Buch lesen: «Wenn Vampire Tango tanzen», Seite 2

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Kapitel 2: Versöhnung ausgeschlossen?

Helena hatte Lyssa ein nachträgliches Geburtstagsgeschenk überreicht. Es war eine Umhängetasche von Hello Kitty mit dazugehörigem Portemonnaie und Schlüsselband sowie eine kleine silberne Kette mit einem silbernen Anhänger, in dessen Mitte ein blauer Stein eingefasst war.

„Versprich´ mir, dass du die Kette nicht in der Schule trägst. Jedenfalls nicht, wenn du an dem Tag Sport hast.“ Helena band das Schmuckstück gleich um Lyssas Hals.

Hanna sah ihre Freundin fragend an. „Das ist doch nicht etwa echter Schmuck, oder?“

Helena grinste. „Ein Saphir. Passt zu Lyssas Augen.“

Betreten blickte Hanna auf ihren Teller, sagte nichts mehr.

„Danke, Tante Lena. Das ist wunder-wunderschön! Ich werde ganz doll darauf aufpassen, versprochen!“ Lyssas Augen glänzten. Die Umhängetasche hatte sie der Einfachheit halber gleich quer um ihre Schulter gehängt.

„Süße, nimm´ bitte die Tasche ab und lege sie neben deinen Stuhl. Nach dem Essen kannst du sie gern wieder umhängen.“ Hanna sprach sanft und leise zu ihrer Tochter. Diese zog kurz einen Flunsch, nahm dann aber brav die Tasche ab und hängte sie an die Stuhllehne. Hanna half ihrer Tochter und begegnete dabei den Blick von Tobias, der auf der anderen Seite neben Lyssa saß und Mutter und Tochter beobachtete.

„Du hast mir in der Disco gar nicht erzählt, dass du eine Tochter hast“, sagte Tobias ruhig. Seine Stimme war nicht besonders tief, aber männlich und warm.

Hanna fielen ungefähr drei mögliche Antworten ein und zwei waren definitiv nicht für Lyssas Ohren bestimmt. „Nun, du hattest mich nicht gefragt. Und bevor ich dir noch irgendetwas von mir erzählen konnte, lagst du schon auf dem Fußboden.“ Sie wollte sich am liebsten auf die Zunge beißen. Nun war es doch rausgerutscht, was sie unbedingt vermeiden wollte.

Tobias wurde blass und starrte in Hannas braune Augen.

>Oh je! Sie hat mir immer noch nicht verziehen!<, dachte er und sendete seine Gedanken an Helena und Jan.

>Nein. Sie ist nachtragend!<, antwortete Jan und beeilte sich, einen Schluck aus seiner Kaffeetasse zu nehmen, damit er nicht lauthals loslachte.

>Quatsch!< Helena funkelte Jan kurz an. >Sie hat lediglich ein verdammt gutes Gedächtnis für solche Nichtigkeiten!<

>Sie ist nachtragend!<, bestätigte Jannik unbekümmert.

Tobias seufzte schwer, dann stand er auf, ging auf Hanna zu und kniete sich vor ihr auf den Boden. Hanna riss die Augen auf und war bemüht, ihre Kinnlade unter Kontrolle zu halten. >Was kommt denn jetzt?< Sie spürte, wie eine Panikwelle in ihr hochstieg.

„Hanna, es tut mir aufrichtig Leid, wie ich mich benommen habe.“

Tobias kniete auf einem Knie, das andere Bein war angewinkelt und stand auf dem Fuß, wie ein Ritter, der vor seinem König kniete. Seine Arme hingen links und rechts herab, die Handflächen straff geöffnet. Fest sah er in Hannas braune Augen, die ihn misstrauisch ansahen.

„Du hast mir nur geholfen und ich habe mich wie ein Schuft benommen. Es gibt keine adäquate Entschuldigung, ich kann nur hoffen, dass du mir verzeihst.“

„Ähm ….“ Hanna war irgendwie überfordert.

„Mama, was hat Tobi denn gemacht, weil er sich bei dir entschuldigt?“ Lyssas unschuldige Kinderstimme riss Hanna aus ihrer Lethargie. Doch bevor sie antworten konnte, drehte sich Tobias zu Hannas Tochter um.

„Ich habe deiner Mutter Unrecht getan. Als wir uns kennen lernten, ging es mir nicht gut und ich bin umgefallen. Deine Mutter hat mit geholfen, wollte sogar, dass ein Arzt kommt. Aber ich wollte keinen Arzt, reagierte unhöflich und undankbar. Ich war sehr gemein zu deiner Mutter. Und das tut mir wirklich sehr, sehr Leid!“

Verlegen rückte Hanna ihre Brille zurecht. Sie war stark kurzsichtig und normalerweise saß die Brille immer perfekt. Aber sie hatte das Gefühl, das die Brille ausgerechnet jetzt schief saß. „Ist schon gut. Ich meine, vergessen und vergeben. Ich bin nicht nachtragend!“ Sie merkte, dass ihr Gesicht tiefrot sein musste. Es glühte nämlich.

>Von wegen!<, dachte Jan und steckte sich ein Stück Käsekuchen in den Mund. Für seinen offenen Gedanken an Helena und Tobias bekam er einen ziemlich unsanften Rippenstüber von seiner Freundin. Jan gab keinen Laut von sich und zuckte auch nicht zusammen, dafür sendete er einen Gedanken, der nur für Helena bestimmt war.

>Mein Schatz, dafür werde ich dich nachher bestrafen!<

Helenas Augen gingen auf Halbmast. >Mit Handschellen?<

Tobias konnte die Gedanken seiner beiden Freunde nicht empfangen, spürte aber eine plötzliche erotische Anspannung und musste grinsen. >Hört auf! Ich werde sonst rot!<

„Der Beginn einer Freundschaft?“, fragte er gleichzeitig Hanna und lächelte sie sanft an.

„Vielleicht“, antwortet sie schnippisch und widmete sich wieder ihrem Kuchen und dem Kaffee. Dabei erhaschte sie den Blick ihrer Mutter, die sich eine Serviette vor den Mund presste. Offensichtlich versuchte Monika im Moment alles, um nicht lauthals zu lachen.

„Ich stehe nicht auf, bevor wir uns nicht versöhnlich die Hände gereicht haben.“ Tobias streckte ihr mit einem feierlichen und ernsten Gesichtsausdruck die Hand entgegen.

Perplex starrte Hanna auf die Hand. Es war eine relativ kleine Hand, mit eher kurzen, aber kräftigen Fingern. „Das ist doch lächerlich!“, stieß sie hervor.

„Wie du meinst.“ Tobias faltete seine Arme über dem nach oben gerichtete Bein und wartete.

„Das meinst du ernsthaft, oder?“ Hanna glotzte in grünbraune Augen. Monika konnte sich nicht länger beherrschen und kicherte ungehalten, Lyssa grinste über beide Backen.

>Tobi! Du blamierst meine Freundin!<

>Sie hat angefangen, Helena. Sie ist am Zug!< Dabei sah er weiterhin ruhig in Hannas braune Augen.

Diese warmen braunen Augen, die ihn vor drei Monaten so gefesselt hatten. Er hatte sich gern mit ihr in der Diskothek unterhalten. Schnell erkannte Tobias, dass er eine warmherzige, kluge und selbstbewusste Frau vor sich hatte, die mit beiden Beinen fest im Leben stand. Von Anfang an kam sie weder als Mitternachtssnack noch als One-Night-Stand in Frage.

„Okay!“ Hanna warf ihre Hände kurz in die Luft, drehte sich Tobias wieder ganz zu. Dann holte sie tief Luft und reichte ihm die Hand. „Ich verzeihe dir und biete dir eine Versöhnung an. Könntest du jetzt bitte wieder aufstehen, das ist wirklich peinlich!“

Tobias ergriff Hannas Hand und drückte sie sanft. Dabei schmunzelte er, was zur Folge hatte, dass sich ein kleines Grübchen auf der rechten Wange bildete.

>Scheiße!<, dachte Hanna beim Anblick des Grübchens. >Ich bin in Schwierigkeiten!<

Dann sah sie in seine Augen und war bestürzt. Unter der höflichen und charmanten Oberfläche entdeckte sie eine tiefe Traurigkeit. Melancholie und Schwermut Einsamkeit.

>Tobi! Sie ist tabu!<

Dieser Gedanke von Helena überraschte Tobias. >Ich habe nicht vor, mit ihr etwas anzufangen. Ich will nur nett zu deiner Freundin sein.<

>Gut. Falls du ihr wehtun solltest, reiße ich dir den Kopf ab, klar?<

Tobias erhob sich aus seiner knienden Position und blickte Stirn runzelnd zu Helena. >Ich habe verstanden, Helena.<

„So, wenn alle Positionen geklärt sind können wir jetzt zum Wesentlichen kommen.“ Jannik schob seinen Teller beiseite und trank den letzten Schluck Kaffee aus seiner Tasse. Dann lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und legte seinen Arm um Helena, zog sie an sich und küsste sie auf die Stirn.

>Bleib ruhig, Schatz. Tobi wird Hanna nichts tun. Er schätzt sie, das erkenne ich an seiner Haltung.<

>Tut mir Leid, Jan. Ich habe schon immer so ´ne Art Beschützerinstinkt Hanna gegenüber gehabt.< Sie kuschelte sich an Jans Halsbeuge. >Entschuldige, Tobi. Ich habe es eben übertrieben. Kommt nicht wieder vor.<

Tobias lächelte. „Schon gut, Helena.“

Hanna blickte verwirrt von Helena zu Tobias, verstand nicht, worauf Tobias gerade geantwortet hatte.

„Ihr zwei habt uns doch nicht ohne Grund für heute eingeladen.“ Tobias steckte sich eine Gabel voll mit Käsetorte in den Mund. „Um was geht es?“

Lyssa schnippte ihn auf den Arm. Überrascht sah Tobias das Kind an.

„Wofür war das denn?“ Dummerweise sprach er immer noch mit vollem Mund und Lyssa schnippte ihn erneut.

„Man redet nicht mit vollem Mund!“

Helena, Jannik und Monika bekamen einen heftigen Lachanfall, während Hanna auf ihrem Stuhl vor Scham immer tiefer sank. Tobias sah Lyssa immer noch verblüfft an, wollte etwas sagen, verkniff es sich aber im letzten Moment. Rasch schluckte er den Kuchen hinunter und spülte mit Kaffee nach.

„Hat dir deine Mutter etwa auf diese Art beigebracht, nicht mit vollem Mund zu reden?“

„Klar. Davor hat sie immer versucht, es mir mit Worten abzugewöhnen. Hat nicht geklappt. Jetzt mache ich das nur noch sehr selten und schnippe mich dann selbst, wenn ich es merke.“

Tobias sah Hanna über Lyssas Kopf hinweg leicht missbilligend an. „Auch eine Möglichkeit, aber etwas fragwürdig, oder?“ In seiner Stimme lag ein leichtes Knurren.

>Ich werde mit dir bestimmt nicht über Kindererziehung diskutieren!< Hannas Augen blitzten Tobi an und sie gab keine Antwort.

„Beruhigt euch, in Ordnung?“ Helena merkte, dass in Hanna die Anspannung wieder wuchs. „Jan und ich möchten euch etwas mitteilen.“

Hanna sah ihre Freundin neugierig an. „Schieß los!“

„Wir haben beschlossen zu heiraten.“

Ein dicker Kloß legte sich in Hannas Magen und weitete sich aus.

„Na endlich!“ Tobias griff über den Tisch und gab Jan eine High-Five. Der Bräutigam strahlte über das ganze Gesicht.

„Kann ich Blumen streuen?“, fragte Lyssa.

„Klar doch. Darauf bestehe ich sogar.“ Helena strahlte ihr Patenkind an.

„Das ging aber schnell!“, sagte Monika, strahlte aber ebenfalls. „Aber wenn ihr beide euch liebt, warum nicht? Habt ihr schon einen Termin?“

Helena blickte zu Hanna, die bisher gar nichts gesagt hatte. Die Freundin war blass und starrte sie nur an. Die Lippen wirkten zusammengekniffen.

„Hanna?“

Hanna räusperte sich. „Oh, ich … gratuliere euch. Ehrlich. Ich muss das nur kurz verdauen.“

Ein betretenes Schweigen machte sich plötzlich breit und Hanna fand die Situation unerträglich.

„Also, dann erzählt doch mal, wann und wo ihr heiraten wollt. Ich muss das wirklich nur in meinen Kopf kriegen, alles in Ordnung.“ Hanna setzte ihr Apotheker-Lächeln auf und sah ihrer Freundin in die Augen.

„Wir wollen am 14. August standesamtlich und am 15. August kirchlich heiraten.“ Jannik nahm die Hand seiner Verlobten und führte sie an seine Lippen. Dabei sah er sie so zärtlich an, dass Hannas Bedenken einfach verflogen. Der Mann liebte Helena wirklich.

„Das heißt, ihr habt das Aufgebot schon bestellt“, stellte Monika fest.

„Ja. Haben wir. Wir wissen auch schon, in welcher Kirche wir heiraten wollen, wie der Gottesdienst in etwa laufen soll und wo wir dann anschließend feiern wollen.“ Helena fixierte immer noch Hannas Gesicht. „Ich bin griechisch-orthodox und Jan ist evangelisch. Also wird es einen ökumenischen Gottesdienst geben, der beiden Religionen zu Gute kommt.“

„Wow.“ Tobias lehnte sich zurück und grinste. „Das ist doch sehr modern und großartig.“

„Wir wollen, dass du, Hanna, und du, Tobias, unsere Trauzeugen seid.“ Jannik sah die beiden fragend an. Bittend.

Hanna klappte die Kinnlade herunter und sie vergaß zu atmen. „Oh.“ Es war ein überraschtes Quieken, das ihren Mund verließ.

„Es wird mir eine Ehre sein, Jan.“ Tobias strahlte seinen Freund an. >Damit ehrst du mich, mein Freund. Du ahnst nicht, wie sehr du mich damit ehrst!<

Jan lächelte seinen Freund milde an. >Von allen meinen Freunden bist du mir der, der einem Bruder am nächsten kommt, Tobi. Wenn du mein Trauzeuge wirst, ehrst du damit mich!<

Tobias nickte, musste sich räuspern.

Hanna stand auf, ging um den Tisch herum und umarmte ihre Freundin. Helena schloss erleichtert ihre Arme um Hanna und musste sich zusammenreißen, um nicht plötzlich loszuheulen.

Was fatal gewesen wäre, da sie blutige Tränen nicht hätte erklären können.

„Natürlich will ich deine Trauzeugin sein, Lena! Scheiße, ist das schön!“ Hannas Stimme klang gedämpft, da sie an Helenas Schulter sprach. Dann schniefte sie ein wenig. „Verdammt, ich bin undicht!“

„Ich hatte schon Angst, du würdest ablehnen oder wütend sein oder irgendetwas in der Art!“ Helena drückte Hanna leicht von sich, um ihrer Freundin ins Gesicht sehen zu können.

„Ich bin nur sauer, weil ich von eurer ganzen Entwicklung nichts mitbekommen habe!“, gestand Hanna. Dann beugte sie sich an Helenas Ohr. „Ich möchte aber demnächst alles von dir hören. Jede schmutzige Einzelheit!“

Helena kicherte. „Abgemacht, Nana.“

„Wir könnten einen Abstecher zu der Kirche und dem Gasthof machen, wo wir feiern wollen.“ Jans Ohren hatten durchaus mitbekommen, was Hanna und Helena miteinander geflüstert hatten. Bei der Vorstellung, dass die Frauen sich über ihn und den intimen Einzelheiten zwischen sich und Helena unterhalten würden, wurde er unruhig.

„Jetzt gleich?“, fragte Tobi.

„Warum nicht! Du hast doch immer einen Kindersitz im Auto, oder?“

Tobias nickte. Als Leiter einer Tanzschule hatte er auch Kindergruppen unter seine Fittiche. Es kam gelegentlich vor, dass er Kinder zu Veranstaltungen mitnahm oder auch mal nach Hause fuhr. Deshalb hatte er immer eine Sitzschale für Kinder in seinem Golf zu liegen.

„Das ist ´ne tolle Idee!“, sagte Helena und grinste Hanna und Monika an. „Ihr habt doch in den nächsten zwei Stunden nichts weiter vor, oder?“

Hanna schüttelte den Kopf, grinste plötzlich. „Und das ganze ist natürlich total spontan.“ Ihre Stimme tropfte wieder vor Sarkasmus.

Helena kicherte. „Du kennst mich eben doch zu gut, Süße!“

Die Kirche war relativ klein, aber üppig dekoriert und wirkte sehr einladend. Überall waren die koptischen Kreuze zu sehen, die Ikonostase mit Heiligen und Fresken mit Themen aus dem Neuen Testament schmückten die Wände und Decken. Gold glänzte in allen Nischen und auf den Insignien, die am Altar und den Säulen angebracht waren. Hier und da war das Symbol der griechisch-orthodoxen Kirche zu sehen: ein zweiköpfiger Adler, über dessen Haupt eine Krone schwebte. In der einen Kralle hielt er ein Schwert, in der anderen einen Reichsapfel, das ganze schwarz auf gelb.

„Wir haben vor zwei Wochen schon alles mit dem Patriarchen klargemacht“, raunte Helena Hanna zu. Sie standen vor dem Kolymvithra, dem traditionellen Taufgefäß. Das Gefäß war ein dickwandiger Kupferkessel. Der Täufling wird mit gesegnetem Olivenöl und Myrrhe komplett eingerieben und dann in das Gefäß getaucht. Dabei nennt der Nonós oder die Noná, also der Pate oder die Patin den Namen des Kindes. Dieser Name ist dann bindend.

„Zwei Wochen vor der Hochzeit setzen wir uns dann mit dem Patriarchen und dem evangelischen Pfarrer zusammen und besprechen die Einzelheiten. Es wäre gut, wenn du und Tobi dann auch dabei sein könntet.“

Hanna nickte. „Kein Problem. Aber du weißt, dass man in Deutschland eigentlich keine Trauzeugen mehr benötigt, oder?“

Helena grinste etwas. „Weiß ich, aber ich bin doch ziemlich traditionell. Und Jan auch. Wir sind der Meinung, wenn wir schon heiraten, und das nur ein einziges Mal im Leben, dann richtig. Mit allem drum und dran!“

Hanna verstand ihre Freundin. Sie beobachtete, wie Tobias Kerner Lyssa umher führte und ihr die Fresken an den Wänden geduldig erklärte.

„Kann es sein, dass ich mich in Tobias getäuscht habe?“, fragte sie unvermittelt.

Überrascht sah Helena ihre Freundin an. „Natürlich! Tobi ist wirklich ein guter Freund und sehr nett. Du trägst ihm doch nicht wirklich die Sache in der Diskothek nach, oder?“

Hanna verzog ihr Gesicht. „Ein wenig.“

„Als ich … krank wurde, hat Tobi viel für mich getan. Wie auch viele andere, die du noch kennen lernen wirst.“

Beschämt sah Hanna ihrer Freundin in die Augen. „Als ich hörte, was mit Onkel Dim passiert war, wollte ich dich besuchen, dich trösten. Aber Táwo sagte nur, dass dein Gesund­heitszustand es nicht zulassen würde, mich oder irgendjemand anderen zu sehen. Es tut mir Leid, dass Dimítrios durch einen Autounfall gestorben ist.“

Helenas Augen blitzten kurz auf, ihre Miene verhärtete sich. „Ist schon in Ordnung, Hanna. Das Leben geht weiter, auch ohne Onkel Dim.“

Hanna runzelte die Stirn. „Aber du hast ihm immer sehr nahe gestanden.“

Helena schloss die Augen, die Wangenmuskeln zuckten unrhythmisch. „Hanna, ich würde dir sehr gern alles erzählen, aber ich kann nicht. Glaube mir, ich bin über den Tod meines Onkels hinweg. Und ich möchte nicht mehr an ihn denken, in Ordnung?“

Hanna war beinahe schockiert. Sie nahm sich vor, Helena irgendwann einmal deswegen zur Rede zu stellen, aber sie spürte, dass jetzt ein ungünstiger Moment war. Also schwieg sie.

Monika betrachtete den jungen Mann, mit dem sie sich angeregt unterhielt, unverhohlen. Jannik Cerný gefiel ihr, nicht unbedingt als Mann nach ihrem Geschmack, sondern als Bräutigam von Helena. Schließlich kannte sie Helena Kapodistrias seit deren Kindheit. Oft hatte das griechischstämmige Mädchen mit Hanna zusammen in ihrer Küche zu Mittag gegessen, Hausaufgaben gemacht, gespielt und gelacht.

„Und Sie sind wirklich auf einer Burg aufgewachsen?“

Jannik nickte. „Mein Cousin Adolar hat jetzt den Grafentitel, aber das ist okay. Ich habe mir hier in Berlin eine neue Heimat geschaffen. Wenn ich will, kann ich jederzeit auf die Burg. Helena und ich werden dort unsere Flitterwochen verbringen.“

„Das ist ziemlich romantisch, Herr Cerný.“

Jan wurde doch tatsächlich leicht rot. „Danke. Aber es würde mich freuen, wenn Sie mich Jan oder Jannik nennen würden.“

„Dann bestehe ich auf Monika.“ Sie rieb ihm sanft über den Oberarm in einer sehr mütterlichen Geste.

Jan sah kurz zu seiner Verlobten und deren Freundin. „Helena bedeutet die Freundschaft mit Hanna wirklich unglaublich viel, Monika. Es tat ihr weh, die drei Monate nicht mit ihr in Kontakt treten zu können.“

„Dabei hätte Hanna sich gern um Helena gekümmert. Sie hat sich große Sorgen gemacht. Am liebsten hätte sie Stavros gezwungen, ihr zu sagen, wo sich Lena befindet und wollte zu ihrer Rettung schreiten.“

Jan grinste und sein Engelsgesicht bekam etwas Spitzbübisches. „Ja, das glaube ich gern. Hanna ist eine Frau, die mir sehr selbstbewusst und energisch vorkommt.“

„Stur, spitzzüngig und nachtragend“, ergänzte Monika, grinste aber dabei.

„Wir sollten jetzt zum See fahren!“, schlug Helena vor und winkte den Männern zu.

Kapitel 3: „Hat dir die Krankheit den Brägen püriert?“

Das Restaurant lag in der Nähe des Großen Wannsee direkt am Havelufer. Es gab zwei Bootanlegeplätze und ein kleines Bootshaus. Wenn man wollte, konnte man sich entweder ein Ruderboot oder ein Tretboot mieten.

Vom Wasser gingen steinerne Stufen zu dem Restaurant hinauf, das eine riesige Terrasse hatte. Markisen, die je nach Wetterlage ein- oder ausgefahren werden konnten, leuchtete in gelb und weiß. Überall standen Blumenkübel und –kästen, deren Pflanzen und Blumen sehr gepflegt wirkten. Vor der Terrasse gab es noch eine große, freie und gepflegte Rasenfläche, die allerdings etwas uneben erschien.

„Was meinst du, Tobi? Kann man hier ein transportables Tanzparkett auslegen?“ Jan hatte sich hingehockt und strich mit seiner Hand über den Rasen. Tobias hockte sich neben seinen Freund, strich über den Rasen, nahm etwas Erde in seine Hände und begutachtete die Ebenmäßigkeit der Fläche.

„Man müsste ein Gitter legen, das ausbalanciert werden sollte. Dann kann man darauf den Steckparkett legen. Alles in dem Erdboden verankern und es hält.“

„Könntest du dich darum kümmern, mein Trauzeuge?“ Jan grinste seinen Freund entwaffnend an.

„Wusste ich doch, dass die Trauzeugennummer in Arbeit ausartet.“ Tobias grinste zurück. „Klar doch. Aber wie ich euch beide kenne, gibt es noch mehr, was ich und auch Hanna tun sollen, stimmt´s?“

Jan kratzte sich verlegen am Hinterkopf, sah seine Verlobte Hilfe suchend an. „Na ja, da gibt es schon noch ein paar Punkte.“

„Monika, könnten wir uns demnächst zusammensetzen und über die Blumenarrangements reden?“ Helena sah die ältere Frau bittend an. „Ich meine, du bist Floristin und hast immer so einen tollen Geschmack und so.“

Monika lachte laut los. „Aber ja doch. Du musst mir nur definitiv sagen, welche Blumen oder Pflanzen auf gar keinen Fall dabei sein dürfen und welche auf jeden Fall dabei sein müssen. Und über die Farben müssen wir uns Gedanken machen.“

„Und ich?“ Hanna sah ihre Freundin leicht misstrauisch an.

„Also, wir brauchen Hilfe bei der Sitzplatzbelegung. Und da ist dein Organisationstalent dringend gefragt. Außerdem musst du mit mir mein Brautkleid aussuchen gehen. Und wir beide müssen dein Kleid als Trauzeugin aussuchen, in Ordnung?“

„Gern. Hast du schon ein paar Brautgeschäfte ausfindig gemacht, die in Betracht kommen würden?“

Helena schüttelte den Kopf.

„Ich habe einige Adressen.“

Alle sahen erstaunt zu Tobias. Er lächelte verlegen.

„Na ja. Einige meiner Angestellten haben in den letzten zwei Jahren eine Art Hochzeitsmarathon aufgestellt. Die kann ich fragen, welches Geschäft sie empfehlen. Außerdem kenne ich selbst zwei Geschäfte, wo wir bei Turnieren und Auftritten fündig werden. Vielleicht hilft das auch.“

Helena strahlte. „Klasse Tobi!“

„Und es wäre toll, wenn du uns bei der Entscheidung für das Catering hilfst, Hanna“, sagte Jan und legte seinen Arm um Helenas Taille.

Hanna nickte. „Mache ich. Aber erwartet nicht, dass ich mich überall durch futtere. Das geht höllisch auf die Figur.“

„Da kann ich helfen!“, meldete sich wieder Tobias, wurde aber etwas rot, als Hanna ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen ansah. „Ich meine, beim Probieren kann ich helfen. Ich kann unheimlich viel Essen und nehme einfach nicht zu.“

>Witzbold! <, dachte Jan.

>Ist doch wahr. Seitdem ich diese Visionen habe ist mein Grundumsatz erheblich gestiegen. Da kann ich mich doch durchfuttern.<

„Da ist noch etwas.“ Helena druckste herum, sah Jan vorsichtig an.

„Wir wollen die Party mit einem speziellen Tanz eröffnen. Einem Tango“, sagte der Bräutigam.

„Wow!“ Hanna riss die Brauen hoch. „Du kannst Tango tanzen, Jan?“

„Ja. Ich brauche nur eine Auffrischung. Tobi?“

„Klar. Ich denke, zwei oder drei Termine müssten bei dir reichen, Kumpel. Helena?“

„Ich brauche auch nur eine Auffrischung. Aber ….“ Sie schielte zu Hanna hinüber und wurde rot.

Hanna gefiel dieser Blick nicht. Ganz und gar nicht. „Lena?“

„Wir möchten einer Tradition folgend den Tanz gemeinsam mit den Trauzeugen eröffnen.“

Janniks Ansage bescherte Hanna ein heftiges Rauschen in den Ohren. Sämtliches Blut wich aus ihrem Gesicht und landete in den Füßen. Der Mund war staubtrocken und weit aufgerissen.

„Hat dir die Krankheit den Brägen püriert?“, donnerte Hanna Helena entgegen.

Die Heftigkeit, mit der Hanna diese sehr unfreundlichen Worte ausstieß, verwunderte alle, bis auf Monika und Helena.

„Johanna! Das kannst du doch nicht sagen!“ Monika war trotzdem schockiert.

„Und ob. Das kann nur ein sehr verspäteter Aprilscherz sein!“ Hannas Stimme klang leicht schrill vor Panik.

„Hanna. Bitte. Es würde mir so viel bedeuten.“ Helena ließ Jannik los und nahm die Hände ihrer Freundin in ihre.

„Lena, ich verstehe deinen Wunsch, wirklich. Aber wie um Himmels Willen willst du dieses Wunder geschehen lassen, häh?“

Helena blickte zaghaft lächelnd zu Tobias. „Könntest du ihr das Tanzen bei bringen, Tobi? Ich meine, es sind noch über neun Wochen bis zur Hochzeit und sie muss ja auch nur die Grundlagen tanzen können.“

Tobias hatte seine Augenbrauen hochgezogen und bisher kein Wort gesagt. Es verwunderte ihn nur zutiefst, mit welcher Vehemenz Hanna reagiert hatte. Vorsichtig drang er in Hannas Gedanken ein, kam aber nicht weit. Ein unglaubliches Durcheinander an Gefühlen und Gedanken schleuderten ihn regelrecht zurück.

„Whoa!“

„Siehst du? Er findet die Idee auch nicht berauschend!“ Hanna funkelte Helena wild an.

„Das meinte ich eben nicht, Hanna. Wirklich nicht. Ich bin nur über deine heftige Reaktion überrascht.“

„Helena nicht, denn sie weiß, warum ich so reagiere, nicht wahr?“

„Süße, die Tanzlehrer damals waren eben nicht wie Tobi. Er ist wirklich geduldig und einfühlsam. Er schafft das ganz bestimmt.“

„Vor oder nachdem ich ihm aus Versehen irgendwelche Knochen gebrochen habe?“

Helena blickte betreten zu Boden.

Monika bekam einen Lachanfall. Sie stand da und schüttelte sich regelrecht. „Meine Güte! Du denkst doch etwa nicht an diesen Vorfall?“

„Vorfall?“ Hannas Stimme kiekste etwa zwei Oktaven höher als sonst. „Ich habe es in drei Tanzschulen versucht. Dem letzten Tanzlehrer habe ich den Mittelfußknochen gebrochen, als ich ihn mit meinem Absatz traf! Eure Haftpflichtversicherung musste dem Mann Schmer­zensgeld zahlen.“

Tobias sah Hanna erstaunt an, schmunzelte dann aber. „Interessant.“

Hannas Augen gingen auf Halbmast. „Bist du masochistisch oder was?“

Tobias rieb sich mit der Hand über den Mund, blickte kurz zu Lyssa, die ein paar Meter weiter auf einer Schaukel saß und aufmerksam zugehört hatte.

„Kommt darauf an, um was es geht.“ Seine Stimme war sehr leise.

Hannas Kinnlade klappte runter und sie wurde puterrot. Die Deutlichkeit, die hinter der Aussage stand, war ihr nicht entgangen.

„Tobias!“ Helena blitzte Jans Freund an.

>Was denn? Sie hat angefangen!<, wollte er eigentlich sagen, aber Janniks kaum merkliches Kopfschütteln bremste ihn.

„Entschuldige, Hanna. Das war unpassend. Ist mir so rausgerutscht.“

Bevor Hanna irgendetwas sagen konnte, zog Helena sie ein paar Meter weit weg. „Nana. Du bist meine beste Freundin. Ich würde dich nicht darum bitten, wenn es mir erstens nicht unglaublich wichtig wäre und ich zweitens nicht davon überzeugt wäre, dass Tobi es schaffen kann. Das du es schaffen kannst! Bitte!“

Helenas dunkle Augen waren eine Nuance heller geworden, so schien es Hanna. Sie schimmerten sogar leicht silbrig. Aber das war es nicht, was Hannas Gemüt beruhigte.

Seit ihrer Kindheit war es Helena, die immer für Hanna da gewesen war. Ob es um Hilfestellung bei dem Schulstoff ging, andere Mädchen, die Hanna ärgerten oder die erste Liebe, die ihr fast das Herz gebrochen hatte. Immer war es Helena, die da war und sie aufgefangen hatte. Und Helena hatte nie etwas im Gegenzug verlangt. Sie war einfach nur da.

Hanna schämte sich plötzlich. War es denn wirklich zu viel verlangt, wenn sie einmal über ihren Schatten springen würde?

„Okay, ich mache es.“ Hanna umarmte Helena. „Entschuldige. Ich habe Panik bekommen. Ich habe dich nicht verdient, Süße. Es tut mir Leid.“

„Ich muss mich entschuldigen, Nana. Ich hätte dich damit nicht so überfallen sollen.“

Die beiden Frauen standen eng umschlungen da und ließen die Freundschaft, die zwischen ihnen war wie einen schützenden Kokon neu wachsen.

„Ich will ja nicht taktlos sein,“, begann Tobias, als die beiden Frauen zur Seite gegangen waren. „aber hat Hanna wirklich einem Tanzlehrer den Fuß gebrochen?“ Seine grünbraunen Augen blickten Monika Martens fragend an.

Monika lächelte ihn verlegen an. „Allerdings. Hanna hat fast kein Gespür für Musik und Tanz. Kein Rhythmusgefühl. Sobald es heißt: `Lass uns tanzen! ´ versteift sie sich.“

Tobias zog kurz die Augenbraue hoch. „Jetzt verstehe ich auch, warum sie sich so hartnäckig geweigert hatte, mit mir in der Disko zu tanzen. Armes Ding.“

Jan verschränkte die Arme vor der Brust. „Wenn einer es schafft, Hanna das Tanzen beizubringen, dann du, Meister.“

Tobias warf Jan einen vernichtenden Blick zu. >Ich werde tun, was ich kann. Aber neun Wochen sind eine verdammt kurze Zeit, Bruder!<

>Lass dir was einfallen, mein Trauzeuge. Ich werde schließlich nur einmal heiraten.<

Tobias konnte das Knurren nicht unterdrücken und Jan grinste breit.

Hanna und Helena kamen zurück. Lyssa war von der Schaukel gesprungen und umarmte ihre Mutter stürmisch.

„Entschuldigt bitte meine heftige Reaktion, Leute“, sagte Hanna zerknirscht. „Es war unangebracht, unpassend und unnötig.“

Tapfer sah sie Tobias in die Augen. „Ich würde mich freuen, wenn du mir das Tanzen beibringen könntest, Tobias. Ich möchte meiner Freundin und ihrem Bräutigam die Freude machen und auf ihrer Hochzeit tanzen.“

Tobias lächelte die kleine Frau sanft an. Es imponierte ihn, dass sie ihren Stolz überwand und sich nicht nur entschuldigte, sondern ihn direkt ansprach und um Tanzunterricht bat. Schnell überflog er im Kopf seine Termine.

„Wenn du willst, können wir gleich am Dienstagabend beginnen.“

Hanna bekam wieder Herzrasen bei der Vorstellung, aber sie beherrschte sich. „Ich … muss nur wegen Lyssa ….“

„Lyssa kann am Dienstag bei mir übernachten!“, meldete sich Monika. Sie grinste ihre Enkelin breit an. „Wir verstehen uns schließlich prächtig. Und Mittwoch früh bringe ich sie zur Schule. Kein Problem.“

Tobias sah Hanna erwartungsvoll an.

„Also, wenn das so ist.“ Hanna blickte etwas unsicher zu Boden, schluckte.

„Ach, Mama! Ich bin gerne bei Oma. Das ist okay, wirklich.“

Lyssa sah ihre Mutter mit großen blauen Augen an und lächelte entwaffnend.

Hanna seufzte und ließ die Schultern sinken. „Also gut!“

Tobias verkniff sich ein triumphierendes Grinsen und kramte eine Visitenkarte von sich hervor. „Hier steht die Adresse meiner Tanzschule. Sagen wir … so gegen acht?“

Zögernd nahm Hanna die Karte entgegen. „Werden da noch andere Kurse stattfinden? Ich meine, wird es Zuschauer geben?“ Sie konnte nicht verhindern, dass sie sehr ängstlich klang.

Tobias legte den Kopf etwas schief. „Wir beide werden unter uns sein. Die beiden anderen Kurse werden in Saal 1 und 2 abgehalten. Wir haben den kleinen Saal 3. Der dient meistens nur als Aufwärmraum. Ich werde dafür sorgen, dass uns niemand stört. Versprochen.“

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