Lagezentrum: Ein Luke Stone Thriller – Buch 3

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Aus der Reihe: Ein Luke Stone Thriller #3
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KAPITEL SIEBEN

11:45 Uhr

Atlanta, Georgia

„Geht es Herrn Li gut? Ich habe ihn hier schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen.“

Der Mann war klein und dünn, mit einem schmalen und gebeugten Rücken. Er trug eine graue Uniform mit dem Namen Sal, der auf seine Brust gestickt war. Er hatte ständig eine angezündete Zigarette im Mund. Er sprach, während sie in seinem Mundwinkel steckte. Er schien nie die Notwendigkeit zu sehen, sie herauszunehmen, bis sie aufgeraucht war. Dann zündete er sich eine weitere an. In einer Hand trug er einen schweren Bolzenschneider.

„Oh, es geht ihm gut“, sagte Luke.

Sie gingen einen langen, breiten Holzkorridor entlang. Er wurde von flackernden Leuchtstoffröhren beleuchtet. Während sie den Gang hinabschritten, huschte eine kleine Ratte vor ihnen her und verschwand in einem Loch in der Wand. Sal schien sie gar nicht zu bemerken, also ließ Luke sie ebenfalls unkommentiert. Er warf Ed einen Blick zu. Ed lächelte schweigend. Swann hustete hinter ihnen.

Lis Räumlichkeiten befanden sich in einem großen alten Lagerhaus, das über die Jahre in mehrere kleinere Abteile unterteilt worden war. Dutzende von kleinen Firmen mieteten hier Räume. Am Ende des Korridors gab es eine Laderampe und der Korridor selbst war perfekt, um Waren zu verladen.

Sal schien so etwas wie ein Hausmeister zu sein. Anfangs hatte er gezögert, sie hereinzulassen. Aber als Ed ihm seinen FBI-Ausweis zeigte und Swann seine brandneue NSA-Marke herausholte, spielte Sal auf einmal eifrig mit. Luke hatte sein Abzeichen in der Tasche gelassen. Er hatte nur seinen alten Special Response Team Ausweis und das SRT existierte nicht mehr.

„In was für Schwierigkeiten steckt er bloß?“, fragte Sal.

Luke zuckte die Achseln. „Nichts Spektakuläres. Steuerprobleme, Ärger mit Marken- und Patentverletzungen. Was man von einem Kerl erwarten würde, der Waren aus China einführt. So etwas müssen Sie doch ständig sehen, oder? Ich war vor ein paar Jahren mal in Chongking. Dort kann man in die Lagerhäuser am Hafen spazieren und brandneue iPhones für fünfzig Dollar kaufen, oder Breitling-Uhren für hundertfünfzig. Natürlich sind sie nicht echt. Aber wenn man nicht ganz genau hinschaut, sieht man keinen Unterschied.“

Sal nickte. „Sie würden nicht glauben, was ich hier schon erlebt habe.“ Er blieb vor einer Stahltür stehen. „Herr Li schien aber jedenfalls ein netter Mann zu sein. Sein Englisch ist nicht besonders gut, würde ich sagen, aber er kommt zurecht. Und er ist sehr höflich. Er verbeugt sich ständig und lächelt so nett. Aber ich bin mir nicht sicher, wie viel er tatsächlich so verkauft.“

Die Metalltür hatte ein schweres Schloss. Sal hob den Bolzenschneider an und zerschnitt es mit Leichtigkeit.

„Das hätten wir“, sagte er. „Ich hoffe, Sie finden, wonach Sie suchen.“

Er ging bereits den Flur hinunter in Richtung seines Büros.

„Danke für Ihre Hilfe“, rief Ed hinter ihm her.

Sal hob eine Hand. „Ich bin schließlich ein guter Amerikaner“, sagte er, ohne sich umzudrehen.

Ed beugte sich vor und schob die Tür auf. Ohne einzutreten verschafften sie sich einen Überblick über den Raum dahinter. Ed streckte seine Hand hinein und winkte langsam von einer Seite zur anderen und auf und ab, auf der Suche nach möglichen Sprengfallen.

Scheinbar war es nicht nötig. Lis Lagerhaus wies keine Schutzmechanismen auf. Mehr noch, es schien schon vor langer Zeit verlassen worden zu sein. Als Luke den Lichtschalter umlegte, ging nur die Hälfte der Deckenbeleuchtung an. Plastikverpackte Paletten mit billigem Spielzeug waren in Reihen gestapelt und mit grünen Planen abgedeckt. Kisten mit billigen Haushaltsreinigungsmitteln, wie sie in 1-Dollar-Läden und bei Rabattaktionen auftauchen würden, waren in einer Ecke gestapelt, fast bis zur Decke. Alles war mit einer dünnen Staubschicht bedeckt. Das Zeug lag schon eine Weile hier.

Es schien, als hätte Li eine Ladung Schrott importiert, um den Schein zu wahren, und sich dann nie wieder darum gekümmert.

„Das Büro ist dort drüben“, sagte Swann.

In der hinteren Ecke des Lagerhauses befand sich die Tür zu dem kleinen Büro. Sie war aus Holz, mit einem eingelassenen Fenster. Luke versuchte den Knauf zu drehen. Abgeschlossen. Er warf einen Blick auf Ed und Swann.

„Hat einer von euch beiden einen Dietrich? Sonst müssen wir Sal erklären, dass das organisierte Verbrechen jetzt mit Reinigungsmitteln handelt.“

Ed zuckte die Achseln und nahm sein Schlüsselbund aus der Hosentasche. An ihm war eine kleine schwarze Taschenlampe angebracht. Ed hielt die Taschenlampe wie einen Schlagstock und durchschlug mit ihr das Fenster. Er griff durch das Loch und schloss die Tür von innen auf. Er hielt Luke die Taschenlampe hin, damit er sie inspizieren konnte.

„Wie ein Dietrich, nur nicht so elegant.“

Sie gingen hinein. Das Büro war trostlos, aber ordentlich. Es gab kein Fenster. An der Wand stand ein Aktenschrank mit drei Schubladen, der größtenteils leer war. In den unteren Schubladen waren jeweils ein paar Ordner mit Versandpapieren und Quittungen. In der oberen Schublade lagen ein paar Energieriegel und kleine Tüten mit Brezeln und Kartoffelchips, sowie ein paar Flaschen Wasser.

Es gab einen langen Holzschreibtisch, auf dem ein alter Desktop-Computer stand. Auf der einen Seite des Schreibtisches befanden tiefe Schubladen, in denen für gewöhnlich Akten in Hängevorrichtungen aufbewahrt wurden. Diese Schubladen waren verschlossen.

„Ed?“, fragte Luke.

Ed ging hinüber, griff nach der obersten Schublade und riss sie mit roher Gewalt auf. Es sah ein wenig aus, als hätte er einen Trick angewandt, eine Technik, die er eigens dafür entwickelt hatte, solche Schlösser zu knacken. Luke wusste jedoch, dass es nur reine Kraft war.

„Wie ein Dietrich“, sagte er.

Luke nickte. „Nur nicht so elegant.“

In den Schubladen war nicht viel zu finden. Bleistifte, verblasste Schreibwarenreste. Eine ungeöffnete Packung Wrigley-Kaugummis. Ein alter Taschenrechner von Texas Instruments. In einer der Schubladen lagen drei CD-ROMs in schmutzigen Plastikhüllen.

Die Hüllen waren mit den Buchstaben A, B und C beschriftet. Die Hülle von CD C war kaputt.

Swann setzte sich an den Computer und fuhr ihn hoch. „Ziemlich altmodisch“, sagte er. „Das Ding ist wahrscheinlich 20 Jahre alt. Ich wette, es ist nicht einmal mit dem Internet verbunden. Oh Mann, schaut euch das an. Das Teil stammt aus einer Zeit vor Kabelanschlüssen, von WLAN ganz zu schweigen. Es gibt nicht mal einen Anschluss für Cat-5-Kabel. Hierfür bräuchte man ein 56k-Modem. Erinnert sich noch jemand an die Dinger?“

Für Luke ergab das keinen Sinn.

„Warum sollte jemand aus einem Land, das für seine Hacker bekannt ist, einen Computer hier stehen haben, der sich nicht einmal mit dem Internet verbinden könnte, wenn er es wollte?“

Swann zuckte die Achseln. „Ich habe da ein paar Vermutungen.“

„Möchtest du sie mit uns teilen?“

„Erstens, vielleicht ist er überhaupt kein Chinese. Er ist kein Hacker-Genie oder sonst etwas. Der Hack, der den Damm ausgeschaltet hat, war nicht besonders fortschrittlich. Wir wissen, dass das Computersystem vom Damm extrem rückständig war. Vielleicht gehört er einfach zu einer Gruppe, die nicht von der Regierung unterstützt wird.“

„Wenn er kein Chinese ist, was ist er dann?“, fragte Luke.

Swann zuckte die Achseln. „Er könnte Amerikaner sein. Er könnte Kanadier sein. Er hat hohe Wangenknochen und flache Gesichtszüge, was bedeuten könnte, dass er Thailänder ist. Er ist ein großer Kerl, was bedeuten könnte, dass er Nordchinese ist. Er könnte ein Amerikaner asiatischer Abstammung sein. Ich habe nichts an ihm gesehen, was eindeutig auf irgendeine Nationalität hindeuten könnte. Aber ich würde ihn nicht gleich als Chinesen abstempeln, nur weil er einen chinesischen Pass hat.“

„Okay, was ist deine zweite Vermutung?“, fragte Luke.

„Meine zweite Vermutung ist, dass sie sich für dieses altmodische Ding entschieden haben, damit niemand erfahren kann, was sie hier tun. Man kann sich in keinen Computer einhacken, wenn er nicht mit dem Internet verbunden ist. So kann niemand seine Daten auslesen. Der einzige Weg, an diese Daten zu kommen, ist hier in dieses gottverlassene Lagerhaus mitten im Industriegebiet am Rande von Atlanta zu gehen. Und wir wissen nur von diesem Lagerhaus, weil wir Li gefoltert haben, oder ihm angedroht haben, ihn zu foltern. Und das hätte von vornherein eigentlich gar nicht geschehen dürfen, da er sich selbst hätte umbringen sollen, bevor er gefasst wurde. Wenn jemand diesen Computer gefunden hätte, wären es Lis eigene Leute oder im schlimmsten Fall Sal, wenn keiner mehr Miete zahlt. Und der hätte das Ding entweder direkt auf den Müll geworfen oder für 10 Dollar verkauft.“

Der Computerbildschirm ging an und verlangte ein Passwort.

Swann gestikulierte auf dem Bildschirm. „Und das hier wäre schon genug gewesen, um Sal aufzuhalten.“

„Kannst du es knacken?“, fragte Ed.

Swann lächelte verschmitzt. „Machst du Witze? Diese Verschlüsselungen von 1994 sind ein Witz. Ich habe diese Dinger schon geknackt, als ich noch dreizehn Jahre alt war.“

Er tippte einen Befehl ein, und eine schwarze MS-DOS-Konsole erschien in der linken oberen Ecke. Er gab noch ein paar weitere Befehle ein, zögerte einen Moment, tippte weiter, und der Windows-Bildschirm tauchte wieder auf. Dieses Mal verlangte er nicht nach einem Passwort.

Als der Desktop geladen war, klickte Swann sich für ein paar Minuten durch die Ordner. Es dauerte nicht lange. „Hier sind keine Dateien drauf“, sagte er. „Keine Dokumente, keine Tabellen, keine Fotos, nichts.“

Luke blickte über seine Schulter.

„Dieser Computer ist komplett leer. Die Festplatte ist da und funktioniert, aber es ist nichts auf ihr drauf. Ich glaube, unser Freund Mr. Li hat uns verarscht.“

 

„Kann man die gelöschten Daten wiederherstellen?“, fragte Luke.

Swann zuckte die Achseln. „Vielleicht, aber nicht hier. Vielleicht gab es auch von Anfang an keine Dateien hier drauf. Wir müssten die Festplatte ausbauen und mit zur NSA nehmen, um sicherzugehen.“

Luke sackte ein wenig zusammen. Normalerweise konnte er Menschen gut einschätzen. Aber vielleicht hatte Swann Recht. Vielleicht hatte Li sie wirklich angelogen. Seine Angst hatte echt genug gewirkt, aber vielleicht hatte er ihnen etwas vorgespielt. Aber warum sollte er das tun? Er musste doch wissen, dass Luke sofort zurückkommen würde.

„Was ist mit den CDs?“, fragte er. „Lasst uns die mal einlegen.“

Swann nahm die erste, auf der der Buchstabe A stand. Er hielt sie zwischen zwei Fingern, als ob sie ansteckend wäre. „Na gut, warum nicht?“

Er schob die CD in den Schlitz. Der Computer begann zu surren wie ein Flugzeug, das sich auf den Start vorbereitet. Ein Moment verging, dann öffnete sich ein Fenster. Es war eine Liste von Textdokumenten. Die Dateien waren in sequenziellen Mustern benannt, meistens bestehend aus einem Wort und einer Zahl. Es gab Dutzende und Aberdutzende von Dateien.

Das erste Wort war „flug“ und die Dateien gingen von „flug1“ bis „flug27“. Ein weiteres interessantes Wort auf der Liste war „strom“. Die zugehörigen Dokumente gingen von „strom1“ bis „strom9“. Weiter unten standen Dokumente „damm1“ bis „damm39“. Noch weiter unten gab es „bohr1“ bis „bohr19“. Außerdem „bahn1“ bis „bahn21“.

„Sollen wir mit ‚flug‘ anfangen?“, fragte Swann.

„Okay.“

Swann öffnete „flug1“. Die Worte am Anfang dienten wohl als eine Art Titel. Die Überschrift lautete Internationaler John F. Kennedy Flughafen, New York City.

„Oh-oh“, sagte Swann.

Es gab eine kurze Beschreibung des Flughafens, einschließlich des Eröffnungsdatums, seiner Koordinaten, der Anzahl der Flüge und Passagiere pro Jahr, der wichtigsten Fluggesellschaften, und mehr. Dann folgten mehrere Seiten mit Fotos der Terminals, ein New Yorker Stadtplan mit Angabe zur Lage des Flughafens, und dann mehrere Übersichtskarten der Terminals. Danach fanden sich technische Details – lange Listen mit Daten, eine Unmenge von Zahlen und Buchstaben. Swann wurde still.

„Houston, wir haben ein Problem“, sagte er schließlich.

*

Der schwarze Geländewagen raste durch die Stadt und fuhr auf die Autobahn zu.

Luke hing in der Warteschleife und versuchte, die Präsidentin zu erreichen. Im Hintergrund hörte er Ed und Swann an ihren eigenen Telefonen reden.

„Ich brauche sofort ein Team von Analysten, die sich mit der Sache befassen“, sagte Swann. „Das stimmt, sobald ich alles hochgeladen habe. Nein, es ist alles auf CD-ROM. Ich kann es jetzt noch nicht machen. Ich bin in einem Auto. Ja. Es gibt hier eine Basis außerhalb der Stadt, Naval Air Station Atlanta. Wir sind bald da. Ich nehme an, irgendjemand wird schon ein CD-Laufwerk haben. Warum glauben Sie, hat er es auf CD gebrannt? Damit niemand es hacken kann, deshalb. Es war in einer Schublade in einem verschlossenen Büro in einem verschlossenen Lagerhaus, von dem niemand wusste.“

Ed seinerseits war fast am schreien. „Sie müssen mich sofort mit dem FEMA-Camp im Chattahoochee National Forest verbinden“, sagte er. Er hielt einen Moment inne und hörte sich an, was am anderen Ende gesagt wurde.

„Ich verspreche Ihnen, es existiert. Versuchen Sie ‚Camp Enduring Freedom‘ oder ‚Camp Nirgendwo‘. Ich war heute Morgen erst dort. Da ist ein Typ namens Pete Winn. Ich weiß nicht, was sein Titel ist. Vielleicht Lagerleiter. Schwimmlehrer, keine Ahnung. Ja, ich weiß, dass es keinen Eintrag für das Camp gibt. Ich muss Winn trotzdem sprechen. Er hat einen Gefangenen. Er wird wissen, um wen es geht. Wir haben bestätigte Informationen, die wir von diesem Gefangenen erhalten haben. Ja. Der Gefangene darf auf keinen Fall mehr aus den Augen gelassen werden. Wir sind schon auf dem Weg. Sagen Sie ihnen, dass sie den Gefangen für ein weiteres Verhör vorbereiten sollen. Er soll rund um die Uhr bewacht werden, mindestens zwei Personen plus Videoüberwachung. Es besteht akute Flucht- und Selbstmordgefahr.“

Ed machte wieder eine Pause. „Lady, finden Sie einfach das Lager! Fragen Sie Ihren Vorgesetzten nach der nötigen Sicherheitsfreigabe. Ich sage Ihnen doch, ich war selbst erst dort.“

Luke hörte immer noch der Warteschleife zu. Er war ein wenig von sich selbst überrascht. Sie hatten das FEMA-Camp verlassen, ohne zu überlegen, wie sie sie wieder kontaktieren konnten. Luke hatte einfach angenommen, dass er sie über normale Kanäle wieder erreichen würde. Er war selbst erstaunt, wie sehr er nach nur zwei Monaten eingerostet war. Hätte er den gleichen Fehler gemacht, wenn er die ganze Zeit über im Dienst gewesen wäre? Vermutlich nicht.

Nach einem weiteren Moment hörte er ein Klicken und die Verbindung war da. Er hörte Stimmen im Hintergrund.

„Kat Lopez“, sagte eine Stimme.

„Hi, Kat. Ich bin's, Luke Stone. Ich muss mit Susan sprechen.“

„Hi, Luke. Susan ist gerade in einer Besprechung. Sie können ihr gerne eine Nachricht hinterlassen.“

„Ich würde gerne direkt mit ihr sprechen, wenn es Ihnen nichts ausmacht.“

„Luke, ich bin ihre Stabschefin. Ich bin befugt, alles zu hören, was sie hören darf. Sie können mir zutrauen, dass ich die Nachricht korrekt übermittle.“

„Kat, wir haben keine Zeit für Streitereien.“

Kats Stimme war unnachgiebig. „Dann sollten wir vielleicht aufhören, uns darüber zu streiten, ob ich nun eine Nachricht annehmen kann oder nicht.“

Luke seufzte. So war es also. Erst wurde man einberufen, auf eine Mission geschickt und alles musste so schnell wie möglich passieren. Wenn man dann Informationen hatte, lief man vor eine Tür. Hinterlassen Sie bitte eine Nachricht nach dem Piepston.

„Okay, Kat, haben Sie einen Stift?“

„Sehr lustig“, sagte sie. Natürlich hatte sie ihr Tablet. Luke hatte sich nie ganz an die neueste Technologie gewöhnt. Er hatte immer noch die Tendenz, Notizen auf Papierfetzen zu kritzeln.

„Wir haben heute Morgen Li Quiangguo verhört. Aufgrund von Informationen, die er uns gab, fanden wir eine Liste mit dutzenden von Einrichtungen, die vermutlich Ziele für Terroranschläge sind. Unser Techniker glaubt, dass Cyberangriffe geplant sind, wie der, der auf den Black-Rock-Damm ausgeübt wurde. Jedes potenzielle Ziel hat ein eigenes Dokument. In diesen Dokumenten ist ihre Technologie beschrieben, Netzwerkdaten, Eckdaten der Serverstruktur, Verarbeitungsgeschwindigkeiten, sowie das Alter der Systeme und bekannte Schwachstellen.“

„Um was für Einrichtungen handelt es sich?“, fragte sie.

„Flughäfen. Kraftwerke. Ganze Stromnetze. Ölplattformen. Ölraffinerien. Dämme. Brücken. U-Bahn- und Eisenbahnsysteme. Denken Sie sich was aus, es steht auf der Liste.“

„Irgendein vermuteter Zeitrahmen?“

„Ja. Das letzte Dokument auf der Liste hieß ‚Stunde Null‘. Wir haben es geöffnet. Das Datum war der 18. August, in zwei Tagen.“

Die Leitung war still.

Luke fuhr fort. „Wir sind auf dem Weg, um Li erneut zu befragen. Wir werden etwa 90 Minuten brauchen, um anzukommen. Wir haben die Listen auf CD. Unser Techniker, Swann, bleibt hier in Atlanta und überwacht das Hochladen der Daten, damit wir sie so schnell wie möglich an die Analysten vom FBI, der NSA und der CIA weiterleiten können. Sie sollten vielleicht in Betracht ziehen, Ihre Leute jetzt schon zu benachrichtigen, damit sie bereit sind, sobald die Daten verfügbar sind. Wir brauchen wahrscheinlich mindestens 100 Leute, die heute Nachmittag noch anfangen können. Wir müssen also behördenübergreifend arbeiten.“

„Sie sollten besser direkt mit Susan reden“, sagte Kat.

„Ja. Wenn ich Sie erinnern darf, habe ich das gleich gesagt, damit wir keine Zeit verschwenden.“

„Verstanden.“

Die Leitung war wieder tot.

Ed starrte Luke an. Seine Augen waren aufgerissen. Er sah aus, als hätte er Schmerzen. Als hätte er gerade eine unangenehme Überraschung erfahren – wie ein Kind, dem gerade gesagt worden war, dass es keine Kekse mehr gab.

Draußen schossen Gebäude und Wände voller Plakate vorbei. Inzwischen waren sie auf einer Autobahnbrücke.

„Ich habe den Hubschrauberpiloten an der Strippe. Weiter bin ich nicht gekommen.“

„Okay, was sagt er?“

„Er ist auf dem Hubschrauberlandeplatz hier in Atlanta und hat das FEMA-Lager am Apparat.“

„Okay, Ed, raus mit der Sprache. Was ist los?“

Ed zuckte mit den Schultern. Er kniff die Augen zusammen.

„Li Quiangguo ist tot.“

KAPITEL ACHT

12:30 Uhr.

Lagezentrum, Marine-Observatorium – Washington, DC

„Sollte ich dabei sein?“, fragte Michael Parowski.

Susan nickte. „Ich will dich dort haben.“

Sie befanden sich im Erdgeschoss des Neuen Weißen Hauses und liefen zügig auf das Lagezentrum zu. Kat Lopez folgte ihnen mit zwei Schritten Abstand. Zwei Männer des Secret Service folgten ihr wiederum mit zwei Schritten Abstand.

„Was wollen Sie den anderen sagen?“

Susan zuckte die Achseln. „Es ist nicht nötig, jemandem etwas zu sagen oder dich anzukündigen. Kurt Kimball schmeißt manchmal Leute raus, wenn wir Dinge besprechen, für die man eine besondere Sicherheitsfreigabe benötigt. Aber abgesehen davon sollte es niemanden stören, dass ein amtierender Abgeordneter dabei ist.“

„Wann werden wir es ankündigen?“

Susan schaute zurück. „Kat?“

„Wir haben einen vorläufigen Termin am Mittwoch um neun Uhr. Wir bereiten eine Pressekonferenz vor. Wenn das Wetter mitspielt, halten wir sie im Garten vor dem Haus ab. Wenn nicht, im Lagezentrum. Reicht Ihnen die Zeit, Herr Abgeordneter?“

„Zwei Tage? Sie wären überrascht, wie viel ich in zwei Tagen schaffe.“

Sie gingen durch die offenen Doppeltüren in das Lagezentrum. Zwei weitere Geheimdienstler flankierten den Eingang. Der große, kahle Kurt Kimball, Susans nationaler Sicherheitsberater, war bereits hier und stand vor einem großen, an der Wand montierten Flachbildschirm. Er sprach mit einem jungen Techniker und hielt eine Fernbedienung in der Hand.

Der Raum füllte sich langsam. Kurt hatte mehrere Mitarbeiter hier, sowie seine beiden Top-Geheimdienst-Analysten, die er beide von der RAND Corporation herbeordert hatte, sobald sie den Anruf erhalten hatten.

Trish Markle, die neue Außenministerin, saß Kurt gegenüber und sprach mit zweien ihrer jungen Mitarbeiter. Trish war bereits seit sechs Wochen im Amt. Als der Vorfall von Mount Weather sich ereignete, war sie Unterstaatssekretärin im Außenministierum gewesen. Susan hatte sie an die Spitze befördert. Trish war 47 Jahre alt. Sie hatte viele Jahre als Bürokratin verbracht – vielleicht zu viele. Bis jetzt hatte sie sich als Außenministerin noch nicht besonders hervorgehoben.

„Kurt“, sagte Susan mit lauter Stimme, um die Hintergrundgeräusche zu übertönen.

Er sah Susan in die Augen, dann kam er zu ihr. Er schüttelte Parowskis Hand. „Mike, schön Sie zu sehen. Ich habe gehört, dass Sie bald eine Ankündigung für uns haben.“

Parowski warf Susan einen Blick zu. „Interessant. Ich selbst habe es gerade erst erfahren.“

Kimball lächelte. „Gerüchte verbeiten sich hier schnell.“

„Kurt“, sagte Susan, „wenn du bereit bist, möchte ich anfangen. Ich komme mir vor, als hinken wir jetzt schon hinterher. Ich möchte auf den neuesten Stand gebracht werden.“

„Ich bin bereit. Es sind noch nicht alle da und die Analyse, die wir bis jetzt haben ist noch sehr, sehr vorläufig. Mark Swann hat die Daten gerade mal vor 20 Minuten auf einen sicheren Server geladen.“

„Das ist okay. Ich brauche nicht alle Details. Bringen Sie nur mich und alle anderen in diesem Raum auf den neuesten Stand, was die Bedrohung angeht.“

Susan setzte sich an die Spitze des langen Konferenztisches. Kat Lopez stand hinter ihr, Mike Parowski saß zu ihrer Linken. Für eine Sekunde erinnerte sich Susan daran, wie sie sich früher in diesem Raum gefühlt hatte. In den ersten Tagen, nach den Anschlägen vom 6. Juni und während der Ebola-Krise, hatte sie sich überfordert gefühlt. Alles um sie herum hatte eine fast surreale Qualität angenommen.

Sie war Hals über Kopf in diese Präsidentschaft hineingestolpert. Damals waren viel mehr Männer um sie herum als heute, und zahllose Militärs. Das hatte sie stets paranoid gemacht. Der ehemalige Präsident war damals frisch ermordet worden, und die Attentäter hatten teilweise zum Militär gehört. Die Männer im Raum hatten sie angestarrt wie Haie, die nur darauf warteten, ein Stück ihres zarten Fleisches herauszureißen.

Heute waren die Verhlältnisse anders. Sie war der Stürmer. Die Leute um sie herum gehörten zu ihrem Team – entweder hatte sie sie selbst ausgesucht, oder sie stammten aus der vorherigen Regierung. Die meisten hatte Kurt Kimball persönlich überprüft. Sie mochte das Team, das sie jetzt um sich hatte.

 

„Okay“, fing Kurt an. Er hob seine Hände in die Luft. „Okay, alle mal herhören. Wir haben viel zu tun, und wir sind noch nicht vollzählig, aber wir fangen jetzt an. Jeder, der hier nicht rein gehört, weiß, wo die Tür ist.“

Er sah Susan an. „Frau Präsidentin, danke, dass Sie gekommen sind.“

Sie machte eine ungeduldige Geste. Sie wollte, dass er zur Sache kam.

Hinter Kurt tauchte ein Foto vom Black-Rock Damm auf. Es war ein Riese aus grauem Beton, der bis in den Himmel zu ragen schien.

„Okay. Wir wissen inzwischen alle, dass sich gestern früh am Black-Rock Damm im Westen von North Carolina, in der Nähe des Great Smoky Mountains Nationalparks, die Schleusen geöffnet haben. Millionen von Kubiklitern Wasser wurden freigesetzt, bevor die Arbeiter den Damm wieder schließen konnten, und überfluteten ein Resort und mehrere Städte flussabwärts des Damms. Vorläufige Schätzungen gehen davon aus, dass tausend oder mehr Menschen bei der plötzlichen Überschwemmung starben, und es entstand ein Sachschaden von mehr als einer Milliarde Dollar. Das Black-Rock Resort, fünf Kilometer südlich des Damms, wurde komplett zerstört.“

Neben dem Bild des Staudamms erschien ein weiteres Foto. Auf ihm war ein großer asiatischer Mann in einem orangefarbenen Overall, seine Arme und Beine gefesselt, der gerade aus einem Geländewagen ausstieg. „Dies ist Li Quiangguo, 32 und vermutlich aus China. Wir haben keine Ahnung, ob das sein richtiger Name war. Wir vermuten, dass dem nicht so war. Außerdem vermuten wir, dass er ein chinesischer Geheimagent war.“

„War?“, fragte Susan leicht verwirrt. „Warum sprichst du in der Vergangenheit von ihm?“

Kimball sah sie an. Dann schaute er Kat Lopez an. „Okay, scheinbar hat Sie diese Information noch nicht erreicht. Li Quiangguo ist tot. Es gab einen Vorfall im FEMA-Camp, in dem Li festgehalten wurde. Luke Stone und sein Team war heute Morgen dort, um ihn auf Ihren Befehl hin zu befragen.“

Susan nickte. „Danke, ich weiß, wie meine Befehle lauteten.“

„Niemand ist sich ganz sicher, was passiert ist, weil wir noch nicht mit Stone gesprochen haben, aber anscheinend hat sich der Gefangene nach dem Verhör selbst getötet.“

„Großartig“, sagte Susan.

Susan dachte an Luke Stone und an ihre Idee, ihn für diese Operation zurückzuholen. Sie fragte sich einen Moment lang, ob es vielleicht besser gewesen wäre, ihn in Ruhe zu lassen. „Wie konnte das passieren?“

Kimball zuckte die Achseln. „Gefangene werden bei aggressiven Verhören ängstlich. Stone hat dem Lagerleiter erzählt, dass Li kooperativ war und sie einer Spur nachgehen würden, die sie von ihm erhalten hatten. Anstatt Li dreckig wie er war herumsitzen zu lassen, hat der Direktor ihm erlaubt, sich heiß zu duschen. Das ist nicht unüblich. Wenn ein Gefangener kooperiert, belohnt man ihn im Gegenzug. Das macht es wahrscheinlicher, dass er kooperativ bleibt.“

„Nur haben sie Li erlaubt, alleine in die Dusche zu gehen. Sie haben lediglich zwei Wachen außerhalb der Duschen platziert. Außerdem haben sie seine Hand- und Fußfesseln entfernt. Es stellte sich heraus, dass er eine starke Dosis Zyanid in einer Kapsel in einem falschen Zahn aufbewahrt hatte. Als das Wasser zu fließen begann, hat Li den Zahn herausgenommen und die Kapsel geschluckt. Innerhalb von eineinhalb Minuten fingen die Anfälle an. Innerhalb von vier Minuten war er tot.“

„Wurde er gefoltert?“, fragte Susan mit Nachdruck.

„Es gab keine Spuren an seinem Körper, außer denen, die auf geringen Widerstand bei der Verhaftung hinweisen.“

„Das war nicht meine Frage“, entgegnete Susan.

Kurt schüttelte den Kopf. „Ich denke, Sie sollten Luke Stone selbst fragen, ob das Subjekt gefoltert wurde.“

Ein leises Raunen ging durch den Raum.

„Was haben wir noch?“, fragte Susan.

Kimball wechselte auf eine andere Folie. Sie zeigte ein Bild von einem Lagerhaus aus rotem Backstein das entlang einer Industriestraße lag. „Li Quiangguo gab Stone und seinem Team Informationen, die sie zu diesem Lagerhaus führten. In dem Lagerhaus fanden sie Beweise für das Import-Export Geschäft, das Li in den Vereinigten Staaten als Tarnung diente. Sie fanden außerdem Beweise dafür, dass Li Informationen für potentielle Cyberangriffziele zusammenstellte. Auf dieser Liste befinden sich umfangreiche Daten über jedes einzelne Ziel. Sie wurde auf drei CD-ROMs in einer verschlossenen Schublade im Büro des Lagers aufbewahrt. So weit wir wissen, ist das der einzige Ort, an dem diese Informationen aufbewahrt wurden.“

„CD-ROM?“, fragte Mike Parowski erstaunt. „Warum sollte er die Informationen so aufbewahren? Das ist doch schon seit 20 Jahren veraltet.“

Susan war ein wenig überrascht, dass Mike sich eingeschaltet hatte. Sie hatte gewollt, dass er in die aktuellen Geschehnisse eingeweiht war, aber sie hatte auch erwartet, dass er sich zurückhalten würde.

Kimball zeigte auf ihn. „Das ist die Preisfrage. Wir vermuten im Moment, dass Li seine Dateien auf CD aufbewahrt hat, so dass die amerikanische Regierung keine Möglichkeit hatte, an die Daten zu kommen. Wir können nur analysieren, was sich auf Computersystemen befindet, die mit dem Internet verbunden sind. Informationen, die auf irgendwelchen CDs in einer Schublade liegen, sind für uns unzugänglich.“

Parowski blieb beharrlich. „Irgendwie muss er diese Informationen doch an seine Kontakte, die sich vermutlich in China befinden, übermittelt haben?“

„Er war ein Importeur“, erwiderte Kimball. „Ich bin sicher, er wusste, dass wir fast den gesamten Webverkehr abfangen können, der aus den USA stammt, in die USA kommt oder durch die USA geht. Er wusste wahrscheinlich auch, dass die eigentliche Aufgabe von Behörden wie der NSA darin besteht, den Webverkehr von Ausländern zu analysieren, insbesondere den fragwürdigen Verkehr, der mit Ländern wie China in Zusammenhang steht. Sein Scheingeschäft war eine gute Möglichkeit, dies zu umgehen.“

„Wir haben erste Untersuchungen durchgeführt und haben herausgefunden, dass seine Firma regelmäßig Pakete nach China schickte – Papierkram, Manifeste, Rechnungen, Bestellformulare und ähnliches. Er hatte ein Konto bei DHL Worldwide sowie bei einigen asiatischen Kurierdiensten. Es ist sehr wahrscheinlich, dass er die Daten aufgteilt hat, möglicherweise auf Disketten oder CDs, die meist voller belangloser Informationen waren. Die Daten in seinem Büro hat er vermutlich für sich selbst zusammengestellt, falls er sie in Zukunft noch einmal brauchen sollte.“

„Würden Sie sagen, dass das nicht gerade schlau von ihm war, diese Daten so zusammengefasst zu lagern?“, fragte Parowski.

Kimball zuckte die Achseln. „Ich denke, optimal war es nicht gerade. Ich bin sicher, dass seine Vorgesetzten nicht glücklich wären, davon zu erfahren. Ich bin mir auch sicher, dass ihm das sehr klar war und dass das zumindest einer der Gründe ist, warum er jetzt tot ist. Andererseits denke ich auch, dass die Chancen, dass jemand tatsächlich an diesen Informationen kommen würde, verschwindend gering waren. Was auch stimmte.“

Susan hielt hob ihre Hand.

„Haben wir die Namen und Adressen der Orte, an die er seine Kuriersendungen geschickt hat?“

„Sicher, aber das sind etwa zwei Dutzend, verteilt über ganz Hongkong, Guangzhou, Peking und andere Industriegebiete. Dort schießen neue Firmen wie Pilze aus dem Boden und verschwinden genau so schnell wieder. Das ist nur eine Vermutung, aber wahrscheinlich hat er tatsächlich nur mit Firmen kommuniziert, die seriös waren.“

„Wissen wir, wer er ist?“

Kimball schüttelte den Kopf. „Wir haben China nicht annähernd so gut infiltriert, wie wir es gerne hätten. China war lange Zeit eine geschlossene Gesellschaft. Sie beäugen Außenstehende immer noch argwöhnisch. Egal, ob es chinesische Rückkehrer sind, in den USA geborene Chinesen, die sie besuchen, ganz gleich. Es ist fast unmöglich, einen Agenten bei ihnen einzuschleusen.“

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