Buch lesen: «Right in your heart», Seite 3

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Zwar hatte ich die Koffer gepackt, dafür die Wäsche aufzuhängen vergessen. Fuck. Irgendetwas übersah ich andauernd. Somit in Rekordzeit das Gewand aufgehängt, welches für die nächsten Tage friedlich vor sich hin trocknen konnte. Hauptsache sämtliche Elektrogeräte waren ausgeschaltet. Einen Wohnungsbrand wollte ich nicht herbeibeschwören. Apropos Wohnung: Ich bewohnte eine von meinem Arbeitsort exakt zehn Kilometer entfernte sechzig Quadratmeterwohnung. Sie war vielleicht nicht sonderlich groß, dafür punktete sie durch eine sonnige ruhige Lage und freundliche Mieter sowie einen Gratisparkplatz und ein großes Kellerabteil.

Was wollte ich noch?

Ja, genau!

Essen.

Ich griff nach der durchsichtigen mit Eierreis gefüllten Plastikbox, welche ich mir von meinem Lieblingschinesen mitgenommen hatte, und öffnete diese.

Ein köstlicher Geruch von Sojasoße, Hühnerfleisch und Ei wehte mir entgegen. Geschickt brach ich die Holzstäbchen auseinander und begann zu essen.

Es gab kein chinesisches Gericht, das ich ohne Stäbchen aß.

Weshalb?

Aus Prinzip. Und um die eigene Komfortzone stets aufs Neue zu durchbrechen.

Immerhin konnte man – und sollte man auch – ab und zu etwas nicht auf die übliche Weise tun. Das Leben war langweilig genug. Da vermochten ein paar kleine Besonderheiten, wie Stäbchenessen, das Geschirr mit der nicht dominanten Hand abschrubben oder alle drei Monate einen unbekannten Ort besuchen, den Alltag kräftig aufzuwerten. Darüber hinaus erweiterte man seinen Horizont und behielt seine Flexibilität.

Andererseits konnte diese Macke genauso gut durch mein Singledasein entstanden sein.

Ich trank einen Schluck Orangensaft.

Tatsache war: Es gab niemanden, mit dem ich meine Freizeit verbringen durfte. Daher blieb mir gar nichts anderes übrig, als mir ständig neue Freizeitbeschäftigungen auszudenken, zumal mich die meisten meiner Hobbys schnell langweilten: Laufen – obgleich hier ebenso mein gesundheitlicher Aspekt, schmerzende Knie und Fußgelenke, eine Rolle gespielt hatte – Fahrradfahren, Kochen, Basteln, Malen, Stricken.

Stricken!

Wie ich auf diesen Schwachsinn gekommen war, entzog sich meiner Kenntnis.

Das Fotografieren wiederum hatte ich beibehalten.

Da das Ausdauertraining, Schießtraining und die Selbstverteidigung übermäßig viel Zeit in Anspruch nahmen, blieb aber ohnehin keine Zeit für weitere Interessen.

Nun, ich hatte mich für dieses Leben entschieden, und es bislang keine einzige Sekunde bereut. Da durften die einsamen Stunden nicht wirklich schwer wiegen.

Nachdem ich den Reis verschlungen hatte, wusch ich das Glas ab, trocknete die Spüle, duschte mich und packte den restlichen Kram ein. Für den insgesamt dreizehnstündigen Flug zog ich mir eine schwarze Anzughose und ein schwarzes Hemd an. Dazu schwarze flache Schuhe. Meine rückenlangen braunen Haare ließ ich offen. Es tat gut, einmal ohne strengen Dutt herumzulaufen.

Ein letzter prüfender Blick in den Spiegel, dann verließ ich die Wohnung.

Um 18:00 Uhr erreichte ich den Klagenfurter Flughafen, um 18:35 hoben wir ab und um 19:25 landeten wir ohne Komplikationen in Wien.

Ich nahm das rege Treiben in der großen Halle des Flughafens in Augenschein.

Dutzende Geschäftsmänner schritten geschäftig von einem Terminal zum nächsten. Ausländer schauten sich verwirrt um. Einige Pärchen, deren weibliche Hälften mir giftige Blicke zuwarfen, eilten an mir vorbei Richtung Ausgang.

Welch wundervolle Begrüßung.

Wien.

Erst einmal hatte ich unserer Hauptstadt einen Besuch abgestattet.

Damals war ich durch die Aufnahmeprüfung der Cobra gerasselt. Demgemäß wenig Lust hatte ich empfunden, länger zu bleiben und irgendwelche Touristenattraktionen alleine und von Pärchen umzingelt anzugaffen sowie von ebendiesen glücklich liierten Idioten angegafft zu werden.

Neidig-gefrustete Blicke von mich musternden Weibern standen an oberster Stelle meiner »Das-halte-ich-beim-besten-Willen-nicht-aus-Liste«. Wie eben erlebt. Noch viel bescheuerter wurde es jedoch, wenn solche Zicken meine Musterung abgeschlossen hatten und daraufhin ihren Lebensgefährten an sich zogen, um diesen einen stürmischen Kuss zu verpassen. In der Art: »Der gehört mir. Such dir einen eigenen Freund.«

Als ob mich solche Schlappschwänze interessierten!

Männer mit derart komplexbehafteten Weibern an ihrer Seite waren meiner Meinung nach ohnehin nicht ganz dicht und daher beziehungsuntauglich.

Nun, was soll’s.

Wer sagte denn, Leute würden vernünftige und anständige Individuen darstellen?

Ich jedenfalls nicht …

Der zweite Flug startete um 21:45. Genügend Zeit, um sich einen letzten österreichischen Kakao zu gönnen.

Während ich die hektische Szenerie durchquerte, hielt ich nach einem Lokal Ausschau.

Ein braunes Schild, auf dem in geschwungenen weißen Buchstaben »Café« geschrieben worden war, lenkte meine Schritte in die linke Richtung.

Mein Handy vibrierte.

Wahrscheinlich war das diese bescheuerte Facebook-App, die mir sagen wollte, ich hätte viel mehr Freunde auf Facebook, als ich dachte.

Leicht genervt zog ich das Smartphone hervor – da wurde ich angerempelt.

Taschendieb, war mein erster Gedanke.

Sofort brachte ich mich in eine Art Kampfstellung: Trolley losgelassen, den Griff um die Handtasche verstärkt, den Großteil meiner Aufmerksamkeit auf den Rempler gerichtet. Den Rest meiner Konzentration benutzte ich, um die mich umgebende Szenerie zu beobachten.

Taschendiebe arbeiteten oft im Team. Eine Unachtsamkeit und Trolley oder in Hosentaschen steckende Portemonnaies gehörten für immer der Vergangenheit an.

Der vermeintliche Kriminelle, ein Mann mit leicht zurück gegelten dunklen Haaren und einer Sonnenbrille auf der Nase, war jedoch längst dabei, unbeeindruckt an mir vorüber zu schreiten.

Und meine Synapsen feuerten.

Weshalb trug dieser Idiot eine Sonnenbrille bei Nacht? Warum zeigte er dieses übertrieben verschmitzte Macho-Gelächle? War er solchermaßen in Gedanken vertieft oder war die Aktion Absicht gewesen?

Und sofern Letzteres zutraf, was wollte dieser dunkelhaarige Johnny Bravo damit bezwecken?

»Sorry, Kleine«, kam es mit satter tiefer Stimme salopp wie selbstbewusst über seine Lippen. Seine Schrittgeschwindigkeit verlangsamte er nur geringfügig.

Obgleich ich Johnnys Augen nicht erkennen konnte, hatte ich das Gefühl, er würde mir bis in die tiefsten Winkel meiner Seele blicken.

Unauffällig und in sekundenschnelle nahm ich seine überraschend große und maskuline Statur in Augenschein. Er trug ein dunkles Hemd, darüber eine kurze Lederjacke und eine hautenge Jeans, der es nicht einmal im Ansatz gelang, seine muskulösen Beine zu verstecken. Schwarze Lederstiefel rundeten sein lässiges Outfit ab. Die selbstbewusste Körperhaltung, das unverbindliche Grinsen und der gepflegte kurz geschnittene zarte Bart, welcher seine leicht kantigen Gesichtskonturen ungleich stärker zur Geltung brachte, verliehen ihm eine schwer zu ignorierende Ausstrahlung.

Ich musste mir eingestehen: Er sah verdammt attraktiv aus … unwahrscheinlich attraktiv.

»Geiler Arsch.«

Mir wurde es schlecht.

So viel zum ersten Eindruck.

»Hat auch viel Zeit und Mühe gekostet«, gab ich angewidert zurück, drehte mich um, packte den Trolley und marschierte weiter.

So ein aufgeblasener Gockel!

Derlei Situationen verdeutlichten mir abermals, weshalb ich mich mit Männern außerhalb meines Jobs nicht abgab!

Dumme Kommentare und übermäßiges Selbstbewusstsein, welches im Endeffekt in Arroganz mündete, brauchte ich wahrhaftig nicht, um glücklich zu werden.

Was du brauchst, ist ein Mann!, echote Dans Aussage mir durch den Verstand.

Ja genau. Womöglich noch einer, wie dieser Rempler vorhin?

Mit Sicherheit nicht!

Kopfschüttelnd betrat ich die Café-Lounge.

Was ich bestenfalls benötigte, war jemand, auf den ich mich verlassen konnte.

Ein guter Kumpel. Ein Partner. Ein Back-up – eine starke Schulter zum Anlehnen.

Ein Macho, wie der vorherige würde mir diese Bedürfnisse niemals befriedigen. Eher noch würde ich mir damit mehr Probleme aufhalsen …




Der Flug startete planmäßig und verlief – sofern man von dem kleinen Missgeschick eines sehr betagten Mannes absah – recht unspektakulär: Die halbe Zeit schlief ich, und wenn ich wach war, zog ich mir ein paar Songs eines italoamerikanischen Sängers namens Slim Man rein, dessen wunderbare an Vollmilchschokocreme erinnernde Stimme mich in richtige Urlaubslaune versetzte.

Gut, die Texte waren allesamt relativ schmalzig und schnulzig und kitschig … dennoch. Irgendetwas hatte dieser Mensch an sich. Etwas, das ihm offenkundig ebenso in seine Songs unterzubringen gelang: etwas, wie Seele.

Um 5:20 Uhr Ortszeit landete die Boeing in Dubai. Nun musste ich drei Stunden warten, ehe mich mein nächster vierstündiger Flug nach Male brachte.

Die Wartezeit nutzte ich, um meinen Polizeibericht zu schreiben. So ein MacBook Air mit seiner zwölfstündigen Akkulaufzeit konnte da ziemlich praktisch sein.

Flott tippte ich mein kleines Abenteuer nieder – und keine halbe Stunde später klickte ich auf den Senden-Button des Mail-Programms.

Nun hieß es: warten. Darum zückte ich Barry Eislers Tokyo Killer und begann zu lesen.

Eben war Rain dabei, einen dieser verfickten Arschsäcke umzubringen, da vernahm ich den Aufruf für meinen Flug. Widerwillig packte ich das Buch weg, ergriff mein Zeugs und begab mich zum Boarding.

Alsbald ich auf meinem Platz saß, steckte ich mir die Ohrenhörer ein, wählte Slim Man’s Album Thousand Miles Away an und schloss die Lider.

Die vier Stunden rasten dahin, und mir nichts dir nichts befand ich mich in der Einwanderungsbehörde von Male und füllte ein Formular aus. Und dreißig Minuten später saß ich im Wasserflugzeug Richtung Urlaubsparadies.

Nachdem wir zwei Inseln angeflogen und Passagiere abgesetzt hatten, war endlich meine an der Reihe.

Bereits aus der Luft sah Naladhu, das halbmondförmige, südlich gelegene Male-Atoll, schlichtweg traumhaft aus.

Der Pilot landete und wir wurden aufgefordert, das Flugzeug zu verlassen.

Mit sanfter Vorfreude setzte ich meinen ersten Schritt auf den ellenlangen magnolienfarbenen Steg. Der Geruch von Meerwasser, Kerosin und Holz stieg mir in die Nase, evozierte erste richtige Urlaubsgefühle.

Mitreisende folgten: Ein japanisches Pärchen – ich tippte auf Flitterwochen – ein kaukasischer Berufsfotograf und ein weiteres, um die sechzig angesiedeltes hellhäutiges Pärchen.

Während wir die Koffer ausgehändigt bekamen, richtete ich den Blick zur exotischen Insel, welche sich wie auf den Fotos des Reiseveranstalters präsentierte: azurblauer Himmel, grüne Palmen, strahlend weißer Sandstrand und zwischen all der Schönheit braune Schilfdächer der Bungalows.

Samt Trolley und Handgepäck setzte ich mich in Bewegung.

Die zärtlichen Wellen des türkisfarbenen, klaren Indischen Ozeans funkelten in der nachmittäglichen Sonne. Eine warme Brise wehte mir meinen lockigen, kinnlangen Pony ins Gesicht und bewies mir: Ich hätte mir die Haare doch zusammenbinden sollen.

Ich hasste es, wenn sich meine Mähne verselbstständigte und mir vor die Augen flog. Speziell in solchen Momenten, wenn sich die Natur dermaßen perfektionistisch in Szene setzte.

Bleib locker, mahnte ich mich. Genieße besser die Aussicht. Was sagt es über dich aus, wenn du dich über verwehende Haare aufregst?

Auf der Insel angekommen wurde unsere kleine Gruppe von einer dauerlächelnden weiblichen Reiseleitung empfangen, welche uns mit den wichtigsten Informationen betraute: Dass man sich vor neugierigen Haien und Rochen nicht zu fürchten brauche, wann Schnorchelausflüge und andere Touristenattraktionen auf dem Plan stünden – einschließlich der Rochenfütterung, diese wurde täglich um 17:30 Uhr abgehalten – und ein paar administrative Angelegenheiten, die mich im Grunde genommen nicht wirklich interessierten, von meinem Hirn dennoch abgespeichert wurden.

Wieder mehr Beachtung schenkte ich den Essenszeiten: Gefrühstückt wurde zwischen 7:30 Uhr bis 10:30 Uhr. Mittagessen gab es von 12:30 Uhr bis 14:00 Uhr. Zwischen 16:00 Uhr und 17:00 Uhr hatte man die Möglichkeit, sich kleine Snacks zu holen. Zu Abend gegessen wurde von 18:30 Uhr bis 20:30 Uhr. Und wen nach all der Fresserei noch immer Hunger plagte, konnte einen Mitternachtssnack an der Bar einnehmen.

Zum Abschluss erfuhr ich die Lage meines Wasserbungalows. Dieser befand sich fünfzig Meter von der Rezeption entfernt – umringt vom glitzernden Ozean.

Erschöpft und ausgelaugt betrat ich mein neues Domizil. Ich ließ das Handgepäck auf den Boden fallen, rollte den Trolley dazu und zog mir die Schuhe aus.

Der Wohnbereich fiel unerwartet groß aus.

Eine weißgepolsterte Couch zu meiner Linken, ein runder Holztisch mit Glasplatte und dazu passende Stühle, eine Holzkommmode zu meiner Rechten, luftig cremefarbene Vorhänge sowie ein holzähnlicher Duft verscheuchten Stress und Frustration endgültig und beschenkten mich stattdessen mit reiner urlaubsmäßiger Glückseligkeit.

Barfuß durchquerte ich den Raum und huschte nach links – in das, meines Erachtens nach, schönste Bad der Welt: Eine Steinwanne, eine Regendusche und einen direkten Abstieg ins Meer wurden mir hier ebenso geboten wie zwei riesige Spiegel, Steinwaschbecken und einen Durchgang zur Terrasse, in der ein rechteckiger Pool mit Meerwasser angelegt worden war. Konkret bedeutete das: Ich konnte im Meer baden, ohne überhaupt ins Meer zu gehen. Sehr praktisch, sollte man sich vor Haien fürchten, welche durch das klare Salzwasser bereits von Weitem zu erkennen waren. Da ich glücklicherweise an keinerlei Ängsten litt, konnten sich diese anmutigen Meeresbewohner sicher sein, mich in den nächsten fünf Tagen des Öfteren in ihrer natürlichen Umgebung anzutreffen.

Ich trat zur weiß gestrichenen Holzbalustrade und ließ den Blick über den Ozean schweifen – und was sah ich? – einen kleinen hellhäutigen Hai, der quickfidel an meinem Domizil vorbei Richtung Strand schwamm.

Ich bekam Herzklopfen vor Freude, Glück und Unglauben.

Diese Insel war tatsächlich ein Paradies auf Erden!

Kein Wunder, weshalb derart viele Leute ihre Flitterwochen auf den Malediven verbrachten.

Durch diesen Gedanken legte sich mein überschäumender Gemütszustand, und stets zu vergessen versuchende Erlebnisse drängten von den tiefsten Winkeln meiner Seele empor.

Verfluchte Scheiße!

Weshalb hatte ich mich mit diesem Vollidioten eingelassen?

Wie blöd war ich gewesen, mich von seinem Aussehen blenden zu lassen?

Sowie seinem Gemaule: »Du bist so hübsch. Du bist so klug. Du bist eine echte Traumfrau.«

Ja ne, is’ klar!

Deshalb betrog er mich ja mit einer Putzfrau – kaum fünf Monate später.

Klasse.

Die Überlegungen auf die Seite schiebend ging ich zurück ins Bad und weiter ins Schlafzimmer. Ein schneeweißes Himmelbett war inmitten des sonnendurchfluteten Raumes platziert worden. Zahllose Fenster boten mir einen atemberaubenden Blick aufs Meer und die Insel. Dennoch wollte sich eine neue Freude nicht mehr wirklich einstellen.

»Verdammt!«, fluchte ich laut. »Jetzt lässt du es noch zu, von diesem Arschloch, das du schon seit vier Jahren nicht mehr gesehen hast, deinen Urlaub zu verhunzen!«

Ich atmete einmal tief durch.

Ändern konnte ich nichts mehr daran. Es war passiert. Weshalb? Ich wusste es nicht, und ich verstand es nicht. Ich hatte keinen blassen Dunst, was ich falsch gemacht hatte. Tausendmal hatte ich mir dieselben Fragen gestellt: War ich nicht sein Typ? War ich zu hässlich? War ich nicht gut im Bett? War ich zu introvertiert? Zu extrovertiert? Zu aufbrausend?

Nun, erfahren würde ich es nie mehr. Und ständig darüber nachzudenken half mir ebenso wenig, wie mir durch diese Sache diesen teuren Urlaub komplett verderben zu lassen.

Bedauerlicherweise gab es da einen weiteren Grund, welcher mich dieses Drama nicht aufarbeiten ließ: Dieser Drecksack war mein Erster gewesen. Mein erster Freund.

Dabei hatte ich bis achtundzwanzig gewartet, mich davor erst gar nicht auf irgendwelche Idioten eingelassen – in der Hoffnung, den Richtigen zu begegnen. In der Hoffnung, glücklich zu werden.

Und was passierte?

Ich musste mich in diesen verlogenen Bastard verlieben!

Mit Beziehungen hatte ich im Allgemeinen kein sonderliches Glück: Entweder wurde ich von fürchterlichen Unsympathlern angesprochen, meine Versuche nette Männer näher kennenzulernen, wurden mit Ignoranz beantwortet oder aber, die Objekte meines Begehrens waren verheiratet, schwul oder anderweitig vergeben.

Diese Umstände schmerzten und demonstrierten mir auf unmissverständliche Weise, dass ich alleine besser dran war.

Eines war nämlich klar: Solange ich alleine durchs Leben schritt, konnte mich niemand verletzen.

Wie sagte Sherlock so treffend: »Alone protects me.«

Und dann meinten meine Kollegen und Bekannten, ich solle sesshaft werden!

Ernsthaft?

Was denn, heiraten? Und Kinder kriegen? Sich mit noch mehr Sorgen überladen? Ich hatte genügend Stress mit meiner eigenen Psyche. Sollten diese taktlosen, gefühllosen, verfluchten Männer besser anderen auf den Sack gehen! Es existierten genügend dumme Pussies, die ihnen auf Schritt und Tritt hinterher putzten und die Beine breitmachten, sobald die Herren der Schöpfung riefen.

Nein, mit mir nicht, Freunde! Mit mir nicht. Nie mehr!

Ich packte den Trolley aus und startete die Canon EOS 5D Mark III.

Fotos.

Eine Fotosession würde mich auf andere Gedanken bringen. Das hatte bislang immer geholfen.


In der deutschen Botschaft in Dubai.


Gelaber. Andauernd dieses gottverdammte, diplomatische, schleimige Gelaber! Das linke Bein auf dem rechten Oberschenkel gelagert, fuhr sich Theo durchs kastanienbraune Haar, welches sich durch zu wenig Gel und zu viel Luftfeuchtigkeit allmählich zu locken begann. Wie er das hasste! Und diese gottverdammte Hitze – der er im klimatisierten Büro des deutschen Botschafters zum Glück für eine kurze Zeit entfliehen durfte.

Unauffällig lockerte er die Krawatte.

Bedeutend lieber hätte er das schwarze Leinenhemd getragen.

Seine Gedanken schweiften zurück zu dem kleinen Spießrutenlauf quer durch die pulsierende Stadt Dubais. Dreimal das Taxi gewechselt (zweimal hatte sich dieser idiotische Fahrer verfahren!) und drei verschiedene Einkaufszentren aufgesucht, um durch Hinterausgänge in stark frequentierte Gassen unterzutauchen, ehe er letztendlich verschwitzt und erschöpft in der Botschaft eingetroffen war.

Eine einzige Tortur war das gewesen! Eine einzige Tortur. Und die ganzen Mühen lediglich aufgrund verfickter Terroristen … und eines bescheuerten Berichts.

»Ja, das war ein außerordentliches Manöver!«

Der Schlipsträger mit der dunklen Hornbrille und den Schweinsaugen laberte seit einer halben Stunde mit seinem Boss im BKA in Berlin.

Erst ging es um das typisch diplomatische Geplapper, dann um gewisse Kleinigkeiten, denen man in Zukunft mehr Beachtung schenken musste, – wollte sich Theo mit der Justiz nicht ernsthafte Probleme einhandeln – und schließlich erklangen die Lobeshymnen.

Theo vermutete, dass sein Boss dem Diplomaten auf seine typisch sarkastisch-intellektuelle Weise nähergebracht hatte, was es bedeutete, in der Abteilung für Terrorismusbekämpfung zu arbeiten, und wie schwer es war, die Regeln einzuhalten, sich dem Gesetz und dem Protokoll zu beugen, wenn – sagen wir einmal – durchgeknallte, aber vor allem radikalisierte Muslime oder anderer Abschaum dir an den Kragen wollten.

»Selbstverständlich«, schleimte der Botschafter. »Ich kann nicht in Worte fassen, wie dankbar die arabische Regierung Ihnen und Ihrer Abteilung ist. Herr Böhm hat ausgezeichnete Arbeit geleistet.«

Natürlich hatte er ausgezeichnete Arbeit geleistet! Schließlich machte er seinen Job immer gut! Er war besser als die restlichen Luschen seiner Abteilung!

Theo lehnte sich zurück und betrachtete sich in der spiegelnden drei Meter hohen wie breiten, mit bunten Mosaiksteinchen verzierten Wandverglasung.

Obzwar er den schwarzen Anzug nicht ausstand, musste er sich eingestehen, verdammt gut darin auszusehen.

Und das Wichtigste: Die Frauen standen drauf.

»Ich bin Ihnen natürlich ebenfalls zum Dank verpflichtet«, sprach der Lackaffe übertrieben freundlich in den schwarzen Hörer.

Wie lange hatte der Botschafter geübt, um dermaßen speichelleckermäßig zu klingen?

Wahrscheinlich gab es da einen Kurs, den ein jeder politisch-motivierte Sack erfolgreich ablegen musste, ehe dieser irgendein Amt antreten durfte – hörten sich diese Typen doch allesamt gleich an. Selbst Mimik und Gestik erschienen ident.

Angewidert widmete sich Theo wieder seinem Spiegelbild.

Verdammt, diese verfluchten Locken!

Seitdem er zu denken in der Lage war, verabscheute er sie.

Im Laufe der Jahre hatten sie sich zum Glück ein wenig verändert. Hatte er anfangs noch wie David Hasselhoff ausgesehen – und das war wahrhaftig eine einzige Qual gewesen! – zeigte sein Haupthaar nun leichte Wellen mit vereinzelten großzügigen Locken, nicht diese Korkenzieherlocken, die ihn an griechische Gottheiten erinnerten.

Er bekam das Grausen.

Seine Mutter hatte seine Locken heiß geliebt, dementsprechend selten war sein Haar geschnitten worden. Das wiederum hatte Theo zum Gespött der gesamten Schule gemacht.

»Na Rapunzel … hey Tarzan … seht mal, da kommt Schmachtlocke.«

Verfluchte Rotznasen!

Wenigstens seine Mutter hatte ihm einen netteren Kosenamen verpasst: mein kleiner Engel.

Er musste lächeln.

Wenn sie wüsste, wie viele Frauen dieser kleine Engel bereits flachgelegt hatte, und in den nächsten Tagen noch würde …

Dubai.

Heiße Nächte. Geile Bräute. Exklusive Hotels.

Wenn er schon hier war, konnte er sich zumindest ein paar hübsche dunkle Frauen aufreißen. Konträr dazu verbot der muslimische Glaube alles, was Spaß machte. Das hatte er während seines allerersten Einsatzes vor zwei Wochen auf amüsante Weise erfahren müssen.

Eine wunderschöne junge Frau mit anständigen Kurven, dunklen Augen und vollen Lippen hatte ihn für den Bruchteil einer Sekunde angeblickt – und er selbstverständlich packte die Gelegenheit beim Schopf und sprach sie an.

Und damit ging’s los: Erstens verstand sie kein Englisch, genauso wenig Französisch und noch weniger Deutsch oder Italienisch, zweitens wurde er von einem ziemlich behaarten und fetten Typen angelabert, der, wie sich später herausstellte, der zukünftige Ehemann des heißen Fegers werden sollte.

Das würde er nie verstehen. Weshalb wurden die hübschesten Frauen stets mit den hässlichsten Typen verheiratet?

Wie auch immer.

Fetti war von seinem Flirtversuch logischerweise nicht eben begeistert. Aufgrund dessen – und vermutlich bezüglich irgendwelcher Ehrenkodexe oder eines Ramadanblödsinns – wollte dieser ihm seine Grenzen aufzeigen, indem er und seine drei Cousins oder Brüder – ganz genau wusste Theo das nicht, jedoch ähnelten diese ekelhaften Typen sich wie ein Ei dem anderen – fluchend und mit erhobenen Fäusten auf ihn losgingen.

Nun, Theo reagierte selbstredend diplomatisch: Er nahm die Beine in die Hand. Obwohl er einem guten Kampf üblicherweise ebenso wenig widerstehen konnte wie einer hübschen Frau, war Rückzug in dieser Situation die einzig vernünftige Entscheidung gewesen, hätte ihm eine Schlägerei bestenfalls strafrechtliche und dienstliche Konsequenzen eingehandelt.

Er hätte auf seinen Kollegen hören sollen.

Und dennoch, diese dunkelhaarige Schönheit hätte er gerne vernascht.

Die Sprachbarriere wäre sogar zu etwas zunutze gewesen! Damit hätte er sich eine Menge hohles und kitschig-romantisches Gelaber seinerseits wie Vorwürfe, Kritik und/oder uninteressantes zum Besten gebendes Allgemeinwissen ihrerseits erspart. Lediglich eine heiße Nacht und kein Wiedersehen – keine Verpflichtungen, keine Dramen, keine Sorgen.

Besser ging’s doch gar nicht!

»Natürlich. Ich werde es dem Scheich mit Geneigtheit ausrichten.«

Worum ging es jetzt wohl wieder? Bestechungsgelder für billigeres Öl?

Theos Blick wanderte zu der mächtigen bauchigen dunkelroten Vase, welche sich selbstbewusst in der linken Ecke des bestimmt siebzig Quadratmeter großen Büros präsentierte.

Ein teures Machwerk irgendeines durchgeknallten Künstlers?

Mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit.

Er schaute etwas genauer hin. Irgendwie erinnerte diese ihn an den roten Topf, bepflanzt mit der Amaryllis, welchen er seiner nunmehrigen Ex-Frau zu ihrem ersten Jahrestag geschenkt hatte.

Mann, das war ein Gezeter gewesen! Hatte sie sich offenbar etwas Ähnliches wie einen Diamantring gewünscht … oder irgendeine andere hochpreisige Aufmerksamkeit.

Gut, sein Gehalt war nicht der Schlechteste, allerdings bedeutete das nicht automatisch, zu den Top Ten Verdienern Deutschlands zu zählen.

Weshalb wollten Weiber andauernd das Teuerste vom Teuersten? Konnten die nicht einmal mit einer Kleinigkeit zufrieden sein?

Darüber hinaus hatte er ihr ständig Geschenke mitgebracht: Blumen, Schokolade, Kinotickets … und das gänzlich ohne spezielle Anlässe.

Also, was wollte sie denn noch?

Er fuhr sich durchs Haar.

Ein Kind, schoss es ihm in den Sinn. Ja, stets hatte sie sich ein Kind gewünscht. Bloß konnte er es sich absolut nicht vorstellen, ein liebender Vater zu werden. Zumal ihn sein Beruf ständig zum Reisen verpflichtete.

Er schloss die Lider.

Dieses gottverdammte Kindthema war eine einzige Qual gewesen!

Jedes Mal, wenn er nach einem anstrengenden Auftrag nach Hause gekommen war, hatte sie ihm mit diesem Quatsch in den Ohren gelegen.

Ein Beispiel gefällig?

»Ich will ein Kind. Mach mir ein Kind. Ich will nicht länger alleine zu Hause rumhocken, während du durch die Weltgeschichte tingelst. Ich brauchte eine Aufgabe. Eine Frau braucht ein Kind!«

Monatelang ging es auf diese Tour durch. Solchermaßen lange, bis er ihr Folgendes vorgeschlagen hatte: »Besorge dir einen Hund. Dann musst du Gassi gehen, mit ihm spielen und ihn füttern. Da hast du grundsätzlich die gleiche Verantwortung zu tragen wie mit einem Kind.«

Zu seinem Pech war sie über diesen Vergleich nicht so erbaut gewesen, wie er sich dies erhofft hatte.

Nun gut, er musste zugeben, es hatte wohl ein wenig hart geklungen …

Dennoch … es stimmte!

Weshalb ein Kind? Dermaßen viel Verantwortung! Nachwuchs machte man sich nicht angesichts möglicher Langeweile! Ein Kind klebte dir bis zu deinem Lebensende am Arsch! Wieso begriffen diese dummen Puten das nicht?

Tja, letzten Endes brachte sie ihren Willen trotzdem durch, indem sie schlichtweg – und ohne sein Wissen oder Einverständnis – die Pille abgesetzt hatte.

»Ich bin schwanger«, hatte sie in den Hörer geflötet.

Diese Erinnerung entfesselte ihm selbst jetzt einen eisigen Schauer.

Und kein halbes Jahr später waren sie getrennte Leute gewesen.

Er überlegte.

Wie alt war sein Sohn jetzt? Vier? Fünf? Er wusste es nicht – und es interessierte ihn nicht. Schließlich wollte Mara keinen Kontakt mit ihm, genauso wenig wie Unterhalt.

Ihm war es sehr recht. Er verabscheute Verpflichtungen.

Alle zwei Wochen einen Hosenscheißer besuchen und die heile Familienwelt vorspielen konnte er sich ohnehin nicht vorstellen. Er wollte frei sein – und das war er nun. Seit über drei Jahre.

Jeder Tag ein einziger Genuss.

Dachte er da an seine Ehe zurück, fragte er sich immer öfter, weshalb er sich auf diesen Quatsch eingelassen hatte.

Weil sämtliche seiner Kollegen verheiratet waren? Weil Mara seine Hemden gebügelt hatte? Weil der Sex geil war?

Nein.

Weil er ein einziger Idiot gewesen war! Weil er aufgrund einer bescheuerten Mini-Midlife-Crisis ausgelöst durch seinen dreißigsten Geburtstag die nackte Panik ereilt hatte. Damals hatte er ernsthaft vermutet, sein Leben wäre vorbei – mit den Frauen wäre es vorbei. Hätte er bloß gewusst, dass seine besten Jahre erst vor ihm lagen! Er hätte sich niemals auf eine Ehe eingelassen.

Klar, sie hatten eine schöne Zeit verbracht. Mara war hübsch, experimentierfreudig im Bett – sofern sie denn einmal Lust hatte, wohl angemerkt – und kümmerte sich vorbildlich um den Haushalt. Ansonsten lebten sie in zwei verschiedenen Welten: Sie träumte von einem Ehemann, der jedes Wochenende zu Hause verweilte und mit Kind und Kegel in den Park fuhr, um Picknicks abzuhalten. Er dagegen wollte eine Frau, auf die er sich verlassen konnte. Eine Frau, die hinter ihm stand und an der auch er sich lehnen durfte, wenn es ihm schlecht ging. Ein Kumpel, mit dem man die Höhen und Tiefen des Lebens bestritt.

Dass seine Ex-Frau lediglich das Hausmütterchen spielen wollte, wäre noch irgendwo verkraftbar gewesen, wogen die Vorteile, die sich dadurch ergaben, relativ hoch: ein warmes Essen auf dem Tisch, frisch gewaschene Wäsche und eine saubere Wohnung. Anders wurde es, wenn sie ihm mit dem ewig gleichen Palaver in den Ohren lag: »Du hast keine Zeit, du bist nie da, du willst nur Sex, du hörst nicht zu, du willst keine Kinder, du, du, du …«

Und was hasste er mehr als Vorwürfe? Exakt! Klagende, frustrierte, fremdgehende Weiber.

Betrogen.

Nach drei Jahren Ehe betrogen.

Das war wie ein Schlag ins Gesicht gewesen.

War das Kind bereits ein Schock … doch ihn zu allem Überfluss betrügen – ja, das schmerzte.

Wahnsinnig.

Zugegeben, sie hatten keine Bilderbuchehe geführt, aber ihn deshalb betrügen? Wenn sie es leid war, sich mit ihm herumzuplagen, weshalb hatte sie nicht einfach die Scheidung eingereicht?

Aber das i-Tüpfelchen folgte erst: Ein Versicherungsvertreter! Ein gottverdammter Versicherungsvertreter seiner Hausbank hatte sie gefickt!

Der schiere Gedanke daran entfachte in ihm eine leichte Übelkeit.

Erst regte sie sich auf, er wolle zu viel Sex – und dann ging sie ihm fremd!

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