Buch lesen: «Publizistik- und Kommunikationswissenschaft», Seite 11

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Aus der Sicht des Rezipienten, Konsumenten bzw. Users wuchsen mehrere einst voneinander getrennte Kommunikationsformen zusammen und entwickelten sich in direktem Bezug zueinander weiter. Dabei entstanden bzw. entstehen auch nach wie vor neue Kommunikationspotenziale und Dienste, die wiederum neue Kommunikationsformen bzw. -modalitäten erfordern (vgl. Krotz 1995, S. 447). Bereits vor knapp 20 Jahren hat Friedrich Krotz (1995) Merkmale und Konsequenzen aus dieser Entwicklung zusammengefasst – seine Argumentation ist in Grundzügen noch immer gültig, wird an dieser Stelle aber aktualisiert (bzw. erweitert):

Markantes Kennzeichen des elektronisch mediatisierten Kommunikationsraumes ist, »dass sich für das kommunizierende Individuum die Kommunikationspartner Mensch, Computer oder massenmedial ausgerichtetes Produkt […] vermischen, dass also die Differenz zwischen technisch vermittelter interpersonaler und medien- sowie computerbezogener« kommunikativer Handlung sich reduziert (Krotz 1995, S. 477; Hervorhebung i. Orig.).

• Der Kommunikationsraum hat sich zwar »zu einer eigenständigen Totalität von kommunikativem Geschehen« ausgeweitet, »mit eigenen Normen und Werten, eigener Kultur und Institutionen, mit Machtstrukturen und subversiven Elementen« (Krotz 1995, S. 448). Traditionelle Institutionen bemühen sich jedoch verstärkt, diesen Raum gleichermaßen zu kontrollieren (Stichworte: Datenschutz, Schutz der Privatsphäre, Forenhaftung etc.).

• So gut wie alle Arbeitsbereiche sind in diesen Kommunikationsraum integriert. Als Beispiele seien hier Telearbeit, Telebanking, E-Learning, Industrie und Handel (E-Commerce) sowie Werbung genannt.

• Der Kommunikationsraum ermöglicht eine Erweiterung der menschlichen Kommunikation insofern, als die möglichen Kommunikationspartner z. B. via E-Mail oder Chat, in Onlineforen (auf der Suche nach Hilfe und Rat), durch ›Freundschaftsanfragen‹ in virtuellen sozialen Netzwerken sowie das Mitspielen in Onlinerollenspielen beliebig vermehrt werden können. Die kommunikativen Praktiken bleiben auch nicht ohne Auswirkungen auf Interessen, Gefühle, kommunikative Erwartungen und Weltwissen der Nutzer – insgesamt also auf Kultur und Gesellschaft, auf Alltag und Individuen (vgl. z. B. Hepp/Vogelgesang 2008; Krotz 1995, S. 448).

• Dieser universelle Kommunikationsraum wird insbesondere durch viele kleinere Kommunikationsforen, wie sie im Internet zu finden sind, konstituiert. In vielen Bereichen sind diese weitgehend entgeltfrei zugänglich, gleichwohl entwickeln sie sich dennoch unter dem »Primat der Ökonomie« (Werbung, E-Commerce, teilweise auch Gebühren). Existiert eine entsprechende Technologie (wie sie z. B. Facebook bietet), können soziale Netzwerke entstehen bzw. abgebildet werden; diese kreieren neue Formen von Öffentlichkeiten, die sich als »persönliche Öffentlichkeiten« (Schmidt 2012) beschreiben lassen.

• Im allumfassenden elektronisch mediatisierten Kommunikationsraum verschmelzen Formen technisch vermittelter Individual- (z. B. E-Mail), Gruppen- (Teilnahme an Foren, sozialen Netzwerken) und Massenkommunikation (z. B. Lektüre des Onlineangebots einer Zeitung). Massenkommunikation ist folglich ein Element computervermittelter Kommunikation. Massenkommunikation im traditionellen Sinne wird aber sicher nicht verschwinden: »Sie wird als Spezialfall erhalten bleiben, auf den auch in absehbarer Zukunft ein großer Teil der Kommunikation in diesem Kommunikationsraum entfallen wird« (Krotz 1995, S. 450).

[91]Sofern nicht interpersonal bzw. teilöffentlich, also zu zweit oder auch in Gruppen, kommuniziert wird (z. B. Chat, Foren, soziale Netzwerke, Onlinerollenspiele), bleibt die meiste elektronisch mediatisierte Kommunikation eine Kommunikation mit vorgefertigten Produkten und bleibt Handeln im elektronischen Kommunikationsraum auf ein zunehmend differenzierteres Auswählen beschränkt, auch wenn »man selbst leichter eine Mitteilung einbringen kann. […] Eine echte und aktive Gestaltung von Kommunikation wird […] auch weiterhin nur in interpersonaler Kommunikation möglich sein« (Krotz 1995, S. 455). Repräsentative Studien zeigen ohnehin, dass Internetnutzer nur in begrenztem Maße daran interessiert sind, sich aktiv an der Kommunikation in einer breiten Öffentlichkeit zu beteiligen, und das Kommunizieren zumeist auf ihre persönlichen Öffentlichkeiten beschränken (vgl. Busemann/Gscheidle 2010, 2011, 2012, S. 382f).

3.3.2 Der Computer als Kommunikationsmedium

Durch die Integration von Computer- und Telefontechnik wuchs die Bedeutung des Computers als Kommunikationsmedium. Über Plattformen und Dienste im World Wide Web ist es Nutzern mithilfe von Computern möglich, neue Formen bzw. Modi der Individual-, Gruppen- und Massenkommunikation zu realisieren. Von Joachim R. Höflich stammt der Versuch, die Anwendungs- und Nutzungsmöglichkeiten des Computers innerhalb sog. Medienrahmen zu verorten. Der (internetfähige) Computer stellt ein Kommunikationsmedium dar, das in sich distinkte, d. h. voneinander klar unterscheidbare Medienrahmen vereint, »die bislang auf separate Medien aufgeteilt waren oder aber so vorher noch nicht bestanden haben. Von einem Medienrahmen soll […] gesprochen werden, wenn ein Medium benutzt und damit eine (gemeinsame) Mediensituation hergestellt wird« (Höflich 1999, S. 45). Unter einem »Computerrahmen« versteht man folglich jene computervermittelte Mediensituation, in die die kommunikativen Handlungen der Nutzer eingebunden sind. Mit Blick auf den Computer als Kommunikationsmedium hat man es mit folgenden voneinander unterscheidbaren Medien- bzw. Computerrahmen zu tun: Distributionsrahmen, Rahmen öffentlicher Diskurse sowie Rahmen technisch vermittelter interpersonaler Kommunikation (vgl. Höflich 1998). Im Einzelnen ist Folgendes gemeint (vgl. auch Schweiger/Quiring 2007):

• Im Distributionsrahmen stellt der internetfähige Computer ein Informations- und Abruf-Medium dar. Angesprochen ist das massenmediale Element computervermittelter Kommunikation: Abruf von Informationen, Nachrichten sowie unterschiedlichen Dienstleistungen online (wie etwa E-Commerce und E-Banking). Das ›interaktive Element‹ besteht im Wesentlichen aus Auswahl und Abruf (ist also ein rein technisches Feedback).

• Im Rahmen öffentlicher Diskurse ist der internetfähige Computer als Diskussionsmedium zu begreifen, der die Teilhabe an Diskussionsforen, Chaträumen oder sozialen Netzwerken ermöglicht – also an Foren öffentlicher Kommunikation, bei denen die Einseitigkeit massenmedialer Kommunikation aufgehoben ist, der Sender zum Empfänger wird und umgekehrt. Die aktive Teilhabe von Nutzern bzw. Usern ist konstitutiv für solche Foren (wobei es auch passive Leser bzw. User gibt, die oft als »Lurker« bezeichnet werden).

• Im Rahmen der (technisch vermittelten) interpersonalen Kommunikation ist im internetfähigen Computer ein Beziehungsmedium zu sehen mit Möglichkeiten zeitgleicher (synchroner) oder zeitverschobener (asynchroner) Kommunikation zwischen zwei oder mehreren Nutzern, sei es via E-Mail, Chats u. a. m. Hier sind privat genutzte Möglichkeiten computervermittelter Kommunikation angesprochen.

[92]Der Computernutzer kann zwischen den verschiedenen Rahmen wechseln, ohne zugleich ›aus dem Rahmen‹ der Nutzungssituation zu fallen (Höflich 1999, S. 46). Das heißt zum einen: Von Formen öffentlicher Kommunikation kann in private übergegangen werden, »sodass computervermittelte Kommunikation gleichsam eine ›Vermittlungsform von Öffentlichkeit und Privatsphäre‹ (Flichy 1994, S. 276) darstellt« (Höflich 1999, S. 46). Das bedeutet zum anderen: Mit den unterschiedlichen Rahmen kommen unterschiedliche Momente der Interaktion zum Vorschein. Im Distributionsrahmen ist die Interaktion »auf den Inhalt bezogen«, beim Diskursrahmen »sind Inhalts- und Beziehungsdimension miteinander verwoben, während beim Rahmen computervermittelter interpersonaler Kommunikation […] der Beziehungsaspekt dominiert« (Höflich 1999, S. 46f; Hervorhebung i. Orig.). Durch einen Rahmenwechsel können Inhalts- und Beziehungsaspekte gänzlich ineinander übergehen (vgl. Höflich 1999, S. 46). Damit ist bereits angesprochen, was unter dem Schlagwort Interaktivität verhandelt wird.

3.3.3 Interaktivität und computervermittelte Kommunikation

Im Zusammenhang mit elektronisch vermittelter Kommunikation ist immer wieder von »interaktiven« Medien oder Prozessen die Rede. Man kommt in einem Lehrbuch also nicht umhin zu klären, was mit Interaktivität gemeint ist. Der Begriff, wie wir ihn in der Kommunikationswissenschaft verwenden, rekurriert auf den soziologischen Term der Interaktion, der eine Beziehung zwischen anwesenden Personen beschreibt – mit wechselseitiger Kommunikation als einem Bestandteil dieser Beziehung. Darum geht es im Abschnitt 1. Der traditionelle Gegenstand der Kommunikationswissenschaft ist medienvermittelte öffentliche Kommunikation, die (zunächst ganz basal) linear von Sender (Kommunikator) zu Empfänger (Rezipient) verläuft. Auch hier finden Interaktionen zwischen den am Kommunikationsprozess Beteiligten statt, die allerdings z. T. einen anderen Charakter aufweisen, was in Punkt 2 besprochen wird. Das Internet als Kommunikationsplattform bietet das Potenzial, wechselseitige, also interaktive öffentliche Kommunikation zu ermöglichen, und damit die klassische Struktur einer Einwegkommunikation vom Sender zum Empfänger aufzubrechen. Das ist Gegenstand von Abschnitt 3. Dazu im Einzelnen:

1) Interaktion in der zwischenmenschlichen Kommunikation

Auf das Element der Interaktion im Kontext zwischenmenschlicher Kommunikation wurde bereits kurz hingewiesen (vgl. Kap. 3.1.2), es soll hier jedoch noch einmal darauf zurückgegriffen werden. Interaktion im hier verstandenen Sinn ist ein aus der Soziologie stammender Begriff. Das Grundmodell, an dem er sich orientiert, »ist die Beziehung zwischen zwei oder mehr Personen, die sich in ihrem Verhalten aneinander orientieren und sich gegenseitig wahrnehmen können« (Jäckel 1995, S. 463). Da eine Interaktion immer ein Gegenüber voraussetzt, klassifiziert Max Weber sie als eine bestimmte Form sozialen Handelns, das »mit subjektivem Sinn verbunden« sowie »auf das Handeln anderer Menschen bezogen und daran in seinem Ablauf orientiert ist« (Weber 1980, S. 1). Interaktion beschreibt folglich einen auf andere bezogenen »Handlungsablauf und die diesen Handlungsablauf konstituierenden Faktoren« (Jäckel 1995, S. 463). Zwischenmenschliche Kommunikation kann somit als eine spezifische Form der sozialen Interaktion verstanden werden: als Interaktion vermittels Zeichen und Symbolen, als Miteinander-in-Beziehung-Treten von Menschen (Interaktion) zum Austausch von Informationen (Kommunikation) mit dem Ziel der Verständigung (bzw. Anschlussfähigkeit). Aus soziologischer Perspektive ist die physische Präsenz, also die gegenseitig wahrnehmbare Anwesenheit der Interagierenden, ein wichtiges Definitionselement (ebd.). Der Informationsaustausch kann verbal und/oder nonverbal erfolgen und bedient sich in aller Regel aller jener Kommunikationskanäle [93](vgl. Kap. 3.1.6), über die Menschen in der Face-to-face-Kommunikation verfügen. Durch die Anwesenheit der Kommunikationspartner bestehen vielfältige Möglichkeiten der Rückkopplung und gegenseitigen Kontrolle. Ein Fehlen von Rückkopplungsmöglichkeiten und gegenseitiger Kontrolle hingegen steigert die Unverbindlichkeit von Interaktion. Weiterhin ist Reflexivität, also Rückbezüglichkeit, das elementare Kennzeichen der unmittelbaren zwischenmenschlichen Kommunikation (vgl. Merten 1977, S. 161f): Kommunikation bedarf »einer bestimmten zeitlichen Reihenfolge sowie einer sachlichen und sozialen Bezugnahme« (Neuberger 2007, S. 46). Sie muss also chronologisch stattfinden (die Antwort vor einer Frage zu liefern macht schließlich keinen Sinn), einen Inhalt übermitteln bzw. an den Gegenstand der vorhergehenden Kommunikation anknüpfen (also eine ›vernünftige‹ Antwort auf die Frage geben) und an einen Empfänger (in dem Fall an den Fragesteller) gerichtet sein. Rückzugsmöglichkeiten bedürfen stets sozial akzeptierter Konventionen (z. B. eine angemessene Beendigung eines zwischenmenschlichen Gesprächs – eine Frage zu ignorieren bzw. nicht zu beantworten, empfinden wir als unhöflich).

2) Interaktion in der klassischen Massenkommunikation

In der klassischen medienvermittelten Kommunikation sind die Teilnehmer räumlich abwesend und die Mitteilungen bzw. Informationen werden im Wesentlichen einseitig gesendet, vom Kommunikator an den Rezipienten. Dennoch finden Interaktionen zwischen Sendern und Rezipienten statt, weil das Publikum (seien es einzelne Augenzeugen oder auch organisierte Gruppen) immer auch zur Quelle für mediale Inhalte wird (vgl. Wagner 1978, S. 42f). Wesentlich häufiger jedoch kommt es zu indirekten und imaginären Feedback-Prozessen, weil das Publikum auch auf Medieninhalte reagiert (vgl. Beck 2006, S. 43ff; Maletzke 1963, S. 41; Sutter 1990):

Zum ersten bildet der Rezipient sich auf Basis des Medieninhalts ein Bild vom Kommunikator; Früh/Schönbach (1982; Schönbach/Früh 1984) verwenden dafür den Begriff Inter-Transaktion. Dieser Prozess ist wechselseitig, weil auch die Sender sich Bilder von den Rezipienten machen, und zwar auf Basis von Rückkoppelungen, die direkt und explizit (nämlich verbal oder textvermittelt) von den Rezipienten zurückkommuniziert werden (man denke z. B. an E-Mails oder Leserbriefe an Redaktionen, Call-Ins, die live in Radio- oder Fernsehsendungen geschaltet werden, oder an Nutzerkommentare auf Onlinenachrichtenseiten). Rückkoppelungen von Rezipienten an die Sender können aber auch indirekt über Konsumentscheidungen vermittelt werden (Kauf bzw. Nutzung) – diese geben allerdings vergleichsweise unspezifische Hinweise auf Präferenzen und Bewertungen der Rezipienten, weil sie sich nicht auf die konkrete Aussage, sondern generell auf den entsprechenden Zeitungs- oder Zeitschriftentitel, die TV- oder Hörfunksendung beziehen. Dasselbe gilt auch für die systematische Mediaforschung (vgl. Kap. 4.4.1), die (meist im Rahmen von Umfrageergebnissen) ebenfalls Publikumspräferenzen und -bewertungen an die Kommunikatoren vermittelt.

Auch im Kontext klassischer Massenkommunikation findet also Interaktion und Feedback statt. Feedbackmöglichkeiten sind allerdings medial und zeitlich eingeschränkt (Feedbacks erreichen die Redaktionen häufig über andere Kanäle als Face-to-face: schriftlich, telefonisch oder als Nutzerkommentar; sie sind daher meist zeitversetzt und bleiben oft ohne direkte redaktionelle Reaktion) und teilweise durch Informationsverlust gekennzeichnet (Konsumentscheidungen und Mediaforschung).

3) Interaktion in der computervermittelten Kommunikation

Aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive bedarf es also keines präsenten menschlichen Gegenübers, damit Interaktionen stattfinden. Das Gebiet computervermittelter Kommunikation ist nicht nur Domäne der Kommunikationswissenschaft, sondern insbesondere auch Gegenstand der Informatik (die sich naturgemäß auf die technischen Aspekte konzentriert) bzw. des Teilbereichs der ›Human Computer Interaction‹ (der auch wahrnehmungs- und kognitionspsychologische Phänomene [94]einbezieht). Interaktionen bezeichnen hier Kommunikationsprozesse zwischen Mensch und Maschine, bzw. solche zwischen Mensch und Computer. In der Kommunikationswissenschaft adaptierte man einerseits die Begriffsbedeutung aus der Informatik, ergänzte sie jedoch um das Interaktionsverständnis der Soziologie, um ebenso elektronisch vermittelte Interaktionen zwischen Menschen erfassen zu können. In unserem Fach bezeichnet man als Interaktivität folglich das Potenzial eines technischen Mediums oder einer Kommunikationssituation, interaktive (im Sinne von wechselseitige) zwischenmenschliche Kommunikation zu ermöglichen (vgl. Rafaeli 1988, S. 119; Neuberger 2007, S. 43f). Grundbedingung dafür ist, dass Sender und Empfänger die Rollen wechseln können (so gesehen ist bereits das Telefon ein interaktives Medium). Von Interaktivität ist daher zunächst ganz basal die Rede, wenn


1)ein Medium (eine Maschine, eine technische Anwendung etc.) über die Fähigkeit verfügt, »mit dem Nutzer in einen Dialog zu treten« (Goertz 1995, S. 478; vgl. Rogers 1986, S. 34) – sog. Menschzu-Maschine/Medium-Interaktivität; und wenn
2)ein Medium über das Potenzial verfügt, wechselseitige »synchrone [z. B. Chat] und asynchrone [z. B. E-Mail-, Foren-] Kommunikation zwischen geografisch getrennten Kommunikationspartnern« zu ermöglichen (Höflich 1994, S. 391; vgl. Neuberger 2007, S. 43f) – sog. Mensch-zu-Mensch-Interaktivität.

Medien (nicht nur Onlinemedien) unterscheiden sich generell im Hinblick auf ihr kommunikatives Potenzial, also darauf

• inwieweit »eine Medienanwendung in der Lage ist, sich auf die individuellen Bedürfnisse der Beteiligten ›einzustellen‹« (Goertz 1995, S. 485) (z. B. durch eine automatisierte Vor-Selektion von Inhalten/Personalisierung),

• inwieweit man als Mediennutzer den Rezeptions- und Kommunikationsprozess beeinflussen kann (z. B. durch Modifikation, Steuerung/Kontrolle – man denke an verschiedene Kameraperspektiven auf ein Fußballtor) und

• ob und auf welche Weise sie gegenseitig aufeinander bezogenes Handeln der Nutzer zulassen.

Es ist insofern sinnvoll, Stufen von Interaktivität zu unterscheiden bzw. im Sinne von Rogers (1986) Interaktivität als Kontinuum zu begreifen. Verschiedene Versuche, Klassifizierungen für Mensch-Maschine-Kommunikation vorzunehmen, wurden bereits unternommen (z. B. Chung/Yoo 2008, S. 379; Schweiger/Quiring 2007; Kiousis 2002; McMillan 2002; Goertz 1995; Steuer 1992). Grob zusammenfassend können Faktoren für die Bestimmung des Interaktivitätsgrades einer Medienanwendung diesen Autoren zufolge sein:

• der Grad der Selektionsmöglichkeiten (Auswahloptionen);

• der Grad der Modifikationsmöglichkeiten (Möglichkeiten der Veränderung von Aussagen durch den Empfänger; also der Grad, zu welchem ihm Kontrolle der Kommunikation möglich ist) (vgl. Kap. 3.3.3);

• die Menge des Selektions- und Modifikationsangebotes;

• der Grad der Linearität/Nichtlinearität, also z. B. Bestimmung von Zeitpunkt, Tempo und Abfolge der Rezeption bzw. Kommunikation; sowie

• der Grad des Mappings (also der Entsprechung) zwischen Nutzereingabe (z. B. Suchanfragen) und Systemantwort (angezeigte Ergebnisse).

Die von den meisten Deutschen regelmäßig praktizierten interaktiven Kommunikationsmodi in der computervermittelten Kommunikation sind das Bedienen von Suchmaschinen (Mensch-zu-Maschine/Medium-Interaktivität) und das Versenden bzw. Empfangen von E-Mails (Mensch-zu-Mensch-Interaktivität) [95](vgl. van Eimeren/Frees 2012, S. 369). Die (deutschsprachige) Kommunikationswissenschaft interessiert im Hinblick auf Interaktivität weniger die Mensch-Maschine-Dialoge als vielmehr die kommunikativen Möglichkeiten zwischen Menschen mittels Computer, und dabei insbesondere die computervermittelte interpersonal-öffentliche Kommunikation, wie sie z. B. in Diskussionsforen, auf YouTube oder Twitter stattfindet. Diese Form der öffentlichen Kommunikation weist einerseits Ähnlichkeiten mit Face-to-face-Kommunikation unter Anwesenden auf, unterscheidet sich andererseits aber dennoch wesentlich von dieser (vgl. Misoch 2006, S. 56ff): So sind die Partner computervermittelter Kommunikation in aller Regel nur »telepräsent«, d. h. nicht persönlich anwesend und können sich auch gegenseitig nicht bzw. nur sehr eingeschränkt wahrnehmen (Entkörperlichung). Auch sind ihre Interaktionen weder orts- noch zeitgebunden (Entzeitlichung und Enträumlichung). Entkörperlichung, Entzeitlichung und Enträumlichung führen außerdem zu einer Entkontextualisierung: Da die Kommunikation zeitversetzt stattfinden kann und die Kommunikationsteilnehmer i. d. R. nicht physisch präsent sind, teilen sie üblicherweise keinen »gemeinsamen Kontext oder Handlungshintergrund« (Misoch 2006, S. 60). Zentrale Elemente der gesamten nonverbalen Kommunikation, die in der zwischenmenschlichen Kommunikation eine wichtige Rolle spielen, kommen folglich in der computervermittelten Kommunikation nicht zum Tragen. Kurz: Die interaktiven Möglichkeiten computervermittelter Kommunikation »liegen nicht auf der Ebene direkter sozialer Interaktion« (Sutter 1999, S. 297). Dadurch sind wechselseitige Wahrnehmungs- und Kontrollmöglichkeiten (z. B. Mimik, Gestik, Blickkontakt, Tonfall etc.) nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich und somit kann computervermittelte Kommunikation einen unverbindlichen und anonymen Charakter annehmen. Sie erlaubt es, etwa in Chats oder bei der Teilnahme an Onlinerollenspielen, »sich zu maskieren und zu inszenieren« (ebd.). Insbesondere regelmäßig durch das Internet rauschende »Shitstorms« – Stürme der kollektiven Entrüstung über eine Person oder ein Thema, die nicht selten mit groben verbalen Entgleisungen einhergehen – prägen derzeit das Meinungsklima über virtuelle Kommunikation. Dennoch greift auch in der Onlinekommunikation ein gewisser Selbstregulierungsmechanismus, auf den wir in Kapitel 3.3.5 zurückkommen: Da auch im Netz Interaktionen auf Dauer angelegt sein können, müssen Nutzer sich an bestimmte soziale Normen und Verhaltensstandards orientieren, wenn sie Anschlusskommunikation generieren wollen.

3.3.4 Web 2.0, Social Web und User-generated Content

Tim O’Reilly (2005) hat zur Unterscheidung der Onlineangebote, die auf klassische Einweg-Kommunikation beschränkt bleiben (publishing), von Angeboten, die interaktive Kommunikation (participation) und Zusammenarbeit ermöglichen, das Begriffspaar »Web 1.0« und »Web 2.0« eingeführt. Natürlich verweist die Kennziffer nicht auf eine neue Versionsnummer des World Wide Web, sondern steht für eine Entwicklungsstufe im Kommunikationspotenzial. Angebote, die mit dem Begriff ›Web 2.0‹ gelabelt werden können, binden Nutzer in die Organisation, Produktion, Gestaltung und Distribution von Inhalten im Internet ein (vgl. O’Reilly 2005; Ebersbach et al. 2008).

Ganz grob lassen sich Web-2.0-Dienste bzw. Plattformen in folgende drei Klassen unterteilen (vgl. Stanoevska-Slabeva 2008): 1) inhalts-orientierte Web-2.0-Plattformen ermöglichen einerseits das Erstellen, Verwalten, Konsumieren oder Tauschen von Inhalten. Als Beispiele für diese Kategorie können Blogs, Wikis oder Media-Sharing-Plattformen (wie YouTube oder Flickr) gelten. Eine zweite Klasse bilden 2) beziehungs-orientierte Web-2.0-Plattformen, die die Abbildung und Verwaltung von sozialen Netzwerken (wie Facebook, Xing etc.) ermöglichen. Diese Plattformen werden von den Teilnehmern zur Beziehungspflege genutzt und weisen daher eine enge Rückbindung an realweltliche Gruppen auf. Darüber hinaus existieren 3) virtuelle Welten also Plattformen, die auf [96]virtuellen dreidimensionalen Abbildungen der ›realen‹ Welt basieren. Der virtuelle Kommunikationsraum Second Life ist ein gutes Beispiel hierfür.

Auch wenn die meisten Web-2.0-Dienste kostenlos angeboten werden: Der Nutzer ›bezahlt‹ immer durch die Daten, die er zur Abmeldung und während der Nutzung preisgibt. Anbieter haben Interesse an diesen Daten, um z. B. personalisierte Anzeigenschaltung verkaufen zu können – das ist für Werbetreibende natürlich deutlich attraktiver, als Streuverluste in Kauf nehmen zu müssen. Berücksichtigt man darüber hinaus, dass es eine kritische Masse an Nutzern braucht – die eine Plattform kontinuierlich mit Daten füttert, damit diese Plattform ›am Leben‹ bleibt – so wird klarer, dass viele kommerzielle Anbieter ein Interesse haben, Nutzercommunitys aufzubauen und zu erhalten. Freilich gibt es aber auch (aus kommerziellen Gründen initiierte und kommerziell orientierte) virtuelle Gemeinschaften, in denen professionelle Organisatoren dafür sorgen, dass Kommunikation aufrechterhalten bleibt.

Plattformen, die online die Herstellung sozialer Strukturen und Interaktionen ermöglichen, werden auch unter dem Sammelbegriff »Social Web« gefasst. Präziser definiert besteht das Social Web aus:

• »[…] webbasierten Anwendungen,

• die für Menschen

• den Informationsaustausch, den Beziehungsaufbau und deren Pflege, die Kommunikation und kollaborative Zusammenarbeit

• in einem gesellschaftlichen und gemeinschaftlichen Kontext unterstützen sowie

• den Daten, die dabei entstehen und

• den Beziehungen zwischen Menschen, die diese Anwendungen nutzen« (Ebersbach et al. 2008, S. 31; vgl. auch Hippner 2006).

Es finden sich Prinzipien, die alle Social-Web-Services mehr oder weniger einen (vgl. Ebersbach et al. 2008, S. 31; Hippner 2006):

• Der Fokus liegt auf den Nutzern und ihrer interaktiven Kommunikation: Während Programme oder Webseiten der Generation Web 1.0 weitgehend produktivitätsorientiert und anonym genutzt wurden, zeichnen sich Angebote im Social Web durch hohes interaktives Potenzial und Personalisierung aus; Nutzungsmuster werden nachvollziehbar.

• Möglichst ausgiebige Vernetzung (von Informationen oder Personen): Nicht die einzelnen Informationen, sondern die Struktur, die aus ihrer Verknüpfung entsteht, steht im Zentrum. Durch das In-Beziehung-Setzen von Inhalten wird kollektives Wissen aufgebaut.

• Transparenz von Handlungen, Daten und Zusammenhängen: Sichtbarkeit der Teilnehmer, ihrer Beziehungen untereinander und der Bewertungen von Inhalten wird hergestellt, um das menschliche Orientierungsbedürfnis zu befriedigen – zugleich kann der einzelne Nutzer so sein Wissen der Gemeinschaft verfügbar machen.

• Selbstorganisation: Anbieter stellen zunächst nur die Plattformen bereit, der Inhalt wird erst durch die Teilnehmer geliefert. Nutzer machen sich auf diese Weise die Plattform zu eigen und konstituieren eine Community, die Verhaltensregeln selbst aushandelt, weil viele Plattformen im Web 2.0 nichtkommerziellen Charakter haben und die Benutzung daher weitgehend unreguliert erfolgen kann (Bottom-up-Gestaltung).

• Rückkopplung in Form von »Social Ratings«: Inhalte können bewertet (oder auch kommentiert) werden. Dadurch zeigen die Teilnehmer an, welche Beiträge sie als wertvoll erachten. Durch positive Rückkopplungen erwirbt sich der Produzent digitale Reputation, zugleich wirkt die Gratifikation des positiven Feedbacks verhaltensregulierend.

• Die Bedeutung von Integration in die Gemeinschaft: Weil jeder einzelne Teilnehmer in den Aufbau einer Community viel Energie und kostenlose Arbeit steckt, sind Einzelkämpfer und Abweichler [97]unerwünscht und werden von der Gemeinschaft selten toleriert; als unerwünschte Verhaltensweise gilt z. B. One-to-One-Kommunikation, stattdessen sollen One-to-Many- (Weblogs) oder Many-to-Many-Kommunikationsmodi (Wikipedia) vorherrschen.

Zum Management von Informationen und Beziehungen existieren im Social Web verschiedene ›Werkzeuge‹ (vgl. Hartmann 2008, S. 105ff; Schmidt 2011, S. 29ff):

• Content-Syndication: Bereits produzierte Inhalte können in ein anderes Webangebot übernommen und damit mehrfachverwertet werden (z. B. die Einbindung von Kartendiensten in einen Reiseblog).

• Mashup: Durch die Rekombination und Mischung bereits produzierter Inhalte (Fotos, Videos, Landkarten etc.) entstehen multimediale Kollagen und damit neue Inhalte. Sucht man z. B. über Google nach einem Produkt oder einer Dienstleistung, bekommt man als Suchergebnis häufig eine Karte mit Markierungen von Standorten eingeblendet, an denen diese Produkte oder Dienstleistungen erhältlich sind – meist inklusive (durch andere Internetnutzer abgegebene) Kundenbewertungen.

• Newsfeed: Feed Reader bzw. Aggregatoren informieren über Aktualisierungen von Webseiten, ohne dass man diese aufrufen muss. Die Textnachrichten können in unterschiedlichen technischen Umsetzungen (RSS, RDF, Atom) automatisch bezogen (abonniert) werden.

• Tagging/Social Bookmarking: Nutzer können einen Datenbestand durch Zusatzinformationen etikettieren (englisch: to tag) oder ver-/beschlagworten. Die Aggregation der individuell vergebenen Schlagworte lässt eigene Ordnungsmuster entstehen (Folksonomies).

• Blogging: bezeichnet das Führen eines Blogs durch einen oder mehrere Autoren. Blogs sind relativ regelmäßig aktualisierte Webseiten, auf denen in umgekehrt chronologischer Reihenfolge (Text-, Bild- oder Audio-)Beiträge veröffentlicht werden, die i. d. R. von anderen Nutzern kommentierbar sind. Es gibt mittlerweile eine große Bandbreite an Blogs: Tagebüchern ähnliche private Blogs, kommerziell betriebene Unternehmensblogs (corporate blogs), Bürgerjournalismus-Blogs oder Watchblogs, die häufig mit Hilfe ihrer Leserschaft kritische Firmen- oder Medienbeobachtung betreiben, sowie professionelle journalistische Blogs wie die ›Huffington Post‹, die in Konkurrenz zu traditionellen Massenmedien treten.

• Podcasting (Audio-/Videoblogging): bezeichnet die Produktion von Audio- oder Videodateien, die kostenlos zum Download bereitgestellt werden.

• Wikis: Das sind Software-Implementierungen zur kollaborativen Erstellung von Webinhalten.

Das aus Perspektive der Kommunikationswissenschaft Neue an Services im Web 2.0 ist v. a., dass es öffentlich-interaktive Kommunikation (Weblogs, Wikis) ermöglicht, die aufgrund ihrer Reichweite massenmedialen Charakter annimmt (vgl. Neuberger 2007, S. 45; Schweiger/Quiring 2007; Haas/Brosius 2011). Dafür müssen Internetnutzer heutzutage nicht einmal mehr programmieren oder die technischen Prozesse hinter einzelnen Anwendungen verstehen können – die Zugangsbarrieren sind extrem gesunken und der Rollenwechsel vom Empfänger zum Sender massenmedialer Kommunikation ist wesentlich einfacher zu vollziehen (vgl. Hartmann 2008, S. 98). Die Vielfalt der soeben beschriebenen Werkzeuge zeugt davon. Inhalte, die mit der Hilfe von Nutzern erstellt werden, werden unter den Begriff User-generated Content subsummiert.

Die Kommunikationsmöglichkeiten im Web 2.0 ebnen die bisher in der Kommunikationswissenschaft mitgedachte Trennung von Individual- und massenmedial vermittelter Kommunikation zunehmend ein (vgl. Neuberger 2007, S. 43). Wie in diesem Abschnitt gezeigt wurde, kann Netzkommunikation sogar beides zugleich sein: In diesem Fall spricht man von interpersonal-öffentlicher Kommunikation – z. B. dann, wenn Nutzer von Onlinenachrichten die Berichterstattung kommentieren [98]und sich dabei für andere öffentlich sichtbar streiten (vgl. Brosius/Haas 2011; Springer 2012). »Interaktivität« unterscheidet folglich die Netzkommunikation von der klassischen Massenkommunikation: In der Netzkommunikation ist es möglich, neben die einseitig gerichtete Einer-an-Viele-Kommunikation (One-to-Many) andere Kommunikation treten zu lassen, nämlich eine One-to-One-, One-to-Few-, Many-to-Many- oder Many-to-One-Kommunikation. Da Interaktivität (ganz gleich in welcher Form) jedoch immer nur Kommunikationspotenzial ist, hängt die Realisation dieses Potenzials natürlich von den jeweiligen Nutzern ab. Auch wenn die Habitualisierung der Web2.0-Services und Plattformen voranschreitet, verbleiben Internetnutzer bislang doch fast ausschließlich im passiv-rezeptiven Nutzungsmodus (vgl. Busemann/Gscheidle 2012).