Stete Fahrt, unstete Fahrt

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Stete Fahrt, unstete Fahrt
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Inhaltsverzeichnis

Kapitel

Vorwort

August 1960: Als Funkoffizier auf MS „Rabenfels“

Ab 1923: Kindheit in Oldenburg

Erinnerungen an jüdische Bekannte

1958:Episoden auf MS „Lichtenfels“

Fortsetzung Kindheit

Schulzeit

Episoden aus der Jugendzeit

Unruhige Zeiten

Ich – der erste Nazi in der Familie

Glaubenssachen

Pubertät, Sexualität, Mädchen

Fortsetzung Schulzeit ,danach Berufsausbildung

September 1939: Kriegsbeginn 1940: Einberufung zum Reichsarbeitsdienst (RAD) 1941: Lauter Lügen oder „Es ist so schön Soldat zu sein, Rosemarie“

März 1942: Krieg über Lübeck 1942: Versetzung zum ‚Deutschen Afrikakorps‘ (DAK)

Juni 1942:Ankunft Tobruk/Libyen

Weiter nach Ägypten

Bei der Leichten Kolonne der Nachrichtenabteilung 475 (NA 475 DAK)

In der Qattarasenke

Ab November 1942: Rückzug des DAK aus Ägypten und Libyen

Bis Mai 1943: Rückzug in Tunesien

Mai 1943: Das Ende des Afrikakorps

Mitte Mai 1943: In englischer Kriegsgefangenschaft

Juli/ August 1943: Als Kriegsgefangener mit dem Schiff nach Amerika Mitte August 1943: Ankunft im Hafen von New York

Ende August 1943: Ankunft im Kriegsgefangenlager Livingston, Louisiana (La.)

1956 bis 1958: Episoden auf MS „Hohenfels“

September 1943 bis September 1944: Camps Livingston und Lockport, La.

Oktober bis Ende 1944: Camp Matthews, La.

Januar bis Juli 1945: Camp Forrest, Tennessee

Jul ibis Oktober 1945: Camp Carlisle, Pennsylvania (Penn.)

1956 bis 1957: Episode auf MS “Hohenfels”

Fortsetzung: Camp Carlisle, Penn.

Oktober 1945: Camp Richmond, Virginia (Va.)

Oktober bis Dezember 1945: Camps Rupert, Idaho und Harlem, Montana

Dezember 1945 bis März 1946: Camp Haan, California (Cal.)

März 1946: Camp Fort Eustice, Va.

1957: Äquatortaufe auf MS “Hohenfels”

1957/58: Meine letzte Reise auf MS “Hohenfels“

April 1946: Mit dem Schiff zurück nach Europa

Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft

1960: Meine zweite Reise auf MS „Rabenfels“

Mai 1946: Nach der Kriegsgefangenschaft: Freiheit und Verpflichtung

Ab Juni 1946: Arbeit als KFZ-Elektriker

August 1946: Wiedersehen mit Gertrud

September/Oktober 1946: Urlaub in Ilvesheim

Gertrud …

… und die Unendlichkeit

Bis Mai 1947: Noch Arbeit als KFZ-Elektriker

Mai bis September 1947: Als Radiotechniker bei der AEG-Ft in Oldenburg

Ab September 1947: Wieder Arbeit als KFZ-Elektriker

1948 bis 1950: Arbeit als Rundfunkmechaniker

1950 bis 1954: Selbständig nach Meisterprüfung

1953-54: Lehrgang Seefunk an der Seefahrtschule in Bremen

Juli bis Oktober 1954: Erste Reise als Funkoffizier

November 1954 bis April 1955: Auf MS „Frauenfels“

April 1955 bis Februar 1956: Auf MS „Lichtenfels“ August 1961 bis April 1962: Auf MS „Weissenfels“

Juni bis September 1962:; Auf MS „Wildenfels“

Rückblick

Nachwort

Vorwort: Der vorliegende Erlebnisbericht ist die dritte Version einer Autobiografie, die ich nach 1992, dem Todesjahr meiner Frau, zu schreiben begonnen habe. Die erste Ausgabe erschien 2010 unter dem Titel: „Du kannst an keiner Stelle bleiben“ im R.G. Fischer Verlag, Frankfurt. In ihm fehlen noch wesentliche Berufserlebnisse, die ich dann in der zweiten Version mit dem Titel: „Alter Mann mit Schnallenschuh“ nacherzählt habe. Dieser Band ist 2014 im Verlag Isensee in Oldenburg erschienen. In ihm sind weitere Begebenheiten aus früheren Jahren und einige schwarzweiß Fotos eingefügt. Die Möglichkeiten der Computertechnik und des Internets erlauben mir die Veröffentlichung meines Berichtes auch als E-Book. In dieser letzten Version*) konnte ich zusätzliche Fotos in Farbe einfügen. Außerdem habe ich weitere, bisher nicht beschriebene Erlebnisse, hauptsächlich solche aus der schwierigen Periode der Jugendzeit, hinzugefügt.

*) Es gab noch eine Version mit dem Titel „Durst schmerzt schlimmer als Heimweh“. Sie wurde jedoch zurück genommen, weil ihre Ankündigung nicht befriedigen konnte. Die vorliegende Version enthält darüber hinaus weitere Erzählungen.

Häufig folgen in dem Bericht Erklärungen zu manchen Begebenheiten, über die ich erst später Kenntnisse und Wissen erlangen konnte. Ich habe mich trotzdem bemüht, solche Begebenheiten möglichst ungefärbt durch mein späteres Wissen über die damaligen Umstände darzustellen. Es handelt sich dabei hauptsächlich um Begebenheiten in der Zeit, in der Deutschland – wie ich es zu nennen pflege – „seine tiefste Selbsterniedrigung“ durchlebte, also die Zeit des aufgeblasenen und großsprecherischen „Dritten Reichs“, das zum Glück trotz des Ewigkeitswahns seiner Adepten nur zwölf Jahre dauerte. Für viele Menschen innerhalb und außerhalb Deutschlands sind diese wenigen Jahre jedoch zum Trauma geworden. Wenn ich mich während der Zeit der Naziherrschaft von den Jugendorganisationen „Deutsches Jungvolk“ (DJ) und „Hitlerjugend“ (HJ) nach kurzer Zugehörigkeit distanzieren konnte, so gehörte ich doch nicht zum Widerstand gegen diese Zwangsorganisationen, wie etwa die Mitglieder der „Edelweißpiraten“ und anderer illegaler Jugendbünde, die von der NSDAP, der Justiz und der Polizei kriminalisiert wurden. Erst nach dem Untergang der Naziherrschaft wurde mir das ganze Ausmaß dieser Zeit bewusst und ich sehe es so, dass der Untergang der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft durch den Sieg der Alliierten Streitkräfte für viele Menschen – auch in unserem Land – eine Befreiung von einem System ist, über dessen verbrecherischen Charakter genug gesagt und geschrieben wurde, trotz aller Vorbehalte, die man gegen eine solche Auffassung anführen kann.

Vielleicht können mir Leser meines Berichtes einen naiven Amerikanismus vorhalten. Aber meine Erlebnisse während meiner Kriegsgefangenschaft standen noch nicht unter den Eindrücken des späteren Vietnamkrieges und der Spionageaffären, die heute den USA vorgeworfen werden. Noch nicht einmal die Anklagen wegen „unamerikanischer Umtriebe“ durch Senator Mc Carthy waren damals voraus zu sehen. Und ich muß gestehen, daß diese Begebenheiten zwangsläufig auch bei mir zu einer Änderung meines Amerikabildes geführt hatten. Antiamerikanismus in unserem Land lehne ich trotzdem entschieden ab.

1954 konnte ich meinen Jugendtraum, als Funker zur See zu fahren, wahr machen. Erlebnisse dieser Zeit sind in diesem Bericht zum Teil eingestreut, an seinem Ende sind die Vorbereitung und die ersten Reisen meiner Seefahrtzeit geschildert.

An dieser Stelle möchte ich Frau Lucie Patrizia Arndt für ihre wertvolle Unterstützung bei der Verwirklichung dieses Berichtes danken. Sie hat mir schon bei der Abfassung der zweiten Version neben der Arbeit an ihrer Promovierung durch ihre Korrekturlesung geholfen, meine Autobiografie möglichst fehlerfrei dem Verlag Isensee zu übergeben. Dabei beharrte sie mit viel Geduld darauf, die eine oder andere Begebenheit, so wie ich sie beschrieben hatte, durch eine griffigere Wortwahl dem Leser verständlicher zu machen. Unnachgiebig war sie auch bei der genauen Identifizierung von Quellenangaben. Ich glaube nicht, dass ich die jetzt vorliegende E-Book-Version ohne ihre wertvolle Unterstützung und Sachkenntnis fertiggebracht hätte. Danke, Lucie!


Kleines burmesisches Fracht- und Passagierschiff auf dem Rangunriver

Nicht die Dinge bringen die Menschen in Verwirrung,

sondern die Ansichten über die Dinge.

Epiktet

August 1960: Als Funkoffizier auf MS „Rabenfels“

Das Seefahrtbuch ist das wichtigste Der Anmusterungsvermerk des Autors für das

Reisedokument des Seefahrers Motorschiff „Rabenfels“ in seinem Seefahrtbuch

Motorschiff „Rabenfels” der DDG HANSA*), Unterscheidungsmerkmal und Funk-Rufzeichen DLCR, verläßt am 17. August spät am Nachmittag den Hafen von Rangoon (jetzt Yangon) und fährt auf dem Rangoon River, dem südlichen Teil des Irawaddi, in Richtung zum Golf von Bengalen. Ich stehe auf der Steuerbordseite des Brückennocks und beobachte, wie die Landschaft am Westufer des Flusses langsam vorüberzieht. Bauern pflügen ihre Reisfelder, die Pflüge werden von Wasserbüffeln gezogen. In den vorbeiziehenden kleinen Dörfern sind die goldglänzenden Pagoden herausragende Punkte; sie können sich allerdings nicht mit den größeren Pagoden in der Hauptstadt, geschweige mit der größten, der Shvedagon, messen. Der burmesische Flußlotse hat den Maschinentelegrafen auf „Langsam Voraus” stellen lassen, damit die Bugwellen die vielen kleinen Sampans, die dicht unter dem Ufer auf beiden Seiten des Flusses in beiden Richtungen unterwegs sind, nicht zum Kentern bringen. Der Himmel über Rangoon und seinem weitläufigen Hafen ist tiefgrau. Ein Unwetter braut sich über der Stadt zusammen. Die Shvedagon Pagode und einige kleinere Pagoden leuchten golden in das Grau des Himmels hinein, aus dem immer wieder Blitze zucken. Im Westen verschwindet die Sonne hinter Wolken und es wird schon etwas dunkel. Der Lotse schimpft auf Englisch und betätigt wütend den Typhoon, weil quer laufende Sampans sich in Gefahr bringen, mit unserem Schiff zu kollidieren. Ich verlasse die Nock und gehe durch die Brücke in meine Funkstation, um Rangoon Radio, die burmesische Küstenfunkstelle mit dem Rufzeichen XYR, mitzuteilen, daß unser Schiff aus dem Hafen ausgelaufen und unser nächstes Ziel Madras (jetzt Chennai) ist. Madras ist der wichtigste Hafen auf dem südlichen indischen Subkontinent am Golf von Bengalen.

 

*) Deutsche Dampfschifffahrtsgesellschaft (mit drei ‚f‘) HANSA, Bremen; MS „Rabenfels“, gebaut 1956, ist das letzte einer Serie von acht Schwergutschiffen mit einer Tragfähigkeit von 8500 Tonnen und mit zwei Schwergutbäumen für 30 und 120 Tonnen Lasten. MS „Lichtenfels“, in Dienst gestellt 1954, ist das erste dieser Serie. Das Schwergutgeschirr – von der Stülckenwerft in Hamburg konstruiert – fand auf ausländischen Schiffen einige ähnliche Nachbauten. Die beiden Schwergutbäume operieren zwischen Schrägmasten und die Kommandobrücke liegt mit den Wohneinrichtungen des nautischen.und Funkpersonals vorn auf der Back (Vorschiff), die Maschine und die Wohnungen des Decks- und Maschinen personals – einschließlich der Schiffsingenieure – achtern, was dem Schiff zusammen mit den Schrägmasten ein bisher ungewöhnliches Erscheinungsild verleiht. Die Serie ist deshalb auch unter der wohl spöttisch gemeinten Bezeichnung „Picasso-Schiffe“ bekannt geworden.


Die 94m hohe Shvedagon in Rangoon



Sandsturm über Rangoon Vorn eine kleine Pagode . Im Hintergrund die große Shvedagon.


Der Aufenthalt in Rangoon war für mich mit einem nicht gerade angenehmen Erlebnis verbunden: Wir waren das zweite Mal auf dieser Reise in Rangoon. Während des ersten Aufenthalts kam ein burmesisches Zollkommando an Bord und durchsuchte alle Kammern der Besatzung nach ausländischem, vor allem indischem, Geld. Ich war am Vormittag in der Stadt Rangoon gewesen und, zurück an Bord, erfuhr ich vom Messesteward, daß auch meine Kammer in seiner Anwesenheit durchsucht wurde und sie bei mir siebzig indische Rupien beschlagnahmt hatten. Dies war Geld, das ich von einem indischen Fahrgast für die Übermittlung von Funktelegrammen erhalten hatte und das ich in Bremen meiner Reederei hätte übergeben sollen. Der Ordnung halber sollte ich, wie auch die anderen Besatzungsangehörigen, Geld, das nicht der Währung im jeweiligen Aufenthaltsland entsprach, dem Kapitän zur Verwahrung unter Verschluß geben, sodaß es nicht von Zoll oder Polizeibehörden hätte beschlagnahmt werden können. Aber das wird praktisch kaum gemacht, weil Zollfahndungen nach ausländischen Währungen bisher nicht erlebt wurden. Wir fuhren ein paar Tage nach der burmesischen Zollaktion nach Chittagong (1960 noch Ostpakistan, jetzt Bangladesh), wo uns unser Agent unter anderen Postsachen auch mehrere Anzeigen der burmesischen Zollfahndung übergab, alle gerichtet an die Mitglieder der Besatzung der „Rabenfels“, bei denen die Zöllner in Rangoon ausländisches Geld beschlagnahmt hatten. Alle Anzeigen, also auch die an mich gerichtete, hatten gleichlautenden Text. Wir wurden aufgefordert, vor der Zollfahndung in Rangoon zu erklären, warum die Behörde keine weitere Strafverfolgung wegen des Zollvergehens gegen jeden einzelnen von uns ergreifen sollte. (It is found that you have failed to declare the above currencies in the „Foreign Currencies List“ of the crew members, and there fore you are called upon to submit your explanation within 14 days as to why notion should not be taken against you. If you fail to submit the same within the period mentioned above notion will be taken against you under the existing Rules and Regulations, without further notice. Unterschrift: F. Munroe, Asst Commissioner of Custom). Kapitän Hans Buss gab mir alle Anzeigen und meinte, ich solle – wenn zurück in Rangoon – mit Unterstützung der Agentur die missliche Angelegenheit beim Zoll in Ordnung bringen. Er glaubte, daß ich das am Besten könne, schon meiner englischen Sprachkenntnisse wegen.

Eine Woche später waren wir wieder in Rangoon. Unser Agent nahm mich mit in sein Büro, entwarf dort ein Schreiben an die Zollfahndung und beorderte einen seiner einheimischen Angestellten, mit mir zusammen zu dieser Behörde zu gehen, um mich dort in meiner Rechtfertigung zu unterstützen. Im Zollgebäude wurden wir von Mr. Munroe, einem leitenden Beamten, der auch die Anzeigen unterschrieben hatte, empfangen. Er erwies sich als ein sehr freundlicher Herr, der sich nach einigen amtlichen Formalitäten mit mir unterhielt. Er meinte, es könne noch eine Weile dauern, bis wir zum Chef der Zollfahndung vorgelassen würden, um diesem meine Erklärung vorzubringen. Mein Begleiter von der Agentur saß dabei, ohne sich an unserer Unterhaltung zu beteiligen. Nach etwa einer halben Stunde wurde ich von einem uniformierten Beamten in das Zimmer des Chefs der Zollfahndung gerufen. Mein Begleiter kam mit und gab dem Beamten das Schreiben unseres Agenten, der es auf den Schreibtisch des Zollfahndungschefs legte. Mir wurde ein Platz vor dem Schreibtisch des Herrn angewiesen, mein Begleiter mußte hinter mir Platz nehmen. Der uniformierte Beamte blieb hinter seinem Vorgesetzten stehen, wohl um auf Anweisungen zu warten. Der Chef, ein breitschulteriger, gewichtiger Mann sah mich unentwegt durchdringend, fast grimmig, an, als wenn er damit ausdrücken wollte „Junge, erzähl mir ja keine Märchen!“ Um seinem strengen Blick nicht auszuweichen, fing ich gleich an, ihm unsere Lage zu erklären indem ich darauf hinwies, daß wir bei unserer ersten Ankunft in Rangoon keine Aufklärung über die neuen scharfen Währungsbestimmungen in Burma erhalten hätten, und daß bei unseren früheren Aufenthalten in diesem Land neben dem Kyat noch die Indische Rupie gültige burmesische Währung war. Nachdem ich geendet hatte, wandte sich der gestrenge Herr an meinen Begleiter und warf ihm vor, daß die Schuld an unserem Vergehen bei der Agentur läge, weil sie es versäumte, die Besatzungen der Schiffe, die sie zu betreuen hätte, auf die strengen neuen burmesischen Zollbestimmungen, speziell auf das Verbot der Einfuhr fremder Währungen, aufmerksam zu machen.*) Das beschlagnahmte Geld könne uns nicht wieder zurück erstattet, von einem weiteren Verfahren gegen uns solle aber abgesehen werden, sagte er, nachdem er sich wieder mir zugewandt hatte und mich dabei wesentlich freundlicher als vorher ansah. Unsere Namen blieben jedoch aktenkundig für den Fall eines neuen Zollvergehens und er empfahl mir dringend, dies auch meinen Bordkollegen mitzuteilen. Ich versprach es ihm und war damit entlassen. Das Schreiben unseres Agenten, das ihm der Beamte auf den Schreibtisch gelegt hatte, interessierte ihn anscheinend überhaupt nicht, weil er es nicht anrührte. Mein Begleiter hatte gar nichts zur Sache gesagt. Draußen legte mir der uniformierte Beamte ein großes Buch vor, in dem mein und die Namen der anderen Bordangehörigen eingetragen waren mit den Angaben über die beschlagnahmten Geldbeträge. Ich musste für uns alle in dem Buch eine Bestätigung unterschreiben, daß wir mit der Beschlagnahme der aufgefundenen Währungen einverstanden seien, womit die ganze unerquickliche Angelegenheit noch einigermaßen glimpflich für uns abgelaufen war. Nachdem ich mich von dem freundlichen Mr. Munroe, der als Assistent des Zollfahndungschefs sein Stellvertreter war, verabschiedete, wobei er mir eine gute Weiterreise wünschte, verließ ich das Zollamt und trennte mich von meinem burmesischen Begleiter, der mir zwar keine Hilfe gewesen war, aber wenigstens die Funktion einer Art Prügelknabe an meiner Statt ausgeübt hatte.

Wieder an Bord meint Kapitän Buss: „Siehst du, Hanni (so nennt er mich immer, und ‚du‘ sagt er auch gewöhnlich zu mir), das war doch gut, daß du allein da warst. Du kannst das am Besten.“ Am nächsten Morgen besuche ich vor dem Frühstück die Mannschaftsmesse und berichte den Leuten über den Verlauf und das Ergebnis meiner Bemühungen bei der Zollfahndung, nicht ohne darauf hinzuweisen, daß für mich das Verhör beim Chef der Zollfahndung sehr unangenehm gewesen und ich nicht ohne ‚Manschetten‘ dort hingegangen bin. Ich erwähne auch, daß unsere Namen bei der Zollbehörde aktenkundig seien und keiner von uns sich bei zukünftigen Aufenthalten in Rangoon eines Zollvergehens schuldig machen dürfe, weil er dann mit Sicherheit mit einer schärferen Strafe zu rechnen habe. Der Bootsmann als Messeältester der Mannschaftsmesse, selbst auch Betroffener, bedankt sich im Namen aller Beteiligten dafür, daß ich sie in dem Verfahren vertreten hatte, sodaß sie nicht selbst dort erscheinen mußten und wo möglich nicht so milde davon gekommen wären. Manch einer von ihnen hat sich und uns alle vielleicht schon im burmesischen Knast gesehen. Auch ich habe, wenn auch nicht mit Gefängnis, so doch mit der Möglichkeit einer weiteren Geldstrafe – neben der Beschlagnahme der aufgefundenen Rupien – rechnen können, zumal mir unser Agent vor meinem Besuch bei der Zollfahndung erzählte, daß schon hohe Geldstrafen wegen Währungsvergehens von zuständigen Gerichten in Burma ausgesprochen worden seien.

*) Burma (auch Birma, birmanisch statt burmesisch), das vor dem Zweiten Weltkrieg zum Angloindischen Dominium gehörte, hatte sich in der zweiten Hälfte der 50er Jahre aus der indischen Währungsunion gelöst und an Stelle der indischen Rupie den Kyat als Einheit der neuen Währung per Gesetz beschlossen. Der Zoll achtete danach besonders scharf darauf, daß indische Rupien endgültig aus dem birmanischen Geldumlauf verschwanden. Burma heißt heute Myanmar.

An einem der nächsten Abende ruft mich Kapitän Buss auf die Brücke und erzählt mir, daß längsseits des Schiffes zwischen den Leichtern mit dem Teakholz, das hier geladen wird, eine schon in Verwesung geratene menschliche Leiche angeschwemmt worden ist. Ich soll mit dem Morsescheinwerfer eine Verbindung zum Portoffice aufnehmen und den Leichenfund melden. Die Signalstelle des Portoffice antwortet mir auf mein Rufen mit ihrem Morsescheinwerfer, und nachdem ich meine Meldung übermittelt habe, signalisiert sie uns nach einer kurzen Wartezeit, daß ein Polizeiboot längsseits kommen würde, um die angeschwemmte Leiche abzuholen. Etwa fünfzehn Minuten später kommt das Polizeiboot. Zwei Männer der Besatzung werfen die Schlinge eines starken Seils um den Kopf der Leiche. Sie halten sich wegen des Verwesungsgeruchs mit Tüchern die Nase zu, auch die Arbeiter auf den Leichtern, die immer wieder versucht hatten, die Leiche mit langen Stangen von ihren Kähnen wegzudrücken. Der Verwesungsgeruch ist bis zu uns auf der Brücke zu spüren. Nachdem die Polizisten die Leiche mit dem Seil um den Hals vertäut haben, befestigen sie dessen anderes Ende an ihrem Boot und fahren dann mit ziemlich hoher Geschwindigkeit zurück zur Anlegestelle des Portoffice. Die Signalstelle ruft uns etwas später an und morst: „to master of mv rabenfels thank you for information about corpse“. Ich habe die Burmesen bei meinen mehrmaligen Aufenthalten in ihrem Land allgemein als zuvorkommende und freundliche Menschen kennen gelernt.*) In der Nacht nach diesem Vorfall kann ich schlecht schlafen. Ich habe immer die aufgedunsene Wasserleiche vor meinem geistigen Auge.

*) Dies kann ich durch das folgende Erlebnis illustrieren: Während einer Reise mit MS „Hohenfels“ haben wir Passagiere an Bord, u.a. ein Ehepaar mit einer etwa acht Jahre alten Tochter. In Rangoon will das Ehepaar die Shvedagon Pagode (Dagon, burmesisch, heißt Pagode) besichtigen und die Frau bittet mich, sie zu begleiten. Zwischen den Eheleuten ist das Verhältnis sehr gespannt; sie sprechen überhaupt nicht mehr miteinander. Die Ehefrau nimmt ihre Fotoausrüstung in einer Tasche mit. Während des Rundgangs um die große Pagode macht sie einen müden und erschöpften Eindruck. Die Sonne brennt und es ist sehr warm, kein Lüftchen bringt etwas Abkühlung. Vor einer Buddhastatue in einem überdachtem Schrein machen wir ein paar Minute Pause und wandern dann weiter zum Ausgang des Pagodengebietes, wo eine lange breite Treppe mit Abstufungen nach draußen zu einem Vorplatz und zur Straße führt. Unterwegs, mitten auf der Treppe, vermißt die Frau ihre Fotoausrüstung. Sie regt sich auf und macht ihr Kind dafür mitverantwortlich. Ich versuche, sie zu beruhigen und erbiete mich, zurück zu laufen und die Fototasche zu suchen. Das Kind kommt mit mir und wir sind schnell wieder auf dem Gelände der Pagode. Da das Mädchen barfuß läuft – die Schuhe muß man am Eingang zur großen Treppe zurück lassen – jammert es, weil die Fliesenplatten am Boden in der Mittagshitze sehr heiß geworden sind. Ich nehme die Kleine deshalb Huckepack und gehe mit ihr in die Richtung, aus der wir vorher gekommen sind. Unterwegs zeigen burmesische Besucher der Pagode immer freundlich und hilfsbereit in eine Richtung, und wir sehen schon bald die Fototasche auf einem Sockel vor der Buddhastatue, an der wir vorher eine Pause gemacht hatten. Seitlich der Statue hatte ein Mann ein Koffergrammofon aufgestellt und eine Platte mit einem Wiener Walzer aufgelegt. Er winkt uns freundlich zu, als wir die Fototasche an uns nehmen.

 


Auf dem Weg zur großen Pagode. Links drei Passagiere von MS „Hohenfels“



Buddhaschrein. Hier lag die Fototasche der Passagierin auf einem niedrigen Betonsockel


Nachdem der Lotse von Bord gegangen ist und MS „Rabenfels“ den Fluss verlassen und den Golf von Bengalen erreicht hat, höre ich auf der Seenot- und Anruffrequenz 500 Kilohertz ein englisches Schiff, das im Funkverkehr mit Rangoon Radio ist. Als der englische Kollege den Funkverkehr beendet hat, rufe ich ihn und vereinbare mit ihm eine andere Frequenz, wo ich ihn über unsere Erlebnisse mit der Zollfahndung in Rangoon berichte. Der britische Kollege bedankt sich bei mir und und meint, er werde sofort seinem Kapitän darüber berichten. – Wir verlassen burmesisches Hoheitgebiet, gehen auf Westkurs, fahren quer über den Golf von Bengalen und erreichen Madras in weniger als zwei Tagen –

Seit dem Juli 1954 fahre ich als Funkoffizier auf verschiedenen Schiffen der Bremer Reederei DDG HANSA. Die einzelnen Fahrtgebiete umfassen das Rote Meer und den Persischen Golf, Indiens Westküste und Westpakistan sowie Ceylon, Indiens Ostküste und Burma. 1956 kommen die USA hinzu, von wo es jedesmal zum Persischen Golf geht, vor allem nach Ras Tannura, den Ölverladehafen der ARAMCO (Arabian American Oil Company). Im Laufe meiner fast zehnjährigen Zugehörigkeit zur DDG „Hansa“ habe ich alle Fahrtgebiete der Reederei kennen gelernt.