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Buch lesen: «Die verlorene Handschrift», Seite 34

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»Alte Bücher,« rief auch der Professor. »Es können auch Jagdjournale und Rechnungen gemeint sein, aber unmöglich ist nicht, daß die Truhen wenigstens Einzelnes von dem alten Klostergut enthielten. Ilse, wo liegt das Schloß deines Landesherrn, welches Solitude heißt?« Ilse wußte nichts von einem solchen Schlosse.

»Es trifft sich gut, daß der Fürst selbst uns eine Veranlassung gibt, darüber Näheres zu erkunden.«

»Ach ihr armen Männer,« klagte Ilse in der Thür, »jetzt seid ihr viel schlechter dran als früher; solange der Schatz noch in unserm Hause lag, hielt wenigstens der Vater gute Wache, jetzt ist er in einem Kasten in die weite Welt gefahren, und sogar von dem Hause, in welches er getragen sein könnte, weiß man nichts mehr zu erzählen.«

Die Freunde lachten wieder. »Das Haus des Vaters bleibt deshalb noch verdächtig,« tröstete der Gatte.

Der Professor sandte Koffer und Inhalt an das fürstliche Kabinet zurück, sprach in einem Briefe an den Fürsten seinen warmen Dank aus und erwähnte, daß eine unsichere Spur ihm den Wunsch nahelege, die Erlaubniß zu persönlichen Nachforschungen zu erhalten.

Dieser Brief hatte für beide Theile die ersehnte Folge. Der Fürst erhielt die Genugthuung, welche für irdische Hoheit werthvoll ist, daß er eine Gunst zu gewähren schien, während er selbst eine suchte.

Der Professor aber war freudig überrascht, als umgehend ein Kabinetschreiben des Fürsten eintraf, in welchem dem Professor jede Förderung bei seinen Untersuchungen verheißen und daran ein Vorschlag geknüpft wurde. Der Fürst wünsche die Prüfung seines Antikenkabinets durch eine wissenschaftliche Größe, und der Fürst würde Niemandem lieber diese Thätigkeit anvertrauen als dem Professor. Er wisse wohl, wie werthvoll für Andere die Thätigkeit des Gelehrten sei, er hoffe aber, die Sammlung würde auch ihm wichtig genug erscheinen, um einige Wochen darauf zu wenden.

Zugleich schrieb der Kammerherr im Auftrage seines gnädigsten Herrn. Der Fürst werde sich freuen, den Professor für die Zeit seines Besuches in der Residenz gastlich aufzunehmen. Ein Gartenpavillon, der im ersten Frühjahr wohl bewohnbar sei, werde ihm zur Verfügung gestellt. Das Quartier sei geräumig genug, um außerdem noch seine Familie aufzunehmen, und es sei ihm befohlen, hervorzuheben, daß der Professor mit Gemahlin und Dienerschaft darin vollkommen Raum finde, da der Fürst nicht wünsche, daß der Gelehrte seine bequeme Häuslichkeit unterdeß ganz entbehre. Die ersten Wochen des Frühjahrs dürften für beide Theile die bequemste Zeit sein. Er, der Kammerherr, freue sich darauf, seiner Landsmännin in der Hauptstadt die Honneurs zu machen.

Der Professor eilte mit beflügeltem Schritt zu seiner Frau und legte den Brief in ihren Schoß. »Hier lies, was unsere Reise in die Ferne gefährdet, es beansprucht einen Theil der besten Reisezeit. Aber ich muß diese Einladung annehmen, denn jede Aussicht, auch die entfernteste, der Handschrift habhaft zu werden, zwingt mich, Alles einzusetzen, was der Mensch einer großen Hoffnung nur opfern darf. Willst du mit mir auf die Jagd ausziehen? Du siehst, die artigen Leute haben für Alles gesorgt.«

»Ich ein Gast unseres Landesherrn!« rief Ilse, in den Brief sehend, »nie hätte ich mir solche Ehre träumen lassen. Was wird der Vater dazu sagen! – Das ist für dich eine sehr ehrenvolle Einladung,« fuhr sie ernst fort, »und du mußt sie in jedem Fall annehmen. Für mich, wenn ich mir’s recht überlege, ist es doch am besten, ich bleibe hier.«

»Wozu dich auf Wochen von mir trennen? Es wäre das erste Mal.«

»So schicke mich unterdeß zum Vater,« sagte Ilse.

»Ist das nicht dasselbe?« frug der Professor.

»Was soll ich unter den fremden Menschen?« fuhr Ilse ängstlich fort.

»Thorheit!« rief der Professor, »hast du einen Grund, nicht mitzugehen?« und er sah ihr unruhig in das Angesicht.

»Nicht daß ich einen sagen könnte,« erwiederte Ilse.

»Dann also entschließ dich kurz und komm mit. Wir würden uns wahrscheinlich freier fühlen, wenn wir dort nach eigenem Gefallen leben könnten, aber im Gasthof einer fremden Stadt sehe ich dich zu wochenlangem Aufenthalt auch nicht gern, und nach anderer Rücksicht befreit diese Aufnahme beide Theile vor Anbieten und Zurückweisen einer Entschädigung. Wir bleiben dort, solange ich unumgänglich nöthig bin, und dann geht’s doch nach dem Süden, soweit wir kommen. Es ist zuletzt nur Aufschub der Reise von wenigen Wochen.«

Als die zustimmende Antwort des Professors eintraf, berichtete der Kammerherr in Gegenwart des Hofmarschalls dem Fürsten. »Sorgen Sie dafür, daß der Pavillon so bequem als möglich eingerichtet wird. Zur Tafel aufgetragen wird im Pavillon zu der Stunde, welche der Herr Professor angibt.«

»Und wie befehlen Ew. Hoheit, daß die Fremden zum Hofe gestellt werden?« frug der Hofmarschall.

»Das ist selbstverständlich,« versetzte der Fürst, »er hat das Vorrecht Fremder und wird gelegentlich zu kleiner Hoftafel eingeladen.«

»Aber die Frau Professorin?« frug der Hofmarschall.

»Ah,« sagte der Fürst, »die Frau, es ist wahr, sie kommt mit.«

»Also,« fuhr der Hofmarschall fort, »zwei Gedecke im Pavillon, zwei Logenplätze, ein Lakai ohne Livree.«

»Das genügt,« entschied der Fürst, »das Weitere wird sich finden. Wenn die Frau Professorin unsern Damen einen Besuch macht, so werden diese, wie ich annehme, die Artigkeit erwiedern. Im Uebrigen wollen wir der Prinzessin nicht vorgreifen.«

»Was soll das mit der Fremden?« frug der Hofmarschall vor dem Palais den Kammerherrn. »Sie kennen ja die Leute.«

»Wie man sich in fremder Stadt kennenlernt,« versetzte der Kammerherr.

»Sie haben doch ihre Herkunft vermittelt?«

»Ich habe nur nach dem Befehl des Fürsten geschrieben. Der Professor ist ein angesehener Gelehrter von Ruf und durchaus Gentleman.«

»Aber was soll die Frau hier?«

Der Kammerherr zuckte die Achseln. »Er war wohl nicht ohne die Frau zu haben,« erwiederte er vorsichtig.

»Und doch lag dem Fürsten an ihr.«

»Ist Ihnen das aufgefallen?« frug der Kammerherr, »ich habe nichts davon bemerkt.«

»Er that, als ob sie ihm sehr gleichgültig sei. Und sie ist gewissermaßen ein Landeskind.«

»Sie wissen, daß der Fürst der letzte wäre, welcher die Rechte des Hofes aus den Augen läßt. Es ist kein Grund zur Sorge.«

»In jedem Fall muß die Prinzessin sogleich ihre Stellung nehmen. Diese Frau Professorin gilt, wie ich höre, für eine Schönheit.«

»Ich glaube, sie ist ebenfalls eine Frau von Charakter,« entgegnete der Kammerherr.

Der Professor erhielt den erbetenen Urlaub. Ilse traf die Vorbereitungen zur Reise mit einem feierlichen Ernst, der ihrer ganzen Umgebung auffiel. Sie sollte jetzt mit ihrem Gatten in die Nähe des Fürsten kommen, den sie aus der Ferne mit scheuer Ehrfurcht betrachtete. Ihr fiel schwer auf das Herz, daß der Sohn nie von dem Vater gesprochen hatte, und daß sie von dem erlauchten Herrn nichts weiter kannte, als Antlitz und Geberde. Sie suchte alle Erinnerungen und alle Anekdoten zusammen, aber sein Wesen blieb ihr undeutlich, und sie frug sich ängstlich: wie wird er sein gegen Felix und mich? Ist er ein Kreon oder ein Odysseus oder Agamemnon der Völkergebieter? Und sie setzte sich aus diesen Gestalten ein Bild zusammen, das ihr kein Vertrauen einflößte.

Während Felix die Bücher und Aufzeichnungen, welche ihm für die Reise unentbehrlich waren, zusammensuchte, stand der Doctor kummervoll im Zimmer des Freundes. Er war innig überzeugt, daß der Professor sich der Pflicht nicht entziehen durfte, die Handschrift zu suchen, und doch war ihm diese Einladung des Hofes nicht recht. Der schnelle Aufbruch aus wohlbefestigtem Leben ängstigte ihn und er sah zuweilen prüfend auf Frau Ilse.

Laura saß am letzten Abend neben Ilse und lehnte sich weinend an ihre Schulter. »Mir ist, als stünde mir Großes bevor,« sagte Ilse, »und ich gehe mit Furcht. Dich aber verlasse ich ohne Sorge um deine Zukunft, obgleich dein kleiner Trotzkopf mich zuweilen geängstigt hat. Denn ein Anderer wird dir immer der beste Berather bleiben, auch wenn ihr euch wenig seht.«

»Ich verliere ihn zugleich mit dir,« rief Laura unter Thränen, »Alles entschwindet, was meinem Leben Freude gewesen war. In dem kleinen Garten, den ich mir in der Stille angelegt habe, sind die Blüthen mit der Wurzel ausgerissen, auch für mich kommt die bittere Zeit der Entsagung, und der arme Fritz, der ohnedies mit stiller Resignation umherläuft, wird jetzt ganz in seiner Einsiedelei verkommen.«

Sogar Gabriel, der die Reisenden nach der Hauptstadt begleiten und ihre Heimkehr aus der Ferne auf dem Gut des Vaters erwarten sollte, war in diesen Tagen aufgeregt und verschwand öfter während der Dunkelstunde im Hause des Herrn Hahn. Am letzten Tage brachte er vom Markt ein schönes Kunstblatt nach Hause, worauf ein Vogel von ungewöhnlichem Aussehen durch aufgeklebte bunte Federn gebildet war, mit der Unterschrift: Prachthahn aus Madagascar. Gabriel schrieb dazu mit sauberer steifer Handschrift die freundlichen Worte: »Getreu bis an den Tod« und trug gegen Abend den Hahn in den Hausflur der Gegner. Man konnte dort ein Geflüster hören und ein Taschentuch sehen, welches über zwei betrübte Augen gewischt wurde.

»Es soll keine Anspielung sein auf den Namen dieses Hauses,« sagte Gabriel und hielt den Vogel noch einmal gegen den Mond, welcher durch das Treppenfenster seine Strahlen auf zwei traurige Gesichter herniederwarf, »aber es gefiel mir als Erinnerung. Denken Sie dabei an mich und die Worte, die ich darauf geschrieben habe. Denn Scheiden muß sein, aber es ist schwer.« Der ehrliche Junge fuhr nach seinem Tuche.

Dorchen nahm ihm das Taschentuch weg – sie hatte das ihre vergessen – und weinte sehr hinein. »Es ist nicht auf lange,« sagte Gabriel in seinem Schmerze tröstend. »Kleben Sie den Vogel in den Deckel Ihrer Truhe, und wenn Sie die Truhe öffnen und ein gutes Kleid herausholen, denken Sie an mich.«

»Immer,« rief Dorchen weinend, »ich brauche das nicht.«

»Wenn ich wiederkomme, Dorchen, sprechen wir weiter, wie es mit uns werden soll, und ich hoffe, es soll gut werden. Das Tuch, in das Sie geweint haben, soll mein Andenken sein.«

»Lassen Sie mir’s,« bat Dorchen schluchzend. »Ich will’s Ihnen nur sagen, ich habe Wolle gekauft und ich sticke eine Brieftasche. Die sollen Sie tragen, und wenn ich Ihnen schreibe, thun Sie meine Briefe hinein.«

Gabriel sah trotz seinem Kummer sehr glücklich aus, und der Mond blickte spöttisch herab auf die Küsse und Gelübde, welche gewechselt wurden.

Viertes Buch

1.
Der Fürst

Der Erbprinz ging mit dem Kammerherrn durch die Gartenanlagen, welche drei Seiten des fürstlichen Schlosses umgaben. Er sah gleichgültig auf die Farbenpracht der ersten Blumen und das junge Grün der Bäume, welches wie ein durchsichtiger Schleier um die Aeste schwebte, heut war er noch schweigsamer als gewöhnlich; während der Vogel aus den Zweigen über ihm seine Weise pfiff, die Wellen der Frühlingsluft würzig von den Baumwipfeln wehten und gelben Blumenstaub auf seinen Hut streuten, klapperte er mit der Lorgnette. »Wer pfeift dort?« frug er endlich, aus seiner Theilnahmlosigkeit erwachend. Der Kammerherr sagte ihm, daß es eine Amsel sei. Der Prinz suchte den schwarzen Vogel mit den Gläsern und frug dabei nachlässig: »Was tragen die Leute vor uns?«

»Es sind Stühle für den Pavillon,« versetzte der Kammerherr, »er wird dem Professor Werner eingerichtet. Das Haus ist jetzt selten geöffnet, früher bewohnte es der gnädigste Herr zuweilen selbst auf einige Tage.«

»Ich erinnere mich nie darin gewesen zu sein.«

»Wollen Hoheit vielleicht die Räume betrachten?«

»Wir können vorbeigehen.«

Der Kammerherr lenkte auf den Pavillon zu, bei der Thür stand der Hofmarschall, welcher gerade zum Rechten sehen wollte. Der Erbprinz grüßte, warf einen flüchtigen Blick auf das Haus und wollte vorübergehen. Es war ein kleiner vergrauter Steinbau in verwegenem Zopfstil, um Thür und Fenster muschelartige Arabesken und dicke Gehänge von steinernen Blumen, welche von kleinen wassersüchtigen Engeln an Bändern gehalten wurden, die Bänder waren wie aus Elephantenleder geschnitzt, die Genien sahen aus, als wären sie aus schwarzem Sumpf gekrochen und eben erst in der Sonne getrocknet. Unter dem jungen Laub stand der finstere Bau wie eine große Kommode, in welcher alle gewelkten Blumen, die der Garten je getragen, und alle Moosbärte, die der Gärtner je von den Bäumen gekratzt, für spätere Geschlechter aufbewahrt werden.

»Es ist ein plumpes Haus,« sagte der Prinz.

»Gerade das düstere Aussehen hat dem gnädigsten Herrn immer wohlgefallen,« versetzte der Hofmarschall. »Wollen Ew. Hoheit nicht das Innere ansehen?« Langsam ging der Prinz die Stufen hinauf und durchschritt die Zimmerreihe. Noch war der Modergeruch in den langverschlossenen Räumen nicht durch das Räucherwerk gebändigt, in allen Kaminen flammten die Scheite, aber die Wärme, welche sie verbreiteten, kämpfte noch gegen die feuchte Luft. Die Einrichtung der Zimmer war durchaus regelrecht und vollständig. Schwere Thürvorhänge mit großen Quasten und geschweifte Möbel mit vieler Vergoldung und weißen Kappen zur Schonung der seidenen Ueberzüge, Spiegel mit breiten Barockrahmen; um die Kamine Laubgewinde aus grauem Marmor, darüber geschnörkelte Vasen und Nippsachen aus gemaltem Porcellan. Im Ankleidezimmer stand auf einem Marmoruntersatz unter Glasglocke eine große Uhr, über dem Zifferblatt goß eine nackte vergoldete Nymphe aus ihrer Urne Wasser, welches zu gelbem Eis gefroren war. Alles war reich ausgestattet, aber die ganze Einrichtung, Möbel, Porcellan, Wände sahen aus, als hätte nie ein Auge mit Freude darauf geruht, nie eine sorgliche Hausfrau sich des Besitzes gefreut. Die Uhr war einst ein Geburtstagsgeschenk für den regierenden Herrn von einem gleichgültigen Verwandten gewesen, sie war flüchtig betrachtet beim Kauf und ebenso freudelos beim Empfange, jetzt war sie mit einer Nummer eingetragen worden in die große Liste, sie hatte sich in den ersten Jahren bemüht, durch Ticken ihr Zimmer behaglich zu machen, ihre Glasglocke hatte immer den Schall gedämpft, endlich hatte sie die unnützen Versuche aufgegeben und beharrte darauf, die zwölfte Stunde zu zeigen. Jetzt, wo der Kastellan sie von Neuem aufgezogen, tickte sie wieder müde und abgespannt, aber man sah ihr den Wunsch an, auch diese Anstrengung zu beenden. Es waren vornehme Allerweltssachen, sie hatten zuerst in den großen Gesellschaftsräumen gestanden, welche bei Hoffesten geöffnet werden, sie hatten aufgehört modisch zu sein und waren in Seitenzimmer gebracht worden. Jetzt war ihre Bestimmung, im Verzeichniß fortgeführt zu werden von einem Zeitalter auf das andere, und alljährlich einmal gezählt, ob sie noch vorhanden waren. So lebten sie ein unsterbliches Dasein, geschont und nicht gebraucht, bewahrt und nicht beachtet, und dabei sollten sie immer höher hinauf gefördert werden aus den Cavalierstuben in die Zimmer der Unterbeamten, zuletzt nach langer Ruhe auf den Boden.

»Es ist feucht und kalt hier,« sagte der Prinz, an den Wänden umherblickend, und beeilte sich, wieder ins Freie zu kommen.

»Wie gefällt Ew. Hoheit die Einrichtung?« frug der Hofmarschall.

»Sie geht an,« versetzte der Prinz, »bis auf die Bilder.«

»Einige sind freilich etwas frei,« gab der Marschall zu.

»Meinem Vater wird lieb sein, wenn Sie diese bei Seite stellen. Wann wird Herr Professor Werner erwartet?«

»Heut gegen Abend,« versetzte der Kammerherr. »Haben Hoheit vielleicht den Wunsch, den Gast nach seiner Ankunft zu empfangen oder selbst zu begrüßen?«

»Fragen Sie deshalb an,« erwiederte der Prinz.

Als der Prinz mit seinem Begleiter die Treppe zu seinen Zimmern im Schlosse hinaufstieg, begann der Kammerherr: »Die Frau Professorin hat sich früher einmal über die Blumen gefreut, welche Ew. Hoheit ihr sandten, darf ich dem Hofgärtner den Auftrag geben, die Zimmer damit zu versehen?«

»Thun Sie, was Ihnen passend dünkt,« versetzte der Erbprinz kalt. Er trat in seine Wohnung, sah hinter sich, ob er allein war, und ging mit schnellen Schritten zu dem Fenster, von welchem er über den geschorenen Rasenplatz und die blühenden Gebüsche auf den Pavillon sehen konnte. Er starrte lange zum Fenster hinaus, dann nahm er ein Buch vom Tisch und setzte sich in die Sophaecke, zu lesen, aber er legte das Buch wieder auf den Tisch, ging hastig auf und ab und sah auf seine Uhr.

Die Hoftafel war vorüber. Die Damen warfen einen halben Blick hinter sich, ob ihr Hintergrund der Abschiedsverbeugung günstig sei, die Herren faßten die Hüte unter den Arm, der Hofmarschall trat in die Nähe der Thür und hielt mit gefälligem Anstand seinen Stock unter dem Goldknopf, sichere Anzeichen, daß die höchsten Herrschaften an den Aufbruch dachten. Die Prinzeß, welche noch in Trauer war, kreuzte den Weg des Bruders: »Wann kommen sie? Ich bin neugierig,« frug sie leise.

»Sie sind vielleicht schon da,« antwortete dieser vor sich niedersehend.

»Ich fahre heut zum ersten Mal ins Theater,« fuhr die Prinzessin fort, »kannst du, so komm in die Loge.«

Der Prinz nickte. Dem Marschall kam eine Meldung, er trug sie zu dem Fürsten. »Dein Lehrer Professor Werner ist angekommen,« sagte der Fürst laut zum Sohne, »du wirst den Wunsch haben, ihn zu begrüßen.« Er neigte sich gegen den Hof, die jungen Herrschaften schwebten hinter ihm aus dem Saale.

Der Kammerherr eilte dem Pavillon zu, ruhiger folgte der Hofmarschall. Ein fürstlicher Wagen hatte die Reisenden von der letzten Station abgeholt, die Bäume des Parkes, die Anlagen und die erleuchteten Fenster des Residenzschlosses flogen an den Reisenden vorüber. Der Pavillon war nicht mehr ein unförmlicher Bau, wie heut am Tage vor dem rücksichtslosen Strahl der Sonne und den gleichgültigen Augen der Hofherren. Der Mond beschien die Front, er übermalte mit schimmerndem Firniß die Mauern, versilberte die Backen der Engel und die dicken Tulpenblätter ihrer Blumengewinde und hob von der hellen Wandfläche die Schatten der vorspringenden Gesimse kräftig ab. Aus der geöffneten Thür drang Kerzenglanz, Lakaien in reichbetreßter Livree hielten die schweren Armleuchter. Der Haushofmeister, ein freundlicher Mann in Frack und Kniehosen, stand im Hausflur und begrüßte die Ankommenden mit verbindlichen Worten. Hinter den Lakaien stieg Ilse am Arm des Gatten über den Teppich der Stufen, und als der Diener den Thürvorhang zurückschlug und die Zimmerreihe im Kerzenglanz strahlte, unterdrückte sie mit Mühe einen Ausruf des Erstaunens. Der Haushofmeister führte durch die Zimmer und erklärte kurz ihre Bedeutung, Ilse erkannte mit schnellem Blick, wie stattlich und bequem auch die Nebenräume waren. Bewundernd stand sie vor der Blumenfülle, die in Vasen und Schalen aufgestellt war, sie dachte, ob ihr kleiner Prinz diese zarte Aufmerksamkeit gehabt, und war einen Augenblick enttäuscht, als der Beamte erklärte, der Herr Kammerherr habe dies gesandt. Während ihr ein artiges Mädchen vorgeführt wurde, das ausschließlich für ihren Dienst bestimmt war, stand Gabriel noch im Vorzimmer und überlegte, wohin er sich und sein Rüstzeug tragen sollte, damit die Stiefeln des Herrn Professors morgen früh dem Glanz des Hauses keine Schande machten, bis auch ihn einer der Lakaien in seine höhere Behausung einführte und kameradschaftlich auf die Laterne eines Gasthauses aufmerksam machte, das für ruhige Stunden vorzüglich gelegen sei.

Noch ging Ilse wie betäubt von der Herrlichkeit durch die Gemächer und prüfte gerade den Verschluß der Fenster, um frische Luft einzulassen, denn der starke Geruch der Hyacinthen bedrohte mit Kopfschmerz, da kam der Kammerherr und hinter ihm der Hofmarschall, auch ein artiger Herr von sehr feinem Wesen, und beide sprachen ihre Freude aus, den Professor und seine Gemahlin hier zu begrüßen, sie erboten sich zu jedem guten Dienst und erklärten an den Fenstern die Lage des Pavillons. Plötzlich riß der Lakai die Flügelthüren auf: »Des Erbprinzen Hoheit.«

Der junge Herr trat langsam über die Schwelle, er verneigte sich stumm vor Ilse und bot dem Professor die Hand: »Mein Vater trug mir auf, Ihnen seine Freude auszusprechen, daß Sie seinen Wunsch erfüllt haben,« und zu Ilse gewandt fuhr er fort: »Möchte Ihnen die Wohnung so bequem sein, daß Sie Ihr Quartier an der Waldwiese nicht zu sehr vermissen.«

Ilse sah mit inniger Freude auf ihren Prinzen; er war, wie ihr schien, noch ein wenig gewachsen, seine Haltung war immer gedrückt, aber die Wangen waren doch etwas geröthet, es ging ihm nicht schlecht, das war wohl zu sehen. Auch der kleine Bart war stärker und stand ihm gut.

Sie erwiederte: »Ich wage mich noch kaum umzudrehen, es ist wie in einem Feenschloß, man erwartet jeden Augenblick, daß ein Geist aus der Wand springen wird und fragen: befehlen Sie vielleicht, durch die Luft zu fahren? vier Schwäne halten mit einem goldenen Wagen am Fenster; man braucht auch keinen Stuhl, um hinein zu steigen, denn die Fenster reichen ja bis auf den Fußboden. – Die Parkstraße sendet ihre Huldigungen, und für die Sendung, welche mir der Herr Kammerherr unter die letzten Christbäumchen machte, sage ich Ew. Hoheit noch von Herzen Dank.«

Der Professor trat zum Prinzen, nannte ihm die Namen einiger Amtsgenossen, welche sich ihm zu geneigtem Andenken empfehlen ließen, und bat, dem Fürsten seinen Dank für die gastliche Aufnahme auszusprechen, bis ihm selbst die Ehre werde, sich dem hohen Herrn vorzustellen. Alles kräuselte sich in runden und zierlichen Schnörkeln, die Lampen und silbernen Armleuchter glänzten, die Hyacinthen sendeten aus allen Glöckchen süßen Wohlgeruch, die geschlossenen Vorhänge gaben den Zimmern ein trauliches Aussehen und an der gemalten Decke hielt ein fliegender Amor ein rothes Mohnbüschel über die Häupter der Gäste.

»Heut überlassen wir Sie der Ruhe, Sie müssen ermüdet sein,« schloß der Prinz den Besuch, und der Kammerherr versprach morgen bei guter Stunde dem Professor mitzutheilen, wann der Fürst ihn empfangen werde. Kaum hatten die Herren sich entfernt, als ein Diener meldete, daß zum Diner im Nebenzimmer servirt sei. »Jetzt am Abend?« wandte Ilse schüchtern ein.

»Das hilft nichts,« versetzte der Professor, »du hast den ersten Schritt gethan, erweise auch ferner deine Tapferkeit.« Er bot ihr in dieser ritterlichen Luft den Arm, der Mann mit den Tressen führte in das Nebenzimmer und rückte die Stühle des reichgeschmückten Tisches. Die Gänge wollten kein Ende nehmen, trotz Ilse’s Widerspruch schnurrte das volle Mahl ab, und sie sagte endlich: »Ich lasse mir Alles gefallen, diesen Geistern gegenüber hilft kein Sträuben; wer in einem Fürstenschlosse lebt, muß auch seine Dreistigkeit haben.«

Als die Mahlzeit endlich abgetragen und Ilse auch ihrer Sorge um Gabriel enthoben war, begann sie sogleich sich geschäftig einzurichten. Während sie auspackte und in Schränke und Schubkästen legen ließ, sagte sie heimlich zum Gatten: »Das ist ein sehr schöner Willkommen, Felix, und ich habe jetzt ein rechtes Vertrauen, daß Alles gut gehen wird.«

»Hast du denn je daran gezweifelt?« frug der Professor.

Ilse antwortete: »Ich habe eine heimliche Angst gehabt bis zu dieser Stunde, weiß selbst nicht warum, jetzt aber ist sie verschwunden, denn die Menschen sind hier alle freundlich und sehen gutherzig aus.«

Der Prinz ging durch die Anlagen dem Schlosse zu. Hinter ihm unterhielten sich die beiden Cavaliere.

»Das ist ja eine außergewöhnliche Erscheinung,« sagte der Hofmarschall, »eine Schönheit ersten Ranges, darin ist Race.«

»Es ist eine in jeder Hinsicht ausgezeichnete Frau,« versetzte der Kammerherr laut.

»Das haben Sie mir schon einmal gesagt,« erwiederte der Hofmarschall, »ich wünsche Ihnen nachträglich Glück zu dieser Bekanntschaft von der Universität.«

»Wie gefällt Ihnen der Professor?« frug ablenkend der Kammerherr.

»Er scheint ein gescheidter Mann,« entgegnete der Hofmarschall gleichgültig. »Nun, es ist lange her, seit der Pavillon eine solche Schönheit bewahrt hat.«

Der Prinz wandte sich um, er sah beim Schein des großen Kandelabers am Schlosse, daß die Herren einen schnellen Blick miteinander austauschten.

Der Wagen des Prinzen hielt an der Treppe, er stieg ein ohne Wort und Gruß für seine Begleiter und fuhr in die Oper. Dort trat er in den Salon der fürstlichen Loge.

»Wie gefallen sich die Fremden in ihrem Pavillon?« frug der Fürst freundlich.

»Sie sind mit Allem zufrieden,« versetzte der Erbprinz, »aber die Räume sind feucht, und sie werden für längern Aufenthalt ungesund sein.«

»Sie waren das doch bis jetzt nicht, soviel ich mich erinnere,« versetzte der Fürst kalt, »ich hoffe, auch du wirst dich davon überzeugen.« Und zu dem Kammerherrn gewandt befahl er: »Morgen nach dem Frühstück wünsche ich Herrn Werner zu sprechen.«

Der Erbprinz ging in die Loge seiner Schwester und setzte sich stumm an ihre Seite.

»Wo sind die Plätze der Fremden?« frug die Prinzessin.

»Ich weiß nicht,« erwiederte der Prinz. Die Prinzessin sah fragend hinter sich. »Gegenüber, die Fremdenloge,« erklärte der Kammerherr, »aber sie haben heut wohl noch mit ihrer Einrichtung zu thun.«

»Was ist dir, Benno?« frug die Schwester nach dem ersten Akt, »du hustest.«

»Ich habe mich ein wenig erkältet, es geht vorüber.«

Nach dem Theater zog sich der Prinz in sein Schlafzimmer zurück und klagte gegen Krüger über Kopfschmerz und rauhen Hals. Als er allein war, öffnete er das Fenster und sah über die Anlagen nach dem Pavillon, dessen Lichter wie Sterne durch die Nacht schimmerten. Der Prinz horchte, ob er einen Ton von drüben erlauschen könne. Ihm war warm, denn er nahm seine Halsbinde ab und stand lange unbeweglich am Fenster, bis die kühle Nachtluft sein Zimmer durchzogen hatte und drüben das letzte Licht erloschen war. Dann schloß er leise die Flügel und ging zu Bett.

Vorsichtig war das nicht, denn der Prinz, dessen Gesundheit ohnedies leicht gestört wurde, fühlte sich am nächsten Morgen stark erkältet, der Leibarzt ward eilig gerufen, der Prinz mußte das Bett hüten.

Als dem Fürsten die Erkrankung des Erbprinzen gemeldet wurde, gerieth er in sehr üble Laune. »Gerade jetzt,« rief er, »er hat alles Unglück eines kränklichen Menschen.« Noch als der Professor gemeldet wurde, war die Weise, in welcher der Fürst die Meldung annahm, so kalt und wegwerfend, daß der Kammerherr um die nächste Stunde des Professors besorgt wurde. Indeß übten die lange Gewöhnung, sich huldreich darzustellen und die sichere Haltung des Professors besänftigenden Einfluß; nach wenigen einleitenden Worten versetzte der Fürst die Unterhaltung nach Italien, es fand sich, daß der Professor in Briefwechsel mit einem vornehmen Römer von ungewöhnlicher Gelehrsamkeit stand, den der Fürst zu seinen näheren Bekannten zählte, und daß er in Italien auch in den Kreisen gelebt, welche dem Fürsten bei seiner letzten Reise wohlgethan hatten. Dadurch wurde der Professor dem Fürsten allmählich in ganz anderes Licht gestellt, er hatte ihn als ein gleichgültiges Werkzeug herzugeholt und sah jetzt in ihm einen Mann, der persönliche Beachtung zu fordern hatte, weil er mit Andern bekannt war, deren Stellung der Fürst respectirte. Darauf frug der Fürst, wie es mit der verlorenen Handschrift stehe, und beobachtete lächelnd den leidenschaftlichen Eifer des Professors, als dieser ihm von der neuen Spur berichtete, die er in den Acten gefunden. »Es wird gut sein, wenn Sie mir in einer Denkschrift den ganzen Stand der Angelegenheit auseinandersetzen, das kommt meinem Gedächtniß am besten zu Hilfe; fügen Sie bei, welche Förderung Sie von mir oder meinen Beamten irgend wünschen.« Der Professor war dafür sehr dankbar.

»Ich lasse mir nicht nehmen, Sie selbst in das Antikenkabinet zu führen,« fuhr der Fürst fort, »ich will dabei erfahren, wie ein Gelehrter, der volles Sachverständniß hat, die stillen Freuden eines übel unterrichteten Sammlers ansieht.«

Die Thüren flogen auseinander, der Gelehrte betrat an der Seite des Fürsten die weiten Säle. »Wir gehn zuerst flüchtig durch die Zimmer, damit ich Ihnen kurz Inhalt und Anordnung vorführe,« sagte der Fürst. Er berichtete, der Professor blickte auf eine Fülle von hübschen und lehrreichen Ueberresten des Alterthums, auf Vieles, was ihm ganz neu war. Bald überließ der Erklärer den Gelehrten seinen eigenen Auge. Und jetzt gab dieser die Erläuterung: hier eine Inschrift, die wahrscheinlich noch Niemand abgeschrieben hatte, dort ein Thongefäß mit bedeutsamem Bilde, dort eine Statuette, merkwürdiges Nebenstück zu einem berühmten antiken Bildwerk, hier die unbekannte Münze eines römischen Geschlechts mit einem Familienwappen, dort wieder eine lange Reihe von Amuleten mit rätselhaften Zeichen. Es war dem Fürsten Freude, Unscheinbares als bedeutend zu erkennen und jeden Augenblick über Werth und Namen neue Aufschlüsse zu erhalten, der Professor aber hatte den Tact, lange Erklärungen zu vermeiden. Er selbst blickte mit frischer Freude auf die Sammlung. Gerade war für ihn eine Zeit gekommen, wo er, nicht durch größere Arbeit beschäftigt, eine heitere Empfänglichkeit für Eindrücke mitbrachte und bei jedem Schritte empfand, wie reizvoll die neuen Anschauungen waren, welche er erhielt. Denn sehr Vieles stand hier, was zu näherer Untersuchung lockte. Von dem schönen Behagen, welches er darüber fühlte, ging etwas auf den Fürsten über. Seine Fragen und die Antworten des Professors nahmen kein Ende, bei vielen Stücken freute den Fürsten zu erzählen, wie er dazu gekommen, und der Professor wußte ihn immer mit kleinen Geschichten ähnlicher Funde zu neuem Berichte zu veranlassen. So vergingen einige Stunden, ohne daß der Fürst Ermüdung merkte, und er war höchlich erstaunt, als ihm die Meldung wurde, daß die Stunde des Diners nahe sei. »Das ist nicht möglich,« rief er, »Sie verstehen die schwerste aller Künste, die Zeit vergessen zu machen. Ich erwarte Sie bei Tafel, morgen sehen Sie, ungestört durch mein Dazwischenreden, die Sammlung noch einmal an, dann gönnen Sie mir auch darüber schriftlichen Bericht, was die Aufstellung zu wünschen läßt, und wie zu machen ist, daß das Beachtungswerthe auch der Wissenschaft zu Gute kommt.«

Bei Tafel – es war Niemand anwesend als einige Cavaliere, denen der Professor nach dem Rath des Kammerherrn schon am Morgen seinen Besuch gemacht – wurde die Unterhaltung fortgesetzt. Der Fürst erzählte viel von Italien und verfehlte nicht, im leisen Anschlag auch die persönlichen Beziehungen des Professors zu Bekannten des Fürsten durchklingen zu lassen, damit sein Hof über den Mann, der ihm gefiel, unterrichtet werde. Es war eine hübsche rollende Unterhaltung, und ehe der Fürst die Gesellschaft verließ, wandte er sich noch einmal zum Professor und sagte: »Ich wünsche lebhaft, daß Sie sich bei uns wohlfühlen, ich hoffe auf mehr als einen Tag, der für mich so anmuthig wird als der heutige.«