Das geheimnisvolle Merkmal

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Das geheimnisvolle Merkmal
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Das geheimnisvolle Merkmal

Joachim Bräunig

Das geheimnisvolle Merkmal

Kriminalroman

Engelsdorfer Verlag

2012

Bibliografische Information durch

die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.dnb.de abrufbar.

Bisher vom Autor erschienene Bücher

1. Ein rätselhafter Mord

2. Aus Lust zum Mörder

3. Mord als letzter Ausweg

4. Der eiskalte Mörder

5. Tod im Fitness-Studio

Copyright (2012) Engelsdorfer Verlag

Alle Rechte beim Autor

Titelbild © terex - Fotolia.com

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

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1

Der Wetterbericht hatte für das bevorstehende Wochenende schönes Wetter prophezeit und viele Menschen entschlossen sich auf Grund dieser Vorhersage, die nächsten Stunden in der Natur zu genießen. Bereits in den frühen Morgenstunden zog es die Menschen ins Freie. In Zossen und Umgebung, besonders am Mellensee, herrschte Hochbetrieb und die Menschen waren durchweg gutgelaunt.

In einer kleinen Gemeinde am Mellensee, direkt am Ufer des Mellensees gelegen, befand sich die Gaststätte ‚Fischhof am Mellensee‘. Die Gaststätte war sehr beliebt und ein ausgesprochenes Besuchermagnet. In der Gaststätte gab es stets fangfrischen Fisch – besonders der hier heimische Marmorfisch wurde von den Gästen gern bestellt. Der Ort Mellensee ist durch das Gefecht bei Mellen 1813 bekannt, wo zwei preußische Kompanien heldenhaft die Brücke über den Nottekanal vor den Franzosen verteidigten. Auf dem Mellensee und dem Nottekanal sind besonders die weltweit bekannten Klausdorfer Ziegel nach Berlin transportiert worden.

Der Besitzer des Fischhofes fuhr in den Morgenstunden auf den See hinaus und die gefangenen Fische wurden entweder zum Verkauf angeboten oder in der Gaststätte verarbeitet. Die am Ufer anschließende große Grünfläche wurde bei entsprechender Witterung als Terrasse für die Gaststättenbesucher genutzt. Die Freiflä-che bot Platz für mindestens zwanzig Tische zu vier bis sechs Personen. An der Grünfläche war ein Bootssteg angebracht, wovon ein kleiner Kutter zu Rundfahrten um den Mellensee einlud. Mit den Rundfahrten konnte man die malerische Umgebung mit den zahlreichen Erholungsmöglichkeiten genießen und sich entspannen. Die Gegend hatte jedoch noch mehrere Möglichkeiten zur Erholung und Entspannung, so bestand die Möglichkeit mit eigenen Booten oder Kanus die Landschaft zu erkunden. Zum Erreichen anderer Seen mit den Booten bestand keine Möglichkeit. Mit kleineren Booten konnte man jedoch, unter Mithilfe eines Fahrzeuges, nahegelegene Seen, wie den Wünsdorfer See oder den Neudorfer See, erreichen. In den letzten Jahren waren zudem eine Reihe von Radwanderwegen angelegt worden, die zahlreich genutzt wurden.

Das vorhergesagte Wetter hatte heute bereits eine Vielzahl von Sportfreunden auf den Plan gerufen, die mit ihren Fahrrädern unterwegs waren. Größtenteils waren es Familien oder Gesellschaften, die gemeinsam die Gegend erkundeten. Die Stimmung war bei allen Anzutreffenden sehr gut und ausgelassen, es wurde viel gescherzt und gelacht. Die Menschen waren zumeist sommerlich leicht bekleidet und die meisten Radfahrer oder Wanderer hatten Beutel oder Rucksäcke mit Proviant dabei.

Außerdem waren einige Großstädte mit dem eigenen Fahrzeug oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut, bequem und in kurzer Zeit erreichbar. Viele Menschen fuhren zu Großeinkäufen oder zu speziellen Einkäufen in diese Städte oder wollten sich die Sehenswürdigkeiten anschauen. Zudem bestand die Möglichkeit des Besuches von Großveranstaltungen, die in den ländlichen Gegenden nicht geboten wurden. Für viele Bewohner dieser Gegenden war es ein Wechselspiel zwischen dem Leben in der Großstadt und der beschaulichen Ruhe ihres eigenen Heimes.

In der Gaststätte ‚Fischhof am Mellensse‘ hatten auf der Außenfläche drei Personen Platz genommen, welche offensichtlich befreundet waren. Sie unterhielten sich sehr angeregt und hatten mehrere Papiere und einen Taschenrechner auf dem Tisch liegen. Von den drei Herren waren zwei als Weinhändler tätig und der Dritte war Besitzer einer einheimischen Likörfabrik. Die beiden Weinhändler, Konrad Welpe und Thomas Schulte, vertrieben seit einiger Jahren, in Ergänzung zu ihrem Weinsortiment, auch Erzeugnisse der ‚Firma Ludwig‘. Dieser zusätzliche Vertrieb der Liköre hatte sich in letzter Zeit für alle Beteiligten positiv entwickelt, so dass beide Seiten an einer weiteren Zusammenarbeit interessiert waren.

Der Besitzer der Likörfabrik, Sven Ludwig, hatte die Firma vor einigen Jahren von seinem Vater übernommen und diese stets weiterentwickelt und das Sortiment mit neuen kreativen Erzeugnissen erweitert. Die Likörfabrik war seit über achtzig Jahren in Besitz der Familie Ludwig und hatte immer für guten Wohlstand der Familie gesorgt. Im Laufe der Zeit hatte sich zwischen den drei Verhandlungspartnern eine Freundschaft entwickelt. Der Versuch, ihre Ehepartner in diese Freundschaft einzubeziehen, war leider bei einem gemeinsamen Wochenendurlaub kläglich gescheitert, da die Interessen und Auffassungen der Ehefrauen der drei Freunde zu verschieden waren und dies zu heftigen Streitereien geführt hatte. Nach diesem Wochenendurlaub hatten sie beschlossen, keinen weiteren Versuch der Annäherung ihrer Ehefrauen zu unternehmen, was jedoch ihre persönliche Freundschaft nicht schmälerte.

»Ich habe euch eine Kostprobe unseres neuesten Erzeugnisses mitgebracht«, sagte Sven Ludwig.

»Was ist es denn?«, wollte Konrad wissen.

»Himbeerlikör.«

»Klingt gut«, sprach Thomas.

Sven Ludwig holte aus seiner Aktentasche eine kleine Flasche des neuen Erzeugnisses und goss seinen Freunden in kleinen Likörgläsern ein. Sie kosteten genüsslich die neue Errungenschaft der Firma Ludwig und erstrahlten nach dem Genuss des Likörs.

»Ein wirklich guter Tropfen«, sagte Konrad.

»Ganz meine Meinung«, pflichtete Thomas bei.

»Es freut mich, wenn euch die Probe mundet«, strahlte Sven Ludwig.

»Wann kommt der Likör auf den Markt?«, wollte Thomas wissen.

»Einen exakten Zeitpunkt kann ich noch nicht benennen. Ich muss erst noch einige Abschlüsse zur Lieferung der Beeren und Zutaten klären.«

Ich würde dennoch diesen Likör für die nächste Saison buchen«, sprach Konrad.

»Ich schließe mich an«, schmunzelte Thomas.

»Ich habe euch gesagt, dass ich noch keine Termine versprechen kann«, zögerte Sven.

»Wir können einen Vorvertrag abschließen«, schlug Konrad vor.

»Meinetwegen, aber der genauen Lieferumfang und Termine können wir nicht festlegen«, gab Sven klein bei.

»Ich meinerseits bleibe bei den Bestellungen des vergangenen Jahres, würde aber bei einzelnen Produkten exaktere Vereinbarungen treffen wollen«, schlug Thomas vor.

»Dann lass uns jetzt alles exakt vereinbaren«, legte Sven Ludwig fest.

Die drei Freunde verhandelten miteinander bezüglich des Sortimentes für die kommende Saison. Im Prinzip war es unüblich, dass Weinhändler auch Liköre im Angebot hatten, aber im Laufe der Zeit hatte sich diese Zusammenarbeit zur Zufriedenheit aller Beteiligten positiv entwickelt und alle Seiten waren an einer weiteren engen Zusammenarbeit interessiert. Sie erarbeiteten die Verträge unterschriftsreif und besiegelten den Abschluss der Verträge mit einem Glas Bier.

»Eigentlich ist es ungewöhnlich, dass Weinhändler und Likörfabrikanten mit Bier auf den gelungenen Vertragsabschluss anstoßen«, lächelte Konrad.

»Ich für meine Person trinke abends immer mein Bierchen. Durch die vielen Verkostungen habe ich vom Wein abends genug«, erwiderte Thomas.

Während sie über ihre Abschlüsse nachdachten und alle einen zufriedenen Eindruck erweckten, hörten sie von der Uferseite des Sees lautes Gelächter. Am Ufer fuhr eine Gemeinschaft von Tretbootfahrern vorbei und winkte den Besuchern der Gaststätte zu. Die Mitglieder der Tretbootfahrer hatten offensichtlich schon einigen Alkohol genossen und waren bester Laune. Sie erkundigten sich, wie das Essen schmeckt, für den Fall, dass sie heute nochmals vorbeikommen würden. Ihre Heiterkeit strahlte auf die Besucher der Gaststätte ab und es entwickelten sich auf der Terrassenfläche der Gaststätte laute Gespräche.

 

Das Gespräch der Freunde wurde unterbrochen, als ein Ehepaar an ihrem Tisch vorbeikam und sie freundlich grüßte.

»Ich grüße die Herren der trinkenden Zunft«, sagte der Mann mit einem Schmunzeln.

»Wir grüßen den Herrn der Pillen«, entgegnete Thomas.

»Wieder große Verträge abgeschlossen?«, wollte der Mann wissen.

»Ja, was haben sie heute noch vor, Herr Helbig«, fragte Sven Ludwig.

»Wir wollen nach dem Essen noch einen Ausflug nach Potsdam unternehmen.«

»Dann wünschen wir ihnen viel Freude«, lächelte Sven das Ehepaar an.

»Ihnen das gleiche«, erwiderte der Mann und verabschiedete sich mit seiner Frau.

»Die beiden erwecken einen harmonischen Eindruck«, spöttelte Konrad.

»Wie meinst du das?«, wollte Sven wissen.

»Hast du noch nichts von seinem Verhältnis zu seiner Mitarbeiterin gehört?«, fragte Thomas.

»Ich gebe nichts auf Gerüchte«, antwortete Sven.

»Es wäre nicht das erste Mal.«

»Die Geschichte mit seinem damaligen Verhältnis war auch erlogen.«

»Bist du sicher?«, gab Thomas nicht nach.

»Ich komme mit Klaus Helbig sehr gut aus, er hat schon viel für unsere Gemeinde geleistet und ist stets zu Sonderleistungen bereit. Außerdem geht uns das Familienleben von ihnen nichts an, wenn sie Probleme haben, müssen sie diese allein lösen. Ich bin kein Freund von solchen Gerüchten, wo man weiß, dass jeder noch einen Zacken dazudichtet. Die beiden sind immer freundlich und aufgeschlossen im Umgang mit ihren Mitmenschen. Ich finde beide sympathisch, Ludwig«, endete Sven.

»Wobei seine Mitarbeiterin eine hübsche Person ist«, meldete sich Konrad zu Wort.

»Da kann ich dir nur beipflichten«, stimmte Thomas zu.

»Trotzdem muss er nicht gleich ein Verhältnis mit ihr haben«, schimpfte Sven.

»Nun lasst uns das Thema beenden, wie Sven schon sagte, es geht uns nichts an«, sprach mit fester Stimme Thomas und schaute seine Freunde mit strengem Blick an.

Das Ehepaar war die Familie Helbig, welche in der kleinen Gemeinde eine Apotheke ihr Eigen nannte und bei allen Einwohnern sehr beliebt war. Die Apotheke war im Untergeschoss des Hauses der Familie untergebracht. Das Haus stand auf einem etwa 3.000 Quadratmeter großen Anwesen. Hinter dem Wohn- und Geschäftsgebäude, welches sich an der Straßenseite befand, erstreckte sich eine große Grünfläche, welche von Frau Helbig liebevoll gepflegt und stets mit neuen Pflanzen ergänzt wurde. Die Bewirtschaftung des Gartens hatte sich in der Vergangenheit zum Hobby von ihr ausgeweitet und nahm viel Zeit in Anspruch.

Das Ehepaar war noch bei bester Gesundheit, und seitdem ihre beiden Kinder das elterliche Zuhause verlassen hatten, um ihre eigenen Wege zu gehen, stand ihnen für ihre Hobbys noch mehr Zeit zur Verfügung. Herr Helbig war eine imposante Erscheinung, was durch sein leicht ergrautes Haar nicht negativ beeinflusst wurde. Er trieb viel Sport, was durch seinen muskulösen Körperbau zum Ausdruck kam. Er war viel mit dem Rad unterwegs, wenn es seine Zeit durch den Apothekendienst, einschließlich der zahlreichen Bereitschaftsdienste, ermöglichte. Er war in der Gemeinde sehr beliebt und setzte sich, soweit er es als Mitglied des Gemeinderates konnte, immer für seine Mitbürger ein. Klaus Helbig half auch gelegentlich bei finanziellen Erfordernissen der Gemeinde in Form von Sponsorengeldern aus. Seine Frau war nicht ganz schlank, ging aber stets sehr gut gekleidet und legte viel Wert auf ihr Erscheinungsbild. Sie war ebenso groß wie ihr Mann, zirka 1,75 Meter, was ihr das Tragen von modischer Kleidung erleichterte. Entgegen ihrer Tätigkeit in ihrem Garten, wo sie immer legere Kleidung trug, ging sie in der Öffentlichkeit meistens mit Hosenanzügen bekleidet oder trug knielange Kostüme. Ihr kurzgeschnittenes schwarzes Haar ermöglichte ihr beim Tragen ihrer modischen Kleidung bezüglich der farblichen Gestaltung zahlreiche Kombinationen. Ihre beiden Kinder hatten studiert und waren in erfolgreichen größeren Unternehmen beschäftigt. Der Kontakt zu ihren Kindern war sehr gut und wenn es die Zeit der Kinder ermöglichte, besuchten sie ihre Eltern.

Herr Helbig hatte vor einem knappen Monat eine Apothekengehilfin eingestellt, um mehr Freizeit mit seiner Frau zu verbringen. Die Gehilfin, Frau Heike Wagner, hatte sich binnen kurzer Zeit gut eingearbeitet und konnte selbstständig die in der Apotheke abzuarbeitenden Aufgaben erledigen. Die Tätigkeit von Heike Wagner ermöglichte es Klaus Helbig mit seiner Frau in Urlaub zu fahren oder mehrtägige Reisen zu unternehmen, wozu in den zurückliegenden Jahren auf Grund der Arbeit in der Apotheke selten Gelegenheit gewesen war. Frau Heike Wagner war Mitte dreißig und seit zwei Jahren geschieden und deshalb wieder in ihren Geburtsort Zossen zurückgezogen, nachdem sie über zehn Jahre mit ihrer Familie an der Ostsee gelebt hatte.

Die Eltern von Heike Wagner hatten ein schönes Zweifamilienhaus in Zossen, wo Heike eingezogen ist. Sie hatte schulterlanges blondes Haar, welches sie entweder offen oder zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden trug. Ihre Figur war tadellos und verleidete die Männerwelt zu begierigen Blicken, was Heike Wagner jedoch nicht sonderlich beeindruckte. Sie ging ganz in ihrer Tätigkeit in der Apotheke auf und hatte sich in kurzer Zeit einen guten Ruf erarbeitet, was auch auf ihre gute fachliche Beratung der Kundschaft zurückzuführen war. Das freundliche Lächeln, unterstützt von ihren strahlend blauen Augen und ihren weißen Zähnen, erweckte immer den Eindruck einer besonderen Aufmerksamkeit für die gegenüberstehenden Personen. Heike Wagner war sich ihrer Wirkung auf ihre Mitbürger, besonders der Männerwelt, durchaus bewusst ohne daraus besonderen Nutzen ziehen zu wollen. Die Scheidung, die mit vielen Unannehmlichkeiten verbunden war, hatte sie etwas verändert. Ihr lebenslustiges Wesen war jedoch davon nicht negativ beeinflusst worden und sie ging weiterhin gern auf Tanzpartys oder andere Vergnü-gungen. In dieser Zeit kümmerten sich ihre Eltern liebevoll um ihre Tochter.

Für ihre Eltern war ihr einziges Kind immer noch ihr wichtigster Lebensinhalt und sie würden für Heike alles tun, um Unheil von ihr abzuwenden. Auf Grund ihrer modischen Kleidung, welche sie stets sehr attraktiv aussehen ließ, mussten ihre Eltern sie gelegentlich finanziell unterstützen, da die Entlohnung in der Apotheke für ihre persönlichen Belange und die Ausgaben für ihre Tochter kaum ausreichte. Ihre Tochter zählte in der Schule zu den Besten und wollte mit ihren reicheren Klassenkameradinnen mithalten und die Möglichkeiten der neuen Technik (PC, Handy usw.) verlangten gleichfalls hohen finanziellen Aufwand.

2

Die Evangelische Dreifaltigkeitskirche in Zossen war an diesem Sonntag gut besucht und die meisten Plätze im Kirchenschiff waren besetzt. Die Grundsteinlegung der heutigen Kirche erfolgte am 24.05.1734. Das benötigte Bauholz stiftete Friedrich Wilhelm I. von Preußen. Den Bau leiteten die königlichen Bauinspektoren Erdmann und Hedemann. Der Bau wird als langgestreckte Saalkirche aus verputztem Backstein mit quadratischem Turm in der Mitte der südlichen Langseite und der Sakristei gegenüber errichtet. Die Decke des Kirchenschiffes ist eine flache Holzdecke. Kanzelaltar, Taufstein und Emporen sind im schlichten Barock gehalten. In den Freiheitskriegen drohte der Kirche die völlige Zerstörung, als die Franzosen über Zossen nach Berlin durchbrechen wollten. Der erste Weltkrieg brachte den Verlust der Glocken, die von den Türmen geholt und eingeschmolzen wurden. Die vollständige Zerstörung blieb der Stadt und der Kirche erspart. Im zweiten Weltkrieg erlitten die zuvor neu angeschafften Glocken das gleiche Schicksal wie ihre Vorgänger und wurden zu Rüstungszwecken eingeschmolzen, wobei die Kirche unversehrt blieb. Im Jahre 1948 wurden drei neue Klangstahlglocken geweiht. In den folgenden Jahren von 1960 bis 1998 wurde eine neue Orgel eingebaut, es erfolgte ein neuer Farbanstrich der Kirche, eine vollständige Innenrenovierung sowie eine umfassende Sanierung der Außenfassade, einschließlich der denkmalgerechten Wiederherstellung neuer Fenster.

Die Kirche war der Sammelpunkt für Gemeinde und Bevölkerung der Stadt zu den Friedensgebeten zur Wendezeit 1998. Der Pfarrer der Gemeinde, Pastor Nordin, besitzt in seiner Gemeinde einen guten Ruf und ist bei seinen Kirchenmitgliedern sehr beliebt. Er kümmert sich sehr um die Freizeitgestaltung seiner jugendlichen Mitglieder und ist stets bestrebt, das Kirchenleben der Jungen Gemeinde mit neuen Ideen zu befruchten. Er freut sich immer, wenn ehemalige Mitglieder der Jungen Gemeinde den Weg zu ihm finden und an den Unternehmungen der Gruppe teilnehmen. Er ist für seine Gemeindemitglieder stets ansprechbar und vermittelt ihnen den Inhalt der Botschaft der Bibel. Der Pfarrer ist bekannt dafür, dass er ungeachtet seines Glaubens immer aufgeschlossen den Problemen der heutigen Zeit gegenüber steht und er nutzt gern Gelegenheiten in seinen Predigten auf die Probleme einzugehen. Seine Wortwahl beim Ansprechen von Gegenwartsproblemen ist sehr geschickt und nicht anstößig, auch die Problematik der sexuellen Übergriffe durch Geistliche an ihren Schutzbefohlenen klammerte er in seinen Predigten nicht aus. Nach Beendigung des heutigen Gottesdienstes, welcher trotz des guten Wetters gut besucht war, stellte er sich an die Eingangsstufen zum Kirchenschiff und verabschiedete die Gottesdienstbesucher mit freundlichen Worten und segnete ihren Nachhauseweg. Nachdem die meisten Besucher die Kirche verlassen hatten, trat ein junges gut aussehendes freundliches Mädchen zu ihm und sagte:

»Ich wünsche ihnen einen schönen Tag, Herr Pfarrer.«

»Danke, Beate. Ich wünsche dir das Gleiche und hoffe du bleibst jetzt auf dem richtigen Pfad. Ich wünsche dir alles Gute und hoffe, dass du weiter deinen positiven Weg gehst.«

»Ich werde mich bemühen, Herr Pfarrer«, antwortete Beate.

»Ich habe gehört, dein Vater ist aus dem Gefängnis entlassen worden«, fragte der Pfarrer.

»Ja, leider«, kam die leise Antwort.

»Seit wann?«

»Ungefähr sechs Wochen.«

»Du weißt, wenn du Probleme hast, kannst du jeder Zeit zu mir kommen.«

»Ich weiß, vielleicht brauche ich ihren Beistand.«

»Ich werde dir jederzeit helfen, du weißt, ich habe einigermaßen Einfluss in der Gemeinde.«

»Sie haben mir immer beigestanden und viel Trost gespendet. Die Gespräche mit ihnen haben mir stets geholfen und mich wieder aufgebaut. Wenn es erforderlich werden sollte, komme ich zu Ihnen.«

»Du kannst immer kommen, gleichgütig welche Uhrzeit.«

»Danke Herr Pfarrer.«

»Mach dir einen schönen Tag, Beate.«

»Ich werde vielleicht baden gehen und ausspannen«, sagte das Mädchen und verabschiedete sich vom Pfarrer, Herrn Nordin.

Sie ging die Kirchenstufen hinunter und lief zu drei Jungen, die winkten und offensichtlich auf sie warteten. Der Pfarrer schaute ihr nachdenklich hinterher und wünschte inständig, dass sie die traurigen Erlebnisse ihrer Kindheit vollständig überwunden hatte. Er freute sich, dass Beate offensichtlich wieder Freunde gefunden hatte und sich wieder dem Leben öffnete.

Die vier Jugendlichen gingen gemeinsam über den belebten Marktplatz von Zossen und hatten entweder Beutel oder einen kleinen Rucksack bei sich. Zwei Jungen hatten in ihren Rucksäcken Decken verstaut. Sie liefen in Richtung Mellensee und waren bester Laune, sie scherzten und unterhielten sich lebhaft über ihre bevorstehende Unternehmung. Auf ihre Mitmenschen, die ihnen während ihres Ausfluges begegneten, machten sie einen fröhlichen und glücklichen Eindruck. Nach langer Zeit und mit müden Füßen trafen sie an ihrem Ausflugsziel an. Sie hatten vor einiger Zeit eine stille und abgelegene Bucht am Mellensee entdeckt, wo sie sich völlig ungestört fühlten. Die stille Bucht war von Bäumen und Gestrüpp umgeben und deshalb schwer einsehbar. Die Uferfläche war leicht abschüssig und die Rasenfläche ungepflegt. Die Jugendlichen legten ihre Beutel oder Rucksäcke ab und breiteten die mitgebrachten Decken aus, um sich auf der Rasenfläche auszuruhen.

»Ich gehen jetzt baden«, sagte Willy.

»Ich warte noch etwas, mir brennen die Füße«, erwiderte Steffen.

»Hat jemand Hunger?«, fragte Beate.

»Ich hätte nichts gegen einen Happen«, antwortete Willy.

»Was hast du denn anzubieten?«, wollte Volkmar wissen.

»Ich habe Knacker und Salami im Angebot«, lächelte Beate.

»Klingt toll. Ich greife zu«, sagte Willy und ging zu Beate.

 

Die Jugendlichen nahmen das Angebot von Beate zur Verköstigung an und ruhten sich nach dem Essen und Trinken aus, wobei Volkmar seinen mitgebrachten Recorder einschaltete und seine Lieblingsmusik abspielte. Die Stimmung der Jungen und des Mädchens war sehr gut und gelöst.

»Jetzt gehe ich wirklich baden«, sprach Willy.

Die Jugendlichen zogen sich nackt aus und rannten ins kühle Wasser. Es war nicht das erste Mal, dass sie gemeinsam nackt badeten. Das Mädchen verhielt sich völlig gelöst und die Jungen störten sich nicht an der Nacktheit des Mädchens. Die Gruppe war bereits einige Zeit zusammen und anfangs gab es Reibereien zwischen den Jungen, um die nähere Freundschaft zu Beate. Beate hatte sich später der Gruppe der Jungen angeschlossen und anfangs waren die Jungen skeptisch über die Anwesenheit von Beate. Beate hatte aber den Jungen sehr schnell klar gemacht, dass in Bezug auf Sex zwischen ihnen und ihr nichts geschehen würde. Die Jungen hatten sich im Laufe der Zeit damit abgefunden, dass Beate keinen Sex zuließ, was den Jungen bei dem schönen Aussehen von Beate anfangs schwer fiel.

Beate war wie die Jungen 18 Jahre und sehr gut gebaut. Sie hatte brünettes Haar, welches ihr bis über die Schulter reichte. Sie war sehr schlank, aber nicht dünn und ihre braunen Augen erweckten stets einen lächelnden Eindruck. Sie war sehr wissbegierig und allen neuen Dingen des Lebens aufgeschlossen. Zu einem späteren Zeitpunkt hatte Beate ihren Freunden ihre Lebensgeschichte erzählt, was Beate in den Augen der Jungen noch wertvoller machte. Die Gruppe war ungefähr zwanzig Minuten im Wasser und allmählich kamen sie zurück ans Ufer. Sie trockneten sich ab und Volkmar sagte: »Ich hätte Lust auf ein Volleyballspiel.«

»Wie soll das gehen?«, fragte Beate.

»Mein Schatz, ich habe an alles gedacht«, erwiderte Volkmar.

»Ich traue dir zu, dass du einen Ball dabei hast, aber wie ist es mit dem Netz?«, fragte Willy.

»Netz habe ich keins dabei, aber eine Schnur reicht aus.«

»Wie denn?«, fragte ungläubig Steffen.

»Wir werden wohl hier zwei größere Äste finden, an denen wir die Leine befestigen können und dann zählt nur wer den Ball über die Leine spielt.«

»Einverstanden«, entschied Willy, der offensichtlich der Chef der Gruppe war.

Die Jugendlichen gingen auf die Suche nach geeigneten Ästen zur Befestigung der Leine als provisorisches Netz. Nachdem die Jungen die Spielfläche hergerichtet hatten, spielten die unbekleideten Jugendlichen Volleyball, wobei Beate mit Volkmar eine Mannschaft und Willy und Steffen die andere bildeten. Sie waren völlig mit ihrem Spiel beschäftigt, so dass sie nicht spürten, dass sie gelegentlich von einzelnen vorbeikommenden Wanderern beobachtet wurden. Die Einstellung der Mitglieder der Gruppe zur Nacktheit war jedoch so gelassen, dass sie die Beobachtung nicht gestört hätte, falls sie die Wanderer bemerkt hätten.

Nach dem Spiel ruhten sie sich im Gras aus und hingen ihren Gedanken nach. In der Zwischenzeit war es bereits Abend geworden und Steffen sagte plötzlich in die Stille: »Ich denke es ist Zeit, dass wir uns in unser Domizil zurückziehen.«

»Jetzt schon«, entgegnete Beate.

»Ich habe Appetit auf meine Spezialität«, erwiderte Steffen.

»Es ist noch nicht dunkel genug«, entgegnete Willy.

»Wenn wir einzeln gehen, sehe ich keine Probleme.«

»Wir müssen unsere Entdeckung nicht provozieren«, warf Beate ein.

»Ihr könnt von mir aus noch warten, ich gehe los«, entschied Steffen.

»Du musst es immer übertreiben«, widersprach Willy.

»Es war ein wunderschöner Tag, den muss ich entsprechend ausklingen lassen«, beharrte Steffen.

»Der Tag war wirklich sehr schön, Jungs«, sagte Beate und lächelte ihre Freunde an.

»Besonders das Volleyballspiel«, strahlte Steffen.

»Besonders wenn Beate zum Schmetterball hochsprang und ihr Busen sich bewegte«, grinste Steffen.

»Nun halt den Ball flach, lieber Konrad. Erstens hast du meine Schmetterbälle niemals abwehren können und zweitens ist mein Busen noch fest und fliegt nicht hoch«, empörte sich Beate.

»Da konnten wir nicht gewinnen, wenn du bloß auf Beates Busen geschaut hast«, schmunzelte Willy.

Die Gruppe hatte sich in Klausdorf am Mellensee ein heimliches Domizil eingerichtet. Dieses Domizil war eine alte Baracke, welche sich auf einem ehemaligen Feriengelände eines früheren DDR-Betriebes befand.

Das Gelände war völlig verfallen und verwahrlost, sowohl was die Gebäude als auch die Außenfläche betraf. Die Gruppe hatte das größte Gebäude, welches zu früheren Zeiten wahrscheinlich als Aufenthaltsraum diente, häuslich eingerichtet. Die Baracke war zirka zwanzig Quadratmeter groß und rechteckig gestaltet. Der Raum war mit elektrischem Licht ausgestattet, welches wahrscheinlich irrtümlicherweise abzuschalten vergessen worden war. Als Toilette hatten sie sich eine Biotoilette besorgt, wie sie auch in Caravanautos benutzt wurden. Im Raum befanden sich außerdem ein Fernseher, Videorecorder, Kaffeemaschine, Wasserkocher, Mikrowelle und andere Kleinigkeiten, welche zu einem kleinen Haushalt gehörten. Als Ruhe- bzw. Schlafgelegenheiten dienten Luftmatratzen. Zusätzlich waren zwei kleinere Schränke aufgestellt mit verschiedenen Alltagsdingen, wobei im gesamten Raum keinerlei persönliche Dinge der Gruppenmitglieder aufbewahrt wurden. Diese Abmachung war eine Festlegung, die von allen Gruppenmitgliedern streng befolgt wurde.

Das verwahrloste Gelände lag am Rande einer Straße, welche diese Bezeichnung nicht verdiente und eigentlich nur ein schlechter Waldweg war. Auf beiden Seiten der Straße befanden sich kleine Häuschen mit wunderschönen Vorgärten, die jedoch nicht bis an das verwahrloste Gelände heranreichten. Die letzten Häuser waren ungefähr 300 Meter von diesem Gelände entfernt, so dass deren Bewohner nichts von der Anwesenheit der Jugendlichen spürten. Der Innenraum der von den Jugendlichen als Domizil erkorenen Baracke war mit schwarzem Stoff verhangen, damit kein Lichtstrahl aus der Baracke drang und die Anlieger oder Spaziergänger aufmerksam machte. Die Jugendlichen hielten sich bereits seit schätzungsweise einem Jahr in dieser Baracke auf, die von Willy bei seiner Suche nach einer sicheren Bleibe für seine Freunde gefunden worden war.

Beate arbeitete tagsüber in der Innenstadt von Zossen in einer Boutique als Verkäuferin und besuchte seit sechs Monaten Weiterbildungskurse, um später ein BWL-Studium zu beginnen. Ihr wurde eine hohe Intelligenz bescheinigt und sie war sehr strebsam in Bezug auf ihre weitere Zukunft. Willy arbeitete bei einer Sanitärfirma und genoss im Kollegenkreis einen guten Ruf. Seine fachliche Qualifizierung hatte er in seiner jetzigen Firma erlernen können und auf Grund seiner guten Arbeit wurde er nach Abschluss seiner Lehre in die Firma übernommen. Er war stets hilfsbereit und schaute bei Arbeitsschluss nicht auf die Uhr, sondern brachte die begonnene Arbeit zum Abschluss. Volkmar und Steffen hatten dieses Jahr das Gymnasium beendet und wollten ein Studium beginnen. Die Interessen der Jugendlichen waren prinzipiell sehr unterschiedlich, was ihre Freundschaft nicht störte. Sie hatten keine festgelegten Treffpunktzeiten, außer zu bestimmten Festtagen. Ihre Treffen stimmten sie zumeist per Handy ab, wobei sie bestrebt waren, sich immer zu viert zu treffen, was auf Grund der verschiedenen Tätigkeiten nicht leicht zu vereinbaren war.

Alkohol wurde wenig getrunken nur zu bestimmten Festlichkeiten, wie Geburtstag und ähnlichem. Was von ihren Bekannten oder Familienangehörigen niemand wusste, war ihre gemeinsame Hingabe zu leichten Drogen. Ihre Drogenorgien feierten sie stets gemeinsam in ihrem Domizil am Waldesrand. Aus verschiedenen Hanfsorten der Gattung Cannabis können Rauschmittel gewonnen werden, die sich ebenfalls unter der Bezeichnung Cannabis zusammenfassen lassen. Die getrockneten und zerkleinerten harzhaltigen Blüten und kleinere Blätter der weiblichen Pflanze werden Marihuana genannt und unverändert konsumiert oder zu den Produkten Haschisch oder Haschischöl weiterverarbeitet. Bei Genuss von Haschisch wird das gepresste Harz der Hanfpflanze geraucht oder, in Fett gelöst, zur Zubereitung THC–haltiger Getränke und Speisen verwendet. Je nach Anwendungsform variiert die Zeit bis zum Eintritt der Wirkung von einigen Minuten beim Inhalieren und zwischen 30 und 300 bei oraler Aufnahme. Die Wirkung hält selten länger als drei bis vier Stunden an. Die im Cannabisrauch enthaltene Teermenge entspricht in etwa der vom Tabakrauch. Allerdings wird Cannabisrauch tiefer und länger inhaliert, was die Schadstoffexposition erhöht. Entsprechend den Bestimmungen des Einheitsabkommens über die Betäubungsmittel 1961, das von fast allen Staaten der Welt ratifiziert wurde, sind die Erzeugung, der Besitz und der Handel von Cannabis nahezu weltweit verboten. In Deutschland ist der bloße Konsum von Cannabis oder anderen Betäubungsmitteln de jure nicht strafbar, was nicht für den Anbau, den Vertrieb usw. zutrifft. In der Regel ist als akute Auswirkung eine gewisse Bewusstseinsverschiebung festzustellen, die assoziatives, sprunghaftes Denken und eine Beeinträchtigung des Kurzzeitgedächtnisses mit sich bringt. Der Konsument kann die zu erwartende Wirkung nicht zuverlässig einschätzen. Der Konsument selbst hat ein Gefühl erhöhter Leistungsfähigkeit, die jedoch objektiv betrachtet immer mehr abnimmt. An die Stelle geordneten Denkens und logischer Schlussfolgerungen tritt häufig eine Art Scheintiefsinn, wovon vor allem Sorgfaltsleistungen betroffen sind. Die Entstehung einer Cannabisabhängigkeit steht in engem Zusammenhang mit sozialen Faktoren, der persönlichen Reife des Konsumenten und dem Alter bei Erstkonsum.