Buch lesen: «Wenn Vampire Tango tanzen», Seite 5

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Kapitel 6: Das perfekte Kleid

„Albträume in Tüll!“, platzte es aus Hanna raus, als sie mit Helena das Brautmodengeschäft betrat. Überall, dicht an dicht, hingen weiße und cremefarbene Kleider in verschiedenen Schnitten. In Vitrinen lagen verschiedene Accessoires: Haarschmuck, Strumpfbänder, Anstecknadeln, Handschuhe und so weiter.

„Ich sehe aber kaum Tüll“, bemerkte Helena und sah sich um.

„Du weißt schon, wie ich es meine.“ Hanna fühlte sich unwohl in dem Geschäft. „Es ist einfach so ….“ Sie machte eine explodierende Armbewegung und blies dabei ihre Wangen auf.

Helena lachte und umarmte ihre Freundin kurz. „Das schaffst du schon. Ich habe im Internet ein paar Läden ausgesondert. Von zehn Geschäften blieben drei übrig. Das hier ist das Beste.“

Hanna blickte auf ein Preisschild und erbleichte. „Und das teuerste!“

„Kann ich den Damen helfen?“

Eine Frau Mitte vierzig gesellte sich zu den beiden. Sie war groß und schlank, fast so schlank wie Helena.

>Unfair! Warum sehen viele Verkäuferinnen für Bekleidung wie Models aus?< Hanna fühlte sich immer unwohler.

Helena hatte Hannas Gedanken empfangen und ihre Freundin tat ihr Leid. Aber sie schüttelte die Bedenken ab und lächelte die Frau offen an. Dabei zeigte sie ihre perlweißen und ebenmäßigen Zähne.

„Ich werde in etwa neun Wochen heiraten und suche ein Brautkleid. Und meine Freundin braucht ein dazu passendes Kleid als Trauzeugin.“

Die Verkäuferin musterte Helena und ein anerkennendes Leuchten überzog ihr Gesicht. Dann wandte sie sich an Hanna und der Ausdruck wurde eher grübelnd. „Neun Wochen? Normalerweise geht eine Brautkleidanprobe etwa ein halbes Jahr vorher los. Wenigstens vier Monate. Aber mal sehen, was sich machen lässt.“

Die Verkäuferin machte eine einladende Handbewegung und führte die beiden Kundinnen in eine Abteilung, wo die Kleider cremefarben und nicht reinweiß waren.

„Ich würde aufgrund Ihres hervorragenden Teints kein weißes Hochzeitskleid empfehlen, Frau ….“ Die Verkäuferin sah Helena fragend an.

„Kapodistrias. Aber sagen Sie ruhig Helena.“

Die Verkäuferin nickte und lächelte höflich. „Haben sie eine bestimmte Vorstellung, was den Stoff oder den Schnitt betrifft?“

„Nichts Glänzendes. Keine Puffärmel, Rüschen oder Pailletten. Weniger ist mehr.“

Die Verkäuferin strahlte über das ganze Gesicht. „Sie wissen sehr genau, was Ihnen steht, Helena. Und ich glaube, ich habe einige Modelle, die zu Ihnen passen.“ Sie drehte sich zu der Kleiderstange und nahm zielsicher ein Kleid heraus. Dann wühlte sie ein wenig hier und ein wenig da und zauberte noch drei Kleider hervor. Dann stockte sie, drehte sich um und sah in Helenas Augen. „Haben Sie etwas gegen ein paar Farbtupfer?“

„Farbtupfer? Inwiefern?“

„Ich habe gestern eine Lieferung bekommen, und da ist ein ungewöhnliches Kleid dabei. Probieren Sie doch hiervon schon eins an. Vanessa!“

Eine andere Verkäuferin, höchstens Mitte zwanzig, kam herbei geeilt.

„Hilf´ der Dame beim Umziehen.“

Helena drückte Hanna ihre Handtasche in die Arme und trottete der jungen Verkäuferin brav hinterher. Die ältere Dame sah Hanna an. „Sie können sich gern hierher setzen. Wasser und Kaffee steht Ihnen zur Verfügung. Wenn ich mit Ihrer Freundin fertig bin, finden wir auch etwas für sie, Frau …?“

„Martens. Danke.“ Hanna fühlte sich verunsichert.

>Für mich etwas finden! Klingt ja beinahe so, als ob sie auf Ostereiersuche gehen müsste. Vielen Dank auch.<

Hanna setzte sich auf einen der beiden Sessel, die links und rechts neben einem kleinen Tisch mit Getränken standen. Sie sah sich in dem Geschäft um und biss sich auf die Unterlippe. Das Geschäft war wirklich groß, die Auswahl war enorm. Weiß und cremefarben herrschten vor, es gab aber auch dunkelrote, kräftig blaue und bunte Hochzeitskleider.

>Wer zieht denn bitte schön so etwas an! Bäh!<

Ein Bereich des Geschäftes hatte durchweg Kleider und Kostüme in bunter Farbenvielfalt. Mal kräftig, mal Pastell.

„Wie findest du das?“ Helena war neben Hanna aufgetaucht und Hanna zuckte zusammen.

„Du hast mich erschreckt! Mann, läufst du leise.“

Helena verzog ihr Gesicht. „Entschuldige. Und? Was sagst du?“

Das Kleid war aus Taft, hatte zwei schmale Träger. Helena brauchte keinen BH tragen, weshalb ein schulterfreies Kleid absolut in Frage kam. Von der Brust abwärts fiel das Kleid trichterförmig nach unten. Eine diagonale Blütenborte war aufgestickt, flankiert von einigen Perlen.

Hanna stand auf und trat ein paar Schritte zurück, dann schüttelte sie den Kopf. „Das Kleid ist schön, aber du solltest etwas Trägerloses tragen. Oder mit einem Neckholder. Oder ganz breiten Trägern. Spaghettiträger sind out, passen nicht zu dir. Und der Schnitt lässt deine Figur nicht zur Geltung kommen.“

Helena strahlte ihre Freundin an. „Ich bin so froh, dich dabei zu haben, Süße!“ Sie drehte sich um und verschwand mit der jungen Verkäuferin wieder in der Umkleidekabine.

Hanna grinste. Sie hatten in vielen Dingen den gleichen Geschmack und waren ehrlich zueinander.

Bisher.

>War das eben ein Zahnabdruck auf Helenas Schulter?< Hanna schüttelte ihren Kopf.

Fünf Minuten später kam Helena wieder heraus. Das Kleid hatte breite Träger und betonte ihren Busen und die schmale Taille hervorragend. Ab da jedoch bauschte meterweise Stoff alles auf. Es sah fast aus, als ob Helena einen Reifrock darunter trug.

„Oben bis zur Taille perfekt. Ab Taille geht gar nicht. Explodierte Hüfte.“

Helena kicherte. In dem Moment kam die ältere Verkäuferin aus dem Lager wieder.

„Etwas drastisch ausgedrückt, aber Frau Martens hat Recht.“ Die Verkäuferin lächelte Helena an. „Ich glaube, dass das Kleid Ihrer Figur nicht gerecht wird. Kommen Sie, ich glaube, ich habe das perfekte Kleid für Sie. Vanessa, du kannst mit Frau Martens in die Abteilung für Party- und Trauzeugenkleidung gehen. Die Länge des Kleides ist erst einmal irrelevant.“

>Heißt: Das Kleid des Erdnuckel muss bearbeitet werden!<, dachte Hanna lakonisch.

Hanna tapste der jungen Frau hinterher und stand vor einer bunten Vielfalt.

„Ich schlage Ihnen vor, ebenfalls ein Kleid mit etwas breiteren Trägern zu wählen. Dafür sollte der Ausschnitt nicht gerade verlaufen, sondern leicht V-förmig. Haben Sie einen speziellen Farbenwunsch?“

„Sollte man das nicht anhand des Brautkleides wählen? Ich meine, Camouflage und giftgrün kommen definitiv nicht in Frage, aber ansonsten bin ich für Experimente offen.“

Die junge Frau lachte ein ehrliches Lachen. „Camouflage? Das wäre mal ein interessanter Modetrend in der Brautwelt. Gefällt mir!“

Hanna entspannte sich. Die junge Frau war annähernd auf ihrer Wellenlinie. Vanessa griff nach einem Kleid in einem sanften Orangerot, ein kanariengelbes und ein fliederfarbenes.

„Was ist mit dem da?“, fragte Hanna und zeigte auf ein Kleid, das einen milchweißen Untergrund hatte. Darauf waren unregelmäßige, zartfarbene Blumen verteilt, teils gedruckt, teils gestickt.

„Das könnte Ihnen durchaus stehen, Frau Martens. Nehmen wir es auch mit.“

„Hanna!“

Helenas Stimme ließ sie sich umdrehen … und sie erstarrte.

Das Kleid war aus cremefarbener Rohseide und reichte exakt bis zu den Knöcheln. Ohne Träger hielt es wie von Zauberhand über dem Busen, schnürte nichts ein und verdeckte doch alles, was verdeckt werden musste. Das Dekolleté des Kleides verlief gerade und war mit einer schmalen Borte aus zarten, dunkelroten Stickereien versehen. Diese Borte lief in Ranken an den Innenseite hinab und verjüngte sich nach vorn laufend. An der Hüfte trafen die Borten aufeinander und bildeten eine Art V-förmigen Gürtel, der nach zwei Blumenschnörkeln aufhörte.

Helena sah den entrückten und begeisterten Blick ihrer Freundin und fing zu strahlen an. Dann drehte sie sich langsam um.

„Oh-mein-Gott!“ Hanna bekam fast keine Luft mehr.

Etwa in Hüfthöhe begann sich das Kleid zu teilen, es fiel in gleichmäßigen Schals links und rechts auseinander. Das gab den Blick frei auf einen dunkel roten Innenteil, der als Schleppe gut fünfzig Zentimeter auf den Boden ragte.

„Was meinst du, Hanna?“ Helenas Stimme klang beinahe ängstlich. Was würde ihre Freundin hierzu sagen?

Hanna konnte nur starren. Irgendwann fand sie ihre Stimme wieder und schnappte ein paar Mal nach Luft. „Wenn ich nicht wüsste, dass Jan dich schon längst liebt und auf Händen trägt, würde ich sagen, bei dem Anblick ist es endgültig um ihn geschehen.“

Die Verkäuferin sah richtig stolz aus. Das konnte sie auch sein. Das Kleid war einfach perfekt.

„Ich hätte nie gedacht, dass Rot bei einem Hochzeitskleid so gut aussehen kann“, gab Hanna zu und umkreiste Helena. Vorsichtig glitt sie mit den Knöcheln ihrer Finger über den edlen Stoff. Sie wollte das Kleid nicht direkt anfassen aus Angst, es schmutzig zu machen.

„Also soll ich es nehmen?“ Helenas Augen glänzten silbrig. Das verwirrte Hanna, aber sie tat es mit einem innerlichen Kopfschütteln ab.

„Natürlich, Lena. Das ist … genau dein Kleid!“

„Ein paar Kleinigkeiten müssen noch verändert werden, damit es perfekt sitzt. Das Kleid ist wie für Sie gemacht, meine Liebe.“ Die Verkäuferin strahlte über das ganze Gesicht.

„Kanariengelb und orange kommen also nicht in Frage!“ Vanessa hatte Helena auch die ganze Zeit angestarrt, ebenso zwei andere Kundinnen und deren Verkäuferinnen.

„Yep. Das wäre extrem unpassend“, gab Hanna zu und grinste ihre Freundin an. „Aphrodite hat dich echt gesegnet, Lena!“

Helena wurde knallrot und sah verlegen zu Boden.

„Sie sollten keinen Schleier tragen, sondern eine Hochsteckfrisur mit weißen und roten Perlen geschmückt. Dazu ein dezentes Collier und Ohrringe. Entweder Perlen oder einige Rubine.“

Helena nickte. „Ich wollte auch keinen Schleier. Haben Sie etwas Passendes für die Haare?“

Die Verkäuferin schüttelte den Kopf. „Nicht hier, aber ich kann das bestellen. Innerhalb von sechs Wochen haben wir kleine Haarnadeln, die mit weißen und roten Perlen besetzt sind.“

Helena überlegte. „Oder weiße Perlen und rote Rubine. Der Preis spielt keine große Rolle.“

Hanna wurde schlecht. Oft vergaß sie, wie reich ihre Freundin war. Doch in Momenten wie diesen wurde sie daran erinnert.

„Kommen Sie, gucken wir uns die Kleider noch mal an, Frau Martens.“ Vanessa berührte Hanna am Ellenbogen und führte sie zu den Kleidern.

Sie fanden ein dunkelblaues Kleid aus matter Seide mit einem V-Ausschnitt vorn und hinten. Die Träger gingen direkt aus dem Ausschnitt hervor und waren sanft gerafft, brachten Hannas Busen gut zur Geltung.

Natürlich war das Kleid viel zu lang, aber bei einer Körpergröße von 1,62 Meter war das auch nicht verwunderlich. An den Seiten waren noch einige Abnäher erforderlich, im Rock sollte ein kleiner Schlitz bis zum Knie eingearbeitet werden, damit Hannas kurze Beine optisch länger wirken und für die Brust würden leichte Stützstreben eingearbeitet werden, damit Hanna keinen BH anziehen müsste.

Helena ging zur Kasse und Hanna folgte ihr, zückte ihr Portemonnaie. Helena schüttelte den Kopf.

„Lass stecken, Hanna. Das geht auf mich!“

„Helena, das kann ich nicht ….“

„Du lernst meinetwegen tanzen, organisierst das Catering und die Sitzplätze. Es kommt noch ´ne Menge auf dich zu. Da ist es nur fair, wenn ich dir das Kleid bezahle. Und das Kleid für Lyssa.“

„Sie müssen jetzt auch nur eine Anzahlung machen, Helena“, sagte die ältere Verkäuferin.

„In Ordnung. Haben Sie auch Kleider für Kinder? Die Tochter meiner Freundin wird die Blumen streuen.“

Die Verkäuferin lächelte warmherzig, während sie den Betrag in die Kasse tippte. „Ja, haben wir.“ Sie deutete auf eine andere Ecke des Geschäftes.

„Am besten, Sie kommen demnächst mit dem Kind hierher. Da ich jetzt weiß, was Sie beide tragen, kann ich die Auswahl schon eingrenzen. Welche Konfektionsgröße hat das Kind?“

„Ähm … 128 oder 134. Je nachdem, wie das Kleid geschnitten ist.“

Die Verkäuferin nickte. Dann gab sie den beiden Frauen noch eine Stoffprobe der beiden Kleider mit. „Für ihre Schuhauswahl.“

Hanna wurde blass. Langsam artete das Ganze in einem Staatsakt aus.

„Worüber grübelst du nach, Nana?“

Sie saßen in einer Pizzeria. Hanna hatte sich Rigatoni al Forno bestellt und dazu einen kleinen gemischten Salat. Helena aß gedünsteten Fisch mit Reis und einem großen Salat.

„Du hast früher nie viel Gemüse gegessen. Jetzt isst du einen riesigen Salat. Deine Augen schimmern gelegentlich silbern und du hattest vorhin einen schwachen Abdruck auf deiner Schulter. Bissspuren. Erkläre mir das bitte. Und weiche nicht wieder aus.“

Helena seufzte. „Okay. Jetzt sind wir unter uns und ich erzähle dir so viel, wie ich kann.“

„Wie du kannst?“ Hanna verstand diese Einschränkung nicht. „Musst du irgendetwas Geheim halten?“

Helena kniff die Lippen zusammen. „Ja. Und da ich dich nicht anlügen möchte, verschweige ich dir lieber das eine oder andere.“

Hanna lehnte sich zurück und sah ihre Freundin nachdenklich an. „Ich habe nie irgendetwas weiter erzählt, wenn du mir was anvertraut hast. Warum denkst du, dass ich das jetzt tun würde?“

Helena schüttelte erschrocken den Kopf. „Das ist es nicht, Hanna. Ehrlich nicht. Ich möchte dich vielmehr … schützen.“

Jetzt verstand Hanna gar nichts mehr. „Wovor? Vor wem?“

Helena druckste herum. „Das ist genau die Frage, die ich dir nicht so ohne weiteres beantworten kann.“

Ein furchtbarer Verdacht machte sich in Hanna breit. „Nein! Sag´ mir nicht, dass Jan dich mit irgendetwas in der Hand hat und dich zur Hochzeit zwingt!“

Verblüfft starrte Helena ihre Freundin an. „Natürlich nicht! Das mit Jan und mit mir ist absolut echt und wahrhaftig.“

„Dann fang´ an zu erzählen, was du erzählen darfst und ich werde zuhören.“ Hanna hatte ihre Augenbrauen zusammengezogen und bohrte ihren Blick in Helenas Augen.

„Ich war nicht wirklich krank, Hanna.“

Ein eiskalter Schauer kroch über Hannas Wirbelsäule. „Weiter.“ Sie zwang sich, ruhig zu bleiben.

„Onkel Dim war nicht der Mann, der er vorgab zu sein. Er hatte, wenn du so willst, eine dunkle Seite. Stavros, Jan und ich kamen dahinter und stellten ihn mit einigen Freunden zur Rede.“ Helenas Hand zitterte etwas. „Zuvor hatte Dim Jan beinahe getötet. Stavros und ich konnten ihn im letzten Moment retten.“

Hannas Nasenflügel weiteten sich. „Wie bitte? Aber warum seid ihr nicht vor Gericht gegangen?“

Helena schüttelte den Kopf. „Dim war zu mächtig. Er hatte Freunde in Kreise, die einem wirklich Angst machen können. Jedenfalls sind wir alle zu Onkel Dim hin. Es kam zu einem kleinen Kampf zwischen uns und den Anhängern meines Onkels. Dabei bekam ich ein Messer in die Brust gerammt. Von Onkel Dim, genauer gesagt.“

Hanna schlug ihre Hand vor den Mund und starrte auf die von Kleidung verhüllte Brust ihrer Freundin. „Wie schlimm war es?“

„Ich wäre beinahe gestorben. Ich habe überlebt. Und Jan war die ganze Zeit an meiner Seite.“

Hanna wollte nicht glauben, was sie hörte. „Was ist mit Dim? Es heißt, er hatte einen Autounfall.“

„Offiziell, ja. In dem Handgemenge, nachdem Dim mir das Messer in die Brust gerammt hatte, hat ein Freund von Jan Dim von mir weggerissen und ihm das Genick gebrochen. Danach haben wir es wie ein Autounfall aussehen und unsere Beziehungen spielen lassen. Wir haben nichts Unrechtes getan, Hanna. Es war Notwehr. Und durch die Vertuschung konnten wir Dims Ansehen in der Familie aufrechterhalten.“

Hanna zitterte, als sie das Glas mit dem Mineralwasser ergriff. „Weiter. Warum konntest du mir das nicht vorher sagen und warum konnte ich nicht zu dir?“

Helena blickte traurig zu Boden. „Ich wollte dich da nicht mit rein ziehen. Ich brauchte eine Zeit, um damit fertig zu werden. Aber jetzt ist alles wieder gut.“

„Und deine Augen?“

Helena zuckte zusammen. „Ich … habe damals ein bestimmtes … Medikament bekommen. Seitdem verändert sich die Farbe meiner Iris, wenn ich bestimmte Gefühle habe.“

Hanna sah Helena ungläubig an. „Von so einem Medikament habe ich noch nie gehört. Und ich bin Apothekerin!“

„Jans Firma und meine sind in der Medizin tätig. Wir lassen neue Medikamente erforschen, Blutkrankheiten und so weiter.“

„Das weiß ich doch. Trotzdem, das klingt so … Science-Fiction-mäßig.“

„Bitte Hanna. Glaube mir einfach, was ich dir bisher erzählt habe. Belasse es dabei.“

Hanna pikte eine Rigatoni auf die Gabel und steckte sie in ihren Mund.

„Und die Bissspur auf deiner Schulter?“, fragte sie, nachdem sie runter geschluckt hatte.

Helena wurde dunkelrot. „Gelegentlich können Jan und ich … sehr leidenschaftlich sein. Was glaubst du wie sein Rücken aussieht, wenn ich meine Fingernägel zum Einsatz bringe?“

Jetzt wurde Hanna rot. „Oh!“ Schnell stopfte sie eine weitere Nudel in den Mund.

„Heute Morgen nach dem Aufwachen hatten wir einfach … unglaubliche Lust. Ich muss nur an ihn denken, schon kriege ich wieder Lust!“ Wie zur Bestätigung verlief eine Gänsehaut über Helenas Unterarme und ein Schauer lief durch den Körper. Die Augen glitzerten silbrig auf.

„Wow. Ich weiß im Moment nicht, ob er mir Leid tun soll oder du.“

Helena grinste. „Wir schreien abwechselnd. Reicht das als Aussage oder soll ich in die Einzelheiten gehen?“

Einem Impuls folgend wollte Hanna die Einzelheiten erfahren. Aber etwas hielt sie zurück. Die Freundschaft zwischen Helena und ihr hatte sich verändert. Unwiderruflich. Für Intimität war kein Platz mehr.

„Nein, Lena. Keine Einzelheiten.“

Schweigend aßen sie ihr Essen auf und mieden ihre Blicke.

„Wegen passender Schuhe hätte ich eine Idee“, sagte Hanna irgendwann und blickte zögerlich auf.

„Was denn für eine?“ Helena war froh, dass Hanna das Schweigen brach.

„Tobias hat mir erzählt, dass er einen Schuhmacher für sich arbeiten lässt. Einen, der das alte Handwerk noch beherrscht.“

Helena lächelte. „Das klingt großartig. Ich werde Tobi nachher anrufen und ihn fragen, ob es eine Möglichkeit gibt, den Mann zu beauftragen. Das wäre perfekt!“

Hanna lächelte jetzt auch wieder. „Ich treffe mich morgen wieder mit Tobias zum Tanzen. Wenn du willst, kann ich ihn ja fragen.“

Helena lächelte etwas verschmitzt. „Und? Wie war deine erste Tanzstunde?“

Hanna konnte sich ein leichtes Lächeln nicht verkneifen. „Ungewöhnlich. Ganz anders, als ich es bisher erfahren hatte. Keine aufgemalten Tanzschritte, kein stures `erst-die-Schritte-lernen-und-dann-sehen-wir-weiter!´- geeiere. Und er ist noch ohne Blessuren!“

Helena lachte auf. „Tobi kann ´ne Menge aushalten!“

„Danke, Lena. Das hilft mir jetzt sehr!“ Hannas Stimme hatte einen sarkastischen Unterton.

„Und morgen ist die nächste Stunde? Großartig!“

„Lyssa kann in einen Kinderkurs, der parallel in einem anderen Saal läuft. Und ich will nicht so schnell aufgeben, weißt du.“

„Danke, Nana. Das bedeutet mir sehr viel.“

Hanna lächelte versöhnlich. „Sag mal, warum wirkt Tobias eigentlich immer so … schwermütig?“

Helena verzog ihr Gesicht. „Das ist … kompliziert.“

Hanna nickte. „Wieder so eine Sache, die du mir nicht sagen kannst, ohne mich anzulügen?“ In ihrer Stimme lag diesmal kein Vorwurf. Es war eine Feststellung.

Helena nickte schweigend.

„Na gut. Ich nehme alles, was du mir bisher erzählt hast, einfach so hin. Nur eins noch: weiß Táwo über alles Bescheid? Ich meine auch über die Sachen, die du mir nicht erzählt hast?“

Helena nickte. „Táwo ist hundertprozentig eingeweiht. Bitte verurteile mich nicht, weil Onkel Dims Tod so … mysteriös erscheint.“

Hanna zog die Augenbrauen hoch. „Schwörst du, bei den Seelen deiner Eltern, dass Dims Tod kein eiskalter Mord, sondern Notwehr war?“

Helena sah fest in Hannas Augen. „Ich schwöre es dir, Johanna.“

Hanna nickte. „Na gut. Dann lass uns nie wieder darüber reden.“

Helena blinzelte etwas, senkte dann den Kopf.

>Ich würde dich so gern in alles einweihen. Aber ich glaube nicht, dass du es akzeptieren könntest, dass ich jetzt ein Vampir bin. Oder vielleicht …?<

„Hör mal, wegen der Gästeliste.“

„Was ist damit?“ Hanna steckte sich die letzte Nudel in den Mund und lehnte sich gesättigt zurück.

„Wir haben vorab schon Mails und Telegramme in alle Welt verschickt, damit die Leute, die wir einladen möchten schon wissen, wann es stattfindet und sie Flüge buchen können, wenn sie denn kommen. Du kannst dir bestimmt vorstellen, dass aus Griechenland ungefähr dreißig bis fünfunddreißig Leute hier eintreffen werden.“

Hanna nickte. „Dein anderer Onkel auch, nicht wahr? Wie hieß der noch?“

„Alexandros. Und Tante Minerva kommt auch. Die hat schon ein Telegramm zurück­geschickt. Natürlich sind sie alle nicht erfreut, dass mein Zukünftiger kein Grieche ist. Und auch nicht griechisch-orthodox. Aber das ist mir völlig egal. Ich liebe Jan und werde bis in alle Ewigkeit mit ihm zusammenbleiben.“

Hanna grinste leicht. „Was für eine Kampfansage. Aber du hast meine volle Unterstützung, Lena.“

„Und die von Táwo. Nur auf euch beide kommt es mir an, Nana. Jedenfalls müssen wir uns noch mal irgendwann zusammensetzen, um die Sitzordnung durchzukauen.“

„Alles klar. Dann sollten wir vorher eine Art Plan entwerfen, wie die Tische stehen und wie viele Leute überhaupt kommen.“

Helena grinste. „Es kommen noch ein paar alte Schulkameraden von uns.“

Hanna riss die Augenbrauen hoch. „Nele? Patti?“

Helena nickte. „Und deren Familien. Außerdem Mehmet und Pervin. Die beiden sind miteinander verheiratet.“

Hanna grinste. „Die Familien der beiden konnten sich damals doch nicht ausstehen. Wie kam das, dass sie sich geeinigt haben?“

„Lange Gespräche und Diskussionen. Heimliche Hochzeit und vollendete Tatsachen. Aber richtig Frieden ist da nicht eingezogen.“

„Ich hoffe, dass die beiden trotzdem glücklich sind.“ Hanna hatte die stille Pervin Yasil immer gemocht. Sie und Mehmet waren füreinander bestimmt, so sahen es alle ihre Freunde. Pervins Familie war arm und streng muslimisch, Mehmet war der einzige Sohn einer reichen Händlerfamilie. Die Mutter arbeitete zusätzlich noch halbtags im Sozialamt und kümmerte sich hauptsächlich um türkische Mitbewohner. Aber die Eltern hatten Bedenken, als ihr Sohn mit der armen Pervin auftauchte.

„Ich bin auf die Geschichte der beiden gespannt, Lena. Wie viele Leute werden es von Jans Seite sein?“

Helena überlegte. „Adolar, Nicole und die ganze Bande. Plus einige, die ich noch nicht kenne. Etwa dreißig. Macht etwa siebzig bis achtzig Leute. Einige Geschäftspartner von Jan und von mir, immer mit Familien gerechnet. Ich denke, so zwischen achtzig und hundert Gäste.“

Hanna stieß ein kurzes hysterisches Lachen aus. „Nur?“, fragte sie ironisch.

Helena grinste. „Ich habe schon für die Griechen einige Hotels gebucht. Ein paar Freunde von Jan kommen bei Tristan unter. Tobi hat auch zwei Gästezimmer und eine Schlafcouch. Und bei Táwo ist auch Platz.“

„Stimmt ja. Táwo ist ja jetzt allein in der Villa. Wie kommt er zurecht?“

„Gut. Wirklich gut. Er hat im Herbst eine Vernissage. Eine gemeinsame Freundin hat seine Arbeiten gesehen und ihn für die Ausstellung gewinnen können.“

„Klasse! Das freut mich für den Hitzkopf.“ Hanna mochte Helenas Bruder. Sie hatte keine Ahnung von Kunst, aber die Arbeiten von Stavros gefielen ihr. „Ich muss dann unbedingt in die Vernissage. Stavros soll mir bloß die Adresse und die Termine geben!“

Helena lächelte plötzlich tiefgründig.

„Was?“

„Ich habe soeben einen interessanten Gedanken gehabt.“ Ihre Augen glitzerten schelmisch.

„Will ich es wissen?“ Hanna kannte den Gesichtsausdruck. Eine Katze, die einer Maus auflauerte.

„Tristan. Und du. Das wäre eine tolle Verbindung.“

Hanna erstarrte. „Danke. Aber nein Danke. Kein Mann. Bloß nicht.“

„Du kennst ihn ja gar nicht!“

„Ist auch nicht nötig. Kein Interesse. Ich muss mich um Lyssa kümmern. Da ist kein Platz für einen Mann.“

„In zehn Jahren spätestens wird Lyssa einen Freund anschleppen und ihre eigenen Wege gehen. Und was ist dann mit dir?“

Hanna rutschte unruhig auf ihren Stuhl hin und her. „Darüber mache ich mir Gedanken, wenn es soweit ist, Lena.“

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