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Buch lesen: «Soll und Haben, Bd. 1 (2)», Seite 28

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III

»Wir gaben Sie bereits verloren,« rief der eintretende Rittmeister dem Kaufmann zu. »Es ist hier arg gewirthschaftet worden, und meine Erkundigung nach Ihnen war ohne Erfolg; ein Glück war es, daß Ihr Brief mich in dem Gewirr auffand.«

»Wir haben unsern Willen durchgesetzt,« sagte der Kaufmann, »wie Sie sehen, nicht ohne Hindernisse – « er zeigte lächelnd auf seinen verbundenen Arm.

»Vor Allem lassen Sie mich wissen, welche Abenteuer Sie erlebt haben,« sagte der Rittmeister, sich zu dem Verwundeten setzend; »Sie haben mehr Spuren des Kampfes aufzuweisen als wir.« Der Kaufmann erzählte. Er verweilte mit Wärme bei Antons Heldenthat, dem er seine Rettung zuschrieb, und schloß mit den Worten: »Meine Wunde verhindert mich nicht, zu reisen, und meine Rückkehr ist dringend nothwendig. Die Wagen will ich bis zur Grenze mit mir nehmen.«

»Morgen früh geht ein Zug unsers Trains nach der Grenze zurück, diesem können Sie Ihre Wagen anschließen. Uebrigens ist die große Straße jetzt sicher. Von morgen wird auch der Postenlauf wieder beginnen.«

»Unterdeß erbitte ich Ihre Vermittelung, ich will noch heut durch Estaffette Briefe nach Haus senden.«

»Ich will sorgen,« versprach der Rittmeister, »daß Ihre Rückkehr morgen keine Verzögerung erleidet.«

Als der Offizier das Zimmer verlassen hatte, sagte der Kaufmann zu Anton: »Ihnen, lieber Wohlfart, muß ich jetzt eine Ueberraschung bereiten, die Ihnen, wie ich fürchte, wenig willkommen sein wird. Ich wünsche Sie an meiner Stelle hier zu lassen.« Erstaunt trat Anton an das Lager des Prinzipals. »Auf unsern Agenten ist in dieser Zeit nicht zu bauen,« fuhr der Kaufmann fort; »ich habe in diesen Tagen mit Freuden erkannt, wie sehr ich mich auf Sie verlassen kann. Was Sie noch nebenbei gethan haben zur Rettung meiner Stirnhaut, das bleibt Ihnen unvergessen, so lange ich lebe. – Und jetzt setzen Sie sich mit Ihrer Schreibtafel zu mir, wir überlegen noch einmal, was wir zu thun haben.«

Am nächsten Morgen hielt ein Postwagen vor der Herberge, der Kaufmann wurde von Anton hineingehoben und ließ an der Seite der Straße halten, bis die Frachtwagen einer nach dem andern zum Thore hinausgefahren waren. Dann drückte er noch einmal Antons Hand und sagte: »Ihr Aufenthalt wird Wochen, ja er kann Monate dauern. Ihre Arbeit wird sehr unangenehm und zuweilen ohne Resultate sein. Und ich wiederhole Ihnen, seien Sie nicht zu ängstlich, ich vertraue auf Ihr Urtheil, wie auf mein eigenes. Fürchten Sie nicht, uns einen Verlust zu bereiten, wenn Sie unsichere Schuldner zur Zahlung bringen können. Dieser Ort ist verwüstet und fortan für uns verloren. Leben Sie wohl, auf ein gutes Wiedersehn zu Hause.«

So blieb Anton allein in der fremden Stadt, in einer Stellung, in welcher großes Vertrauen ihm große Verantwortlichkeit auflegte. Er ging in das Zimmer zurück, rief den Wirth und schloß mit ihm auf der Stelle einen Vertrag über seinen ferneren Aufenthalt. Die Stadt war so angefüllt mit Militär, daß er es vorzog, in der kleinen Wohnung, welche er bereits in Besitz hatte, zu bleiben und die Unbequemlichkeiten des dürftigen Quartiers zu ertragen. Er durfte nicht erwarten, es irgendwo wohnlicher zu finden.

Wohl war es eine verwüstete Stadt, welche Antons Fuß durchschritt. Vor wenig Tagen füllte das Gewühl leidenschaftlicher Menschen die Straßen, jede Art von Unternehmungslust war auf den wilden Gesichtern zu lesen. Wo war jetzt der Trotz, die Kampflust, die Begeisterung der vielen Tausende? – Die Haufen der Landleute, Schwärme des Pöbels, Krieger des Patriotenheeres waren zerstoben wie Geister, welche der Sturmschlag fremder Trommeln verscheucht hat. Was von Menschen auf den Straßen daherschritt, das waren fremde Soldaten. Aber die bunten Uniformen der Fremden gaben der Stadt kein besseres Ansehen. Zwar das Feuer war gelöscht, dessen Qualm in den letzten Tagen den Himmel verdunkelt hatte. Aber in dem bleichen Herbstlicht standen die Häuser da, wie ausgebrannt. Die Thüren blieben verschlossen, viele Scheiben zerschlagen, auf den Steinen lag der Unrath, faules Stroh, Trümmer von Hausgeräth, hier mit zerbrochenen Rädern ein Karren, dort eine Montur, Waffen, die Leiche eines Pferdes. An einer Straßenecke standen Schränke und Tonnen, die man aus Häusern zusammengeworfen hatte als einen letzten Wall gegen die eindringenden Truppen, und dahinter lagen mit einem Strohbund nachlässig zugedeckt die Leichen getödteter Menschen. Anton wandte sich mit Grausen ab, als er die blutlosen Köpfe unter den Halmen erblickte. Auf den Plätzen bivouakirten neu eingezogene Truppen, ihre Pferde standen in Haufen zusammengekoppelt, daneben aufgefahrene Geschütze; in allen Straßen dröhnte der Tritt starker Patrouillen, nur selten eilte eine Gestalt in Civilkleidern über das Pflaster, den Hut tief in die Augen gedrückt, mit furchtsamem Blick von der Seite auf die fremden Krieger sehend, zuweilen wurde ein bleicher Mann von Bewaffneten vorübergeführt, und wenn er zu langsam ging, mit dem Kolben vorwärts gestoßen. Die Stadt hatte häßlich ausgesehen während der Aufregung, sie erschien noch häßlicher in der Todtenruhe, welche jetzt auf ihr lag.

Als Anton mit solchen Eindrücken von seinem ersten Gange zurückkehrte, fand er vor seiner Zimmerthür einen Husaren, der wie auf Posten mit dröhnendem Tritt auf und ab ging.

»Herr Wohlfart!« schrie der Husar und stürzte dem Ankommenden entgegen.

»Mein lieber Karl,« rief Anton, »das ist die erste Freude, die ich in dieser traurigen Stadt habe. Aber wie kommen Sie hierher?«

»Sie wissen ja, daß ich jetzt meine Zeit abdiene. Wir stießen zu unsern Kameraden an der Grenze, wenige Stunden, nachdem Sie abgereist waren. Vom Wirth, der mich noch aus dem Geschäft kannte, erfuhr ich Ihre Abreise. Sie können denken, in welcher Angst ich war. Erst heut erhielt ich Urlaub, und es war mein Glück, daß ich einen der Fuhrleute in der Hausthür frug, sonst hätte ich Sie noch nicht gefunden. Und jetzt vor Allem, Herr Wohlfart, was macht unser Prinzipal, wie steht's mit unsern Waaren?«

»Kommen Sie nur erst in's Zimmer,« erwiederte Anton. »Sie sollen Alles hören.«

»Halt,« rief Karl, »noch nicht; erst muß noch etwas in Ordnung gebracht werden. Sie sprechen Sie zu mir, das leide ich nicht. Thun Sie mir den Gefallen und reden Sie zu mir, als wäre ich noch der Karl im Geschäft.«

»Aber Sie sind's ja nicht mehr,« sagte Anton lachend.

»Dies hier ist nur Maskerade,« sagte Karl auf seine Uniform weisend, »in meinem Herzen bin ich immer noch freiwilliger Auflader bei T. O. Schröter. Wenn mir bei Ihnen wohl sein soll, so führen Sie das alte Du wieder ein.«

»Wie du willst, Karl,« erwiederte Anton, »komm herein und laß dir erzählen.«

Karl gerieth in den heftigsten Zorn gegen den schlechten Wirth. »Dieser diebische Hundsfott! An unserer Firma, an unserm obersten Chef hat er sich vergriffen. Aber morgen führe ich einen ganzen Beritt unserer Jungen in seine Herberge. Ich lasse ihn in seinen eigenen Hof treiben, er wird als hölzernes Pferd aufgestellt und wir springen eine Stunde lang über ihn weg, einer nach dem andern, und bei jedem Sprunge geben wir ihm einen Puff auf seinen boshaften Kopf.«

»Herr Schröter hat ihm die Strafe erlassen,« sagte Anton begütigend, »sei du nicht grausamer. Höre, du bist ein hübscher Junge geworden.«

»Es geht an,« erwiederte Karl geschmeichelt. »Mit der Landwirthschaft habe ich mich ausgesöhnt. Mein Onkel ist ein guter Mann. Wenn Sie sich meinen Alten halb so groß denken, als er ist, und dünn statt dick, und mit einer kleinen Stumpfnase statt einer großen Nase, und mit einem länglichen Gesicht statt einem runden, und mit einem eselsfarbenen Rock und ohne Lederschürze, dafür mit zwei hohen Kniestiefeln, so haben Sie ganz meinen Onkel. Ein prachtvolles kleines Kerlchen. Er meint's gut mit mir. Im Anfange freilich war mir's zu still auf dem Lande, dagegen viel wasserpolackisches Volk in der Nähe; aber es ging mit der Zeit. Man sieht bei der Wirthschaft immer, was man schafft, das ist die größte Freude. Daß ich Soldat werden mußte, war meinem grauköpfigen Onkel ein Strich durch die Rechnung, mir war's recht, daß ich einmal im Ernste auf ein Pferd kam und etwas von der Katzbalgerei mit ansehen konnte. Elende Wirthschaften hier auf dem Lande, Herr Wohlfart. Und dieser Platz, es ist eine gräuliche Verwüstung!« So schwatzte Karl vergnügt fort. Endlich ergriff er seine Mütze: »Wenn Sie jetzt hier bleiben, so erlauben Sie mir, Sie manchmal auf eine Viertelstunde zu besuchen.«

»Du sollst thun, wie zu Hause,« sagte Anton. »Wenn du mich einmal nicht triffst, der Wirth hat den Schlüssel, hier stehen die Cigarren.«

So hatte Anton einen alten Freund wieder gefunden. Aber Karl blieb nicht seine einzige Bekanntschaft in Dolman und Schleppsäbel. Der Rittmeister freute sich über den Landsmann, der sich so wacker gegen die Insurgenten gehalten hatte. Er stellte ihn dem Obersten vor, welcher die Truppenabtheilung befehligte. Anton mußte diesem seine Abenteuer erzählen und wurde in einem großen Kreise von Epauletten höchlich gelobt, darauf lud ihn der Rittmeister an einem der nächsten Tage zu Tische und stellte ihn den Offizieren seiner Escadron vor. Antons bescheidene Ruhe machte einen günstigen Eindruck auf die bunten Herren. In der Garnison wären sie wahrscheinlich durch gewisse Ansichten über Menschengröße verhindert worden, mit einem jungen Kaufmann ungezwungen zu verkehren, hier im Felde waren sie selbst tüchtigere Männer, als in der geschäftigen Langeweile des Friedens, ihre Vorurtheile waren geringer und ihre Anerkennung eines muthigen Mannes unbefangener. So betrachteten sie den Herrn aus dem Comtoir bald als einen verdammt guten Jungen, sie gewöhnten sich, ihn im Scherz bei seinem Vornamen zu nennen, und wenn sie im Kaffehaus ihre Tasse tranken und eine Partie Domino spielten, so riefen sie Anton unfehlbar in ihren Kreis. Eine dunkle Sage von großem Vermögen und von ungewöhnlichen Verbindungen des Civilisten tauchte aus dem Dunkel der Jahre jetzt wieder auf, aber um der Escadron nicht Unrecht zu thun, sie war nicht mehr der Hauptgrund für die rücksichtsvolle Behandlung, die sie ihrem Landsmann gönnte. Anton fühlte sich durch die leichte Verbindung mit den ritterlichen Knaben mehr gehoben, als er sich selbst oder Herrn Pix gestanden hätte. Er genoß jetzt den freien Verkehr mit anspruchsvollen Menschen und erschien sich Manchem ebenbürtig, den er bis dahin von seinem Comtoir aus mit stillem Respect betrachtet hatte. Alte Erinnerungen wurden in ihm mächtig, er fühlte sich auf's Neue hereingezogen in den Zauber eines Kreises, welcher ihm für frei, glänzend und schön galt. Auch der Lieutnant von Rothsattel gehörte bald zu den guten Bekannten Antons. Anton behandelte ihn mit der zartesten Aufmerksamkeit, und der Lieutnant, im Grunde ein verzogener, leichtsinniger, gutmüthiger Mensch, ließ sich die herzliche Neigung Antons gern gefallen und lohnte ihm durch besondere Vertraulichkeit.

Die Geschäfte Antons sorgten dafür, daß er unter den neuen Bekannten seine Selbständigkeit nicht verlor. Wohl war die Stadt ein verwüsteter Ort, der wilde Rausch war verflogen, jetzt lag die Abspannung auf aller friedlichen Thätigkeit. Die täglichen Lebensbedürfnisse waren theuer, und lohnende Arbeit war nur für Wenige vorhanden. Mancher, der sonst Stiefeln getragen hatte, ging barfuß, wer in anderer Zeit einen neuen Rock gekauft hätte, ließ jetzt einen Lappen auf den alten setzen, der Schuster und der Schneider verzehrten zum Frühstück Wassersuppe statt Kaffe und Zucker, der Krämer bezahlte seine Schuld beim Kaufmann nicht, und der Kaufmann vermochte nicht seine Verpflichtung gegen andere Handlungshäuser zu erfüllen. Wer in solcher Zeit sein Geld zurückfordert von Solchen, welche schwere Verluste muthlos beklagen, der hat eine harte Arbeit. Anton empfand das. Ueberall hörte er Klagen, die nur zu sehr begründet waren, an vielen Orten versuchte man seinem Drängen durch allerlei Kunstgriffe zu entgehen. Täglich erlebte er peinliche Scenen, oft mußten beim Advocaten endlose Verhandlungen in polnischer Sprache aufgenommen werden, bei denen er sich wie verkauft vorkam, obgleich der Agent den Dolmetscher machte. Es war ein bunt zusammengewürfelter Handelsstand, in welchem Anton zu verkehren hatte, Männer aus allen Theilen Europa's. Der Verkehr hatte Vieles, was in deutschen Augen als wild und unregelmäßig galt. Und doch übte die Gewohnheit, Verpflichtungen zu erfüllen, einen so großen Einfluß auch auf muthlose Naturen, daß Antons Beharrlichkeit mehr als einmal den Sieg errang.

Die größte Forderung hatte sein Haus an einen Herrn Wendel, einen kleinen trockenen Mann, der stille Geschäfte nach allen Seiten gemacht hatte. Man sagte, er sei reich geworden durch Schmuggel und sei jetzt in großer Gefahr, zu fallen. Er hatte den Prinzipal selbst mit Trotz empfangen und geberdete sich gegen Anton lange wie ein Verzweifelter. Anton hatte wieder einmal wohl eine Stunde lang in den mürrischen Alten hineingesprochen, und wie sehr der Mann sich drehte und wand, er war fest geblieben. Da brach Wendel endlich in die Worte aus: »Es ist genug, ich bin ein ruinirter Mann, aber Sie verdienen, zu Ihrem Gelde zu kommen. Ihr Haus ist gegen mich immer großartig gewesen. Sie sollen Deckung erhalten. Schicken Sie mir noch heut Ihren Agenten, holen Sie mich morgen früh ab.«

Als am nächsten Morgen Anton in Begleitung des Agenten bei dem Schuldner eintrat, ergriff Wendel nach finsterm Gruß einen großen rostigen Schlüssel, zog langsam einen verschossenen Mantel an, auf welchem zahlreiche Kragen übereinander lagen, wie die Schindelreihen auf einem Dach, und brachte die Gläubiger in einen entlegenen Stadttheil vor ein verfallenes Kloster. Sie schritten durch einen langen Kreuzgang. Anton sah bewundernd zu dem kunstvollen Bau der Wölbung auf; die Zeit hatte viele Gurte gesprengt und einige Gewölbkappen ausgebröckelt, die Trümmer lagen auf den großen Steinen des Fußbodens. An der Wand waren die Leichensteine der alten Bewohner eingemauert, verwitterte Inschriften meldeten dem unaufmerksamen Geschlecht der Lebenden, daß einst fromme Slavenmönche in diesen Räumen den Frieden gesucht hatten. In diesem Kreuzgange waren sie täglich, das Brevier in der Hand, auf und ab gegangen, hier hatten sie gebetet und geträumt, bis sie ihre arme Seele der Fürbitte ihres Heiligen übergeben mußten. Im Innern des Gebäudes öffnete Wendel eine verborgene Thür und führte seine Begleiter auf gewundener Steintreppe hinab in ein großes Gewölbe. Einst hatte der Wein des reichen Klosters darin gelegen, und der Bruder Kellermeister war, ach wie oft, dieselben Stufen hinabgegangen; er war zwischen den Reihen der Fässer umhergewandelt, hatte hier und da eine Probe ausgehoben, und wenn das Glöckchen über ihm läutete, hatte er schnell sein Haupt gesenkt und ein kleines Gebet gesprochen und war darauf wieder an das Kosten gegangen, oder in behaglicher Stimmung auf und ab spaziert. Die Betglocken des Klosters waren längst eingeschmolzen, die leeren Zellen der Brüder hatten Risse, und Getreide wurde jetzt aufbewahrt, wo ehemals der Prior an der Spitze der Brüder beim ehrbaren Mahle saß. Alles war verschwunden, nur der Keller hatte sich erhalten, und wie vor vierhundert Jahren, lagen noch jetzt die Kufen des feurigen Ungarweins auf ihren schmalen Kentnern. Noch immer schossen die Strahlen der schönen Wölbung zu großen Sternen zusammen, noch immer war der Raum mit reinem Weiß getüncht, der Boden mit hellem Sand tief bestreut, noch immer war es Brauch, daß der Kellermeister nur mit einem Wachslicht dem edlen Wein nahen durfte. Es waren nicht dieselben Fässer, aus denen die alten Mönche ihren Trunk zogen, aber es war dasselbe Gewächs von den Rebenhügeln der Hegyalla, der rosige Wein von Menes, der Stolz Oedenburgs und der milde Trank der sorgfältigen Lese von Rust.

»Hundert und fünfzig Kufen, die Kufe zu achtzehn, vierundzwanzig, dreißig Ducaten,« sagte der Agent, und die Inventur der Fässer begann. Mit gesenktem Haupt ging Wendel von einem Faß zum andern, die Kerze in der Hand. Vor jedem blieb er stehen und wischte mit einem reinen Leinwandlappen sorgfältig die kleinste Spur des Schimmels ab, die sich an einzelnen Fässern zeigte. »Es war mein liebster Weg hierher,« sagte er zu Anton. »Seit zwanzig Jahren bin ich zu jeder Weinlese hinausgefahren und habe eingekauft. Es waren fröhliche Tage, Herr Wohlfart, das ist jetzt vorbei für immer. Oft bin ich hier auf und ab gegangen und habe mir das Sonnenlicht angesehen, das von oben auf die Fässer fiel, und habe an die gedacht, die vor mir hier gegangen sind. Heut bin ich zum letzten Mal in diesem Keller. Was wird jetzt aus dem Wein werden? Sie werden ihn fortschaffen, man wird ihn in der Fremde ohne Verstand austrinken; in den Keller wird ein Branntweinbrenner seinen Spiritus thun, oder ein neuer Brauer sein bairisches Bier. Die alte Zeit geht zu Ende auch für mich! – Dies hier ist das edelste Gewächs,« sagte er, zu einem Faß tretend. »Ich hätte es ausnehmen können bei unserer Abmachung. Was soll mir das Faß allein? Austrinken? Ich trinke keinen Wein mehr. Es soll fortgehen mit dem Uebrigen. Nur Abschied will ich noch von ihm nehmen.« Er füllte sein Glas. »Haben Sie je so etwas getrunken?« frug er und hielt Anton betrübt das Glas hin. Anton verneinte gern.

Langsam stiegen sie wieder die Stufen hinauf. An der Schwelle hielt der Kaufmann noch einmal an und sah in den Keller hinab eine lange Weile. Dann drehte er sich entschlossen um, schlug die Kellerthür zu, zog den Schlüssel ab und legte ihn feierlich in Antons Hand. »Hier ist der Schlüssel zu Ihrem Eigenthum, unsere Rechnung ist abgemacht. Leben Sie wohl, meine Herren.« Langsam und mit gesenktem Haupt ging er den verfallenen Kreuzgang hinab; in dem Dämmerlicht des trüben Tages glich er einem der alten Kellermeister des Klosters, der noch als Geist durch die Trümmer der vergangenen Herrlichkeit gleitet. Der Agent rief ihm nach: »Aber das Frühstück, Herr Wendel!« Der Alte schüttelte den Kopf und winkte abwehrend mit der Hand.

Ja, das Frühstück! Jedes Abkommen an diesem Orte wurde mit Wein überschwemmt. Diese langen Sitzungen im Weinhause, welche auch in der traurigen Zeit nicht ausgesetzt wurden, waren für Anton kein geringes Leiden. Er sah, daß man in dem Land viel weniger arbeite und viel mehr schwatze und trinke, als bei ihm daheim. So oft es ihm gelungen war, etwas in's Reine zu bringen, konnte auch er sich dem Frühstück nicht entziehen. Dann setzten sich Käufer, Verkäufer, die Helfer, und wer sonst zu den Bekannten gehörte, in einer Weinhandlung am runden Tisch zusammen, man fing mit Porter an, aß Caviar nach Pfunden und zechte dann den rothen Wein von Bordeaux. Gastfrei wurde nach allen Seiten eingeschenkt; wer ein bekanntes Gesicht hatte, mußte am Gelage Theil nehmen, immer zahlreicher wurde die Gesellschaft, oft kam der Abend heran. Unterdeß ließen die Hausfrauen der Männer, an solche Ereignisse gewöhnt, das Mittagessen wohl drei Mal wieder abtragen und hoben es zuletzt gleichmüthig bis zum andern Tage auf. Oft dachte Anton in solcher Zeit an Fink, der ihm, dem Widerstrebenden, wenigstens eine mäßige Fertigkeit beigebracht hatte, dergleichen schwere Geschäfte mit Anstand durchzumachen.

An einem Nachmittag saß Anton beim Domino. Da rief ein älterer Lieutnant von seiner Zeitung den spielenden Offizieren zu: »Gestern Abend sind einem unserer Husaren zwei Finger der rechten Hand zerschmettert worden. Der Esel, welcher mit ihm einquartiert war, hat mit seinem Karabiner gespielt, in dem er den Schuß nicht herausgezogen hatte. Der Doctor hält eine Amputation für unvermeidlich. – Schade um den tüchtigen Mann, er war einer der brauchbarsten Leute in der Escadron. Solch Malheur trifft immer die Besten.«

»Wie heißt der Mann?« frug Herr von Bolling, seinen Stein setzend.

»Es ist der Gefreite Sturm.«

Anton sprang auf, daß die Steine auf dem Tische tanzten. »Wo liegt der Verwundete?«

Der Leutnant beschrieb ihm die Lage des Lazareths.

In einem finstern Zimmer, voll von Betten und kranken Soldaten, lag der bleiche Karl und streckte seine linke Hand Anton entgegen. »Es ist vorüber,« sagte er, »es hat höllisch weh gethan, aber ich werde die Hand doch wieder gebrauchen. Die Feder kann ich noch führen, und auch das Uebrige will ich versuchen, und ist's nicht mit der Rechten, so ist's mit der Linken. Nur in goldenen Ringen werde ich keinen Staat mehr machen.«

»Mein armer, armer Karl,« rief Anton, »mit deinem Dienst ist's vorbei.«

»Wissen Sie was,« sagte Karl, »das Unglück will ich ertragen, ein ordentlicher Krieg wird doch nicht; wenn's auf das Frühjahr zum Einsäen kommt, bin ich wieder im Stande. Ich könnte schon jetzt aufstehen, wenn nicht der Doctor so streng wäre. Hier ist es nicht schön,« setzte er entschuldigend hinzu, »es sind viele unserer Leute erkrankt, da muß man sich in der fremden Stadt behelfen.«

»Du sollst nicht in dieser Stube bleiben,« sagte Anton, »wenn ich's ändern kann. Es riecht hier so nach Krankheit, daß ein Gesunder schwach wird; ich werde bitten, daß dein Chef dir erlaubt, in meine Wohnung zu ziehen.«

»Lieber Herr Anton,« rief Karl erfreut. »Still,« sagte dieser, »noch weiß ich nicht, ob wir die Erlaubniß erhalten.«

»Noch eine Bitte habe ich an Sie,« sagte beim Abschiede der Kranke, »daß Sie die Geschichte dem Goliath so mittheilen, daß er nicht zu ängstlich wird. Wenn er's durch Zufall von Fremden erfährt, so stellt er sich wie ein Menschenfresser.«

Das versprach Anton und eilte darauf zu dem Escadronarzt und zu seinem Gönner, dem Rittmeister.

»Ich will mich dafür verwenden, daß er jetzt Urlaub erhält,« versprach dieser. »Da mir bei der Beschaffenheit seiner Wunde seine Verabschiedung zweifellos scheint, so kann er ja bei Ihnen abwarten, bis diese erfolgt.«

Drei Tage darauf trat Karl mit seiner verbundenen Hand in Antons Zimmer. »Da bin ich,« sagte er. »Adieu Dolman, adieu Selim, mein Brauner! Eine Woche müssen Sie noch mit mir Geduld haben, Herr Anton, dann hebe ich Ihnen wieder Tisch und Stuhl mit steifem Arm.«

»Hier ist eine Antwort deines Vaters,« sagte Anton, »sie ist an mich gerichtet.«

»An Sie?« frug Karl verwundert, »warum an Sie? warum hat er denn nicht an mich geschrieben?«

»Höre selbst.« Anton ergriff einen großen Bogen, der von oben an mit halbzölligen Buchstaben bemalt war, und las: »Geehrter Herr Wohlfart, das ist ein großes Unglück für meinen armen Sohn! Zwei Finger von zehn bleiben nur acht. Wenn es auch kleine Finger sind, es thut eben so weh. Es ist ein sehr großes Unglück für uns beide, daß wir einander nicht mehr schreiben können. Deßwegen bitte ich, daß Sie die Güte haben, ihm Alles zu sagen, was folgt. Er soll sich nicht sehr grämen. Bohren kann vielleicht noch gehn, auch Manches mit dem Hammer. Und wenn der Himmel wollte, daß dieses nicht möglich wäre, so soll er sich doch nicht sehr grämen. Es ist für ihn gesorgt, durch einen eisernen Kasten. Wenn ich gestorben bin, findet er den Schlüssel in meiner Westentasche. So lasse ich ihn von ganzem Herzen grüßen. Sobald er wieder fahren kann, soll er zu mir kommen, um so mehr, da ich ihm schriftlich nicht mehr sagen kann, daß ich bin ewig sein getreuer Vater Johann Sturm.« – Anton reichte den Brief dem Invaliden.

»Es ist richtig,« sagte Karl zwischen Lächeln und Wehmuth, »er hat sich in der ersten Angst eingebildet, daß auch er mir nicht mehr schreiben kann, weil ich an der Hand blessirt bin. Der wird Augen machen, wenn er meinen nächsten Brief erhält.«

So wohnte Karl mehrere Wochen in dem Zimmer neben Anton. Sobald er seine Hand wieder bewegen konnte, bemächtigte er sich der Garderobe des Freundes, und begann einige der kleinen Dienste, welche er vor Jahren im Hause des Prinzipals übernommen hatte. Anton hatte zu wehren, daß er nicht die unnöthige Rolle eines Bedienten übernahm. »Hast du schon wieder meinen Rock unter der Bürste?« sagte er in Karls Stube tretend, »du weißt, daß ich das nicht leiden will.« – »Es war nur zur Gesellschaft von meinem,« entschuldigte sich Karl, »zwei neben einander halten sich immer besser als einer. Ihr Kaffe ist fertig, aber die Maschine taugt nichts, er schmeckt immer nach Spiritus.« Da er sich für Anton nicht nützlich machen konnte, wie er sagte, so fing er an, für sich selbst zu arbeiten. Bei seiner alten Vorliebe für Handwerkszeug hatte er bald eine Menge verschiedenartiger Instrumente um sich versammelt, und so oft Anton das Haus verließ, begann ein Sägen, Bohren, Hobeln und Raspeln, daß sogar der taube Artilleriecapitän, welcher im Nebenhause einquartiert war, zu der Ansicht kam, ein Tischler sei eingezogen, und seine eingefallene Bettstelle zum Ausbessern herüberschickte. Da Karl die rechte Hand noch schonen mußte, übte er die linke Hand mit allen Werkzeugen nach der Reihe und freute sich wie ein Kind über die Fortschritte, die er machte. Und als ihm der Arzt für die nächsten Wochen auch diese Thätigkeit abrieth, fing er an mit der linken Hand zu schreiben und zeigte Anton täglich Proben seiner Handschrift. »Es ist nur der Uebung wegen,« sagte er, »der Mensch muß wissen, was er vermag. Uebrigens ist es nur eine Angewohnheit, mit den Händen zu schreiben; wer keine hat, thut's auch mit den Beinen; ich glaube, daß auch die nicht einmal nöthig sind, es müßte auch mit dem Kopfe gehen.«

»Du bist ein Narr,« sagte Anton lachend.

»Ich versichere Sie,« fuhr Karl fort, »ein langes Rohr in den Mund gesteckt, mit zwei Drähten, die hinter die Ohren gedrückt werden, um die Schwankung zu verringern, es müßte ganz erträglich gehen. – Da ist die beinerne Einfassung von Ihrem Schlüsselloche abgesprungen, die wollen wir sogleich leimen.«

»Ich wundere mich, daß sie nicht von selbst wieder fest wird,« spottete Anton, »denn aus deiner Stube kommt ein schrecklicher Leimgeruch hereingezogen. Die ganze Luft ist in Leim verwandelt.«

»Gott bewahre,« sagte Karl, »es ist ja geruchloser Leim, den ich habe, eine neue Erfindung.«

Als der treue Mann mit dem Abschied in der Tasche nach der Heimath zurückfuhr, fühlte sich Anton so vereinsamt, als wäre er erst jetzt aus dem Zauberkreise der großen Waage in die Fremde gezogen.

Einst ging Anton an der verhängnisvollen Herberge vorüber, in welcher sein Prinzipal verwundet worden war. Er stand einen Augenblick still und sah mit Neugier auf das alte Haus und den Hofraum, in welchem jetzt weißröckige Soldaten beschäftigt waren, ihr Lederzeug zu färben und zu glätten. Da erblickte er ein Wesen im schwarzen Kaftan, welches wie ein Schatten aus der Schenkstube quer über die Einfahrt hinglitt. Es waren die schwarzen Ohrlocken, es war das kleine Käppchen, es war Figur und Haltung des alten Bekannten Schmeie Tinkeles. Ach, aber es war nicht sein Gesicht. Der frühere Tinkeles war in seiner Art ein hübscher Bursch gewesen. Er hatte seine beiden Locken stets so glänzend und kokett getragen, wie einem Geschäftsmann nur möglich ist, er hatte hübsche rothe Lippen gehabt und einen leichten Rosaschimmer auf seinen gelben Wangen. Der gegenwärtige Schmeie war nur ein Schatten des frühern. Er sah gespenstig bleich aus, seine Nase war spitz und groß geworden, und sein Kopf hing ihm nach vorn, wie der Kelch einer welkenden Blume am Bach Kidron.

Anton rief erstaunt: »Tinkeles, seid Ihr's wirklich?« und trat auf ihn zu. Tinkeles schrak zusammen, wie von einem Blitzstrahl getroffen, und starrte mit aufgerissenen Augen Anton an, ein Bild des Schreckens und der Furcht. »Gott gerechter!« waren die einzigen Worte, welche über seine blutlosen Lippen kamen.

»Was habt Ihr, Tinkeles? Ihr seht ja aus wie ein armer Sünder! Was treibt Ihr hier am Platz? und wie zum Teufel kommt Ihr grade in dieses Haus?«

»Ich kann doch nichts dafür, daß ich hier bin,« antwortete der Geschäftsmann noch immer in halber Bewußtlosigkeit; »ich kann doch nichts dafür, daß der Prinzipal hat solches Unglück gehabt mit dem Menschen. Sein Blut ist ja geflossen wegen der Waaren, welche der Mausche Fischel hatte abgeschickt und hatte das Geld bereits gezogen. Ich bin unschuldig, Herr Wohlfart, auf meine ewige Seligkeit, ich habe nicht gewußt, daß der Wirth ist ein so schlechter Mensch, und wird die Hand aufheben gegen den Herrn, welcher vor ihm steht ohne Hut, ohne Mütze. – Ohne Mütze,« jammerte er lauter, »in bloßem Kopf, Sie können glauben, es ist mir gewesen, als wenn ein Schwert fiele in meinen Leib, als ich habe gesehen, wie der Wirth sich benommen hat so gewaltthätig gegen einen Mann, der vor ihm stand mit aufgerichtetem Haupt als ein Ehrenmann, was er ist gewesen sein Lebelang.«

»Hört, Schmeie,« sagte Anton, erstaunt auf den Galizier blickend, der immer noch darnach rang, durch Worte seine Fassung wieder zu gewinnen, »hört, mein Bursch, Ihr seid hier in dieser Herberge gewesen, als die Wagen geplündert wurden, Ihr habt aus einem Versteck unsern Streit mit dem Wirth angesehen. Ihr kennt den Wirth und wohnt noch hier, ich will Euch gerade heraus sagen, was Ihr mir zur Hälfte eingestanden habt. Ihr habt von dem Abladen der Wagen gewußt; und ich will Euch noch etwas anvertrauen, Ihr habt ein Interesse daran gehabt, daß die Fuhrleute hier zurückblieben, und Ihr habt mit dem Wirth unter einer Decke gesteckt. Nach dem, was Ihr mir gesagt habt, lasse ich Euch nicht los, bevor ich Alles weiß. Ihr werdet entweder jetzt auf mein Zimmer kommen und mir freiwillig gestehen, was Ihr wißt, oder ich führe Euch zum Militär und lasse Euch von den Soldaten verhören.«

Tinkeles war vernichtet. »Gott meiner Väter, es ist schrecklich, es ist schrecklich!« wimmerte er leise und klapperte mit den Zähnen.

Anton fühlte Mitleid mit der großen Angst des Mannes und sagte: »Kommt mit mir, Tinkeles; ich verspreche Euch, wenn Ihr ehrlich gesteht, soll Euch nichts geschehen.«

»Was soll ich gestehn dem Herrn,« ächzte Schmeie, »wo ich doch nichts habe zu gestehn?«

»Wenn Ihr nicht gutwillig kommt, so rufe ich die Soldaten,« sagte Anton barsch.

»Nichts von Soldaten,« bat Tinkeles wieder schauernd, »ich will kommen mit Ihnen und will sagen, was ich weiß, wenn Sie mir wollen versprechen, daß Sie mich verrathen gegen Niemanden, nicht an Ihren Prinzipal und nicht an Mausche Fischel, auch nicht an den schlechten Menschen diesen Wirth, und an keinen Soldaten.«

Altersbeschränkung:
12+
Veröffentlichungsdatum auf Litres:
28 September 2017
Umfang:
660 S. 1 Illustration
Rechteinhaber:
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