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Buch lesen: «Soll und Haben», Seite 31

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5

Die Frühlingsstürme fuhren über das Flachland, als Anton in das Geschäft zurückgerufen wurde. Der Winter war ihm eine Zeit harter Arbeit, großer Beschwerden gewesen. Aus der fremden Stadt war er mehr als einmal in Kälte und Schnee durch verwüstete Landschaften gereist, weit hinein in den Osten und Süden bis an die Berge Siebenbürgens und in die Weideländer der Madjaren. Er hatte viel Trauriges gesehen, niedergebrannte Edelhöfe, zerstörten Wohlstand, unsichere Menschen, Hunger, Roheit und brennenden Haß der Parteien.

»Um welche Stunde kommt er?« fragte Sabine den Bruder.

»In wenig Stunden, mit dem nächsten Bahnzug.«

Sabine sprang auf und ergriff ihr Schlüsselbund. »Und noch sind die Mädchen nicht fertig, ich muß selbst zum Rechten sehen. Heut abend soll er bei uns essen, Traugott; auch wir Frauen wollen etwas von ihm haben.«

Der Bruder lachte. »Verzieht ihn nur nicht.«

»Dafür ist gesorgt«, sagte die Tante. »Wenn er einmal wieder im Kontor sitzt, dann steckt er wie in einer Schublade, man kann ihn, außer mittags, lange suchen.«

Unterdes kramte Sabine unter ihren Schätzen, belud den Arm des Bedienten mit allerlei Paketen und sah ungeduldig in den Hof hinab, ob die Herren noch nicht aus dem Hinterhause in das Kontor gehen wollten. Endlich huschte sie selbst in Antons Stube. Sie warf noch einen prüfenden Blick auf das Sofakissen, das sie für den Abwesenden gestickt hatte, und ordnete in einer Alabasterschale alle Blumen, welche der Gärtner aufgetrieben hatte. Als sie so über der Schale stand, fielen ihre Blicke auf die Wände des Zimmers, wo noch die Zeichnung hing, welche Anton in den ersten Wochen nach seinem Eintritt gemacht, und auf den kostbaren Teppich, den noch Fink über den Fußboden gezogen hatte. Zum erstenmal seit langer Zeit war sie in diesem Raum, den ihr Fuß gemieden hatte, solange der andere ein Bewohner des Hauses war. Wo lebte er jetzt? Ihr war heut, als sei sie seit vielen Jahren von ihm getrennt, und die Erinnerung an ihn kam ihr wie das bange Gefühl nach einem schweren Traume. Dem ehrlichen Mann, der jetzt hier wohnte, konnte sie offen sagen, wie wert er ihr geworden war, und freudig durfte sie der Stunde entgegensehen, wo sie ihm danken wollte für alles, was er ihrem Bruder getan.

»Aber Sabine!« rief die Tante erschrocken an der Tür. Auch die Tante hatte es leise in das Zimmer ihres Tischnachbars gezogen.

»Was hast du?« fragte Sabine aufsehend.

»Aber es sind ja die gestickten Vorhänge, die du aufgezogen hast. Die gehören doch nicht ins Hinterhaus, in diese Herrenwirtschaft!«

»Laß sie hängen«, sagte sie lächelnd.

»Und die Überzüge, und diese Handtücher, das ist unerhört, es sind ja deine besten Stücke. Mein Gott! Die Überzüge mit Spitzen und auch das rosa Futter dazu.«

»Laß dir’s gefallen, Tante«, rief Sabine errötend. »Der heut zurückkommt, hat es wohl verdient, daß er das Beste aus den alten Schränken erhält.«

Aber die Tante fuhr fort, den Kopf zu schütteln. »Wenn ich’s nicht selbst sähe, ich hätte es keinem geglaubt. So etwas für den täglichen Gebrauch zu geben! Ich verstehe dich nicht mehr, Sabine. Man wird ihn nach und nach um einige Nummern herabsetzen müssen; er merkt’s nicht, das ist mein einziger Trost. Nein, daß ich das erleben mußte!« Sie schlug die Hände zusammen und verließ aufgeregt das Zimmer.

Sabine ergriff wieder die Schlüssel und eilte ihr nach. »Sie macht gegen Traugott unnütze Worte«, sagte sie sich leise im Gehen, »ich muß ihr beweisen, daß es nicht anders einzurichten war.«

Unterdes war auch dem Reisenden zumute wie einem Sohn, der nach langer Abwesenheit in das Vaterhaus zurückkehrt. Auf den letzten Stationen vor der Hauptstadt pochte sein Herz in freudigen Schlägen; das alte Haus und die Kollegen, das Geschäft und sein Pult, der Chef und Sabine, alle fuhren in lachenden Bildern vor seinem Auge vorüber. Endlich hielt die Droschke vor der geöffneten Haustür. Da standen die Frachtwagen, die Tonnen, der Leiterbaum. Da rief Vater Sturm mit einer Stimme, welche hell über die breite Straße klang, seinen Namen, riß den Wagenschlag auf und hob ihn heraus, wie ein Mann sein Kind aus dem Wagen hebt. Da eilte Herr Pix bis auf die Straße, schüttelte ihm lange die Hand und bemerkte in seiner Freude nicht, daß unterdes sein schwarzer Pinsel diese Bewegungen benutzte, um auf Antons Pelz allerlei Striche und Punkte zu malen. Dann kam Anton bei der großen Waage vorbei und schüttelte mit der Hand vergnügt an den Ketten. Dann trat er in das vordere Kontor, wo bereits die Lampen brannten, und rief herzhaft seinen »Guten Abend!« hinein. Mit lautem Ruf erhoben sich die Kollegen wie ein Mann und drängten sich um ihn. Herr Schröter eilte aus der Hinterstube herzu, und als er sein »Willkommen!« rief und die Hand entgegenhielt, fuhr ein heller Strahl von Freude über sein ernstes Gesicht. Das waren glückliche Augenblicke, und Anton wurde weicher, als sich für einen gereisten Mann schickt. Und als er nach den ersten Fragen und Antworten aus dem Kontor nach seinem Zimmer ging, da sprang im Hofe Pluto mit Ungestüm auf ihn zu und wedelte unbändig mit dem zottigen Schwanze, und Anton hatte Mühe, sich seiner Liebkosungen zu erwehren. Vor seinem Zimmer kam ihm der Diener mit vergnügtem Lächeln entgegen und riß respektvoll die Tür auf. Überrascht sah sich Anton um, der Raum war festlich geschmückt, im Kamin vor dem Ofen brannte ein behagliches Feuer, eine grüne Girlande hing über der Tür, auf dem Sofa lag ein neues gesticktes Kissen, auf dem Tische stand ein zierliches Teeservice und daneben eine Alabasterschale mit Blumen. »Das Fräulein hat selbst alles aufgestellt«, vertraute ihm Franz. Anton beugte sich über die Schale und betrachtete die einzelnen Blumen aufs genaueste. Sie waren im allgemeinen anderen Naturerzeugnissen ihrer Art nicht unähnlich, aber Anton starrte in sie hinein, als hätte er noch nie etwas Ähnliches gesehen. Darauf nahm er das Kissen, befühlte und streichelte die Stickerei und stellte sie voll Bewunderung wieder an ihre Stelle. Zuletzt nahm er auch die Katze in die Hand, klopfte sie auf den Rücken und setzte sie vorsichtig gleich einem lebenden Geschöpf wieder auf den Schreibtisch; und die Katze war nicht unempfänglich für solche Freundlichkeit, denn in dem roten Scheine des Kaminfeuers glänzte sie hell und lebendig, und es klang durch das Zimmer wie ein leises Schnurren.

Wieder eilte Anton in das Kontor, dem Chef über seine letzte Tätigkeit Bericht zu erstatten. Der Kaufmann nahm ihn in sein kleines Zimmer und besprach mit ihm die Ereignisse der vergangenen Zeit in so herzlicher Weise, wie man mit einem Freund über wichtige Angelegenheiten verhandelt. Es war doch eine ernste Unterredung. Vieles war verloren und nicht weniges noch gefährdet. Erst in der Ferne war Anton mit dem ganzen Umfange der Gefahr bekannt geworden, welche das Geschäft bedroht hatte. Und er erkannte, daß die Tätigkeit vieler Jahre nötig sei, um die Verluste wieder auszugleichen und an Stelle der abgerissenen Fäden neue anzuknüpfen. Mit kurzen Worten sagte ihm der Kaufmann dasselbe. »Ihrer Umsicht und Energie verdanke ich viel«, schloß er, »ich hoffe, Sie werden mir helfen, das verlorene Terrain in anderer Weise wiederzugewinnen; das Unvermeidliche werden wir tragen.« Und als Anton hinausging, rief er ihm lächelnd nach: »Es ist noch jemand, der Ihnen zu danken wünscht; ich bitte Sie, heut abend mein Gast zu sein.«

So trat Anton an sein Pult, öffnete das lang verschlossene und legte sich Papier und Feder zurecht. Aber aus dem Schreiben wurde heut nicht viel. Jordan weigerte sich, ihm Briefe zu geben, und in beiden Arbeitsstuben hörte die unruhige Bewegung nicht auf. Einer nach dem andern verließ seinen Platz und kam zu Antons Stuhl. Herr Baumann klopfte dem Stubennachbar mehrmals leise auf den Rücken und ging dann immer wieder vergnügt auf seinen Platz zurück, und Herr Specht hockte in großer Aufregung an dem Geländer neben Antons Sitz, und seine Fragen und verwunderten Ausrufe schossen wie ein Bach auf Anton nieder. Herr Liebold legte das Löschblatt mehrere Minuten vor der Schlußstunde in das Hauptbuch und verschwand in dem vordern Kontor. Sogar Herr Purzel trat, die heilige Kreide in der Hand, aus seinem Verschlage; zuletzt kam auch Herr Pix in das Zimmer, um Anton im Vertrauen zu erzählen, daß er schon seit einigen Monaten keine Solopartie gespielt und daß Specht unterdes in einen Zustand gekommen sei, der mit Verrücktheit eine unverkennbare Ähnlichkeit habe.

Am Abend betrat Anton den oberen Stock des Vorderhauses. Die Portiere rauschte zurück, Sabine stand vor ihm. Ihr Mund lachte, aber ihre Augen glänzten feucht, als sie sich auf die Hand herabbeugte, welche die Todesgefahr vom Haupt des Bruders abgewandt hatte.

»Fräulein!« rief Anton erschrocken und zog die Hand zurück.

»Ich danke Ihnen, o ich danke ihnen, Wohlfart!« rief Sabine und hielt ihn mit beiden Händen fest. So blickte sie ihn schweigend an, verklärt durch eine Rührung, welche sie nicht bewältigen konnte. Als Anton das Mädchen betrachtete, welches mit geröteten Wangen so bewegt und dankbar zu ihm aufsah, da erkannte er, daß seit jenem Streich des slawischen Säbels auch seine Stellung zur Familie und zu ihr geändert war. Die Schranke war gefallen, welche bis dahin den Arbeiter des Kontors von dem Fräulein getrennt hatte. Und mit einer stolzen Freude, welche ihm das Herz schwellte, empfand er auch, daß er selbst in dieser Zeit ein Mann geworden war, wohl wert, daß ein Weib seiner Kraft und Ruhe vertraute.

Er erzählte ihr noch einmal, was sie durch viele Fragen aus seinem Munde zu vernehmen suchte, den Kampf um die Wagen, die Schrecken der wilden Zeit. Andächtig lauschte Sabine seinem Wort. Auch er war ihr ein anderer, seine Züge waren bestimmter, seine Haltung sicherer, seine Rede fest. Ihr Auge suchte den klareren Glanz des seinen, und wenn ein voller Blick freudig auf sie fiel, schlug sie das ihre unwillkürlich nieder. Nie war ihr aufgefallen, wie hübsch und stattlich er war. Heut sah sie auch das. Ein offenes männliches Antlitz, darüber das kastanienbraune lockige Haar, zwei prächtige Augen von dunklem Blau, ein kräftiger Mund und auf den Wangen ein feines Rot, das in der wachsenden Empfindung sich veränderte wie das Sonnenlicht auf der lachenden Flur. Er war ihr neu geworden und doch wie ein lieber, vertrauter Freund.

Die Tante kam herein, die gestickten Vorhänge hatten in ihrer Seele eine Erschütterung hervorgerufen, welche noch anhielt und jetzt durch ein Seidenkleid und eine neue Haube an das Licht trat. Ihre Begrüßung war laut und wortreich, und ihre Bemerkung, daß der neue Backenbart Herrn Wohlfart sehr gut stehe, wurde durch ein stilles Kopfnicken der Nichte bestätigt.

»Da habt ihr den Helden des Kontors«, rief der Kaufmann. »Jetzt zeigt, daß ihr Ritterdienste besser zu lohnen wißt als durch schöne Worte. Tragt ihm auf, was Küche und Keller hergeben. Kommen Sie, mein treuer Gefährte. Der Rheinwein erwartet, daß Sie nach manchem schweren Polentrunk auch ihm eine Ehre erweisen.«

In dem ruhigen Licht der Lampe strahlte das Zimmer vor Behagen, als die vier sich zu Tische setzten. Der Kaufmann hielt Anton das Glas über den Tisch: »Willkommen in der Heimat!« »Willkommen im Hause!« rief Sabine. Da sagte er leise: »Ich habe eine Heimat, ich habe ein Haus, in dem ich mich wohlfühle. Durch Ihre Güte habe ich beides gewonnen. Viele Abende, wenn ich dort draußen in einer schlechten Herberge saß, unter wildfremden Leuten, deren Sprache ich nur unvollkommen verstand, da habe ich an diesen Tisch gedacht, und welche Freude es für mich sein würde, wieder Ihr Angesicht und diese Räume zu sehen. Denn das Bitterste auf Erden ist doch, sich in den Stunden der Ruhe allein zu fühlen, ohne einen guten Freund, ohne eine Stätte, an welcher das Herz hängt.«

Und als er spät am Abend aufbrach, sagte der Kaufmann beim Nachtgruß: »Wohlfart, ich wünsche Sie noch fester an dies Haus zu fesseln. Jordan verläßt uns mit dem nächsten Vierteljahr, um als Associé in die Handlung seines Oheims zu treten. Ich habe Sie für seine Stellung bestimmt. Ich weiß, daß ich keinen bessern Mann zu meinem Stellvertreter machen kann.«

Als Anton in sein Zimmer zurückkehrte, da fühlte er, was der Mensch nur in wenigen Stunden des Lebens ungestraft fühlen darf, daß er glücklich war, ohne Reue, ohne Wunsch. Er setzte sich auf das Sofa, sah auf das Kissen und die Blumen, und seine Gedanken flogen zurück über die letzten Stunden. Immer wieder sah er Sabine vor sich, wie sie sich auf seine Hand niederbeugte und ihm dankte. Lange saß er so in holdem Traum und legte sein müdes Haupt auf die seidenen Arabesken, welche Sabinens Hand gestickt hatte.

Da fiel sein Auge auf den Tisch, ein Brief lag auf der Decke, das Postzeichen war von New York, die Adresse von Finks Hand.

Fink hatte ihm in den ersten Jahren der Trennung einigemal geschrieben, fast immer nur wenige Zeilen, nie etwas von seinen Geschäften, noch weniger von den Plänen, welche er im Hinterhause für seine Zukunft gemacht hatte. Dann war eine lange Zeit verstrichen, in welcher Anton ohne jede Nachricht von dem Freunde geblieben war; er wußte nur, daß Fink viele Zeit auf Reisen im Westen der Union zubrachte, wo er als Bevollmächtigter des Handelshauses, an dessen Spitze sein Oheim gestanden, und im Interesse verschiedener Kompanien, an welchen der Verstorbene teilhatte, tätig war. Aber mit Bestürzung las Anton folgendes:

›Es muß endlich doch heraus, was ich Dir armem Jungen gern verschwiegen hätte. Ich bin unter die Räuber und Mörder gegangen. Wenn Du einen harten Kehlabschneider brauchst, wende Dich nur an mich. Ich lobe mir einen Burschen, der aus freier Wahl ein Schuft wird; er hat wenigstens das Vergnügen, mit dem Teufel einen klugen Vertrag zu machen, und kann die Klasse von Niederträchtigkeiten aussuchen, in der er sich behaglich fühlt. Mein Los ist weniger angenehm. Ich werde durch den Zwang der Schelmereien, welche andere ausgedacht haben, auf einem Wege fortgetrieben, welcher eine haarsträubende Ähnlichkeit mit der Chaussee hat, die sich Lawinen auf ihrem Sprunge nach der Tiefe bereiten. Wie das Felsstück in der Schneemasse, so stecke ich, von allen Seiten eingeengt, in der eisigen Kälte der furchtbarsten Spekulationen, welche je großartiger Wuchersinn ausgedacht hat. Der Verstorbene hat die Güte gehabt, gerade mich zum Erben seiner Lieblingsprojekte, der Spekulationen mit Land, zu machen. Lange vermied ich, mich selbst in die Einzelheiten dieses Geschäftes zu verlieren. Ich ließ ein Jahr lang Westlock diesen Teil der Erbschaft bearbeiten. Wenn das feig war, so fand ich eine Entschuldigung in der Masse von Arbeiten, welche mir die Börsengeschäfte des toten Herrn machten. Endlich wurde die Übernahme auch dieser Tätigkeit unvermeidlich, und wenn ich schon vorher bestimmte Ahnungen über die weite Ausdehnung des Luftsacks bekommen hatte, den der Tote statt eines Gewissens mit sich herumtrug, so ist mir jetzt ganz unzweifelhaft geworden, daß die Absicht seines Testamentes war, sich für die kindischen Bosheiten, die ich gegen ihn geübt, dadurch zu rächen, daß er mich zum Spießgesellen von alten verwitterten Schurken machte, deren Schlauheit so groß ist, daß Satan selbst den Schwanz in die Tasche stecken und ihnen entlaufen würde.

Diesen Brief erhältst Du aus einer neuen Stadt in Tennessee, einem anmutigen Ort, der dadurch nicht besser wird, daß er auf Spekulation von meinem Geld gebaut ist. Einige Holzhütten, die Hälfte davon Schenken, bis unter das Dach angefüllt mit einem schmutzigen und verworfenen Gesindel von Auswanderern, von denen die Hälfte an Fäulnis und Fieber darniederliegt. – Auch was noch umherläuft, ist ein hohläugiges, verkümmertes Geschlecht, alle Kandidaten des Todes. Täglich, wenn die armen Tröpfe die aufgehende Sonne erblicken, sooft sie den unbescheidenen Wunsch fühlen, zu essen und zu trinken, täglich vom Morgen bis zum Abend ist ihr Lieblingsgeschäft, auf die Landhaifische zu fluchen, welche ihnen ihr Geld für Transportkosten, für Land und Einrichtungen abgenommen und sie in diese Gegend geführt haben, welche zwei Monate im Jahr unter Wasser steht und die übrige Zeit einem zähen Brei ähnlicher sieht als irgendwelchem Lande. Die Männer aber, welche sie auf diesem kotigen Wege ins Himmelreich weisen, sind meine Agenten und Bundesgenossen, und ich, Fritz Fink, bin der Glückliche, der hier allstündlich mit jedem Fluch der deutschen und irischen Zunge beworfen wird. Was noch gesunde Beine hat, schicke ich fort, was als Bewohner meines Hospitals umherschleicht, das habe ich mit Welschkorn und China zu füttern. In meiner Stube kriechen, während ich dies schreibe, drei nackte Paddykinder auf der Diele umher, ihre Mütter sind so pflichtvergessen gewesen, dies Jammertal zu verlassen, und ich genieße den Vorzug, die froschartigen Scheusälchen über den Nachttopf zu halten. Eine angenehme Beschäftigung für meines Vaters Sohn! Wie lange ich hier festsitzen werde, weiß ich nicht, möglicherweise, bis der letzte gestorben ist.

Unterdes bin ich mit meinen Associés in New York zerfallen, ich habe den Vorzug gehabt, eine allgemeine Unzufriedenheit zu erregen, die Teilhaber an der großen Westlandkompanie sind zusammengekommen, man hat Reden gegen mich gehalten und Beschlüsse gefaßt. Mich würde das wenig kümmern, wenn ich einen Weg sähe, mich von dieser Bande loszumachen. Aber der Tote hat die Sache so schlau eingerichtet, daß ich festgeschnürt bin wie ein Sklave im Negerschiff. Es sind ungeheure Summen in diese wüste Spekulation geworfen. Wenn ich ihnen den Kram kündige, so bin ich sicher, daß sie Mittel finden werden, mich die ganze Summe, die der Tote gezeichnet hat, bezahlen zu lassen, und wie ich das durchsetzen soll, ohne nicht nur mich, sondern vielleicht auch die Firma Fink und Becker zu ruinieren, das sehe ich noch nicht.

Indessen wünsche ich Deine Meinung über das, was ich tun soll, nicht zu hören. Sie kann mir nichts nutzen, denn ich weiß sie ohnedies. Ich wünsche überhaupt keinen Brief von Dir, Du einfältiger, altfränkischer Tony, der Du glaubst, ehrlich handeln sei eine so einfache Geschichte wie ein Butterbrot streichen. Denn habe ich alles getan, was ich konnte, die einen begraben, die andern gefüttert und meine Kompagnons so sehr geärgert, als mir möglich ist, dann ziehe ich auf einige Monate weiter nach Westen in eine ehrliche Prärie, wo weniger Gekrächze von Alligatoren und Nachteulen und etwas mehr Aristokratismus zu finden sein wird als hier. Gibt es auf der Prärie Tinte und Stift, so schreibe ich Dir wieder. Ist dieser Brief der letzte, den Du von mir erhältst, so widme mir eine Träne und sage in Deiner salbungsvollen Art: Schade um ihn, er hatte auch seine guten Seiten!‹

Darauf folgte eine genaue Darstellung der Geschäfte Finks und die Statuten der Landkompanie.

Anton las den unerfreulichen Brief einigemal durch, dann setzte er sich an den Schreibtisch und schrieb an den Freund, trotz dessen Verbot, die ganze Nacht hindurch.

Noch in dem ruhigen Licht der nächsten Tage behielt Anton die erhobene Stimmung. Wenn er im Kontor arbeitete und mit seinen Kollegen scherzte, immer fühlte er, wie fest sein Leben in den Mauern des großen Hauses Wurzeln geschlagen hatte. Auch den andern wurde es bemerkbar. Am Mittagstisch war die Unterhaltung jetzt lebhafter als je. Nicht nur der Prinzipal, auch Anton und Sabine führten das Gespräch. In einer Zeit, wo das Geschäft wenig Freudiges brachte, kam in diese drei ein neues Leben. Der Kaufmann richtete seine Rede fast ausschließlich an Anton, und wenn Anton erzählte, dann hörte der ganze Tisch aufmerksam zu, und zuweilen klang ein heiteres Lachen aller Kollegen um die feierliche Tafel. Auch des Abends war Anton eine bevorzugte Person. Er wurde oft in das Vorderhaus geladen, dann saß er mit den Frauen und dem Prinzipal am kleinen Tisch zusammen, und dem Hausherrn war anzusehen, wie lieb ihm das persönliche Verhältnis zu einem Manne wurde, der so innig mit den Interessen seines Geschäftes verwachsen war und in dessen frischem und geordnetem Sinn er ein Bild seiner eigenen Jugend erblickte.

Für Sabine wurden diese Stunden ein Genuß. Es war ihr ein freudiger Fund, wenn sie im Gespräch über die Neuigkeit des Tages, über ein gelesenes Buch, über Erlebtes und Gefühltes wahrnahm, daß der Mann, der jahrelang so nahe an ihnen gelebt hatte, in so vielem mit ihr übereinstimmte. Seine Bildung, sein Urteil überraschten sie, sie sah ein ehrliches Gemüt plötzlich in den glänzendsten Farben vor sich stehen, wie der Reisende staunend auf eine reiche Landschaft blickt, die ihm wogender Nebel lange verhüllt hat.

Friedlich fanden sich die Kollegen in die ungewöhnliche Stellung ihres Genossen. Daß er dem Prinzipal das Leben gerettet hatte, wußten sie aus dem eigenen Munde des Chefs, und dieser Zufall wurde selbst für Herrn Pix ein Grund, die Einladung Antons in das Vorderhaus ohne Bemerkung zu ertragen. Anton tat das Seine, dem Kontor seine Persönlichkeit wert zu erhalten. An freien Abenden lud er die einzelnen auf sein Zimmer, nicht selten kam die ganze Gesellschaft bei ihm zusammen. Jordan beklagte sich lächelnd, daß er schon bei Lebzeiten vergessen sei, und das Kontor gewöhnte sich, in Anton seinen Nachfolger, den stillen Ratgeber der Jüngeren zu sehen. Am liebsten war Anton mit Baumann zusammen, der in dem letzten halben Jahre wieder eine starke Anwandlung von Missionsgelüsten gehabt hatte und jetzt nur durch die Überzeugung zurückgehalten wurde, daß in der schwierigen Gegenwart ein geübter Kalkulator dem Geschäft nicht fehlen dürfe. Am eifrigsten aber bemühte sich um Antons Gunst der phantasiereiche Specht. Ihm hatte der Reisende einen romantischen Heiligenschein bekommen. Was Anton etwa erfahren hatte, das malte die Einbildungskraft des Herrn Specht mit den grellsten Farben aus. Er war geneigt anzunehmen, daß der Heimgekehrte außer den Abenteuern, welche er eingestand, noch unendlich reizende und furchtbare erlebt hatte, die zu verbergen er durch geheimnisvolle Verhältnisse gezwungen war.

Leider war Spechts eigene Stellung zu den anderen Herren während Antons Abwesenheit mächtig erschüttert worden. Er war immer der Gegenstand gewesen, an welchem sich die gute Laune der andern aufzurichten liebte, wie die Schlingpflanze an einem dünnen Bäumchen, und oft war er von den Blüten fremden Witzes fast erstickt worden. Jetzt sah Anton mit Bedauern, daß der gute Herr Specht in dem Zustand allgemeiner Mißachtung lebte. Sogar sein Quartett hatte ihn aufgegeben, wenigstens schwebte zwischen ihm und den beiden Bässen eine finstere Wolke des Mißmuts. Sooft Herr Specht eine Behauptung aufstellte, welche nicht ganz unbestreitbar war, zuckte Pix die Achseln und warf ihm mit Verachtung das ungehörige Wort ›Kürbis‹ entgegen. Fast alles, was Specht sagte, war ›Kürbis‹; sogar bei Tische kugelte dieser Pflanzenkörper in den unteren Regionen von einem Mund zum andern, und sooft das Wort ausgesprochen wurde, geriet Herr Specht in leidenschaftlichen Zorn, brach tief gekränkt das Gespräch ab und zog sich aus der Gesellschaft der andern in sich selbst zurück.

Anton besuchte an einem Abend den Verfemten auf seinem Zimmer. Schon vor der Tür hörte er die scharfe Stimme des Insassen, welcher das berühmte Lied: ›Hier sitz’ ich auf Rasen mit Veilchen bekränzt‹ von dem erhabenen Ort seiner Behausung – Herr Specht wohnte drei Treppen hoch – in das Haus hinunter sang. Als Anton leise die Türe öffnete, saß Specht in kunstvoller Haltung, graziös auf einen Arm gestützt, bei seiner Lampe am Tisch und sang mit so innigem Behagen, daß Anton einige Augenblicke stehenblieb, den Begeisterten nicht zu stören. Es war kein großes Zimmer, welches Specht bewohnte, und die Erfindungskraft des Herrn hatte jahrelang gearbeitet, ihm womöglich einen Charakter zu geben, der von dem Wesen gewöhnlicher Stuben verschieden war. Es sah in der Tat keiner andern irdischen Behausung ähnlich. Alle Wände waren mit Bildern überzogen, mit Porträts berühmter Künstlerinnen, viele im Kostüm ihrer Rolle, dazwischen standen zahlreiche Konsolen, auf denen kleine Vasen, Muscheln und Tonfiguren und andere Merkwürdigkeiten standen. Da der Konsolen mehr waren, als der daraufzustellenden Gegenstände, so hatte Specht die leeren einstweilen mit Tassen und Champagnerflaschen besetzt. Über dem Bett hing ein mächtiger Ritterschild von glänzendem Messingblech, daneben große Fechthandschuhe und ein Köcher mit Pfeilen. Über den Pfeilen war ein Zettel an die Wand geschlagen mit einem gemalten Totenkopf und zwei gekreuzten Knochen und dem warnenden Wort: ›Vergiftet‹, dahinter drei Ausrufungszeichen.

Am auffälligsten aber war die Mitte des Zimmers eingerichtet. Dort schwebte etwas über Manneshöhe ein ungeheurer Reifen, durch Bindfaden an einem Haken der Decke festgehalten. Darunter standen große Tongefäße, mit Erde gefüllt, und von den Gefäßen liefen zahlreiche gespannte Schnüre bis zu dem Reifen. Unter dem Reifen stand ein Gartentisch aus knorrigen Baumästen und einige Stühle aus Weidenruten. Durch diese Vorrichtung erhielt das Zimmer ein durchaus unerhörtes Aussehen, und die freie Bewegung der darin befindlichen Gliedmaßen wurde für jeden andern als den erfahrenen Bewohner sehr schwierig. Es war nicht abzusehen, welchen Zweck diese geheimnisvolle Vorrichtung hatte. Allerdings erinnerten der wilde Tisch, die Stühle und Erdtöpfe den menschlichen Geist gewissermaßen an Garten und freie Natur, während wieder die ausgespannten Schnüre eine entfernte Ähnlichkeit mit Strickleitern hatten, welche zum Mastkorb eines Schiffes hinaufführen. Zuletzt neigte sich Anton zu der Ansicht, daß diese Erfindung eine Menschenfalle vorstelle, welche nach dem Muster eines Spinngewebes gebaut und darauf berechnet war, Köpfe und Beine boshafter Kollegen festzuhalten. Wenigstens saß Specht selbst als Dirigent in der Mitte des Netzwerkes, und sein Sirenengesang konnte wohl darauf berechnet sein, die Eintretenden durch vorgespiegelten grünen Rasen und falsche Veilchensträuße ins Garn zu locken.

Anton blieb außerhalb der Falle stehen und rief endlich Specht von der Tür an: »Was, zum Henker, haben Sie in Ihrem Salon für ein Bindfadensystem ausgebreitet?«

Specht sprang auf und versetzte mit glänzenden Augen: »Es ist eine Laube.«

»Eine Laube? Ich sehe ja nichts Grünes.«

»Es kommt«, sagte Specht und führte den Besuch zu seinen Gefäßen.

Bei näherer Betrachtung entdeckte Anton in den Töpfen einige schwache Efeuranken, welche bestäubt und verkommen wie die Überreste dämmeriger Traumbilder aussahen, welche dem erwachenden Menschen noch einige Augenblicke an den Fäden seiner Seele hängen, um gleich darauf für immer zu vergehen.

»Aber Specht, dieser Efeu wird’s nicht tun«, sagte Anton.

»Er ist auch nicht allein da«, belehrte Specht geheimnisvoll; »sehen Sie, hier kommt noch anderes.« Er wies auf mehrere magere, spargelähnliche Gebilde, welche sich aus den Töpfen erhoben und mit nichts anderem zu vergleichen waren als mit den unglücklichen Versuchen, zu keimen, welche die Kartoffeln zur Zeit des Frühjahrs in einem warmen Keller anstellen.

»Und was sollen diese Keime bedeuten?«

»Es sind Bohnen und Kürbisse«, sagte Herr Specht. »Das Ganze wird eine Kürbislaube; in einigen Wochen werden die Fäden von den Ranken belaufen sein. Denken Sie, Wohlfart, wie famos das aussehen wird! Von allen Seiten die grünen Ranken, die Blüten und die großen Blätter. Das Ganze wird ein Zelt sein mit zwei Eingängen. Die meisten Kürbisse werde ich abschneiden, damit mir die Last nicht zu schwer wird, einzelne lass’ ich hängen, es werden Netze darunter gemacht. Bitte, stellen Sie sich das ganze dicke Grün vor, dazwischen die gelben Blüten, es wird reizend aussehen! Das wird ein Sitz, mit guten Freunden eine Flasche Wein zu trinken oder vierstimmig zu singen.«

Ach, die guten Freunde hatten Herrn Specht verlassen, er ließ sich aber alle Sonntage vom Bedienten eine halbe Flasche Wein holen, setzte vier Gläser auf den Tisch und trank eines nach dem andern aus.

»Aber Specht«, fragte Anton lachend, »können Sie denn im Ernst glauben, daß die Kürbisse in Ihrer Dachstube wachsen werden?«

»Warum sollen sie nicht wachsen?« rief Herr Specht gekränkt. »Sie sind gerade wie die andern. Die Pflanzen haben ja Sonne, ich sorge für frische Luft, ich gieße mit Rinderblut, sie haben alles, was sie brauchen.«

»Aber sie sehen verzweifelt kränklich aus.«

»Das ist nur der Anfang, die Luft ist draußen noch kalt, und wir haben einige Wochen gehabt, wo der Sonnenschein fehlte. Später schießen sie auf einmal in die Höhe. Wenn einer nichts von einem Garten hat, muß er sich zu helfen wissen.« Er sah sich vergnügt in der Stube um. »Sehen Sie, im Dekorieren meines Zimmers will ich’s mit jedem Mann aufnehmen. Natürlich nach meinen Mitteln. Aus Ölbildern mache ich mir nicht viel, sie werden in der Regel schwarz; meine Bilder hier werden höchstens ein wenig heller. Es hat mich Geld gekostet, dafür ist es hier hübsch geworden. Mein Zimmer ist nicht groß, aber es ist wohnlich.«

»Ja«, entgegnete Anton, »außer für gewisse Unarten unruhiger Menschen, als Geradestehen und Umhergehen. Darauf muß man hier verzichten. Sie können nur solchen Besuch gebrauchen, der sich gleich an der Tür auf den Fußboden setzt.«

»Ruhig sitzen ist ja eine Hauptregel der Unterhaltung«, versetzte Specht. »Leider sind die Menschen oft schlecht und ohne Herz. – Finden Sie nicht auch, Wohlfart, daß in unsrem Kontor einige Kollegen gemütlos sind?« sagte er leise.

»Manchmal etwas kurz«, erwiderte Anton, »aber die Meinung ist gut.«

»Ich finde das nicht«, seufzte Specht. »Ich bin jetzt ganz allein und muß meinen Trost außer dem Hause suchen. Wenn ich kann, gehe ich ins Theater oder zu den Reitern, und wenn ein Zwerg kommt oder ein Seehund, und natürlich in die Konzerte.«

»Aber das hilft doch nicht immer gegen die Einsamkeit.«

»Nein«, bekannte Specht, »denn es kostet Geld, und Sie wissen, ich habe kein hohes Gehalt, und ich fürchte, ich werde auch nicht viel mehr kriegen als jetzt. Von Haus aus hatte ich Vermögen«, sagte er wichtig, »aber ein Vetter von mir, der mein Vormund war, hat mich darum gebracht. Hätte ich’s noch, könnte ich vielleicht mit vieren fahren. Glauben Sie mir, ich wäre auch nicht glücklicher. Wenn nur der Pix nicht so grob wäre«, klagte er wieder. »Es ist schauderhaft, Wohlfart, das alle Tage anhören zu müssen. – Ich wollte ihn fordern, während Sie verreist waren«, rief er aus und wies auf ein altes Rapier, dessen Klinge hinter dem Bett hervorragte. »Aber er benahm sich schlecht. Ich schrieb ihm, daß es mir leid täte, ihn fordern zu müssen, und es wäre sehr gleichgültig, wo er sich mit mir duellieren wolle. Ich schlug ihm entweder den Berg auf der Promenade vor oder auch unsern Oberboden, wo Raum genug ist, und ersuchte ihn um eine Mitteilung über die Waffen, welche er für passend hielte. Da schrieb er mir unhöflich zurück, er würde sich nur im Hausflur duellieren, wo er sich alle Stunden des Tages aufhielte, und was die Waffen beträfe, so könnte ich fechten, womit ich wollte, seine Waffe wäre der große Pinsel, er sei bereit, mir auf jede Backe eine Signatur zu machen. Sie werden mir zugeben, daß ich darauf nicht eingehen konnte.«