Buch lesen: «Publizistik- und Kommunikationswissenschaft», Seite 9

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1)Unter Bezugnahme auf Watzlawick sei darauf hingewiesen, dass sprachliche Kommunikation einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt aufweist. Im Inhaltsaspekt manifestiert sich das, was eine Mitteilung enthält. Im Beziehungsaspekt sollte zum Tragen kommen, wie der Sender seine Mitteilung vom Empfänger verstanden wissen will. Gemeint ist, dass der Inhaltsaspekt die ›Daten‹ vermittelt, während der Beziehungsaspekt anweist, »wie diese Daten aufzufassen sind« (Watzlawick et al. 1969, S. 55). Dabei ist das Verhältnis zwischen Inhalts- und Beziehungsaspekt derart, »dass letzterer den ersteren bestimmt« (ebd.). Der Inhalt (was) einer Mitteilung wird primär kognitiv erfasst, der Beziehungsaspekt (wie) primär eher intuitiv und emotiv.
2)Was schließlich Sprachbarrieren betrifft, also Missverstehen und Nichtverstehen, so verweist Burkart (1988) in Anlehnung an Badura (1971) darauf, dass sich beides auf der Sprachebene des Gegenstandes und auf der Sprachebene der intersubjektiven Wahrnehmung der Gesprächspartner abspielen kann. Dazu im Einzelnen:
»Auf der gegenständlichen Ebene liegt ein Nichtverstehen vor, wenn Sprecher und Hörer über unterschiedliche Zeichenvorräte verfügen« (Burkart 1998, S. 84). Dies ist z. B. der Fall, wenn der Sprecher ein Fremdwort verwendet, das der Hörer nicht kennt.
»Ein Missverstehen auf der gegenständlichen Ebene von Kommunikation liegt dagegen vor, wenn beide Kommunikationspartner wohl mehr oder weniger gleiche Zeichenvorräte besitzen, […] wenn beide Kommunikationspartner aber dennoch unterschiedliche Bedeutungen mit den betreffenden Wörtern verbinden« (ebd.). Es entsteht also ein »semantisches« Problem.
»Auf der intersubjektiven Ebene von Kommunikation liegt ein Nichtverstehen dann vor, wenn sprachliche Äußerungen [eines Kommunikators vom Rezipienten – Ergänzung H. P.] gar nicht als solche erkannt werden. Die Gründe dafür liegen im Unvermögen des Empfängers, die sprachlichen Manifestationen überhaupt zu identifizieren« (Burkart 1998, S. 85).
»Ein Missverstehen auf der intersubjektiven Ebene liegt hingegen dann vor, wenn die beiden Kommunikationspartner die gesetzten Sprechakte unterschiedlich interpretieren« (ebd.). Es entsteht also ein pragmatisches Problem, es gibt »Differenzen im Bereich der pragmatischen Zeichendimension zwischen Sprecher und Zuhörer« (ebd.).

Sprachbarrieren können aber auch gesellschaftlich bedingt sein. Johannes Weinberg (1975), Basil Bernstein (1972) sowie Horst Holzer und Karl Steinbacher (1972) verweisen in teils unterschiedlicher Art darauf, dass es schichtspezifische Unterschiede in Spracherwerb, Sprachentwicklung und Sprachgebrauch [75]gibt. Mittel- und Unterschicht gebrauchen verschiedene Varianten der gemeinsamen Einheitssprache. So verwendet die Unterschicht eine Sprache, deren Code »restringiert«, also (mehr oder weniger stark) beschränkt ist, die Mittel- und Oberschicht dagegen einen »elaborierten« (also gut entwickelten und erweiterten) Sprachcode. Die Verschiedenartigkeit der beiden Codes kann zu einer gesellschaftlichen Benachteiligung sozial schwacher bzw. niedriger Schichten führen, insbesondere im Hinblick auf den gesellschaftlichen Aufstieg und bei beruflichen Karrieren (vgl. auch Burkart 1998, S. 100–102; vgl. Stöber 2008, S. 35).

Vom Hamburger Sprachpsychologen Friedemann Schulz von Thun (1996a, 1996b) stammt ein psychologisch begründetes »Nachrichtenquadrat«, das hier im Zusammenhang mit Sprache noch erwähnt werden soll. Es ist ein »Grundmodell für eine Allgemeine Kommunikationspsychologie« (Schultz von Thun 1996b, S. 16), das u. a auch wesentlich auf Sprache basiert. Im Blickpunkt des Modells steht, »was jemand von sich gibt bzw. was beim anderen ankommt« (Schulz von Thun 1996b, S. 19; Hervorhebung i. Orig.). An einer in der persönlichen Kommunikation übermittelten Nachricht unterscheidet der Autor »vier Seiten […], die immer gleichzeitig mit im Spiele sind:


1)der Sachinhalt, der Informationen über die mitzuteilenden Dinge und Vorgänge enthält;
2)die Selbstkundgabe, durch die der ›Sender‹ etwas über sich mitteilt – über seine Persönlichkeit und über seine aktuelle Befindlichkeit (sei es nun in bewusster Selbstdarstellung oder in mehr oder minder freiwilliger Selbstöffnung und Selbstpreisgabe);
3)der Beziehungshinweis, durch den der Sender zu erkennen gibt, wie er zum Empfänger steht, was er von ihm hält und wie er die Beziehungen zwischen sich und ihm definiert;
4)der Appell, also der Versuch, in bestimmter Richtung Einfluss zu nehmen, die Aufforderung, in bestimmter Weise zu denken, zu fühlen oder zu handeln« (Schulz von Thun 1996b, S. 19f; Hervorhebung i. Orig.).

Schulz von Thun zufolge verbindet sich mit diesem Modell »die Erkenntnis, daß ein- und dieselbe Nachricht – oder sagen wir nun besser: Äußerung – viele Botschaften gleichzeitig enthält, welche sich auf die vier Seiten verteilen« (ebd.; Hervorhebung i. Orig.). Explizit ausgesprochen »ist oft nur eine Seite (häufig der Sachinhalt) […] und alle anderen Botschaften [stehen] ›zwischen den Zeilen‹, [sind] aber deswegen keinesfalls weniger bedeutungsvoll und wirksam« (Schulz von Thun 1996b, S. 20). Das Modell weist teils Gemeinsamkeiten bzw. Ähnlichkeiten mit Aspekten auf, die sich bereits in Bühlers entwickeltem Sprachmodell finden (Darstellungsfunktion, Ausdrucksfunktion, Appellfunktion; siehe auch Beck 2010, S. 45f; Rau 2013, S. 89ff).

Nach diesem kurzen Exkurs in Sprachsoziologie und Sprachpsychologie kann resümiert werden, dass Sprache nicht nur für die zwischenmenschliche Verständigung eine wichtige Rolle spielt. Sprache ist vielmehr generell von unübersehbarer soziokultureller Bedeutung (Döhn 1979, S. 207ff):

• Sprache ist ein wichtiger Informationsträger, von dem alle anderen Formen der Kommunikation abhängen.

• Individuelle wie soziale Kommunikation ist auf Sprache angewiesen, auch wenn Verständigung über andere Kommunikationskanäle erfolgt.

• Sprache spielt für die Bewusstwerdung des Individuums eine wichtige Rolle, unser Denken folgt den Regeln der Sprache.

• Die Speicherung und Weitergabe von Wissen und neuer Information ist auf Sprache angewiesen.

• Nicht zuletzt werden gesellschaftliche und kulturelle Werte durch Sprache vermittelt und tradiert.

[76]3.1.9 Arten von Kommunikation

Kommunikation kann in verschiedenen Arten vor sich gehen: direkt oder indirekt; wechselseitig oder einseitig; privat oder öffentlich sowie in Anwesenheit oder in Abwesenheit (und damit gegenseitig wahrnehmbar oder nicht wahrnehmbar).

So verläuft Kommunikation zwischen zwei Personen (Face-to-face) in aller Regel in direkter Interaktion, wechselseitig und privat, wobei eine Vielzahl von Kommunikationskanälen benutzt wird. Die Kommunikationspartner sind gleichzeitig anwesend und gegenseitig wahrnehmbar, wodurch ein hoher Grad an Reflexivität und Reaktion gegeben sowie Rückfragen möglich sind. Kommunikation zwischen zwei Personen von Angesicht zu Angesicht hat eine dyadische oder dialogische Struktur. Dagegen ist unter zeitversetzter und/oder räumlich getrennter Interaktion bereits ein besonderer Typus von persönlicher Kommunikation zu sehen, auch wenn ihre Dialogstruktur weitgehend erhalten bleibt. Dies ist z. B. bei der Telefonkommunikation, beim Chat im Internet, auch beim Brief sowie bei Kommunikation mittels SMS der Fall.

Gruppenkommunikation ist von der dyadischen, interpersonalen Kommunikation abzugrenzen. Sie zeichnet sich durch zweierlei aus. Zunächst ist ihre Kommunikationsstruktur »von der Zahl und den Rollen der einzelnen Gruppenmitglieder« bestimmt (Kübler 1994, S. 21). Und strukturell ist sie v. a. gekennzeichnet »von den Normierungen und Differenzierungen der in der Gruppe herrschenden Konventionen und Handlungsweisen« (ebd.). Zeitversetzte und/oder räumlich getrennte Kommunikation (wie Brief, Telefonkommunikation, E-Mail, SMS, Chat) schließt von der Kapazität der Kanalübertragung »alle nonverbalen Komponenten wie Mimik und Gestik, überhaupt alle visuellen Kommunikationskomponenten (derzeit noch) aus« und es fehlen »die sensorischen Eindrücke unmittelbarer Anwesenheit (die über den Geruchs-, Geschmacks- und Tastsinn wahrgenommen werden« (ebd.).

Das Telefongespräch stellt eine Form der wechselseitigen Kommunikation dar, die allerdings indirekt verläuft (sie ist technisch vermittelt) und die privaten bzw. quasi-privaten (beruflichen) Charakter hat. Von der Zahl der benutzten Kommunikationskanäle her gesehen ist Telefonkommunikation eine eingeschränkte Form der Kommunikation (sie wird nur auditiv-vokal wahrgenommen). Beim Telefonieren sind die Kommunikationspartner zwar nicht (im Sinne von Angesicht zu Angesicht) anwesend, aber über den auditiven Kanal gegenseitig wahrnehmbar. Telefonkommunikation ermöglicht direkte Rückkopplung. Ähnliches gilt für Kommunikation via CB-Funk. Bei Videotelefonie sowie beim Skypen im Internet sind Mimik und teilweise auch Gestik je nach Perspektive der Kamera in eingegrenztem Maße mitübertragbar (vgl. ebd.).

Kommunikation mittels Brief oder E-Mail sowie SMS stellt eine einseitige, indirekte und technisch vermittelte (Papier teils als Träger/Speicher der Information, der Computer als elektronischer Vermittler) Form der Kommunikation dar. Die Kommunikationspartner sind abwesend, Rückkopplungen nicht unmittelbar möglich. Im Hinblick auf die benutzten Kanäle ist briefliche und E-Mail-Kommunikation auf den visuellen Kanal begrenzt, wobei der visuelle Kanal selbst wieder einer starken Einschränkung unterliegt, zumal der Kommunikationspartner nicht wahrnehmbar ist. In modifiziertem Maße gilt eben Gesagtes auch für Internetchats und Blog-Einträge (inkl. daran anschließender Diskussionsthreads), an denen in aller Regel aber mehr als zwei Personen teilnehmen.

Ein Vortrag (oder auch eine Vorlesung oder Rede) ist direkte, einseitige, oftmals technisch vermittelte (d. h. durch ein Mikrofon zumindest verstärkte) und zumeist öffentliche Kommunikation (auch wenn er z. B. nur für eine gezielt ausgewählte, d. h. eingeschränkte Öffentlichkeit gedacht sein sollte). Die Kommunikationspartner sind anwesend und gegenseitig wahrnehmbar (der Kommunikator für die Rezipienten jedoch eher als umgekehrt). Reaktionen und Feedback sind nur in eingeschränktem Maße möglich.

[77]Massenkommunikation im herkömmlichen Sinn (Zeitung, Zeitschrift, Radio, Fernsehen) ist eine Form öffentlicher, indirekter und einseitiger Kommunikation. Sie bedient sich technischer Verbreitungsmittel und wendet sich an ein disperses (d. h. räumlich und/oder raum-zeitlich verstreutes) Publikum (Maletzke 1963), auch wenn z. B. nur bestimmte Publikumssegmente bzw. Zielgruppen angesprochen werden. Bei den Printmedien (Zeitung/Zeitschrift) sind die Kommunikatoren für die Rezipienten nicht unmittelbar wahrnehmbar (allenfalls mittelbar durch Autorenfotos); im Hörfunk sind sie dies mit ihrer Stimme, im Fernsehen mit Stimme und Bild (inkl. Mimik, Gestik und Körperhaltung). Rückkopplungen sind in aller Regel nicht möglich, Ausnahmen bilden bei den Funkmedien sog. Call-in-Sendungen bzw. Leserbriefe an und Telefonanrufe in Redaktionen. Klassische Massenkommunikation stellt Inhalte für weiterführende persönliche Kommunikation bereit, kann also in Form der Anschlusskommunikation kommunikationsstiftenden Charakter haben.

Onlinekommunikation ist technisch vermittelte, indirekte, teils einseitige (z. B. E-Mail), teils gegenseitige (z. B. Internet Relay Chat), teils private, teils (teil-)öffentliche Kommunikation (z. B. Mailing Lists, Dienstleistungen via Internet oder teil-öffentliche Kommunikation in sozialen Netzwerken). Onlinekommunikation ist überwiegend Kommunikation in Abwesenheit, die Kommunikationspartner können sich gegenseitig meist nicht wahrnehmen, allenfalls imaginieren. Rückkopplungen sind, je nach Kommunikationsangebot und -form, direkt oder nur indirekt möglich (vgl. Kap. 3.3).

Kommunikation im bisher geschilderten Sinne ist ein alle Aspekte des sozialen Lebens durchdringender, fundamentaler Prozess. Erst Kommunikation, und zwar sprachliche Kommunikation, ermöglicht das Wachstum, den Erhalt und die Übertragung von Kultur und somit die Kontinuität einer Gesellschaft, ebenso aber auch ihren Wandel. Ohne sprachliche Kommunikation ist organisiertes soziales Leben nicht möglich (vgl. Döhn 1979, S. 107f).

3.2 Massenkommunikation

Der uns so geläufige Begriff »Massenkommunikation« fand in den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts Eingang in den deutschen Sprachgebrauch – zunächst fachsprachlich, dann auch umgangssprachlich. Davor (bereits ab Ende der 1920er-Jahre) und daneben bedient(e) man sich für Aussagen und Botschaften, die sich an die Öffentlichkeit richteten, des Begriffes »Publizistik«. Dabei wurde und wird unterschieden zwischen originärer und medial vermittelter Publizistik. Mit originärer Publizistik sind Formen der an eine Öffentlichkeit gerichteten, aktuellen Informationen (welcher Art auch immer) gemeint, die ohne vermittelnde technische Medien auskommen wie etwa die öffentliche Rede bei einer Wahlveranstaltung, die Predigt in der Kirche, aber auch ein Vortrag oder eine Vorlesung vor einer nur begrenzten, relativ kleinen Öffentlichkeit. Medial vermittelte Publizistik meint über technische Medien ablaufende, an eine (wie immer große oder kleine) Öffentlichkeit gerichtete Kommunikation, also Zeitungs-, Zeitschriften-, Hörfunk- oder Fernsehpublizistik. Publizistik impliziert(e) auch, dass es sich um aktuelle Botschaften handelt, mit denen man sich an die Öffentlichkeit wendet.

Die Publizistikwissenschaft verstand (und versteht) sich demzufolge auch als die wissenschaftliche Beschäftigung mit öffentlicher Kommunikation; interpersonale Kommunikation privaten oder beruflichen Charakters (Face-to-face) war und ist nicht ihr Gegenstand. Dies geht aus zwei hier beispielhaft vorgestellten Definitionsversuchen über Publizistik hervor. So verstand Walter Hagemann unter Publizistik »die öffentliche Aussage aktueller Bewusstseinsinhalte« (Hagemann 1947, S. 20 und 1966, S. 15; Pürer 1998, S. 142ff; Wiedemann 2012, S. 176ff). Henk Prakke definierte Publizistik »als die Lehre von der zwischenmenschlichen Kommunikation, besonders in ihren öffentlichen Leistungen als Informator, Kommentator und Sozius – und deren gesellschaftlicher Regelung« (Prakke 1968; [78]Pürer 1998, S. 145ff). In jüngster Zeit ist der Begriff »Publizistik« fach- wie umgangssprachlich allerdings immer seltener anzutreffen. Auch bei den universitären Institutsbezeichnungen ist der Terminus nur noch selten vorzufinden. Es verwundert dies insofern, als auch die moderne Kommunikationswissenschaft sich zwar nicht ausschließlich, aber doch weitestgehend mit Erscheinungsformen öffentlicher und teil-öffentlicher Kommunikation befasst.

Doch zurück zum Begriff »Massenkommunikation«. Es handelt sich dabei um die aus dem Amerikanischen ins Deutsche übernommene Bezeichnung von mass communication. Allgemein betrachtet meint man damit in einem sehr weiten Sinne politische, ökonomische, soziale und kulturelle Prozesse, die durch das Vorhandensein von klassischen Massenmedien wie Zeitung, Zeitschrift, Hörfunk und Fernsehen ausgelöst werden und die sich in den Massenmedien selbst widerspiegeln. In einem engeren Sinne versteht man unter klassischer Massenkommunikation von professionellen Medienkommunikatoren (also von Journalisten, Moderatoren, Kommentatoren, Entertainern etc.) öffentlich, indirekt, über technische Medien (Presse, Radio, Fernsehen) und weitestgehend einseitig an eine Vielzahl von Menschen gerichtete Aussagen (informierender, bildender, überredender, werbender oder unterhaltender Natur), die von ihren Empfängern entschlüsselt sowie mit Sinn verbunden und mit Bedeutung versehen werden (Maletzke 1963).

Auf zahlreiche Formen computervermittelter, internetbasierter Massenkommunikation trifft diese Beschreibung von Massenkommunikation im klassischen und engeren Sinn nicht bzw. nicht mehr uneingeschränkt zu. Im Onlinejournalismus z. B. ermöglichen interaktive Anwendungen spontane (öffentliche) Rückkoppelungen der Rezipienten an den Kommunikator. So kann, um ein Beispiel zu nennen, etwa der Nutzer (User) einer Onlinezeitung via Kommentarfunktion unmittelbar an den Kommunikator zurückschreiben, womit das Merkmal der Einseitigkeit des (Massen-)Kommunikationsprozesses durchbrochen ist. Sind Nutzerkommentare z. B. im Rahmen von ›Live Reportings‹ auch Gegenstand des Artikels, verändern bzw. ergänzen sie sogar dessen Inhalt zumeist ohne einer redaltionellen Kontrolle zu unterliegen (wie z. B. Leserbriefe; vgl. Singer et al. 2011; Kümpel et al. 2013). Unter dem Schlagwort ›partizipativer Journalismus‹ widmet sich mittlerweile ein ganzes Forschungsfeld der Beschreibung von Mitwirkungsmöglichkeiten des Publikums an der Nachrichtenproduktion (vgl. z. B. Domingo et al. 2008; Bruns 2009). Andere Kommunikations- oder Medienanwendungen im Internet ermöglichen es dem User, sich an Chats oder Forendiskussionen zu beteiligen, selbst Blogs zu führen oder über Tweets ›eigene‹ Kurznachrichten zu verbreiten. Überhaupt kann jeder Internetnutzer, entsprechende Anwender-Kenntnisse vorausgesetzt, grundsätzlich seinen eigenen Onlineauftritt bewerkstelligen und somit selbst zum Sender werden. Über diese interaktiven Möglichkeiten und andere Formen, Merkmale und Grenzen der elektronisch vermittelten Kommunikation gibt Kapitel 3.3 Auskunft.

3.2.1 Schrift – Druck – Funk

Was wir heute so selbstverständlich als Massenkommunikation bezeichnen, ist – technisch gesehen – über Jahrtausende schrittweise zunächst über die (Laut-)Schrift, dann über den Buchdruck sowie schließlich über die elektrischen und später elektronischen Medien entstanden (vgl. Hunziker 1988).

• So ist »die erste grundlegende medientechnische Errungenschaft in der Gesellschaftsentwicklung« in der »Herausbildung der Laut-Schrift als Fort- und Weiterentwicklung der Sprache« zu sehen. Die Laut-Schrift »schuf die Möglichkeit, Kommunikationsinhalte zu speichern und in dieser Form auch persönlich Abwesenden und persönlich Unbekannten mitzuteilen« (Hunziker 1988, S. 5). Für die Entstehung von Hochkulturen mit städtischen Lebensformen und ausdifferenzierten [79]Funktionsbereichen in Politik, Verwaltung, Produktion und Handel war Schriftlichkeit eine ganz wesentliche Voraussetzung.

• Die Erfindung des Buchdrucks in der Mitte des 15. Jahrhunderts veränderte die Qualität schriftlicher Information »insofern, als damit schriftlich fixierte Kommunikationsinhalte massenhaft hergestellt und verbreitet werden konnten« (ebd.). Die geistigen, politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Folgen dieser technischen Errungenschaft waren gewaltig, kamen zunächst aber jener eher kleinen Elite in der Bevölkerung zugute, die des Lesens (und Schreibens) kundig war. Schätzungen zufolge sollen dies um 1500 rund ein Prozent (in Städten fünf Prozent) der Bevölkerung gewesen sein (Schade 2010, S. 94 mit Bezugnahme auf Schwittala 1999, S. 27). Von Massenmedien und der Ansprache eines Massenpublikums kann erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gesprochen werden, als Trivialromane in massenhaften Auflagen hergestellt wurden und sich auch die Massenpresse (Zeitungen mit hohen Auflagen) entfaltete.

• Die sich im 20. Jahrhundert ausbreitenden elektrischen bzw. elektronischen Medien, im Wesentlichen also Radio und Fernsehen (aber auch Film/Kino), erleichterten »den Prozess der Massenkommunikation insofern, als sie für den Empfang der Mitteilungen zwar ein technisches Gerät, dafür aber keine über das alltägliche Kommunikationsverhalten hinausgehenden Fähigkeiten voraussetzen« (Hunziker 1988, S. 6). Das Radio erlebte bald nach der Einführung öffentlicher Hörfunksendungen (ab Anfang der 1920er-Jahre) v. a. in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts massenhafte Verbreitung – aus Propagandagründen hatte das nationalsozialistische Regime daran besonderes Interesse und ließ preiswerte, für jedermann erschwingliche Empfangsgeräte produzieren. Das Fernsehen trat seinen Siegeszug ab Ende der 1950er- bzw. Anfang der 1960er-Jahre an, nachdem im deutschen Sprachraum bereits in den 1950er-Jahren regelmäßige TV-Programme ausgestrahlt wurden.

• Es folgten elektronische Speichermedien (Audio, Video, CDs, DVDs), das digitale Fernsehen und Versuche mit digitalem Radio, bis schließlich gegen Ende der 1990er-Jahre die computervermittelte (Online-)Kommunikation sowie Multimedia neben die klassischen Funkmedien trat und sich seither ungewöhnlich rapide ausbreitet. Die Teilnahme an computervermittelter Kommunikation, in ihren Anfängen mit relativ konstenintensiver Ausstattung verbunden, setzt freilich die Fähigkeit voraus, diese Technik zu bedienen – das also, was man »computer literacy« nennt. Der ARD/ZDF-Onlinestudie von 2012 zufolge sind mittlerweile 53,4 Mio. (oder 76 Prozent) der Deutschen online (van Eimeren/Frees 2012).

3.2.2 »Massen«-Kommunikation

Was den Begriff Massenkommunikation selbst betrifft, so ist für den europäischen, bzw. für den deutschen Sprachraum v. a. im Hinblick auf den Wortbestandteil »Masse« ein klärender Hinweis erforderlich. Keinesfalls soll der Terminus »Masse« massenpsychologische (Le Bon 1895 bzw. 1950) oder kulturpessimistische Assoziationen (Ortega y Gasset 1930 bzw. 1973) wecken. Weder sind mit »Masse« etwa niedere soziale Schichten, Personen oder Personengruppen gemeint, die sich im kulturpessimistischen Sinne durch Degenerierung und Persönlichkeitsverarmung auszeichnen; noch solche, denen aus einer psychologischen Sicht heraus pauschal und kumulativ bestimmte negative, psychopathische Verhaltensweisen zugewiesen werden würden. Im Wortbestandteil »Masse« ist also kein negativ wertgeladener Terminus zu sehen. Vielmehr ist gemeint, dass sich in der Massenkommunikation die über die Medien vermittelten Aussagen an eine Vielzahl von Menschen richten, die man angemessener als Publikum bezeichnet (vgl. Burkart 1998, S. 166).

[80]Diese Vielzahl von Menschen, das Publikum, stellt sich dem Kommunikator in der Massenkommunikation freilich als unüberschaubar, heterogen und anonym dar, so Burkart in Anlehnung an Wright 1963:

• »›unüberschaubar‹, weil sie zahlenmäßig einen solchen Umfang aufweisen, dass es dem Kommunikator unmöglich ist, direkt (von Angesicht zu Angesicht) mit ihnen zu interagieren;

• ›heterogen‹, weil diese Menschen eine Vielzahl sozialer Positionen bekleiden;

• und schließlich anonym, weil das einzelne Mitglied der jeweiligen Rezipientenschaft eines Massenmediums dem Kommunikator unbekannt ist« (vgl. Burkart 1998, S. 165).

Gerhard Maletzke hat für die Rezipienten der Massenkommunikation folgerichtig den Begriff »disperses Publikum« geprägt (Maletzke 1963, S. 28f). Er versteht darunter einzelne Individuen, aber auch kleine Gruppen von Menschen, deren verbindendes Charakteristikum (nur) darin besteht, dass sie sich an verschiedenen Orten und ggf. zu unterschiedlichen Zeiten einem gemeinsamen Gegenstand zuwenden – nämlich den Aussagen der Massenmedien. Im Unterschied dazu ist das Präsenzpublikum zu sehen, das 1) räumlich versammelt ist, 2) dessen Interessen in aller Regel identisch, 3) dessen Sinne und Erwartungen weitgehend gleichgerichtet sind und 4) das sich unter identischen technisch und räumlich situativen Bedingungen (z. B. abgedunkelter Raum in Kino und Theater) z. B. bei einer öffentlichen Veranstaltung (z. B. Rede, Vortrag), in der Kirche (Predigt), im Kino (Film), im Theater (Schauspiel) oder bei einem Konzert (Musik) einem gemeinsam geteilten Gegenstand zuwendet. In gewisser Weise gilt dies seit einigen Jahren auch für das sog. ›Public Viewing‹ an öffentlich zugänglichen Plätzen oder Räumen, wo große Ereignisse von allgemeinem Interesse (wie Fußball-Weltmeisterschaften, Olympische Spiele etc.) auf Großbildschirmen gezeigt werden.

3.2.3 Massen-»Kommunikation«

Der Wortbestandteil »Kommunikation« bedarf im Kontext von klassischer Massenkommunikation ebenfalls einer Erläuterung. Er suggeriert nämlich die Vorstellung, der Empfänger massenmedial verbreiteter Inhalte könne mit dem Produzenten der Aussage »kommunizieren«. Dies ist aber nicht – oder doch nur in äußerst eingeschränktem Maße – möglich. Massenkommunikation ist nicht an eine Person gerichtet, sondern je nach Medium und Zielgruppe des Mediums 1) entweder an einen breiten Querschnitt der Bevölkerung wie etwa überregional oder regional/lokal verbreitete Tagesund Wochenzeitungen, Publikumszeitschriften sowie die meisten Programme öffentlich-rechtlicher oder privater Hörfunk- und Fernsehveranstalter; oder 2) nur an einen speziellen Teil der Bevölkerung (wie Fachzeitschriften, Verbandszeitschriften, Special-Interest-Zeitschriften sowie spezielle Zielgruppensendungen in Hörfunk und Fernsehen). Massenkommunikation richtet sich also an eine mehr oder weniger große Öffentlichkeit und ist damit grundsätzlich immer auch öffentlich.

Darüber hinaus hat man es in der klassischen Massenkommunikation »in aller Regel mit einer Polarisierung der kommunikativen Rollen zu tun. Es fehlt [weitestgehend – Ergänzung H. P.] der – für die zwischenmenschliche Kommunikation so typische – Rollentausch zwischen den Kommunikationspartnern« (Burkart 1998, S. 167). Klassische Massenkommunikation schließt die Möglichkeit einer Rückkopplung (Feedback) zwar nicht grundsätzlich aus: Solche Rückkopplungen erfolgen in aller Regel über Telefonanrufe, Leserbriefe, E-Mails an Redaktionen von Zeitungen, Zeitschriften, Hörfunk und Fernsehen. Rückmeldungen eines Rezipienten der Massenkommunikation sind zumeist aber weniger unmittelbar, und »sie wirken sich auf das Kommunikationsverhalten [wenn überhaupt – Ergänzung H. P.] erst mit Verzögerung aus« (Schulz 1994, S. 147). Dies gilt im Großen und Ganzen auch für Live- oder Call-in-Sendungen in Hörfunk und Fernsehen. Da findet [81]zwar punktuell interindividuelle Kommunikation zwischen einem medialen Akteur (Journalist oder Moderator bzw. Präsentator einer Radio- oder Fernsehsendung) und einem Mitglied des dispersen Publikums vor einer mehr oder weniger großen Öffentlichkeit statt. Dennoch tauschen bei einem solchen Feedback die beteiligten Partner (Medien-)Kommunikator und (Medien-)Rezipient nicht grundsätzlich ihre Rollen. Wohl kann der Rezipient mit dem Kommunikator kommunizieren, »er besitzt jedoch nicht die Rollenmacht des professionellen Kommunikators! So kann er (der Rezipient) z. B. auf den strukturellen Ablauf einer Sendung (infolge eines vorgegebenen Programmrahmens) keinen Einfluss nehmen« (Burkart 1998, S. 164). Auch der Produktionsprozess von Zeitungen und Zeitschriften wird durch Leserbriefe oder E-Mails nicht tangiert. Rückkopplungen von Lesern, Hörern oder Zusehern verharren eben meist auf einem Niveau, welches spätestens dann seine Grenzen erfährt, »wenn die Struktur des Mediums berührt wird« (ebd.). Wechselseitigkeit und Rollentausch, wie sie in der Face-to-face-Kommunikation zwischen den Kommunikationspartnern hauptsächlich vorliegen, stellen in massenkommunikativen Prozessen eher die Ausnahme dar.

Klassische Massenkommunikation ist daher in erster Linie Übertragung, nur ganz selten Austausch von Mitteilungen; der Kommunikationsprozess ist weitestgehend einseitig und damit asymmetrisch. Ausnahmen sind allenfalls dann gegeben, wenn Beiträge, die z. B. auf Onlineauftritten von Zeitungen durch User oft angeklickt (und damit meist auch gelesen) werden, auch in Printmedien abgedruckt werden. Doch selbst in solchen Fällen reagiert das klassische Medium Tageszeitung produktionsbedingt mit Verzögerung. Dies gilt auch für Radio- und TV-Sendungen mit Einbindung der Nutzer.

3.2.4 Sender und Empfänger in der Massenkommunikation

Für klassische Erscheinungen der Massenkommunikation ist ferner kennzeichnend, »dass sich die an einem solchen Kommunikationsvorgang beteiligten Kollektive hinsichtlich Zusammensetzung, innerem Aufbau und Tätigkeitsweise wesentlich voneinander unterscheiden« (Hunziker 1988, S. 6).

So sind die in der Massenkommunikation tätigen Kommunikatoren (Sender) zumeist in komplex aufgebauten Organisationen tätig, die die Produktion von Massenkommunikationsinhalten bewerkstelligen. Die Kommunikatoren (z. B. Journalisten) sind Personen, »die arbeitsteilig sowie unter Einsatz vielfältiger technischer Hilfsmittel und fachlicher Kompetenzen routinemäßig Kommunikationsinhalte hervorbringen« (ebd.). Massenkommunikation bedient sich aufseiten der Sender einer hoch entwickelten Technologie, um in Printmedien wie auch in Funkmedien sowohl die Produktion als auch die Verbreitung der Inhalte zu ermöglichen.

Das Publikum, die Rezipienten der klassischen Massenkommunikation »weisen demgegenüber einen […] niedrigen Organisationsgrad auf. Als Mitglieder eines Publikums sind sie zwar gemeinsam der Massenkommunikation ausgesetzt; die Rezeption besorgt aber typischerweise doch jeder für sich, ohne dabei auf breiter Basis mit den Mitrezipienten in Kontakt zu treten« (ebd.). Solche Kontakte finden jedoch oft beim ›Public Viewing‹ statt, das eine modifizierte Form der Rezeption massenmedial verbreiteter Inhalte durch Präsenzpublika ist.

Verständlicherweise resultiert aus dieser Asymmetrie im Organisationsgrad und in der Sachkompetenz ein Machtgefälle zwischen Sendern und Empfängern, zumal die Sender den Kommunikationsprozess aktiv gestalten und die Empfänger mehr oder weniger passiv darauf reagieren (wiewohl Mediennutzung durch die Leser, Hörer und Zuseher sehr wohl als ein aktiver Vorgang zu bezeichnen ist). »Dieses Machtgefälle findet seinen Ausdruck darin, dass der Prozess der Massenkommunikation praktisch einseitig verläuft und dass ein Rollentausch zwischen Kommunikatoren und Rezipienten auch bei vorhandenen übertragungstechnischen Möglichkeiten (Zweiwegekommunikation) kaum zu verwirklichen ist. Typisch für [klassische – Ergänzung H. P.] Massenkommunikation ist [82]außerdem, dass die Kommunikationspartner sich [in aller Regel – Ergänzung H. P.] nicht persönlich kennen« (Hunziker 1988, S. 7; Hervorhebung i. Orig.).