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Buch lesen: «Die Ahnen», Seite 87

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Da winkte Marcus mit der Hand, daß sie sich entfernten, und Bernd schloß die Tür.

Der Abend kam heran, auf den Straßen trieb die frohe Menge umher, aus den Fenstern blinkten Lichter und lustige Herdfeuer, alle Türen waren geöffnet, und die Freunde der Hausbewohner gingen aus und ein. Nur das Eckhaus am Markte stand finster und verschlossen, kein Lichtschein verriet, daß es bewohnt sei, und kein Besucher hob den Klopfer der Haustür.

Erst am andern Morgen, als alle Glocken der Stadt miteinander das feierliche Friedensgeläut anstimmten, wurde die große Torfahrt geöffnet, Marcus König ritt aus seinem Hofe, wie ein Kriegsmann gerüstet. Im Tor stand die alte Dienstmagd und barg ihr Schluchzen hinter der Schürze, und Bernd ging barhäuptig zur Seite des Reiters, vergebens bemüht, seine Fassung zu behaupten. Auf dem Markt wandte der Kaufherr das finstere Antlitz noch einmal nach dem Hause seiner Väter und gebot von der Höhe seinem Gehilfen: »Sollte der neue Herzog von Preußen nach dem Hauswirt fragen, so sage ihm, Marcus König sei für seine herzoglichen Gnaden nicht bei Wege. Er reitet über Land und läßt seinen Knecht henken, weil dieser ihm einen Eidschwur gehalten hat.«

Langsam und allein zog er unter dem Geläut der Glocken zum Tore hinaus.

Auf dem Dorfgrunde unweit des Stadtweges war der Galgenhügel, dort hielt der Karren mit Hans Buck und Dobise. Marcus stieg vom Pferde, schritt, von Bewaffneten seines festen Hauses umgeben, nach der Anhöhe und gab dem Scharfrichter das Zeichen. Dobise kletterte willig die Leiter hinauf und sah über das Gebälk auf den Himmel und die grünende Flur. »Alles blau und grün«, sagte er kopfschüttelnd.

»Sieh dir die Sache genau an,« ermunterte Hans Buck, der zur Seite über dem Querholz saß, »wir haben keine Eile.«

»Dort sehe ich die Türme unserer Stadt, der Ratsturm hat ein neues Dach, das hält wieder eine Weile.«

»Bis es herunterfällt wie das alte«, versetzte bedächtig sein Nachbar.

»Mein Alter sieht aus wie ein Kriegsmann,« fuhr Dobise fort, »er trägt selten die Brustplatte und das lange Schwert.«

»Heut hat er es als Gerichtsherr dir zu Ehren angelegt«, sagte Hans Buck.

»Niemals ist einer so hinausgefahren wie ich, während die zwölf Böttcher zogen,« berühmte sich Dobise, »und mich freut‘s, daß der Alte mir die letzte Ehre erweist. Er denkt daran, daß ich zu ihm gehöre.«

»Du bist von deinen Vätern her sein Knecht?«

Dobise nickte. »Die Bürger wollen die Leute meines Geschlechts nicht mehr in der Stadt leiden. Doch er und ich, wir gehören von Vater und Mutter zusammen, ich bin im Thorner Lande der letzte von den alten Preußen, und er ist der letzte von den alten Deutschen. Und jetzt geht es auch mit uns beiden zu Ende.« Hans Buck sah ihn fragend an und hob die Schlinge, Dobise half sie um den Hals legen. »Aber der Alte weiß doch nicht, was ich weiß; denn, Hans Buck, ich habe gesehen, wie sein Enkel die Gerte schwenkte.«

»Was spricht der arme Sünder?« fragte von unten eine starke Stimme.

»Lebt wohl, Hans Buck«, rief Dobise und sprang von der Leiter.

»Schneide ab«, schrie Marcus.

Der Henker zerschnitt mit Hilfe des Knechtes eilig den Strick. »Der gute Wille war vergeblich, Herr; er sprang zu jach in die Luft, das Genick ist gebrochen.«

In einer Ecke des kleinen Friedhofs wurde die Ruhestätte geschaufelt; die Schollen rollten auf den Leib, der Wind wehte und die Wolken flogen, während Marcus am Grabe seines Knechtes auf den Knien lag.

Den Tag darauf standen die neuen Ratsmänner Kunz Lohgerber und Barthel Schneider am Ufer der Weichsel und sahen über den leeren Ladeplatz, zu dem nur einige Holzflöße trieben. »Der Friede ist verkündet,« begann Kunz, »ich gedenke der Zeit, wo die schweren Kähne hier so dicht lagen, daß man Mühe hatte, einen Kübel Wasser zu schöpfen. Ob sich‘s wieder füllen wird?«

»Dort stößt der große Danziger gegen den Strom heran,« antwortete sein Nachbar, »wunderlich ist es, daß er zurückkommt; er hat für Marcus König geladen und lag die letzte Nacht unterwärts am Ufer. Seht, er hat sich wie ein Kriegsschiff gerüstet, eine Schanze um den Mastkorb gebaut, und, meiner Treu, ich erkenne bewaffnete Männer im Korbe; meint Ihr nicht, daß wir Lärm machen?«

»Hier kommt jemand, der Euch die Sorge abnehmen wird, der Burggraf mit seinen Trabanten. Das Schiff bleibt im Strome und der Ratskahn legt an, der Burggraf selber will den alten König zum Land fahren.«

»Ob zu einem Festmahle oder in den Turm? Nun, es haben schon bessere Leute darin gesessen, als der alte Papist.«

Der Kahn des Rates führte den Burggrafen an das Schiff; Hutfeld bestieg die Planken, Marcus begrüßte ihn an der Treppe. »Ich danke Euch, hochgebietender Herr, daß Ihr gegen den Brauch des Rates nicht verschmäht, die Fahrt im Stadtgebiet auf einem fremden Schiff zu machen.«

Der Burggraf warf einen besorgten Blick nach dem Korbe, in welchem Bewaffnete ihre Rohre steif am Fuß hielten, und nach dem Steuer, wo neben einem fremden Maat Hendrick der Schiffer seine Mütze lüftete: »Sind die Schiffskinder auch zum Teil Fremde,« antwortete er lächelnd, »der Schiffsmeister ist ein Bürger von Thorn.«

»Er war es bis jetzt«, versetzte Marcus.

Hutfeld sah nach dem Kahne zurück, dann maß er prüfend das düstere Antlitz seines Gegners. »Ich war bis jetzt Bürger dieser Stadt,« fuhr Marcus fort, »und um mich von den Mauern zu scheiden, in denen die Sorge uns beiden das Haar gebleicht hatte, habe ich dich, mein Schwager, hierher geladen. Ich denke, es sind die letzten Augenblicke, in denen wir einander gegenüberstehen. Den Burggrafen der Stadt hätte ich nicht bemüht, den Bruder meines lieben Weibes wollte ich noch einmal grüßen, bevor ich von hier gehe; denn mein Fuß betritt die Straßen von Thorn nicht wieder.«

Hutfeld faßte seine Hand. »Die Stimme alter Freundschaft höre ich nach Jahren zum erstenmal aus deinem Munde; zürne nicht, wenn ich widerstrebe, daß diese Stunde die letzte sein soll, in der ich dich sehe.«

»Auch du, dessen Klugheit und Vorsicht ich heut mit schwerem Herzen loben muß, wirst meinen Entschluß nicht beugen. – Den Burgwald von Nessau und das Landgut, welche ich als altes Erbe meines Geschlechts überkam, begehrt der Rat. Der Preis, welcher mir geboten wurde, ist so gering, daß ich ihn zu anderer Zeit abgelehnt hätte, jetzt ist er mir willkommen, denn, Konrad, ich bin kein reicher Mann mehr.«

»Das habe ich gefürchtet«, sagte der Burggraf. »Es war ein Unglückstag, wo der Herzog von Preußen in deinem Hause Einlager hielt.«

»Weißt du dies, du scharfblickender Mann, so weißt du auch mehr. Du warst der Gegner, der meine stillen Wege aufspürte, und du gewannst das Spiel, weil du mehr von mir wußtest als andere.«

»Nicht ich, Marcus. Du rangst gegen eine Flut, welche uns alle übermächtig forttreibt.«

»Vielleicht«, sagte der Kaufmann das Haupt neigend. »Diese Planken sind Danziger Grund, und auf fremdem Boden darf ich dir sagen, daß ich getan habe, wahrlich aus Liebe zur Stadt, was mich ausschließt von der Tafel Eures Hofes und von dem Glockengeläut Eurer Türme. Den Rat wollte ich werfen und die Stadt in die Gewalt des deutschen Hochmeisters zurückbringen als ein wertvolles Unterpfand für seinen Frieden mit Polen. Jahre hindurch habe ich unter Euch gelebt als Euer Todfeind.«

»Wozu von Vergangenem reden? Dir frommt nicht, es zu sagen, mir nicht, es zu hören.«

»Du darfst es doch hören, Konrad, denn deiner Mäßigung verdanke ich, daß ich heut vor dir stehe.«

»Ob du mit Grund sprichst oder nicht, ich weigere dir die Antwort,« antwortete Hutfeld, »wäre es aber, wie du sagst, so weißt du auch, daß in dem Frieden Verzeihung für alle Parteinahme ausbedungen ist. Hättest du Unrecht geübt gegen die Stadt und die Krone Polen, es wäre jetzt gesühnt.«

»Du sagst es,« versetzte Marcus, »aber du weißt auch, daß es für den Kampf um die Herrschaft kein Vergessen gibt. Bald würden der König und der Rat einen Vorwand finden, mir an Habe und Hals zu gehen. Und zürne mir nicht, wenn ich es sage, ich bin zu stolz, um länger als dein Schützling zu leben, der auch dir unablässig die Sicherheit gefährdet.«

»Der Kampf ist ausgetragen und wir werden alt,« sprach bittend der Burggraf, »und ich denke, ebenso wie das Weichselland und die Stadt begehren wir beide fortan den Frieden.«

»Nicht ich«, rief Marcus zornig. »Könnt Ihr verzeihen, ich vermag es nicht.« Er wandte sich rückwärts, wo die Mauern und Türme von Thorn ragten. »Einst priesen dich die Nachbarn als Königin der Weichsel, jetzt ist die Krone für immer von deinem Haupt gerissen; zu einer polnischen Metze bist du geworden, der die Könige einmal ein Almosen hinwerfen, um sie darauf wieder mit Ruten zu streichen nach ihrem Gefallen.«

»Lästere nicht, Marcus, in der letzten Stunde die Stadt, welche dich geboren und lange ertragen hat,« mahnte Hutfeld, »blutiger Zwist und Krieg waren fast hundert Jahre im Lande, Dörfer sind geschwunden, durch menschenleere Einöden schweifen die Raubtiere, aber die alte Stadt steht als ein sicherer Schutz für ihre Getreuen und als gastfreie Zuflucht für Flüchtlinge aus aller Herren Ländern. Der Spruch unseres Fähnleins, der in harter Zeit darauf gesetzt wurde, hat sich als wahr erwiesen, sie hat‘s überdauert.«

»Ja, zwischen feindlichen Flammen, wie der Wurm, den niemand kennt. Hoffe nicht, daß in dem polnischen Feuer deine Bürger gedeihen werden. Verhaßt ist die deutsche Art dem fremden Volke, verhaßt euer Reichtum dem polnischen Edelmann und euer Stolz dem Palatin, der über euch herrschen will. Scheuen sie sich, die Tore zu brechen, so werden sie zu den Pforten hineinschlüpfen, und fürchten sie eure helle Klage, so werden sie langsam durch Schmeichelei und hohles Getön der Worte euch zu Knechten machen.«

»Nicht wir haben die Feindschaft geschaffen, Marcus, die dich jetzt von uns scheidet, wir haben sie als ein Erbe von den Vätern überkommen. Was die Zukunft uns bringt, dafür mögen die Künftigen sorgen, wir tun heut und morgen, was wir müssen.«

»Bis der Tag kommt, wo das schwarze Gerüst, das für meinen Vater errichtet wurde, wieder auf dem Markte von Thorn erhöht wird, damit die Polen die Häupter eurer Nachkommen werfen. Das ist der letzte Gruß, mit dem ich von euch scheide, als ein Flüchtling, der eine Stätte sucht, wo er unter freien Landsleuten sein Haupt bergen kann. Dir aber, Konrad, übergebe ich die Sorge für die Gräber meines Geschlechtes, du warst der erste Freund meiner Jugend, du bliebst dem Alten hochgesinnt auch als Feind.«

Der Burggraf umfaßte den Scheidenden, er fühlte den krampfhaften Händedruck und sah das Zucken in dem Antlitz des andern. Gleich darauf trieb sein Kahn auf dem gelben Wasser der Stadt zu. Als er noch einmal zurückschaute, stand Marcus, den Blick nach dem dunklen Norden gerichtet, dem die Strömung zueilte, rastlos und unaufhaltsam.

Der Einsame hob die Augen zu dem Wolkenhimmel und suchte nach einer Stelle, wo die Himmelsbläue sichtbar wäre, es war alles in Grau gehüllt. Nichtig war seine Erdenarbeit gewesen, all seine Hingabe eitel und nutzlos. Keiner der Fürbitter, wie ängstlich er sein Lebelang um ihre Gunst geworben, hatte vermocht, ihm den großen Wunsch zu gewähren. Auch sie erschienen ihm kalt und fremd, alt und machtlos, und er gedachte ihrer wie ein gottloser Mann; fruchtlos war alle Gabe und Verehrung, welche Bittende ihnen zollten, und verächtlich das Drängen der Pfaffen, welche für jeden beteten, der die Macht hatte und der sie bezahlte. Jetzt feierten sie das Hochamt um einen unseligen Frieden und flehten für das Wohl des Polenkönigs. Er setzte sich nieder und barg das Gesicht in den Händen. Gnade für dieses Leben hatte er nicht gefunden und er glaubte nicht mehr, daß seine Rechnung mit dem Himmel ihm für das Jenseits heilsam sein werde.

Das Schiff legte bei, Marcus fuhr auf, neben ihm stand der Schiffer Hendrick und wies auf die Steinsäule am Ufer. »Ihr wißt, es ist Brauch, an dem Bilde der Jungfrau zu halten und um günstige Fahrt zu bitten. Hier war es auch, wo Euer Sohn auf seiner Flucht das Boot des Elbingers betrat.« Marcus wandte sich ab und barg wieder seine Augen in der Hand. »Auch er ist mir durch fremde Schuld verdorben, und wenn ich ihn wiedersehe, wird er mein Gegner«, sprach er finster vor sich hin.

Da klang über das Deck der flehende Ruf: »Mein Vater!« Und der Sohn warf sich vor seine Füße und umschlang ihn mit den Armen.

13. Bei den Augustinern

In der Schreibstube des Doktor Martinus Luther zu Wittenberg standen der Magister und Anna mit dem Knaben und vernahmen die Worte des verehrten Mannes: »Mir ist durch Magister Philippus Gutes über Euch und Euer Kind berichtet, und ich will es an mir nicht fehlen lassen, damit der Zweifel und die Unsicherheit ein Ende nehmen, welche jetzt Euer Leben verstören. Denn in Gewissensnöten schlägt an den Zweifel gern der leidige Teufel seine Krallen, und jede Sicherheit, selbst wenn sie schmerzlich ist, hilft eher zur Gesundheit der Seele und des Leibes.« Und gegen Anna fuhr er gütig fort: »Es ist ein seltsamer Handel, um den Ihr mit Eurem Sohne die weite Reise unternommen habt, möge sie auch dem vaterlosen Kinde frommen.« Er strich dem Kleinen über das Haar. »Ich denke, dieser hat dazu geholfen, daß Ihr die traurige Verlassenheit tapfer ertrugt; er nächst Eurem Gottvertrauen, denn auch davon ist mir Kunde zugegangen.«

Romulus sah zu dem Doktor auf und verstand, daß der Herr es gut zu ihm meinte und hier zu befehlen hatte. Aber der Handel, welcher die Großen bekümmerte, machte ihm heut wenig Sorge. Denn noch erfüllt von der Reise, dachte er vielmehr darauf, wieder in die Welt zu fahren, und achtete begehrlich auf zwei schwarze Filzschuhe hinter dem Ofen, um diese als Gäule anzuschirren.

Ein junger Mann, in der Tracht eines Schülers, öffnete leise die Tür. »Euer Verlobter ist zur Stelle,« sagte der Doktor, »laßt euch beide gefallen, daß ich euch in dieser Stube bewahre, denn ich will den Junker zuerst allein sehen.«

Mit pochendem Herzen öffnete Georg die Pforte zum Kloster, die Scheu vor dem mächtigen Manne und schwere Ahnung bedrückten ihm die Seele, auch ein Rest des alten Trotzes, daß der Priester über das Glück seines Lebens entscheiden sollte. Auf der Bank vor dem Hause saß ein Jüngling über einem großen Buche. Als Georg grüßend seinen Namen nannte, erhob sich der andere: »Der Herr Doktor ist noch beschäftigt, Ihr mögt hier niedersitzen und seiner harren.«

Georg saß allein und sah sich in dem Hofe um. Trotz seiner Not dachte er, wie unscheinbar und dürftig die Stätte erschien, aus welcher ein so helles Licht über das ganze deutsche Land leuchtete. Ein Baum in voller Blätterpracht war die einzige Zierde des stillen Raumes; auf dem Boden vor ihm flatterten die Vögel, ein Fink schritt dicht vor seinen Füßen, die Sperlinge als klügere Weltkinder hüpften in größerer Entfernung und sahen ihn mit ihren runden Augen von der Seite mißtrauisch an. Ihre Geschlechter lebten hier seit Jahrhunderten im Besitz der Mauerritzen und immer hatten die Mönche ihnen Krumen gestreut. Jetzt war das Kloster im Schwinden, nur die Kleinen saßen dick und stolz wie Prälaten. Das dachte auch Georg, und unter den vertrauten Gesellen wurde ihm leichter ums Herz. Endlich flog der Fink gar auf die schöne Laute, welche an der Bank lehnte, und sang in kunstvollem Schlag den Fremden an, während die Saiten von der Erschütterung leise klangen. Da konnte Georg der Versuchung nicht widerstehen, mit dem Finger prüfend über die Saiten zu fahren, aber er setzte die Laute sogleich wieder hin, betroffen über das Getön, welches er verursacht hatte.

»Ihr seid des Saitenspiels mächtig?« fragte eine helle Stimme neben ihm. Georg fuhr empor und stand dem Herrn gegenüber, den er noch nie leibhaftig gesehen hatte und dessen Angesicht doch durch die Holzschnitte fast jedem Deutschen bekannt war. Er sah einen Mann von stattlicher Mittelgröße, mit großem Haupt, in welchem zwei tiefliegende Augen wie dunkle Sterne blitzten. »Ihr seid der Junker aus Thorn, welcher bei mir sein Eheweib begehrt?« fuhr der Doktor fort. »Auch in Eurer Vaterstadt weicht jetzt die Finsternis dem Lichte. Ist mir recht berichtet, so hattet Ihr vor einigen Jahren Tumult, weil die Päpstlichen ein Bild des Luthers verbrannten. Ich denke, sie hätten lieber den Luther selbst in die Flamme geworfen; doch ich hoffe, sie sollen noch manchmal durch ihn erzürnt werden, bevor sie ihren Mut an ihm kühlen. In Thorn widersprach der Magister Fabricius dem Beginnen der Mönche und wurde deshalb aus der Stadt verbannt. War‘s nicht so?«

Georg bestätigte und der Doktor fragte weiter: »Damals geriet noch ein anderer in Streit mit den Papisten, wer war dieser und was ist aus ihm geworden?«

»Es war ein Schüler des Herrn Magisters, auch er mußte die Stadt verlassen und lebt seitdem in der Fremde.«

»Und verlor seitdem, wie ich sehe, die Hand, mit welcher er sonst die Laute spielte«, setzte der Doktor, auf den Handschuh blickend, die Rede fort. »Was trieb Euch dazu, den Mönchen das Ketzerfeuer zu verstören?«

»Herr, ich sah meinen Lehrer in Gefahr und hatte außerdem einen alten Handel mit dem Polen, welcher die Hand gegen ihn ausstreckte.«

»Ihr seid für Eure Gewalttat mit Recht gestraft worden«, versetzte der Doktor kurz. »Aber mich freut‘s, daß Ihr so ehrlich seid und Euren wilden Streich nicht mir auf die Seele reden wollt.« Und abbrechend sagte er in gütigem Ton wie zu einem alten Bekannten: »Setzt Euch zu mir auf die Bank, Junker.« Georg rückte sich bescheiden in die Ecke. »Dieser Platz ist mir lieber als jeder andere, wenn ich meditiere und wenn ich mit guten Freunden ein vertrauliches Wort rede. Ich sah vorhin, wie Ihr meinen kleinen Flattergeistern zulachtet, auch ich achte gern auf sie, denn in ihrem bunten Kleide sind sie die kleinen Närrchen unseres Herrgotts, und sie haben mich manchmal getröstet, wenn mir der Papst und der Teufel Not machten. Ihnen ist gesetzt, sorglos dahinzuleben, wir Menschen freilich haben besseren Witz empfangen, damit wir mit größeren Sorgen ringen. Uns Thüringern vorab ist die Freude an diesen Federhelden gemein. Eure Vorfahren haben immer in Thorn gewohnt?«

»Es geht die Sage,« antwortete Georg bescheiden, »daß auch meine Voreltern aus Thüringen stammen.«

»Ihr seid vom Adel?«

»Mein Vater gehört zu den Ältesten des Artushofes und einer von unserm Geschlecht war vor Zeiten Hochmeister von Preußen.«

»So?« sagte der Doktor. »Euer Vater also ist reich und stolz auf seine Vorfahren. Wie hält er sich im Glauben?«

»Er ist eifrig für die alte Kirche.«

»Und Ihr habt die Frau, welche er Euch verweigert, von Herzen lieb?«

Georg stand auf: »Herr, so lieb, daß mir alles auf Erden wenig gilt gegen sie.«

Auch der Doktor erhob sich und sprach feierlich: »Dann erwartet mit Demut gegen den Herrn, was Euch die nächste Stunde bringt.« Er winkte dem Schüler, welcher an der Tür harrte, der Magister und Anna traten mit dem Knaben in den Hof. Als Georg Weib und Kind wiedersah, eilte er auf sie zu, küßte sein Gemahl auf die Stirn und hob seinen Sohn zu sich auf, dann legte er die Hand des Kleinen in die der Mutter, trat zurück und begrüßte den Magister von weitem. Der Doktor sah aufmerksam zu, wie das Kind dem Vater sein Händchen reichte und dabei »lieber Vater« sagte, mit so zarter und verschämter Liebe, als käme der Gruß aus der Seele seiner Mutter. Aber gleich darauf war Romulus wieder mit eigenen Angelegenheiten beschäftigt. Er hatte sich im Hofe sofort einer Gerte bemächtigt und damit nach einem jungen Sperling des Doktors geschlagen. Auf diese Kriegserklärung flog das ganze geflügelte Volk zur Höhe und die beiden Parteien saßen lauersam gegeneinander.

»Ich flehe, ehrwürdiger Herr,« bat Georg, »daß Ihr mir gestattet, die Zeugen vor Euer Angesicht zu führen, welche für mich aussagen können. Sie warten vor dem Tor.«

»Ich bin kein Schöffe und kein Romanist,« antwortete der Doktor, »und das Zeugnis anderer wird Euch in dieser Stunde wenig helfen. Doch habt Ihr sie hergeführt, so laßt sie ein.«

Georg eilte zur Pforte und herein trat Wuz mit zweien seiner Gesellen und hinter ihnen ein alter Mann in der Tracht eines Wallfahrers. Die Männer blieben an der Tür, die Landsknechte nahmen ehrerbietig ihre Hüte ab und standen steif bei ihren Hellebarden.

Der Doktor sah unzufrieden auf die wilden Gestalten. »Was sollen die fahrenden Hansen und Jakobsbrüder in Eurer Sache?«

»Die Landsknechte waren Zeugen, als ich mit meinem Weibe vermählt wurde,« erklärte Georg bittend, »und sie haben in guter Meinung für mich die Reise gemacht.«

»Tretet näher,« gebot der Doktor, »da ihr einmal gekommen seid. Ihr also wart zugegen, als der Mann die Magd zur Ehe nahm. Habt ihr in eurem Orden besonderes Gesetz für die Vermählung?«

Wuz dachte nach: »Wir haben keine besondere Ordnung, sondern wir üben denselben Brauch, welchen im deutschen Oberlande die Bürger und Bauern anwenden, nur daß wir die Fahne darüberhalten.«

»Und wie empfing dieser das Weib?«

»Säuberlich, es ging zu wie vor einer Kirche,« versetzte Wuz, »das Fähnlein trat zum Ringe, ich gab die Braut und Benz Streitenberg stand hinter dem Bräutigam.«

»Wer tat die Fragen, und mit welchen Worten?«

»Der Hauptmann fragte: Fähnrich, wollt Ihr diese zu Eurem Ehegemahl nehmen? Der Fähnrich sagte ja. Dann fragte der Hauptmann die Jungfer, und da diese nicht vernehmlich wurde, so sprach ich das Ja, was ebensogut war; und hernach erinnerte der Hauptmann den Fähnrich, daß er der Braut auf den Fuß treten müsse, denn dieser hatte nicht daran gedacht.«

Der Doktor wandte sich zu Anna. »Habt Ihr auf die Frage ja gesagt?«

»Ich wollte ein Ja sagen«, antwortete Anna. Der Doktor nickte und sprach zum Landsknecht: »Und wie haltet ihr es bei euren Ehen mit dem Priester?«

»Wenn sich eine Gelegenheit bietet, so läßt auch der fromme Landsknecht seine Ehe an der Kirchtür weihen, obgleich das Fähnlein solches nicht begehrt.«

»Mich wundert diese Ordnung; denn ich höre, ihr lebt zuchtlos mit euren Weibsen?«

»Es ist ganz wie der Herr Doktor gehört hat«, bestätigte Wuz ehrerbietig. »Die meisten wirtschaften mit ihren Dirnen, jedoch treten auch zuweilen zwei miteinander in den Ring. Nämlich eine Ehefrau sitzt vor den andern auf dem Karren, und wenn es an Fuhrwerk fehlt, müssen die Dirnen zu Fuß laufen, auch darf der Troßweibel keine Ehefrau mit dem Stock schlagen. Und es würde wohl jede am liebsten Frau sein, jedoch ist ihnen wieder hinderlich, daß die Ehefrau nicht wechseln darf, solange das Fähnlein fliegt.«

Martinus winkte finster mit der Hand. »Es ist genug, tretet zurück.« Die Knechte wichen rückwärts zu dem Baum, in dessen Schatten der Wallfahrer lehnte.

Der Doktor wandte sich wieder zu Anna. »Habt Ihr nach eurer Vermählung den Segen eines Priesters empfangen?«

»Nein«, antwortete Anna unsicher.

»Wie kam das? Da Ihr, wie ich vernehme, eine gottesfürchtige Frau seid.«

»Zuerst fürchtete ich mich, trotz der Vermählung sein eheliches Weib zu werden«, sprach Anna mit stockender Stimme. »Dann las ich in Eurem Buche, daß nicht des Priesters Dienst eine rechte Ehe bewirkt, sondern fromme Liebe und christliche Gesinnung der Verlobten, und ich wurde ruhiger darüber, daß kein Priester in der Nähe war. Denn die Knechte waren widerwärtig gegen alle Pfaffen und hatten diese verscheucht. Als sich endlich ein Predigermönch aus Thorn zu uns fand, lag mein Hausherr diesem hoch an, daß er uns trauen möge. Da erbot sich der Mönch, da er mit dem Vater meines Hausherrn wohlbekannt sei, vorher um die Einwilligung des Vaters zu werben und uns bei seiner nahen Rückkehr zu segnen. Bevor er wiederkam, wurden wir getrennt.«

»Wohlan,« sprach der Doktor, »höret zu, ihr, die ihr meine Entscheidung angerufen habt. Ich bin kein weltlicher Richter, sondern ein Diener unseres himmlischen Vaters. Die Ehe der Christen aber ist ebensowohl nach göttlicher als nach menschlicher Ordnung eingesetzt. Darum liegt mir vor allem ob, zu erforschen, ob euer Verlöbnis zu einer rechten Ehe vor dem Herrn geworden ist. Das Wohlgefallen unseres Vaters im Himmel wird gewonnen durch christliche Gesinnung der Gatten, wenn sie in dem Gedanken an Gott die Ehe eingehen, und sein Wohlgefallen wird erhalten durch ehrbare und fromme Liebe, in welcher die Verlobten fest beharren mit dem Willen, ihr lebelang beisammen auszuhalten. Daß euch beiden eure Liebe zueinander hoher Ernst war und nicht nur ein leichtfertiges Spiel übermütiger Jugend, das erkenne ich aus der Not, in welcher ihr euch verbunden habt, und aus der Angst, in welcher ihr jetzt vor mir steht. Ob ihr aber auch als gute Kinder eures himmlischen Vaters im Glauben und Vertrauen auf ihn euren Bund geschlossen habt, das müßt ihr mir jetzt selbst bekennen, und ihr müßt die Worte auf euer Gewissen nehmen, damit nicht Unwahrheit eurer Seele und Seligkeit schade. Darum frage ich zuerst Euch, Junker, nach Gesinnung und Glauben dieses Weibes vor, bei und nach der Vermählung.«

»Ach Herr«, antwortete Georg mit gefalteten Händen. »Jedermann, der mein Weib gekannt hat, muß bezeugen, daß sie schon als Jungfrau gottseliger war, als andere ihresgleichen. Mich hat sie lange durch hohen Ernst und Strenge verschüchtert. Und in der Ehe habe ich täglich Ehrfurcht gefühlt vor der Innigkeit, in welcher sie mit dem lieben Gott verkehrte. Auch die Kriegsleute, unter denen sie leben mußte, erkannten das und ehrten sie darum.« Wuz unter dem Baume nickte heftig mit dem Kopfe.

»Das dachte ich wohl«, sagte der Doktor freundlich. »Und Ihr, junge Frau, vermögt Ihr Ähnliches von Eurem Gatten zu sagen?«

Da Anna schwieg, fuhr er ermunternd fort: »Denn Ihr müßt doch gemerkt haben, wie es mit seiner Gottesfurcht stand schon vor der Ehe und sicher in der Ehe.«

Leise antwortete die Frau: »Er hatte mich von Herzen lieb und war bereit, sein Leben für mich hinzugeben.«

»Für Euch, das Geschöpf, doch ob für seinen Schöpfer? Auch der Hirsch kämpft zuzeiten für die Hindin. Solch heißer Drang hat mit dem Glauben nichts zu schaffen.«

Anna schwieg. »Wie?« fragte der Doktor, »hatte er, als Ihr mit ihm in den Kreis der Kriegsknechte tratet, kein Wort, keinen Blick für den Vater im Himmel, der Euer Bündnis segnen sollte? Besinnt Euch,« mahnte er dringend, »denn es handelt sich hier um Großes für euch beide.«

»Herr, ich war damals kaum meiner Sinne mächtig.«

Da nahm ihr Georg die Sorge ab. »Ehrwürdiger Herr, ich stehe hier wie in der Beichte, und obwohl es meines Lebens Glück gilt, so will ich doch nicht täuschen. Als ich ihr zugesprochen wurde, sah ich nichts, als sie, und dachte an nichts, als an ihre Gefahr und daß ich sie für mich gewinnen wollte.«

»Und nachher?« forschte der Richter unruhig.

»Herr, ich fühlte nur Schmerz und Zorn, daß sie sich mir versagte; und um Euch die ganze Wahrheit zu bekennen, lange Zeit war mir ihre Frömmigkeit verleidet, weil sie sich in solcher Gesinnung von mir entfernt hielt.«

Da blitzten die Augen des Doktors zornig auf das Weltkind und er sprach rauh: »Sie tat recht, Euch zu meiden, denn Ihr waret nicht der Mann, der ihrer Seele heilsam werden konnte. Doch als Ihr sie endlich wegen ihrer weiblichen Schwäche gewannet und mit ihr in Gemeinschaft lebtet, kam Euch niemals der Gedanke, daß Ihr verdammt sein werdet, und daß Eure Ehe eine wilde Buhlschaft sein werde ohne Gottes Gnade? Und kam Euch niemals der Schrecken vor dem Richter?«

»Ich kann‘s nicht sagen«, antwortete der ehrliche Georg in seiner Bedrängnis. »Ich habe, obgleich wir im Elend waren, doch am liebsten fröhlich vor mich hingelebt, meines Herzens Freude war immer mein gutes Weib, und ich habe sorglos darauf vertraut, daß ihr Gebet auch mir zugute kommen werde. Bis ich einst an einem kalten Wintertage spät in unsere Behausung zurückkehrte. Dort fand ich ein Geschenk Gottes, das nicht gewesen war, als ich wegfuhr. Draußen heulte der Schneesturm, als sie es mir entgegentrugen, es war nackt und winzig, und ich hatte dergleichen niemals gesehen; oben sah es aus wie ein altes Männlein und unten ähnlich einem Frosch, der im Wasser steuert. Und es war mein lieber Sohn. Da erschrak ich vor Gottes Wunder und mir erbebte das Herz.«

»Endlich«, rief der Doktor aufatmend.

»Seit der Zeit, ehrwürdiger Herr, lernte ich den großen Gott anflehen. Oft, wenn ich den Knaben ansah, riß es mich nieder auf die Knie; denn ich bedachte, daß ich für ihn zu leben und zu sorgen hätte und wieviel unser Vater im Himmel noch dazu tun müßte, bevor das Kind seine Locken bekäme, feste Beinchen und einen verständigen Sinn. Auch mein eigenes Leben erschien mir weit anders als früher, gleich einem Amte, das mir übergeben war, damit ich sein Wunder ehrlich großzöge. Und als ich meinen Sohn verloren glaubte, stand er immer so in meinem Gemüt, wie ich ihn das erstemal sah, und wenn sein Bild erschien, trieb es mich, die Hände aufzuheben und zu bitten, daß ich bald dorthin erhoben werde, wo nach meinen Gedanken er und seine Mutter auf mich warteten.«

Der Doktor sah auf die Mutter, und in seinem Antlitz leuchtete die Freude. »Nun, dieser ist kein verzweifelter Kunde, und er vermöchte wohl neben einer guten Frau ein frommer Hauswirt und Vater zu sein; zumal wenn die Frau, welche im Glauben stärker ist, ihn nicht durch Mahnungen quält, sondern die Zeit abwartet und ihm herzlich zuredet.« Und näher an beide tretend, begann er feierlich: »Soweit ich als kurzsichtiger Mensch den Willen des Herrn zu deuten vermag, sage ich euch, euer Bündnis ist vor Gott eine rechte Ehe. Und wenn der Herr euch beiden die Gnade erwiese, euch aus dieser sündigen Welt in das Reich des Lichtes abzurufen, so vertraue ich, daß euch, ihr armen Kinder, im Himmel eure Stühlchen nebeneinander gerückt werden.«

Da umfaßte Georg glücklich die weinende Frau; und der Doktor fuhr fort: »Auch bin ich jede Stunde bereit, eurer Ehe durch Priestersegen nachträglich die Bekräftigung zu geben, welche ihr noch fehlt, wenn ich von denen geladen werde, die das Recht dazu haben.« Er löste die Hände der beiden voneinander. »Denn die Ehe ist nicht allein nach göttlicher Ordnung eingerichtet, sondern auch nach menschlicher. Und obgleich die Bräuche, durch welche eine Ehe vor den Menschen gültig wird, nicht in jeder Landschaft dieselben sind, so ist doch unter Deutschen überall Gesetz, daß der Haussohn und die Tochter sich nicht vermählen dürfen ohne Einwilligung der Eltern oder derer, welche an Eltern Statt über sie zu gebieten haben. Euch aber, Junker, lebt der Vater, und dieser hat die Erlaubnis nicht gegeben, sondern er hat sie ausdrücklich verweigert. Darum muß ich euch sagen, fürwahr mit schwerem Herzen, vor den Menschen, in dieser sündigen Welt, ist euer Bündnis eine rechte Ehe nicht.«