Buch lesen: «Juristische Grundkurse - Strafrecht - Allgemeiner Teil»

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Hans-Peter Richter

Strafrecht

Allgemeiner Teil 1

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Copyright: © 2013 Name des Autors

ISBN 978-3-8442-5646-8

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Hans-Peter Richter

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1. Auflage 2013 (E-Book),

Hinweise zur Benutzung dieses E-Books:

Dieses E-Book ist für den Großteil der zurzeit verfügbaren E-Book-Reader konzipiert. Es ist möglich, dass Ihr Reader nicht alle Möglichkeiten dieses Buches unterstützt. Wir verweisen in diesem Fall an das Handbuch Ihres Readers oder an Ihren Fachhändler.

1. Kapitel – Einführung, allgemeine Grundlagen

Warum dieses Buch?

Das Angebot an Lehr- und Lernbüchern und sog. Skripten ist inzwischen nahezu unüberschaubar. Wie sollen sich also Studierende orientieren, die einen Einstieg in das Strafrecht suchen?

Während die Professoren überwiegend das klassische Lehrbuch empfehlen (am Liebsten natürlich das eigene!) und alle Arten von Skripten verteufeln, greifen Studierende zu Recht lieber zu leichterer und preiswerterer Kost. Diesem Bedürfnis der Studierenden nach einer knappen aber ausreichenden Darstellung trägt dieser Grundkurs Strafrecht Allgemeiner Teil 1 Rechnung. Es werden die wesentlichen Grundzüge des Allgemeinen Teils des StGB verständlich erläutert und an einfachen Fällen veranschaulicht. Durch Wiederholungsfragen wird schließlich eine Lernkontrolle ermöglicht.

So können Studierende wegen des überschaubaren Umfangs und der leicht nachvollziehbaren Art der Darstellung die wesentlichen Grundlagen des Stoffs in kurzer Zeit erarbeiten.

Um diesem Anliegen gerecht zu werden, wurde bewusst auf die Verarbeitung von Literatur und Rechtsprechung in Form von Zitaten weitgehend verzichtet und die sprachliche wie gedankliche Ausgestaltung sind ebenfalls diesem Zweck angepasst, um so ein möglichst unproblematisches Durcharbeiten zu gewährleisten.

Der Stoff wird nur soweit vertieft wie es nötig ist, so dass der „rote Faden“ zum ersten Verständnis erhalten bleibt. Dementsprechend werden Streitstände und abweichende Ansichten nur an unumgänglichen Stellen erwähnt (auch wenn dabei bewusst die sog. „Wissenschaftlichkeit“ des Werkes auf der Strecke bleibt!).

Dieses Buch will und kann das „klassische Lehrbuch“ oder eine gute Vorlesung nicht ersetzen sondern es soll diese Lehrangebote ergänzend vorbereiten.

Die Gebrauchsanweisung für dieses Buch

Das Buch enthält jeweils drei große Blöcke:

1. Stoffvermittlung

2. Fallbearbeitung

3. Wiederholung / Lernkontrolle

Die Stoffvermittlung enthält eine straffe Darstellung der wesentlichen Grundzüge des zu behandelnden Stoffes.

In der Fallbearbeitung wird die Anwendung dieses Stoffes auf einen einfachen Fall geübt.

Die Lernkontrolle / Wiederholung erfolgt anhand von Fragen zum vorangegangenen Stoff. Die stichwortartigen Antworten sollte man zunächst für eine ernsthafte Selbstkontrolle abdecken.

Zu Beginn sollte der Leser den jeweiligen Stoff gründlich erarbeiten, d.h. der Stoffteil muss gelesen, verstanden und gelernt werden! Sodann ist der Bearbeitungsfall selbständig zu lösen und anschließend mit der Musterlösung zu vergleichen. Am Ende des Kapitels sollen die Wiederholungsfragen unbedingt beantwortet werden.

Hat man auf diese Weise Kapitel für Kapitel durchgearbeitet, empfiehlt es sich, in einem zweiten Durchgang zunächst noch einmal die Fälle selbständig zu lösen. Auch die Wiederholungsfragen sollte man nochmals beantworten (aufschreiben, welche Fragen nicht gewusst wurden und im Stoffteil des Buches nacharbeiten!). Soweit Literaturangaben vorhanden sind, sollte der Leser diese vertiefende Literatur nunmehr durcharbeiten. Konnten die Wiederholungsfragen nicht beantwortet werden, sollten diese zum Schluss nochmals bearbeitet werden. Auf diese Weise ist ein optimaler Lerneffekt gewährleistet.

Die Arbeit der Studierenden

Regelmäßig beginnen Studierende ihre Studien an der Universität im Bereich des Strafrechtes mit der Erarbeitung des StGB, Allgemeiner Teil. Dies ist recht problematisch, weil gerade der Allgemeine Teil des Strafgesetzbuches derjenige ist, der aufgrund seiner Abstraktheit und seiner vielfältigen dogmatischen Schwierigkeiten ausgesprochen kompliziert und schwer erfassbar ist.

Das Lernziel besteht nun aber nicht nur aus der dogmatischen Erfassung und Durchdringung des dargelegten Stoffes „Strafrecht“, sondern es sollte zumindest auch im Erlernen der Anwendung dieses Stoffes auf Fälle liegen. Ob in den Leistungsnachweisen während des Studiums, im Examen oder später in der Praxis, stets wird der Jurist mit einem Fall konfrontiert, den er zu bearbeiten und zu lösen hat.

Der vorliegende Band 2 der Reihe Juristische Grundkurse, StGB, Allgemeiner Teil 1, stellt einmal die elementaren Grundzüge des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches dar. Angesichts der ungeheuren Stofffülle im Allgemeinen Teil umfasst dieser erste Teil lediglich die Bereiche Kausalität, Zurechnung, Vorsatz, Rechtswidrigkeit, Irrtum und Schuld. Diverse allgemeine Fragen, wie z. B. Geltungsbereich des Strafrechts, allgemeine Verbrechenslehre, allgemeine Handlungslehren etc. bleiben dem Sinn des Buches entsprechend bewusst unbehandelt und sollten durch Lehrbücher zumindest im Überblick zu späterer Zeit im Eigenstudium erarbeitet werden.

Der abstrakte Stoff wird sodann in Falllösungen und Beispielfällen angewendet. Dabei soll gezeigt werden, wann und wo die jeweilige Frage innerhalb eines Falles Bedeutung erlangt. Bei den Musterlösungen wird vor allem gezeigt, wie die Frage systematisch sauber in die Lösung einzuarbeiten ist. Daneben sollen die Falllösungen ganz allgemein die Technik und Methodik der Fallbearbeitung vermitteln.

Da der Stoff des Allgemeinen Teils des StGB sich isoliert nicht anhand von Fällen erläutern lässt, wird er zusammen mit einigen wenigen, relativ einfachen Normen des Besonderen Teils dargestellt. Dadurch ergibt sich neben einer eingehenden Behandlung des Allgemeinen Teils gleichzeitig ein erster Einblick in einige Delikte des Besonderen Teils, so dass man insoweit auch von einem Grundkurs im StGB innerhalb dieses Buchs sprechen kann.

Die Literaturhinweise dienen der Vertiefung des Stoffes oder der Erschließung von im Skriptum nicht dargestellten Bereichen.

Methodik und Technik der Fallbearbeitung

Viele, vielleicht allzu viele Bücher sind bereits zu diesem Thema geschrieben worden. Das kann aber nicht darüber hinweg täuschen, dass es nicht möglich ist, dieses Anliegen abstrakt und in wohlgeformten Sätzen zu erfassen, geschweige denn zu erlernen. Daher soll hier nicht auf juristische Methodenlehre eingegangen, sondern es soll lediglich das unumgängliche Handwerk der Fallbearbeitung vermittelt werden. Dazu bedarf es vor allem der Schulung am Fall, d.h. des immerfort wiederholten Versuchs eigener Falllösung. Nur aus den Fehlern und der Auseinandersetzung mit den dabei auftauchenden Problemen kann man sich nach und nach die Technik und Methodik erschließen und so zu einer sicheren Beherrschung jenes Handwerks gelangen. Freilich bedarf es dazu der Grundkenntnis verschiedener elementarer und zu lernender Regeln. Deren wichtigste sollen nachfolgend dargestellt werden, doch auch an vielen anderen Stellen im Skriptum erfolgen weitere Hinweise zur Fallbearbeitungstechnik und Methodik.

Der Deliktsaufbau

Alle strafrechtlichen Delikte sind in gleicher Weise aufgebaut:

Tatbestand

Rechtswidrigkeit

Schuld

Man spricht daher auch von einem dreistufigen Deliktsaufbau. Als vierter Punkt tritt streng genommen noch „Strafe“ hinzu. Ferner unterteilt man den Tatbestand in einen objektiven und einen subjektiven Teil. Damit ergibt sich für den traditionellen Prüfungsaufbau folgendes Bild:

1. Tatbestand

a) objektiver Tatbestand

b) subjektiver Tatbestand

2. Rechtswidrigkeit

3. Schuld

4. Strafe

Das Gesetz beschreibt in seinen Vorschriften des Besonderen Teils meist nur den objektiven Tatbestand. Der subjektive Tatbestand umfasst neben subjektiven Unrechtselementen vor allem den Vorsatz, der jedoch angesichts des § 15 (lesen!) meist nicht ausdrücklich im Gesetz erwähnt ist.

Ebenso haben Rechtswidrigkeit und Schuld nur in Ausnahmefällen in den Tatbeständen des Besonderen Teils Erwähnung gefunden.

Die Strafe schließlich hat einmal in dem im Gesetz ausgesprochenen Strafrahmen und im Übrigen in den Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründen Ausdruck erhalten.

Merken Sie:

Der Strafrahmen wird in der Fallbearbeitung an der Universität nicht behandelt! Die Prüfung beschränkt sich auf die Punkte 1. bis 3.

Der Punkt 4. wird nur dann angesprochen, wenn Anhaltspunkte für Strafausschließungs-/aufhebungsgründe gegeben sind.

Die Fallbearbeitung

Einführungsfall:

A nimmt die wertvolle Vase des B und zerschmettert sie. Strafbarkeit des A?

Dieser sehr einfache „Fall“ soll zunächst und vor allem in die Lösungstechnik der strafrechtlichen Fallbearbeitung einführen.

Jede Fallbearbeitung im Strafrecht beginnt ebenso wie in anderen Rechtsgebieten mit der richtigen Erfassung des Sachverhalts.

Ist dies geschehen, z.B. indem man die beteiligten Personen, deren Handlungen, ggf. verschiedene Handlungsabschnitte etc. heraus gearbeitet hat, so ist die Fallfrage zu analysieren und festzustellen, nach wessen Strafbarkeit gefragt ist.

Sodann sind die für die jeweiligen Personen und deren Handlungen in Betracht kommenden Straftatbestände zu suchen. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass § 303, Sachbeschädigung, in Betracht kommen könnte.

Vorüberlegungen zu jeder Fallbearbeitung sind:

1. Erfassen des Sachverhalts

2. Analysieren der Fallfrage

3. Aufsuchen der Straftatbestände

Nunmehr kann die eigentliche Falllösung beginnen.

Beachten Sie:

Die Vorüberlegungen gelangen nicht in die Ausarbeitung

Die Ausarbeitung hat mit dem Aufwerfen der Problemstellung zu beginnen. Man hat dazu einen Obersatz (auch Hypothese genannt) zu bilden, mit dem jede Prüfung anfangen muss. Im Strafrecht geht es, anders als im BGB – vgl. Band 1, BGB AT - nun nicht um Ansprüche, sondern um die Frage, ob jemand strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen ist. Für obigen Fall lautet der Obersatz daher:

A könnte sich gem. § 303 StGB strafbar gemacht haben.

Damit haben wir den Kern der Problemstellung erfasst. Jedoch gibt es viele Fälle, in denen eine solche Beschreibung des Problems noch nicht ausreicht, da sie nicht hinreichend exakt herausstellt, welches Verhalten des Sachverhalts zu untersuchen ist. So kann es z.B. Fälle geben, in denen ein Täter mehrfach handelt.

Bsp.: A, in Wut geraten, zerschlägt die Möbel des B, demoliert das Auto des C und wirft anschließend die Fensterscheibe bei D ein.

Alle drei Handlungen können ihrerseits den Tatbestand der Sachbeschädigung erfüllen. In der Form, wie die Frage oben aufgeworfen wird, gibt sie dem Leser nicht die notwendige Auskunft darüber, welche Handlung genau geprüft wird. Daher ist es unerlässlich, stets die untersuchte Verhaltensweise in der Problemstellung mit zu nennen!

Im Obersatz ist die untersuchte Handlung stets zu benennen

Der Einleitungssatz muss daher richtig lauten:

Formulierungsvorschlag:

A könnte sich gem. § 303 strafbar gemacht haben, indem er die Vase des B zerschmetterte.

Damit haben Sie den Aufhänger für Ihre weitere Prüfung, die sich nun an dem angesprochenen Tatbestand orientiert, gefunden. Wie im BGB, wo Sie nach dem Einleitungssatz herausarbeiten mussten, welche einzelnen Tatbestandsmerkmale die jeweilige Anspruchsgrundlage aufwies, so müssen Sie auch im Strafrecht die Tatbestandsmerkmale der betreffenden Strafvorschrift erfassen, voneinander abgrenzen und prüfen.

Im Fall des § 303 sind dies:

1. Sache;

2. fremd;

3. beschädigen oder zerstören.

Die Erwähnung der Rechtswidrigkeit hat für den Tatbestand des § 303 keine besondere Bedeutung, denn sie bezeichnet nur die Rechtswidrigkeit als allgemeines Verbrechensmerkmal, wie es jeder Strafvorschrift immanent ist. Die Behandlung der Rechtswidrigkeit als allgemeines Verbrechensmerkmal erfolgt unten in Kapitel 4. Die Nennung der Rechtswidrigkeit in § 303 ist damit eigentlich überflüssig und bedarf keiner gesonderten Prüfung.

Diese Tatbestandsmerkmale haben Sie jetzt zu untersuchen.

Bei einfach strukturierten Tatbeständen, wie hier § 303, kann man sich sogleich ein Merkmal herausgreifen und dieses prüfen. Überflüssig und damit jedenfalls unzweckmäßig, wenn nicht sogar falsch, ist es, den Gesetzestext noch einmal abzuschreiben (lesen kann jeder selbst!). Auch sollte man keine allzu umfassende Subsumtionsfrage voranstellen.

Bsp. für eine zu lange, überflüssige Einleitung: § 303 besagt, dass derjenige, der rechtswidrig eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, zu bestrafen ist.

Richtig ist es, und vor allem auch arbeitsökonomisch weit besser, wenn man sich gleich das Merkmal Sache herausgreift:

Formulierungsvorschlag:

Dann müsste es sich bei der Vase um eine Sache handeln.

Dies sollte der zweite Satz in Ihrem Gutachten werden.

Bei komplizierten Tatbeständen kann es demgegenüber empfehlenswert sein, dem Leser zu erläutern, welchen Teil der Vorschrift man zunächst zu untersuchen gedenkt.

Bsp.: § 263 setzt zunächst voraus, dass X durch Täuschung bei Y einen Irrtum verursachte. Daher müsste X den Y getäuscht haben.

Sie haben damit bereits mit der Subsumtion begonnen.

Der zweite Schritt der Subsumtion, nach Aufwerfen der Subsumtionsfrage, sollte dann die Definition des untersuchten (abstrakten) Tatbestandsmerkmals sein. Also:

Formulierungsvorschlag:

Gem. § 90 BGB sind Sachen alle körperlichen Gegenstände.

Der Begriff der Sache ist nicht immer so klar, wie es danach zu sein scheint, so sind als Sachen vor allem auch Pflanzen anzusehen.

Überwiegend sieht man auch die menschliche Leiche als Sache an, vgl. Lackner-Kühl, § 242, 2.

Tiere sind wegen der Regelung in § 90a BGB keine Sachen, die Vorschriften über Sachen aber auf Tiere entsprechend anzuwenden, Joecks, StuKo, Vor § 242, 6

Zur Vertiefung zum Sachbegriff: Joecks, StuKo Vor § 242, 6ff.

Schritt 3 ist dann die Darlegung des untersuchten (konkreten) Sachverhaltes. Also:

Formulierungsvorschlag:

Tatobjekt ist hier die Vase des B.

Schritt 4 stellt den eigentlichen Kern der Subsumtionsarbeit dar, die Feststellung, ob der unter 3. festgestellte konkrete Sachverhalt unter das abstrakte Tatbestandsmerkmal zu subsumieren ist. Man prüft mithin, ob Kongruenz zwischen Tatbestandsmerkmal und Sachverhalt gegeben ist. Also:

Formulierungsvorschlag: Die Vase des B weist Umrisse auf und man kann sie anfassen, sie verfügt daher über die typischen Eigenschaften körperlicher Gegenstände und ist somit ein körperlicher Gegenstand.

Dies erscheint bei diesem einfachen Beispielsfall alles recht übertrieben, es soll jedoch nur das System erläutern. An dieser Stelle Ihres Gutachtens ist regelmäßig eigene Argumentation nötig, die inhaltliche, sachverhaltsbezogene Diskussion wird hier ihren Platz finden.

Der 5. Schritt enthält schließlich das Ergebnis der Prüfung:

Formulierungsvorschlag:

Also ist die Vase eine Sache.

In gleicher Weise verfährt man mit dem Merkmal fremd und dem des Zerstörens.

Sind alle Tatbestandsmerkmale erfüllt, so ist der objektive Tatbestand gegeben. Ergibt die weitere Prüfung dann auch, dass der Täter den subjektiven Tatbestand verwirklicht, sich rechtswidrig und schuldhaft verhalten hat, so hat er sich gemäß der geprüften Vorschrift strafbar gemacht. Das Gutachten schließt dann mit dem Satz:

Formulierungsvorschlag:

Also hat sich A gem. § 303 strafbar gemacht.

Merken Sie sich also folgenden Ablauf der Subsumtion:

1. Obersatz bilden

2. Definition des untersuchten Merkmals

3. Darlegen des untersuchten Sachverhalts

4. Subsumtion

→ Deckungsgleichheit von Definition (2.) und Sachverhalt (3.) feststellen

5. Ergebnissatz

Nach diesem Gedanken- und Arbeitsschema laufen alle strafrechtlichen Falllösungen ab, freilich nicht immer so einfach wie hier.

Beachten Sie: Auch bei noch so komplizierten Fällen, z.T. mit mehrfach verschachtelten Subsumtionsvorgängen, ist die gedankliche Prüfung stets in gleicher Weise wie hier vorgeführt durchzuführen.

Hinweis: in der traditionellen universitären Lehre werden nur vier Subsumtionsschritte aufgeführt. Das Vorgehen ist jedoch mit dem hier oben dargestellten identisch, denn die Schritte drei und vier oben werden in dem traditionellen Aufbau lediglich in einem Schritt zusammengefasst!

2. Kapitel – Tathandlung, Kausalität und Zurechnung

Die Tathandlung

Es muss als Anknüpfungspunkt für strafrechtliche Verantwortung immer zunächst nach einem Verhalten des Täters gesucht werden. Dieses kann in einem Handeln oder einem Unterlassen liegen.

Zu den Unterlassungsdelikten siehe Juristische Grundkurse, Band 7, Strafrecht, Allg. Teil 2

Was sich hinter dem Begriff der Handlung exakt verbirgt, wird von verschiedenen Handlungslehren unterschiedlich beurteilt. So gibt es einen kausalen, sozialen und finalen Handlungsbegriff.

In der Rechtslehre hat sich überwiegend die finale Handlungslehre durchgesetzt, der auch in diesem Buch gefolgt wird, während die Rechtsprechung noch weitgehend der kausalen Handlungslehre anhängt.

Streng genommen wird meist keine rein finale oder rein kausale Handlungslehre vertreten, sondern die Ansätze gehen lediglich von dem einen oder anderen Leitbild aus. Teils werden einige dieser Ansätze auch als soziale Handlungslehre bezeichnet.

Vgl. näher zu den einzelnen Ansätzen die Übersicht bei Joecks, Stuko, Vor § 13, 6 ff.

Für die Fallbearbeitung ist dieser Unterschied zunächst ohne Bedeutung. Dort wo er sich auswirkt wird im weiteren Verlauf des Kurses auch darauf eingegangen.

Das erfasste Verhalten muss

tatbestandsmäßig

sein, d.h. die konkreten Umstände müssen den abstrakten Merkmalen einer im Gesetz beschriebenen und mit Strafe bedrohten Handlung entsprechen. Bei zahlreichen Strafvorschriften des Besonderen Teils des StGB handelt es sich um Erfolgsdelikte. So auch bei den in diesem Buch behandelten Delikten der §§ 211, 212, 223, 224, 303. Das Charakteristikum dieses Deliktstypus ist es, dass ein dort beschriebener Erfolg eintritt, z.B. der Tod eines Menschen (§§ 211, 212), eine Körperverletzung (§§ 223 ff), die Zerstörung einer Sache (§ 303). Diese Erfolge beruhen stets auf irgendeiner Ursache, meist einem menschlichen Verhalten. Ihre Aufgabe ist es, zunächst zu untersuchen, ob ein bestimmtes, im Sachverhalt dargelegtes Verhalten zu diesem Erfolg geführt hat. Als tatbestandsrelevantes Verhalten kommt

jedes von einem menschlichen Willen getragene Handeln oder Unterlassen

in Betracht.

Die Kausalität

Die Beziehung zwischen dieser Handlung und dem Erfolg muss in Form eines Ursachenzusammenhanges - Kausalität - vorliegen.

Kausalität bezeichnet einen Ursachenzusammenhang zwischen Tathandlung und Taterfolg

In der Feststellung, dass eine Tathandlung, ein Taterfolg und die diese beiden Komponenten verknüpfende Kausalität gegeben ist, erschöpft sich oftmals die Prüfung des objektiven Tatbestandes eines Erfolgsdeliktes. Kausalität wird zwar im Ergebnis oft mit einem rein naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhang übereinstimmen, aber vom gedanklichen Ansatz her handelt es sich um eine Ursächlichkeit im Rechtssinn.

Im Strafrecht folgt man bei der Kausalitätsprüfung im Grundsatz der sog.

Äquivalenztheorie

Danach sind

Ursache alle Bedingungen, die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele

Um zu prüfen, ob Kausalität i.S.d. Äquivalenztheorie vorliegt, nimmt man folgende Gedankenoperation vor:

→ 1. man denkt sich die Handlung (Bedingung) des Täters weg

→ 2. man prüft, was mit dem Erfolg dann geschehen würde

→ 3. Gelangt man zu dem Ergebnis, dass es ohne diese Handlung nicht zu dem Erfolg kommen konnte, der Erfolg also entfiele, so liegt Kausalität zwischen Handlung und Erfolg vor. Anderenfalls fehlt es an der Kausalität.

Der Erfolg ist dabei möglichst genau zu beschreiben. So genügt es streng besehen nicht, wenn A den B erschießt vom „Tod des B“ als dem Erfolg zu sprechen. Strafrechtlich relevant ist nämlich nur der Tod durch den Schuss des A, nicht etwa irgendein anderer Eintritt des Todes, z.B. durch Altersschwäche. Genau der exakt herausgearbeitete Erfolg muss dann bei Anwendung der Kausalitätsformel entfallen!

Die vorstehende Gedankenoperation bezeichnet man auch als

„conditio sine qua non“ Formel.

Dadurch werden freilich sehr viele Verhaltensweisen erfasst, die nicht alle strafrechtsrelevant sein können. Welches kausale Verhalten jedoch als unbeachtlich und welches als beachtlich anzusehen ist, wird an anderer Stelle (z.B. bei der Zurechnungsfrage) zu erörtern sein.

Abweichend davon wird nach anderer Ansicht die Kausalität nicht nach der Äquivalenztheorie, sondern nach der Adäquanztheorie bestimmt. Diese berührt jedoch auch gleichzeitig Zurechnungsfragen und daher soll auf die Adäquanztheorie erst im Rahmen der Zurechnung näher eingegangen werden.

Ähnlich geht die „Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung“ vor. Danach ist ein Verhalten dann Ursache eines Erfolges, wenn dieser mit dem Verhalten durch eine Reihe von Veränderungen in der Außenwelt gesetzmäßig verbunden ist.

Vgl. Wessels-Beulke, AT, Rn.168a; Sch-Sch-Lenckner-Eisele, Vor §§ 13ff, 75.

Da das Ergebnis dieses Ansatzes regelmäßig mit dem der „conditio-Formel“ übereinstimmen wird, ist in der Klausur eine gesonderte Abhandlung m.E. entbehrlich. In der Hausarbeit muss aber selbstverständlich dieser Ansatz dargestellt und verarbeitet werden. Aber auch dort bedarf es angesichts meist gleicher Ergebnisse keiner Streitentscheidung!

Zu ähnlich strukturierten Ansätzen vgl. Sch-Sch-Lenckner-Eisele Vor §§ 13ff, 73ff.

Fall 1:

A gerät mit B in Streit, in dessen Verlauf A ein Messer zieht und B niedersticht. B stirbt. Strafbarkeit des A?

Da der Tod eines anderen Menschen eingetreten ist, kommt eine Vorschrift aus dem Bereich der Tötungsdelikte in Betracht, hier § 212. Es soll auch zunächst nur § 212 geprüft werden. § 211 ist nicht einschlägig, weil es keinen Hinweis auf die Verwirklichung eines Mordmerkmales im Sachverhalt gibt. § 212 setzt im Einzelnen voraus: es muss der Taterfolg, der Tod eines anderen Menschen (dem Tatobjekt), eingetreten sein. Weiter ist eine Tathandlung des Täters erforderlich und schließlich Kausalität zwischen Handlung und Erfolg. Die „Wendung ohne Mörder zu sein“, hat heute keine Bedeutung mehr, sie ist vielmehr ein Relikt aus der Zeit der sog. Tätertyplehre.

Lösungsvorschlag

A könnte sich gem. § 212 strafbar gemacht haben, indem er den B niederstach.

Dann müsste der Tod eines Menschen eingetreten sein. B, ein Mensch, ist laut Sachverhalt zu Tode gekommen, so dass der notwendige Taterfolg gegeben ist. Die Tathandlung liegt mit dem vom Willen des A getragenen Niederstechen ebenfalls vor. Weiter ist Kausalität zwischen diesem Erfolg und der Tathandlung erforderlich.

Die Kausalität bestimmt man im Strafrecht nach der Äquivalenztheorie. Danach ist jede Bedingung Ursache, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele. Denkt man sich hier das Niederstechen seitens des A weg, wäre B jedenfalls nicht durch den Stich zu Tode gekommen. Folglich entfiele der Erfolg in seiner konkreten Gestalt, so dass Kausalität nach der Äquivalenztheorie vorliegt. Damit ist der objektive Tatbestand erfüllt.

Da A auch vorsätzlich handelte, ist der subjektive Tatbestand gegeben. Rechtswidrigkeit und Schuld liegen vor. Folglich hat sich A gem. § 212 strafbar gemacht.

Die weitere Prüfung - subj. Tatbestand, Rechtswidrigkeit, Schuld - erfolgt hier bewusst noch nicht in exakter Form.

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Die Erfolgszurechnung

Die Weite der Äquivalenztheorie ist jedoch nicht unproblematisch, denn alle, auch noch so weit zurückliegenden Ursachen sind Bedingungen i.S.d. Äquivalenztheorie, sofern sie nur in einem naturwissenschaftlichen Sinne miteinander verknüpft sind.

Bsp.: Auch die Großeltern des Mörders sind für dessen Tat kausal geworden, denn hätten sie nicht ihre Kinder und die wiederum deren Kinder erzeugt, so hätte der Täter nicht gelebt, hätte folglich auch seine Tötungshandlung nicht vornehmen können, so dass das Opfer jedenfalls nicht durch das Handeln des Mörders zu Tode gekommen wäre.

Um einem Täter nur die Erfolge anzulasten, die einer strafrechtlichen Wertung zufolge auch in seine Verantwortung fallen sollen, bedarf es daher eines Korrektivs. Auf der Ebene des Tatbestandes bedient man sich des Begriffs der Zurechnung.

Wie die Zurechnung eines Erfolges zu geschehen hat, ist im Einzelnen stark umstritten.

Teilweise wird die Zurechnung als Kausalitätsproblem gesehen, in der überwiegenden Literatur wird sie dagegen als eigenständiges Merkmal des objektiven Tatbestands erfasst.

Vornehmlich die Rechtsprechung behandelt die Zurechnungsfrage (außer bei Fahrlässigkeitsdelikten) als Vorsatzproblem.

Vgl. dazu z.B. die Übersichten bei Wessels-Beulke, AT, Rn. 176 ff oder sehr ausführlich Sch-Sch-Lenckner-Eisele, Vor §§ 13ff, 84ff.

Teilweise wendet man zur Lösung der Zurechnungsfrage die im Zivilrecht herrschende Adäquanztheorie an. Diese geht zunächst von der Äquivalenztheorie aus, schränkt deren weites Ergebnis aber dahingehend ein, dass nur solche Bedingungen als kausal anzusehen seien, die

nach allgemeiner Lebenserfahrung dazu geeignet sind, einen derartigen Erfolg zu bewirken.

Die Anhänger dieser Auffassung leugnen damit die Existenz eines eigenständigen Zurechnungskriteriums. Sie wollen die Frage der Zurechnung vielmehr als Kausalitätsproblem verstanden wissen.

Merken Sie:

Die Adäquanztheorie ist keine Zurechnungslehre,sondern eine Kausalitätstheorie

!! Daher ist die Adäquanztheorie im objektiven Tatbestand unter dem Prüfungspunkt „Kausalität“ zu erörtern !!

Nicht durchgesetzt hat sich die Relevanztheorie, nach der zunächst Kausalität i.S.d. Äquivalenztheorie zur kausalen Verknüpfung von Handlung und Erfolg erforderlich ist. Die Zurechnung soll dann aber anhand der normativen Frage nach der strafrechtlichen Relevanz des betreffenden Verhaltens zu prüfen sein. Nur wenn es sich um strafrechtlich relevantes Verhalten handele, sei der Erfolg zuzurechnen.

Demgegenüber fassen die im Einzelnen voneinander abweichenden Lehren von der objektiven Zurechnung die Zurechnungsfrage als eigenständiges, im objektiven Tatbestand anzusiedelndes Problem auf.

Merken Sie:

Die Zurechnungslehren sehen die Erfolgszurechnung als eigenständiges Merkmal des objektiven Tatbestands an

Die einzelnen Ansichten weisen allerdings diverse Unterschiede auf.

Vgl. dazu die Übersicht bei Sch-Sch-Lenckner-Eisele, Vor §§ 13, 84 ff

Sie lassen sich aber überwiegend auf den Grundgedanken zurückführen, dass ein durch menschliches Verhalten verursachter Unrechtserfolg nur dann objektiv zurechenbar sei, wenn durch den Täter

eine rechtlich relevante Gefahr des Erfolgseintritts geschaffen wurde und diese Gefahr sich auch tatsächlich in dem konkreten erfolgsverursachenden Geschehen realisiert habe.

So der in der Literatur überwiegende Ansatz vgl. dazu näher Lackner-Kühl, Vor § 13, 14; StuKo Joecks, Vor § 13, 35 ff; Wessels-Beulke, AT, Rn 179, jeweils m.w.N, sowie Diehn, Streitstände 1, Strafrecht AT, Streitstand 3.

Einschränkungen im Hinblick auf die Zurechnung können z.B. nach dem Schutzzweck der Norm geboten sein oder bei fehlendem Risikozusammenhang vorliegen.

Näher dazu: Sch-Sch-Lenckner-Eisele Vor § 13, 95/96

Bsp.: A fährt auf der Autobahn bei Hamburg statt der erlaubten 100 km/h mit 180 km/h. In Hannover läuft ihm Fußgänger F vor den Wagen, der dabei zu Tode kommt. Dort hatte sich A absolut korrekt verhalten. - Sinn der Geschwindigkeitsbegrenzung auf der Autobahn bei Hamburg soll es sein, die Autofahrer dort einzubremsen, aber nicht im Stadtgebiet von Hannover. Nach dem Schutzzweck der Norm (Geschwindigkeitsbegrenzung) ist dem A der Tod von F nicht zuzurechnen. Auch fehlt es am Risikozusammenhang, denn die rechtlich relevante Gefahr durch zu schnelles Fahren schlägt sich nicht beim Überfahren des F nieder.

Auch in Fällen des sog. erlaubten Risikos oder bei Verwirklichung des allgemeinen Lebensrisikos wird man die Schaffung einer rechtlich relevanten Gefahr zu verneinen haben.

Vgl. dazu Wessels-Beulke, AT, Rn 183f.

Die objektive Zurechnung entfällt auch, wenn ein Dritter vollverantwortlich eine neue selbständig wirkende Gefahr begründet, die sich ohne Fortwirken der vom Täter gesetzten Gefahr im Erfolg realisiert.

Vgl. dazu und zu den Ausnahmen: Wessels-Beulke, AT, Rn 192.

Ob darüber hinaus auch bei Fällen der sog. Risikoverringerung die Zurechnung entfällt, ist umstritten.

Vgl. dazu Wessels-Beulke, AT, Rn 193ff; Sch-Sch-Lenckner-Eisele Vor §§ 13, 94.

Ebenso ist die Behandlung sog. Retterfälle str, vgl. Wessels-Beulke, AT, Rn 192a.

Bei Fahrlässigkeitsdelikten kann auch fehlender Pflichtwidrigkeitszusammenhang die objektive Zurechnung ausschließen.