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Buch lesen: «Soll und Haben, Bd. 1 (2)», Seite 25

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Kaum war der Kaufmann vom Wagen gestiegen, als ihn ein halbes Dutzend Fuhrleute mit lebhaftem Freudenruf umringte, die Führer der Wagen, welche vor Kurzem durch das Geschäft expedirt waren. Ganz ohne Unfall war es mit ihnen nicht abgegangen. Wie der Aelteste erzählte, waren sie auf der Straße jenseit der Grenze durch den Anblick eines bewaffneten Bauernschwarms zur eiligen Rückkehr getrieben worden. Beim Umwenden war ein Rad des letzten Wagens zerbrochen, der Fuhrmann hatte in der Angst die Pferde ausgespannt und den Wagen jenseit der Grenze stehen lassen. Während der flüchtige Führer mit dem abgezogenen Hut in der Luft umher focht und seine Entschuldigungen machte, trat der commandirende Rittmeister zu dem Kaufmann und bestätigte die Aussage der Leute.

»Man kann den Wagen etwa tausend Schritt jenseit der Brücke an der Straße hängen sehn,« erklärte er, und als der Kaufmann um Erlaubniß bat, die Brücke zu betreten, sagte er zuvorkommend: »Ich werde Ihnen einen meiner Offiziere mitgeben.«

Ein junger Offizier der Escadron, welcher so eben von einer Patrouille zurückgekehrt war, tummelte sein feuriges Pferd vor der Schenke.

»Lieutnant von Rothsattel,« rief der Rittmeister, »begleiten Sie die Herren auf die Brücke.«

Mit Entzücken hörte Anton den Namen, an welchen sich für ihn so holde Erinnerungen knüpften. Er wußte auf der Stelle, daß der Herr auf dem wilden Pferde Niemand anders sein konnte, als der Bruder des Fräuleins vom See. Der Lieutnant, eine schlanke Gestalt mit kleinem Bart auf der Oberlippe, sah seiner Schwester so ähnlich, wie einem jungen Reiteroffizier in Beziehung auf das allerschönste irdische Fräulein nur möglich ist. Anton fühlte auf der Stelle eine freundschaftliche Hochachtung für ihn, welche der junge Herr aus Antons Gruß wohl herauslesen mochte, denn er dankte durch ein herablassendes Neigen seines kleinen Kopfes. Tänzelnd avancirte sein Pferd neben den Kaufleuten bis zur Brücke. Dort standen die Vedetten, ihre Pistole mit gespanntem Hahn in der Hand, unbeweglich wie Statuen, nur ihre Pferde verriethen manchmal durch eine anmuthige Schweifbewegung, oder ein Stampfen der Füße das muthige Leben. Die Reisenden eilten auf die Mitte der Brückenwölbung und sahen mit spähendem Blick die Landstraße hinab. Vor ihnen in der Ferne lag der riesige Wagen, wie ein weißer Elephant lag er verwundet auf einem Knie.

»Vor Kurzem war noch nicht geplündert,« sagte der Lieutnant, »die Leinwand hing noch dickbäuchig darüber. Ja, sie haben ausgeräumt; dort an der Ecke flattert die weiße Decke.«

»Es scheint nicht arg zu sein,« antwortete der Prinzipal.

»Wenn Sie ein Rad und ein Paar Pferde hinüberschaffen wollen, können Sie das Ding abholen,« bemerkte der Lieutnant nachlässig. »Unsere Leute hatten den ganzen Tag große Lust dazu. Sie hätten gern nachgesehen, ob etwas Trinkbares darin ist. Wir haben aber Befehl, die Grenze nicht zu überschreiten. Sonst ist's eine Kleinigkeit, den Wagen herüber zu schaffen, wenn der commandirende Offizier Ihnen erlaubt, die Posten zu passiren, und wenn Sie mit diesen da fertig werden.« Dabei wies er auf einen Haufen Bauern, welche jenseit der Brücke außerhalb Schußweite hinter einigen verkrüppelten Weiden lagerten und einen bewaffneten Mann als Posten auf die Landstraße vorgestellt hatten.

»Wir wollen den Wagen holen, wenn der commandirende Offizier erlaubt,« sagte der Prinzipal, »ich hoffe, es wird möglich sein, mit den Leuten dort zu unterhandeln.«

Und Anton konnte sich nicht enthalten zu murmeln: »Den ganzen Tag haben die Herren ein paar Tausend Thaler auf der Landstraße liegen lassen, sie hätten Zeit genug gehabt, den Wagen für uns zurückzuschaffen.«

»Man muß keine unbilligen Forderungen an das Heer machen,« antwortete der Kaufmann lächelnd, »wir wollen zufrieden sein, wenn sie uns erlauben, unser Eigenthum aus den Händen der Bauern zu holen.« Die Reisenden eilten zum Rittmeister zurück, und der Kaufmann theilte diesem seinen Wunsch mit.

»Wenn Sie Pferde und Menschen finden, so habe ich nichts dagegen,« erwiederte dieser.

Sogleich wurden die Fuhrleute zusammengerufen, der Prinzipal frug, wer ihn mit den Pferden begleiten wolle, er sei gut für den Schaden an den Pferden. Nach einigem Kratzen des Kopfes und einigem Schütteln der Hüte erklärten Mehrere ihre Bereitwilligkeit. Schnell wurden vier Pferde angeschirrt, ein Kinderschlitten des Schenkwirths hervorgeholt, ein Rad und einige Hebebäume darauf gelegt, und die kleine Caravane zog der Brücke zu, verfolgt von beifälligen Scherzen der Soldaten und begleitet von einigen Offizieren, welche an dem Feldzuge so viel Theilnahme verriethen, als sich mit ihrer kriegerischen Würde irgend vertrug.

An der Brücke sagte der Rittmeister: »Ich wünsche guten Erfolg, leider bin ich außer Stand, Ihnen meine Mannschaft zur Hülfe mitzugeben.«

»Es ist besser so,« antwortete der Prinzipal grüßend, »wir wollen als friedliche Leute unsere Waaren wiederholen und fürchten die Herren dort nicht, wollen sie aber auch nicht reizen. Haben Sie die Güte, Herr Wohlfart, Ihre Pistolen zurückzulassen, wir müssen den Bewaffneten zeigen, daß uns der Kriegsapparat nichts angeht.«

Anton hatte seine Pistolen in die Rocktasche gesteckt, wo sie wieder trotzig hervorsahen, er gab sie jetzt einem Schützen, den der Lieutnant von Rothsattel herbeiwinkte. So zogen sie über die Brücke. Am Ende der Grenzbrücke parirte der Lieutnant unwillig sein Pferd und brummte: »Diese Pfeffersäcke rücken eher ein als wir,« und der Rittmeister rief ihnen noch nach: »Sollten Ihre Personen in Gefahr kommen, so werde ich es für keine Ueberschreitung meiner Ordre halten, wenn ich Ihnen Lieutnant von Rothsattel mit Mannschaft zu Hülfe schicke.« Der Lieutnant stob zurück und commandirte den Zug, welcher in einiger Entfernung hielt, sehr kampflustig: »Still gesessen!« worauf er wieder bis an das Ende der Brücke vorsprengte und mit großem Interesse und kriegerischer Ungeduld den Civilisten nachsah. Zu seiner und des Kriegsheers Ehre muß an dieser Stelle bekannt werden, daß sowohl er, als sein Zug den Einrückenden warmen Empfang und ernste Unbequemlichkeiten herbeiwünschten, damit sie selbst das Recht erhielten, sich hineinzumengen und ein wenig einzuhauen.

Es war kein imponirender Einmarsch in das feindliche Gebiet, den die Kaufleute anführten; mit einer gewissen Gemüthlichkeit im ruhigen Schritt seine Cigarre anzündend ging der Prinzipal voran, ihm dicht zur Seite Anton, dahinter drei stämmige Fuhrleute mit den Pferden. So waren sie ungefähr auf dreißig Schritt einigen Bauern mit weißen Kitteln nahe gekommen, als diese ihre Gewehre anschlugen und durch einen polnischen Schrei Halt geboten. Der Prinzipal rief mit lauter Stimme in ihrer Sprache: »Ruft Euern Anführer.« Gehorsam schrie einer von den Wilden mit heftiger Handbewegung einem entfernten Haufen zu. Die Anderen behielten mit drohender Haltung ihre Gewehre im Anschlag und zielten, wie Anton ohne besonderes Wohlgefallen bemerkte, unter heimtückischem Augenblinzeln sämmtlich grade auf ihn. Unterdeß kam mit langen Schritten der Anführer der Bande heran. Er trug einen blauen Rock mit bunten Schnüren, eine viereckige rothe Mütze mit grauem Pelz besetzt und hielt eine lange Entenflinte in der Hand. Er war im Ganzen betrachtet ein brauner Kerl von gefährlichem Aussehen, verziert mit einem langen schwarzen Schnurrbart, der ihm auf beiden Seiten am Mund herunter hing. Als der Mann herangekommen war, redete ihn der Kaufmann in unvollkommenem Polnisch mit kräftiger Stimme an: »Wir sind Freunde! ich bin der Herr des Wagens dort und will mir ihn herüber holen; sagt Euern Leuten, daß sie mir dabei helfen, Ihr sollt ein gutes Biergeld haben.« Bei dem Wort »Biergeld« senkten sich die Gewehre hochachtungsvoll von selbst. Der Hauptkrakuse aber stellte sich pathetisch in die Mitte der Heerstraße und begann eine lange Rede mit Handbewegungen, von welcher Anton sehr wenig und sein Prinzipal nicht Alles verstand, die aber durch den Fuhrmann dahin erklärt wurde, der Mann bedaure, dem Herrn nicht dienen zu können, er habe Befehl von einem dahinter stehenden Corps, den Wagen zu bewachen, bis die Pferde ankämen, welche ihn nach ihrer Stadt schaffen sollten.

Der Kaufmann schüttelte gemüthlich den Kopf und antwortete im Tone des ruhigen Befehls: »Das geht nicht, der Wagen gehört mir, und ich muß ihn mitnehmen, ich kann nicht so lange warten, bis Euer Führer mir die Erlaubniß giebt.« Dabei griff er in die Tasche und hielt dem insurgirten Bewohner des blauen Rockes ungesehen von den Andern ein halbes Dutzend harte Thaler hin: »So viel für Euch und eben so viel für Eure Leute.« Der Anführer sah auf die Thaler, fuhr mit der Hand nach dem Kopfe, kraute sich heftig und drehte an seiner Mütze, worauf er endlich zu dem Resultat kam: wenn die Sache so sei, möge der gnädige Herr den Wagen nur fortnehmen.

Im Triumph zog die Caravane zu dem Wagen, die Fuhrleute ergriffen die Hebebäume und hoben mit vereinter Kraft die gesenkte Seite in die Höhe, lösten die Trümmer des alten Rades, setzten das neue an und spannten die Pferde vor, Alles unter thätiger Mitwirkung einiger Bauern, brüderlich unterstützt von dem Commandeur, welcher in eigener Person einen Hebebaum regierte. Darauf wurden die Pferde herzhaft angetrieben und der Wagen rollte der Brücke zu unter dem lauten hoi! hoi! des Krakusen, welcher dadurch vielleicht eine dissentirende Stimme in seinem Innern überschreien wollte.

»Gehen Sie mit dem Wagen voraus,« sagte der Kaufmann zu Anton, und da Anton zögerte, seinen Prinzipal allein unter den Bauern zurückzulassen, fügte dieser befehlend hinzu: »Ich will es haben.« So fuhr der Wagen langsam an die Grenze, und schon von Weitem hörte Anton das Lachen und die Grüße der Soldaten.

Unterdeß blieb der Kaufmann in eifrigem Gespräch mit dem Dolmetsch und dem Bandenführer zurück und schied endlich im besten Einvernehmen von dem Insurgenten, welcher mit slavischer Höflichkeit den Hauswirth auf der Landstraße machte und die Reisenden mit abgezogener Mütze bis in Schußweite von dem Militär begleitete. An der Brücke holte der Prinzipal den Wagen ein, machte das Halt! Werda! der Vedetten und das damit verbundene kriegerische Ceremoniell durch und empfing auf heimathlichem Boden den lachenden Glückwunsch des Rittmeisters, während der Lieutnant spöttisch zu Anton sagte: »Sie haben keinen Grund gehabt, die Abwesenheit Ihrer Schlüsselbüchsen zu bedauern.«

»Es ist besser so,« antwortete Anton, »es war ein glattes Geschäft. Die armen Teufel haben nichts gestohlen als ein kleines Faß Rum.«

Eine Stunde darauf saßen die Reisenden mit den Offizieren der Reiter und der Jäger zusammen in dem kleinen Verschlage der Schenke bei einigen Flaschen alten Ungarweins, welche der Wirth aus dem tiefsten Winkel seines Kellers heraufgeholt hatte. Nicht am wenigsten vergnügt war Anton. Er hatte zum ersten Mal in seinem Leben eine kleine anständige Kriegsgefahr durchgemacht und war im Ganzen mit sich zufrieden und jetzt saß er neben einem jungen Krieger, den er hochzuschätzen äußerst bereitwillig war, und hatte die Freude, diesem seine Cigarren anzubieten und von dem Abenteuer dieses Tages zu sprechen.

»Die Bauern haben ja im Anfange auf Sie angelegt,« sagte der junge Herr, nachlässig sein Bärtchen kräuselnd, »das war Ihnen wohl unbequem?«

»Nicht sehr,« erwiederte Anton so kühl als möglich; »einen Augenblick wurde ich stutzig, als die Flinten auf uns gerichtet waren, und hinter den Flinten andere Männer mit ihren Sensen die Pantomime des Kopfabschneidens machten. Es kam mir befremdlich vor, daß die Mündungen alle gerade auf mein Gesicht gerichtet waren. Nachher hatte ich am Wagen zu thun und dachte nicht mehr daran. Und als auf dem Rückwege jeder unserer Fuhrleute behauptete, daß gerade nur auf ihn gezielt worden sei und auf keinen Andern, da kam ich zu der Ansicht, daß diese Vielseitigkeit eine besondere Eigenschaft der Flintenläufe sein muß, eine Art von optischer Ungezogenheit, die nicht viel zu bedeuten hat.«

»Wir hätten Sie schon herausgehauen, wenn die Bauern Ernst gemacht hätten,« antwortete der Lieutnant wohlwollend. »Ihre Cigarren sind übrigens gut.«

Anton freute sich darüber und goß seinem Nachbar das Glas voll. So unterhielt er sich und blickte auf seinen Prinzipal, der heute besonders aufgelegt war, sich mit den bunten Herren über Krieg und Frieden zu unterhalten. Anton sah, daß der Kaufmann die Offiziere mit einer gewissen förmlichen Artigkeit behandelte, welche dem nachlässigen Ton, in welchem die Herren die Trinkgesellschaft begonnen hatten, wirksam steuerte. Bald wurde das Gespräch allgemein, und man hörte mit Aufmerksamkeit dem Kaufmanne zu, welcher von dem insurgirten Gebiet, mit dem er durch frühere Reisen bekannt war, erzählte und einzelne Führer des Aufstandes zu schildern wußte.

Nur der junge Herr von Rothsattel schien zu Antons großer Betrübniß nicht zufrieden mit der Aufmerksamkeit, welche seine Kameraden dem Civilisten gönnten, und mit dem Löwenantheil, den dieser an der Unterhaltung erlangt hatte; er warf sich nachlässig in seinen Stuhl zurück, sah wie zerstreut nach der Decke, spielte mit dem Säbelgriff und warf kurze Bemerkungen von den Lippen, welche eine ennuyirte Gemüthsstimmung andeuten sollten. Als der Rittmeister erwähnte, daß er am nächsten Morgen den Befehlshaber des Grenzcorps erwarte, und der Kaufmann darauf entgegnete: »Ihr Oberst wird vor morgen Abend nicht hier eintreffen, wenigstens hat er mir heut auf der Eisenbahn, wo ich mit ihm zusammentraf, so erzählt,« da kam in dem jungen Offizier der Teufel des Hochmuths zum Durchbruch und er sagte mit unartigem Ton: »Sie kennen unsern Obristen also persönlich? Er nimmt ja wohl seinen Zucker und Kaffe bei Ihnen?«

»Wenigstens geschah das früher,« sagte der Kaufmann artig, »ich selbst habe als junger Mann einige Mal den Kaffe für ihn abgewogen.«

Unter den Offizieren entstand eine gewisse Verlegenheit und einer der ältern versuchte von seinem Standpunkt aus eine Verbesserung der beabsichtigten Grobheit, indem er etwas von einer höchst respectablen Handlung sprach, bei welcher jeder Militär oder Nicht-Militär seinen Bedarf nur mit Vergnügen entnehmen könnte.

»Ich danke Ihnen für das gute Zutrauen, welches Sie zu meinem Geschäft haben, Herr Capitain,« sagte der Kaufmann lächelnd; »ich bin allerdings stolz darauf, daß mein Geschäft respectabel geworden ist durch meine und meiner Angehörigen angestrengte Thätigkeit.«

»Lieutnant Rothsattel, Sie führen die nächste Patrouille, es ist Zeit, daß Sie aufbrechen,« erinnerte der Rittmeister. Klirrend erhob sich der Lieutnant.

»Hier bringt Herr Warschauer eine neue Flasche, auf welche er große Stücke hält, es ist der beste Wein seines Kellers. Darf Herr von Rothsattel nicht erst den Wein versuchen, bevor er unsere Nachtruhe bewacht?« frug der Kaufmann mit ruhiger Artigkeit zum Rittmeister gewandt. Der junge Herr dankte mit Trotz und ging rasselnd aus der Stube. Anton hätte seinen Liebling prügeln mögen, so zornig war er auf ihn. Der Rittmeister aber beseitigte das kleine Zwischenspiel durch ein lebhaftes Gespräch, welches er einleitete.

Es war spät geworden, und Anton sah mit Verwunderung, daß der Kaufmann fortfuhr, mit ausgesuchter Artigkeit den Wirth zu machen und an dem Prüfen des Ungarweins ein Behagen zu empfinden, welches mit dem Zwecke seiner Reise nicht recht verträglich war. Endlich, nachdem eine neue Flasche entkorkt war, und auch der Rittmeister eine neue Cigarre des Kaufmanns bewundert hatte, warf dieser leicht hin: »Ich wünsche morgen nach der insurgirten Hauptstadt zu reisen und erbitte mir Erlaubniß dazu, wenn diese nöthig ist.«

»Sie wollen – « riefen die Offiziere rund um den Tisch.

»Ich muß,« sagte der Kaufmann mit Ernst und setzte ihnen kurz auseinander, weshalb er müsse.

Der Rittmeister schüttelte den Kopf: »Zwar läßt der Wortlaut meiner Ordre zweifelhaft, ob ich die Grenze für Jedermann zu verschließen habe, doch ist mir Absperrung des insurgirten Landes als der nächste Zweck unserer Aufstellung angegeben.«

»Dann würde ich meinen Wunsch dem Commandeur vortragen müssen, das würde mich länger als einen Tag aufhalten, und dieser Aufenthalt könnte den Zweck meiner Reise vereiteln. Wie Ihre Güte mir mittheilt, herrscht gegenwärtig unter den Insurgenten noch erträgliche Ordnung, es ist unmöglich, daß diese lange anhält. In den Rücksichten aber, welche ich dort finde, liegt für mich die einzige Möglichkeit, meine Waaren zu retten, denn die Frachtwagen kann ich nur mit Bewilligung der revolutionären Behörde aus der Stadt schaffen.«

»Und hoffen Sie diese zu erlangen?« frug der Rittmeister.

»Es muß versucht werden,« antwortete der Kaufmann. »Jedenfalls werde ich mich der Plünderung und Zerstörung meines Eigenthums dort nach Kräften widersetzen.«

Der Rittmeister überlegte. »Was Sie thun wollen, setzt mich in einige Verlegenheit; wenn Ihnen ein Unglück zustößt, wie ich fast fürchte, so könnte mir ein Vorwurf daraus gemacht werden, daß ich Ihnen gestattet habe, die Grenze zu passiren. Kann Sie denn nichts bewegen, diese Reise zu unterlassen?«

»Nichts,« erwiederte der Kaufmann, »nichts als das Gesetz.«

»Liegt Ihnen denn so viel an den Frachtwagen, daß Sie Ihr Leben dafür in die Schanze schlagen wollen?« frug der Rittmeister nicht ohne inneres Mißfallen.

»Ja, Herr Rittmeister, eben so viel, als Ihnen daran liegt, Ihre Pflicht zu thun; es hängt für mich mehr an dem Besitz dieser Frachtwagen, als ein geschäftlicher Vortheil. Ich muß hinüber, wenn mich nicht ein unbedingtes und unwiderrufliches Verbot der Staatsregierung daran hindert. Diesem würde ich mich zuletzt nicht entziehen, ich werde aber Alles versuchen, für mich eine Ausnahme zu erwirken.«

»Wohlan,« sagte der Rittmeister aufstehend, »ich will Ihrer Reise kein Hinderniß in den Weg legen. Sie werden mir Ihr Ehrenwort geben, daß Sie drüben unter keiner Bedingung etwas über die Stärke dieses Grenzpostens, die Aufstellung unserer Truppen und über das mittheilen, was Sie etwa von unsern projectirten Maßregeln gehört haben.«

»Ich gebe mein Wort,« sagte der Kaufmann.

»Ihre Persönlichkeit bürgt mir zwar dafür, daß Ihre Angaben über den Zweck der Reise die richtigen sind, zu meiner dienstlichen Information wünsche ich aber die betreffenden Papiere zu sehen, wenn Sie solche bei sich haben.«

»Hier sind sie,« sprach der Kaufmann eben so geschäftsmäßig. »Hier mein Paß in's Ausland auf ein Jahr, hier der Verladeschein des polnischen Verkäufers, die Copien meiner Briefe an das Grenzzollamt und den hiesigen Spediteur, und hier die Antworten derselben. Die Beamten des Grenzzollamts und der Spediteur können außerdem die Wahrheit dieser Angaben bezeugen.«

Der Rittmeister durchflog die Papiere und gab sie zurück. »Sie sind ein muthiger Mann, und ich wünsche Ihnen alles Glück,« sagte er mit amtlicher Würde. »Und wie wollen Sie reisen?«

»Mit Postpferden. Im Falle man mir die Pferde verweigert, werde ich sie kaufen und selbst fahren; einen Wagen wird mir unser Wirth überlassen, ich werde morgen bei Tage reisen, weil ich bei Nacht noch mehr Verdacht erwecken würde.«

»Wohlan, morgen mit Tagesanbruch sehe ich Sie wieder. Wie ich annehme, rücken wir selbst spätestens in drei Tagen in Feindes Land; falls ich bis dahin keine Nachricht von Ihnen habe, werde ich Sie in der eroberten Stadt aufsuchen. Wir brechen auf, meine Herren, die Sitzung hat bereits zu lange gedauert.«

So zogen die Herren vom Militär mit geschäftlichem Klirren ab, und Anton und sein Prinzipal blieben mit den leeren Weinflaschen allein in der Kammer. Der Kaufmann öffnete das Fenster und wandte sich dann zu Anton, welcher den letzten Verhandlungen in großer Aufregung zugehört hatte. »Wir werden uns hier trennen, lieber Wohlfart,« fing er an.

Bevor er aussprechen konnte, ergriff Anton seine Hand und sagte mit Thränen in den Augen: »Erlauben Sie mir mit Ihnen zu gehen, schicken Sie mich nicht in das Geschäft zurück. Es würde mir mein ganzes Leben hindurch ein unerträglicher Vorwurf sein, wenn ich auf dieser Reise von Ihnen gegangen wäre.«

»Es ist unnütz, vielleicht unklug, wenn Sie mitreisen. Was dort zu thun ist, kann ich sehr gut allein abmachen; wenn irgend eine Gefahr ist, was ich nicht glaube, so kann Ihre Gegenwart mich nicht davor schützen, ich würde nur das peinliche Gefühl haben, daß ich einen Andern um meinetwillen in Verlegenheit gebracht habe.«

»Ich würde Ihnen doch sehr dankbar sein, wenn Sie mich mitnehmen wollten,« bat Anton flehentlich, immer noch die Hand des Prinzipals haltend. »Auch Fräulein Sabine hat es gewünscht,« fügte er hinzu, indem er in weiser Steigerung den stärksten Ueberredungsgrund zuletzt aus seinem bewegten Gemüth heraufholte.

»Sie ist ein furchtsames Mädchen,« sagte der Kaufmann lächelnd. »Indeß, da Sie so freundschaftlich darauf bestehen, mag es sein. Wir reisen zusammen; rufen Sie den Wirth und lassen Sie uns die Reisegelegenheit besprechen.«

Altersbeschränkung:
12+
Veröffentlichungsdatum auf Litres:
28 September 2017
Umfang:
660 S. 1 Illustration
Rechteinhaber:
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