Buch lesen: «Der Abenteuerliche Simplicissimus Teutsch», Seite 6

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Das 20. Kapitel: Was gestalten er, um von dem Gefängnis und der Folter errettet worden

Als ich vor den Gubernator gebracht wurde, fragte er mich, wo ich herkäme? Ich aber antwortet, ich wüßte es nicht. Er fragt' weiter: »Wo willst du denn hin?« Ich antwortet abermal: »Ich weiß nicht.« »Was Teufel weißt du denn«, fragte er ferner, »was ist denn dein Hantierung?« Ich antwortet noch wie vor, ich wüßte es nicht. Er fragte: »Wo bist du zu Haus?« und als ich wiederum antwortet, ich wüßte es nicht, verändert' er sich im Gesicht, nicht weiß ich, obs aus Zorn oder Verwunderung geschah? Dieweil aber jedermann das Böse zu argwöhnen pflegt, zumalen der Feind in der Nähe war, als welcher allererst, wie gemeldt, die vorige Nacht Gelnhausen eingenommen und ein Regiment Dragoner darin zuschanden gemacht hatte, fiel er denen bei, die mich für einen Verräter oder Kundschafter hielten, befahl darauf, man sollte mich besuchen; als er aber von den Soldaten von der Wacht, so mich zu ihm geführet hatten, vernahm, dass solches schon beschehen, und anders nichts bei mir gefunden worden wär als gegenwärtiges Büchlein, welches sie ihm zugleich überreichten, las er ein paar Zeilen danach, und fragte mich, wer mir das Büchlein geben hätte? Ich antwortet, es wäre von Anfang mein eigen gewesen, denn ich hätte es selbst gemacht und überschrieben. Er fragte: »Warum eben auf birkenen Rinden?« Ich antwortet: »Weil sich die Rinden von andern Bäumen nicht dazu schicken.« »Du Flegel«, sagte er, »ich frage, warum du nicht auf Papier geschrieben hast?« »Ei«, antwortet ich, »wir haben keins mehr im Wald gehabt.« Der Gubernator fragte: »Wo? in welchem Wald?« Ich antwortet wieder auf meinen alten Schrot, ich wüßte es nicht.

Da wandte sich der Gubernator zu etlichen von seinen Offiziern, die ihm eben aufwarteten, und sagte: »Entweder ist dieser ein Erzschelm, oder gar ein Narr! zwar kann er kein Narr sein, weil er so schreibt«; und indem als er so redet', blättert' er in meinem Büchlein so stark herum, ihnen mein schöne Handschrift zu weisen, dass des Einsiedlers Brieflein herausfallen musste, solches ließ er aufheben, ich aber entfärbte mich darüber, weil ich solches für meinen höchsten Schatz und Heiligtum hielt; welches der Gubernator wohl in acht nahm, und daher noch ein größern Argwohn der Verräterei schöpfte, vornehmlich als er das Brieflein aufgemacht und gelesen hatte, denn er sagte: »Ich kenne einmal diese Hand, und weiß, dass sie von einem mir wohlbekannten Kriegsoffizier geschrieben worden ist, ich kann mich aber nicht erinnern, von welchem?« so kam ihm auch der Inhalt selbst gar seltsam und ohnverständlich vor, denn er sagte: »Dies ist ohne Zweifel eine abgeteilte Sprach, die sonst niemand verstehet, als derjenige mit dem sie abgeredt worden.« Mich aber fragte er, wie ich hieße? und als ich antwortet: »Simplicius«, sagte er: »Ja ja, du bist eben des rechten Krauts! fort, fort, dass man ihn alsobald an Hand und Fuß in Eisen schließe.« Also wanderten beide obgemeldten Soldaten mit mir nach meiner bestimmten neuen Herberg, nämlich dem Stockhaus zu, und überantworteten mich dem Gewaltiger, welcher mich seinem Befehl gemäß, mit eisernen Banden und Ketten an Händen und Füßen, noch ein mehrers zierte, gleichsam als hätte ich nicht genug an denen zu tragen gehabt, die ich bereits um den Leib herum gebunden hatte.

Dieser Anfang mich zu bewillkommen, war der Welt noch nicht genug, sondern es kamen Henker und Steckenknecht, mit grausamen Folterungs-Instrumenten, welche mir, ohnangesehen ich mich meiner Unschuld zu getrösten hatte, meinen elenden Zustand allererst grausam machten: »Ach Gott!« sagte ich zu mir selber, »wie geschieht mir so recht, Simplicius ist darum aus dem Dienst Gottes in die Welt gelaufen, damit ein solche Mißgeburt des Christentums den billigen Lohn empfange, den ich mit meiner Leichtfertigkeit verdienet habe. O du unglückseliger Simplici! wohin bringt dich deine Undankbarkeit? Siehe, Gott hatte dich kaum zu seiner Erkenntnis und in seine Dienst gebracht, so läufst du hingegen aus seinen Diensten, und kehrest ihm den Rücken! Hättest du nicht mehr Eicheln und Bohnen essen können wie zuvor, deinem Schöpfer ohnverhindert zu dienen? Hast du nicht gewusst, dass dein getreuer Einsiedel und Lehrmeister die Welt geflohen, und sich die Wildnis auserwählt? O blindes Bloch, du hast dieselbe verlassen, in Hoffnung, deinen schändlichen Begierden (die Welt zu sehen) genug zu tun. Aber nun schaue, indem du vermeinest, deine Augen zu weiden, musst du in diesem gefährlichen Irrgarten untergehen und verderben. Hast du unweiser Tropf dir nicht zuvor können einbilden, dass dein seliger Vorgänger der Welt Freude um sein hartes Leben, das er in der Einöde geführt, nicht vertauscht haben würde, wenn er in der Welt den wahren Frieden, eine rechte Ruhe und die ewige Seligkeit zu erlangen getraut hätte? Du armer Simplici, jetzt fahr hin, und empfange den Lohn deiner gehabten eitelen Gedanken und vermessenen Torheit. Du hast dich keines Unrechts zu beklagen, auch keiner Unschuld zu getrösten, weil du selber deiner Marter und darauf folgendem Tod entgegen bist geeilet.« Also klagte ich mich selber an, bat Gott um Vergebung, und befahl ihm meine Seel: Indessen näherten wir dem Diebsturm, und als die Not am größten, da war die Hilf Gottes am nächsten; denn als ich mit den Schergen umgeben war, und samt einer großen Menge Volks vorm Gefängnis stund, zu warten bis es aufgemacht und ich hineingetan würde, wollte mein Pfarrherr, dem neulich sein Dorf geplündert und verbrannt worden, auch sehen, was da vorhanden wäre (denn er lag zunächst dabei auch im Arrest). Als dieser zum Fenster aussah und mich erblickte, rief er überlaut: »O Simplici bist dus?« Als ich ihn hörte und sah, konnte ich nichts anders, als dass ich beide Händ gegen ihn aufhub, und schrie: »O Vater! o Vater! o Vater!« Er aber fragte, was ich getan hätte? Ich antwortet, ich wüßte es nicht, man hätte gewißlich mich darum daher geführt, weil ich aus dem Wald entlaufen wäre: Als er aber vom Umstand vernahm, dass man mich für einen Verräter hielt, bat er, man wollte mit mir einhalten, bis er meine Beschaffenheit dem Herrn Gouverneur berichtet hätte, denn solches würde beides zu meiner und seiner Erledigung taugen, und verhüten, dass sich der Herr Gouverneur an uns beiden nicht vergreifen würde, sintemal er mich besser kenne, als sonst kein Mensch.

Das 21. Kapitel: Das betrügliche Glück gibt Simplicio einen freundlichen Blick

Ihm wurde erlaubt, zum Gubernator zu gehen, und über ein halbe Stund hernach wurd ich auch geholt, und in die Gesindstube gesetzt, allwo sich schon zween Schneider, ein Schuster mit Schuhen, ein Kaufmann mit Hüten und Strümpfen, und ein anderer mit allerhand Gewand eingestellt, damit ich ehest gekleidet würde; da zog man nur den Rock ab, samt der Ketten und dem härenen Hemd, auf dass die Schneider das Maß recht nehmen könnten; folgends erschien ein Feldscherer, mit scharfer Laugen und wohlriechender Seifen, und eben als dieser seine Kunst an mir üben wollte, kam ein anderer Befehl, welcher mich greulich erschreckte, weil er lautet', ich sollte mein Habit wieder anziehen; solches war nicht so bös gemeint, wie ich wohl besorgte, denn es kam gleich ein Maler mit seinem Werkzeug daher, nämlich mit Minien und Zinnober zu meinen Auglidern, mit Lack, Endig und Lasur zu meinen korallenroten Lippen, mit Auripigmentum, Rausch-schütt und Bleigelb zu meinen weißen Zähnen, die ich vor Hunger bleckte, mit Kienruß, Kohlschwärz und Umbra zu meinen gelben Haaren, mit Bleiweiß zu meinen gräßlichen Augen, und mit sonst vielerlei Farben zu meinem wetterfarbigen Rock, auch hatte er eine ganze Hand voll Pinsel. Dieser fing an mich zu beschauen, abzureißen, zu untermalen, den Kopf über eine Seite zu hängen, um seine Arbeit gegen meine Gestalt genau zu betrachten; bald ändert' er die Augen, bald die Haar, geschwind die Naslöcher, und in Summa alles, was er im Anfang nicht recht gemacht, bis er endlich ein natürliches Muster entworfen hatte, wie Simplicius eins war: Alsdann durfte allererst der Feldscherer auch über mich herwischen, derselbe zwagte mir den Kopf und richtet' wohl anderthalbe Stund an meinen Haaren, folgends schnitt er sie ab auf die damalige Mode, denn ich hatte Haar übrig. Nachgehends setzt' er mich in ein Badstüblein, und säubert' meinen mageren ausgehungerten Leib von mehr als drei- oder vierjähriger Unlust: Kaum war er fertig, da bracht man mir ein weißes Hemd, Schuhe und Strümpf, samt einem Überschlag oder Kragen, auch Hut und Feder, so waren die Hosen auch schön ausgemacht, und überall mit Galaunen verbrämt, allein manglets noch am Wams, daran die Schneider zwar auf die Eil arbeiteten; der Koch stellet' sich mit einem kräftigen Süpplein ein, und die Kellerin mit einem Trank: Da saß mein Herr Simplicius wie ein junger Graf, zum besten akkommodiert. Ich zehrte tapfer zu, ohnangesehen ich nicht wusste, was man mit mir machen wollte, denn ich wusste noch von keinem Henkermahl nichts, dahero tat mir die Erkostung dieses herrlichen Anfangs so trefflich kirr und sanft, dass ichs keinem Menschen genugsam sagen, rühmen und aussprechen kann; ja ich glaube schwerlich, dass ich mein Lebtag einzigesmal eine größere Wollust empfunden, als eben damals. Als nun das Wams fertig war, zog ichs auch an, und stellte in diesem neuen Kleid ein solch ungeschickte Postur vor Augen, dass es sah wie ein Trophaeum, oder als wenn man ein Zaunstecken geziert hätte, weil mir die Schneider die Kleider mit Fleiß zu weit machen mussten, um der Hoffnung willen die man hatte, ich würde in kurzer Zeit zulegen, welches auch bei so gutem Futter augenscheinlich geschah. Mein Waldkleid, samt der Ketten und allem Zugehör, wurde hingegen in die Kunstkammer zu andern raren Sachen und Antiquitäten getan, und mein Bildnis in Lebensgröß danebengestellt.

Nach dem Nachtessen wurde mein Herr in ein Bett gelegt, dergleichen mir niemals weder bei meinem Knan noch Einsiedel zuteil worden; aber mein Bauch kurret' und murret' die ganze Nacht hindurch, dass ich nicht schlafen konnte, vielleicht keiner andern Ursach halber, als weil er entweder noch nicht wusste was gut war, oder weil er sich über die anmutigen neuen Speisen, die ihm zuteil worden, verwunderte; ich blieb aber ein Weg als den andern liegen, bis die liebe Sonn wieder leuchtet' (denn es war kalt) und betrachtet, was für seltsame Anständ ich nun etliche Tag gehabt, und wie mir der liebe Gott so treulich durchgeholfen, und mich an ein so guten Ort geführet hätte.

Das 22. Kapitel: Wer der Einsiedel gewesen, dessen Simplicius genossen

Denselben Morgen befahl mir des Gouverneurs Hofmeister, ich sollte zu obgemeldtem Pfarrern gehen, und vernehmen, was sein Herr meinetwegen mit ihm geredt hätte: Er gab mir einen Leibschützen mit, der mich zu ihm brachte, der Pfarrer aber führet' mich in sein Museum, setzt' sich, hieß mich auch sitzen, und sagte: »Lieber Simplici, der Einsiedel, bei dem du dich im Wald aufgehalten, ist nicht allein des hiesigen Gouverneurs Schwager, sondern auch im Krieg sein Beförderer und wertester Freund gewesen; wie dem Gubernator mir zu erzählen beliebt', so ist demselben von Jugend auf weder an Tapferkeit eines heroischen Soldaten, noch an Gottseligkeit und Andacht, die sonst einem Religioso zuständig, niemal nichts abgangen, welche beiden Tugenden man zwar selten beieinander zu finden pflegt. Sein geistlicher Sinn und widerwärtige Begegnisse hemmeten endlich den Lauf seiner weltlichen Glückseligkeit, so dass er seinen Adel und ansehnliche Güter in Schotten, da er gebürtig, verschmähet' und hintan setzet', weil ihm alle Welthändel abgeschmack, eitel und verwerflich vorkamen: Er verhoffte, mit einem Wort, seine gegenwärtige Hoheit um ein künftige bessere Glori zu verwechseln, weil sein hoher Geist einen Ekel an aller zeitlichen Pracht hatte, und sein Dichten und Trachten war nur nach einem solchen erbärmlichen Leben gerichtet, darin du ihn im Wald angetroffen, und bis in seinen Tod Gesellschaft geleistet hast: Meines Erachtens ist er durch Lesung vieler papistischen Bücher von dem Leben der alten Eremiten hierzu verleitet worden.

Ich will dir aber auch nicht verhalten, wie er in den Spessart und seinem Wunsch nach zu solchem armseligen Einsiedlerleben kommen sei, damit du inskünftig auch andern Leuten etwas davon zu erzählen weißt: Die zweite Nacht hernach, als die blutige Schlacht vor Höchst verloren worden, kam er einzig und allein vor meinen Pfarrhof, als ich eben mit meinem Weib und Kindern gegen den Morgen entschlafen war, weil wir wegen des Lärmens im Land, den beides die Flüchtigen und Nachjagenden in dergleichen Fällen zu erregen pflegen, die vorige ganze und auch selbige halbe Nacht durch und durch gewacht hatten: Er klopfte erstlich sittig an, und folgends ungestüm genug, bis er mich und mein schlaftrunken Gesind erweckte, und nachdem ich auf sein Anhalten und wenig Wortwechseln, welches beiderseits gar bescheiden fiel, die Tür geöffnet, sah ich den Kavalier von seinem mutigen Pferd steigen, sein kostbarlich Kleid war ebensosehr mit seiner Feinde Blut besprengt, als mit Gold und Silber verbrämt; und weil er seinen bloßen Degen noch in der Faust hielt, so kam mich Furcht und Schrecken an, nachdem er ihn aber einsteckte, und nichts als lauter Höflichkeit vorbrachte, hatte ich Ursach mich zu verwundern, dass ein so braver Herr einen schlechten Dorfpfarrer so freundlich um Herberg anredet': Ich sprach ihn wegen seiner schönen Person und seines herrlichen Ansehens halber für den Mansfelder selbst an. Er aber sagte, er sei demselben für diesmal nur in der Unglückseligkeit nicht allein zu vergleichen, sondern auch vorzuziehen; drei Ding beklagte er, nämlich sein verlorne hochschwangere Gemahlin, die verlorne Schlacht, und dass er nicht gleich andern redlichen Soldaten in derselben für das Evangelium sein Leben zu lassen das Glück gehabt hätte. Ich wollte ihm trösten, sah aber bald, dass seine Großmütigkeit keines Trostes bedurfte, demnach teilte ich mit, was das Haus vermochte, und ließ ihm ein Soldatenbett von frischem Stroh machen, weil er in kein anders liegen wollte, wiewohl er der Ruhe sehr bedürftig war. Das erste, das er den folgenden Morgen tat, war, dass er mir sein Pferd schenkte, und sein Geld (so er an Gold in keiner kleinen Zahl bei sich hatte) samt etlich köstlichen Ringen unter meine Frau, Kinder und Gesind austeilete. Ich wusste nicht, wie ich mit ihm dran war, weil die Soldaten viel eher zu nehmen als zu geben pflegen; trug derowegen Bedenkens, so große Verehrungen anzunehmen, und wandte vor, dass ich solches um ihn nicht meritiert, noch hinwiederum zu verdienen wisse; zudem sagte ich, wenn man solchen Reichtum, und sonderlich das köstliche Pferd, welches sich nicht verbergen ließe, bei mir und den Meinigen sehe, so würde männiglich schließen, ich hätte ihn berauben oder gar ermorden helfen. Er aber sagte, ich sollte diesfalls ohne Sorg leben, er wollte mich vor solcher Gefahr mit seiner eigenen Handschrift versichern, ja er begehre sogar sein Hemd, geschweige seine Kleider aus dem Pfarrhof nicht zu tragen, und mit dem öffnet' er mir seinen Vorsatz, ein Einsiedel zu werden: Ich wehrete mit Händen und Füßen was ich konnte, weil mich bedünkte, dass solch Vorhaben zumal nach dem Papsttum schmeckte, mit Erinnerung, dass er dem Evangelio mehr mit seinem Degen würde dienen können; aber vergeblich, denn er machte so lang und viel mit mir, bis ich alles einging, und ihn mit denjenigen Büchern, Bildern und Hausrat montierte, die du bei ihm gefunden, wiewohl er nur der wollenen Decke, darunter er dieselbige Nacht auf dem Stroh geschlafen, für all dasjenige begehrte, das er mir verehrt hatte, daraus ließ er sich einen Rock machen; so musste ich auch meine Wagenketten, die er stetig getragen, mit ihm um eine güldene, daran er seiner Liebsten Conterfait trug, vertauschen, also dass er weder Geld noch Geldswert behielt, mein Knecht führte ihn an den einödesten Ort des Walds, und half ihm daselbst seine Hütten aufrichten. Wasgestalt er nun sein Leben daselbst zugebracht, und womit ich ihm zuzeiten an die Hand gangen und ausgeholfen, weißt du so wohl, ja zum Teil besser als ich.

Nachdem nun neulich die Schlacht vor Nördlingen verloren, und ich, wie du weißt, rein ausgeplündert und zugleich übel beschädiget worden, hab ich mich hieher in Sicherheit geflehnet, weil ich ohndas schon meine besten Sachen hier hatte: Und als mir die baren Geldmittel ausgehen wollten, nahm ich drei Ring und obgemeldte güldene Ketten, mitsamt dem anhängenden Conterfait, so ich von deinem Einsiedel hatte, maßen sein Petschier-Ring auch darunter war, und trugs zu einem Juden, solches zu versilbern, der hat es aber der Köstlichkeit und schönen Arbeit wegen dem Gubernator käuflich angetragen, welcher das Wappen und Conterfait stracks gekennet, nach mir geschickt, und gefragt, woher ich solche Kleinodien bekommen? Ich sagte ihm die Wahrheit, wies des Einsiedlers Handschrift oder Übergabsbrief auf, und erzählet allen Verlauf, auch wie er im Wald gelebt und gestorben: Er wollte solches aber nicht glauben, sondern kündet' mir den Arrest an, bis er die Wahrheit besser erführe, und indem er im Werk begriffen war, eine Partei auszuschicken, den Augenschein seiner Wohnung einzunehmen und dich hieherholen zu lassen, so sehe ich dich in Turm führen. Weil denn der Gubernator nunmehr an meinem Vorgeben nicht zu zweiflen Ursach hat, indem ich mich auf den Ort, da der Einsiedel gewohnet, item auf dich und andere lebendige Zeugen mehr, insonderheit aber auf meinen Mesner berufen, der dich und ihn oft vor Tags in die Kirch gelassen, zumalen auch das Brieflein, so er in deinem Gebetbüchlein gefunden, nicht allein der Wahrheit, sondern auch des seligen Einsiedlers Heiligkeit ein treffliches Zeugnis gibt; also will er dir und mir wegen seines Schwagers sel. Gutes tun, du darfst dich jetzt nur resolviern, was du willst, dass er dir tun soll? willst du studiern, so will er die Unkosten dazu geben; hast du Lust ein Handwerk zu lernen, so will er dich eins lernen lassen; willst du aber bei ihm verbleiben, so will er dich wie sein eigen Kind halten, denn er sagte, wenn auch ein Hund von seinem Schwager sel. zu ihm käme, so wolle er ihn aufnehmen»: Ich antwortet, es gelte mir gleich, was der Herr Gubernator mit mir machte.

Das 23. Kapitel: Simplicius wird ein Page, item, wie des Einsiedlers Weib verloren worden

Der Pfarrer zögerte mich auf in seinem Losament bis zehn Uhr, ehe er mit mir zum Gouverneur ging, ihm meinen Entschluss zu sagen, damit er bei demselben, weil er ein freie Tafel hielt, zu Mittags ein Gast sein könne; denn es war damals Hanau blockiert und ein solche klemme Zeit bei dem gemeinen Mann, bevorab den gedehnten Leuten in selbiger Festung, dass auch etliche, die sich etwas einbildeten, die angefrornen Rübschalen auf der Gassen, so die Reichen etwa hinwarfen, aufzuheben nit verschmäheten: Es glückte ihm auch so wohl, dass er neben den Gouverneur selbst über der Tafel zu sitzen kam, ich aber wartete auf mit einem Teller in der Hand, wie mich der Hofmeister anwies; in welches ich mich zu schicken wusste, wie ein Esel ins Schachspiel: Aber der Pfarrer ersetzte allein mit seiner Zung, was die Ungeschicklichkeit meines Leibs nicht vermochte. Er sagte, dass ich in der Wildnis erzogen, niemals bei Leuten gewesen, und dahero wohl für entschuldigt zu halten, weil ich noch nicht wissen könnte, wie ich mich halten sollte; meine Treu, die ich dem Einsiedel erwiesen, und das harte Leben, so ich bei demselben überstanden, wären verwundernswürdig, und allein wert, nicht allein meine Ungeschicklichkeit zu gedulden, sondern auch mich dem feinsten Edelknaben vorzuziehen. Weiters erzählte er, dass der Einsiedel alle seine Freud an mir gehabt, weil ich, wie er öfters gesagt, seiner Liebsten von Angesicht so ähnlich sei, und dass er sich oft über meine Beständigkeit und ohnveränderlichen Willen, bei ihm zu bleiben, und sonst noch über viel Tugenden, die er an mir gerühmt, verwundert hätte. In Summa, er konnte nicht genugsam aussprechen, wie mit ernstlicher Inbrünstigkeit er kurz vor seinem Tod mich ihm, Pfarrern, rekommendiert, und bekannt hätte, dass er mich so sehr als sein eigen Kind liebe.

Dieses kitzelt' mich dermaßen in Ohren, dass mich bedünkte, ich hätte schon Ergötzlichkeit genug für alles dasjenige empfangen, das ich je bei dem Einsiedel ausgestanden. Der Gouverneur fragte, ob sein sel. Schwager nicht gewusst hätte, dass er der Zeit in Hanau kommandiere? »Freilich«, antwortet' der Pfarrer, »ich habs ihm selbst gesagt; er hat es aber (zwar mit einem fröhlichen Gesicht und kleinem Lächlen) so kaltsinnig angehört, als ob er niemals keinen Ramsay gekennt hätte, also dass ich mich noch, wenn ich der Sach nachdenke, über dieses Manns Beständigkeit und festen Vorsatz verwundern muss, wie er nämlich übers Herz bringen können, nicht allein der Welt abzusagen, sondern auch seinen besten Freund, den er doch in der Nähe hatte, so gar aus dem Sinn zu schlagen!« Dem Gouverneur, der sonst kein weichherzig Weibergemüt hatte, sondern ein tapferer heroischer Soldat war, stunden die Augen voll Wasser. Er sagte: »Hätte ich gewusst, dass er noch im Leben, und wo er anzutreffen gewesen wäre, so wollte ich ihn auch wider seinen Willen haben zu mir holen lassen, damit ich ihm seine Guttaten hätte erwidern können, weil mirs aber das Glück mißgönnet, also will ich an seiner Statt seinen Simplicium versorgen: Ach!« sagte er weiters, »der redliche Kavalier hat wohl Ursach gehabt, seine schwangere Gemahlin zu beklagen, denn sie ist von einer Partei kaiserlicher Reuter im Nachhauen, und zwar auch im Spessart gefangen worden. Als ich solches erfahren, und nichts anders gewusst, als mein Schwager sei bei Höchst tot geblieben, habe ich gleich einen Trompeter zum Gegenteil geschickt, meiner Schwester nachzufragen und dieselbe zu ranzionieren, hab aber nichts anders damit ausgerichtet, als dass ich erfahren, gemeldte Partei Reuter sei im Spessart von etlichen Bauren zertrennt, und in solchem Gefecht meine Schwester von ihnen wieder verloren worden, also dass ich noch bis auf diese Stund nicht weiß, wo sie hinkommen.«

Dieses und dergleichen war des Gouverneurs und Pfarrern Tischgespräch, von meinem Einsiedel und seiner Liebsten, welches Paar Ehevolk um so viel desto mehr bedauret wurde, weil sie einander nur ein Jahr gehabt hatten. Aber ich wurde also des Gubernators Page, und ein solcher Kerl, den die Leut, sonderlich die Bauren, wenn ich sie bei meinem Herrn anmelden sollte, bereits Herr Jung nenneten, wiewohl man selten einen Jungen siehet, der ein Herr gewesen, aber wohl Herren, die zuvor Jungen waren.