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Buch lesen: «Soll und Haben, Bd. 1 (2)», Seite 12

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»Du möchtest wohl auch tanzen gehen?« frug der Vater.

»Nein,« erwiederte Karl, »aber ich möchte sehen, wie sie's auf einem Balle machen.«

»Sieh in den blauen Mond nebenan, da kannst du es alle Sonntage sehen; es ist bei den Vornehmen auch nicht anders, nur daß sie einander etwas behutsamer anfassen, und außerdem mit Handschuhen.«

»Na, morgen wird's einen guten Staub in den Kleidern geben,« sagte Karl.

»Es ist ein staubiges Vergnügen,« bestätigte der Riese. »Es besteht im Umwenden, es besteht im Springen, man dreht sich zuerst auf die eine Seite und hernach auf die andere. Man versucht sich selber von der Erde zu heben, was immer unmöglich ist. Man wird heiß, man trinkt ein Glas oder auch mehrere und zuletzt wird eine Kußpolonaise getanzt. Wenn man heirathen will, ist das Ding nothwendig. So weit bist du noch nicht, bis dahin hat's noch manches Jahr Zeit.«

»Aber Herr Wohlfart ist auch noch nicht so weit,« erwiederte Karl. »Das wäre eine schöne Geschichte, wenn der jetzt ein Fräulein heirathete mit zwei Schimmeln und versilbertem Pferdegeschirr.«

»Ja, da wird wohl nichts helfen,« sagte der Vater kopfschüttelnd, »mit Tanzen fängt's an, mit der Hochzeit hört's auf. Es ist mir auch so gegangen.«

»Dich hätte ich auch sehen mögen,« rief Karl.

»Oho,« rief der Riese, »ich habe zu meiner Zeit getanzt wie ein Kreisel, Walzer, Hopswalzer, russischen Walzer und im Großvatertanz hatte ich nicht meines Gleichen.«

Karl sah den Vater mißtrauisch an. »Ja,« fuhr der Riese vergnügt in der Erinnerung fort, »wenn der Fußboden fest ist und gute Kameraden dabei, so lasse ich mir die Arbeit schon gefallen. – Es war großer Ball im Bürgerverein, ich war geladen, der Wilhelm mit, welcher damals noch ein schmächtiger Junge war. Ich gedenke es wie heute, ich hatte einen blauen Rock an mit blanken Knöpfen und stand mitten im Saal und sah auf die Gesellschaft, die sich um mich herumdrehte. Da fiel mir deine Mutter in die Augen, ach, ein niedliches Ding, wie eine Puppe saß sie da; neben ihr saß ihr Vater als Schlossermeister. »Guten Abend, Hans,« rief der Schlosser mich an, »bist du auch da?«

»Ich sollt's denken, Gevatter,« sagte ich und trat näher, und je mehr ich mir die Puppe besah, desto besser gefiel sie mir. »Dies ist meine Tochter,« sagte der Schlosser, »du kennst wohl das Mädel gar nicht mehr? Sie ist zwei Jahre auf dem Lande bei der Muhme gewesen.« »Wie sie hübsch geworden ist!« sagte ich, »sie ist rund und sie ist nett, wie gedrechselt.« Die Kleine wurde roth, und auch ich wurde feurig. »Na,« sagte der Schlosser, »wenn du mit ihr tanzen willst, immerzu! Greif sie nur nicht zu hart an.« »Nur zart,« sagte ich und führte sie zum Tanz. Wir mochten wohl contrair ausgesehen haben, das kleine Blitzmädel und ich, und ich glaube, die Leute lachten.

»Das hättest du nicht leiden sollen,« rief Karl, der sich ihm gegenübergesetzt und die Arme untergeschlagen hatte.

»Es war nicht böse gemeint,« sagte der Alte, »und deine Mutter gestand mir nach den ersten Tänzen, sie mache sich nichts daraus, wenn auch die Leute lachten. Ja, und sie sagte, es tanze sich gut mit mir. Natürlich tanzte ich den ganzen Abend mit ihr, nun erst recht. Und beim letzten Tanz gab es ihretwillen noch einen Handel mit dem Wilhelm, denn wie er sah, daß ich mit ihr tanzte, wollte er auch mit ihr tanzen, und wie er merkte, daß ich ihr den Hof machte und mich um sie herumdrehte und mir in die Haare fuhr und draußen vor dem Saale beim Blumenmädchen einen Strauß für sie kaufte und einen für mich, da kaufte er auch zwei Sträuße und drehte sich um sie herum wie ein Finkenhahn, bis ich ihn zuletzt bei Seite zog und ihm sagte: »Siehst du, Wilhelm, bei jedem Wagen, und bei jedem Faß, und bei jedem Collo sollst du deine Hand haben, wo ich meine habe, aber hier bei dieser Schlosserstochter nicht rühran!« »Warum nicht?« frug er. »Warum,« sagte ich, »weil wir Freunde sind, Wilhelm, und ich dir keinen Puffer geben möchte, und ich dich nicht abwalken möchte vor den Leuten.« »Weißt du was,« sagte er, »du bist schalu.« Da merkte ich, wie ich daran war. Seit dem Tage war ich verliebt. Auch du wirst merken, wie das thut. Es macht unruhig, und es bringt in Unordnung, und es macht hitzig, und man fängt an zu singen, man schreibt Briefe und kauft sich einen neuen Rock. So treibt's Jeder, und so habe ich's gemacht. Durch sechs Wochen, dann war die Hochzeit. Und dein Großvater bestand darauf, daß alle Auflader dazu geladen wurden. Und beim Polterabend tanzten wir Auflader mit einander eine Kegelquadrille, und ich war der erste Kegel. Das Haus erschütterte sich wohl, aber es ist kein Unglück geschehen, nur der Kronleuchter wurde zerbrochen.

»Potz Wunder!« rief Karl, »das hätte ich sehen mögen; schade, daß ich nicht dabei war!«

»Du ungezogener Knirps,« sagte der Vater, »wie konntest du dabei sein, an dich war damals noch gar nicht zu denken. Natürlich nicht, es war ja erst die Vorbereitung.«

»Wenn Wohlfart nur nicht zu spät nach Hause kommt, das kann Herr Schröter nicht leiden,« sagte Karl.

Unterdeß öffnete der Bediente die Flügelthüren zum Salon der Frau von Baldereck, und Fink und Anton betraten eine Reihe erleuchteter Zimmer, in denen sich eine große Anzahl eleganter Damen und Herren Thee trinkend, schwirrend und mit den Flügeln schlagend durcheinander bewegte. Die Mütter und Verwandten der jungen Damen waren geladen, um der Eröffnung der Tanzstunde beizuwohnen. Fink raunte dem Freunde noch in's Ohr: »Sei nur so unverschämt, als du kannst, es ist Alles dummes Zeug,« – und führte den Widerstandslosen vor das Angesicht der Frau vom Hause.

Anton wurde huldreich empfangen, machte seine Verbeugung und sah in seiner Angst nicht, daß die Blicke des Kreises, in den er getreten war, sich mit wahrhaft unverschämter Neugierde auf ihn hefteten. »Ich werde Sie der Gräfin Pontak vorstellen,« sagte seine gütige Patronin und führte den Schützling, der tief Athem holte, vor die Füße einer hagern langen Frau von unbestimmtem Alter, welche auf einem erhöhten Platz, von Damen und Herren umgeben, thronte. »Liebe Betty, hier Herr Wohlfart.« Anton sah in dieser Angststunde, daß die liebe Betty eine lange pergamentene Nase, wenig Lippen und ein recht hartes abstoßendes Gesicht besaß, er fühlte zwei stechende Blicke an seinem Gesicht herumpicken und senkte sein Haupt halb zum Gruß, halb mit der Ergebenheit eines Kriegsgefangenen. Die Gräfin saß kerzengerade bei seiner Verbeugung und frug von ihrer Höhe mit gleichgültiger Stimme: »Sie sind ein Freund des Herrn von Fink?«

»Zu Befehl, Frau Gräfin,« antwortete Anton.

»Und Sie leben noch nicht lange hier in der Stadt?« Jedes Gespräch in der Nähe hörte auf, mehr als zwanzig Augen stachen den armen Anton.

»Doch schon einige Jahre,« antwortete Anton wieder.

»Sie sind ja wohl ein Ausländer?« fuhr Betty in gemüthvoller Conversation fort.

»Ich bin in dieser Provinz geboren und erzogen,« antwortete Anton.

Ein »So?« kam eisig von den Lippen der Dame. »Und woher?«

»Aus Ostrau,« erwiederte Anton schnell das Haupt erhebend. Das Verhör wurde ihm drückend, er wußte selbst nicht, weshalb, und seine Schüchternheit verflog vor dem aufsteigenden Aerger.

»Mein Freund, stolze Herrin, ist ein halber Slave,« sagte Fink, zur rechten Zeit dazwischen tretend, »obgleich er leidenschaftlich dagegen protestirt, wenn man an seiner deutschen Herkunft zweifelt. Dafür macht er Hoffnung, dereinst ein guter Engländer zu werden. In diesem Augenblick theilt er meinen Wunsch, Gnade vor Ihren Augen zu finden. Ich empfehle ihn Ihrer Huld; Sie haben so eben eine Probe von Ihrem Talent gegeben, fremder Menschen Natur zu erforschen; gönnen Sie jetzt meinem Freunde, was wir Alle an Ihnen bewundern, Ihre sanfte Nachsicht mit fremder Unvollkommenheit.« – Die Frauen lächelten, einige der Herren wendeten sich ab, um ihr Lachen zu verbergen, und Betty saß mit gesträubten Federn da, wie ein Raubvogel, dem ein größerer seine Beute abgejagt hat.

Anton eilte, sich dem Blick dieser Gruppe zu entziehen, er schlüpfte in eine andere Ecke und gedachte sich durch ruhiges Beobachten der Gesellschaft von der Anstrengung seiner Präsentation zu erholen. Da schlug ein Battisttuch leicht an seinen Arm und eine dreiste Mädchenstimme frug: »Herr Wohlfart, kennen Sie Ihre alten Freunde nicht mehr? Es ist das zweite Mal, daß ich Sie zuerst grüßen muß.«

Anton wandte sich schnell zur Seite. Vor ihm stand eine hohe schlanke Gestalt mit blondem Haar und großen tiefblauen Augen, welche ihm lächelnd in's Gesicht sah. So sprechend war der Ausdruck des Entzückens auf Antons Antlitz, daß Lenore sich nicht enthalten konnte, ihm freundlich zuzunicken und zu sagen: »Ich freue mich, daß Sie hier sind. Die Herren sind mir alle fremde Gesichter. Aber wie kommen Sie hierher?«

Anton erklärte das in einer Stimmung, welche ihn fast der Herrschaft über seine Worte beraubte, verloren im Anblick des Fräuleins, welches jahrelang, ohne es zu wissen, in seiner Dachstube unumschränkt geherrscht hatte. Wie war sie in der letzten Zeit groß, voll und schön geworden! Und das luftige weiße Kleid und der Blumenkranz von nie dagewesenen Blumen im Haar! Mächtig glänzte das Auge in dem entzückenden Gesicht, und ihre Haltung war die einer Fürstin.

Schnell waren Beide in eifrigem Gespräch, es war zum dritten Mal, daß sie einander sahen, aber sie hatten so viel zu erzählen, als hätten sie Jahre gemeinsam verlebt.

»Wir werden heute Alle durcheinander tanzen und uns um unsern Tanzmeister gar nicht kümmern,« sagte endlich das Fräulein. »So ist mir's am liebsten. – Sie dürfen jetzt nicht länger mit mir allein sprechen, unterhalten Sie sich mit andern Damen. Ich gehe zu meiner Mutter. Wenn die Musik anfängt, kommen Sie zu mir, ich werde Sie der Mama vorstellen.«

So winkte sie ihm gnädig zu und schritt majestätisch durch den Saal in einen Kreis von Frauen.

Jetzt war Anton gefeit gegen alle Schrecken der Gesellschaft, seine Befangenheit war verschwunden, eine angenehme Begeisterung erfüllte ihn. Was konnten ihm doch diese hell gekleideten, buntgebänderten Gestalten sein, welche um ihn hüpften, oder fest gewurzelt standen? Sie waren ihm gleichgültig, wie eine Schaar kleiner Vögel, oder wie die Pflanzen auf der Wiese. Er suchte schnell Fink auf und ließ sich von ihm einem Dutzend Herren vorstellen, ohne irgend einen Namen der Vorgestellten zu behalten. Darauf bat er Fink sofort, ihn zu einzelnen der jungen Damen zu führen.

»Hast du mit der Tochter vom Hause gesprochen?« frug Fink.

»Nein,« sagte Anton lustig.

»Schnell hin, Unseliger,« ermahnte Fink, »mache dich gefaßt auf schlechte Behandlung.«

»Ist mir ganz gleichgültig,« sprach Anton, den Arm seines Freundes drückend, diesem in's Ohr, während er vor Fräulein Eugenie aufgestellt wurde.

Das Fräulein war so kalt gegen Anton, als sich nach der langen Vernachlässigung nur irgend erwarten ließ. Er hatte Mühe, einige kurze Antworten zu erlangen, und wurde durch den Anblick ihres Hinterzopfes beglückt, sobald Lieutnant von Zernitz an sie herantrat.

Auch diese Niederlage war ihm sehr gleichgültig. In seiner Nähe waltete Frau von Baldereck und beobachtete mit einem Auge die Gesellschaft, mit dem andern ihre Tochter und mit dem unnennbaren sechsten Sinn, welchen die Fledermäuse in so ausgezeichnetem Grade besitzen sollen, Herrn von Fink. Schnell trat Anton an sie heran und bat, ihn mit einem rosafarbenen Wesen, welches braunes Haar und silberne Kornähren zu tragen schien, bekannt zu machen.

»Sie meinen Comteß Lara?« frug die Dame vom Hause.

Natürlich verneigte sich Anton bejahend, Lara, Tara oder Gutgewicht war ihm in diesem Augenblick ganz gleichgültig. Die Comteß sah ihn befremdet an, er aber sprach mit gemüthlicher Wärme in sie hinein, von den Freuden der zu erwartenden Tanzstunde, von der allerliebsten Decoration des Salons, und wie schön man jetzt Säle auszuschmücken wisse, und von dem neuen Wintergarten in Paris, den er am Tage zuvor aus irgend einer Zeitung kennen gelernt hatte. Er schilderte ihr Springbrunnen und Glaskuppeln und vergoldete Gitter und künstliche Felsen mit tropischen Pflanzen und kleine Salamander, welche zur Freude des Publikums dazwischen umherschlüpfen, Alles mit einem Feuer, daß die kleine Dame in Rosa nach und nach aufthaute und endlich, als er bei den Eidechsen angekommen war, ebenfalls beweglich wurde und ihrerseits von zwei Feuermolchen erzählte, die sie einmal auf einem Stein gesehen, und von dem Entsetzen, das sie ihr eingejagt. Wenn sie Anton gesagt hätte, daß die beiden Molche mit untergeschlagenen Beinen auf dem Felsen gesessen und Bier aus einem Deckelglase getrunken hätten, so wäre ihm auch das als ein alltägliches Ereigniß aus dem Nachtgebiete der Natur erschienen. Da gerade, als Anton wieder den Uebergang machte vom Molch zu einer großen Ausstellung von Kürbissen, welche einige Wochen zuvor in der Stadt gewesen war, da dröhnte die Pauke, da schmetterte die Trompete, und das rosafarbene Kleid so wie die silbernen Aehren versanken vor seinen Augen in den Boden, er machte eine kurze Wendung und verließ das betroffene Fräulein, bevor er seine Rede geendet hatte.

Dort stand seine Königin im Gespräch mit ihrer Mutter, welche, jetzt kleiner als die hoch aufgeschossene Gestalt der Tochter, zu dieser aufsehen mußte. Der kriegerische Trotz Antons verschwand, als er vor die Baronin trat. Das waren die feinen Züge, das unaussprechlich vornehme Wesen, welches ihn einst so sehr in Erstaunen gesetzt hatte. Die letzte Vergangenheit hatte die Schönheit der Baronin nicht vermindert, und die Nähe, in welcher Anton sie jetzt betrachtete, erhöhte den Zauber, den ihre Erscheinung auf ihn ausübte. Die erfahrene Frau sah mit dem ersten Blick in Anton einen Neuling der Gesellschaft, seine Annäherung zeigte einen Ueberfluß von Hochachtung, und sein Hut, den er im Arme hielt, war von dem Druck wollig geworden und sah aus, wie mit einem Pudelfell überzogen.

»Dies ist Herr Wohlfart,« sagte Lenore mit einer empfehlenden Handbewegung, »hier ist der Herr, um dessen willen du mich schon einmal ausgescholten hast. Ja, mein Herr, ich habe damals, als ich Sie zuerst sah, von Mama Schelte bekommen, weil ich Sie so lange in unserm Garten aufgehalten hatte.«

»Das macht mich sehr unglücklich,« erwiederte Anton mit dem Ausdruck eines unsäglichen Leidens. »Ach, Sie können nicht ahnen, Frau Baronin, wie glücklich ich damals durch die Theilnahme des gnädigen Fräuleins geworden bin; ich ging zu fremden Menschen und in eine ungewisse Zukunft. Ihre freundlichen Worte haben mir Muth gegeben. Und oft sind sie mir seitdem in einsamen Stunden wieder in die Erinnerung gekommen, als eine gute Prophezeiung für meine Zukunft.«

»Sie wissen das so rührend zu sagen,« rief Lenore ihn unverwandt ansehend.

Die Baronin hörte verwundert den Erguß Antons und betrachtete den gefühlvollen Tänzer mit einer Neugierde, die nicht ohne leises Unbehagen war. Lenore aber unterbrach die beginnende Unterhaltung Antons mit ihrer Mutter, indem sie unruhig sagte: »Man tritt an, wir müssen zum Tanz.« Anton ergriff ihre Hand mit den Fingerspitzen und führte sie in den Kreis der tanzenden Paare.

»Er walzt erträglich, etwas spießbürgerlich, zu viel Zirkel, aber es ist Haltung darin,« brummte Fink.

»Ein distinguirtes Paar,« rief Frau von Baldereck in der Nähe der Baronin von Rothsattel, als Anton und Lenore vorbei walzten.

»Sie spricht zu viel mit ihm,« sagte Frau von Rothsattel zu ihrem Gemahl, welcher in diesem Augenblick zu ihr trat.

»Mit ihm?« frug der Freiherr, »wer ist der junge Mann? Ich habe das Gesicht noch nicht gesehen.«

»Er gehört zu den Poursuivants des Herrn von Fink, er ist nicht von Familie, er soll reiche Verwandte in Amerika oder Rußland haben. Mir gefällt das Entrée für Lenore nicht.«

»Nun,« erwiederte der Freiherr, »er hat das Aussehen eines frischen Jungen. Für dieses Kindervergnügen ist eine solche Gestalt immer noch besser, als die alten Knaben, die ich hier im Kreise sehe. Die Jüngeren amüsiren sich und ihre Tänzerinnen, während Benno Tönnchen sich nur belustigen wird, wenn er die Mädchen roth macht, oder ihnen das Rothwerden abgewöhnt. Lenore sieht recht gut aus. Ich gehe zu meinem Whist, laß mich rufen, wenn du den Wagen befiehlst.«

Anton hörte nichts von Allem, was über ihn und seine Tänzerin gesprochen wurde, und wenn die Gesellschaft um ihn herum so laut gesummt hätte, wie die große Glocke am höchsten Kirchthurm der Stadt, er hätte nichts gehört. Der Erdball war für ihn sehr klein geworden, nicht größer als der Kreis, den er mit seiner Tänzerin durchmaß, was etwa noch außerhalb existirte, war Finsterniß, Oede, ein Nichts, nur was er im Arm halten durfte, das nahm alle seine Sinne gefangen. Das schöne blonde Haar, so nahe an seinem Haupt, daß er mit seinen Locken die ihren berühren konnte, ihr warmer Athem, der seine Wange streifte, der unsägliche Reiz des weißen Handschuhes, der ihre weiche Hand versteckte, das Parfüm ihres Taschentuches, die rothe Blüthe, welche vorn am Kleide befestigt war, das sah und empfand er, und sonst nichts. Wenn sie im Tanz sich vertrauend von seinem Arm umschlingen ließ, wenn sie ihn fröhlich ansah auch während des Tanzes, wenn er sie athemlos anhielt und sie sich langsam von seiner Hand löste, ein Armband zurecht rückte oder ihr allerliebstes Taschentuch einen Augenblick an den Mund hielt, wie reizend waren nicht alle ihre Bewegungen. Wie bezaubernd der freundliche Gruß ihrer Augen oder ihr leises Lächeln, wenn Anton etwas sagte, was ihr gefiel.

Und er hatte das Glück, ihr zu gefallen; sie sagte ihm, er spreche allerliebst und es höre sich ihm gut zu. Ach, was er plauderte, war gleichgültig, er hätte vielleicht nicht weniger Erfolg gehabt, wenn er von Neuseeländern oder dem Kaiser von Japan gesprochen hätte. Denn nicht was er erzählte, sondern wie er es sagte, die stille Huldigung seiner Augen, der bebende Ton seiner Stimme, das drang schmeichelnd in die Seele seiner Tänzerin.

Die Pauke schwieg, der Trompeter setzte sein Blech ab, der Erdball löste sich auf in ein lichtloses Chaos. »Schade!« rief Lenore, als die letzte Note verklungen war.

»Ich danke Ihnen für dieses Glück,« sagte Anton, als er das Fräulein an ihren Platz führte.

Als er jetzt unter den fremden Menschen umhertrieb, wie ein steuerloses Schiff unter rauschenden Wellen, trat Fink zu ihm und sagte: »Höre, du Duckmäuser, entweder hast du süßen Wein getrunken, oder du bist ein heimlicher Intrigant. Woher kennst du die Rothsattel? du hast mir ja nie etwas von der Bekanntschaft gesagt. Sie ist eine hübsche Figur und ein classisches Gesicht. Hat sie denn auch Verstand?«

Anton hätte in diesem Augenblick seinem Freund erklären können, daß er ihn auf's Tiefste verachte. Eine solche Rohheit des Ausdrucks konnte nur aus einem ganz entmenschten Gemüth kommen.

»Verstand?« erwiederte er und sah Fink mit einem Blick tödtlicher Feindschaft an; »wer daran zweifeln kann, muß selbst sehr wenig besitzen.«

»Nun, nun,« sagte Fink erstaunt, »ich bin nicht in dieser trostlosen Lage. Ich finde das Mädchen, oder was ihrer würdiger sein wird, das junge Fräulein sehr einnehmend, ja, um in der Sprache eines gebildeten Menschen die Wahrheit zu sagen, ungewöhnlich liebenswürdig, und wenn ich nicht anderweitig kleine Verpflichtungen hätte, so weiß ich nicht, ob ich nicht genöthigt würde, das Fräulein, dessen Namen ich so eben auszusprechen wagte, für die Herrin meines Herzens zu erklären. So freilich darf ich sie nur von fern bewundern.«

Fink war doch nicht so schlecht. Er war in seinen Ausdrücken nicht immer gewählt, aber er hatte im Grunde ein sehr richtiges Gefühl und ein treues Gemüth. Deßhalb faßte Anton seinen Arm, drückte ihn kräftig und sagte: »Du hast Recht.«

»Wirklich?« fuhr Fink wieder in seiner gewöhnlichen Weise fort. »Na! du fängst gut an, ich will mich lieber mit einem Stück brennenden Schwefel in ein Pulverfaß setzen, als mit dir und deinem schüchternen Wesen. Uebrigens vergiß nicht, Fräulein Eugenie zum nächsten Tanz aufzufordern, du wirst einen Korb bekommen, denn sie ist bereits engagirt. Du hast dich bis jetzt gut gehalten, fahr' so fort, mein Sohn.«

Und Anton fuhr fort, seinem Lehrer Ehre zu machen. Wohl war er berauscht, aber durch einen stärkern Trank, als süßen Wein. Die Musik, die Aufregung des Tanzes und das fröhliche Geschwirr um ihn herum steigerten seine Begeisterung, er fühlte sich den ganzen Abend sicher, ja übermüthig, und betrug sich, einige kleine Verstöße abgerechnet, wie Einer, der täglich von Wachskerzen und servirenden Dienern umgeben ist. Er wurde bemerkt, er machte als Fremder einiges Aufsehen. Dunkle Sagen von seinen geheimnißvollen Verbindungen flogen aus einer Ecke des Saals, wo Mütter prüfend und richtend zusammensaßen, bis in die andere. Es wurde unzweifelhaft, daß dies heitere und harmlose Sichgehenlassen die Folge eines ganz besondern Selbstgefühls war. Er erfuhr Zuvorkommenheit von den älteren Frauen, bald auch von einzelnen Herren.

Und endlich kam der Cotillon. O du längster und merkwürdigster aller Tänze! du halb Spiel und halb Tanz! reizend, wenn du die einzelnen Paare im Kreise umhertreibst, noch reizender, wenn du ihnen erlaubst, ungestört und ein wenig versteckt zu plaudern. Wir hören, daß du dem Geschlecht der Gegenwart für veraltet und spießbürgerlich giltst. Wankelmüthiges Jahrhundert! Wissenschaft und Staatskunst werden nichts Neues erfinden, was so vielfachen Bedürfnissen des Menschengeschlechts Genüge thut, als du. Da ist das kindliche Gemüth, es kann sich als Pyramide aufstellen, es kann sich in Schlangenwindungen umherdrehen, es kann hier und dort hinlaufen, alte Herren vom Spieltisch zu Extratouren holen, es kann auf dem Stuhle sitzend drei bis vier junge Damen verächtlich vor sich stehen lassen, es kann von Tanzlust ergriffen plötzlich aufspringen, irgend eine Dame ergreifen und im Kreise umhertanzen, und kein Mensch kann es ihm verwehren. Da sind höher strebende Naturen, welche Gefühle haben oder Ehrgeiz oder Bosheit und Menschenhaß; allen bist du gefällig. Du giebst jedem Herrn das Recht, sich mehr als einmal eine Tänzerin nach seinem Herzen zu suchen, du erlaubst jeder Dame, in der allerzartesten Weise anzudeuten, welche zwei oder drei Herren ihre höchste Achtung genießen, du vertheilst an strebsame Cavaliere Schleifen und Orden, du heftest massenhafte Blumensträuße vor die Brust der gefeierten Dame. Du läßt aber auch verschmähte Herren zähneknirschend umherlaufen und sich irgend eine Surrogattänzerin suchen; du offenbarst die Lieblinge der Gesellschaft, aber du machst den Unbekannten und Unbeliebten noch einsamer und verlassener. Wenn du beginnst, werden die Blicke der Mütter besorgt, die Nasen vieler Tanten spitz. Du kindischer, lustiger, endloser Tanz! wie viele Glückliche hast du gemacht, wie viele stille Thränen hast du verursacht, wie manches Brautpaar hast du zusammengeführt, und welche Qualen der Eifersucht hast du erregt! Freilich hast du auch endlosen Staub aufgerührt, zahllose Toiletten unscheinbar gemacht, und manche grimmige Feindschaft hervorgerufen. So bist du in deiner Blüthenzeit gewesen, die Freude der Jugend, die große Angelegenheit der Mütter, die Furcht der ermüdeten Väter, ein Greuel nur für die Musiker.

Als dieser vielseitige Tanz herankam, suchte Anton wieder in Lenorens Nähe zu kommen; er bat sie um den Tanz.

»Ich wußte, daß Sie mit mir tanzen würden,« sagte sie aufrichtig; er holte ihr einen Stuhl, schob sich neben sie und war selig. Und als er die Aufgabe hatte, in der Tour eine fremde Dame zu holen, dieser etwas zu schenken, was in einem Körbchen mitten im Kreise aufgestellt war, und darauf mit ihr zu tanzen, da gab er der Welt die energische Erklärung ab, daß für keine andere Dame die Möglichkeit irgend einer Stellung in seinem Herzen vorhanden sei; er holte sein Geschenk aus dem Korbe, wartete, bis seine Tänzerin auf ihren Platz zurückkam, und überreichte dann ihr die rothe Schleife. Das war für Beide der größte Augenblick in dem ganzen großen Abend.

Was darauf folgte, war nur undeutliches Traumgesicht. Er sah sich mit Fink Arm in Arm durch den Saal schlendern, er hörte sich mit ihm und andern Herren über Allerlei sprechen und lachen, er bemerkte sich vor der Dame vom Hause einen Dank murmeln und eine Verbeugung machen; es kam ihm vor, als ob ihm ein Diener den Paletot überreichte, worauf er in die Tasche griff und ihm etwas in die Hand drückte. Schattenhaft und unklar waren alle diese Begebenheiten. Nur Eins sah er noch deutlich, einen weißen Damenmantel mit einem seidenen Capuchon und einer Quaste daran, o diese Quaste, sie war unsäglich entzückend! Noch einmal fiel ein Blick aus den großen Augen voll und glänzend auf ihn, und er hörte von ihren Lippen noch ein leises Flüstern, wie »gute Nacht.« Das Uebrige war wieder ein nichtssagender Traum, daß er neben Fink die Treppe herunterstieg und die spöttischen Reden des Freundes nur mit halbem Ohr hörte, daß er in seiner kleinen Stube ankam, die Lampe anzündete und sich umsah, ob er auch wirklich hier wohne, und daß er sich langsam entkleidete, sich noch in seinem Bett wunderte, daß er all diese Herrlichkeit erlebt hatte, und endlich ermüdet einschlief. Und ein Traum war's, daß sein Hausgeist, die gelbe Katze, sich auf ihrem Postament hoch aufrichtete und den Kopf schüttelte über den langen Zug fremdartiger Bilder und Gefühle, welche in der friedlichen Stube eingekehrt waren.

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Veröffentlichungsdatum auf Litres:
28 September 2017
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660 S. 1 Illustration
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