Mobbing

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Gerd Breitenbürger

Mobbing

Opportunistische Gesänge

am Wasserloch zu singen

Impressum

Gerd Breitenbürger, „Mobbing.

Opportunistische Gesänge am Wasserloch zu singen“

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat und Foto: Monika Knecht

Umschlag: Berit Overhues

Illustration von Tomi Ungerer

Copyright © 1994 Diogenes Verlag AG Zürich

Konvertierung: Sabine Abels | www.e-book-erstellung.de

2. Auflage

published by: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

Inhaltsverzeichnis

1 Mobbing

1.1 Gestern – heute - morgen

1.2 Das ökonomische Prinzip

1.2.1 Der pessimistische Ansatz

1.2.2 Mobbing und die Nähe zum Mord

2 Das Pöbel-Niveau

2.1 Von den „internen Regeln“ zu System und Gesetz

2.2 Ein System regelt sich intern mit Mobbing

2.3 Frustration ins Unerträgliche

2.3.1 Das Leben in der Sackgasse

2.4 Arbeits- und Machtkampf

2.5 Mobbing und Anpassung

2.6 Das Zweistromland und früher Diebstahl

2.6.1 Wie sich die Bilder gleichen

2.7 Mobbing – das Mitgegebene

2.8 Die Pavian-Horde

2.9 Der antike Liebesdichter

3 Mobbing mit System

3.1 Mobbing in frühen Kulturen und das Vorurteil

3.2 Die jesuitische Moralfrage und das Mobbing

3.2.1 Das rote Förmchen – Mobbing im Sandkasten

3.2.2 Herausnehmen aus der Gemeinschaft

3.3 Schneiden und symbolische Isolation

3.3.1 Der Mensch ist wie er ist

3.4 Immer die Gruppe und ihr Opportunismus

3.4.1 Der Hagestolz kennt kein Mobbing

3.4.2 Destabilisierung – ein schmerzhafter Endzustand

3.5 Primär ist nicht der Sadismus, sondern die Gruppe

3.5.1 Das Ausgrenzen auf oberer Ebene

3.5.2 Das Zusammenleben organisieren

3.6 Ohne Bärenfell

3.6.1 Mit der Keule am Wasserloch

3.7 Die Kontroll-Dominanz

3.7.1 Brutalität I Der Philosoph

3.7.2 Brutalität II Die Inszenierung

3.7.3 Brutalität III

3.8 Frivoles Petting einer nicht ganz anständigen Dame

4 Zärtlichkeit am richtig falschen Ort

4.1.1 Blamage für das Opfer und für den Täter

4.2 Der Täter wird gesehen

4.3 Mobbing, Killer eines harmonischen Lebens

4.4 Eva und Pandora. Selbst der Mythos hat es in sich

4.4.1 Der Minirock mobbt oder auch nicht

5 Gespaltene Zunge und Misstrauen

5.1 Das Wasserloch und das westafrikanische Äffchen

5.1.1 Schaurige Gesänge am Wasserloch

5.1.2 Mobbing mit Liebe serviert

5.2 Kehrseiten der Kultur

5.2.1 Mobbing ist gesetzlos, moralfrei und asozial

5.2.2 « Tiefer Frieden », immer gesucht, einmal gefunden

5.2.3 Das griechische Gegenbild und der Vatikan

5.2.4 Richtungskämpfe im Vatikan

5.3 Abhängigkeiten, die wir zulassen

5.3.1 Stalking, die Totalverfügung

5.3.2 Der Sozialdarwinismus und der Überlebenswille

5.3.3 Die Kirche und ihr Abgrund

5.3.4 Mobbing ist der Abgrund

5.3.5 Tintenfische und Mobbing im Sandkasten

6 Mobbing in Troja und die Emser Depesche

6.1.1 Die hohe Schule des Mobbing

7 Die out-group bildet ihre eigene in-group

7.1.1 Ideologie lebt von ihren Grenzen

7.1.2 Fachkompetenz oder Parteibuch

7.1.3 Der Elitegedanke und das Konkurrieren

7.1.4 Wenn der Verein mobbt

8 Aus der Schwäche in die Stärke

8.1.1 Der Sieg des Underdogs

8.2 Der Täter liefert ein Profil

8.2.1 Mobbing im Bordell

8.2.2 Mit einem Kuss ist längst nicht Schluss

8.2.3 Gestern das römische Pissoir, heute hört man ab

8.3 Mobbing mit Rattengift

8.3.1 Streiche oder Mobbing

8.4 Matricule sind keine Studentenscherze

8.5 Zum Sex nötigen kommt teuer

8.6 Bundeswehr

8.6.1 Leib und Leben werden eingesetzt

8.6.2 Die Hasenschule des Mobbings

8.6.3 Der Schulhof - Schule fürs Leben

8.7 Cybermobbing

 

8.8 Widerstandskoeffizient

8.8.1 Die Überkompensation

9 Drinnen – draußen

9.1 Im wörtlichen und im übertragenen Sinn

9.1.1 Lonesome rider

9.1.2 Drinnen und draußen in der Methodik der Wissenschaften

9.1.3 Mobbing als Schutz für die in-group

9.1.4 Depp und Betriebsnudel

9.1.5 Mobbing macht aus allen anderen die Dummen

9.1.6 Johann-Ohneland und die Sehnsucht nach der Gruppe

9.1.7 Politisierung, wo sie nicht hingehört

9.1.8 Risiko und Planification

9.1.9 Mit Freund/Feind-Denken an die Macht

9.1.10 Immunisier dich!

9.1.11 Saddam Hussein und die Anfänge

9.1.12 Utopie: Welt ohne Mobbing?

10 Das Opfer, das vom Täter nicht lassen kann

11 Schlussbemerkung

Vorwort

Mobbing ist so vielfältig in seinen Formen, dass man schlicht sagen kann, es entsteht aus Phantasie und Gemeinheit. Es ist ein kulturhistorisches Phänomen von entsprechender Wirkung und von entsprechendem Ausmaß. In der Tierwelt gibt es Mobbing nicht, die Gottesanbeterin frisst zwar ihren Geliebten nach dem Akt, das Raubtier seine Beute bei lebendigem Leib. Aber bös ist das nicht gemeint; denn die Tiere leben ohne Sitte und Moral. Der Mensch will die Kultur. Er hat nicht bedacht, dass er dabei einen Preis bezahlen muss, die Unkultur. Ohne sie hätte er das Paradies und eine vollkommene Utopie. Unkultur, was ist das. Sie kommt aus der Aggression, und aus ihr kommt das Mobbing.

Mobbing ist eine Krankheit, eine Plage wie Cholera und die Pest. Nur selten wird man sagen können, gut, dass es Mobbing gibt.

1 Mobbing
1.1 Gestern – heute - morgen

Was ist menschlich? Es ist, was es ist. Es genügt dem Menschen aber nicht, so zu sein. Er gibt ein Versprechen, legt einen Eid, ein Gelübde, einen Schwur ab auf die Verfassung, auf seinen Gott, auf Äskulap und auf seine Treue. Er verspricht, sein Versprechen einzuhalten. Er möchte ein besserer Mensch als der Mensch sein. Da scheint eine Sehnsucht uns nicht zu verlassen. Aber auch ein Gespür, es allein nicht zu schaffen, daher das Gelübde, das uns mit dem Höheren verbindet und Ermutigung gibt. Es gibt zwei Möglichkeiten, von denen ausgiebig Gebrauch gemacht wird. Der Mensch bemüht sich, ein ehrlicher Mensch zu sein. Was schon genügen würde, um über den Menschen, den man den sündigen Adam nennt, hinauszukommen. So das Thema in Theologie und Philosophie und Literatur (tras-umanar, Dante Alighieri, Divina Comedia, den Menschen übersteigen). Der Mensch, der unvollkommen ist und es nicht bleiben will, nicht bleiben soll. Er muss sich bemühen, und dann, heißt es in Goethes Faust, kann er schon erlöst werden.

Und dann gibt es noch den Menschen, der sich für die Krone der Schöpfung hält. Dem Tier fühlt er sich überlegen, aber auch seinem Artgenossen gegenüber nimmt er gerne die Position der Superiorität ein. Das geht nur, indem er auf eine allgemein gültige menschliche Moral verzichtet und für sein Verhalten Regeln entwickelt, die nur für ihn und seine Gruppe Gültigkeit besitzen. Mobbing und jede mafiose Räuberbande operieren nach diesem Schema, das sich sogar jedes Individuum zurecht legen kann. Mobbing, das ist auch die Macht des feigen Mannes, des Heckenschützen, der von ehrlicher Auseinandersetzung auch im zivilen Bereich nichts hält.

Egal, ob der Mensch eine pessimistische oder eine optimistische Meinung von sich hat, seine Anthropologie, seine allgemeine Menschenkunde, wird immer feststellen, dass es invariante Züge sind, die des Menschen Evolution mitbestimmen und aus dem Geschichtsverlauf nicht wegzudenken sind.

Invariant bedeutet, dass es im Wesen des Menschen Züge gibt, die sich immer gleich bleiben wie etwa Selbstbehauptung und Fortpflanzung und Nestpflege. Zur Selbstbehauptung gehört die Bereitschaft zur Aggressivität, das war schon immer so und wird voraussichtlich so bleiben. Insofern invariant, aber deswegen liegt noch lange nicht eine Determination vor, bei der keine Alternative zugelassen ist. Von ihr spricht man, wenn ganz tief angelegt die Erbstruktur, also die DNS, die Eigenschaften des Menschen bestimmt und nur im Rahmen von Jahrhunderttausenden offen für Mutationen ist. Es lässt sich denken, dass konstantes Verhalten sich so gut durch die Zeit durchhält, weil es vorteilhaft ist, das nennt man auch ökonomisch. Wenn es nicht immer neu erfunden werden muss. Aber ausgeschlossen sind Verhaltensänderungen nicht. Einmal erzieht man die Kinder im häuslichen Nest, dann in der Kita. Mit ganz anderen Ergebnissen. Daraus leitet man den Optimismus ab, dass sich der Mensch in einem gradualistischen Prozess moralisch verbessern könnte. Mobbing und Aggressivität, auch wenn sie einen erheblichen natürlichen Anteil haben, also neurophysiologisch nachweisbar sind, könnte der Mensch als eine Herausforderung an seine Kultur ansehen, die das Denken in Alternativen, auch moralischen, stimuliert. Wenn die Kinder nur partiell die Verhaltensregeln der Eltern übernehmen, verursacht das einen höheren Aufwand an Energie, aber der ist gerade typisch auch für Prozesse der Erneuerung, der Kreativität. Zum Nulltarif ist das Leben nicht zu haben, wir müssen immer mit seinem „Widerstanstandskoeffizienten“ (Jean-Paul Sartre) rechnen, prinzipiell, und dann noch mit zusätzlichen unerwünschten Ereignissen. Vielleicht ist ja eine gewisse Indolenz, eine anerzogene Schmerzunempfindlichkeit gegen unser Anspruchsdenken bzw. daraus folgende Frustrationen sinnvoll. Das bedeutet, dass wir überlegen mit unserer Bedürfnispyramide umzugehen bereit sind. Was ist dann menschlich? Nicht historisch sich ergebende Verhaltensschemata wären es, sondern die Kunst, bei der Autopoiesis, der Selbstgestaltung ein immer glücklicheres Händchen zu entwickeln. Die Verfolgung von Glück, The pursuit of happiness, als Leistung des Einzelnen dorthin, müsste bei allen Bremsklötzen zu realisieren sein. Wenn nicht, wäre unser Optimismus töricht, blind und eine hoffnungslose Selbsttäuschung. Beim Mobbing könnte man ja anfangen. Darauf könnte man doch hoffentlich leichter verzichten als auf Giftmord und sexuelle Nötigung. Aber bei unserer jetzigen condition humaine kombinieren wir auch noch beides, die Heimtücke und dann das Strafgesetzbuch.

Die Phantasie, sich im geistigen Möglichkeitsraum zu bewegen, wird aktiviert und widerspricht einem Verhalten, das von Determinanten festgelegt wäre. Das heißt, der Mensch wird nicht immer oder ausschließlich von seinen Bedingungen bestimmt, wie der Zugvogel von seinem Programm, immer nach Südafrika fliegen zu müssen. Er kann in einem bestimmten Rahmen bewerten und entscheiden. Insofern kann man bei ihm von Autonomie sprechen, von Freiheit. Der Fußballer Rechtsaußen wird zum königlich-kaiserlichen Vorbild für die Jugend ernannt. Die Umstände, wie er erfolgreich Fußball spielt und wie er smart vor einem begeisterten Publikum auftritt, legen ihn aber nicht fest. Sie sind zwar seine Herausforderung, diese Rolle hoch zu bewerten und auszufüllen, über Jahrzehnte. Ein Verhaltenschema kann aber geändert werden. Der Versuchung kann der Rechtsaußen und jeder andere aber erliegen, es anders, auch unmoralisch zu machen. Hätten wir einen Determinismus, der uns, als seien wir eine Maschine oder Marionette, immer festlegt, die zehn Gebote einzuhalten, würden wir die Gebote gar nicht brauchen und auch nicht kennen. Jedes Gebot, jede moralische Regel ist eine Erinnerung daran, dass wir sie bitter nötig haben.

Die Handlungen des Menschen bewerten wir. Sind sie verwerflich oder können wir sie rechtfertigen. Eine Kultur, in der das nicht verlangt wird, können wir utopisch nennen. In ihr handelt der Mensch immer richtig. Das könnten wir uns auch jetzt schon wünschen und müssten dann die Frage beantworten, wie werden wir Aggressivität und Mobbing los. Wie den Opportunismus, diesen Egoismus, den wir nicht selten bis zum äußersten zu verfolgen bereit sind. Wenn wir darauf eine Antwort finden könnten, müssten wir nicht die 2700 Utopien lesen, die der Mensch seit der Antike zu diesem Thema geschrieben hat. Die Handlungen, die Techniken und Methoden, mit denen wir dem Nächsten das Leben schwer machen, sind dagegen nicht besonders kompliziert und wohl leicht zu lernen. Erschreckend leicht zu lernen, so dass jeder Flachkopf sie beherrscht. Auch die Gründe, aus denen heraus geschnitten und verleumdet wird, sind durchschaubar. Keinesfalls aber sind die Folgen abzusehen, die mit solchen Aktionen angerichtet werden. Man kann die Gründe für einen Amoklauf benennen. Man kann ihn aber nicht voraussehen. Man kann einen Mitmenschen bis zur Verzweiflung und zum Selbstmord treiben. Wie er schließlich reagiert, liegt aber bei ihm.

1.2 Das ökonomische Prinzip

Wer effizient wirtschaften will, wendet das ökonomische Prinzip an. Mit minimalen Kosten soll gewirtschaftet werden, alles andere wäre Verschwendung. Wer seinen Input kennt, 100 EUR, rechnet mit einem maximalen Out-put. Auf der Ebene der einfachen Physik kennen wir das Hebelgesetz. Mit leichter Kraftanstrengung bewegen wir die Schwergewichte und steter Tropfen höhlt den Stein. In der Chaostheorie spricht man von der bescheidenen Ursache, die einen Hurrikan auslöst. Von der Physik und Natur geht es zum komplexen menschlichen Handeln. Als in einem Roman von Max Frisch der Ehemann nach knapp 10 Jahren aus der Fremdenlegion nach Hause kommt, fragt seine Frau als erstes und auch als letztes: „Wo kommst du her?“ Er dreht sich auf dem Absatz um und kommt dieses Mal nie wieder zurück. Ein Wort hat Macht, mit einem Wort gibt man dem anderen Macht über sich. Ein schwach gehauchtes „ja“ und die Folgen sind die, wie die Chaostheorie sie beschreibt. Eben fulminant. Mobbing entwickelt die Macht eines Hebels, worin auch immer ein Faszinosum liegt. Dreißig Jahre lang knistert er beim Frühstück mit dem Brötchen, was sie schwer erträgt und jeden Morgen moniert. Sie löst das Mobbingproblem mit einem kurzstieligen Beil, das sie an einem Tischbein deponiert hatte, zieht ihm den Scheitel mittig und erlebt später das Entgegenkommen eines britischen Gerichts, das sie freispricht. Es gibt hier eine „Royal Society for The Prevention of Cruelty to Animals”, die man wohl auf die Täterin bezogen hat.

1.2.1 Der pessimistische Ansatz

Hier liegt ein pessimistischer Ansatz unserer Kultur, und dieser Ansatz ist ein praktischer, wie wir unsere Welt gestalten und auf sie reagieren. Der Mensch hat nicht nur eine Geschichte, er hat auch immer gehofft, eine Entwicklungsgeschichte, eine kulturelle Evolution zum Besseren zu besitzen. Die Christenverfolgung im antiken Kolosseum hat aber eine Dimension der Grausamkeit, die von einem modernen Krieg leicht überboten wird. Solche Konstanten im menschlichen Wesen lassen vermuten, dass gerade da, wo wir hoffen und auch hoffen müssen, wir könnten sie verlernen, auch unser Pessimismus eine Konstante sein dürfte.

Ab dem 2. Lebensjahr, so der Verhaltensforscher und Anthropologe Michael Tomasello, weiß das Menschenkind, wie es seinesgleichen ärgern kann, was man später auch grillen nennt. Mit dem Gewissen ist es noch nicht so weit her, sadistische Freude liegt näher, die eher daraus entspringt, dass Empathie ein Empfinden ist, das der Mensch erst entwickeln muss. Wenn hier Kultur zu erwachen beginnt, dann ist die Natur, die hier kontrolliert werden müsste, noch zu stark und wird immer wieder im folgenden Leben die Oberhand gewinnen können. Sobald im Verhalten des Menschen seine variantenreiche Kultur eine Rolle spielt, und das wünschen wir uns ja auch, bekommen wir es mit den Invarianten zu tun, über die sich der Anthropologe freut, weil er so den Menschen wiedererkennen kann. Und der Kulturwissenschaftler verzweifelt, weil die Invarianten, die etwas Fundamentales sind, also die Bereitschaft zur Aggressivität etwa, eben nicht ausgerottet werden können und der Kultur entgegen zu stehen scheinen.

 

Opportunistisches Interesse ist stärker als der Wille, die zehn Gebote überhaupt ernst zu nehmen. Hohe geistige Kraft ist nötig, wenn Moral gewinnen soll. Anthropologische Invarianten, der Mensch ist wie er ist, mit Nestbau und Fürsorge für den Nachwuchs, haben es immer in sich. Solche Verhaltensweisen sind, kurz gesagt, ewige Schemata und folgenreich. Die Bereitschaft zur Aggressivität kommt der Verteidigung des ewigen Wasserlochs zugute mit allem was dazugehört. Das wären die Bedürfnisse der Horde und der Gruppe, die im Konkurrenzverhältnis zu anderen stehen. Später sind es ganze Kontinente, die überfallen werden und man spricht von Weltkriegen. Aggressivität als präventive, und das heißt auch als willkürlich einsetzbare Möglichkeit, „wir mussten da rein gehen“, eröffnet dann die Loslösung von der Notwendigkeit, sich zu verteidigen und das bedeutet, man landet beim Überfall. Dieser wird kulturfähig, ein bitterer Gedanke, so als wäre er ein positives agonales Element unseres Fortschritts. Da diese Art der Aggression älter als jede Zivilisation ist, entbehrt sie jeder Kultur. Wenn das Mobbing aufkommt, fließen beide, Natur und Kultur, zusammen. Mobbing hat sehr viel mehr von unserer Kultur, als wir wahrhaben wollen.

Aggressivität kommt uns da auch noch beispielhaft für die Ambiguität, die Doppeldeutigkeit bestimmter Phänomene unserer Kultur entgegen. Sobald sie in der Kultur auftaucht, wird sie nämlich doppelwertig. Für Jagd und Verteidigung sorgt die « natürliche » Aggression, in der kulturellen Entwicklung ist es die agonale Aggression, die Wettkampf-Antriebskraft, die die Dinge vorwärts treibt. Es gibt Psychologen, die annehmen, man könne Aggressivität ummünzen, aus dem Rohen etwas Feines machen. Das ist beim Mobbing in der Regel nicht möglich, es besteht nur aus Gemeinheit. Zwar gibt es Situationen, in denen so mancher sagt, hier ist Mobbing die letzte Rettung und das Opfer ist mir egal. Mobbing ist aber eher mit einer Plage zu vergleichen. Einem Heuschreckenschwarm kann man nichts Gutes abgewinnen, noch der Pest und der Cholera.

Wo Natur sich durch kontinuierliche Mutation, Selektion und Anpassung auf dem Niveau ihres Optimums hält oder dieses als Fossil immer schon durchhält, folgt sie einem Prozess-Mechanismus, während die Kultur sich durch die Wahl zwischen Alternativen selbst gestaltet. Für ihre Plastizität gibt es immer ein plus ultra, ein Darüberhinaus, das jetzt aber eine praktische Welt betrifft, die von einer geistig-moralischen Instanz gesteuert wird. Wer wird erster im Dreisprung und wer wird Abteilungsleiter. Weil uns diese Dinge so wichtig sind, gibt es Mobbing. Weil sie nicht aufgrund von Mechanismen entschieden und erledigt werden, gibt es ebenfalls Mobbing.

Entscheiden zu wollen und zu können, was gut und was böse ist, fällt dem Mensch so schwer, weil sich immer konkurrierende Gründe aufdrängen, die Dinge im Lichte eines Opportunismus zu beurteilen. Mein Haus ist meine Burg, sagen die Engländer. Da stellt sich die Frage nicht, ob es gut oder schlecht ist, wie man Außen- und Kolonialpolitik betrieben hat und immer noch betreibt. 2016 wurde die Labour-Abgeordnete Jo Cox von Thomas Mair erschossen. Sie war gegen den Brexit. Sein Schlachtruf: Britain First. Der Mensch will sich Gutes tun, nicht nur heute, und dieses Programm, die entsprechenden Handlungsschemata, sind uralt, stammen aus der biologischen Evolution. Was sich von alters her bewährt hat, der Opportunismus aller Lebewesen, der Individuen und der Gruppen, ist daher unwiderstehlich. Moral ist dagegen ein Kulturpflänzchen aus neuester Zeit, das in der Natur keinen Tag überleben würde. Den jesuanisch denkenden Löwen, der auch noch die andere Wange hinhält, gibt es nicht, hat es nicht gegeben. Wohl aber das Kuckucksei. Immer steht der Mensch also bereit, diese Kultur zu verraten, weil der Eigengewinn zählt. Mobbing ist eine Form, die Urwaldinstinkte ungebrochen in unsere Wohnzimmer hereinzunehmen. So gesehen ist es pure Schamlosigkeit, sich als Verwilderter, als Mobbing-Schurke unter den Gesitteten zu bewegen, so als gehörte ihm die Welt.

Mobbing ist, und das ist traurig aber wahr, in seinen vollendeten Formen ein astreines Kind der Kultur, die ja immer in Spuren von Natur verunreinigt ist. Da gibt es abgefeimtes Auskalkulieren, aber auch eine emotionale Basis von Trieb und Motiv. Allein der Qualitätsbegriff, den jedes Mobbing-Opfer für diese Taktik bereit hält, nämlich « gemein », gibt einen entscheidenden Hinweis. Gemeinheit kommt in der Natur nicht vor. Wenn da lebendig gefressen wird, bei den wilden Tieren wie bei der Gottesanbeterin, dann kann das nicht « gemein » sein, weil Tiere keine Moral haben, auch keine Gebote. Dafür haben sie Verhaltensweisen, mit denen sie an ihrer Umwelt angepasst sind. Wenn sich da im Urwald Vorläufer unserer Gebote, fünf an der Zahl, herausbildeten, dann beziehen sie sich darauf, die Horde intern stabil zu halten und in ihrem Habitat, ihrer Umwelt, überlebensfähig zu halten im Lichte einer frühen Kulturentwicklung. Es ging schon damals darum, Artgenossen nicht zu töten. Es ging um zuverlässige Verständigung, Fragen des Eigentums und sexueller Partnerbeziehungen, um Respekt vor den Alten. Der Humanethologe (Forscher des menschlichen Verhaltens) Irenäus Eibl-Eibesfeldt spricht von « moral-analogem Verhalten bei Tieren ». Was da in einer ersten regulierten Welt als Möglichkeit aber immer mit entsteht, ist das von den Regeln abweichende Verhalten. Wer alternativ handeln kann, entdeckt das Mobbing. Es sind immer die informellen Strategien, die sich am Regulären entlang bewegen. Sobald Verhalten genormt ist und eingeordnet werden kann, von Hammurapi, dem babylonischen König im 3. Jahrtausend v. Chr. kanonisiert und in Stein gemeißelt, sind damit Anhaltspunkte festgeschrieben, um die herum Mobbing möglich ist. Konfuzius, der chinesische Denker und Erzieher aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. sieht die chaotischen Kriegsverhältnisse seiner Zeit um Macht und Vorherrschaft. Er macht die menschliche Ordnung zu seinem zentralen Thema. Mit einem verfeinerten Regelwerk für die Untertanen und einer anspruchsvollen, abgestuften Erziehung einer Elite und ihrer gestaffelten Kompetenz gibt es kaum Alternativen für eigenwilliges, auch mobbendes Verhalten. Sonst gilt ja, wo das « Gute » ist, ist auch immer schon die Phantasie. Wer nicht so handeln will, wie vorgeschrieben, muss an die Möglichkeiten denken, es anders zu machen. Der griechische Philosoph Aristoteles spricht in diesem Zusammenhang davon, dass die falschen Wege immer zahlreich sind, während es für das richtige Ziel nur einen richtigen Weg gebe. Alle Wege führen nach Rom ist da schon Ideologie. Das Falsche und Böse machen einen starken Gebrauch von der Phantasie, die ja auch ohne Moral auskommt. Sie ist verantwortlich für die erstaunliche Buntheit, ja, Entfesselung auf diesem Gebiet.

Die Einzelfälle der Mobbingaktionen sind unendlich an der Zahl und so, trotz der großen Zahl an Veröffentlichungen zu diesem Thema, nicht darstellbar. Wer von ihnen zu einer Typologie voranschreitet, kann aber seine gewonnenen Typen am ausgesuchten Einzelfall exemplarisch darlegen und somit wenigstens einen Überblick gewinnen. Ganz allgemein für Mobbing ist, dass jemand diskriminiert und aus einer Gruppe ausgeschlossen bzw. an einem Eintritt gehindert werden soll. Er soll seine Stelle aufgeben. Er soll als Konkurrent ausgeschaltet werden. Er soll isoliert werden, indem seine Sozialkontakte gekappt werden. Er soll gequält werden. Er soll zur Verzweiflung getrieben werden, damit das alles erreicht wird.

Fragt man nach der Motivation der Täter, stößt man ebenfalls auf Typen. Ein allgemeiner Oberbegriff ist « Opportunismus », der Eigennutz, der vor asozialem und moralfreiem Handeln nicht zurückschreckt. Opportunismus findet sich beim Einzelnen wie bei Gruppen und Parteien. Die Devise lautet immer « Du oder ich ». Wem gehört das Wasserloch. Das war vor einer Million Jahren noch wörtlich so, heute hat es eine metaphorische Bedeutung, die jeder versteht. Was ich haben muss, muss ich haben. Ein Grund für Mobbing kann etwas anspruchsvoller sein, erst einmal im Vorfeld eine Gruppe zu stabilisieren. Wird jemand, der nach Mottenpulver riecht oder Segelohren hat, mobbend drangsaliert, heißt das, jeder in unserer Gruppe ist nicht so wie der, und wir sind sowieso in jeder Beziehung unanfechtbar anders. Was wir Urteil und Vorurteil nennen, sind Begriffe, die Folgen haben können, die dazu aufrufen.

Schließlich ist die Frage nach dem Ort, an dem mit Vorliebe und Hingabe gemobbt wird, sehr ergiebig. Jeder kennt die Typologie, die vom Kindergarten bis zum Tennisclub, zur politischen Partei und zum Großraumbüro reicht. Das sind relativ intime Zirkel und erinnern an das Mythologische, an die Schlange, an Eva. Mobbing kann leicht ein Einschnitt in das Leben des Betroffenen sein. Obwohl unter Umständen äußerst schmerzhaft, nehmen wir ihn hin; denn wir kennen dieses Schema. Unsere Kultur hat es so wichtig genommen, es uns schon gleich zu lehren. Es genügte ein verleumderisches, heimtückisches Wispern und aus einem glücklichen Leben ohne Verantwortung wurde doch sehr abrupt, eben wie Mobbing so läuft, eine Ackerbau- und Viehzucht-Existenz. Bis heute ist das stehende und schmückende Eigenschaftswort erhalten geblieben, recht karg: „im Schweiße deines Angesichts.“ Das schlimmste, könnte man meinen, haben wir also schon hinter uns. Wer mit Mobbing nicht fertig wird, könnte ja immerhin noch Spargelstecher werden, bevor er vollends die Fassung verliert, oder, so der philosophische Standpunkt, „seinen Garten kultivieren“ (Voltaire).

Wo ein Ort ist, ist auch Ausgrenzung möglich, da findet sie statt. Deswegen heißt unser Sehnsuchtsland auch „Utopie“, Nirgendort. Wem aber Ausgrenzung egal ist, denkt an Eskapismus. Strandwächter auf den Malediven, Studentenkeller und Barkeeper. Kräftigung des Selbstbewusstseins durch Sport. Alles noch im bürgerlichen Rahmen, allerdings ohne sich auf ehrgeizige Ziele festzulegen.