Fiammetta

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Fiammetta







Giovanni di Boccaccio






Inhaltsverzeichnis





Prolog







Erstes Buch







Zweites Buch






      Fiammetta schreibt von dem Scheiden ihres Geliebten, seiner Abreise und ihrem aus dieser Trennung erfolgten Schmerz.






Drittes Buch






      Worin sich zeigt, welches die Gedanken und Handlungen Fiammettens waren, bis an den Zeitpunkt, wo ihr Geliebter zu ihr zurückzukehren verheißen hatte.






Viertes Buch






      Die Dame Fiammetta erzählt, wie es ihr zu Ohren gekommen, daß Panfilo eine Frau genommen, und schildert darauf, wie sehr sie an seiner Rückkehr verzweifelt und in Schmerzen gelebt habe.






Fünftes Buch






      Fiammetta schildert, wie sie bei der Nachricht, daß Panfilo nicht verheiratet sei, sondern eine andere Frau liebgewonnen habe und deshalb nicht zurückkehre, in die höchste Verzweiflung geraten sei und sich selbst habe töten wollen.






Sechstes Buch






      Die Dame Fiammetta gibt Kunde, wie einer, Panfilo genannt, aber nicht der ihrige, an den Ort ihres Aufenthalts gekommen sei und sie, von dieser Nachricht getäuscht, sich einer eitlen Freude hingegeben habe, bis sie zuletzt, ihren Irrtum erkennend, in die vorige Traurigkeit zurückgefallen sei.






Siebentes Buch






      Die Dame Fiammetta vergleicht ihre Leiden mit den Leiden vieler Frauen des Altertums und zeigt, daß alle von den ihrigen übertroffen wurden, worauf sie zuletzt ihre Klage endigt.






Schluss






      Fiammetta redet ihr Buch an, gibt ihm Vorschriften, wie und wohin es sich wenden, auch, wen es vermeiden soll, und schließt.






Impressum







Prolog



Fiammetta spricht:



Unglücklichen pflegt Lust aus der Klage zu erwachsen, erkennen oder fühlen sie Mitleid in andern. Da nun mir, die mehr als andere zur Klage geneigt, in langer Übung ihr bittrer Quell nie versiegte, ja noch reichlicher sich ergoß, so wünsche ich euch, o edle Frauen, in deren Herzen vielleicht glücklichere Liebe wohnet, durch die Erzählung meiner Leiden zu frommem Mitleid zu bewegen.



Es liegt mir nicht am Herzen, daß meine Rede zu den Männern gelange, vielmehr bleibe sie ihnen, soviel ich dazu vermag, gänzlich verborgen; denn so jammervoll hat sich an mir die Härte eines einzelnen erwiesen, daß ich, alle andere ihm ähnlich wähnend, eher höhnendes Lächeln als mitleidige Tränen von ihnen erwarte. Euch allein, die ich durch mich selbst als beweglich und für Unglück mitleidend kenne, bitte ich, mich zu lesen.



Aber ihr werdet nicht griechische Fabeln, geschmückt mit schöner Lüge, nicht trojanische Schlachten, befleckt mit dunklem Blute, hier finden – nur Mythen der Liebe und die Kämpfe heftiger  Leidenschaft; in ihnen werden die bittern Tränen, die ungestümen Seufzer, die klagenden Töne und stürmischen Gedanken vor euern Augen erscheinen, welche, mit ewigem Stachel mich peinigend, Nahrung, Schlummer, fröhliche Zeit und die geliebte Schönheit von mir genommen haben. Wollt ihr diese Dinge mit jenem Herzen, das den Frauen eigen zu sein pflegt, betrachten, o! so bin ich versichert, ihr werdet, jede für sich selbst oder alle zusammen vereint, die zärtlichen Wangen in Tränen baden, welche mir, die anders nichts sucht, ein Quell ewigen Schmerzes sind; so bitte ich euch denn, haltet sie nicht zurück und denket, daß, sollte meinem Geschick, dem wandelbaren, das eure ähnlich werden (was Gott abwende!), es euch lieb sein würde, solche Tränen von mir wiederzuerhalten. Damit nun die Zeit nicht mehr in Worten als in Tränen vergehe, will ich mich bemühen, schnell zu meinem Versprechen zu kommen. Von freundlicher Liebe, die glücklicher war als beständig, beginne ich, damit ihr, von jener Seligkeit zur traurigen Gegenwart blickend, erkennet, daß ich unglücklicher bin als irgend eine andere; dann will ich die bösen Tage, um welche ich mit Recht weine, mit rührender Klage begleiten, so gut ich es vermag.



Doch zuerst, wenn anders das Flehen der Elenden erhört wird und wenn eine Gottheit im Himmel lebt, deren heiliger Gedanke von Erbarmen gegen  mich bewegt ist, flehe ich, tiefbetrübt und gebadet in meinen Tränen, zu ihr, daß sie helfe der trauernden Erinnerung und unterstütze die bebende Hand zu diesem Werke, und beide also stärke, daß jene die Worte gebe und diese, williger als stark zu solchem Geschäft, die Leiden, also wie ich sie in der Seele erlitten habe und noch leide, niederschreibe.





Erstes Buch



Die Dame Fiammetta beschreibt, wer sie war und durch welche Zeichen ihre künftigen Leiden ihr vorher angedeutet wurden; auch, zu welcher Zeit, wo, auf was für Art und in wen sie verliebt ward; nebst der darauf folgenden Freude.



In den Tagen, wo die neu geschmückte Erde sich schöner als in der ganzen übrigen Zeit des Jahres zeigt, kam ich auf die Welt, von edlen Eltern gezeugt und von einem freundlichen, überreichen Glück empfangen.



O! unseliger Tag der Geburt! welcher Sterbliche darf dich mit größerm Abscheu betrachten als ich?



Ach! wie weit glücklicher, wenn ich nie geboren wäre, oder wenn sie mich bald nach der traurigen Geburt ins Grab getragen hätten, wenn die Parze den Faden meines Lebens in derselben Stunde, wo sie ihn ausgezogen, auch wiederum abgerissen hätte! Dann hätte die unentfaltete Knospe meines Daseins all die unendlichen Qualen in sich verschlossen, die mir nun betrübten Stoff zu dieser Schrift darbieten. Doch was hilft es, mich zu beklagen? Ich lebe! Es gefiel Gott und gefällt ihm noch, mich auf der Erde zu lassen.



Die freudenvollsten Umgebungen hatten mich auf Erden empfangen; Vergnügen war meine Nahrung, und als die zarte Kindheit verschwunden war und das liebliche Mädchenalter begann, lehrte eine ehrwürdige Meisterin mir alle die Sitten, die  einer edlen Jungfrau angemessen sind. Und so, wie ich an Alter wuchs, wuchsen auch meine Reize, die vornehmsten Quellen meines Unglücks.



Ach! wie stolz schlug mir das Herz, so klein ich auch noch war, wenn ich meine Schönheit von so vielen preisen hörte! wie bemüht war ich, sie durch Sorgfalt und Kunst immer mehr zu erhöhen! Und als ich in ein reiferes Alter getreten war und die Natur mich wahrnehmen lehrte, wie heftig weibliche Schönheit die Jünglinge zu entflammen vermag, da bemerkte ich bald, daß mein Reiz – ach ein trauriges Geschenk für ein Herz, das ruhig und tugendhaft zu leben wünscht! – alle meine Gespielen und viele andere edle Männer immer mehr mit zärtlicher Glut entzündete.



Sie alle waren bemüht, durch ausdrucksvolle Blicke und Worte, in zahllosen Versuchen mir das Gefühl mitzuteilen, das sie verzehrte und das mich selbst in der Folge stärker als alle anderen zu entflammen und zu verzehren bestimmt war. Viele auch zeigten sich, die mit höchstem Eifer meine Hand zu erhalten strebten.



Doch da bald darauf derjenige unter ihnen, welcher mir in jeder Hinsicht am angemessensten war, mein Gemahl ward, so zerstreute sich mit der verlorenen Hoffnung die beschwerliche Schar der Liebhaber, und sie hörten auf, mich mit ihren verliebten Torheiten zu bestürmen.



Mit einem so würdigen Gemahl, wie billig, vollkommen  zufrieden, lebte ich nun höchst glücklich, bis die sinnberaubende Liebe mit nie empfundenem Feuer mein jugendliches Gemüt erfüllte. Ach! damals gab es nichts in der Welt, was meinen Wunsch – ja den Wunsch irgend einer Frau – hätte reizen können, was mir nicht sogleich im vollen Maß gewährt worden wäre!



Mein junger Gemahl fand in mir sein einziges Gut, seine höchste Glückseligkeit, und so wie er von mir geliebt ward, liebte er mich auch wieder.



O! wie weit glücklicher als andere hätte ich mich preisen können, wenn das Gefühl solcher Liebe mir stets treu geblieben wäre! Ich war zufrieden, und mein Leben schien ein immerwährendes Fest, als das Glück, welches schnell die irdischen Dinge verkehrt und die mir geschenkten Güter selbst zu beneiden schien, auf einmal seine Hand von mir abzog und mit schlauer Überlegung, auf welche Art es meine Ruhe am besten vergiften könne, mich durch meine eigenen Augen den Weg ins Verderben finden ließ. Und gewiß, kräftiger hätte das Gift auf keine andere Weise wirken können als auf diese.



Aber die Götter, die mich damals noch liebten und wegen meines Geschickes besorgt waren, sahen, wie das Glück mir heimlich nachstellte, und wollten meine Brust bewaffnen, wenn ich anders ihren Willen verstanden hätte; nicht unbewehrt sollte ich in den Kampf gehen, in dem ich fallen sollte.



 Deshalb ward ich in der Nacht vor dem Tage, da mein Verderben begann, durch ein deutliches Gesicht über die künftigen Begebenheiten erleuchtet, und zwar auf folgende Weise: Mir, die ich auf dem weichsten Lager, alle Glieder waren in tiefem Schlaf aufgelöst, ruhete, kam es vor, als wäre es Tag, aber heiterer und strahlender wie noch je, und ich selbst fröhlicher und leichter als jemals.



Und weiter schien es mir, als säße ich in meinem fröhlichen Mut ganz allein auf dem zarten Grün einer Wiese, wo die Schatten jung blühender Bäume mich vor den sengenden Strahlen der Sonne schirmten. Der ganze Grund war mit Blumen übersäet; ich hatte verschiedene gepflückt und mit meinen weißen Händen in eine Falte meines Gewandes gesammelt: jetzt zog ich jede Blume einzeln hervor, und aus den schönsten und gewähltesten wand ich mir einen Kranz, womit ich meine Locken schmückte. So Proserpinen gleich geziert, als Pluto sie ihrer Mutter raubte, stand ich auf und ging mit fröhlichem Gesang durch den neuen Frühling dahin, bis ich ermüdet mich in das weiche, dichte Gras ausstreckte und ruhete. Aber ebenso wie damals ein verborgenes Tier Eurydicens zarten Fuß verletzte, so kam es mir im Traum auch vor, als schliche sich aus dem Gras eine Schlange zu mir heran, die mich unter der linken Brust verwundete. Anfangs schien es mir, als fühlte ich bei dem ersten Biß ihrer scharfen Zähne  ein leichtes Brennen. Und da ich nichts Schlimmeres besorgte und kühner ward, verbarg ich die kalte Schlange an meinem Busen, weil ich durch die Güte, sie an meinem Busen zu wärmen, sie zu bewegen hoffte, auch mir freundlicher zu sein. Aber durch meine Milde nur stolzer geworden und sicherer, nahte sie mit ihrem verruchten Mund wiederum der mir gegebenen Wunde, und nachdem sie lange mein Blut getrunken hatte, dünkte es mir, als schlüpfte sie von meinem Busen hinweg und schliche mit neuem Leben unter die Blumen, wo sie zuerst gelegen hatte.

 



Und wie sie verschwand, trübte sich der fröhliche Tag, sein Schatten kam hinter mir her und bedeckte mich ganz. Und so wie die Schlange sich entfernte, folgte die Dunkelheit, als würde sie von ihr angezogen. Eine Menge dunkler Wolken drangen herab und folgten ihr.



Und so wie ein weißer Stein, in tiefes Wasser geworfen, nach und nach vor den Blicken des Zuschauers undeutlich wird und verschwindet, so verlor auch ich sie endlich ganz aus dem Gesicht. Jetzt sah ich den Himmel gänzlich eingehüllt, die Sonne war hinweggegangen, und ich glaubte, eine Nacht sei angebrochen, wie sie einst bei den Griechen dem Verbrechen des Atreus folgte. Blitze zuckten in wilder Verworrenheit durch den Himmel, und mein Herz bebte gleich der Erde vor der furchtbaren Stimme des Donners.



 Meine Wunde, die mich bis jetzt nur an einer Stelle geschmerzt hatte, verbreitete sich mit giftiger Glut, und ohne rettende Heilmittel ward der ganze Körper von einer häßlichen Geschwulst bedeckt.



Mit der Flucht der Schlange schien auf eine unbeschreibliche Art mir auch die Seele entflohen zu sein. Ich fühlte, wie die Macht des Giftes auf den feinsten Zugängen nach dem Herzen drang, und ich streckte mich auf die frischen Rosen hin, um den Tod zu erwarten. Schon schien der Augenblick gekommen zu sein, wo ich sterben sollte, als mein Herz, noch von Schrecken über den furchtbaren Sturm pochend und den Tod erwartend, einen so heftigen Schmerz empfand, daß der ganze Körper auch im Schlummer erzitterte und die Bande seines tiefen Schlafes zerrissen. Kaum war ich erwacht, so fuhr ich, noch voll Furcht über mein Traumgesicht, schnell mit der rechten Hand nach der verwundeten Stelle. Ach! ich suchte in der Gegenwart die Wunde, welche erst in Zukunft meiner harrte!



Als ich mich gesund und unverletzt sah, da kehrten schnell mein fröhlicher Mut und meine Sicherheit zurück; ich verhöhnte die Torheiten meines Traumes und vereitelte so die Bemühung der Götter. Ach weh mir, daß ich diese damals verachteten Winke, zu meinem tiefen Schmerz, in der Folge für wahr anerkennen mußte! –



Was half es mir, meine Blindheit zu beweinen und die Götter anzuklagen, daß sie ihre Geheimnisse  dem groben Sinn des Menschen so dunkel und unverständlich kundtun und ihre Warnungen nicht eher begreiflich werden, bis die Begebenheiten selbst sie erklären!



So war ich denn erwacht und richtete das schlaftrunkene Haupt in die Höhe. Da fiel durch einen kleinen Spalt ein Strahl der neuen Sonne in meine Kammer; mit ihm entwich mir jeder andere Gedanke, und fröhlich stand ich auf.



Dieser Tag war höchst feierlich für jedermann. Deshalb wandte auch ich die größte Sorgfalt an, mich festlich zu schmücken. Mein Gewand leuchtete von Gold, und mit Meisterhand wußte ich mich, gleich einer der Göttinnen, als sie sich in Idas Tal dem Paris zeigen wollten, zu zieren, um an der großen Festlichkeit würdig teilnehmen zu können. Als ich mich jetzt im Spiegel sah und wie der Pfau seine schimmernden Federn von allen Seiten betrachtete, als ich in süßer Selbstbewunderung den andern ebenso zu gefallen hoffte wie mir selbst, da weiß ich nicht, wie es geschah, daß eine Blume meines Hauptschmuckes sich in den Vorhang meines Lagers verwickelte und zur Erde fiel. Vielleicht auch, daß eine himmlische Hand, von mir ungesehen, sie mir entführte. Ich aber, auch dieses geheimen Winkes der Götter nicht achtend, hob sie wieder auf, befestigte sie von neuem in meine Locken und ging hinweg, als wenn nichts geschehen wäre.



 Ach! konnten die Himmlischen mir ein deutlicheres Zeichen von dem, was mir bevorstand, geben? Gewiß, sie konnten es nicht. Hätte ich es recht verstanden, so war dies hinreichend, mir zu sagen, daß an diesem Tage meine Seele, die bis dahin eine freie Herrin ihrer selbst gewesen war, ihr Fürstentum verlieren und eine Sklavin werden sollte – und es ward! O! wenn damals mein Gemüt gesund gewesen wäre, so hätte ich leicht erkennen müssen, welch ein schwarzes Verhängnis an diesem Tag über mir waltete, und im stillen, in meine Wohnung eingeschlossen, hätte ich ihn verlebt! Aber es berauben die himmlischen Mächte die, gegen welche sie erzürnt sind, der wahren Einsicht, obgleich sie ihnen die heilsamen Winke über ihr Heil nicht vorenthalten. Und so scheint es, daß sie mit einem Male beides, ihrer Schuldigkeit Genüge leisten und ihren Zorn sättigen, wollen.



Mein Schicksal also wollte, daß ich glänzend und mit sorglosem Mut mein Haus verließ. Von mehreren begleitet, gelangte ich mit abgemessenen Schritten in den geheiligten Tempel, wo die an solchen Tagen üblichen, feierlichen Gebräuche bereits begonnen hatten. Mir aber hatten ein alter Gebrauch und mein Rang unter den andern Frauen eine sehr ausgezeichnete Stelle aufbewahrt, und sobald ich Platz genommen hatte, unterließ ich nicht, meiner Gewohnheit nach die Augen nach allen Seiten hin zu wenden und die vielen Männer  und Frauen zu betrachten, welche in verschiedenen Gruppen den Tempel erfüllten.



Die heiligen Gebräuche huben an, und sobald man mich im Tempel wahrnahm, geschah es, wie ich schon gewohnt war, daß nicht allein die Männer, sondern auch die Frauen ihre Blicke bewundernd auf mich hefteten, nicht anders, als wäre eine Göttin sichtbar zu ihnen herabgestiegen. O! wie oft hatte ich bei mir selbst diesen Wahn belächelt, der mich jedoch sehr ergötzte und mich in meinen Gedanken wirklich zu einer Göttin erhob. Alle die Kreise von Jünglingen hörten nun auf, sich um andere zu drehen, und bildeten, dicht um mich versammelt, gleichsam einen Kranz, indes sie abwechselnd über meine Schönheit sprachen und mich fast einstimmig erhoben und rühmten. Und ich, indes meine Augen mit andern Gegenständen beschäftigt schienen, lauschte ihren Worten mit der süßesten Wollust und gönnte ihnen dann wohl, als wäre ich ihnen deshalb verpflichtet, einige günstigere Blicke. O! nicht einmal, sondern oft bemerkte ich dann, wie einer oder der andere sich deshalb mit leerer Hoffnung schmeichelte und gegen seine Gefährten voll Eitelkeit brüstete. So von vielen angestaunt, nur wenigen einen Blick gönnend und fest glaubend, daß meine Schönheit alles besiegte, nahte der Augenblick, wo ein fremder Reiz meiner selbst sich gänzlich bemeistern sollte.



Er erschien, der verderbliche, schmerzhafte Augenblick,  der mir gewissen Tod oder ein unendlich qualvolles Leben erschaffen sollte, und von einem unbekannten Geist getrieben, erhob ich mit leichtem Anstand die Augen und überschaute die Menge der um mich versammelten Jünglinge mit festem und sicherm Blick.



Dicht in meiner Nähe zeigte sich mir an eine Marmorsäule gelehnt ein Jüngling, dessen Ansehen und Anstand, was bis dahin noch nie geschehen, meine Aufmerksamkeit unwiderstehlich an sich fesselte. Seine Gestalt – so urteilte ich schon damals, da mein Urteil noch nicht durch Liebe befangen war – hatte die schönste Form, seine Bewegungen zeigten die größte Anmut, Anstand und Kleidung Würde und Schicklichkeit. Die Zartheit seiner Wangen gab ein sprechendes Zeugnis seiner Jugend, und seine Blicke, mit denen er aus der ganzen Versammlung mich auszeichnete, waren ebenso zärtlich als verständig. Zwar stand es in meiner Gewalt, meine Augen von ihm wegzuwenden, aber keine Gewalt vermochte, wie ich mich auch immer bemühte, die schnell empfangenen Eindrücke aus meinem Herzen zu verdrängen und meinem Sinn eine andere Richtung zu geben. Das Bild seiner Schönheit war bereits tief in meine Seele gedrückt, mit geheimer Wollust schaute ich es an, und erfinderisch wußte ich mit Gründen die Empfindung all des Herrlichen, was mir in ihm erschien, zu rechtfertigen. Es entzückte mich, der  Gegenstand seiner Blicke zu sein, doch war ich stets auf meiner Hut, sooft sein Auge mir begegnete. Aber einmal, als ich, ganz sorglos über die Gefahr, ihn betrachtete und meine Augen länger und fester als gewöhnlich auf den seinigen verweilten, da schien es mir, als läse ich in ihnen deutlich die Worte: ›O Gebieterin! Du allein bist meine Seligkeit!‹, und mein Entzücken war so groß, so überraschend, daß mit einem leisen Seufzer mein Herz die Antwort gab: ›Und du die meinige!‹ Doch schnell mich fassend und meiner selbst bewußt, drängte ich sie von der Lippe zurück. Doch was auch der Mund verschweigt, wird dennoch von dem Herzen verstanden, und hätte ich damals ausgesprochen, was ich im Innern verschlossen hielt, vielleicht daß ich jetzt noch frei wäre. So aber schwieg ich und verstattete meinen törichten Augen die größte Freiheit, sich an den Reizen zu sättigen, die sie bereits so sehr entzückt hatten.



Ach! hätten die Götter, die jedes Ereignis zu einem verständigen Zweck leiten, mir damals nicht allen Verstand geraubt, ich könnte jetzt noch mir selbst angehören! Doch ich verbannte alle Überlegung, ich folgte meinen Gelüsten und setzte so mein Gemüt in den Stand, leicht eine Beute der Liebe zu werden.



Und wie der Lichtstrahl eigenmächtig von einem Ort zum andern fliegt, drang ein Feuer aus seinen Augen, das mit dem feinsten Strahl die meinigen  traf. Aber nicht die Augen allein; weiß ich es, durch welche geheimen Wege er plötzlich bis zum Herzen drang, daß dieses, erschreckt über die unvermutete Erscheinung des fremden Gefühls, alle Lebensgeister zu sich rief und ich äußerlich ganz blaß und fast ohne Leben und Wärme blieb?



Aber nicht lange, so entzündete eine schnelle Glut das Herz; alle Lebensgeister waren von der innern Flamme ergriffen. Die Blässe verschwand, eine brennende Röte trat auf meine Wangen, und ich seufzte still über die Quelle dieses Wechsels, den ich verwundernd wahrnahm. Von diesem Augenblick an hatte ich keinen andern Gedanken mehr als den, ihm allein zu gefallen.



Dies alles ward von ihm, der unbeweglich seinen Platz behielt, mit feinem, scharfem Blick beobachtet. Vielleicht schon erfahren im Reich der Liebe und mit den Waffen bekannt, welche die gewünschte Beute leicht erobern können, nahm er sogleich die Miene der frömmsten Demut und eines liebenden Verlangens an. Ach! welche Arglist war unter dieser Milde, dieser Unterwürfigkeit verborgen! Einmal aus seinem Herzen entwichen – so hat es mich der Erfolg gelehrt –, war die fromme Liebe nie wieder dahin zurückgekehrt und leuchtete nur mit betrügerischem Schein aus den Zügen seines Angesichts.



Doch ich will nicht jeden kleinen Zug voll von erfinderischer Arglist erzählen, und es sei genug,  zu sagen, daß sein ganzes Wesen mich mit schneller, unerwarteter Liebe entzündete. Ich weiß nicht, war es sein Werk oder das Werk der Schicksalsmächte: genug, ich liebte ihn, und ich liebe ihn noch!



Dieser also war es, ihr mitfühlenden Frauen, den mein Herz vor allen andern wählte! Nach einer flüchtigen Aufmerksamkeit erkor es sich unter so vielen edeln, schönen und mutigen Jünglingen meines ganzen Landes nur diesen allein auf ewig, zum unumschränkten Gebieter meines Lebens. Er war es, den ich über alles liebte und liebe. Er war es, welcher Anfang und Quelle all meiner Leiden sein sollte, und wie ich hoffe, auch meines Todes. Dies war der Tag, der mich zuerst aus einem freien Weib zu der elendesten Sklavin machte. Dies war der Tag, an dem ich die Liebe, mir bis dahin gänzlich unbekannt, zum erstenmal kennenlernte. Dies war der Tag, an dem das Gift der Leidenschaft zum erstenmal die reine, keusche Brust durchdrang! Ach! daß zu meinem Elend je ein solcher Tag der Welt geleuchtet hat! Wieviel Schmerz und Angst wäre mir ferngeblieben, wenn dichtes Dunkel diesen Tag verschlungen hätte! Doch was klage ich! Das einmal geschehene Übel kann eingesehen, aber niemals wieder gutgemacht werden.

 



Ich war bezwungen; die feindliche Macht, deren Gewalt ich erlag, war es eine Furie der Hölle oder eine feindliche Schicksalsgöttin, welche meine reine  Glückseligkeit beneidete und ihr nachstellte – sie durfte sich seit diesem Tag mit der größten Hoffnung eines unfehlbaren Triumphs tragen. Ganz in der neuen, unbekannten Leidenschaft verloren, saß ich erstaunt und mir selbst entrückt unter den andern Frauen; die heiligen Lieder wurden von mir kaum gehört, viel weniger verstanden, und ebensowenig vernahm ich, was die Gespielinnen unter sich oder mit mir redeten. So sehr erfüllte die neue, plötzliche Liebe meine ganze Seele, daß ich mit Blicken und Gedanken stets nach dem geliebten Jüngling hingewandt war und in mir selbst nicht begreifen konnte, wohin ein so heftiger Trieb mich führen würde.



O! wie oft schalt ich, voll Sehnsucht, ihn näher bei mir zu sehen, sein Verweilen hinter den andern und schrieb auf die Rechnung der Lauigkeit, was nur seine Klugheit war. Denn schon war die Aufmerksamkeit der andern Jünglinge, die vor ihm standen, erregt: da meine Augen immer einen unter ihnen suchten, so wähnten sie selbst das Ziel meiner Blicke und vielleicht meiner Sehnsucht zu sein.



Während ich verloren in träumerischen Gedanken war, ging der Gottesdienst zu Ende; schon waren die Gefährtinnen aufgestanden, um den Tempel zu verlassen, als ich endlich die Seele, die das Bild des lieblichen Jünglings umschwebte, gewaltsam zurückrief und, was um mich her vorging, wahrnahm.  Ich stand auf, und meine Blicke, die den seinigen zu begegnen suchten, lasen in seinen Augen, was die meinigen ihm selbst zu sagen strebten: wie schmerzlich mir das Weggehen sei! Gleichwohl mußte ich, mit Seufzen und ohne zu wissen, wer er sei, mich aus dem Tempel entfernen.



O! wer sollte glauben, meine Freundinnen, daß ein einziger Augenblick das Herz in so hohem Grade erschüttern, daß ein nie gesehener Mann auf den ersten Anblick so unbegreiflich geliebt werden könne!



Wer sollte glauben, daß das Anschauen allein die Sehnsucht so wunderbar entzünden könnte, daß, dieses Anschauens beraubt, ein brennender Schmerz die Seele durchdringt und nur der Wunsch nach Wiedersehen sie ganz erfüllt!



Wer sollte glauben, daß nichts von allem, was uns sonst höchst erfreulich war, nach diesem neuen Eindruck uns mehr ergötzt? Ach! gewiß keiner vermag es, der diese Erfahrungen nicht gleich mir selbst gemacht hat oder macht.



Warum mußte die Liebe nur gegen mich mit nie erhörter Grausamkeit verfahren! warum einen Gefallen daran finden, nach neuen Gesetzen mich zu beherrschen? Denn mehr als einmal habe ich sagen hören, die Liebe sei anfänglich kindisch und unbedeutend, nur durch die Phantasie genährt und mit Kräften ausgerüstet werde sie erst stark und bedeutend. Aber wie anders ist sie mir erschienen!  Mit siegreicher Gewalt erfüllte sie im ersten Moment mein Herz und erfüllt es noch; vom ersten Augenblicke an ward sie unumschränkte Gebieterin meines ganzen Wesens. Ergangen ist es mir wie frischem Holz, das schwer und mit Widerstand Feuer fängt, aber wenn es einmal angezündet ist, es länger und mit stärkerer Glut festhält.



Als ich mich endlich allein und frei in meinem Gemache befand, von mancherlei Wünschen entflammt, mit neuen Gedanken erfüllt und von neuen Sorgen gepeinigt, und nun dies alles in dem Bilde des lieblichen Jünglings sich verlor, da gedachte ich, daß, wenn es auch unmöglich sei, die Liebe aus meinem Herzen zu verjagen, ich sie doch zum mindesten verschwiegen und vorsichtig in der traurigen Brust verschließen müsse. Aber wie schwer diese Sorge ist, kann nur der begreifen, der sie erfahren hat; ja ich irre wohl nicht, wenn ich glaube, daß die Liebe selbst keine größere Qual verursacht als sie. Auch wußte ich nicht,

wen

, ich fühlte nur,

daß

 ich liebte.



Doch alle die Herzensbewegungen zu schildern, welche die Leidenschaft in mir erzeugte, würde zu weitläufig sein: nur einiges sei mir vergönnt. Bald fühlte ich, wie eine nie empfundene, lebhafte Freude sich meiner bemächtigte. Dann suchte ich alles andre zu vergessen und ergötzte mich einzig und allein in dem Gedanken an den geliebten Jüngling, bis mich die Sorge wiederum störte, daß ich  durch solche Träumerei gerade das Geheimnis verraten möchte, welches ich so sehr zu verhehlen strebte, und dann verwies ich mir selbst mein Nachsinnen. Vor allem aber sehnte ich mich zu erfahren, wer der fremde Jüngling sei, und meine Liebe machte mich bald sinnreich genug, schlaue und geschickte Mittel zu erfinden, dies Verlangen zu befriedigen.



Auch fand ich jetzt al