Buch lesen: «Frausein zur Ehre Gottes», Seite 5

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KAPITEL 2
FRAUSEIN UND KULTUR

Wie aus dem bisher Gesagten bereits deutlich wurde, kann über die Rolle der Frau nicht nachgedacht werden, ohne den kulturellen Kontext einzubeziehen, in dem diese definiert und ausgelebt wird. Die Stellung der Frau in einer Gesellschaft ist geradezu ein Kulturmerkmal, an dem sich das Wesen einer Kultur offenbart. Deshalb möchte ich in diesem Kapitel einige grundsätzliche Aspekte der Beziehung zwischen Kultur und der Stellung der Frau beleuchten. Die gewonnenen Einsichten sollen dann mit den biblischen Befunden in Verbindung gebracht werden. Erkenntnisse der Natur- und Humanwissenschaften erweisen sich dabei als hilfreiches Instrument für ein „informiertes Verständnis des kulturellen ‚Wassers‘, in dem die Interaktion zwischen Gott und Mensch stattfindet“ (Kraft 1996, 89).

2.1 Das Wesen von Kultur
2.1.1 Definition von Kultur

Versucht man, das Wesen von Kultur zu erfassen, so stößt man in der Literatur auf eine Unzahl von Definitionen, deren übersichtlichste und einfachste die von Lothar Käser ist: „Kulturen sind Strategien zur Daseinsbewältigung“ (Käser 1998, 37).49 Alle Menschengruppen entwickeln Strategien, um mit der biologischen Natur des Menschen und seinem Umfeld angemessen umzugehen (Kraft 1996, 38; Käser 1998, 51–57). Die Definition umfasst das ganze Gefüge der Denkstrukturen, des Wertesystems und der Regeln einer menschlichen Gruppe, welche durch ihr Verhalten und ihre Produkte zum Ausdruck kommen (Käser 1998, 38–44; Hiebert 1985, 30). Die kulturellen Denk- und Verhaltensmuster sind den Menschen nicht bewusst, sondern bilden das selbstverständliche „Hintergrundsphänomen“ (Käser 1998, 44) ihres Lebens, das an jede nachfolgende Generation weitergegeben und von dieser erlernt wird (Käser 1998, 114–119).

2.1.2 Universale kulturelle Gemeinsamkeiten

Vergleicht man nun verschiedene Kulturen, so beeindruckt die Vielfalt der Strategien, die Menschen zur Daseinsbewältigung einsetzen. Gleichzeitig weisen alle Kulturen aber auch Gemeinsamkeiten auf. Diese zeigen sich weniger in einzelnen Verhaltensweisen als vielmehr in größeren strukturellen Kategorien. Sie zeugen von einem „universalen Kulturmuster“, nach dem alle Kulturen der Gegenwart und Vergangenheit geordnet sind (Murdock 1980, 125). Als Grundlage für dieses gemeinsame Muster können nur die „biologische und psychologische Natur des Menschen und die universalen Bedingungen menschlicher Existenz“ (Murdock 1980, 125) infrage kommen. Grundlegende menschliche Gemeinsamkeiten werden sowohl in der Heiligen Schrift als auch in den Humanwissenschaften vorausgesetzt (Kraft 1979, 81); E. Nida betont: „Die Ähnlichkeiten, die die Menschheit als kulturelle Spezies verbinden, sind viel größer als die Unterschiede, die sie trennen“ (Nida 1964).50 Kulturelle Strategien sind dann Antworten auf die universalen biologischen, psychologischen, spirituellen und sozialen Grundbedürfnisse des Menschen, die Menschengruppen in ihrem jeweiligen Umfeld entwerfen (Murdock 1980, 129–132). Das gemeinsame Schema zeigt sich in universalen kulturellen Funktionen (Murdock 1980, 131; Kraft 1979, 87) wie zum Beispiel der Institution der Ehe und Familie, der Bildung von Abstammungsgruppen, dem Hausbau, der Entwicklung eines medizinischen Systems, dem Einnehmen von Mahlzeiten, dem Feiern von Festen, dem Betreiben von Sport und dem Glauben an übernatürliche Wesen (Kraft 1979, 87).51 Die Ausgestaltung dieser Funktionen ist sehr vielfältig, und der Mensch kann sich an unzählige Verhaltensmuster anpassen (Shapiro 1980, 19), wenn auch alle „Strategien zur Daseinsbewältigung“ in irgendeiner Weise seine biologischen Vorgaben reflektieren (Shapiro 1980, 19) und in ihrer Variabilität von diesen limitiert werden (Herskovits 1980, 144).

2.1.3 Die Struktur einer Kultur

Tritt man nun von außen an eine Kultur heran, so kann man zunächst in ihren Institutionen und den Verhaltensweisen der Menschen nur ihre Oberflächenstruktur wahrnehmen. Erst nach längerer Zeit wird der Beobachter die Konzepte entdecken, die dieses Verhalten erklären und sinnvoll erscheinen lassen.

Dabei lassen sich verschiedene Ebenen einer Kultur unterscheiden, die wie die Schalen einer Zwiebel übereinanderliegen: Im Innersten wird eine Kultur von ihrer Weltanschauung gesteuert (Willowbank Report 1981, 312; Hiebert 1985, 45–48). Diese besteht aus den Grundannahmen, nach denen eine menschliche Gruppe die Welt interpretiert (Kraft 1996, 55). Diese Grundannahmen werden nicht hinterfragt und sind häufig, aber nicht notwendigerweise, religiöser Art (Willowbank Report 1981, 312; Kraft 1996, 53). Sie liefern das Erklärungsmuster für das Denken und Verhalten der Menschen (Kraft 1996, 52–53). Sie sind wie eine „Brille“, durch die die Mitglieder der Gruppe die Wirklichkeit wahrnehmen und interpretieren (Kraft 1996, 56), und wie eine „mentale Straßenkarte“, nach der sie ihr Verhalten ausrichten (Conn 1984, 15). Nach den Vorgaben dieses „philosophischen Rasters“ (Jacobs 1981, 133) organisiert ein Volk sein Leben und seine Erfahrungen. Das schließt die Muster für Persönlichkeitsmerkmale und den Gebrauch des Willens genauso ein wie Denk- und Gefühlsprozesse, Motivationsmuster und Beziehungen (Kraft 1996, 58–63).

Aus der Weltanschauung gehen wiederum die Überzeugungen und Werte einer Gruppe hervor, die als „kollektive Zielsysteme“ (Pezaro 1991, 25) allem Handeln Sinn geben. Aus diesen legt eine Volksgruppe ihre gemeinsamen Handlungsrichtlinien in Normen und Regeln fest. Damit sind auch die Erwartungen klar definiert, die eine Gesellschaft an ihre Mitglieder hat (Kluckhohn und Kelly 1980, 104). Für den Fall der Nichteinhaltung drohen Strafen, vor allem soziale Ausgrenzung.

Die äußere Manifestation einer Kultur ist dann der bunte Komplex aus ihren Institutionen, dem Verhalten der Menschen und den Produkten, die sie herstellen (Hiebert 1985, 35–37). Dieser lässt sich in verschiedene Bereiche52 aufgliedern, die typischerweise in allen Kulturen vorhanden sind, aber auf unterschiedliche Weise ausgelebt und bewertet werden (Herskovits 1980, 164): das religiöses System, die Wirtschaftsstruktur, die Technologie, das soziale System, das Kommunikationssystem, die politische Struktur und die Kunst (Kraft 1996, 49). In jedem Bereich kommt die Weltanschauung der entsprechenden Menschengruppe zum Ausdruck, und alle sind untereinander wie in einem Netzwerk verbunden und beeinflussen sich gegenseitig so sehr, dass Veränderungen in einem Sektor die anderen unweigerlich mitbetreffen (Kraft 1996, 124–125). Insgesamt ist dieses kulturelle Gefüge ein integriertes Ganzes, in dem alles aufeinander bezogen ist und sich gegenseitig beeinflusst (Herskovits 1980, 145; Hiebert 1985, 42–45). Kraft vergleicht es mit einem lebendigen Organismus (Kraft 1996, 124). Diese Ganzheitlichkeit verleiht einer Kultur ihre Stabilität (Hiebert 1985, 49).

2.1.4 Kulturveränderung

Trotz ihrer Stabilität sind Kulturen jedoch nicht statisch, sondern dynamisch und in konstantem Wandel begriffen (Herskovits 1980, 145–146; Willowbank Report 1981, 313; Kraft 1996, 359). Dieser Wandel geschieht von innen her durch Erfindungen und Entdeckungen aufgrund der Kreativität der Menschen, aber auch von außen durch Kontakte mit anderen Kulturen, Zugang zu Bildung und neuen Technologien (Herskovits 1980, 150; Dollard 1980, 443; Kraft 1996, 369). Dabei gibt es in jeder Kultur eine kontinuierliche Sorge um den Erhalt ihrer Identität und einen inneren Widerstand gegen zu viele und rasche Veränderungen (Herskovits 1980, 145). Ein zu rascher Wandel, der auf unvorbereiteten Boden trifft, kann schwerwiegende Folgen haben. Er kann ein Volk in Stress bringen, ja in einen regelrechten „Kulturschock“ versetzen (Kraft 1996, 125). Identitätsverlust und Demoralisierung sind die Folgen mit der Gefahr des Zerfalls und des Untergangs einer Kultur (Herskovits 1980, 145; Kraft 1996, 359).53 Über ein solches Geschehen in extremem Ausmaß gibt die Geschichte der indigenen Völker Lateinamerikas Zeugnis. Dabei zeigt sich aber auch die erstaunliche Fähigkeit mancher Kulturen, ihre Balance nach einer solchen Verletzung wieder zu finden und sich zu erholen (Kraft 1996, 125–126).

Neue Elemente werden von einer Kultur freiwillig am ehesten dann aufgenommen, wenn sie als passend zu den bestehenden Mustern empfunden werden und wenn das Ordnungsempfinden einer Gesellschaft erhalten bleibt. Das vorhandene Kulturmuster gibt also die Richtung und die Grenzen vor, innerhalb derer eine Veränderung hingenommen wird.

Charles Kraft weist auch christliche Mitarbeiter im kulturübergreifenden Dienst immer wieder auf die Gefahr hin, durch mangelnde Sensibilität bei der Verkündigung des Evangeliums und im Gemeindebau kulturelle Strukturen unnötig zu beschädigen und so ungewollt Gesellschaften aus dem Gleichgewicht zu bringen. Diese Gefahr sieht er vor allem im Blick auf die Sozialstrukturen eines Volkes. So könne die Einführung von an sich positiven und hilfreichen Veränderungen zu einem Zusammenbruch der Autoritätsstrukturen einer Gesellschaft führen, wenn sie zu schnell und nicht auf die rechte Weise geschehe (Kraft 1996, 126). Von dieser Problematik sind Veränderungen, die die Stellung der Frau in einer Gesellschaft beeinflussen, besonders betroffen. Nach Kraft ist an dieser Stelle besondere Vorsicht geboten, da die meisten Völker sehr familienorientiert sind und klar definierte und selbstverständlich gelebte kulturelle Normen für die Rolle der Frau in Familie und Gesellschaft haben. Kraft rät Mitarbeitern im interkulturellen Kontext deshalb: „Debatten über Geschlechterbeziehungen sollten im Kontext einer gegebenen Kultur geführt werden“ (Kraft 1996, 324).

2.1.5 Kultur aus der Perspektive der Heiligen Schrift

Höchste Würde kommt den menschlichen Kulturen zu durch die Tatsache, dass Gott, der unabhängig von ihnen existiert, sich nicht über sie hinweg, sondern in sie hinein offenbart hat: Er richtete sein Wort in bestimmten kulturellen Ausdrucksformen an Menschen in spezifischen Kulturen, und Jesus Christus, das fleischgewordene Wort Gottes, wurde in eine bestimmte Kultur und Zeit hineingeboren, in deren Rahmen und nach deren Grundmustern sein Leben ablief. Gott gebrauchte Kulturen, um seinen Heilsplan durchzuführen. Gleichzeitig sorgte er dafür, dass kulturelle Faktoren seine Wahrheit nicht verzerren konnten.

2.1.5.1 Kultur und Schöpfung

Weil der Mensch Gottes Geschöpf und sein Ebenbild ist, reflektiert auch jede menschliche Kultur etwas von Gottes Schöpfermacht, Vielfalt und Güte (Willowbank Report 1981, 311). Als Ebenbild Gottes bekam der Mensch den Auftrag zur Herrschaft über die Schöpfung und zu ihrer Gestaltung (Gen 1,28). Dieser göttliche Auftrag muss als Ursprung aller menschlichen Kultur gesehen werden (Willowbank Report 1981, 311). Ihn in der Abhängigkeit von Gott auszuführen, ist Teil der Bestimmung des Menschen auf dieser Erde (Willowbank Report 1981, 312).

2.1.5.2 Kultur und Sündenfall

Seit dem Sündenfall ist der Mensch selbst und alles, was er tut, von der Sünde durchsetzt und verzerrt (Röm 3,9–23). Deshalb gibt es kein Kulturelement, das nicht zugleich den Missbrauch der Gottebenbildlichkeit ausdrückt (Nicholls 1981, 56). Der Mensch will nicht Gott verherrlichen, sondern sich selbst. Bereits in Genesis 3 und 4 zeigt sich, wie sich das auf das Zusammenleben von Menschen in einer Gesellschaft auswirkt (Nicholls 1981, 56). Allerdings ist es nicht nur der Mensch, der durch seine Sündhaftigkeit Kultur verzerrt und befleckt, sondern seit dem Sündenfall hat sich Satan selbst der menschlichen Kulturen bemächtigt und drückt ihnen als „Fürst dieser Welt“ seinen Stempel auf (Joh 12,31; 14,30; 16,11; 1Joh 5,19). Er verführt und blendet Menschen (2Kor 6,16; 2Kor 4,4) und ist mit dämonischen Mächten in den menschlichen Kulturen aktiv (1Kor 10,20). Kultur ist also aus geistlicher Sicht nicht neutral, sondern immer „ein eigenartiger Komplex aus Wahrheit und Irrtum, Schönheit und Hässlichkeit, Gutem und Bösem, aus der Suche nach Gott und der Rebellion gegen ihn“ (Nicholls 1981, 56).54 Somit muss erwartet werden, dass weder einzelne kulturelle Ausdrucksformen noch universale Gemeinsamkeiten ausschließlich von der Biologie des Menschen oder seinen Umweltgegebenheiten vorgegeben sind, sondern dass alles auch die Spuren der sündigen Natur des Menschen und satanischer Einwirkungen trägt.

2.1.5.3 Kultur und das Heilshandeln Gottes

Das Heilshandeln Gottes in dieser Welt hat von Anfang an alle menschlichen Volksgruppen im Blick (Gen 10; Gen 12,1–3). Zu seiner Konkretisierung in der Geschichte engt Gott sein Handeln zunächst auf eine einzige Nation, Israel, ein. Diese macht er zum Modellvolk, an dessen Menschen und Kultur er seine Herrlichkeit darstellen will (Ex 19,5–6). Nachdem er das Volk aus der Gefangenschaft in Ägypten gerettet hat, wo seine Kultur sich bisher entwickelt hatte, will er die Weltanschauung seines Volkes konkurrenzlos prägen (Ex 20,3) und das gesamte kulturelle Gefüge seines Lebens als Gottesvolk bestimmen (Ex 20–31). Aber Israel entfernt sich immer wieder von Gott und bringt das in seinem kulturellen Leben zum Ausdruck.55 So zeigt sich an diesem Volk modellhaft die Unfähigkeit gefallener Menschen und ihrer Kulturen, nach Gottes Maßstäben zu leben (Röm 3,19–20).

In Jesus Christus wird Gott selbst Mensch und integriert sich in die Kultur des Volkes Israel. Als einziger Mensch lebt er ungebrochen nach Gottes Maßstäben (Hebr 4,15; Joh 8,46) und verkündigt den Anbruch des Reiches Gottes in seiner Person (Mk 1,15). Durch sein Erlösungswerk am Kreuz erwirkt er den Menschen Vergebung ihrer Schuld (Eph 1,7) und den Eintritt in das Reich Gottes. Diese Erlösung gilt allen Menschen und Volksgruppen (Joh 3,16). Nach seiner Auferstehung sendet Jesus seine Jünger mit dem Evangelium zu allen Völkern dieser Erde (Mt 28,19–20).

2.1.5.4 Kultur und die Gemeinde Jesu

Aus denen, die die Erlösung im Glauben annehmen und damit in das Reich Gottes eintreten, entsteht eine neue, bisher nie da gewesene Einheit, die Gemeinde. Sie besteht nicht aus Menschen einer Kultur, sondern aus den Glaubenden aller Kulturen dieser Erde (Eph 2,11–3,6). Sie ist der Repräsentant des Reiches Gottes, also wiederum Modell einer „göttlichen Kultur“ in dieser Welt, deren Maßstäbe und Prinzipien Jesus selbst seine Jünger gelehrt hat (Mt 5–7). Zur Verwirklichung eines gottgewollten Lebens hat sie im Vergleich zum alttestamentlichen Gottesvolk eine neue Kraft durch den in ihr wohnenden Heiligen Geist (Eph 3,14–21). Dabei ist die Gemeinde Jesu ein „soziologisches Wunder“ (CIU 1997, 120):56 Sie ist gleichzeitig universal und lokal an vielen Orten dieser Erde, sie ist international und hat doch ein nationales Gepräge in jeder Nation. Sie ist interkulturell und doch trägt sie in jeder Kultur deutlich deren Züge. Sie unterstellt sich ganz ihrem Herrn Jesus Christus und fügt sich gleichzeitig in die jeweiligen Strukturen ihres kulturellen Kontextes ein (CIU 1997, 120). Dort hinein verkündigt sie das Evangelium und lädt Menschen unter die Herrschaft Gottes ein. Für die Glaubenden beginnt ein Prozess der Veränderung, bei dem durch eine von Gott erneuerte Weltanschauung alle Lebensbereiche nach den Königreichsprinzipien Jesu umgestaltet werden.

Dies kann vor den Augen der Gesellschaft nicht verborgen bleiben, sondern ist die „sichtbare Manifestation der neuen Gesellschaft“ (Nicholls 1979, 18) unter der Herrschaft Jesu. So wirkt die Gemeinde als „Licht und Salz“ in ihrer Kultur. Dies wird in der Zeit zwischen der Himmelfahrt und der Wiederkunft Jesu immer unter Kampf und Anfechtung geschehen, in der Spannung zwischen dem „Schon-Jetzt“ des neuen Lebens aus Gott und dem „Noch-Nicht“ seiner ungehinderten und vollständigen Manifestation in einer Welt, die von Sünde und Leid gezeichnet ist (Willowbank Report 1981, 336). Dabei wird die Gemeinde Jesu Zeichen setzen, die auf die zukünftige vollkommene Gottesherrschaft hinweisen und hinwirken.57 Mit der Zeit wird das Zeugnis der Gemeinde, die ihrem Herrn gehorsam ist, heilende Auswirkungen auf die sie umgebende Gesellschaft haben, auch unter denen, die nicht zur Gemeinde gehören.58

Dies geschieht umso mehr, je besser sie es versteht, ihr Leben unter Gottes Herrschaft in den kulturellen Formen ihrer Umgebung und so in sie hinein zu gestalten, dass die Gesellschaft nicht destabilisiert, sondern wirklich geheilt wird, und das Evangelium nicht gehindert, sondern in seiner Ausbreitung gefördert wird. Dabei wird die Gemeinde um des Evangeliums willen und aus Liebe zu den Menschen, die sie gewinnen möchte, sensibel und demütig um die rechten Formen ringen müssen, die in jeder Kultur anders aussehen können (1Kor 9,19–23; Lausanner Verpflichtung 1974, 15; Willowbank Report 1981, 320). Den Beginn dieses bis heute in der Weltmission andauernden Kontextualisierungsprozesses beschreibt uns die Heilige Schrift beim Übergang des Evangeliums von der jüdischen Kultur in die hellenistische Welt. Hier können heutige Mitarbeiter im interkulturellen Kontext von dem ersten Missionar unter Nichtjuden, dem Apostel Paulus, die nötigen Prinzipien lernen, um sie in ihrer eigenen Missionssituation im gleichen Sinn umzusetzen.

2.2 Die Rolle der Frau als Kulturmerkmal

Fragt man nun nach der Rolle der Frau in verschiedenen Kulturen dieser Erde, so fällt zunächst die Vielfalt auf, mit der diese in unterschiedlichen Volksgruppen definiert und gelebt wird. Diese Beobachtung hat seit den ersten entsprechenden anthropologischen Forschungen in den 1930er Jahren die bis heute allgemein verbreitete Ansicht gestärkt, dass geschlechtsspezifische Rollen- und Verhaltensunterschiede rein kulturell geprägt, willkürlich festgelegt und veränderbar seien (Bischof-Köhler 2004, 16).59 Bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass die kulturelle Vielfalt im Verhalten der Geschlechter nicht unbegrenzt ist, sondern sich in gewissen Grundmustern bewegt. So wurde deutlich, dass jede Kultur Geschlechterunterschiede anerkennt und zum Ausdruck bringt, die über die unmittelbaren Fortpflanzungsfunktionen hinausgehen (Bischof-Köhler 2004, 165; Mead 1992, 10–11; Rosaldo 1974, 18). Bei aller kulturellen Vielfalt lässt sich auch hier ein universales Kulturmuster erkennen (Murdock 1980, 125), dessen Grundlage zunächst wieder in der „biologischen und psychologischen Natur des Menschen und den universalen Gegebenheiten der menschlichen Existenz“ (Murdock 1980, 125)60 vermutet werden muss.

2.2.1 Das kulturelle Grundmuster der Geschlechterrollen

In allen Kulturen werden für die Geschlechterrollen folgende vier Merkmale gefunden:

2.2.1.1 Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung

Jede Kultur schreibt Männern und Frauen jeweils bestimmte Tätigkeiten als geschlechtstypisch zu (Bamberger 1974, 277; Llobera 2003, 35). Dabei lässt diese Zuordnung ein gewisses Grundmuster erkennen, in dem als typisch männliche Tätigkeiten eher solche definiert werden, die körperlich anstrengend sind, häufiger eine organisierte Kooperation erfordern und einen großen Bewegungsradius beanspruchen. Als typisch weibliche Tätigkeiten gelten diejenigen, die körperlich weniger anstrengend sind, eher individuell ausgeführt werden und nur eine geringe Mobilität erfordern (D’Andrade 1967).61 Dennoch wirkt die Zuordnung im Einzelnen vielfach willkürlich und ist durch körperliche Unterschiede zwischen Mann und Frau nicht allein erklärbar.62

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