Das Dekameron

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Aus der Reihe: Literatur (Leinen)
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FÜNFTE NOVELLE

Die Marquise von Montferrat straft und verspottet die törichte Liebe des Königs von Frankreich zu ihr, indem sie ihm ausschließlich Hühnergerichte vor- und einige treffende Worte versetzt.

Indem Dioneo seine Geschichte erzählte, überzog zuerst eine kleine züchtige Schamröte die Wangen der Zuhörerinnen, als ein Beweis ihres Zartgefühls; wie aber bald darauf ihre Blicke sich einander verstohlen begegneten, lächelten sie und sie konnten sich kaum des Lachens enthalten, indem sie sie bis ans Ende anhörten. Hernach gaben sie ihm jedoch durch einige spöttische Worte zu erkennen, dass dergleichen Geschichten nicht in Gegenwart von Damen erzählt werden sollten. Nun gab die Königin Fiametten, die neben ihm im Grase saß, einen Wink, der Ordnung gemäß im Erzählen fortzufahren, die demnach, mit sittsamer Freundlichkeit ihren Blick auf die Königin richtend, anfing:

Nicht nur deswegen, weil wir auf den Einfall geraten sind, in unseren Erzählungen die Wirkung treffender, schlagfertiger Antworten zu zeigen, sondern auch darum, weil es von den Frauen ebenso verständig gehandelt ist, den Zumutungen der Männer von höherem Stande zu widerstehen, als von den Männern, nach der Liebe solcher Damen zu streben, die von vornehmerer Geburt sind als sie, so bin ich gesonnen, liebe Freundinnen, euch in der Erzählung, die mir obliegt, zu zeigen, wie eine edle Frau durch Handlung und Rede sich vor einer solchen Zumutung bewahrte und den Mann auf andere Gedanken gebracht hat. Der Marquis von Montferrat, ein Held und Bannerträger der Kirche, war auf einem Kreuzzuge der Christen übers Meer gezogen. Als nun von seiner Tapferkeit am Hofe des Königs von Frankreich, Philipps des Einäugigen, vieles gesprochen ward, der sich eben auch zu dem Kreuzzuge rüstete, so sagte auch unter anderem einer von den anwesenden Rittern, es gebe kein so vortreffliches Paar unter dem weiten Himmel als den Marquis und seine Gemahlin. Denn so wie der Marquis unter den Männern wegen jeder ritterlichen Tugend der berühmteste sei, so behaupte seine Gemahlin von allen Frauen der Welt den Vorzug der Schönheit und Liebenswürdigkeit. Diese Worte machten auf den König solchen Eindruck, dass er, ohne die Marquise jemals gesehen zu haben, sich auf einmal sterblich in sie verliebte. Er nahm sich deswegen vor, sich auf dem bevorstehenden Kreuzzuge in Genua einzuschiffen, damit er auf der Reise dahin eine schickliche Gelegenheit hätte, sie zu besuchen. Er schmeichelte sich, während der Abwesenheit ihres Gemahls vielleicht seinen Endzweck bei ihr zu erreichen. Er schickte demnach alle seine Leute voraus und machte sich selbst mit wenigen Edelleuten auf den Weg. Wie er sich dem Gebiete des Marquis näherte, ließ er der Dame einen Tag vorher melden, dass sie ihn am folgenden Tage zur Mahlzeit erwarten möchte. Als eine kluge und verständige Frau gab sie mit Freundlichkeit zur Antwort: Sie schätze sich‘s zur großen Ehre, und der König solle ihr willkommen sein. Und nun sann sie nach, was es wohl bedeute, dass ein so hoher Herr während der Abwesenheit ihres Mannes zum Besuch zu ihr käme, und sie irrte sich nicht, indem sie sich einbildete, dass der Ruf ihrer Schönheit ihn herbeigelockt. Nichtsdestoweniger traf sie Vorbereitungen, ihn zu empfangen, wie es einer verständigen Frau geziemt. Sie ließ die redlichen, braven Männer, die bei ihr geblieben waren, zu sich rufen und beratschlagte mit ihnen über alle Anstalten, die gemacht werden müssten; doch behielt sie sich vor, das Mittagsmahl und die Reihenfolge der Speisen ganz allein nach ihrem Sinn anzuordnen. Sie ließ hierauf so viele Hühner zusammenbringen, als sie in der Gegend auftreiben konnte, und befahl ihren Köchen, diese allein auf die verschiedensten Arten für das königliche Mahl zuzurichten. Der König kam zur bestimmten Zeit und ward von der Marquise sehr festlich empfangen. Indem er sie sah, deuchte sie ihm noch unendlich schöner, sittsamer und liebenswürdiger, als er sie sich nach der Beschreibung des Ritters gedacht hatte; er betrachtete sie mit der höchsten Bewunderung und überhäufte sie mit Lobsprüchen, indes seine Liebe desto mehr zunahm, je mehr er fand, dass die Marquise seine Erwartungen übertraf. Nachdem er eine Zeitlang in den Gemächern geruht hatte, die auf eine seiner würdige Art ausgeschmückt waren, und die Stunde des Mittagsmahles herannahte, setzte sich die Marquise mit ihm an eine besondere Tafel, und die übrigen Herren wurden an anderen Tischen bewirtet. Dem Könige wurden herrlich zubereitete Speisen und köstliche Weine vorgesetzt, und überdies gewährte ihm der Anblick der liebenswürdigen Wirtin unbeschreibliches Vergnügen. Wie jedoch ein Gericht nach dem andern aufgetragen ward, fing der König endlich an, sich zu verwundern, dass sie zwar auf verschiedene Art zubereitet waren, aber alle aus lauter Hühnerfleisch bestanden. Da er nun wusste, dass es in der Gegend, wo er sich befand, nicht an allerlei Wildbret fehlen konnte, und da die Marquise zeitig genug von seiner Ankunft unterrichtet gewesen, um etwas aufjagen zu lassen, so nahm ihn das zwar desto mehr wunder, doch wollte er von keiner andern Sache Anlass nehmen, sie zur Sprache zu bringen, als bloß von ihren Hühnern. Er fragte sie demnach mit lachendem Munde: „Verehrte gnädige Frau, gibt es denn hierzulande nur Hühner und nicht einen einzigen Hahn?“ Die Marquise, welche die Frage vollkommen verstand und glaubte, der Himmel schicke ihr die gewünschte Gelegenheit, dem Könige merken zu lassen, wie sie gesinnt wäre, gab ihm freimütig zur Antwort: „Nein, gnädiger Herr, aber die Weiber sind hier ebenso beschaffen wie anderswo, wenn sie sich gleich durch Rang und Kleidung ein wenig von anderen unterscheiden.“

Wie der König diese Worte hörte, erklärte er sich leicht die Absicht mit den Hühnergerichten und den versteckten Sinn der Rede und ward zugleich inne, dass es vergebens sein würde, sich mit solch einer Frau in einen Wortstreit einzulassen, und dass hier von Gewalt nicht die Rede sein könne. Daher er denn, sowie er sich unbedachtsamerweise in sie verliebt hatte, es nun für das Weiseste hielt, um seiner eigenen Ehre willen die unzeitige Flamme wieder zu ersticken. Ohne demnach der Dame weiter mit Reden zuzusetzen, weil er sich vor ihren Antworten fürchtete, endigte er seine Mahlzeit, ohne sich weiter Hoffnung zu machen, und damit er durch einen schnellen Aufbruch seinen unziemlichen Besuch wieder gut mache, so dankte er ihr für die gute Aufnahme. Er empfahl sie Gott und reiste nach Genua.

SECHSTE NOVELLE

Ein wackerer Mann beschämt mit einem hübschen Witzwort die heuchlerische Scheinheiligkeit der Mönche.

Der Freimut und die artige Zurechtweisung des Königs von Frankreich durch die Marquise fand allgemeine Zustimmung. Nun nahm Emilia, die neben Fiametta saß, dem Wunsch der Königin gemäß mit Munterkeit folgendermaßen das Wort:

So will ich euch denn ebenfalls nicht verschweigen, wie einst ein wackerer Mann ebenso scherzhaft wie treffend einem geizigen Mönch eins hinter die Ohren gab.

Es war einmal vor nicht gar langer Zeit, liebe Mädchen, ein Bruder Minorit in Florenz Inquisitor der ketzerischen Gräuel, der sich zwar gern das Ansehen der Heiligkeit und des Eifers für die christliche Religion gab (wie sie es alle tun), aber sich nicht minder darauf verstand, den vollen Säckeln auf die Spur zu kommen, als den glaubensleeren Herzen; und vermöge dieser Tätigkeit war ihm einmal ein Ehrenmann in die Klauen geraten, der weit größeren Überfluss an Reichtümern besaß als an Verstand. Dieser hatte nämlich einst, nicht aus Gottlosigkeit, sondern, um frei heraus zu reden, vielleicht vom Weine oder vom Rausch der Fröhlichkeit ein wenig mitgenommen, zu einem von seiner Tischgesellschaft gesagt, er habe einen Wein, der so gut sei, dass ihn Christus selbst trinken würde. Dies ward dem Inquisitor hinterbracht, der wusste, dass der Mann vermögend und seine Börse wohlgefüllt war, daher er cum gladis et fustibus über ihn herfiel und ihm einen fürchterlichen Prozess machte, nicht sowohl, um ihm seinen Unglauben auszutreiben, als um seine Goldgülden in seine Hände zu bekommen. Er ließ ihn vorladen und fragte ihn, ob dasjenige wahr wäre, dessen er beschuldigt würde. Der ehrliche Mann gestand es ein und erzählte dem Inquisitor, wie er dazu veranlasst worden. Aber der fromme Inquisitor, als ein würdiger Geweihter des heiligen Johannes mit dem goldenen Barte, fuhr ihn an: „So willst du Christus zu einem Säufer machen, der nach Weinen lüstern wäre wie einer von euch verkommenen Kneipenhockern und Trunkenbolden? Und nun meinst du mit glatten Worten durchzukommen und das Ding auf die leichte Achsel zu nehmen? Aber es ist nicht so leicht, wie du dir‘s einbildest; du hast den Scheiterhaufen damit verdient, wenn wir dich so strafen wollten, wie wir wohl sollten.“

Mit dergleichen und andern bittern Vorwürfen setzte er ihm zu, als wäre er Epikur in eigener Person, der die Unsterblichkeit der Seele leugnet. In der Tat erschreckte er ihn so sehr, dass der arme Mann durch gewisse Mittelspersonen ihm die Hände mit einer tüchtigen Quantität Fett des heiligen Johann Goldmund schmieren ließ. Diese Salbe bewährt sich trefflich bei der Habsucht der Pfaffen, besonders der Minoriten, die kein Geld anrühren dürfen, wenn sie aber mit der Salbe geschmiert sind, barmherzig wie die Engel mit einem verfahren. Die Salbe, die sehr wirksam ist, obgleich Galenus in seinen Schriften nichts davon erwähnt, schlug so gut an, dass der Scheiterhaufen in ein Kreuz verwandelt ward, und zwar gab er ihm ein gelbes in schwarzem Felde, als wollte er ihn zu einer Kreuzfahrt übers Meer mit einem recht schönen Panier versehen. Überdies behielt er ihn nach dem Empfang des Geldes noch einige Zeit bei sich und legte ihm die Buße auf, dass er alle Morgen die Messe zum heiligen Kreuze hören und sich hernach zur Mittagsstunde bei ihm vorstellen musste, wogegen er mit der übrigen Tageszeit anfangen durfte, was immer er wollte. Jener richtete treulich aus, was ihm auferlegt war, und da traf es sich eines Morgens bei der Messe, dass in dem Evangelium die Worte abgelesen wurden: Es wird euch alles hundertfältig vergolten werden, und ihr werdet das ewige Leben haben. Diese Worte schrieb er sich ins Gedächtnis und erschien, dem Befehle gemäß, um die Mittagsstunde vor dem Inquisitor, der schon bei Tische saß. Dieser fragte ihn, ob er des Morgens die Messe gehört habe.

 

„Ja, Hochwürden“, war die Antwort.

„Ist dir nichts dabei vorgekommen, woran du einige Zweifel hättest und mich darüber befragen möchtest?“

„Nichts“, sprach der gute Mann. „Ich zweifle an keinem, das ich gehört habe, sondern glaube alles fest und gewiss. Aber eine Sache habe ich gehört, die mir leid ist um Euretwillen und wegen aller Eurer Mitbrüder, wenn ich an den unglücklichen Zustand denke, der Euch in jener Welt erwartet.“

„Wie lauteten denn die Worte, die dich so zum Mitleid mit uns bewegten?“ fragte der Minorit.

„Es waren die Worte des Evangeliums: Es wird euch alles vergolten werden hundertfältig.“

„So steht in der Schrift geschrieben“, sprach der Inquisitor, „aber warum haben dich diese Worte so sehr bewegt?“

„Ich werd‘s Euch sagen, hochwürdiger Herr! Seitdem ich hier aus- und eingehe, habe ich täglich gesehen, dass eine Menge armer Leute bald einen, bald mehrere Kessel Suppe hier abholen, die als überschüssig von Eurer Tafel und der der übrigen Brüder weggeräumt werden. Wenn Ihr nun für jeden Kessel Suppe hundert in jener Welt wiederbekommt, so müsst Ihr ja alle darin ersaufen.“ Hierüber lachten nun zwar alle, die an des Inquisitors Tafel saßen, er selbst aber, der wohl spürte, dass diese Stichelei auf ihre infame heuchlerische Suppenspende abziele, verfärbte sich ganz, und wenn er nicht gefürchtet hätte, dass dieser Vorgang ihm keine Ehre machen würde, so hätte er dem Spötter einen neuen Prozess aufgehalst, weil er mit seinem witzigen Einfall ihn und die anderen faulen Bäuche aufgezogen hatte. Übelgelaunt befahl er ihm zu gehen, wohin er wolle, und ihm nur nicht wieder vor die Augen zu kommen.

SIEBENTE NOVELLE

Bergamino beschämt Herrn Cane della Scala auf eine feine Art wegen einer plötzlichen Anwandlung von Geiz, indem er ihm die Geschichte vom Primasseau und von dem Abte zu Cligny erzählt.

Emiliens Geschichte und ihre muntere Art zu erzählen gab der Königin und der ganzen Gesellschaft genug Anlass zum Lachen, und man lobte den komischen Einfall des Kreuzträgers. Wie aber das Lachen vorüber und alles wieder still war, fing Filostrato, den die Reihe traf, folgendermaßen an zu reden:

Es ist zwar recht schön, meine trefflichen Damen, ein Ziel zu treffen, das an einem festen Ort steht, allein es ist viel mehr zu bewundern, wenn ein Bogenschütze, der etwas Unerwartetes plötzlich erblickt, es auch sogleich trifft. Dass das lasterhafte und abscheuliche Leben der Geistlichen als ein immerwährendes Ziel der Lasterhaftigkeit dasteht, bietet einem jeden, dem es beliebt, einen leichten Anlass dar zum Afterreden, Sticheln und Tadeln, und obwohl der Ehrenmann ganz recht hatte, der dem Inquisitor die heuchlerische Mildtätigkeit seiner Brüder vorwarf, die den Armen das geben, was sich nur für die Schweine oder zum Wegwerfen schickt, so scheint mir doch der noch mehr Beifall zu verdienen, von dem ich euch, durch die vorhergehende Geschichte veranlasst, jetzt erzählen will; indem er den Herrn Cane della Scala, einen sonst freigebigen Mann, wegen einer bei ihm unerhörten plötzlichen Anwandlung von Geiz durch eine artige Geschichte strafte, in der er ihm unter fremdem Namen das vorstellte, was eigentlich sie beide selbst betraf.

Messer Cane della Scala, ein Mann, den das Glück auf mancherlei Weise begünstigt hatte, war, wie die Sage fast überall geht, einer von den vornehmsten und hochherzigsten Herren, die es seit Kaiser Friedrichs II. Zeit in Italien gegeben hat. Als dieser einst in Verona ein überaus prächtiges und Aufsehen erregendes Fest angesetzt hatte und schon von allen Orten und Gegenden, besonders vom Hofe, Gäste von vielerlei Stand und Würden sich einstellten, besann er sich plötzlich – weiß der Teufel, warum – eines andern, sorgte einigermaßen für diejenigen, die gekommen waren, beschenkte und entließ sie. Nur ein gewisser Bergamino, ein Mann, von dessen schlagfertiger und zierlicher Beredsamkeit man sich, ohne ihn gehört zu haben, keinen Begriff machen konnte, blieb allein unbeschenkt zurück, ohne seinen Abschied zu erhalten, doch blieb er in der ausgesprochenen Absicht, in der Folge schon noch auf seine Kosten zu kommen. Allein Herrn Cane hatte es gedeucht, dass alles, was er an ihm täte, nicht besser angewandt wäre, als wenn er es ins Feuer würfe. Indessen sagte er selbst ihm nichts davon und ließ ihm auch nichts sagen. Da Bergamino nach Verlauf einiger Zeit sah, dass er weder eingeladen, noch eine Probe seiner Kunst von ihm begehrt wurde, und dass er übrigens mit seinen Dienern und Pferden in der Herberge sein Geld verzehrte, fing er an, missvergnügt zu werden; doch wartete er noch immer, weil er es nicht für ratsam hielt, sich zu entfernen. Er hatte drei schöne, kostbare Kleider, die ihm andere Herren geschenkt hatten, mitgebracht, um mit Ehren bei dem Feste erscheinen zu können. Wie nun sein Wirt Geld haben wollte, gab er ihm zuerst eins von den Kleidern in Bezahlung, und wie er noch länger verweilen musste, war er auch genötigt, das zweite herzugeben, wenn er in seinem Quartier bleiben wollte. Endlich fing er auch an, auf das dritte Kleid Kredit zu nehmen, entschlossen auszuharren, solange dies hinreichte, und dann zurückzureisen. Indem er nun noch an diesem letzten Kleide zehrte, traf es sich eines Tages, da eben Messer Cane an der Mittagstafel saß, dass er mit ziemlich bekümmerter Miene ihm gerade gegenüber stand. Messer Cane, der dieses gewahr ward, fragte ihn, mehr um ihn zu foppen, als um eines seiner bekannten Bonmots zu hören: „Bergamino, was fehlt dir? Du siehst ja so niedergeschlagen aus, erzähle uns doch etwas.“

Bergamino, ohne sich einen Augenblick zu bedenken, gab ihm auf der Stelle durch folgende Erzählung seine Lage zu erkennen.

„Ihr werdet wohl wissen, Herr, dass Primasso ein trefflicher Grammatiker und ein vor vielen anderen berühmter und geschickter Dichter war, weswegen er bald überall so geschätzt und geehrt ward, dass, obwohl ihn nicht ein jeder persönlich kannte, doch fast kein Mensch war, der von seinem Namen und seinem Ruf nicht schon gehört hätte. Nun traf es sich einmal, dass er sich in einem ärmlichen Aufzuge in Paris aufhielt (wie denn sein Talent, das nur wenig Unterstützung bei vermögenden Leuten fand, ihm selten einen besseren Zustand verschaffte), wo er von dem Abte zu Cligny reden hörte, von welchem man glaubte, dass er unter allen Prälaten der Kirche Gottes, den Papst ausgenommen, die größten Einkünfte besaß. Von diesem erzählte man ihm Wunderdinge, beschrieb seine Hofhaltung in den buntesten Farben, und dass man es keinem, der zu ihm käme, an Speise und Trank fehlen ließe, wenn er sich nur bei dem Abt selbst zur Tafelzeit meldete. Als Primasso dies hörte, der immer ein Vergnügen darin fand, ausgezeichnete Männer und hohe Herren kennenzulernen, entschloss er sich, hinzugehen und die hochherzige Freigebigkeit des Abtes in Augenschein zu nehmen. Er erkundigte sich, wie weit von Paris er wohne, und erfuhr, dass er sich nur etwa sechs Meilen davon auf einem seiner Landgüter aufhalte, sodass Primasso rechnete, wenn er des Morgens zeitig aufbreche, dass er um die Mittagszeit dort eintreffen könne. Er ließ sich den Weg sagen, doch weil er niemanden hatte, der ihn begleitete, so besorgte er, dass er vielleicht irregehe und an einen Ort kommen möchte, wo er nicht leicht ein Mahl fände; um nun also nicht Hunger zu leiden, fand er für gut, drei Brote mit sich zu nehmen, denn Wasser, dachte er, fände sich wohl allenthalben, wiewohl er sonst eben kein Liebhaber davon war. Die Brote steckte er in die Tasche, machte sich auf den Weg und wanderte so rasch, dass er noch vor der Mittagszeit in dem Landhause des Abtes eintraf. Er ging hinein und sah sich allenthalben um, und wie er die Menge der gedeckten Tafeln, die großen Anstalten in der Küche und alles Übrige staunend betrachtete, was Bezug auf das Mittagsmahl hatte, dachte er bei sich selbst: ‚Wahrlich, der Abt ist so gastfrei, wie man‘s ihm nachsagt.‘ Indem er seinen Geist mit alledem beschäftigte, ließ der Haushofmeister Wasser zum Händewaschen bringen, worauf sich ein jeder zu Tische setzte. Es traf sich, dass Primasso gerade der Tür gegenüber zu sitzen kam, durch die der Abt hereintreten musste, um zur Tafel zu gehen. Nun war es an seinem Hofe Brauch, weder Brot noch Wein noch etwas anderes zu essen oder zu trinken aufzutragen, bis der Abt kam und sich setzte. Wie demnach der Haushofmeister die Gäste gesetzt hatte, ließ er dem Abte sagen, das Essen sei, wenn er es befehle, zum Anrichten fertig. Der Abt ließ die Tür seines Gemachs öffnen, um in den Speisesaal zu gehen, und es traf sich, dass Primasso ihm zuerst in die Augen fiel. Da er ihn in einem sehr armseligen zerlumpten Gewande erblickte und ihn von Person nicht kannte, so kam er auf einen schlechten Gedanken, der ihm sonst noch nie eingefallen war: „Sieh mal an, was für Gesindel ich da bewirten soll!“ Damit kehrte er um und befahl, die Tür wieder zu schließen, indem er zugleich diejenigen, die um ihn waren, fragte, ob jemand von ihnen den Landstreicher kenne, der der Tür seines Gemaches gegenübersäße. Alle verneinten. Primasso, der anfing zu hungern, langte inzwischen ein Brot aus der Tasche und begann zu essen. Wie der Abt ein wenig gewartet hatte, befahl er einem von seinen Leuten, zu sehen, ob der Fremde weggegangen sei. ‚Hochwürden, nein‘, war die Antwort, ‚und er isst Brot, das er wohl muss mitgebracht haben.‘ ‚Gut‘, sprach der Abt, ‚wenn er eigenes Brot hat, so mag er‘s essen, von dem meinigen soll er nichts bekommen.‘ Er hätte nun gern gesehen, dass Primasso von selbst wieder fortgegangen wäre, denn ihn hinausweisen zu lassen hielt er denn doch für unziemlich. Primasso hatte unterdessen ein Brot verzehrt, und wie der Abt noch nicht kam, fing er an, das zweite zu essen. Dies ward ebenfalls dem Abte gemeldet, welcher wieder hingeschickt hatte, zu sehen, ob er noch nicht weggegangen wäre. Endlich, wie der Abt noch immer ausblieb, begann er auch bei dem dritten, welches abermals der Abt erfuhr, der darauf in sich ging und dachte: „Welch ein neuer Einfall ist mir heut in den Sinn gekommen? Welch ein Geiz, welch ein Unmut, und um wessentwillen? Ich habe seit vielen Jahren von dem Meinigen einem jeden zu verzehren gegeben, der Lust dazu hatte, ohne darauf zu sehen, ob er Edelmann oder Bauer, arm oder reich, Kaufmann oder Beutelschneider wäre, und mancher Schlingel hat mir‘s vor meinen Augen verprasst, ohne dass mir so was jemals eingefallen wäre; und heute muss mir das mit diesem Menschen begegnen? Wahrlich, der Geiz kann mich nicht um eines gleichgültigen Menschen willen angewandelt haben. Dieser, der mir wie ein Bettler vorkommt, muss ein Mann von Bedeutung sein, weil ich einen so sonderbaren Widerwillen fühlte, ihn zu bewirten.‘ Er verlangte nun durchaus zu wissen, wer der Mann wäre, und wie er erfuhr, dass es Primasso war, den er dem Namen nach schon längst als einen verdienten Mann kannte und der gekommen war, um seine Gastfreiheit, die man ihm gerühmt hatte, zu sehen, schämte er sich, und aus Eifer, es wieder gutzumachen, bestrebte er sich, ihn aufs Beste zu bewirten. Nach Tische ließ er ihn auf eine seinen Verdiensten angemessene Art prächtig kleiden, gab ihm Geld und ein schön aufgezäumtes Pferd und ließ ihm freien Willen, zu bleiben oder heimzugehen. Primasso war erfreut darüber, dankte dem Abte aufs Angelegentlichste und ritt auf einem schönen Gaul nach Paris zurück, woher er zu Fuße gekommen war.“

Messer Cane, als ein scharfsinniger Mann, verstand ohne weitere Erklärung vollkommen, was Bergamino sagen wollte, und sprach lächelnd zu ihm: „Bergamino, du hast deine üble Lage, deinen Wert, meine Knickrigkeit und deine Wünsche klar genug dargelegt, und ich versichere dir, dass mich, außer in deinem Falle, der Geiz noch nie angewandelt hat. Ich will ihn aber mit eben dem Prügel wieder fortjagen, den du mir selbst in die Hand gegeben hast.“ Hierauf ließ er den Wirt bezahlen, dem Bergamino seine drei Kleider wiedergeben und ihn sehr ehrenvoll mit einem seiner eigenen Kleider schmücken, gab ihm Geld und ein schönes Reitpferd und stellte ihm frei, zu reisen oder bei ihm zu bleiben.