Um fünf, bevor es heiß ward, machte der Advokat Belotti, schon im schwarzen Rock, der hinten spitz abstand, seinen Morgenspaziergang. Wie gewöhnlich wollte er, um auf die Straße zu gelangen, durch den Garten des Palazzo Torroni hinabsteigen; hinter einer Säule im Flur kam aber Saverio hervor, der Hausmeister, Kammerdiener und Gärtner, und stellte die Hand an den Mund.
»Herr Advokat!«
»Was gibt es, Saverio?«
Da der Diener flüsternd sprach, tat auch der Advokat es.
»Der Herr Baron ist die Nacht draußen gewesen. Noch immer ist er draußen.«
»Ah! diese Jäger. Die Jagd, mein Freund, ist eine Leidenschaft, die einen Mann ganz hinnimmt. Wenn ich Ihnen von mir selbst sprechen soll …«
»Aber es handelt sich nicht um Jagd, Herr Advokat. Er ist ins Gasthaus ›Zum Mond‹ gegangen und noch nicht wieder herausgekommen.«
Der Advokat öffnete den Mund und erhob den Zeigefinger.
»Schau, schau«, sagte er, – und er begann zu lachen, zuerst ein lautloses Lachen und dann wie ein heiser rasselndes, woraus Husten und Speien ward. Als er zur Ruhe kam, mit aufgerissenen Augen:
»Werden wir einen Skandal haben, Saverio?«
Und er bot dem Diener die Zigarettenbüchse.
»Die Frau Baronin schläft. Ich habe im Schlafzimmer des Herrn alles umhergeworfen, als sei er früh aufgebrochen, und ich habe die Nacht bei der Haustür verbracht.«
»Wenn Sie nicht wären, Saverio! Möchte er’s nicht zu weit treiben und heimkehren, bevor alle auf der Straße sind. Ich gehe, damit uns niemand beisammen sieht. Jetzt ist tiefes Schweigen geboten, Saverio.«
Rückwärts machte der Advokat sich aus dem Hause. Den Morgenspaziergang hatte er vergessen; der Schauplatz des Außerordentlichen verlangte seine Gegenwart. Hinter ihm, im Corso, war ein eiliger Schritt: Don Taddeo. Der Advokat grüßte herzhaft.
»Ein schöner Morgen, wie, Reverendo?«
Der Priester sah ihn an mit ganz roten Augen, zog die Soutane enger um seinen mageren Körper, als fürchtete er eine Berührung, und – klapp, klapp – war er um die Ecke. Der Advokat starrte hinterher.
»Kaum, dass er an die Kappe gegriffen hat. Weiß er –? Und er steckt mit der Baronin zusammen. Wir werden einen Skandal haben.«
Ungewöhnlich belebt, schwänzelte er den noch stillen Corso hin und drückte sich, dem letzten Domfenster gegenüber, plötzlich um die Ecke, wo es abwärts zum Gasthaus ging. Nun lag es da, noch halb schlafend, beim Rinnen des Brunnens, an seinem kleinen strohbesäten Platz, mit den Ställen links, der Weinlaube drüben, – und im zweiten Stock stand ein Fenster offen. »Sieh da«, sagte sich der Advokat, »sie lieben die frische Luft. Aber jetzt wäre es Zeit, zu erwachen.« Er bückte sich nach einem Steinchen und warf es, heftig keuchend, ins Fenster. »Sie scheinen recht sehr ermüdet und werden auch wissen, wovon.« Wie er das zweite Steinchen auflas, erschien unter dem Haustor neben dem Wirt Malandrini der Baron Torroni selbst. Er war wie immer im braunkarierten Jagdanzug, mit der Flinte über der Schulter, und stürzte sich schon ein großes Glas Wein in den Schlund.
»Ah!« rief der Advokat sogleich. »Herr Baron, was für eine schöne und gesunde Beschäftigung ist die Ihre! Wäre ich nicht an meine Studierstube gefesselt –. Und wohin geht es an diesem glänzenden Morgen? Aufs Feld, nach Lerchen? Wohl gar ins Gebirge gegen den Eber?«
»Ich bin gekommen«, erklärte der andere, »um den jungen Mann abzuholen, der hier wohnt: diesen Sänger …«
»– den Herrn Gennari«, ergänzte der Wirt. »Ich werde Sorge tragen, dass er den Herrn Baron nicht warten lässt. Bemühen Sie sich nicht!«
»Er hat mir versprochen, sogleich fertig zu sein. Inzwischen gehe ich voran.«
Er drückte dem Advokaten die weiche Hand und verschwand rasch.
Der Wirt räusperte sich vorsichtig.
»Sehen Sie das offene Fenster?«
Der Advokat zwinkerte.
»Er ist gar nicht zu Hause gewesen«, sagte der Wirt. »Er ist überhaupt nicht heimgekommen.«
»Ah! dann ist es also nicht dieses Zimmer?«
Malandrini zwinkerte.
»Das ist das andere, daneben. Das Fräulein schläft jetzt weiter.«
»Es scheint, sie hat es nötig. Ah! dieser Baron.«
»Ein richtiger Edelmann«, bemerkte der Wirt.
Sie sahen sich an, leise funkelnd.
»Und der andere?« begann der Advokat wieder. »Der Komödiant? Auch er ist draußen? Da gibt es vielleicht etwas noch Stärkeres? Mein Freund, mir beginnt zu ahnen, dass wir Dinge erleben werden in der Stadt …«
Der Wirt seufzte. Dann aber, mit Händereiben:
»Das Gute ist dabei, dass wir ein wenig Bewegung herbekommen … Entschuldigen Sie mich, ich decke lieber gleich selbst in der Laube die Tische. Meine Frau wird erst spät herunterkommen. Sie schläft noch, denn ihr ist etwas Außerordentliches zugestoßen. Wie ich die Augen öffne und sie vergeblich an meiner Seite suche, tritt sie ins Zimmer, sieht verwacht aus und erklärt mir, dass die Seele ihres Vaters sie hinausgerufen habe. Die Seele habe verlangt, dass ich nicht geweckt werde. So viel Rücksicht!«
»Das ist der Aberglaube der Frauen«, sagte zornig der Advokat. »Wie lange noch werden wir ihre Erziehung den Nonnen überlassen! Sie glauben doch nicht an diese alberne Geschichte, Malandrini?«
»Wie werde ich. In den Frauen geht manches vor, was wir nicht kennen. Man muss Geduld haben.«
»Aber sagen Sie doch, dieses Mädchen! Gleich die erste Nacht! Hätten Sie das etwa geglaubt, Malandrini?«
»Warum nicht?« – und der Wirt fuhr auf. »Ist das Gasthaus ›Zum Mond‹ denn ein Kloster? Und übrigens, was weiß man. Nur was Sie erzählen, Advokat.«
»Oh!«
Der Advokat legte die Hand aufs Herz.
»Dieser Priester scheint gewusst zu haben«, sagte er noch und drehte nachdenklich von dannen, »warum er die Komödianten nicht zu seinen Schäfchen hineinlassen wollte. Man muss zugeben, dass seinesgleichen sich auf Menschen versteht.«
»Wollen Sie auf die Straße?« rief Malandrini ihm nach. »Dann benutzen Sie doch die Gartenpforte!«
»Sie haben recht« – und der Advokat kehrte um. »Man muss bei seinen ruhigen Gewohnheiten bleiben. Seit siebenundzwanzig Jahren habe ich meinen Morgengang nicht sechsmal versäumt, und ich hoffe ihn noch weitere siebenundzwanzig Jahre zu machen.«
Hinter dem Hause ging er den Weinhügel hinab, erreichte drunten die Straße – noch übergitterten die Schatten der Platanen sie dicht – und nahm den Hut ab, um sich zu trocknen. »Ah, hier atmet man. Solche Luft haben sie nicht in den großen Städten, unsere braven Künstler … Der Baron weiß diese Weiber zu nehmen, wie es scheint. Man sagt, dass er als Offizier –. In Rondone soll er ein Kind haben … Aber schließlich, was ist dabei? Alles wohlbedacht, könnte es sein, dass auch ich –. Der Junge der Andreina, mag sie es mit der Treue auch niemals genau genommen haben, der Junge wird mir jedes Jahr ähnlicher … soweit ein Bauer mir ähneln kann. Damals warf ich die Andreina einfach in das Korn. Mit der Komödiantin muss man es ebenso machen.«
Er hielt an, sah angstvoll umher, wie nach einem passenden Platz, und trocknete sich nochmals. Unter der Straße stiegen die Ölbäume, schwachsilbern, die Erdstufen hinab und setzten über den Fluss, der um ihre dunkeln Wurzeln glänzende Schleifen wand. Die letzten dahinten und die weißen Gehöfte zwischen ihnen schienen vom Meer bespült: so tief blaute schon die heiße Ebene. Über ihm blickte dem Advokaten die Stadt nach, aus blinkenden Scheiben, Mauern, die zwischen zwei Zypressen ein wenig klafften, und ganz schwarzen Torbogen. »Wo dieser Tenor steckt! Denn sagen wir nur die Wahrheit: in einem Winkel der Stadt wird er wohl die Nacht verbracht haben. Zu denken, dass er bei der Frau eines meiner Freunde ist, – der einen sehr guten Schlaf haben muss. Sollte es nicht der Polli sein, mit seinem Schnarchen? Vergangenen Herbst hat er sogar beim Erdbeben weitergeschnarcht! Vielleicht lässt sichs ihm ansehen. Das müsste man einem Manne doch ansehen! Eh, eh, es hat sein Gutes, als Junggeselle zu leben. In jedem der Häuser dort oben kann jetzt der Komödiant seine Dinge treiben: nur in meinem treibt er sie sicher nicht … Und beim Camuzzi? Wie steht es beim Camuzzi?« Das aufgeblühte Gesicht des Advokaten fiel ein, da er an seinen Feind, den Gemeindesekretär, dachte.
»Er verdient es wie kein zweiter, dieser Ignorant, dieser Unverschämte! Ah! setze noch einmal dein höhnisches Lächeln auf, Freund, – und aus deiner Stirne sieht man es indessen keimen!«
Der Advokat tat einen tiefen, glücklichen Atemzug.
»Das ist wirklich ein sehr schöner Morgen.«
»Aber leider«, bemerkte er dann, »scheint diese kleine Frau Camuzzi zufrieden. Dem Severino Salvatori, der sie in seinem Korbwagen umherfahren wollte, hat sie geantwortet: nicht einmal über den Platz bis vor die Domtür! Und doch sollte ihre Mutter dabeisein. Aber die Camuzzi ist bescheiden und stolz, sieht niemand an, geht immer nur zur Kirche. Nicht viel, und sie gehört zu der Garde des Don Taddeo … Nein«, musste der Advokat erkennen, »von ihr lässt sich nur wenig hoffen.«
Er richtete sich sogleich wieder auf.
»Aber auch andere wären nicht zu verachten, und ich meinesteils hätte nichts dagegen, wenn die Frau des Doktors –. Ah! die da ist eine Lasterhafte: das fühlt man. Denn erstens ist sie zu dick, um tugendhaft zu sein. Und hat sichs erst gezeigt, dass sie dem Komödianten Gefälligkeiten erweist: – denn was ist der Komödiant, und sind andere etwa weniger gut? Wenn ich’s recht bedenke, hatte ich in betreff ihrer schon längst meine Vorsätze gefasst. Ihr Gatte soll sehen, dass der Zucker, den er bei mir feststellen wollte, so etwas nicht verhindert. Zucker, wenn noch so wenig, bei einem Mann wie mir! Und ich soll etwas dagegen tun! Der Doktor wird sehen, was ich tue! Ah! Ah!«
Er rieb die Hände, schwenkte sich herum und lachte keuchend nach der Stadt hinauf. Dann fiel er in Nachdenken: sie sah ganz anders aus. Noch gestern hätte man manches nicht für möglich gehalten. Natürlich gab es in ihr die Dinge, die es überall gibt. Abgesehen von dem Hause in der Via Tripoli: auch die Wäscherinnen auf dem Bäckerberg kannte jeder; und der Advokat war persönlich besonders gut unterrichtet über die Witwe eines städtischen Zollbeamten, die vorgeblich Hüte aufputzte. Ferner bestanden die Gerüchte bezüglich der Mama Paradisi und des alten Mancafede; neuerdings und halblaut auch die über Frau Malandrini und den Baron Torroni, – die der Advokat seit heute früh für unwahrscheinlich hielt. Jetzt aber handelte es sich nicht mehr um die oder jene. Kaum eine blieb, nun der Komödiant umging, noch unerreichbar; und das Prickelndste wäre vielleicht dennoch gewesen, wenn im selben Augenblick, wo der Baron Torroni seine Frau mit jenem Mädchen hinterging, die Baronin es ihm mit dem Tenor vergolten hätte! Der Advokat ward erfinderisch, sein Geist schweifte aus und verwandelte die Stadt in sein freies Jagdgebiet. Dem Komödianten folgte er selbst auf dem Fuße, in jedes Schlafzimmer. Vor dem der Baronin hatte er eine alte Scheu zu überwinden; aber dann hüpfte er, mit einem Schnippchen, auch über diese Schwelle.
*
Von seiner Fantasie verjüngt, war er dahingeeilt, ohne zu merken, wie seine Arme ruderten und wie es unter seiner Perücke hervortroff. Auf einmal, schon hinter dem öffentlichen Waschhause und auf halbem Weg nach Villascura, sah er sich dem Komödianten gegenüber: ihm selbst. Jener grüßte und wollte langsam vorbei; aber der Advokat fuhr auf, nach Luft schnappend.
»Das ist doch … da sind Sie: also, da sind Sie.«
»Da bin ich, zu Ihrer Verfügung«, bestätigte der Tenor.
»Das heißt« – und das lederfarbene Gesicht des Advokaten ging in ein zynisches Lächeln auseinander, »wer weiß, zu wessen Verfügung Sie hier sind.«
»Was wollen Sie sagen?« fragte der junge Mann. Unvermittelt ward er drohend aussehend.
»Nichts, o nichts. Sie gehen spazieren, wie ich bemerke, Herr Gennari. Sie sind früh auf. Ich habe, müssen Sie wissen, die kleine Eitelkeit, jeden Morgen der erste draußen zu sein: aber was tut es einem Manne Ihres Alters, auch einmal um fünf das Bett zu verlassen, wo er eine glänzende Nacht verbracht hat.«
»Meine Nacht«, sagte der Tenor mit feindseliger Zurückhaltung, »war sehr wenig glänzend. Gestern Abend empfand ich ein Bedürfnis spazierenzugehen und wich dabei von der Straße ab. Dann bedeckte sich, wie Sie wissen, der Himmel, ich fand nicht mehr zurück und habe irgendwo dort unten in den Weinfeldern mich schlafen gelegt. Sie sehen die Erde an meinen Kleidern.«
Der Advokat wandte ihn um und musterte alles.
»Das ist erstaunlich.«
Darauf machte er eine gleichgültige Miene.
»Sie haben also ausgeruht. Dann schlage ich Ihnen vor, mich zu begleiten. Ich zeige Ihnen unsere Gegend, mein Herr. An Villascura werden Sie vorbeigekommen sein, wie?«
»Ich weiß nicht, mein Herr, was Sie meinen. Ich sagte Ihnen schon, ich war dort unten.«
Der Advokat sah ihn vorwurfsvoll an, zog schweigend einen Taschenspiegel heraus und hob ihn vor das Gesicht des anderen.
»Was soll das?« fragte der Tenor, aber er sah hinein, – und er fand seine Augen darin noch finsterer, als er sie gewollt hätte, denn sie waren umrändert und das Gesicht sehr blass. Aus seiner körnigen Marmorblässe war die Wärme gewichen, und die schwarze Haarwelle über der Stirn, die Barren der Brauen, der dickrote Mund sprangen gewaltsam hervor aus dem grellen Weiß.
»Ich sage nicht«, erklärte der Advokat, »dass es Ihnen schlecht stehe, übernächtig auszusehen. Der Schönheit von euch Jungen schlagen die Strapazen eurer Nächte gut an. Wehe uns reifen Männern! Aber was ich andeuten wollte: ein ruhiger Schlaf auf der weichen Erde des Weinackers, in lauer Nachtluft, hätte Sie schwerlich so zugerichtet.«
Er streckte, bevor der andere aufbrausen konnte, beide Handflächen hin.
»Mein Herr, Sie halten mich offenbar für Ihren Feind. Ich bin nicht Ihr Feind, mein Herr. Im Gegenteil, ich billige durchaus, dass die jungen Leute, noch dazu wenn sie Künstler sind, sich unterhalten. Was tut es übrigens mir, der ich Junggeselle bin. Meine verheirateten Freunde freilich werden in ihrer Anerkennung nicht so weit gehen« – und der Advokat wagte wieder ein Lächeln.
»Also ich bin Ihr Freund, mein Herr, und wenn Sie mir – als Gentleman werden Sie es natürlich nicht tun – verraten würden, in welchem Hause unserer Stadt Sie diese Nacht verbracht haben: Sie könnten sich verlassen auf den Advokaten Belotti.«
Die Miene des Tenors rüstete plötzlich ab, er sah friedlich, sogar unbeteiligt aus.
»Ach so«, machte er. »In der Stadt, glauben Sie –. Warum auch nicht?«
Und er begann zu lachen, mit leichter, heller Glockenstimme. Der Advokat rieb sich die Hände.
»Sehen Sie wohl? Wir fangen an, uns zu verstehen. Wie sollten übrigens zwei Männer wie wir sich nicht verstehen, wenn es sich um die Frauen handelt.«
»Sie haben recht!« und der Tenor lachte stärker. Der Advokat stieß ihm seinen Zeigefinger vor den Magen.
»Ah! Spaßvogel! Unsere Stadt gefällt Ihnen wohl? Sie ist klein, aber das hindert uns keineswegs an eleganten und heiteren Sitten. Unsere Frauen: nun, wir sind unter uns jungen Leuten, nicht wahr?«
»Freilich! Sprechen Sie!«
»Wenn ich dürfte! Nur das eine: die, bei der Sie diese Nacht waren, bin ich sicher, auch meinerseits zu kennen.«
»Ich bin davon überzeugt!« rief der Tenor und lachte beinahe verzweifelt.
Der Advokat war ganz in Feuer, er schlug die Luft mit beiden Handrücken.
»Sie würden staunen, wollte ich Ihnen die volle Wahrheit sagen über mich und über die jüngeren Kinder unserer besten Familien.«
Er war stehengeblieben und zeigte dem jungen Manne seine aufgerissenen Augen, die nicht zuckten.
»Sie sind bewundernswert«, versetzte der Tenor mit Nachdruck, und sie gingen weiter. Als der Advokat verschnauft hatte:
»Dass ich nicht vergesse, in Villascura Eier zu kaufen.«
»Was haben Sie mit Ihrer Villascura?«
»Oh! Sie werden schon wieder so düster, wie der Name der Villa. Er gefällt Ihnen nicht? Ich bringe von dort, um den Stadtzoll zu sparen, meiner Schwester zwei Dutzend Eier mit. Es ist eine Gewohnheit.«
»Aber diese Villascura ist nirgends zu sehen. Wie lange sollen wir denn gehen?«
»Warten Sie, bis die Straße sich um den Berg wendet! – und betrachten Sie inzwischen diese schönen Maispflanzungen, die Ölhaine bis weit ins Tal hinein: sie gehören zu der Villa, die Sie nicht leiden mögen, mein Herr. Der Herr Nardini ist unser größter Ölproduzent: dreihundert Hektoliter jährlich. Obwohl er mein politischer Gegner ist, werde ich niemals leugnen, dass er seine Geschäfte versteht und dadurch der Gegend nützt. Was seine Gesinnungen betrifft, so sind sie beklagenswert. Dieser verstockte Alte gibt sich als Stütze der hiesigen Priesterpartei her. Dabei hätte er, fünf Jahre sinds, Minister werden können! Die Bedingung war einzig, dass er seine Enkelin mit dem Neffen des ehrenwerten Macelli verheiratete, eines großen Tieres aus der Deputiertenkammer, – und daran scheiterte der Plan, denn der alte Nardini ist darauf versessen, die Alba ins Kloster zu sperren. Warum erschrecken Sie denn?«
»Ich erschrecke nicht. Ein Stein hat mir weh getan; diese Schuhe taugen nicht für das Land.«
»Aber unsere Straßen sind gut! Es sind Distriktstraßen, – und nicht länger als sieben Jahre ist es her, dass die Regierung zu ihrer Erneuerung fast hunderttausend Lire ausgegeben hat.«
Der Advokat ließ mit der großen Zahl seinen Mund losgehen wie eine Kanone.
»Dazu kommt, dass die Vizinalwege, auf meinen Antrag und gegen den Rat des Gemeindesekretärs, zu gleichen Teilen von der Stadtgemeinde und der Frau Fürstin Cipolla …«
»Gibt es denn ein Frauenkloster hier?« fragte der Tenor.
»Warum? Die Frau Fürstin, deren Besitzungen in dieser Gegend ich zu verwalten die Ehre habe, lebt in der großen Welt, in Rom, mein Herr, in Paris … Aber natürlich, auch ein Frauenkloster haben wir, obwohl wir besser etwas anderes dafür hätten; und ich werde es Ihnen zeigen. Sie denken wohl Ihre Künste an jenen heiligen Unterröcken zu erproben? Ah! er schreckt vor nichts zurück. Aber das eine dürfen Sie immerhin verraten: die Dame der vergangenen Nacht wird dick gewesen sein, wie?«
»Wer weiß.«
»Denn ich verstehe mich darauf: Sie sind ganz der Typus der Dicken, – die übrigens am wenigsten Widerstand leisten, wie allgemein bekannt. Aber hier stehen wir vor der Villa, die Ihnen unauffindbar schien. Und da Sie sich in der Gesellschaft des Advokaten Belotti aufhalten, ist es Ihnen erlaubt, mein Herr, die Pforte zurückzustoßen und zwischen diesen langen Hecken den Duft der Rosen zu atmen.«
Der Advokat fasste Fuß und atmete geräuschvoll.
»Scheint es nicht ein Traum? Am Ende dieses Ganges von Rosen und Zypressen das stille Haus, mit seinen zwei weit vorgreifenden Flügeln und dem verschwiegenen Trakt in ihrer Mitte, tief dahinten in grünlicher Dämmerung, unter der Bergwand! Wenden Sie nicht ein, solche Lage nach Norden sei ungesund: ich weiß es zu gut; – aber wie poetisch ist dieser Schatten, feucht duftend, durchrauscht vom Wasserfall, über dem Sie dort oben unser neues Elektrizitätswerk erblicken, und erfüllt mit Blumen. Ah! mein Herr: Blumen, Musik und Frauen!«
Plötzlich begann er durch die Hände zu keuchen:
»He, Niccolo! Die Eier!«
Indes der Bursche näher kam, wickelte der Advokat hinter sich ein langes Netz hervor.
»Dass du mir frische gibst, Niccolo! Dass du richtig zählst: zwei Dutzend!«
Er rief hinterher:
»Die Frau Artemisia denkt noch immer an jenes fertige Kücken, das in einem deiner Eier auf den Tisch kam.«
Dann fasste er den Tenor unter den Arm.
»Kommen Sie doch, mein Freund! Warum so schüchtern? In meiner Begleitung sind Sie hier zu Hause.«
Nello Gennari strengte sich an, sein Zittern zu unterdrücken. Er erschrak vor den Farben der Rosen, die in der Nacht, als er hier gekniet hatte, erloschen gewesen waren. Das Haus war, dort innen zwischen seinen beiden Flügeln, so schwarz gewesen wie die Luft, und in jenem Winkel hatte, starr und weich, das fast erstickte Licht gezögert, zu dem er gebetet hatte.
Der Advokat führte ihn, seitwärts vom Hause, gegen die weiße Balustrade hinauf. Die Büsche an der Treppe spritzten Tropfen, da Nello sie streifte, und droben ließ der Geruch uralter, nie besonnter Zypressen ihn erschauern, wie vor dem Grabe. Die schweren Bäume erstiegen, eine Schar düsterer Pilger, in Paaren den Berg, und aufgehalten durch Klüfte, zerstreuten sie sich, um, seltener und schwächer, die Kuppe zu erreichen. Ein fast fensterloses Gemäuer starrte vom Rande des Felsens, dessen graue Ausbuchtung es verlängerte, senkrecht auf die Villa herab: wachend und drohend.
»Das Kloster«, erklärte der Advokat. »Die hier können es aus ihren Fenstern sehen und sich mit den heiligen Unterröcken guten Tag sagen. Sie tun es auch, sie gehören zur Familie, – und jede Frau dieses Hauses zieht schließlich in jenes hinauf.«
Er führte den jungen Mann eine Strecke fort und raunte:
»Schon die Frau des Alten ist dort oben gestorben. Oh, das sind Geschichten, die niemand mehr verbürgen kann. Sie soll ihm entflohen sein, mit einem Offizier; und als sie, krank und reuig, zurückkam, hat er sie da oben einquartiert. Auch seine Tochter ist, als ihr Mann tot war, hinaufgestiegen und hat droben schnell geendet. Warum sterben hier alle, sind traurig und halten es mit den Priestern? Es wird am Schatten liegen; denn kaum, dass den Rand des Gartens zur Mittagsstunde ein wenig Sonne berührt; – und man mag sagen, was man will, das Leben im ewigen Schatten verdirbt das Blut und verschlechtert den Charakter. Wollen Sie ein Beispiel? Gehen Sie nach Spello hinunter: es liegt in der Sonne. Alle Männer haben dort Tenorstimmen, alle Frauen sind dick und schön. Gegenüber, am Nordabhang, ist Lacise. Nun wohl, mein Herr: die Frauen von Lacise sind gelb und schmutzig und die Männer allesamt Räuber.«
»Jawohl, jawohl. Aber Sie sagten, dass aus diesem Hause jede Frau dort oben …«
»Jede kommt ins Kloster« – und der Advokat schob mit gespreizter Hand alle Hoffnung fort.
»Aber, heutzutage …«
Nello musste hinunterschlucken.
»– ist man aufgeklärt, nicht wahr?«
Da der Advokat nur die Luft ausstieß –
»Auch wird ein alter, alleingebliebener Mann sich nicht früher als nötig von seiner Tochter trennen.«
»Nötig? Sie wissen also nicht, was solch ein Fanatiker nötiger hat: die Liebe einer Tochter oder den Segen der Pfaffen? Oh! mein Herr, es ist nur allzu gewiss, dass unserer Gegend ein großer Schade bevorsteht und eine unserer reichsten Erbinnen in sträflicherweise der Welt, der bürgerlichen Gesellschaft, dem Familienleben und dem gemeinen Nutzen entzogen werden wird!«
Die Miene des Fremden hatte auf einmal etwas Dunkles und Höhnisches.
»Gewiss wartete schon mancher auf sie? Und in der Stadt werden Sie einen Zirkel haben, wo Alba als junge Frau getanzt und Gedichte hergesagt hätte? Und den Armen hätte sie Suppe gekocht? Hätte auch Liebhaber gehabt? Vielleicht Sie selbst, Herr Advokat?«
»Eh! weiß man das jemals?« keuchte Belotti und riss Schultern und Arme zurück. Der junge Mann wendete sich umher. Aber auflachend:
»Auch die Klöster wollen leben; und dort oben wird sie wenigstens allein und frei sein!«
Ah! tausendmal lieber wollte er sie dort oben verschwunden, begraben wissen, als lebend unter Gemeinen, auf gemeinen Plätzen, in gemeinen Armen!
»Sie wird rein sein«, dachte er, indes der Advokat ihn enttäuscht betrachtete, und wunder und bebender: »Nie werde ich sie wiedersehen. Aber auch kein anderer wird sie sehen.«
Da sprang er zurück und griff nach dem Geländer.
»Was ist geschehen?« fragte der Advokat erschreckt. Der Tenor hielt die Hand aufs Herz gedrückt und antwortete nicht. Der Advokat folgte seinem verstörten Blick, der in die offene Terrassentür ging.
»He! Niccolo! Da sind wir«, rief er, und der Bursche kam hervor mit dem gefüllten Netz.
»Ah, Sie sind schreckhaft, junger Mann« – und Belotti klopfte Nello auf die Schulter. »Sie haben Nerven: wie alle Künstler. Man weiß auch, wovon.«
Er zwinkerte und klopfte. Nello entriss ihm die Schulter. Er beugte sich über die Balustrade und schloss die Augen. Sie hätte es sein können! Was sollte geschehen, wenn er sie wiedersah! Schon diese Nacht, verlebt in ihrem Bereich, unter Dingen, die ihre waren, hatte ihn entzückt und erschöpft.
Er stieg, unbeachtet von den beiden, die über den Preis der Eier stritten, in den Garten hinab. War nicht dies die Bank, auf der er geruht hatte und wo gewiss auch sie sich niedersetzte? Im Dunkeln hatte er auf dem Wege nach einer Spur ihres Fußes getastet, hatte seine Hand darin gekühlt und seine Lippen darauf gedrückt. Wo war nun die Spur?
»Habe ich sie mir denn vorgetäuscht? Ach, ich schmeichelte mir auch, der Nachtwind bringe mir den Duft ihres Zimmers: ihren Duft; und bloß das Beet hier war es, das ich roch. Ich bin ein Narr, bin lächerlich. Habe ich nicht auf diesen Brunnenstufen zu sterben gedacht – und von ihr gefunden zu werden, wenn sie am Morgen die Frische des Quells aufsuchte? Jetzt ist es schon heiß, mich dürstet, und ich fühle mich, noch unter ihren Fenstern, so fern von ihr und allein.«
Er sah in der Schale, woraus er trank, seine schmerzerfüllten Augen, hörte auf den begrünten Quadern, die Zypressenreihe entlang, seinen dumpfen Schritten zu und fand die kleine Pforte wieder, die er schon bei tiefer Nacht in den Angeln gehoben hatte, damit sie nicht knarrte. Auf der Landstraße ging er rasch davon; und im Gehen breitete er die Arme aus, und nun wieder, und schüttelte dazu den Kopf.
*
Als der Advokat Belotti ihn einholte, sah Nello verwirrt umher: wo war er doch?
»Mein armer junger Freund, Sie müssen taub geworden sein; ich schreie und schreie: Sie laufen immer rascher …«
Da der Tenor sich nicht entschuldigte, tat Belotti es. Er habe warten lassen; aber wenn man wüsste, wie genau seine Schwester es mit den Eiern nehme; – und er wog das Netz in der Hand.
»Die schlechten muss ich bezahlen. Ah, die Frauen! Aber beachten Sie das städtische Waschhaus! Ich bin es, der seine Errichtung beantragte und, wieder einmal dem Ignoranten Camuzzi zum Trotz, durchgesetzt hat. Es hat mir Genugtuung bereitet, zum Wohl der Frauen arbeiten zu können, und sie sind mir erkenntlich dafür, sie verbreiten meinen Ruf als Volksfreund. Guten Tag, Fania, guten Tag, Nanà!«
Der Barbier Nonoggi kam ihnen entgegen. Er ging wippend und ganz auf die linke Seite gelegt. Rechts trug er seine abgeschabte Ledertasche und schwenkte sie bei jedem Schritt, indes der linke Arm steif blieb. Bis auf den Boden zog er schon von weitem den Hut, grimassierte und krähte dazu:
»Guten Morgen den Herren! Welch glänzender Tag. An solchem Tage stirbt man nicht!«
»Wir denken nicht daran, Nonoggi«, erwiderte der Advokat. »Ihr geht wohl zum Nardini? Grüßt ihn von mir: ich sei heute bereits in Geschäften bei ihm gewesen.«
»Sie sehen schlecht rasiert aus«, sagte der Barbier zu Nello Gennari. »Das missfällt den Frauen, mein Herr. Wenn Sie sich mit dem Sitz auf jenem Stein begnügen wollen – er ist im Schatten – bediene ich Sie sogleich … Sie wollen nicht? Sie haben unrecht. Wir sehen uns also ein andermal. Euer Diener, ihr Herren!«
Der Advokat rief ihn zurück. Er wartete, bis der Barbier nahe herangekommen war, sah sich um und sagte halblaut:
»Nonoggi, habt Ihr den Baron gesehen? … Ich auch schon. Nonoggi, es ist etwas vorgefallen zwischen ihm und jener Fremden im ›Mond‹, der Komödiantin …«