Buch lesen: «Wirtschaftsgeographie», Seite 9

Schriftart:

3.3.3Produktionsfaktor Kapital

Kapital wird oft als abgeleiteter Produktionsfaktor bezeichnet, der erst vom Menschen geschaffen werden muss. Er entsteht aus der Kombination von natürlichen Ressourcen und Arbeitskraft. Kapital ist ein Produktionsfaktor, der verschiedene Zwecke erfüllt. Er dient der effizienten Allokation (Aufteilung) der ursprünglichen Produktionsmittel Arbeit und Boden, der intertemporalen Allokation (d.h. über einen längeren Zeitraum hinweg) der Ressourcen durch Sparen und dem Durchsetzen von Innovationen durch technischen Fortschritt. Zugleich steuert er als Vermögensfaktor die Einkommensverteilung (Männer 1988). In der Ökonomie wird Kapitalbildung einerseits durch Konsumverzicht und Sparen, andererseits durch Investitionen erklärt. Konzeptionell lässt sich zwischen Sachkapital (Maschinen und Anlagen) und Humankapital (Wissen und technischer Fortschritt) unterscheiden. Angeregt durch die wirtschaftssoziologische Debatte kann ferner soziales Kapital unterschieden werden, das aus Chancen und Gelegenheiten durch soziale Beziehungen entsteht (Bourdieu 1986).

(1) Sachkapital. Als Sachkapital gelten die materiellen Ressourcen, die zur Realisierung der Produktion notwendig sind. Vor allem die industrielle Produktion von Gütern für Massenmärkte bedarf eines hohen Sachkapitalvolumens. Große und zunehmend automatisierte maschinelle Anlagen ebenso wie industrielle Vorprodukte bilden den zentralen Kapitalbestand zur Transformation von Gütern in Zwischen- und Endprodukte. Auch Dienstleistungsunternehmen haben mitunter einen hohen Aufwand an Sachkapital. So repräsentieren z. B. Transportfahrzeuge den Sachkapitalbestand von Speditions- und Transportunternehmen.

(2) Humankapital. Das von Menschen erworbene, mitgeführte und in ihnen akkumulierte Humankapital, das eine große Rolle für Arbeitseinsatz und Arbeitsteilung in der Produktion und für die Entlohnung spielt, lässt sich gut über den Wissensbegriff erschließen. Naturwissenschaftlich-technisches Wissen kann einerseits aus der Grundlagenforschung resultieren oder andererseits aus Lernprozessen in der Produktion, wie z. B. durch trial and error. Wissen ist ein immaterielles Gut, für das es allerdings keinen echten Markt und damit auch keinen Marktpreis gibt. Die Nachfrage nach und das Angebot an Wissen sind nicht genau spezifizierbar. Um den Wert von neuem Wissen genau taxieren und einen Preis festzulegen zu können, würde ein potenzieller Käufer Informationen darüber benötigen, wie er dieses neue Wissen verwenden kann. Er müsste also Kenntnisse über dieses Wissen haben. Sobald er diese Kenntnisse aber besitzt, müsste er dieses Wissen nicht mehr kaufen. In dieser Überlegung zeigt sich ein fundamentales Problem bei der Bestimmung eines Marktpreises sowohl für Informationen als auch für Wissen (Arrow 1962 b).

Bezüglich der Arten von Wissen kann zwischen explizitem, kodifiziertem Wissen (explicit, codified knowledge) und implizitem, stillem Wissen (implicit, tacit knowledge), das nicht-kodifiziert oder gar nicht-kodifizierbar ist, unterschieden werden (Nonaka 1994; Nooteboom 2000 b; Gertler 2003). Kodifiziertes Wissen ist Wissen, das z. B. in Form von Regeln oder Formeln niedergeschrieben ist. Es kann leicht weitergegeben werden und ist im Prinzip an jedem Ort erhältlich. Stilles Wissen ist demgegenüber an Personen gebunden und lässt sich nach Polanyi (1967, S. 4) daraus erklären, „that we know more than we can tell“. Polanyi (1967, Kap. 1) führt die Entstehung von tacit knowledge (genau genommen spricht er von tacit knowing) darauf zurück, dass Menschen ihre Aufmerksamkeit vollständig auf ein Ereignis lenken und dadurch den eigentlichen Ereignisauslöser nicht bewusst erleben. Beispielsweise konzentriert sich ein Anlagenfahrer in einem Industrieunternehmen ganz auf den störungsfreien Prozessverlauf und dessen Parameter und führt die konkreten Steuerungseingriffe wie beim Autofahren nicht bewusst aus. Die hierzu notwendigen Fähigkeiten können nicht erklärt, sie müssen erlernt werden. Deshalb ist der Erwerb dieses Wissens an zeitaufwendige Lernprozesse geknüpft, die andauernde Praxis vor Ort bzw. ko-präsentes Interagieren von Akteuren erfordern. Das Wissen wird laufend verändert, wenn neue Erkenntnisse vorliegen und Konventionen über neue Produkte verändert werden müssen. Es ist dadurch lokalisiert, dass Akteure als die Träger des Wissens an bestimmte Standorte gebunden sind, und kann nicht ohne Weiteres an andere Orte transferiert werden (Maskell und Malmberg 1999 a; 1999 b). Aber auch kodifiziertes Wissen kann durch Kontextualisierung in eine Form gebracht werden, die nicht leicht in andere räumliche Zusammenhänge übertragen werden kann (Asheim und Dunford 1997; Belussi und Pilotti 2002). Es ist dies der Fall, wenn das Wissen vor der Anwendung an die spezifischen Bedingungen der Produktion vor Ort angepasst werden muss, also um kontextspezifische Komponenten angereichert und somit lokalisiert wird. Die Formen kodifizierten und nicht-kodifizierten Wissens lassen sich auf eine Unterscheidung von menschlichen Bewusstseinsebenen übertragen, wie sie Giddens (1995, Kap. 1 und 2) vorschlägt. Kodifiziertes Wissen ist im diskursiven Bewusstsein verortet. Es befähigt den Akteur, sein Denken und Handeln zu explizieren. Stilles, nicht-kodifiziertes Wissen hingegen, das sich als Erfahrungswissen in Routinen befindet, ist dem praktischen Bewusstsein zuzuordnen. Menschen wenden fortwährend etablierte Routinen an, die sie wie im Beispiel des Anlagen- und des Autofahrers nicht mehr reflektieren und auch nicht mehr explizit erläutern können.

Technischer Fortschritt entsteht, wenn neues Wissen problembezogen angewendet wird und zur Verbesserung bestehender bzw. zur Schaffung neuer Produkte und Prozesse eingesetzt wird. Dies ist besonders dann wichtig, wenn es gelingt, dieses Wissen etwa in Form neuer Maschinen oder Organisationsformen, die eine effizientere Produktion ermöglichen, kommerziell umzusetzen. Die Entstehung technischen Fortschritts kann einerseits entlang eines bekannten technologischen Entwicklungspfads erfolgen, wobei bestimmte Heuristiken und Lösungsprinzipien, die sich in der Vergangenheit bewährt haben, weiter fortgeschrieben werden (Dosi 1982; 1988). Ein Beispiel für eine derartige Entwicklung technischen Fortschritts ist die Miniaturisierung in der Computer- und Halbleiterindustrie. Alternativ kann technischer Fortschritt auch durch einen Wechsel zu einem anderen neuartigen Entwicklungspfad oder durch einen fundamentalen Wechsel des zugrunde liegenden technologischen Paradigmas entstehen (→ Kap. 14.3) wie etwa beim Übergang von der Transistor- zur Halbleitertechnik (Bathelt 1991 b, Kap. 2). Die Erkenntnis, dass Wissen im Wirtschaftsprozess offensichtlich eine immer zentralere Rolle spielt, kommt darin zum Ausdruck, dass zunehmend von einer knowledge-based economy (OECD 1996; Powell und Snellman 2004) und von knowledge-based industries gesprochen wird (z. B. Strambach 1995; Park 2000).

(3) Soziales Kapital. Das Konzept des sozialen Kapitals thematisiert eine Ressource, die im Gegensatz zu Sach- und Humankapital nicht in der Verfügungsgewalt eines Akteurs oder einer Organisation liegt, sondern in der Beziehung zwischen Akteuren besteht und somit nur in Abhängigkeit von Partnern mobilisiert werden kann (→ Kap. 7.3). Soziales Kapital beschreibt das Potenzial an Chancen und Gelegenheiten, die ein Akteur oder eine Organisation durch die Beziehungen zu anderen realisieren kann (Burt 1997; Jansen 1999, Kap. 9). So stellen z. B. soziale Netzwerke zwischen Akteuren eine Form sozialen Kapitals dar, da sie die Unsicherheit der Interaktion auf der Grundlage von Vertrauen reduzieren und dadurch die Möglichkeit der Kooperation bei gemeinsamen Zielen eröffnen. Ebenso ist es möglich, durch die Realisierung sozialen Kapitals Humankapital (Coleman 1988) oder Sachkapital zu erwerben. Der Unterschied zu Human- und Sachkapital kann an folgendem Beispiel illustriert werden: Eine Fußballmannschaft mag für ein Spiel favorisiert sein, weil sie die besseren Spieler mit den größeren spielerischen Fähigkeiten, man könnte sagen das qualifiziertere Humankapital, besitzt. Dennoch aber kann sie von einer scheinbar schwächeren Mannschaft geschlagen werden, wenn diese durch gutes Zusammenspiel und eine geschlossene Mannschaftsleistung ihr soziales Kapital mobilisiert. Ein anderes Beispiel sind Netzwerke zwischen Händlern derselben ethnischen Gruppe, in denen aufgrund sozialen Kapitals eine hohe Effizienz erreicht wird (Bebbington und Perreault 1999).

Es stellt sich nun die Frage, wie Menschen die Fähigkeit bzw. Kompetenz erwerben können, soziales Kapital aufzubauen, wenn es sich hierbei doch um eine Ressource handelt, die nicht im Besitz einer einzelnen Person liegt. Diese Frage lässt sich wohl nicht allgemeingültig beantworten. Sicherlich ist der Erwerb von sozialem Kapital erfahrungsabhängig und geschieht in verschiedenen Gesellschaften aufgrund unterschiedlicher Prozesse. Für die deutsche Gesellschaft kann man sich vorstellen, wenn man das Beispiel der Fußballmannschaft aufgreift, dass insbesondere Erfahrungen im Mannschaftssport für den Aufbau von sozialer Kompetenz von Bedeutung sein könnten. Bastian (2000, Kap. III.2) argumentiert, dass Musikerziehung in diesem Zusammenhang ebenfalls eine wichtige Rolle spielt und belegt dies anhand von Langzeitstudien an Berliner Schulen. Durch Musizieren im Ensemble lernen Kinder und Jugendliche fast spielerisch, miteinander zu kooperieren, aufeinander zuzugehen und gemeinsam Verantwortung zu tragen. Damit erfahren sie, so Bastian (2000, Kap. III.2), wie bedeutsam es sein kann, eigene Leistungen in das gelingende Gesamtergebnis einzubringen.

3.3.4Relationale Sichtweise von Ressourcen

Der Einsatz von Produktionsfaktoren allein kann nicht die große Heterogenität von Strategien und technologischen Entwicklungen von Unternehmen in räumlich differenzierten Produktionskontexten erklären. Strategische Differenzierung, Innovativität, Organisation und letztlich der Erfolg von Unternehmen wird weniger von den Produktionsfaktoren per se bestimmt, sondern vielmehr von der kreativen Verwendung und Kombination dieser Faktoren. Daher steht in einer relationalen Perspektive nicht die Ressource als unteilbarer Faktor im Mittelpunkt der Betrachtung, sondern die Möglichkeit, sie unterschiedlichen Verwendungen zuzuführen (Glückler und Bathelt 2003). Eine Ressource ist mit Penrose (1959) definiert als Bündel potenzieller Verwendungen. Die Unterscheidung zwischen Ressourcen und ihren Verwendungen ist erforderlich, denn Ressourcen können zwar unabhängig von ihrer Verwendung beschrieben und erworben werden, aber es sind erst die spezifischen Verwendungen, die als eigentliche Inputs in den Produktionsprozess eingehen, den Wert der Ressource ausmachen und zur Basis der Wettbewerbsfähigkeit werden.

So ist Erdöl zwar weltweit der wichtigste Rohstoff zur Primärenergiegewinnung, jedoch fließen nur etwa 80 % des Erdöls in die energetische Nutzung für Wärme und Kraftstoff. Der restliche Teil wird zur Herstellung unterschiedlichster Erzeugnisse speziell in der Petrochemie oder der pharmazeutischen Industrie genutzt. Etwa 90 % der Produktion organischer Chemikalien basieren auf Kohlenwasserstoffen, die aus Erdöl gewonnen werden. So dient Erdöl zur Herstellung von Kunststoffen, Lösungs-, Schmier- und Waschmitteln, Medikamenten und Farben. Schließlich wird Erdöl auch als Baustoff zur Herstellung von Asphalt, Dachpappen oder Schutzanstrichen benutzt (Amecke 1987; Chapman 1991; MWV 1996). Unternehmen nutzen spezifisches Wissen, Marktgelegenheiten und zusätzliche Ressourcen, um die Ressource Erdöl in eine ertragreiche Verwendung zu übertragen. Ohne diese Verwendung lässt sich wenig über die Wettbewerbsfähigkeit oder den Profit eines Unternehmens aussagen (Glückler und Bathelt 2003). Penrose (1997, S. 31) wählt den Begriff der Ressource vor allem deshalb, weil der klassische Begriff des Produktionsfaktors keine Unterscheidung trifft zwischen der Ressource und dem produktiven Dienst, der durch diese Ressource erzielt wird: „Strictly speaking, it is never resources themselves that are ‘inputs’ in the production process, but only the services that the resources can render“.

In relationaler Perspektive werden neben den klassischen Produktionsfaktoren auch andere Ressourcen betrachtet, die in interaktiven, häufig unternehmensübergreifenden Prozessen erzeugt, bewertet und spezifischen Verwendungen zugeführt werden. Die Ressourcen selbst determinieren somit keine spezifische Verwertung, sondern sie bilden hinsichtlich ihrer Nutzung die Grundlage für kontextualisierte und kontingente Entscheidungen. Um etwa die Wettbewerbsfähigkeit oder strategische Optionen zu bestimmen, muss der Blick nicht auf die Ressourcen selbst, sondern auf den sozialen und institutionellen Kontext der möglichen Verwendungen gelenkt werden (Penrose 1959). Einige Ressourcen sind dahingehend relational, dass keine individuellen Eigentums- oder Verfügungsrechte für sie bestehen oder erworben werden können. Nicht die Ressourcen selbst, sondern nur ihre potenziellen Erträge können einzelnen Personen oder Unternehmen zugerechnet werden, wie die Beispiele von Sozialkapital (→ Kap. 7.3), Wissen und Macht (→ Kap. 8 und 11.3) deutlich machen. Die Erträge sind wiederum abhängig vom Handeln der beteiligten Akteure und dem jeweiligen institutionellen Kontext.

Diese relationale Sichtweise hat Konsequenzen für das Unternehmensverständnis, wie das Beispiel materieller Ressourcen zeigt. So werden Unternehmen traditionell über Outputs, d. h. über ihre Produkte, definiert. In einer ressourcenorientierten Perspektive (resource-based view) werden hingegen gerade die Inputs betrachtet. Unternehmen werden hierbei als Bündel von Ressourcen aufgefasst und über ihr jeweils spezifisches Ressourcenprofil beschrieben (Mahoney und Pandian 1992). Wenn man Unternehmen auf diese Weise betrachtet, stellt sich die Frage, unter welchen Verwendungen bestimmte Ressourcenprofile positiv auf die Gewinnsituation bzw. Wettbewerbsfähigkeit wirken (Wernerfelt 1984). Erst durch die analytische Trennung zwischen einer Ressource und der Vielzahl ihrer möglichen Verwendungen lässt sich die Heterogenität und strategische Einzigartigkeit von Unternehmen erklären.

Ressourcen sind nicht nur Bündel möglicher Verwendungen, sondern zugleich Quellen möglicher Gewinne. Unternehmen erzielen nicht notwendigerweise deshalb höhere Gewinne, weil sie bessere Ressourcen haben, sondern auch, weil sie bestehende Ressourcen besser oder anders nutzen können als andere (Maskell 2001 a). Unternehmen sind stets auf der Suche nach der Erschließung höherer Gewinne oder Renten, wobei vier Typen von Renten unterschieden werden können (Mahoney und Pandian 1992):

(1) Die Ricardianische Rente bezieht sich auf Gewinne aus dem Besitz immobiler Ressourcen, wie z. B. dem Boden. Nach Ricardo (1996 [1817], S. 45) handelt es sich dabei um „that portion of the produce of the earth which is paid to the landlord for the use of the original and indestructible powers of the soil“.

(2) Monopolrenten beziehen sich auf höhere Gewinne, die aufgrund einer Monopolsituation etwa durch staatlichen Schutz (z. B. Patentschutz) oder durch Kollusion in einem oligopolistischen Markt ermöglicht werden.

(3) Die Unternehmerrente oder Schumpeter’sche Rente ist eine temporäre Monopolrente, die sich auf Gewinne aus einem kurzfristigen Technologie- oder Wettbewerbsvorsprung bezieht. Durch Nachahmung reduziert sich die Unternehmerrente im Zeitablauf und ist somit nicht dauerhaft gesichert.

(4) Unternehmen können aber auch Renten aus unternehmensspezifischen Ressourcen schöpfen. Dabei handelt es sich um Quasi-Renten. Eine Quasi-Rente ist definiert als Differenzbetrag der Gewinne zwischen der erstbesten und der zweitbesten Nutzung einer Ressource (Mahoney und Pandian 1992). Quasi-Renten können aus einmaligen oder spezifischen Ressourcen sowohl materieller als auch immaterieller Art gewonnen werden.

Ein relationaler Ressourcenbegriff bezieht sich auf die Vielfältigkeit möglicher Nutzungen einer Ressource, wobei die spezifische Verwendung nicht nur von der Ressource selbst, sondern gleichzeitig von weiteren Rahmenbedingungen abhängt:

(1) Unternehmensspezifische Kompetenzen. Ein Unternehmen hat jeweils einen spezifischen Wissensstand, Fähigkeiten und Erfahrungen, die dazu führen, dass bestimmte Verwendungen einer Ressource identifiziert werden. Erst diese Kompetenzen ermöglichen es, Ressourcen auf bestimmte Weise in den Produktionsprozess einzubinden und so zu einer Verwendung zu gelangen. Das Wissen und die Kompetenzen des Unternehmens können dabei wiederum selbst als Ressourcen aufgefasst werden (Amin und Cohendet 2004).

(2) Mentales Modell. Die Kompetenzen eines Unternehmens sind Ausdruck und Bestandteil eines übergeordneten Interpretationsrahmens bzw. mentalen Modells (dominant logic) (Prahalad und Bettis 1986). Dieser Interpretationsrahmen gibt dem Einsatz der vorhandenen Kompetenzen eine Orientierung und ermöglicht ein gemeinsames Verständnis über die Wissensinhalte. Die Interpretationen, die Mitarbeiter den unternehmensinternen und -übergreifenden Informationsflüssen verleihen, haben dabei Einfluss auf die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens. Sie sind abhängig von den evolutionär geformten Routinen, mit denen neue Informationen verarbeitet, interpretiert und in Aktionen umgesetzt werden. Nelson und Winter (1982) erkennen in den organisatorischen Routinen die eigentlichen Fähigkeiten eines Unternehmens. Nur in dem Maße, in dem neue Interpretationsschemata entwickelt und verbreitet werden, kann bestehendes Wissen umgewidmet und zur Bildung neuen Wissens sowie zur innovativen Nutzung bestehender Ressourcen genutzt werden (Becker 2004).

(3) Marktgelegenheiten. Schließlich hängt die Realisierung einer innovativen Verwendung auch von den Marktgelegenheiten ab (productive opportunity) (Penrose 1959), unter denen spezifische Kompetenzen kombiniert und abgestimmt werden, um erfolgreich zu sein. Diese Gelegenheiten sind von der Wettbewerbssituation, der Nachfragestruktur und dem Umfeld vor- und nachgelagerter Unternehmen abhängig, die in der Lage sind, innovative Ressourcenverwendungen vorzubereiten und weiterzuverarbeiten.

Diese Sicht verdeutlicht, dass die Ausstattung mit materiellen Ressourcen keineswegs ausreicht, um die Produkte, Strategien, kollektiven Fähigkeiten und den Entwicklungspfad eines Unternehmens zu erklären. Entscheidend ist vielmehr die geeignete Kombination von Ressourcen, Kompetenzen, mentalen Modellen, Marktgelegenheiten sowie institutionellen Kontexten, um Ressourcen produktiv und innovativ zu verwenden und somit die Wettbewerbsstellung zu stärken.

3.4Neoklassischer Markttausch

Die Bedürfnisbefriedigung wird durch den Austausch von Gütern (bzw. von Produktionsfaktoren) letztlich über die Beziehungen zwischen Konsumenten und Produzenten geregelt, die ein Angebot und eine Nachfrage definieren (z. B. Demmler 1990, Kap. 2 und 6; Lipsey et al. 1993, Kap. 4). Aufgrund des Interessengegensatzes zwischen den Anbietern, die ihre Güter zu möglichst hohen Preisen verkaufen möchten, und Nachfragern, die Güter umgekehrt möglichst preiswert erwerben möchten, muss für jeden Tausch ein Kompromiss gefunden werden, um eine Gütertransaktion durchzuführen. Das Instrument, das diesen Kompromiss zwischen Angebot und Nachfrage herstellt, ist der Markt. In der neoklassischen Ökonomie gilt das Interesse hierbei nicht den einzelnen beobachtbaren und lokalisierten Märkten wie z. B. dem Gemüse-, Tulpen- oder Pferdemarkt, sondern dem Markt als abstraktem Koordinationsprinzip (Jevons 1871, Buch IV; Marshall 1990 [1920], Buch V).

Der entscheidende Ausgleichsmechanismus des Interessenkonflikts von Angebot und Nachfrage ist der Preis. Die Nachfrage ist allgemein so strukturiert, dass mit sinkendem Preis (p) die nachgefragte Menge (x) zunimmt. Demgegenüber ist die angebotene Menge umso größer, je höher der Preis ist. Dieser strukturelle Interessengegensatz zwischen Angebot und Nachfrage wird auf dem Markt über den Preis zum Ausgleich gebracht. Dies lässt sich in einem Preis-Mengen-Diagramm zeigen, in das eine fallende Nachfrage- (N) und die zugehörige steigende Angebotsfunktion (A) eingezeichnet sind (→ Abb. 3.7). Es zeigt sich, dass nur in einem einzigen Punkt, d. h. bei einer einzigen Preis-Mengen-Konstellation, Angebot und Nachfrage in Einklang gebracht werden können. Diese Konstellation wird als Gleichgewicht bezeichnet. Im Preis-Mengen-Diagramm lässt sich anschaulich verdeutlichen, wie sich der Gleichgewichtspreis und die Gleichgewichtsmenge verändern, wenn sich die Angebots- und Nachfragebedingungen verändern:

(1) Sinkende Herstellungskosten bewirken beispielsweise, dass sich die Angebotsfunktion nach unten verschiebt (→ Abb. 3.7 a). Dies führt dazu, dass ein neues Gleichgewicht entsteht. Gegenüber der Ausgangssituation hat sich der Preis verringert, aber die Absatzmenge ist angewachsen. Ob sich dadurch die Umsatzsituation der Hersteller verbessert, hängt von der sogenannten Preiselastizität der Nachfrage ab, d. h. davon, ob die positiven Umsatzeffekte durch den Mengenzuwachs größer sind als die entgegen­gerichteten Auswirkungen durch den Preis­rückgang.

(2) Wenn sich, ausgehend von einem Marktgleichgewicht, die Nachfrage erhöht (→ Abb. 3.7 b), so hat dies ebenfalls Auswirkungen auf Preis und Menge (McGuigan und Moyer 1993, Kap. 11). Ein Anstieg der Nachfrage kann z. B. dadurch ausgelöst werden, dass höhere Einkommen zur Verfügung stehen. In diesem Fall verschiebt sich die Nachfragefunktion nach rechts. Das in dieser Situation resultierende neue Marktgleichgewicht ist durch einen höheren Preis und eine höhere Menge gekennzeichnet.

(3) Eine wiederum andere Art der Marktanpassung findet statt, wenn der Staat eine neue indirekte Steuer einführt oder die bestehende Mehrwertsteuer erhöht (→ Abb. 3.7 c). Dies führt dazu, dass die Angebotskurve nun einen steileren Verlauf hat, sich folglich gegenüber der ursprünglichen Angebotskurve nach links dreht. Die sich einstellende neue Gleichgewichtssituation ist dadurch gekennzeichnet, dass sich der Preis bei einem gleichzeitigen Mengenrückgang erhöht.


Abb. 3.7 Marktwirtschaftliche Preisbildung

Trotz der Plausibilität der dargestellten Gleichgewichtsmechanismen unterliegt die Möglichkeit eines stabilen Gleichgewichts einer Reihe sehr restriktiver Annahmen. Entsprechend dem Jevons Gesetz von der Unterschiedslosigkeit der Preise, formuliert von dem britischen Nationalökonomen William Stanley Jevons (1871), kann nur in einem vollkommenen Markt wie oben dargestellt ein einziger stabiler Gleichgewichtspreis entstehen. Ein Markt gilt dann als vollkommen, wenn

 die Güter homogen und somit für die Nachfrage völlig gleichwertig sind;

 Anbieter und Nachfrager gewinn- bzw. nutzenmaximierende Motive verfolgen, über vollständige und somit identische Informationen verfügen und völlig rational entscheiden;

 weder zeitlich, räumlich, persönlich oder sachlich variierende Präferenzen bestehen.

Damit ein Verkauf aller angebotenen Güter erfolgt (vollständige Markträumung), wird in der klassischen Markttheorie angenommen, dass Angebot und Nachfrage stets aufeinander abgestimmt sind. So impliziert das Say’sche Theorem, dass in einer geschlossenen Volkswirtschaft eine allgemeine Überproduktion über die Nachfrage hinaus unmöglich sei, da jedes Angebot in demselben Umfang kaufkräftige Nachfrage schaffe, die durch Faktoreinkommen und Gewinne dem Wert der Güter entspreche (Demmler 1990). Ohne nach den Ursachen der Nachfrage zu fragen, geht das Theorem davon aus, dass sich jedes Angebot bei variablem Preis seine entsprechende Nachfrage selbst schafft. In einem marktwirtschaftlichen System und unter den Bedingungen eines vollkommenen Markts führt der Preis folglich zu einem Interessenausgleich zwischen Angebot und Nachfrage. Über den Preis erhalten die Produzenten Informationen darüber, welche Menge sie auf dem Markt anbieten müssen bzw. können.

Entspräche dieses perfekte Marktmodell der Realität, so würde ein universeller Markt existieren, der in geographischer Perspektive keine Unterschiede erkennen ließe und auch keine besonderen Fragen aufwerfen würde. Wenngleich Ökonomen wie Jevons (1871) davon überzeugt waren, dass alle Marktteilnehmer immerzu auf perfekte Märkte hinarbeiteten, wird selbst in der neoklassischen Lehre auf die Unvollkommenheit realer Märkte hingewiesen. So identifizierte beispielsweise bereits Marshall (1990 [1920], V.I.7) den Transport als eine Quelle der Marktunvollkommenheit: „the more nearly perfect a market is, the stronger is the tendency for the same price to be paid for the same thing at the same time in all parts of the market: but of course if the market is large, allowance must be made for the expense of delivering the goods to different purchasers; each of whom must be supposed to pay in addition to the market price a special charge on account of delivery“. Traditioneller Ansatzpunkt der Wirtschaftsgeographie sind in den klassischen Standorttheorien eben diese Transportkosten, die zu einer räumlichen Differenzierung der Preise von Gütern führen und somit das Marktgleichgewicht aufheben. Entsprechend lassen sich räumliche Grenzen von Märkten ableiten. Im nächsten Teil des Buchs über raumwirtschaftliche Ansätze werden ausführlich verschiedene Erklärungsansätze dargestellt und diskutiert, die zeigen, dass es aufgrund von Transportkosten zu spezifischen Standortentscheidungen und Raumnutzungsmustern kommt (→ Kap. 5 und 6).

Darüber hinaus gibt es in realen Märkten vielfältige Verletzungen der restriktiven Annahmen des klassischen Marktmodells (→ Kap. 8), wodurch der Preis nicht oder nur bedingt als Koordinations- und Lenkungsinstrument von Angebot und Nachfrage wirkt. Man spricht dann in der Ökonomie von Marktversagen (Endres 2000, Kap. 5 und 6). Marktversagen ist z.B. dann gegeben, wenn sich anstelle einer Wettbewerbssituation bei vollständiger Konkurrenz, bei der eine große Anzahl kleiner Anbieter einer Vielzahl kleiner Nachfrager gegenübersteht, eine Konzentration der Angebotsseite auf eine geringe Anzahl großer Unternehmen (Oligopol) oder gar auf nur ein einziges Unternehmen (Monopol) einstellt. Diese wenigen Unternehmen können beispielsweise ihre Marktmacht missbrauchen und überhöhte Preise verlangen. Märkte werden daher nach der Anzahl der Marktteilnehmer und deren relativem Gewicht in verschiedene Marktformen unterteilt (→ Abb. 3.8) (Friedman 2002 [1912]).


Abb. 3.8 Marktformen (nach Mühlbradt 2001)

Eine zweite Ursache für Marktversagen ergibt sich infolge der Wirkung externer Effekte (Stigler 1951; Schlieper 1988). In der Wirtschaftstheorie liegen externe Effekte vor, wenn die Produktion oder der Konsum von Gütern mit zusätzlichen Kosten (negative externe Effekte z. B. durch Schadstoffemissionen) oder mit zusätzlichen Gewinnen (positive externe Effekte z. B. durch Wissenstransfers) für Dritte verbunden ist, die sich nicht in den Preisen der Güter widerspiegeln (OECD 1993). Es handelt sich dabei um „services (and disservices) rendered free (without compensation) by one producer to another“ (Scitovsky 1954, S. 143). Externe Effekte treten immer dann auf, wenn Eigentumsrechte nicht vollständig zugewiesen werden können. Ein Beispiel hierfür ist etwa die unternehmensinterne Aus- und Weiterbildung von Mitarbeitern, deren Humankapital bei späteren Arbeitsplatzwechseln dem neuen Arbeitgeber zugutekommt.

Eine dritte Ursache für Marktversagen liegt in der Unvollständigkeit bzw. der asymmetrischen Verteilung von Informationen über transaktionsrelevante Bedingungen (Akerlof 1970). Wenn Anbieter oder Nachfrager nicht über vollständige Markttransparenz verfügen, wie z.B. auf Finanz- und Kreditmärkten (Handke 2011, Kap. 2), so treffen sie Transaktionsentscheidungen aufgrund unterschiedlicher Bedingungen, was nicht zu einem echten Gleichgewichtspreis führt.

Schließlich scheitert der Marktmechanismus viertens bei der Produktion von Kollektivgütern, bei denen es aufgrund der Möglichkeit des Trittbrettfahrens zu Anreizen kommen kann, sich nicht an der Produktion dieser Güter zu beteiligen und dennoch an dessen Konsum bzw. Gebrauch zu partizipieren, wie z. B. bei der Herstellung einer sauberen Umwelt oder der Entwicklung neuen Wissens (Glückler und Hammer 2015).

In einem planwirtschaftlichen System legt der Staat im Unterschied zur Marktwirtschaft fest, welche Bedürfnisstruktur wie befriedigt werden soll. Vereinfacht dargestellt bestimmt er die produzierte Menge und den zu zahlenden Preis (Lipsey et al. 1993, Kap. 6). Dies muss aber nicht mit den tatsächlichen Bedürfnissen korrespondieren, denn die Nachfragekurve, die ja menschliche Bedürfnisse widerspiegelt, existiert nach wie vor. In den osteuropäischen Planwirtschaften zeigten sich die Probleme derartiger Wirtschaftssysteme in der Nachkriegszeit sehr deutlich. So wurden einige Güter wie etwa Grundnahrungsmittel staatlich subventioniert und zu einem geringeren Preis angeboten als der, der sich in einem marktwirtschaftlichen System ergeben hätte. Dies führte zu staatlichen Verlusten. Bei anderen Gütern wie z. B. Luxusgütern, die zu einem staatlichen Gewinn hätten führen können, wurde zwar ein höherer Preis als der Marktpreis verlangt, dafür aber schlug die Mengenplanung fehl. Insgesamt entstanden massenweise unbefriedigte Bedürfnisse. Dies mag auch erklären, warum der Preis für gebrauchte Autos in der ehemaligen DDR über dem für Neuwagen lag, obwohl dieser Preis bereits über demjenigen lag, der sich unter Marktbedingungen in einer offenen Volkswirtschaft gebildet hätte. Es soll hier nicht die Überlegenheit des marktwirtschaftlichen gegenüber dem planwirtschaftlichen System dokumentiert, sondern lediglich festgestellt werden, wie bedeutsam Preise als Koordinationsinstrumente sind, da sie die Handlungen einer Vielzahl von Akteuren dezentral beeinflussen und auf einen Interessenausgleich hin orientiert sind. Dieses Koordinationsinstrument kann offensichtlich durch planwirtschaftliche Elemente nicht leicht ersetzt werden. Umgekehrt zeigen wiederholte Finanz- und Wirtschaftskrisen der letzten Jahrzehnte und insbesondere in den 1990er- und 2000er-Jahren, dass Marktwirtschaften bei einem Mangel an staatlicher Lenkung allein aufgrund des Preismechanismus große Finanz- und Spekulationsblasen produzieren können, die krisenbedingt zu erheblichen Umverteilungen und Wertvernichtungen führen können (Shiller 2005; Clark 2011; Dymski 2017). Der Ausgleich von Angebot und Nachfrage kann in realen Märkten daher nicht ausschließlich dem Preismechanismus überlassen werden, sondern muss durch staatliches Handeln, das den jeweiligen Kontextbedingungen in räumlicher Perspektive angepasst ist, reguliert bzw. koordiniert werden.

35,99 €