Buch lesen: «Publizistik- und Kommunikationswissenschaft», Seite 10

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Massenkommunikation ist ferner eine Form der indirekten Kommunikation. Dies resultiert nicht nur aus der Tatsache, dass Massenkommunikation auf technische Medien als Ver- und Übermittlungsinstanzen angewiesen ist. Hinzu kommt nämlich, dass zwischen Kommunikator und Rezipient eine räumliche Distanz (wie z. B. bei Livesendungen in Hörfunk und Fernsehen) sowie eine raumzeitliche Trennung (wie etwa beim Lesen einer Zeitung oder einer aufgezeichneten Fernsehsendung) besteht. Auch von einer Interaktion der Kommunikationspartner kann in der klassischen Massenkommunikation nicht die Rede sein. Sie erscheint allenfalls gegeben, wenn Leser einer gedruckten Zeitung via Telefonanruf oder E-Mail spontan auf einen Beitrag reagieren und ein unmittelbares Feedback vom Verfasser des Zeitungsbeitrages erhalten. Im Kontext von Massenkommunikation kann man noch den Aspekt parasozialer Interaktion ansprechen, wenn etwa ein TV-Zuschauer einen Moderator, Präsentator oder Kommentator einer Sendung auf Grund langjähriger Mediennutzung gut zu kennen meint und dieser ihm vertraut vorkommt (vgl. Merten 1977, S. 145).

Von den im deutschen Sprachraum vorhandenen Definitionen über Massenkommunikation ist jene von Gerhard Maletzke am weitesten verbreitet und – trotz mancher Kritik (z. B. Bergler/Six 1979; Faulstich 1991; Wagner 1998) – auch allgemein anerkannt. Er bezeichnet Massenkommunikation als »jene Form der Kommunikation, bei der Aussagen öffentlich, durch technische Verbreitungsmittel indirekt und einseitig an ein disperses Publikum vermittelt werden« (Maletzke 1963, S. 32; Pürer 1998, S. 149ff). Trotz der Einseitigkeit des Prozessverlaufes sieht Maletzke Massenkommunikation jedoch nicht als ausschließlich lineare Form der Kommunikation vom Kommunikator zum Rezipienten. Vielmehr macht sich der Rezipient auch ein Bild vom Kommunikator und es reagieren viele Rezipienten spontan, indem sie versuchen, »die Einseitigkeit der Massenkommunikation durch Antworten, Anfragen, Beschwerden, Vorschläge etc. zu überwinden« (Maletzke 1963, S. 41). So betrachtet ist Massenkommunikation ein rückgekoppelter Prozess.

Zusammenfassend kann man auf folgende Merkmale verweisen, die für traditionelle Massenkommunikation kennzeichnend sind:

• Massenkommunikation ist öffentlich. Im Unterschied zur privaten, zwischenmenschlichen Kommunikation ist der Kreis der Adressaten weder eine begrenzte noch eine bestimmte Anzahl von Personen. Jeder kann sich im Prinzip den Aussagen der Massenmedien zuwenden. Es besteht ein räumlicher, zeitlicher oder raum-zeitlicher Abstand zwischen den Kommunikationsteilnehmern.

• Massenkommunikation läuft einseitig ab, weil der Fluss der Information – von den bereits erwähnten Ausnahmen abgesehen – weitestgehend nur in eine Richtung erfolgt. Der Adressat bleibt in aller Regel Empfänger, es findet de facto kein Rollenwechsel zwischen Aussagendem und Aufnehmendem statt, wie dies etwa in der zwischenmenschlichen Kommunikation von Angesicht zu Angesicht der Fall ist. Gleichwohl ist Massenkommunikation ein rückgekoppelter Prozess.

• Massenkommunikation bedient sich immer technischer Medien, ist also stets vermittelt und übermittelt. Sender und Empfänger sind räumlich, zeitlich oder raum-zeitlich voneinander getrennt; damit ist klassische Massenkommunikation auch indirekt. Als klassische Medien fungieren nach wie vor Zeitung, Zeitschrift, Flugblatt, Plakat, Buch; Hörfunk und Fernsehen; Film sowie Schallplatte, Audiokassette, Videokassette, CD, DVD u. a. m.

• In der Massenkommunikation werden als Aussagen bzw. Botschaften unzählig große Mengen von Mitteilungen informierender, kommentierender und unterhaltender Natur vermittelt. Diese Botschaften werden dem Publikum in äußerst vielfältigen formalen, dem jeweiligen Medium angepassten Präsentationsformen an- und dargeboten.

• Die Adressaten der Massenkommunikation stellen ein disperses Publikum dar, d. h. eine vielschichtig inhomogene Vielzahl von Menschen, die in aller Regel untereinander keine engeren zwischenmenschlichen [83]Beziehungen unterhalten, unstrukturiert und unorganisiert sind und sich auch nicht kennen – es sei denn, die Zuwendung zu den Medieninhalten erfolgt z. B. gemeinsam im Familienverband, im Verwandten-, Freundes- oder Bekanntenkreis.

3.2.5 Interpersonale Kommunikation und Massenkommunikation

Interpersonale Kommunikation und Massenkommunikation sind »historisch und aktuell miteinander verknüpft. Historisch gesehen kann Massenkommunikation als ein relativ junges Phänomen begriffen werden, das sich entwickelt hat, um bestimmte räumliche, zeitliche oder soziale Grenzen interpersonaler Kommunikation zu erweitern« (Bentele/Beck 1994, S. 34). Oftmals sind über die Massenmedien vermittelte Botschaften auch Gegenstand zwischenmenschlicher Kommunikation. Sie können also kommunikationsstiftenden Charakter für interpersonale Kommunikation haben. Allerdings ist in einer Zeit der zunehmenden Ausdifferenzierung des Medienwesens mit immer mehr Angeboten eine Tendenz zur Individualisierung der Mediennutzung verbunden. Daher wird es für den Einzelnen schwieriger, sich in persönlichen Gesprächen über genutzte Medieninhalte auszutauschen. Dies gilt v. a. für das Fernsehen, dessen Angebotsvielfalt an Programmen individualisierte TVNutzung ebenso begünstigt wie der Umstand, dass es in zahlreichen Haushalten Zweit- und Dritt-TV-Empfangsgeräte gibt. Auch das Internet mit seiner ungeheuren Angebotsfülle verstärkt den Trend zu individualisierter Bildschirmnutzung.

Zwischen interpersonaler Kommunikation und Massenkommunikation gibt es folglich manche Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Zunächst zu den Gemeinsamkeiten:

• Die wohl wichtigste Gemeinsamkeit liegt laut Bentele/Beck (1994) in der Intention, etwas mitzuteilen. Dazu bedarf es, wie bereits erwähnt, eines gemeinsamen Zeichenvorrates.

• Ohne interpersonale Kommunikation ist Massenkommunikation undenkbar, zumal die Produktion journalistischer Aussagen »der Kooperation und Kommunikation von Personen [bedarf], die daran arbeitsteilig zusammenwirken« (Bentele/Beck 1994, S. 34).

• Beide Kommunikationsarten sind, wie Bergler/Six schreiben, mit bestimmten Reaktionen aufseiten des Rezipienten verbunden und setzen für ihre Wirkung bestimmte Prozesse voraus (vgl. Bergler/Six 1979, S. 37): So wird die mitgeteilte Information vom Rezipienten selektiv wahrgenommen (attention). Sie muss von diesem decodiert und interpretiert werden (comprehension). Der Rezipient muss sich zu dieser Information ins Verhältnis setzen und ihr eine bestimmte Bedeutung beimessen (identification, yielding). Er muss die Information speichern oder erinnern (retention), sie annehmen oder ablehnen (acceptance), was eine Bestätigung oder Änderung seiner Einstellungen, Werte und Verhaltensweisen (mit-)auslösen kann (disposition, action). Alle diese Punkte gelten für interpersonale wie Massenkommunikation gleichermaßen.

Neben diesen Gemeinsamkeiten ist im Folgenden nun auf Unterschiede zwischen interpersonaler Kommunikation und Massenkommunikation zu verweisen (vgl. Bentele/Beck 1994, S. 34):

• Interpersonale Kommunikation ist ein bi-direktionaler und reflexiver Prozess (Merten 1977); »Massenkommunikation hingegen verläuft überwiegend uni-direktional von einem Sender zu vielen Empfängern« (Bentele/Beck 1994, S. 34).

• Auch wenn es Rückkopplungen durch die Rezipienten in der klassischen Massenkommunikation gibt, bleibt die »institutionalisierte Grenze zwischen professionellen Journalisten und ›aktiven Rezipienten‹ […] bestehen. Es ist deshalb sinnvoll, im Bereich der (klassischen) Massenkommunikation weiter von Kommunikator und Rezipient zu sprechen« (Bentele/Beck 1994, S. 35).

[84]• Ein weiterer bedeutender Unterschied zwischen Massenkommunikation und interpersonaler Kommunikation besteht darin, dass Letztere »oftmals auf dauerhaften Sozialbeziehungen [basiert]« (ebd.).

• Schließlich ist – noch einmal – darauf hinzuweisen, dass in der traditionellen Massenkommunikation die Produktion der Aussagen in komplex organisierten formalen Organisationen erfolgt und auch erst eine hoch entwickelte Technologie sowohl die Produktion als auch die Verbreitung der Inhalte ermöglicht (Silbermann 1982, S. 25).

Übrigens verbinden sich beide Kommunikationsmodi durch computervermittelte (Online-)Kommunikation inzwischen auf interessante Weise: Ein Phänomen, das zunehmend (wenn auch bislang nur langsam) Verbreitung findet, ist das synchrone Verfolgen von und Partizipieren an Social Media Aktivitäten z. B. zu einer TV-Sendung. Bei speziell dafür entwickelten Formaten werden die Zuschauer zum Mitspielen oder Mitraten explizit aufgefordert. Die Live-Kommentierung auf sozialen Netzwerken kann außerdem Aufschluss darüber geben, wie anderen Rezipienten die entsprechende Sendung gefällt. Dies geschieht häufig mittels eines zweiten mobilen Geräts wie eines Tablet PCs oder eines Smartphones (daher auch der dafür geläufige Begriff ›Second Screen‹) (vgl. van Eimeren/Frees 2012, S. 371).

3.2.6 Zur Terminologie in der Massenkommunikation

Es ist wiederholt versucht worden, Kommunikation und Massenkommunikation modellhaft darzustellen (vgl. z. B. Kunczik 1984; Bentele/Beck 1994; McQuail/Windahl 1993; Pürer 1998, Kap. 4; Rau 2013, S. 74–88). Die Mehrzahl dieser Modelle zeichnet sich durch die Verwendung einer relativ identischen Terminologie aus. So ist, bezogen auf den Prozess von Kommunikation und Massenkommunikation, oft von Kommunikator, Aussage, Medium, Rezipient und Wirkung die Rede. Die nachfolgend angeführten Bezeichnungen bzw. deren Modifikationen für jede dieser Prozesspositionen findet man in der Mehrzahl dieser Modelle vor. Maletzke hat die wichtigsten Begriffe zusammengefasst (Maletzke 1963, S. 35–37):

Kommunikator: Sender, Journalist, Produzent, Urheber; im Englischen finden sich die Bezeichnungen communicator, source (Quelle), encoder (jemand, der eine Botschaft verschlüsselt, um sie anderen zugänglich zu machen), controller (jene Instanz, die die Letztentscheidung über die Art und Weise der (Nicht)Veröffentlichung einer Information fällt).

• Für Aussage steht auch Inhalt, Produkt, Mitteilung, Botschaft, Kommunikat bzw. im Englischen die Bezeichnungen content, message, cue, symbol etc.

Medium: Kanal bzw. im Englischen channel, communication agency (was nicht mit news agency, also Nachrichtenagentur, verwechselt werden darf).

Rezipient: Kommunikand, Empfänger, Konsument, Nutzer; bzw. im Englischen communicatee, interpreter, decoder, receiver. Für die Summe der Rezipienten stehen Bezeichnungen wie Publikum, Leserschaft, Hörerschaft, Zuschauerschaft bzw. im Englischen audience oder public audience (im Sinne von Leser, Hörer, Zuschauer).

• Für Wirkung findet man auch die Bezeichnungen Effekte (effects) und Folgen, wobei zwischen individuellen Wirkungen und sozialen bzw. gesellschaftlichen Wirkungen ebenso zu unterscheiden ist wie zwischen affektiven bzw. emotionalen auf der einen und kognitiven Wirkungen auf der anderen Seite. Eine wichtige Differenzierung ist auch diejenige in kurzfristige Effekte und langfristige Wirkungen von Massenkommunikation.

[85]Unbestreitbar ist, dass Massenkommunikation in modernen Gesellschaften zum Alltäglichen geworden ist und in zahlreiche Bereiche der Gesellschaft, aber auch in das Leben des Einzelnen eindringt. So können Massenmedien zweifellos zu einer beträchtlichen Erweiterung unseres geistigen Horizonts beitragen und uns mit Informationen versorgen, die wir sonst nicht in Erfahrung bringen. Indem sie uns rund um die Uhr Nachrichten und andere Informationen aus aller Welt liefern, wird die Welt gleichsam zum globalen Dorf (zum »global village« wie Marshall McLuhan es bereits in den 1960er-Jahren nannte, vgl. McLuhan 1962). Auch liefern sie einen wichtigen Beitrag dazu, dass wir uns in der immer komplexer werdenden Welt zurechtfinden. Neben Familie und Schule tragen die Massenmedien auch dazu bei, dass der Mensch in seiner Persönlichkeitsentwicklung die in der Gesellschaft vorherrschenden Wertvorstellungen, Normen, Rollen und Verhaltensweisen kennen lernt und – zu seinem eigenen Vorteil und Schutz bzw. zur Integration in die menschliche Gemeinschaft – teilweise oder ganz übernimmt. Massenkommunikation ist also auch Bestandteil jenes Prozesses, den man Sozialisation nennt (vgl. Kap. 5.3.1).

Als nicht unproblematisch kann sich in der Massenkommunikation jedoch erweisen, dass viele ihrer Angebote »für das Publikum an die Stelle der Wirklichkeit treten« (Döhn/Klöckner 1979) und direkte Erfahrung verdrängen. So ist es ein Problem, wenn Rezipienten das für uneingeschränkt wahr halten, was durch die Medien vermittelt wird. Die Massenmedien bzw. die in ihnen arbeitenden Medienschaffenden sind selbst – so wie wir auch – nur Beobachter unserer Umwelt. Nicht zuletzt auf Grund von vielfältigen Auswahlprozessen in der Informationskette vom Ereignis über die Medien bis zum Leser, Hörer oder Zuschauer liefern uns die Massenmedien nicht ein Bild der Wirklichkeit, sondern nur ein konstruiertes – ein mehr oder weniger vollständiges – (Ab-)Bild.

Im Zusammenhang mit Wirkungen bzw. Folgen von Massenkommunikation erscheint es sinnvoll zu unterscheiden zwischen der Macht der Medien und der Wirkung der Medien. Die Macht der Medien besteht darin, soziopolitisch relevante Themen aufzugreifen, sie gewichten und bewerten zu können sowie öffentlich bekannt zu machen – und in diesem Kontext z. B. den Rücktritt eines Politikers auszulösen. Diese Macht ist grundsätzlich nichts Schlechtes, sie resultiert aus den Aufgaben, die Journalisten in demokratischen Systemen haben und die sich der Verantwortung, die aus dieser Aufgabe erwächst, bewusst sein soll(t)en (vgl. Pürer 2002). Die Wirkung der Medien hingegen meint anderes. Sie besteht im Allgemeinen darin, dass durch die Medien veröffentlichte, gewichtete und bewertete und vom Rezipienten aufgenommene Sachverhalte in dessen Wissen, Denken, Meinen, Fühlen oder Handeln etwas bewirken – sei es nun Bestärkung, Verfestigung, Abschwächung oder Veränderung vorhandener Kenntnisse, Einstellungen, Gefühle und Verhaltensweisen (vgl. Kap. 4.4.3 sowie 5.2).

3.2.7 Massenkommunikation als gesamtgesellschaftliches Phänomen

In einem weiten Sinne haben wir Massenkommunikation eingangs betrachtet als politische, ökonomische, soziale und kulturelle Prozesse, die durch das Vorhandensein von Massenmedien ausgelöst werden und die sich in den Massenmedien selbst wieder finden. Häufig wird eine solche Perspektive in systemischen bzw. systemtheoretischen Betrachtungen von Massenkommunikation verfolgt. Beim Denken in Systemen versucht man, die Beschaffenheit einer Wirklichkeit als Ganzes und als Summe von in Beziehung stehenden Teilen des Ganzen zu erfassen. Wenn also von Massenkommunikation als gesamtgesellschaftlicher Erscheinung die Rede ist, so sind damit nicht nur die am Prozess der Massenkommunikation beteiligten Faktoren (Kommunikator, Aussage, Medium, Rezipient) gemeint, sondern auch die Eingebundenheit von Massenkommunikation in das soziopolitische, sozioökonomische und soziokulturelle Gesamtsystem. Insbesondere sind in diesem Kontext die politischen [86]Rahmenbedingungen (vgl. Kap. 5.1.1) sowie die wirtschaftlichen Gegebenheiten (vgl. Kap. 4.3.5.4) zu erwähnen, unter denen sich Massenkommunikation vollzieht. Ebenso gehören dazu aber auch die wechselseitigen Wirkungen der (gesellschaftlichen Teil-)Systeme Politik, Medien und Kultur. Dazu gehören auch die zahlreichen Einflüsse und technischen Möglichkeiten, die das Internet mit seinen vielen Kommunikationsanwendungen hervorbringt und die das gesellschaftliche Leben in vieler Hinsicht beschleunigen.

Es ist nicht möglich, alle diese Aspekte hier im Einzelnen umfassend zu erörtern; dies erfolgt in anderen Abschnitten des vorliegenden Buches. Auch wird hier keine Systemtheorie der Massenkommunikation entwickelt. Vielmehr sollen lediglich einige zentrale Gesichtspunkte kurz angesprochen werden.

Die politischen Rahmenbedingungen sind primär in den rechtlichen Grundlagen zu sehen, auf deren Basis Massenkommunikation ermöglicht wird. Von herausragender Bedeutung in pluralistischen Systemen ist in erster Linie das Grundrecht auf Informations- und Meinungsfreiheit, das in aller Regel in Grundgesetzen oder Verfassungsbestimmungen, in Medien-, Presse- und Rundfunkgesetzen sowie in zahlreichen anderen Rechtsmaterien festgehalten ist (vgl. Kap. 5.1.1.4). Oberstes Ziel ist es, Medienfreiheit optimal zu gewährleisten, ohne gleichwertige Rechtsgüter von Verfassungsrang (wie z. B. den Persönlichkeitsschutz) zu beeinträchtigen. Rechtliche Regelungen zielen v. a. in konzentrierten Medienmärkten auf die Gewährleistung der Meinungsvielfalt durch publizistischen und ökonomischen Medienwettbewerb ab, erweisen sich in globalisierten Märkten aber als zunehmend schwieriger realisierbar. Im Hinblick auf ihre organisatorische Verfasstheit – private Medien, öffentlich-rechtliche Medien – tangieren gesetzliche Regelungen v. a. je unterschiedliche Formen der (inneren) Kontrolle der Massenmedien durch Aufsichtsorgane. Dies sind in privaten Medien Vorstände und Aufsichtsräte, in öffentlich-rechtlichen Medien sog. Medien-, Rundfunk- und Verwaltungsräte oder auch Hörer- und Zuschauervertretungen (vgl. Kap. 4.3.4 sowie 4.3.5.2). Zu den unübersehbaren politischen Rahmenbedingungen im weiteren Sinne zählen aber auch alle beobachtbaren, wie auch immer motivierten Formen der Einflussnahme auf Journalismus und Massenmedien durch Interventionen politischer, wirtschaftlicher und kultureller Lobbys sowie durch vielfältige Formen der Öffentlichkeitsarbeit.

Die wirtschaftlichen Gegebenheiten und ökonomischen Zwänge sind primär in den marktwirtschaftlichen Bedingungen zu sehen, denen auch die klassischen Massenmedien als Kultur- und Wirtschaftsgüter in pluralistischen Demokratien unterliegen. Zu verweisen ist insbesondere auf die beiden Märkte, auf denen sich klassische Medien behaupten müssen, nämlich auf dem Publikums- und auf dem Werbemarkt. Daraus resultieren unterschiedliche Erlösquellen und Finanzierungsformen der Massenmedien (vgl. Kap. 4.3.5.4). Bei den klassischen Printmedien wie Zeitungen und Zeitschriften sind dies – abgesehen von gratis verteilten Printprodukten – in aller Regel primär immer noch Vertriebs- und Anzeigenerlöse, bei den klassischen Funkmedien Radio und Fernsehen sind es Formen der Finanzierung aus Gebühren- und/oder Werbung sowie teils auch Sponsoring. Hinzu kommen, z. B. bei Onlinemedien, auch Möglichkeiten der Finanzierung durch E-Commerce oder auch durch kostenpflichtige Angebote für den Empfang auf mobilen Endgeräten (worin de facto Vertriebserlöse zu sehen sind). Die starke Abhängigkeit von Werbeerlösen macht die Massenmedien generell konjunkturabhängig und führt in einer globalisierten Welt zunehmend zu internationalen Monopol- und Konzernbildungen. Marktzutritte neuer Medien lösen dabei jeweils Wettbewerbsveränderungen in bestehenden Medienmärkten und Verdrängungsängste bestehender Medien aus. Allerdings konnte als Konstante der Kommunikationsgeschichte bislang festgehalten werden, dass »neue« Medien die »alten« Medien in aller Regel nicht verdrängen, sondern (nur) zu Veränderungen in den inhaltlichen Strukturen und gesellschaftlichen Funktionen der »alten« Medien führen, also zu Veränderungen in ihren äußeren Erscheinungsformen und redaktionellen Inhalten sowie [87]in ihren Leistungen für die Nutzer (Riepl’sches Gesetz). Es bleibt vorerst immer noch abzuwarten, ob sich dieses Gesetz angesichts der gravierenden Veränderungen im Mediensystem durch Onlinemedien bewährt (vgl. Peiser 2008).

Was die sozialen und kulturellen Dimensionen von Massenkommunikation betrifft, so handelt es sich um ein sehr unterschiedlich strukturiertes und diskutiertes Feld. Im Allgemeinen ist von komplexen Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft, Medien und Kultur die Rede, und es ist schwer herauszufinden, welcher dieser Bereiche welchen jeweils anderen prägt. Zwei Thesen stehen dabei im Wesentlichen im Widerstreit, nämlich:


1)die These, wonach die Massenmedien die in einer Gesellschaft dominanten Wertvorstellungen und Leitmotive nur widerspiegeln (reflektieren) und nicht etwa prägen (Reflexionsthese); sowie
2)die These, wonach massenmediale Inhalte kulturelle Trends schaffen und prägen und der Wertewandel auf die Medien zurückzuführen ist (Kontrollthese).

De facto ist hier insbesondere die komplexe, nicht eindeutig beantwortbare Frage von Wirkungen bzw. Folgen von Massenkommunikation angesprochen. Wenn dabei zwischen individuellen und sozialen Wirkungen unterschieden wird, ist zu bedenken, dass beide Wirkungsbereiche nicht trennscharf voneinander abgrenzbar sind: So können aus langfristigen individuellen Wirkungen soziale Wirkungen resultieren und können diese umgekehrt auf das Individuum zurückwirken. Mit individuellen Wirkungen sind Wirkungen bzw. Folgen von Massenkommunikation im Bereich der Kenntnisse und des Wissens, der Meinungen, Einstellungen und Wertorientierungen, der Emotionen, Gefühle und Stimmungen, sowie der Handlungen und Verhaltensweisen einer Person gemeint. Unter sozialen Wirkungen versteht man die Fülle der in der Gesellschaft beobachtbaren Erscheinungen und Folgen von Massenkommunikation. Selbst Medienverweigerer können sich ihrer nicht ganz entziehen. Besondere Aufmerksamkeit gilt in diesem Zusammenhang u. a. Fragen der politischen Beeinflussung durch Massenmedien (vgl. Kap. 5.1.2.5) sowie der Problematik gewaltdarstellender Inhalte und ihrer Folgen für Individuum und Gesellschaft (vgl. Kap. 5.3.2). Nicht zuletzt ist aber auch die Frage anzusprechen, welches Abbild der Realität uns die Massenmedien vermitteln. Es kann insofern besonders verzerrt sein, als in zahlreichen Medien eine Tendenz zu Konflikt, Sensationalisierung, Skandalisierung, Emotionalisierung, Dramatisierung und Personalisierung vorfindbar ist.

Besonderen Angriffen und öffentlicher Kritik ist immer wieder das Fernsehen ausgesetzt: Es fördere den Realitätsverlust der Zuschauer, lasse Politik zur Unterhaltung verkommen, vereinfache in unzulässiger Weise Umweltkomplexität, rege zu gewalttätigen Verhaltensweisen an und begünstige den Verfall der Kulturtechnik Lesen (vgl. Postman 1985; Winn 1979; Mander 1979). Solcher Medienkritik wird nicht zu Unrecht der Vorwurf gemacht, von einem unmündigen, den Medien hilflos ausgelieferten Bürger auszugehen (Maletzke 1988; Huter 1988; Frank et al. 1991). Andererseits sind mögliche negative Einflüsse der Massenmedien auf Kinder und Jugendliche sowie auf Rezipienten mit entsprechenden psychischen Dispositionen nicht so ohne Weiteres von der Hand zu weisen. Dies gilt insbesondere für Gewaltdarstellungen im Film und Fernsehen sowie in jüngerer Zeit für gewalthaltige Computerspiele (vgl. Kap. 5.3.2).

[88]3.3 Computervermittelte Kommunikation

Nina Springer, Heinz Pürer und Wolfgang Eichhorn

Elektrisch bzw. elektronisch vermittelte Kommunikation gibt es schon seit langem; man denke z. B. an Telekommunikation mit Hilfe des Telefons. Mit der Entwicklung des Digitalcomputers wurde in den 1940er-Jahren eine neue Technologie der Informationsvermittlung und -verarbeitung eingeführt, die insbesondere in den letzten beiden Jahrzehnten – im Rahmen der Verbreitung des Internets und digitaler mobiler Telefonie – bestehende Technologien ersetzt und neue soziale Kommunikationsformen etabliert hat. Im weitesten Sinne lässt sich von »computervermittelter Kommunikation« immer dann sprechen, wenn ein Computer in irgendeiner Form in Kommunikationsprozesse eingeschaltet ist (vgl. Santoro 1995, S. 11, zit. in Thurlow et al. 2004, S. 14). In der Kommunikationswissenschaft wird i. d. R. eine engere Definition verwendet, weit verbreitet ist diejenige von John December: »Computer-Mediated Communication is a process of human communication via computers, involving people, situated in particular contexts, engaging in processes to shape media for a variety of purposes« (Dezember 1997). Ähnlich die Definition in der Selbstverständniserklärung der Fachgruppe »Computervermittelte Kommunikation« der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK): »Computervermittelte Kommunikation (CvK) umfasst alle Formen der interpersonalen, gruppenbezogenen und öffentlichen Kommunikation, die offline oder online über Computer(netze) und digitale Endgeräte erfolgen« (DGPuK 2004). Dabei ist anzumerken, dass der Begriff »digitale Endgeräte« heute nicht nur den »klassischen« Computer umfasst, sondern auch Smartphones oder »intelligente« TV-Geräte. Von entscheidender Bedeutung ist die durch die Software zur Verfügung gestellte Schnittstelle, die es dem Nutzer ermöglicht, interaktiv zu kommunizieren. Im Internetzeitalter verschmelzen Möglichkeiten elektronisch vermittelter Individual- und Massenkommunikation. Dabei entstehen neue Kommunikationsmodi (etwa E-Mail und Chat) und -umgebungen (wie Foren und Social Network Services oder virtuelle Rollenspiele).

Das Verschmelzen der Endgeräte (wie Telefon, Computer und Fernseher) wird technische Konvergenz genannt. Auf Produzentenseite hat sie Auswirkungen auf:

• Inhalte (durchgängige Digitalisierung von Text, Sprache, (Bewegt-)Bild, Grafik),

• Medien (Verschwimmen der Grenzen z. B. zwischen Presse und Fernsehen),

• journalistische Rollenbilder und Produktionsroutinen (crossmediales Arbeiten),

• Vertriebswege (Verbreitung der Inhalte über das Telefonnetz, Kabel, Satellit und Terrestrik) sowie

• Verwaltungs- und Abrechnungsvorgänge.

Auf Konsumentenseite (Publika) beeinflusst sie Nutzungsmuster (vgl. Heinrich 1999, S. 79f; Quandt/Singer 2009). Bezüglich des Begriffes Konvergenz ist ein klärender Hinweis erforderlich. Ursprünglich wurde damit die Angleichung von Programmen unterschiedlicher institutioneller Rundfunkveranstalter bezeichnet bzw. in einem weitergehenden Sinn die Beobachtung zunehmender Übereinstimmung von Organisations- und Arbeitsformen, von Programmierung und Präsentation sowie von Formen und Genres bei öffentlich-rechtlichen und kommerziellen Sendern (vgl. Meier 1998, S. 31). Historisch betrachtet haben sich die Bereiche Telekommunikation, Computer und Massenmedien zwar weitgehend getrennt voneinander entwickelt. Allerdings verwendeten die klassischen Massenmedien sehr bald die Telekommunikation (z. B. Telegrafie, Telefon, Fax) für die rasche Nachrichtenübermittlung sowie später den Computer für die Informationsverarbeitung (z. B. elektronische Zeitungsherstellung auf digitaler Basis, elektronisches Broadcasting, digitales Speichern sowie digitales Schneiden von Hörfunk- und Fernsehbeiträgen). Durch fortschreitende Digitalisierung war die Konvergenz [89]dieser Bereiche – rückblickend gesehen – also vorprogrammiert und nur noch eine Frage der Zeit (wenn auch nicht immer reibungslos in ihrem Ablauf: Ein gutes aktuelles Beispiel ist der Streit um die Tagesschau-Applikation zwischen Verlegern und der ARD bzw. dem NDR).

Das Ergebnis des Zusammenwachsens bzw. Verschmelzens von Informationstechnologie (Computer), Telekommunikation, Massenmedien und elektronischer Unterhaltungsindustrie durch fortschreitende Digitalisierung der Inhalte auf Produktions-, Distributions- und Verwaltungsebene wird häufig als Multimedia bezeichnet (vgl. Trappel 1999, S. 89; Hartmann 2008, S. 8f). Multimediale Angebote sind in der Lage, Text, Bild, Ton, Video und Grafik mittels Datenkommunikation zu integrieren (vgl. Jakubetz 2011, S. 19f). Eine ideale Distributionsplattform dafür bietet das Internet, da durch den Computer alle Formen traditioneller Medienkommunikation realisiert werden können (vgl. Kap. 3.3.1 und 3.3.2).

Neu an vielen Angeboten computervermittelter (Massen-)Medienkommunikation sind vor allem die Rückkopplungsmöglichkeiten der Rezipienten (Nutzer) beispielsweise via Kommentarfunktion. Feedbacks waren und sind zwar in der klassischen Massenkommunikation etwa in Form von Leserbriefen oder telefonischen Interventionen auch möglich, abgesehen von Telefonanrufen der Zuschauer oder Zuhörer, die live in die Sendungen geschaltet werden, wirken sich diese Rückmeldungen des Publikums aber – wenn überhaupt – erst mit Verzögerungen auf Kommunikationsprodukte oder deren Produktionsprozess aus. Online erhalten die spontanen, öffentlichen und zumeist uneditierten Rückkopplungen der Rezipienten aber eine neue Qualität der zeitlichen Unmittelbarkeit und der direkten Interaktion mit dem Gegenüber (vgl. Schweiger/Quiring 2007, Kap. 3.3.3). Im Internet finden die »People Formerly Known as the Audience« (Rosen 2006) sogar Plattformen und Dienste vor, die es ihnen erlauben, selbst zu Produzenten von Angeboten massenmedialen Charakters zu werden – z. B. durch das Betreiben eines Blogs (vgl. Gillmor 2004) (vgl. Kap. 3.3.4). Weil solche Dienste die Rollenverteilung zwischen Sender (professioneller Kommunikator) und Empfänger (Rezipient) in der klassischen Massenkommunikation aufweichen (können), muss die Tauglichkeit der Begriffe ›Rezipient‹ und ›Kommunikator‹, mit denen die Kommunikationswissenschaft bislang operierte, für die Onlinekommunikation in Frage gestellt werden (vgl. Kap. 3.3.6). Es lässt sich allerdings nicht verheimlichen, dass Potenzial und Gebrauchsweisen auch auseinanderklaffen können: Während einige Nutzer von der Möglichkeit, selbst Content zu produzieren, auch regen Gebrauch machen (für die Nutzung der Kommentarfunktion auf Onlinenachrichtenseiten vgl. z. B. Scheiner 2010; Springer 2011, S. 253; Taddicken/Bund 2010, S. 181), sind die meisten Onlinenutzer (bisher) nur in begrenztem Maße daran interessiert, sich aktiv an der Kommunikation in einer breiten Öffentlichkeit zu beteiligen. Viele beschränken das Kommunizieren auf die Öffentlichkeiten in virtuellen Gemeinschaften (Rheingold 1993), wie sie soziale Netzwerkseiten herzustellen vermögen (vgl. Kap. 3.3.1 und 3.3.5).

3.3.1 Elektronisch mediatisierter Kommunikationsraum

Früher war (technisch) vermittelte Kommunikation – ob Telekommunikation oder Massenkommunikation – »auf recht genau umgrenzte Sinnprovinzen […] und abgegrenzte soziale Welten […] beschränkt« (Krotz 1995, S. 446): Man las die Zeitung, sah etwas Bestimmtes im Fernsehen, telefonierte mit jemandem oder arbeitete am Computer. Heute leben wir in einem allumfassenden elektronisch mediatisierten Kommunikationsraum, der zeitgleiche kommunikative Handlungen mit unterschiedlichen Medien ermöglicht: »Man kann […] zu Hause am PC sitzen, online ein Computerspiel spielen, dabei am Telefon mit einem Bekannten sprechen, der auf seinem Bildschirm beobachtet, wie sich das Spiel im Wettkampf mit anderen Beteiligten entwickelt und dies kommentiert, und gleichzeitig läuft in einem Bildschirmausschnitt noch eine Musiksendung von MTV. Ein solcher User steht [90]also gleichzeitig in einer Vielfalt elektronisch mediatisierter kommunikativer Bezüge, die bisher im Wesentlichen für sich stattfanden. Ihre Gemeinsamkeit ist, dass es sich um elektronisch mediatisierte Kommunikation handelt, mit was oder wem auch immer« (ebd.). Dabei ist man freilich nicht einmal mehr an den heimischen Telefonanschluss gebunden. Mobile Endgeräte wie Smartphones oder Tablet-PCs ermöglichen einen Internetzugang von (fast) jedem beliebigen Ort aus.