit war unermesslich. Darum lief beim großen Tempel auch immer alles glatt. Kürzlich ließ der Abt noch verlauten: »Weil ich eine derart schwache körperliche Verfassung habe, dass es fast jeder Beschreibung spottet, werde ich, wenn ich diesen großen Tempel in Obhut nehmen und erfolgreich zu verwalten versuche, im Gegenteil auch Fehler begehen. Nun, ich versuche erst einmal alles im Rahmen meiner Möglichkeiten, und sollte mein Befinden manchmal nicht so gut sein, werde ich mir mit einer Vertretung behelfen. Ich versuche nur, mich zu bemühen, irgendwie keine allzu großen Schnitzer zu begehen.«

Der vorletzte Abt dieses Tempels war zu streng, so dass ihm niemand Folge leistete, und der letzte Abt überließ wirklich alles zu sehr anderen, so dass er kein gutes Beispiel darstellte. Mit diesem Abt gab es kaum noch Probleme, und die Mönche des Tempels leisteten ihm gut Gehorsam. Wenn man da seinen Kunstgriff zu ermessen versuchte, so kannte sich der Abt mit allem gut aus, unabhängig davon, ob es groß oder klein war, und aufgrund dessen übertrug er bestimmte Aufgaben gänzlich anderen Leuten. Entscheidungen überließ er den Personen mit dem jeweiligen Amt, und sollte es irgendwelche Probleme geben, gab er klare Antworten und angemessene Anweisungen. Darum läuft die Verwaltung vermutlich auch ohne Probleme.

 

Erst letztens ließ dieser Abt einen gewissen Dorfältesten zu sich rufen, weil der kleinliche Ansichten vertrat, und schimpfte: »Das steht im Widerspruch zum buddhistischen Gesetz. Schlagt ihn nieder!« Und weil er daraufhin heftig geschlagen wurde, ist dieser Dorfälteste zum Krüppel geworden, so heißt es.

Das war wirklich ein Abt mit vielen interessanten Eigenschaften. Er soll an einer Krankheit gestorben sein.

I-35. Wenn man sich die Gefolgsmänner des Klans in letzter Zeit betrachtet, so sind ihre Blicke meist nach unten gerichtet, genau wie die Augen von Taschendieben. Das liegt wahrscheinlich daran, dass sie entweder egoistischer Gewinnsucht verfallen sind, oder daran, dass sie so tun wollen, als ob sie klug und gescheit seien. Beobachtet man allerdings, wie mutig und beherzt sie sind, dann plustern sie sich nur der Form halber auf.

Den eigenen Leib für den Lehnsfürsten herzuhalten, ein lebendes Gespenst zu werden und den Lehnsfürsten bei Tag und bei Nacht hochzuschätzen, unverdrossen seine Pflicht zu erfüllen und das Land der Domäne unerschütterlich zu machen: solange man seinen Blick nicht auf diese Dinge richtet, wird man nicht ein wahrer Gefolgsmann genannt werden können. Es besteht überhaupt kein Anlass dazu, zu glauben, dass es in dieser Entschlossenheit einen Unterschied zwischen Hoch und Niedrig gibt. In dieser Angelegenheit muss man sich felsenfest bereitstellen und sogar entschlossen sein, nicht zu schwanken, selbst dann nicht, wenn die Götter und Buddhas einem dazu anraten sollten.

I-36. Einer gewissen Person zufolge soll der ehrenwerte Arzt Kyōan aus Matsugumasaki gesagt haben: »In der Medizin werden Frau und Mann den Prinzipien In-Yō gleichgesetzt und müssen daher auch unterschiedlich behandelt werden. Beim Pulsschlag gab es auch einen Unterschied. Jedoch ist in den letzten 50 Jahren der Puls der Männer dem Puls der Frauen gleichgeworden. Seit mir das aufgefallen ist, habe ich herausgefunden, dass man bei der Behandlung von Augenleiden männlichen Augen die gleiche Behandlung wie weiblichen Augen zukommen lassen kann. Selbst dann, wenn man Männern die männliche Behandlung zukommen lässt, zeigt dies keine Wirkung. Also glaube ich, dass die Welt ans Ende gekommen ist, wo die Vitalität der Männer schwindet und am Ende den Frauen gleich wird. Weil ich das durch tatsächliche Behandlungen erfasst habe, halte ich es geheim.«

Als ich das hörte und mir die Männer dieser Tage ansah, dachte ich, aha, es gibt wirklich viele Männer, die unverwechselbar einen weiblichen Pulsschlag haben. Und es gibt nur wenige Männer, von denen man denken mag, oh, das ist ein Mann! Genau aus dem Grund kann man heutzutage anderen Männern einfach den Rang ablaufen, selbst dann, wenn man sich nur ein bisschen anstrengt. Darüber hinaus gibt es als weiteren Beweis dafür, dass die Männer ihr Mut verlassen hat, die Tatsache, dass es nur wenige Männer gibt, die mit dem Schwert einen gefesselten Verbrecher niedergeschlagen, geschweige denn bei einem seppuku sekundiert hätten. Darum haben wir ein Zeitalter erreicht, in dem jemand, den man beauftragt, als Sekundant zu fungieren, als gescheit und bedachtsam gelobt wird, wenn er es versteht, sich geschickt herauszureden.

Vor 40, 50 Jahren noch praktizierten alle Männer etwas, das matanuki genannt wird: man stößt seinen Dolch zwischen seine Oberschenkel, um so seinen Mut und seine Kühnheit zu stählen. Das ging so weit, dass alle Männer alleine deshalb matanuki ausübten, weil man eine Leiste ohne Narben nicht vor anderen Leuten entblößen wollte. Wenn man davon spricht, was Männer so treiben, handelt es sich üblicherweise um blutrünstige Dinge. Aber in jüngster Zeit ist es in Ordnung, einer Sache aus dem Weg zu gehen, die auch nur ein bisschen Rückgrat verlangt, indem man glattzüngig geschickte Ausflüchte macht, dass es doch dumm und idiotisch sei, sich zum Beispiel auf einen Kampf einzulassen. Man wünschte sich wirklich, die jungen Leute heutzutage würden etwas darüber nachdenken.

I-37. Obwohl es auch Männer gibt, die noch Dienst leisten, bis sie 60, 70 Jahre alt sind, wurde ich am Ende in meinem 42. Lebensjahr Laienmönch. Denke ich heute darüber nach, war es wirklich ein kurzes Leben. Auch dafür bin ich eigentlich dankbar. Obgleich ich mich zu der Zeit dazu entschloss, eines toten Leibes zu sein und, anstatt Seiner Hoheit in den Tod zu folgen, Mönch zu werden, denke ich manchmal, wie viel Mühsal ich über mich hätte ergehen lassen müssen, wenn ich bis zum heutigen Tage gedient hätte. Dass ich die 14 Jahre bis heute in Ruhe und Behaglichkeit leben konnte, ist ein unverhofftes Glück.

Darüber hinaus halten mich die Leute für einen achtbaren Mann und behandeln mich sehr zuvorkommend. Wenn ich in den Tiefen meines Herzens darüber nachgrübele, glaube ich auch, es auf geschickte Weise geschafft zu haben, mich zu verändern. Ich bin es nicht wert, dass sich die Leute so freundlich um mich bemühen, und befürchte fast, dass mich irgendwann die Strafe des Himmels dafür trifft.

I-38. Weil er seinen Herrn auf seiner Runde zu den Neujahrsbesuchen begleitete, sagte ein gewisser Mann: »Dieses Mal habe ich einen Entschluss gefasst. Weil ich glaube, dass wir auf dem Land zum Trinken gedrängt werden, werde ich mich bemühen, nicht zu trinken. Und weil man von mir glauben könnte, ich könne meinen Alkohol nicht gut vertragen und sei ein aufbrausender Trinker, wenn ich sagte, ich sei abstinent, werde ich lieber behaupten, Alkohol bekomme mir nicht. Darum habe ich die Absicht, das zu zeigen, indem ich den Alkohol zwei-, dreimal ablehne. Dann werden mich die Leute auch nicht weiter nötigen. Außerdem habe ich die Absicht, mich so höflich zu verbeugen, dass mir der Rücken wehtut, und, solange mich niemand anredet, auf gar keinen Fall von mir aus den Mund zu öffnen.«

Dies ist ein Mann mit guten Vorsätzen. Über Dinge, die in der Zukunft liegen, im Voraus nachzudenken ist die Grundlage von Männern, die über anderen stehen. Darum sagte sein Herr und Lehrer auch: »Das ist ein guter Vorsatz. Handle so, dass man von dir sagt, dass du im Gegensatz zu früher von schwacher Konstitution seiest und daher ruhiger und gesetzter als früher. Wie man zu Beginn redet und handelt, ist am wichtigsten.«

I-39. In einer Erzählung sagte Abt Tannen: »Weil man immer nur über munen und mushin lehrt, kann man kein Verständnis entwickeln. Dabei ist munen das Gleiche wie shōnen.« Dies ist hochinteressant. Auch Fürst Sanjōnishi Sanenori sagte: »Innerhalb eines Atemzugs keinen bösen oder hemmenden Gedanken zu fassen ist der wahre Weg.« Es geht nicht darum, überhaupt keinen Gedanken zu fassen. Richtig zu denken und zu fühlen, und auch nicht einen Augenblick einen schlechten, boshaften Gedanken zu fassen als Voraussetzung: Dann gibt es nur einen richtigen Weg. Es gibt niemanden, der dieses brillante Prinzip wirklich versteht. Um rein und unschuldig zu werden, bleibt einem nichts anderes übrig, als sich zu üben und zu üben.

I-40. Es gibt nichts so Bedeutungsvolles, so Bedeutsames wie die letzten zwei Zeilen jenes Gedichts:

Verbreitet man falsche Gerüchte,

Wird es wohl problemlos so durchgehen.

Aber wie kann man dann antworten

Auf Fragen seines Gewissens?

Ob das nicht sogar einem nenbutsu, einer Intonation an Buddha, gleichkommt?

Die meisten Menschen verstehen das auch gut. Solche Personen, die die gescheiten Männer dieser Zeit genannt werden, spiegeln einem nur etwas vor, indem sie mit ihrem Wissen und ihrer Klugheit ihren äußeren Anschein pflegen. Darum sind sie unbeholfenen Männern unterlegen. Ungeschickte Männer können einem mit ihren Fähigkeiten nämlich nichts vormachen.

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