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Buch lesen: «Die verlorene Handschrift», Seite 43

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»Den Herren Gelehrten aber macht es besondere Freude, diese Leiden früherer Herrscher ans Licht zu stellen?« frug der Fürst.

»Sie sind gewiß lehrreich für alle Zeiten,« fuhr der Professor sicher fort, »denn sie prägen durch furchtbare Beispiele die Wahrheit ein, daß der Mann, je höher er steht, um so stärkere Schranken nöthig hat, welche die Willkür seines Wesens bändigen. Ew. Hoheit freies Urtheil und reiche Erfahrung werden schärfer als Jemand aus meinem Lebenskreise beobachten, daß diese Krankheitserscheinungen sich stets da zeigen, wo der Regierende weniger zu scheuen und zu ehren hat als ein anderer Sterblicher. Was den Menschen in gewöhnlicher Lage gesund erhält, ist doch nur, daß ihm eine strenge und unablässige Controle seines Lebens in jedem Augenblick fühlbar wird, seine Freunde, das Gesetz, die Interessen Anderer umgeben ihn von allen Seiten, sie fordern gebieterisch, daß er Denken und Wollen der Ordnung füge, durch welche Andere ihr Gedeihen sichern. Zu jeder Zeit ist die Gewalt dieser Fesseln bei dem Regenten minder stark; was ihn einengt, vermag er leichter niederzuwerfen, eine ungnädige Handbewegung scheucht den Warnenden für immer von seiner Seite, vom Morgen bis zum Abend ist er mit Personen umgeben, welche ihm bequem sind, ihn mahnt kein Freund an seine Pflicht, ihn straft kein Gesetz. Hundert Beispiele lehren, daß frühere Herrscher selbst bei großen äußeren Erfolgen an innerer Verwüstung litten, wo nicht eine starke öffentliche Meinung und kräftige Theilnahme des Volkes am Staat sie unablässig zwang, sich selbst zu behüten. Es liegt nahe, an die riesengroße Kraft eines Feldherrn und Eroberers zu denken, den die Erfolge und Siege des eigenen Lebens ins Wüste und Maßlose getrieben haben, er war ein furchtbarer Phantast geworden, Lügner gegen sich selbst, Lügner gegen die Welt, bevor er gestürzt wurde, und lange bevor er starb. Doch dergleichen zu untersuchen, ist, wie gesagt, nicht mein Beruf.«

»Nein,« sagte der Fürst tonlos.

»Die entfernte Zeit,« begann der Obersthofmeister, »welche Sie im Auge haben, war aber nicht nur für die Regenten, auch für die Völker eine traurige Epoche. Wenn mir recht ist, war das Gefühl des Absterbens allgemein, auch bewunderte Schriftsteller taugten nicht viel, mir wenigstens sind solche Männer wie Apulejus und Lucian als eitle und kläglich gemeine Menschen erschienen.«

Der Professor sah überrascht auf den Hofmann.

»In meiner Jugend las man dergleichen häufiger,« fuhr dieser fort. »Ich verdenke den Besseren jener Zeit nicht, wenn sie sich mit Widerwillen von solchem Treiben abwandten und sich in das engste Privatleben oder in die thebanische Wüste zurückzogen. Deshalb, wenn Sie von einer Krankheit der römischen Imperatoren sprechen, möchte ich entgegnen, daß sie nur Folge einer ungeheuren Erkrankung der Völker ist, obgleich ich sehr wohl einsehe, daß sich während diesem Verderb der Einzelnen ein großer Fortschritt des Menschengeschlechts vollzogen hat, die Befreiung der Völker aus abschließendem Volksthum zu einer Cultureinheit, und der neue Idealismus, welcher durch das Christenthum auf die Erde kam.«

»Zuverlässig ist die Form des Staates und die Form der Bildung, welche die einzelnen Kaiser vorfanden, entscheidend für ihr Leben gewesen. Jedermann ist in diesem Sinne Kind seiner Zeit, und wenn es gilt, das Maß ihrer Schuld zu bestimmen, dann wird vorsichtiges Abwägen ziemen. Aber was ich die Ehre hatte, Sr. Hoheit als besondern Vorzug des Tacitus anzuführen, ist auch nur die Meisterschaft, mit welcher er die eigenthümlichen Symptome und den Verlauf des Cäsarenwahnsinns schildert.«

»Sie waren alle wahnsinnig,« unterbrach der Fürst mit heiserer Stimme.

»Verzeihung, gnädiger Herr,« entgegnete der Professor arglos. »Augustus wurde auf dem Throne ein besserer Mann, und nach der Zeit, in welcher Tacitus schrieb, haben noch manche gute und maßvolle Herrscher gelebt. Etwas von dem Fluch, welchen übel beschränkte Macht auf die Seelen ausübte, mag an der Mehrheit der römischen Kaiser erkennbar sein. In den besseren aber lag er wie eine Kränklichkeit, welche, nur selten bemerkbar, immer wieder durch Tüchtigkeit oder gute Natur gebändigt wurde. Eine Anzahl freilich verdarb durchaus, und in ihnen entwickelte sich die Krankheit nach einer bestimmten Stufenfolge, deren innere Gesetzlichkeit wir wohl begreifen.«

»Sie wissen also auch, wie den Leuten zu Muthe war?« fuhr der Fürst auf, den Professor scheu anblickend.

Der Obersthofmeister trat in eine Fensternische.

»Der Verlauf der Krankheit ist im Allgemeinen nicht schwer zu verfolgen,« versetzte der Professor, erfüllt von seinem Gegenstande. »Die Uebernahme der Regierung wirkt zunächst erhebend. Der höchste Erdenberuf steigert auch beschränkte Menschen wie den Claudius, verdorbene Buben wie den Caligula, Nero und Domitian während der ersten Wochen zu einem gewissen pathetischen Adel. Lebhaft ist das Bestreben, zu gefallen, beflissen die Arbeit, sich durch Gnade festzusetzen; die Scheu vor einflußreichen Persönlichkeiten oder vor dem Widerstreben der Masse zwingt zur Vorsicht. Die Herrschaft aber hat den Menschen zum Sklaven gemacht, und der Sklavensinn trägt eine Verehrung entgegen, welche den Kaiser äußerlich über andere Menschen hinausstellt, er ist von den Göttern besonders begnadigt, ja seine Seele ein Ausfluß der göttlichen Kraft. In dieser knechtischen Unterwürfigkeit Aller und der Sicherheit der Herrschaft wuchert bald der Egoismus. Die zufälligen Forderungen eines ungebändigten Willens werden rücksichtslos, die Seele verliert allmählich das Urtheil über Bös und Gut, der persönliche Wunsch erscheint dem Regierenden sofort als Bedürfniß des Staates, jede Laune des Augenblicks heischt Befriedigung. Das Mißtrauen gegen Unabhängige führt zu kopflosem Argwohn, wer sich nicht fügt, wird als Feind beseitigt, wer sich geschmeidig anzupassen versteht, ist sicher, eine Herrschaft über den Herrscher auszuüben. Die Familienbande reißen, die nächsten Verwandten werden als geheime Feinde umlauert, der gleißende Schein eines herzlichen Vertrauens wird bewahrt, plötzlich durchbricht eine Missethat den Schleier, mit welchem Heuchelei ein innerlich hohles Verhältniß umzogen hat.«

Der Fürst rückte mühsam seinen Sessel von dem Kaminfeuer in das Dunkel.

Der Professor fuhr eifrig fort: »Die Idee des römischen Staates verliert sich zuletzt ganz aus den Seelen, ja sie wird als feindselig gehaßt, nur persönliche Anhänglichkeit wird gefordert, treue Hingabe an den Staat erscheint als Verbrechen. Diese Hilflosigkeit und das Schwinden des Urtheils über die Tüchtigkeit, ja über die wirkliche Ergebenheit der Menschen bezeichnen einen Fortschritt der Krankheit, durch welchen bereits die Zurechnungsfähigkeit beeinträchtigt wird. In dieser Zeit werden die Bildungselemente immer beschränkter und einseitiger, das Wollen immer eitler und kleinlicher. Ein kindisches Wesen wird sichtbar, Freude an elendem Tand und eitlen Possen, daneben eine bubenhafte Tücke, welche zwecklos verdirbt, es wird Genuß, nicht nur zu quälen, auch die Qualen Anderer zu schauen, unwiderstehlich wird das Gelüst, Hervorragendes in das Gemeine herab zu ziehen, ja auch Gleichgültiges zu vernichten. Sehr merkwürdig ist, wie mit dieser Abnahme der Denkkraft eine unruhige und zerstörende Sinnlichkeit über Hand nimmt. Ihre dunkle Gewalt wird übermächtig. Während sonst die Würde des höhern Alters auch dem Schwachen Haltung gibt, verletzt hier das widerliche Bild bejahrter Wüstlinge wie Tiberius und Claudius. In einer schamlosen und raffinirten Hingabe an Lüste wird die letzte Lebenskraft zerstört.«

»Das ist sehr merkwürdig,« wiederholte tonlos der Fürst.

Der Professor schloß: »So vollendet sich der Verderb in vier Stufen, zuerst maßlose Selbstsucht, dann Argwohn und Heuchelei, dann knabenhafte Unvernunft, das Letzte thut widerwärtige Ausschweifung.«

Der Fürst erhob sich langsam von seinem Sessel, er strauchelte, der Obersthofmeister trat ängstlich näher, aber der Fürst preßte die Hand auf die Lehne und wandte sich dem Professor zu; ohne ihn anzusehen sagte er verabschiedend: »Ich danke den Herren für eine vergnügte Stunde.« Man hörte den Worten die Anstrengung an, welche sie ihm kosteten. Im Hinausgehen frug der Professor leise den Obersthofmeister: »Ich habe den Fürsten gewiß durch die gedehnte Erörterung gelangweilt?«

Der Obersthofmeister sah erstaunt in das freundliche Antlitz des Gelehrten: »Ich zweifle nicht, der Fürst wird Ihnen sehr bald beweisen, daß er aufmerksam zugehört hat.«

Als sie auf der Treppe waren, klang ein heiserer Mißton aus der Ferne, der alte Herr fuhr zusammen und lehnte sich an die Wand.

Der Professor lauschte, Alles war still. »Das war wie der Schrei eines wilden Thieres,« sagte er.

»Es klang von der Straße,« versetzte der Obersthofmeister.

7.
Der Hummeln Cäsarenwahnsinn

Herr Hahn fuhr an seinem Gartenzaun dahin. Seine Seele war mit Dankbarkeit gefüllt; da diese aber verhindert wurde, durch das gewöhnliche Ventil freundlicher Rede auszuströmen, drang sie ihm in diejenige Kammer seines Hauptes, in welcher er die Pläne für Verschönerung des Gartens aufbewahrte. Der hochherzige Gegner von drüben feierte nächstens seinen Geburtstag, das hatte Herr Hahn auf weitem Umwege entdeckt. An diesem Tage durfte ihm vielleicht ein heimliches Zeichen der Achtung vor Augen gestellt werden. Der größte Schatz im Garten des Herrn Hahn waren seine Topfrosen, Bäumchen und Sträuche von jeder Größe und Farbe, prachtvolle Rosen, welche fast das ganze Jahr blühten und von den Vorübergehenden sehr bewundert wurden. Er trug sie eigenhändig im Garten hin und her und benutzte sie zum Ausputz verschiedener Gruppen. Diese Rosen beschloß er in stiller Huldigung zu widmen. Längst hatte er in der Mitte des feindlichen Gartens ein wüstes Rondel bedauert, das den ganzen Sommer thatlos dalag, als Lagerplatz für den rothen Hund oder eine umherschweifende Katze. Wenn Herr Hummel an seinem Festtage in den Garten trat, sollte das runde Beet in eine blühende Rosengruppe verwandelt sein.

Dieser Gedanke verschaffte Herrn Hahn viele glückliche Stunden und erhob ihn ein wenig aus der Tiefe seines Kummers. Er trug also die Rosen in einen versteckten Winkel, stellte sie vor sich nach Größe und Farbe in Reihe und Glied und schrieb mit Kreide Nummern auf die Töpfe. Bei dem Hause des Parkwärters, welches jetzt als äußerster Vorposten der Stadt am Flusse stand, schwamm ein kleiner Kahn, diesen entlieh Herr Hahn in vertraulichster Weise für einige Nachtstunden. Vor dem ersten Morgengrau des feindlichen Geburtstages schlüpfte er aus seinem Hause, trug die Töpfe über den Parkweg in den Kahn und fuhr mit seiner Ladung bis zu der kleinen Treppe, welche aus dem Wasser in den Garten des Herrn Hummel führte. Er schlich mit seinen geliebten Rosen an das runde Beet, ordnete sie geräuschlos nach der Nummer, topfte jede einzelne aus und verwandelte die öde Stätte in ein prachtvolles Rosengebüsch. Als die Sperlinge in der Dachrinne ihre ersten Schimpfreden auf ihn hinabschrieen, hatte er die Erde des Beetes wieder mit kleinem Rechen geebnet. Noch einen vergnügten Blick warf er auf sein Werk, einen zweiten auf die dämmrige Hauswand, hinter welcher Herr Hummel der Ueberraschung des Morgens entgegenschlummerte, dann schlich er mit Grabeisen und leeren Scherben wieder in seinen Kahn, ruderte bis zum Hause des Parkwärters und barg sich und sein Gartengerät auf dem eigenen Grunde, bevor das erste Sonnenlicht seinen Schornstein rosig anmalte.

Herr Hummel trat zur gewöhnlichen Stunde in die Wohnstube, empfing in guter Laune den Glückwunsch seiner Frauen, blickte gnädig auf den Festkuchen, welchen Frau Philippine neben seinen Kaffe gestellt, und auf die Reisetasche, welche ihm Laura gestickt, nahm seine Zeitung zur Hand und weihte sich durch Theilnahme an den politischen Angelegenheiten der Menschen für die Geschäfte seines eigenen Lebens. Alles ließ sich gut an, er nahm in der Fabrik und im Comtoir die Gratulationen auf wie ein Lamm, er streichelte den knurrenden Hund und schrieb Geschäftsbriefe voll Hochachtung an seine Kunden.

Als er gegen Mittag zu seinen Frauen zurückkehrte, trat auch der Doctor von drüben in das Zimmer und brachte seinen Glückwunsch dar. Auf der sonnigen Stirn des Hausherrn lagerte sich eine dunkle Wolke und es wetterleuchtete unter seinen ambrosischen Brauen. »Sieh da, auch Saul unter den Propheten! Wollen Sie einen verlorenen Esel nach dem Hause ihres Vaters holen? Damit können wir nicht aufwarten. Oder wollen Sie einen Vortrag halten über die Sprache der Orangutangs im Kokoslande?«

»Meine Vorträge sind Ihnen noch nicht lästig geworden,« erwiederte der Doctor. »Ich komme nicht dazu, weil Ihre gastliche Zuvorkommenheit selbst die Mühe übernimmt, die Anwesenden durch Ergüsse Ihrer guten Laune zu unterhalten. Ich habe Ihnen bereits meinen Wunsch ausgedrückt, niemals Zielpunkt derselben zu sein.«

»So vertheidigen Sie sich doch, wenn Sie können,« rief Herr Hummel.

»Nur die Rücksicht auf das Behagen der Anwesenden hindert mich,« versicherte der Doctor, »Ihnen in Ihren vier Wänden die Antwort zu geben, welche Sie zu wünschen scheinen.«

»Es würde mir leid thun, wenn Sie durch meine vier Wände in Nachtheil gesetzt würden,« bedauerte Hummel. »Ich mache Ihnen den Vorschlag, stellen Sie sich mit mir auf gleichen Fuß, bleiben Sie drüben und stecken Sie den Kopf zum Fenster hinaus, ich werde dasselbe thun, wir können dann über die Straße einander ansingen wie zwei Kanarienvögel.«

»Jetzt aber bin ich hier,« sagte der Doctor mit einer Verbeugung, »und erhebe den Anspruch, dies Stück Geburtstagskuchen in Frieden und unter freundlichen Gesichtern zu verzehren.«

»Dann ersuche ich Sie, ohne übergroßen Schmerz auf mein Gesicht zu verzichten,« brummte Hummel. Er öffnete die Thür nach dem Garten und schritt unzufrieden die Stufen hinab. Schon von Weitem sah er die junge Rosengruppe im Tageslicht unschuldig lächeln. Er umkreiste die Stätte, schüttelte den Kopf und lud seine Frauen in den Garten. »Wer von euch hat diesen Einfall gehabt?« frug er. Die Frauen bezeugten so lebhaft ihre Ueberraschung, daß er von ihrer Unschuld überzeugt wurde; er rief den alten Schließer, den Buchhalter, Alle bewiesen völlige Unwissenheit. Die Miene des Herrn Hummel wurde finster. »Was heißt das? Hier ist eingeschlichen worden, während wir schliefen, nächtlicher Gartenbau ist nicht nach meinem Geschmack; wer darf sich unterstehen, mein Grundstück ohne Erlaubniß zu betreten? Wer hat diese Naturproducte eingeführt?«

Er ging unruhig die Wasserseite entlang, neben ihm schlich Speihahn. Der Hund kroch die Wassertreppe hinab, roch an einem braunen Holz, welches auf der letzten Stufe lag, stieg wieder zur Höhe, wandte sich gegen das Haus des Herrn Hahn und machte knurrend einen höhnischen Katzenbuckel. Es war so deutlich, als hätte er die freundlichen Worte gesprochen: »Wünsche wohl zu speisen.«

»Richtig,« rief Hummel, »der Einbrecher hat den Griff des Steuerruders zurückgelassen. Der braune Griff gehört zu dem Kahn des Parkwärters. Tragen Sie ihn hinüber, Klaus, ich fordere Antwort, wer gewagt hat, diesen Kahn hier anzulegen.« Der Schließer eilte mit dem Holze fort und brachte verlegen die Antwort, Herr Hahn habe sich in der Nacht den Kahn ausgebeten.

»Wenn es Ahnungen gibt,« zürnte Hummel, »so war dies eine. Nächtliche Schleicherei Ihres Vaters verbitte ich mir unter allen Umständen,« fuhr er den Doctor an.

»Ich weiß nichts davon,« entgegnete der Doctor. »Hat dies mein Vater gethan, so ersuche ich Sie, auch wenn Ihnen an den Rosen nichts liegt, sich doch die gute Meinung gefallen zu lassen.«

»Ich protestire gegen jede Rose, welche auf meinen Weg gestreut werden soll,« grollte Hummel. »Zuerst hatten wir giftige Klößchen aus übler Meinung und jetzt Rosenblätter aus guter. Ihr Vater sollte an etwas Anderes denken, als an solche Possen. Noch ist der Grund und Boden mein, und dies Scharren der Hähne gedenke ich zu verhindern.« Er fuhr wild unter die Rosen, packte Stämmchen und Aeste, riß sie aus dem Boden und warf sie in einen wüsten Haufen.

Der Doctor wandte sich finster ab, Laura aber eilte zu dem Vater und sah ihm zornig in das harte Gesicht. »Was du herausreißest,« sprach sie nachdrücklich, »ich setze es mit meinen Händen wieder ein, daß du’s nur weißt.« Sie lief in eine Ecke des Gartens, trug Töpfe herzu, kniete am Boden und preßte die Stöcke mit ihren kleinen Erdballen wieder in die Gefäße, ebenso heftig, als der Vater ausrodete. »Ich will sie pflegen,« rief sie dem Doctor zu, »sagen Sie Ihrem lieben Vater, daß nicht Alle in unserm Hause seine Freundlichkeit mißachten.«

»Thu’, was du nicht lassen kannst,« versetzte Herr Hummel ruhiger. »Klaus, was stehen Sie da und glotzen auf Ihren Hinterbeinen wie eine Schildkröte? Helfen Sie Fräulein Hummel bei ihrer freundlichen Erdarbeit. Dann tragen Sie die ganze Einbescherung wieder hinüber zu dem jugendlichen Blumenzüchter. Eine Empfehlung, und er hätte im Dunkeln die Gärten verwechselt. Die Rosen möchte er selber begießen, bis wir jungen Mädchen miteinander zum Tanze gingen. Dann würde ich ihn um das Grünzeug zu einem Kranze bitten.« Er drehte der Gesellschaft den Rücken und ging mit starken Schritten nach seinem Comtoir. Laura kauerte am Boden und arbeitete an den gemißhandelten Rosen mit geröthetem Antlitz und düsterer Entschlossenheit. Der Doctor half schweigend. Er hatte seinen Vater wohl hinter dem Zaune gesehen und wußte, wie tief der Arme den neuen Trotz des Gegners empfinden werde. Laura hörte nicht auf, bis alle Blumen so gut als möglich in den Töpfen geborgen waren, dann tauchte sie die Hände in das vorbeifließende Wasser, und ihre Thränen mischten sich mit der Fluth. Sie zog den Doctor nach dem Zimmer. Dort rang sie außer sich die Hände. »Das Leben ist schrecklich, wir gehen beide unter in dem kleinlichen Hader. Es gibt nur eine Rettung für Sie und für mich, sind Sie ein Mann, so finden Sie, was uns löst von diesem Jammer.« Sie stürzte aus dem Zimmer, die Mutter winkte heftig dem Doctor zurück zu bleiben, als dieser folgen wollte.

»Sie ist außer sich,« rief Fritz, »was meinen ihre Worte? was fordert sie von mir?«

Die Mutter setzte sich verlegen auf ihren Sorgenstuhl, räusperte sich und zupfte an ihren Aermeln. »Ich muß Ihnen etwas vertrauen, Herr Doctor,« begann sie zögernd, »was für uns beide sehr schmerzlich ist, und doch weiß ich mir keine Hilfe, und alle Vorstellungen, die ich meinem unglücklichen Kinde mache, sind vergebens. Um Ihnen nichts zu verschweigen, es ist eine große Verirrung, und ich hätte nie erwartet, daß so etwas möglich wäre.« Sie hielt an und suchte Kraft in ihrem Taschentuche. Fritz sah ängstlich auf die verstörte Frau Hummel, ein Geheimniß Laura’s, das er seit Wochen geahnt, sollte jetzt vernichtend auf seine Hoffnungen fallen.

»Ich will Ihnen ja Alles gestehen, lieber Herr Doctor,« fuhr die Mutter mit vielem Seufzen fort, »Laura schätzt Sie unendlich und der Gedanke, Ihre Frau zu werden, ist ihr, ich darf es im Vertrauen sagen, nicht fremdartig und auch nicht gerade unangenehm. Aber sie hat sich etwas in den Kopf gesetzt, was fürchterlich ist und was ich mich schäme über meine Lippen zu bringen.«

»Sprechen Sie es aus,« rief der Doctor in Verzweiflung.

»Laura will von Ihnen entführt werden.«

Fritz saß starr.

»Es ist unmenschlich, daß ich als Mutter diesen Wunsch gegen Sie aussprechen muß, aber ich weiß mir keinen Rath mehr.«

»Aber wozu?« frug der Doctor, immer noch betäubt.

»Das gerade ist das Schmerzlichste von Allem, und das soll sie Ihnen selbst bekennen. Wie sie auf den Gedanken gekommen ist, durch Dichtungen oder durch Zeitungsberichte aus der großen Welt, ich weiß es nicht. Aber in ihrer Stimmung, welche immer aufgeregt und tragisch ist, kann ich ihr keinen Widerstand leisten. Ich fürchte mich, meinem Mann darüber eine Mittheilung zu machen, ich beschwöre Sie, thun Sie das Ihrige, mein Kind zu beruhigen. Sie ist von Gefühlen zerrissen und ich vermag den innern Kampf dieser jungfräulichen Brust nicht mehr widerstrebend anzusehen.«

»Ich bitte um Erlaubniß,« versetzte der Doctor, »darüber sogleich mit Laura zu sprechen.« Ohne die Antwort der Mutter abzuwarten, eilte er die Treppe zu Laura’s Zimmer hinauf. Er pochte. Als ihm keine Antwort wurde, riß er die Thür auf. Laura saß an ihrem Schreibtisch und schluchzte recht herzlich.

»Liebe, süße Laura,« rief der Doctor an ihrer Seite, »ich habe mit Ihrer Mutter gesprochen, lassen Sie mich Alles wissen.«

Laura fuhr auf. »Jede warme Empfindung wird mit Hohn beworfen, jede Stunde, in der ich Sie sehe, wird mir durch die Feindseligkeit des Vaters verbittert. Dem ärmsten Mädchen geht das Herz auf, wenn sie die Stimme des geliebten Mannes hört, ich aber muß fragen, ist das die Seligkeit der Liebe? Wenn ich Sie nicht sehe, bangt mir nach Ihnen, und wenn Sie zu uns kommen, fühle ich mich gequält und lausche ängstlich auf jedes Wort des Vaters. Sie selbst sehe ich freudenlos und niedergeschlagen. Fritz, Ihre Liebe zu mir macht Sie unglücklich!«

»Geduld, Laura,« sagte der Doctor, »halten wir aus. Mein Vertrauen zu dem Herzen des Vaters ist besser als das Ihre. Allmählich wird er sich mit meinem Anblick versöhnen.«

»Nachdem uns beiden der Muth gebrochen ist, eine große Neigung durch zahllose kleine Widerwärtigkeiten zerdrückt ist. Ich kann Ihre Frau nicht werden, Fritz, auf diesem Wege, zwischen den Händeln unserer feindlichen Häuser, mich verdirbt die enge Straße und der alte Haß. Oft habe ich hier gesessen und mich abgehärmt, daß ich kein Mann bin, der herauskann, sich selbst sein Glück zu suchen. Hören Sie ein Geheimniß, Fritz,« rief sie vor ihn tretend, und rang wieder die Hände, »ich werde hier hochmüthig, boshaft und schlecht.«

»Davon habe ich noch wenig gemerkt,« erwiederte Fritz erstaunt.

»Ich verberge es Ihnen,« rief Laura, »aber ich kämpfe täglich mit unreinen Gedanken; ich bin gleichgültig gegen die Liebe der Eltern: wenn der Vater mich auf den Kopf drückt, so schreit der Teufel in mir, er könnt’ es auch lassen; wenn die Mutter mich in ihrer Weise zur Geduld ermahnt, so ist mir ihre Rede in der Stille ärgerlich, weil sie vielleicht schönere Worte gebraucht als nöthig wäre. Den Hund hasse ich so, daß ich ihn manchmal ohne Veranlassung knuffe. Das Gespräch am Sonntagstisch, die Geschichten des alten Schauspielers, der ewige kleine Klatsch der Straße erscheinen mir unerträglich. Ich fühle, daß ich ein garstiges Kind bin und ich habe manchmal auf dieser Stelle über mich geweint und mich selbst gehaßt. Aber die schlechten Anwandlungen kehren wieder und werden mächtiger. Das wird hier nicht besser, wo wir beide im Banne leben als zwei verwöhnte Kinder. Wir versinken, Fritz, in dieser Umgebung! Auch die liebende Sorge der Eltern hört auf zu beglücken. Was die Frau Base über Den und über Die klagt, und daß man sich nicht nasse Füße macht, wollene Strümpfe, und des Sonntags Kuchen mit Zuckerguß: – das alle Jahre, das ganze Leben hindurch!« Sie riß ihr Memoirenbuch auf und hielt ihm ein Bündel Gedichte und Briefe entgegen. »Hier sind Ihre Briefe, durch diese habe ich Sie liebgewonnen, denn hier sind Sie, wie ich Sie verehre. So will ich Sie immer haben. Wenn ich Sie dann wiederfinde zwischen Ihrem und unserm Hause, wie Sie die Schelte des Vaters ertragen müssen, wie Sie sich ängstlich mühen, es allen Theilen recht zu machen, und wenn ich merke, daß Sie bei jedem rauhen Lüftchen doppelte Shawls tragen, so wird mir heiß und bange auch um Sie, und ich sehe Sie als einen recht verwöhnten Stubengelehrten vor mir und mich als eine kleine dicke Frau mit einer großen Haube und einem nichtssagenden Gesicht, welche bei der Kaffetasse sitzt und sich über die täglichen Spaziergänger aufhält, und dieser Gedanke schnürt mir das Herz zusammen.«

Fritz erkannte seine Briefe. Längst war ihm zweifellos, daß Laura die stille Vertraute gewesen, aber als er jetzt auf die Geliebte blickte, welche den geheimnißvollen Briefwechsel in die Höhe hielt, da dachte er nicht mehr der Laune, welche ihm soeben wehe gethan hatte, er fühlte nur ihre Treue und die Poesie des zarten Verhältnisses. »Liebe, liebe Laura,« rief er, sie umschlingend, »unruhig pochendes Herz. Wo ist der fröhliche Uebermuth hin, der dir damals die Hand führte, als du dem armen Sammler das Seil um den Nacken legtest? Mir sind zwei Seelen, mit denen ich innig verkehrte, zu einer geworden, du aber zerlegst mich und dich selbst jetzt klagend in Alltagsmenschen und in höher berechtigte Naturen. Was hat dir dein fröhliches Vertrauen genommen?«

»Unsere Noth, Fritz, und der Schmerz, ohne Freude Sie zu sehen, ohne Erhebung Ihre Stimme zu hören. Sie sind bei mir und Sie sind mir oft ferner als in jenen Tagen, wo ich Sie gar nicht sah oder nur in Gesellschaft der Freunde.« Sie löste sich aus seiner Umarmung. »Liebst du mich und bist du der Mann, der dies geschrieben, so wage, mich aus dieser Enge hinauszuziehen. Fange mit mir ein neues Leben an, ich will mit dir arbeiten und entbehren, du sollst sehen, daß ich Kraft habe, ich will Tag und Nacht darauf denken, wie ich den Tagesbedarf verdiene, damit du ungestört durch die kleine Noth in deiner Wissenschaft weilen kannst. Sei frisch und keck, wirf die ewigen Bedenken von dir, wage einmal zu thun, was Andere mit Achselzucken betrachten.«

»Wenn ich es thäte,« antwortete Fritz ernst, »für mich ist das Wagniß gering. Für dich steht auf dem Spiel, woran du jetzt nicht denkst. Wie magst du wähnen, daß ein gewagter Entschluß dir heilsam sei, wenn er einen neuen Mißklang in deine Seele wirft und dich für dein ganzes Leben mit einer Schuld gegen Andere belastet?«

»Wenn ich ein Unrecht auf mich nehme,« rief Laura finster, »ich thue es nicht nur für mich. Ich fühle, daß es ein Unrecht ist, ach sehr. Aber ich wage es für unsere Liebe. Niemals wird mein Vater mit gutem Willen Ihre Hand in meine legen. Er weiß, wie ich an Ihnen hänge, und ist nicht so hart, mein Unglück zu wollen, aber er vermag seine Abneigung nicht zu bekämpfen. Heut hat er sich zu der Ansicht gezwungen, daß Sie der Mann sind, dem ich angehöre, morgen kommt ihm wieder die gallige Empfindung, wie sehr ihm das verhaßt ist. Wagen Sie ihm zu trotzen, und Sie werden ihm selbst einen Gefallen thun, beweisen Sie festen Willen, er wird zürnen, aber er wird sich dem Muthigen leichter versöhnen. Er liebt mich,« sagte sie leise, »aber er ist fürchterlich hart gegen Andere.«

»Ist er das immer?« frug der Doctor. »Nun, so kennt die Tochter doch nicht den ganzen Werth ihres Vaters. Ich würde in dieser Stunde ein Unrecht gegen ihn und dich begehen, wenn ich dir verschwiege, was nach seinem Willen für dich Geheimniß bleiben soll. Höre denn: als mein armer Vater in Verzweiflung neben mir saß, da trat dein Vater in unser Haus und gab uns in einer großartigen Weise die Mittel, um den drohenden Sturz abzuhalten. Weißt du nicht, daß sein Schmollen und Zanken oft Ausdruck eines rauhen Humors ist?«

Laura’s Augen hingen an seinem Mund, als wollte sie die Worte von seinen Lippen stehlen. »Das hat der Vater gethan?« rief sie außer sich, hob die Arme zum Himmel und warf sich zu ihrem Memoirentisch nieder. Fritz wollte sie aufheben. »Laß mich,« bat sie leidenschaftlich, »es wird vorübergehn, ich bin glücklich, laß mich jetzt allein, Geliebter.«

Der Doctor schloß leise die Thür und ging hinab zur Mutter, welche immer noch in Kummer versunken auf dem Sopha saß und alle aufregenden Scenen der Entführung in mütterlicher Angst durchkostete. »Ich bitte Sie, Laura jetzt nicht durch Vorstellungen zu ängstigen,« sagte er, »sie selbst wird die Ruhe wiederfinden, vertrauen wir ihrem wackeren Herzen.« Mit diesen klugen Worten suchte der Doctor sich selbst zu trösten.

Unterdeß lag Laura auf den Sessel gestützt und bat dem Vater in Gedanken immer wieder ab, wo sie ihm Unrecht gethan. Seit Jahren trug sie den Schmerz mit sich herum, der für das Herz eines Kindes am bittersten ist, heut war der Druck von der Seele genommen. Endlich sprang sie auf, zog ihr Tagebuch hervor, riß ein Blatt und wieder eins heraus, ballte die Blätter zusammen und errichtete in dem Ofen ein kleines Opferfeuer, sie sah zu, bis die letzten Funken am schwarzen Zunder hin und herliefen, dann schloß sie die Ofenthür und eilte aus dem Zimmer.

Herr Hummel saß in seinem Waarenlager vor einem Bataillon neuer Hüte mit breiter Krempe und runder Kappe, welche zur Musterung vor sein Feldherrnauge gestellt waren, und er sprach strafend zu seinem Buchhalter: »Es ist das reine Barbierbecken. Der Mensch verliert seine Hoheit. Allerdings, bei diesen Deckeln wird verdient, Niemand merkt die Katzenhaare, die darin sind; aber sie rauben dem Kopf des deutschen Bürgers den letzten Rest von freier Luft, den er bis jetzt in seinem Cylinder heimlich mit sich herumtrug. In meiner Jugend erkannte man einen Bürger an drei Stücken: auf dem Leibe trug er einen Rock von blauem Tuch, auf dem Kopfe einen schwarzen Hut und in der Tasche einen großen Hausschlüssel, mit dessen Bart er bei nächtlichem Ueberfall die Nasen der Meuchelmörder abdrehte. Jetzt schießt er in grauer Joppe auf sein Bockbier los, die Hausthüren öffnet man mit kleinen Korkziehern und die letzten Cylinder werden nächstens für die Kunstsammlungen als Rarität aufgekauft. Sie können nur gleich eine Partie von unserm Fabrikat für die Alterthumsforscher zurückstellen.«

Dies behagliche Gebrumm wurde durch Laura unterbrochen, welche heftig eintrat, den Vater mit flehendem Blick bei der Hand faßte und aus dem Waarenlager in sein kleines Comtoir zog. Herr Hummel unterwarf sich dieser Führung geduldig wie Lot, den der Engel aus den brennbaren Stoffen des Thales entführte. Als Laura mit dem Vater allein war, fiel sie ihm um den Hals, küßte und streichelte ihm die Wange und brachte lange nichts heraus, als: »mein guter edler Vater.« Herr Hummel ließ sich diese stürmischen Liebkosungen eine Weile gefallen. »Höre auf mit dem Edelmuth. Was willst du? Diese Einleitung ist zu großartig für einen neuen Sonnenschirm oder ein Concertbillet.«

»Vater,« rief Laura, »ich weiß Alles, was du an unsern Nachbarn gethan hast, ich bitte dich um Verzeihung, ich Unglückliche habe dein Herz verkannt und in vielen Stunden gegen deine Härte gegrollt.« Sie küßte ihm unter Thränen die Hände.