Froschkönig, Rapunzel, Goldmarie – Grimms Märchen im Spiegel der Poesie

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Froschkönig, Rapunzel, Goldmarie – Grimms Märchen im Spiegel der Poesie
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Gunter Stein

FROSCHKÖNIG, RAPUNZEL, GOLDMARIE – GRIMMS MÄRCHEN IM SPIEGEL DER POESIE

Band 1

Engelsdorfer Verlag

Lyrikbibliothek

2016

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.dnb.de abrufbar.

Copyright (2015) Engelsdorfer Verlag

® LyBi – Die Lyrikbibliothek. Band 114

Alle Rechte beim Autor

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2016

www.engelsdorfer-verlag.de

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich

Katze und Maus in Gesellschaft

Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen

Der Wolf und die sieben jungen Geißlein

Der treue Johannes

Das Lumpengesindel

Brüderchen und Schwesterchen

Rapunzel

Die drei Spinnerinnen

Hänsel und Gretel

Die weiße Schlange

Vom Fischer und seiner Frau

Das tapfere Schneiderlein

Aschenputtel

Frau Holle

Die sieben Raben

Rotkäppchen

Die Bremer Stadtmusikanten

Der Teufel mit den drei goldenen Haaren

Daumesdick

Dornröschen

Vorwort

„Grimms Märchen sind allgemein bekannt,

nur nicht so oft im poetischen Gewand.

Da ist es just mir irgendwie passiert:

Ich wurde durch sie lyrisch inspiriert …“

So oder so ähnlich könnte ich meine Suche nach einem

Ansatzpunkt für meine Dichtung der Grimmschen Märchen beschreiben, von der Sie jetzt den ersten Band in der Hand halten.

Wir alle kennen die Grimmschen Märchen aus unserer Kindheit. Und nun lesen wir sie unseren kleinen Kindern in oft verkürzter Form vor.

Wäre es da nicht schön, sich dieser Thematik noch in einer ganz besonderen Weise zu nähern?

Hier bietet sich für Liebhaber der Poesie die Gedichtform geradezu an.

Gemessen an der herausragenden Bedeutung der Grimmschen Märchen für unsere deutsche Literatur gibt es – finde ich – nur ziemlich wenige solcher „Projekte“.

Mein „Projekt“ soll Sie abwechslungsreich unterhalten. Dazu habe ich verschiedene Reimformen verwendet. Es kam mir nicht darauf an, bestimmte metrische Figuren bzw. Muster einzuhalten. Mein Hauptaugenmerk bestand darin, dass die Verse immer in einer sinnfälligen Weise betont werden können, so dass auch ein Vortragen dieser Märchen gut möglich ist.

Manche Märchen sind mehr, andere weniger in ihrem Umfang verringert worden. Es war mir wichtig, die Inhalte der Märchen möglichst wenig zu verändern und auch mit bestimmten Elementen wie Humor eher sparsam umzugehen (manchmal erschienen mir bestimmte lustige Formulierungen jedoch unumgänglich).

Auf Folgendes möchte ich noch hinweisen:

Wir wissen alle, wie gern Kinder in ihrem Alltag Reime verwenden – so gibt es ja eine Vielzahl von Kinderliedern und -sprüchen. Die Formulierungen im vorliegenden Buch sind jedoch nicht für die Kleinsten ausgelegt. Für diese sollte man dann doch eher einfache und ihrem Alter entsprechende Bücher verwenden.

Bleibt mir nur noch, Ihnen viel Spaß beim Lesen oder Vortragen zu wünschen!

Ihr

Gunter Stein

Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich

Vor Zeiten hatte ein König schöne Töchter,

aber die jüngste war so schön,

dass sich selbst die Sonne wunderte,

obwohl die ja hatte schon vieles gesehn.

Nahe bei dem Schlosse des Königs

lag ein großer dunkler Wald,

und in dem Walde war ein Brunnen

unter einer Linde, die war schon sehr alt.

Wenn es heiß war, ging das Königskind

hinaus in den Wald zum kühlen Brunnenrand,

bei Langeweile nahm sie eine Goldkugel mit,

die sie als ihr liebstes Spielzeug verstand.

Sie warf diese einfach in die Höhe,

um sie dann wieder aufzufangen.

Bisher ist diese kühne Spielerei

immer wieder gut gegangen.

Doch nun ging’s schief: Die goldene Kugel

fiel nicht in der Prinzessin Hand,

sondern sie fiel direkt auf die Erde,

rollte weiter, bis sie im Brunnen verschwand.

Die Königstochter folgte ihr mit den Augen,

erschrak sehr, dass sie fast zu ersticken meinte.

Der Brunnen war tief, kein Grund zu sehen;

so kam es, dass sie ganz laut weinte.

Und wie sie so weinte, klagte und schrie,

klang folgender Ruf in ihrem Ohr:

„Prinzessin, du schreist ja zum Erbarmen,

was ist mit dir, was hast du vor?“

Sie sah sich um, woher die Stimme käme,

einen dicken, hässlichen Frosch sie entdeckte.

„Ach, du bist’s, alter Wasserpatscher“,

sagte sie, als er seinen Kopf zu ihr streckte.

„Ich weine über meine goldene Kugel,

die ist mir gerade in den Brunnen gefallen.“

„Sei still, weine nicht, ich könnte dir helfen“,

ließ der Frosch seine Stimme erschallen.

„Was gibst du mir, wenn ich sie dir raufhole,

so dass sich meine Hilfe lohne?“

„Was du haben willst, lieber Frosch“, sagte sie,

„Meine Kleider, Perlen, Edelsteine, Krone.“

„Ich brauche aber weder deine Kleider,

weder deine Perle noch Kron’ noch Edelstein,

aber du sollst mich gerne haben – und:

ich will dein Geselle und Spielkamerad sein.

Ich will an deinem Tischlein neben dir sitzen,

von deinem Goldteller essen, dazu trinken

aus deinem goldenen Becherlein

und dann mit dir in deinem Bett versinken:

Wenn du mir dieses alles versprichst,

hab ich schnell die Kugel heraufgeholt.“

„Ach ja“, sagte sie, „ich verspreche dir alles,

ich brauche nur die Kugel aus Gold.“

Sie dachte aber: ‚Was der einfältige Frosch

daherschwätzen mag im Tagesschein!

Der quakt im Wasser bei seinesgleichen

und kann keines Menschen Geselle sein.‘

Der Frosch, als er die Zusage erhalten hatte,

tauchte seinen Kopf unter, war nicht faul,

nach einiger Zeit kam er wieder hinauf

und hatte tatsächlich die Kugel im Maul.

Die Königstochter war nun voller Freude,

sie hat gejubelt und hat gesungen,

als sie ihr schönes Spielzeug wieder erblickte,

nahm es und ist damit fortgesprungen.

„Warte“, rief der Frosch, „so nimm mich mit,

ich kann nicht so schnell laufen wie du!“

Aber es half ihm alles nichts –

die Prinzessin war verschwunden im Nu.

Sie hörte nicht darauf, eilte nach Hause

und hatte bald den armen Frosch vergessen,

der wieder zum Brunnen gehen musste,

obwohl er war auf ihre Gesellschaft versessen.

Am andern Tage, als sie an der Tafel saß

mit dem König und mit allen vom Hofstaate,

da kam, plitsch platsch, etwas hochkrochen –

die Marmortreppe herauf gerade.

Oben angelangt, klopfte es an und rief:

„Königstochter, jüngste, mach mir auf!“

Sie lief und wollte sehen, wer draußen wäre,

machte auf – der Frosch – schlug zu darauf.

Sie setzte sich wieder an die Tafel,

 

und ihr wurde angst, ihr Herz wollt’ pochen.

Der König sah, dass ihr das Herz stark klopfte,

und hat sanft zu seinem Kinde gesprochen:

„Mein Kind, was fürchtest du dich, steht etwa

ein Riese vor der Tür und will dich holen?“

„Ach nein“, antwortete sie, „es ist kein Riese,

ein tapsiger Frosch ist’s mit nassen Sohlen.“

„Was will der Frosch von dir?“ – „Ach, Vater,

ich bin gestern wieder zum Wald spaziert …“ –

und weiter erzählte sie die ganze Geschichte,

die ihr gestern dort war am Brunnen passiert.

„Weil er es verlangte, so versprach ich ihm,

er sollte mein Geselle werden hier im Haus;

ich dachte aber, er käme nie bis hierher

und vorher überhaupt aus dem Wasser raus.

Nun ist er draußen und will zu mir herein.“

Es klopfte wieder und rief – zu ihrer Pein:

„Königstochter, jüngste, mach mir auf,

weißt du nicht, was du hast zu mir gesagt

gestern bei dem kühlen Wasserbrunnen?

Mach mir auf!“ – Ja, das hat er sich gewagt!

Da sagte der König zu seiner Tochter:

„Das hab ich schon oft gesagt zu dir:

Was du versprachst, das musst du auch halten,

darum geh nur und öffne ihm die Tür.“

Sie ging und machte ihm die Türe auf,

da kam der Frosch schnell herein gehüpft,

bis zu ihrem Stuhl: „Heb mich herauf zu dir.“

Da ist ihr ein arges Schaudern entschlüpft.

Sie zauderte, bis es der König befahl.

Als der Frosch erst auf dem Stuhle war,

wollte er natürlich auch auf den Tisch

und in die Nähe ihres Tellers gar:

„Nun schieb mir deinen Teller näher,

dann können wir wohl zusammen dinieren.“

Das tat sie zwar, aber man sah sehr wohl:

Das kostete sie einiges Genieren.

Der Frosch dagegen langte ungeniert zu,

und er ließ es sich gut schmecken,

aber dem armen Königstöchterlein

blieb fast jeder Bissen im Halse stecken.

Endlich sprach er: „Ich bin sattgegessen,

nun lasst uns in deine Kammer bewegen

und mach dein seidenes Bettchen zurecht,

da wollen wir uns schlafen legen.“

Die Königstochter fing an zu weinen,

dazu auch noch der König grollte;

sie fürchtete sich vor dem kalten Frosch,

der in ihrem schönen Bett schlafen wollte.

Und bevor sie ihn mit den Fingern packte,

ward der König zornig, und er zu ihr sprach:

„Wer dir geholfen hat, als du in der Not warst,

den sollst du nicht verachten hernach.“

Sie trug ihn rauf und setzte ihn in eine Ecke.

Als sie im Bette lag, machte er Theater:

„Ich will schlafen wie du – heb mich herauf,

oder ich sag es deinem Vater!“

Da ward sie erst so richtig böse,

holte ihn rauf, warf ihn in roher Manier

und aus allen Kräften gegen die Wand:

„Nun hast du Ruhe, du garstiges Tier!“

Als er aber herabfiel, war er kein Frosch,

sondern ein Prinz und schön allemal.

Der war nun nach ihres Vaters Willen

ihr lieber Geselle und Gemahl.

Er erzählte ihr, er wäre verwünschet worden

von einer bösen Hexe, hässlich und klein,

und niemand hätte ihn erlösen können

aus dem Brunnen als sie allein.

Und morgen wollten sie beide zusammen

in sein Reich gehen. Dann schliefen sie,

und am andern Morgen schien die Sonne,

die weckte sie beide auf wie noch nie.

Dann kam ein Wagen herangefahren

mit acht weißen Pferden bespannt,

die hatten weiße Federn auf dem Kopf,

und hinten der Diener des Prinzen stand:

Der treue Heinrich hatte sich so betrübt,

die Froschwerdung seines Herrn tat ihm leid,

dass er drei eiserne Bande um sein Herz legte,

dass es ihm nicht zerspränge vor Traurigkeit.

Der Wagen sollte den Prinzen abholen

in sein Reich – Heinrich hob hinein nun beide,

stellte sich wieder hinten auf

und war über die Erlösung voll von Freude.

Und als sie ein Stück Wegs gefahren waren,

hörte der Prinz ein Krachen – ging was schief?

Ist da irgendetwas zerbrochen?

Da drehte er sich um und rief:

„Heinrich, Heinrich, der Wagen bricht!“

„Nein, mein Herr, der Wagen nicht;

es ist ein Band von meinem Herzen,

das da lag in großen Schmerzen,

als Ihr wart ein kalter nasser

glitschiger Frosch im Brunnenwasser.“

Noch zweimal krachte es auf dem Weg,

immer dacht der Prinz, es sei’n Wagenspangen,

doch es waren nur die eisernen Bande,

die vom Herzen des treuen Heinrichs absprangen.

Katze und Maus in Gesellschaft

Eine Katz und eine Maus lernten sich kennen,

die Katz wolle sein der Maus liebster Freund,

und sie wolle in einem Haus mit ihr leben,

in wirtschaftlicher Gemeinschaft vereint.

Die Maus, die willigte endlich ein,

so zogen sie zusammen, diese beiden.

„Doch für den Winter müssen wir vorsorgen“,

so die Katz, „sonst kämen uns Hungerleiden.

Die Katze tat weiter zur Maus sehr freundlich,

warnte vor Fallen – war sie nicht nett?

Wie besprochen, sorgten auch beide noch vor,

und sie kauften sich ein Töpfchen mit Fett.

Sie wussten aber nicht, wohin damit,

doch nach langer Überlegung sprach die Katz:

„Ich weiß keinen Ort, wo es sicherer wäre,

als die Kirche – ein geeigneter Platz;

da getraut sich niemand ’was wegzunehmen

von all den heiligen und gesegneten Gaben.

Wir stell’n es unter den Altar und rühren

es nicht eher an, als bis wir ’s nötig haben.“

So wurde das Töpfchen in Sicherheit gebracht.

Aber es dauerte gar nicht lange,

so trug die Katze Gelüste danach,

diese kamen immer mehr in Gange.

Sie sprach zur Maus: „Was ich dir sagen wollte,

ich erhielt von meiner Cousine, der frommen,

eine Bitte – sie brachte ein Söhnchen zur Welt –,

als Patin zu dessen Taufe zu kommen.

Weiß mit braunen Flecken ist das Fell

von dem zu taufenden Kindelein.

Lass mich heute dorthin ausgehen

und besorge du das Haus allein!“

„Ja, ja“, so antwortete das Mäuschen brav,

„geh in Gottes Namen zum fleckigen Kindlein!

Wenn du was Gutes isst, so denk an mich!

Ich tränk auch gern vom süßen roten Wein!“ –

Die Taufe jedoch war total erfunden.

Die Katze hatte auch keinerlei Base.

Und sie war auch nicht zur Patin gebeten –

alles war nur eine Lügenblase.

Sie ging geradenwegs nach der Kirche,

schlich zum Töpfchen auf allen Vieren

und leckte ab die fette Haut –

danach ging sie einfach spazieren

auf den Dächern der Stadt und anderswo,

streckte sich in der Sonne aus und lachte,

und wischte sich immer dann den Bart,

sooft sie an das Fetttöpfchen dachte.

Erst am Abend kam sie wieder nach Hause.

„Nun, da bist du ja wieder!“ sagte die Maus.

„Du hast gewiss einen lustigen Tag gehabt.“

„Es ging an“, kam aus der Katze heraus.

„Was bekam denn das Kind für einen Namen?“,

fragte die Maus sehr interessiert.

„Hautab“, antwortete die Katze sofort

vollkommen trocken und ungeniert.

„Hautab“, rief die Maus, „ein seltsamer Name!

Wie man bei euch nur nennt die Kinder!“

„Was ist dabei! Bei euch gibt’s „Bröseldiebe“,

unsere Namen sind auch nicht minder.“ –

Nicht lange danach überkam die Katze

wieder großer Appetit und Lust.

Sie sprach zur Maus: „Das Haus besorgen

ist das, was du nochmals tun musst.

Ich bin zum zweiten Mal als Patin gebeten,

weiße Ringe zier’n das Kind wie ein Kragen,

es ist so zierlich und quicklebendig,

so kann ich die Bitte nicht abschlagen.“

Die gute Maus willigte wieder ein,

die Katze aber schlich – o welch Graus –

hinter der Stadtmauer zu der Kirche

und fraß den Fetttopf nun halb aus.

„Es schmeckt nichts besser“, sagte sie,

„als was man selber isst und genießt“,

und war mit ihrem Tagewerk ganz zufrieden,

das sie sich hat mit dem Essen versüßt.

Als sie dann heimkam, fragte die Maus:

„Wie wurde denn dieses Kind genannt?“

„Halbaus“, antwortete die Katze schnell.

„Halbaus! Was du sagst – interessant!

Den Namen habe ich mein Leben lang

noch nicht gehört. Ich glaube und wette,

der steht weder in einem Namenskalender

noch an irgendeiner andern Stätte.“

Der Katze wässerte das Maul bald wieder

nach der fettigen Leckerei.

So sprach sie wieder zu der Maus:

„Aller guten Dinge sind drei.

Ich soll nun wieder Patin sein, das Kind

ist schwarz, hat an den Pfoten weiße Haare,

sonst hat es kein weißes Haar am ganzen Leib.

Das trifft sich nur einmal alle paar Jahre.

Du lässest mich doch wieder ausgehen?“

„Hautab, Halbaus“, antwortete die Maus,

„es sind seltsame Namen, die du nennst,

denkst du dir diese vielleicht nur aus?“

„Da sitzest du daheim in deinem Flausrock

und deinem langen Haarzopf, der absteht“,

sprach die Katze, „und du fängst Grillen.

Das kommt, wenn man bei Tag nicht ausgeht!“ –

Die Maus brachte das Haus in Ordnung,

die Naschkatze aber fraß den Fetttopf leer.

„Wenn erst alles aufgezehrt ist,

hat man Ruhe und es nicht mehr so schwer.“

Das sagte sie zu sich selbst und kam

satt und dick nach Haus in der Nacht Mitte.

Die Maus fragte wieder nach dem Namen,

den das Kind bekommen habe, das dritte.

„Er wird dir wohl auch nicht gefallen“,

sagte die Katze; „er heißt Ganzaus.“

„Ganzaus – das klinget sehr bedenklich“,

äußerte sich da erschrocken die Maus,

„gedruckt kam er mir bisher nicht vor.

Ganzaus! Was hat das für ein’n Sinn?“

Sie schüttelte den Kopf, rollte sich zusammen,

und legte sich zum Schlafen hin. –

Von nun an wollte niemand mehr

die Katze zur Patin bitten übers Jahr.

Schließlich kam der Winter heran,

so dass draußen nichts mehr zu finden war.

Da dachte die Maus an ihren Vorrat

und sprach: „Komm, Katze, lass uns laben

an unserm Fetttopf – es wird uns schmecken,

was wir uns da aufgesparet haben!“

„Jawohl“, erwiderte darauf die Katze,

„der wird dir wahrhaftig schmecken,

als wenn du deine feine Zunge

zum Fenster hinaus würdest strecken.“ –

Sie machten sich gleich auf den Weg,

sie langten an: ganz allein stand er;

zwar war der Topf noch an seinem Platz,

jedoch – ach – war er leider leer.

„Ach“, sprach die Maus, „jetzt merke ich,

was geschehen ist, jetzt kommt’s an den Tag.

Du bist mir eine wahre Freundin!

Aufgefressen hast du alles ohne Frag’!

Während du behauptet hattest,

als Gevatter zu stehen deinen Mann,

da hast du’s einfach aufgezehrt,

erst Haut ab, dann halb aus, schließlich dann …“

„Willst du schweigen!“ rief die Katze.

„Noch ein Wort, und ich fresse dich auf!“

„Ganz aus“, hatte die arme Maus

schon auf ihrer Zunge drauf.

Kaum war dieses ausgesprochen,

tat die Katze einen Satz nach ihr,

packte sie und schlang sie hinunter.

So ist die Welt. Es treibt nur die Gier.

Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen

Ein Vater hatte einst zwei Söhne,

der älteste davon war klug und gescheit,

doch der jüngste aber war dumm,

und war darum dem Vater bald leid.

Der Jüngste begriff und lernte nichts,

 

die Leute ihre Kommentare dazu gaben:

„Mit dem wird der Vater wahrlich

noch eine große Belastung haben!“

War etwas zu tun, musst der Große es richten;

war etwas zu tun spät oder gar in der Nacht,

und kreuzte der Weg dabei den Friedhof,

hat der Große klagend hervorgebracht:

„Ach nein, mein Vater, ich gehe nicht dahin,

es gruselt mir!“ – Denn er fürchtete sich.

Oder wenn man abends Geschichten erzählte,

bei denen einem Schauder beschlich,

so sprachen die Zuhörer manchmal aus:

„Ach, mich überkommen Grusel und Schauer!“

Der Jüngste saß in einer Ecke und hörte das,

begriff nichts, wurde daraus nicht schlauer:

„Immer sagen sie, es gruselt mir!

Mir gruselt’s nicht, nicht in Finger oder Zehe.

Das wird wohl eine hohe Kunst sein,

von der ich wohl auch nichts verstehe.“ –

Es geschah, dass der Vater einmal zu ihm sagte:

„Hör, du in der Ecke dort, du meine Not,

du wirst groß, du musst auch etwas lernen,

womit du verdienen musst dein Brot.

Siehst du, wie dein Bruder sich Mühe gibt,

aber an dir ist Hopfen und Malz verloren.“

„Vater“, sprach der, „ich will gern was lernen“,

hat er ihn daraufhin beschworen.

„Wenn’s hier anginge, so möchte ich lernen,

dass mir’s gruselte, am Tag oder in der Nacht;

denn davon verstehe ich noch gar nichts.“

Sein ältester Bruder hat daraufhin gelacht.

Der dachte bei sich: ‚Du lieber Gott,

was ist mein Bruder für eine Kanaille,

aus dem wird wohl sein Lebtag nichts,

so kriegt man niemals irgendeine Medaille.

Was ein Häkchen werden will,

muss sich krümmen und Faulheit entfernen.‘

Der Vater seufzte und antwortete ihm:

„Das Gruseln, das sollst du schon lernen.

Aber Brot wirst du damit nicht verdienen.“ –

Bald danach kam der Küster zu Besuch ins Haus.

Da klagte der arme Vater ihm seine Not,

mit dem Jüngsten wüsste er nicht ein noch aus.

Dieser Sohn sei überall so schlecht beschlagen,

er wüsste nichts, sieht nur „nach den Sternen“.

„Denkt Euch, als ich ihn einst befragte,

hat er gar verlangt, das Gruseln zu lernen!“

„Wenn’s weiter nichts ist“, so sprach der Küster,

„das kann er lernen gleich bei mir;

tut ihn nur zu mir, ich werd’ ihn abhobeln,

er soll gezähmt werden wie ein Tier.“ –

Der Vater war es zufrieden, weil er dachte:

,Der Junge wird doch ein wenig zugestutzt.‘

Der Küster nahm ihn also ins Haus,

zum Glockenläuten hat er ihn „genutzt“.

Nach ein paar Tagen weckte er ihn,

um Mitternacht hieß er ihn aufzustehen,

in den Kirchturm zu steigen und zu läuten,

wo rau und kalt die Winde wehen.

‚Du sollst schon lernen, was Gruseln ist‘,

dacht’ er, ging heimlich voraus in Eile;

der Junge, der war auch bald oben,

wollt ergreifen das Glockenseile.

Doch sah er dem Schallloch gegenüber

eine weiße Gestalt, die fuchtelte unentwegt.

„Wer da?“ rief er, doch die Gestalt blieb leise,

hat sich dann nicht mehr geregt oder bewegt.

„Gib Antwort“, rief ganz laut der Junge,

„oder schere dich von hier fort,

du hast hier in der Nacht nichts zu schaffen,

besonders nicht hier an diesem Ort!“

Der Küster aber blieb unbeweglich stehen,

das Kind sollt glauben: ‚Ein Gespenst, gefährlich!‘

Der Junge rief zum zweiten Mal:

„Was willst du hier? Gestehe, sei ehrlich!

Oder ich werfe dich die Treppe hinab.“

Der Küster dacht, das kann gar nicht sein.

So gab er keinen Laut von sich

und stand, als wäre er von Stein.

Da rief ihn der Junge zum drittenmal an –

auf Reaktionen wartete er wieder vergeblich,

da nahm er Anlauf, stieß das Gespenst hinab –

und es jammerte und heulte kläglich.

Er ließ es in einer Ecke liegen, läutete,

ging zu seinem heimatlichen „Hafen“,

legte sich, ohne ein Wort zu sagen, ins Bett

und ist darauf bald eingeschlafen. –

Die Küsterfrau wartete lange auf ihr’n Mann,

er wollte nicht kommen, die Angst an ihr nagte.

Da ging sie los, weckte den Jungen,

und laut erschaudernd sie ihn fragte:

„Weißt du nicht, wo mein Mann nur blieb?

Er ist vor dir auf den Turm gestiegen.“

„Nein“, antwortete darauf der Junge,

„doch da stand einer, der hat nur geschwiegen.

Er stand dem Schallloch gegenüber,

schwieg und ging nicht weg vom Fleck,

so hielt ich ihn für einen Spitzbuben

und stieß ihn von dort einfach weg.

Geht nur hin, so werdet Ihr sehen,

ob er’s war, es tät mir leid seine Pein.“

Die Frau sprang fort und fand ihren Mann,

der da lag mit gebrochenem Bein.

Sie trug ihn herab, eilte schreiend zum Vater:

„Euer Junge tat große Schweinerei,

meinen Mann hat er die Treppe hinabgeworfen,

nun ist ein Knochen in dessen Bein entzwei.

Schafft den Taugenichts ganz schnell,

so schnell wie möglich aus unserm Haus raus!“

Der Vater erschrak, kam herbeigelaufen

und schalt sofort den Jungen aus:

„Was sind das nur für gottlose Streiche …“

So sprach er voller Zorn und ungeduldig.

„Vater“, antwortete er, „hört mich nur an,

ich bin ganz und gar unschuldig.

Er stand in der Nacht wie einer, der Böses

im Sinn hat, ich wusste nicht, was er plant.

Und wer es war – ‚Reden oder Gehen!‘ –

so habe ich ihn dreimal ermahnt.“

Der Vater sprach: „Du bringst mir nur Unglück,

was habe ich da nur für ein Kind!

Ich will dich nicht mehr sehen – geh,

geh mir aus den Augen geschwind!“

„Ja, Vater, recht gerne, wartet nur bis Tag ist,

da will ich ausgehen und das Gruseln lernen,

so versteh ich doch dann eine Kunst,

die mich ernährt, so kann ich mich entfernen.“

„Lerne, was du willst“, sprach der Vater,

„mir ist es gleich, hier hast du Geld.

Damit mache dich nun fort von hier

und gehe in die weite Welt.

Und sage keinem Menschen, wo du her bist,

oder wo deine Verwandten her kämen.

Und vor allem nicht, wer dein Vater ist,

denn ich muss mich deiner schämen.“ –

Als später der Tag angebrochen war,

war für den Jungen Verabschiedungstermin.

Fünfzig Taler nahm er, ging auf die Straße:

„Wenn mir’s nur gruselte“, sagte er vor sich hin.

Da kam ein Mann herzu, der dies hörte –

es hörte sich wohl ganz seltsam an.

Ein Stück weiter war ein Galgen zu sehen,

da sagte zu ihm darauf der Mann:

„Siehst du, dort ist der Baum, wo Siebene

sich vom Seiler nicht konnten entfernen.

Setz dich darunter und wart bis zur Nacht,

so wirst du schon noch das Gruseln lernen.“

„Wenn weiter nichts dazu gehört,

so lern ich leicht wohl dieses Pläsir,

lerne ich aber so geschwind das Gruseln,

so sollst du die fünfzig Taler haben von mir.“

Da ging der Junge zu dem Galgen hin,

setzte sich darunter, wartete wie ein Mann,

bis der Abend kam, und weil ihn fror,

machte er sich ein Feuer an.

Aber um Mitternacht ging der Wind so kalt,

trotz des Feuers blieb er kalt und schwer.

Und als der Wind die Gehenkten wirbelte,

so dass sie sich stießen, dachte er:

Du frierst hier unten bei dem Feuer,

die da oben zappeln, sie wird Kälte erreichen.

Mitleidig legte er die Leiter an,

knüpfte los alle sieben Leichen.

Er setzte sie um das Feuer herum,

schürte das Feuer und ließ das Holz „krachen“.

Aber sie saßen da und regten sich nicht,

und das Feuer ergriff ihre Kleidungssachen.

Da sprach er: „So nehmet euch doch in acht,

sonst hänge ich euch wieder hinauf.“

Die Toten aber hörten nicht, schwiegen –

das Brennen ihrer Lumpen nahm seinen Lauf.

„Gebt ihr nicht acht, helfe ich euch nicht“,

so hörte man ihn lauthals toben.

„Ich will doch nicht mit euch verbrennen!“

Und so hing er sie wieder nach oben.

Nun setzte er sich zu seinem Feuer

und schlief ein in des Galgens Graben.

Am andern Morgen kam der Mann zu ihm

und wollte die fünfzig Taler haben.

Er sprach: „Nun, weißt du, was Gruseln ist?“

„Nein“, sprach er, „woher sollte ich’s wissen?

Die da droben schwiegen und waren so dumm,

dass sie ihre alten Lappen brennen ließen.“

Die fünfzig Taler wird er wohl nicht kriegen,

dachte der Mann daraufhin beklommen.

Er ging schließlich fort und sprach zu sich:

„So einer ist mir noch nicht vorgekommen.“ –

Der Junge ging auch seines Weges

und fing wieder an, vor sich hin zu reden:

„Ach, wenn mir’s doch nur gruselte!“

So laut, als ob dies bestimmt wär für jeden.

Das hörte ein Fuhrmann, der hinter ihm ging,

fragte: „Wer bist du?“ – „Ich weiß nicht.“

Der Fuhrmann fragte weiter: „Wo bist du her?“

„Keine Ahnung“, sprach der Junge ihm ins Gesicht.

Der Fuhrmann fragte: „Wer ist dein Vater?“

„Das, das darf ich niemandem sagen.“

„Was brummst du beständig vor dich hin?“

„Ei“, sprach der Junge, „ich könnte verzagen.

Ich wollte, dass es mir gruseln würde,

aber niemand kann mir lehren solch Sachen.“

„Lass dein dummes Gerede“, so der Fuhrmann,

„geh mit mir, vielleicht lässt sich was machen.“

Der Junge ging mit dem Fuhrmann weiter,

abends gelangten sie zu einem Wirtshaus,

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