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Buch lesen: «Fadette», Seite 15

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Sechsunddreißigstes Kapitel

Die Ehepackten wurden alsbald abgeschlossen. Gleich nachdem Fränzchens Trauerzeit vorüber sein würde, sollte die Hochzeit stattfinden. Es handelte sich nur noch darum Landry zurückkommen zu lassen. Als aber an demselben Abend die Mutter Barbeau sich aufmachte um Fränzchen zu besuchen und sie zu umarmen und ihr ihren mütterlichen Segen zu geben, machte sie ihr zugleich Vorstellungen darüber, daß Sylvinet auf die Nachricht von der bevorstehenden Hochzeit seines Bruders wieder krank geworden sei. Sie bat also, daß man noch einige Tage warten möchte, bis er entweder wieder genesen oder getröstet sein würde.

»Sie haben etwas Verkehrtes gethan, Mutter Barbeau,« sagte die Fadette, »als Sie Sylvinet darin bestärkten, daß es kein Traum gewesen sei, als er mich beim Erwachen aus dem Fieberschlafe an seinem Bette sah. Jetzt werden seine Vorstellungen den meinigen widerstreben; und ich werde nicht mehr dieselbe Kraft besitzen ihn während seines Schlafes zu heilen. Es könnte sogar sein, daß er mich zurückstößt, und daß meine Gegenwart sein Übel verschlimmert.«

»Das glaube ich nicht,« erwiderte die Mutter Barbeau; »denn sobald er sich nicht wohl fühlte, legte er sich nieder und sagte dabei: ›Wo ist denn die Fadette? Mir ist, als ob sie mir Erleichterung verschafft hätte. Wird sie denn nicht wieder kommen? ‹ Darauf habe ich ihm gesagt, daß ich dich holen würde, womit er nicht nur einverstanden war, sondern er schien sogar darnach zu verlangen.«

»Ich werde kommen,« sagte die Fadette; »allein dieses Mal werde ich es anders anfangen müssen; denn das kann ich Ihnen sagen, das Verfahren, mit dem es mir bei ihm gelungen ist, so lange er nicht wußte, daß ich da war, wird nicht mehr wirksam sein.«

»Aber nimmst du denn weder Kräuter noch andere Arzneien mit?« fragte die Mutter Barbeau.

»Nein,« sagte die Fadette; »sein Körper ist eigentlich nicht krank; ich habe es nur mit seinem inneren Menschen zu thun. Ich werde versuchen seinen Willen dem meinigen zu unterwerfen, aber ich kann Ihnen durchaus nicht versprechen, daß es gelingen wird. Alles, was ich versprechen kann ist, geduldig die Rückkehr Landrys zu erwarten, und nicht zu verlangen, daß Sie ihn benachrichtigen sollen, bevor wir nicht alles aufgeboten haben, seinen Bruder wieder gesund zu machen. Landry hat mir dies selbst so ans Herz gelegt, daß ich weiß, er wird mir beistimmen seine Rückkehr zu verzögern.«

Als Sylvinet die kleine Fadette an seinem Bette erblickte, schien er unzufrieden darüber, und wollte ihr auf ihre Fragen nach seinem Befinden durchaus nicht antworten. Sie wollte ihm den Puls fühlen, aber er entzog ihr seine Hand und wandte sein Gesicht von ihr ab. Fadette machte darauf ein Zeichen, daß man sie mit ihm allein lassen solle, und als die Anwesenden alle hinausgegangen waren, verlöschte sie die Lampe und ließ das Zimmer nur vom Schein des Mondes beleuchten, der in diesem Augenblick in seiner ganzen Fülle am Himmel stand. Als sie sich dann wieder zu Sylvinet wandte, sagte sie ihm im Tone des Befehls, dem er wie ein Kind gehorchte:

»Sylvinet, legen Sie Ihre beiden Hände in die meinigen, und antworten Sie mir der Wahrheit gemäß, denn es geschieht nicht um Geld, daß ich mich bemühe. Wenn ich gekommen bin, um Sie zu pflegen, so will ich nicht schlecht und undankbar von Ihnen behandelt sein. Geben Sie also wohl acht auf das, was ich Sie fragen werde, und was Sie mir darauf antworten, denn es würde Ihnen nicht gelingen mich zu täuschen.«

»Fragen Sie mich, wie es Ihnen angemessen scheint, Fadette,« erwiderte der Zwilling, der ganz erstaunt war, sich so streng von der spöttischen kleinen Fadette angeredet zu hören, der er in früherer Zeit so oft mit Steinwürfen geantwortet hatte.

»Sylvain Barbeau,« ergriff sie wieder das Wort, »es scheint, daß Sie gern sterben möchten.«

Sylvain fühlte sich innerlich etwas erschüttert und es dauerte ein wenig, bis er sich zu einer Antwort sammeln konnte. Als die kleine Fadette ihm die Hand etwas kräftig drückte, damit er die Kraft ihres Willens empfinden sollte, sagte er in großer Verwirrung:

»Wäre es nicht das Beste, was mit mir geschehen könnte, wenn ich stürbe, da ich doch wohl einsehe, daß ich für meine Familie eine Plage und eine Last bin .... durch meine Kränklichkeit und durch ....«

»Sprich es aus, Sylvain; du darfst nichts vor mir verhehlen.«

»Und durch meine traurige Gemütsart, die ich nicht zu ändern vermag,« sprach der Zwilling ganz überwältigt.

»Und durch dein verstocktes Herz,« sagte die kleine Fadette in einem so harten Tone, daß er darüber in Zorn und gleich darauf in Furcht geriet.

Siebenunddreißigstes Kapitel

»Warum werfen Sie mir vor, daß ich ein verstocktes Herz haben soll?« sagte er; »Sie sprechen Beleidigungen gegen mich aus, und sollten doch sehen, daß ich nicht die Kraft habe, mich zu verteidigen.«

»Ich sage Ihnen nur die Wahrheit,« entgegnete die Fadette; »und ich werde Ihnen noch ganz andere Dinge sagen. Ich habe gar kein Mitleiden mit Ihnen wegen Ihrer Krankheit, weil ich genug davon verstehe, um zu wissen, daß es nicht viel damit auf sich hat; und wenn es überhaupt eine Gefahr für Sie giebt, so ist es die verrückt zu werden, worauf Sie selbst mit allen Kräften hinarbeiten, ohne zu bedenken, wohin Ihre Bosheit und Ihre Charakterschwäche Sie noch bringen können.«

»Meine Charakterschwäche können Sie mir vorwerfen,« sagte Sylvinet; »was aber meine Bosheit betrifft, so ist dies ein Vorwurf, den ich durchaus nicht zu verdienen glaube.«

»Machen Sie keinen Versuch sich zu verteidigen,« wandte die kleine Fadette ein; »ich kenne Sie etwas besser, als Sie sich selbst kennen, Sylvain; und ich sage Ihnen, daß aus der Schwachheit die Falschheit entsteht; und so kommt es, daß Sie selbstsüchtig und undankbar sind.«

»Wenn Sie so schlecht von mir denken, Fränzchen Fadet, so kommt dies gewiß daher, weil mein Bruder Landry mir in seinen Reden über mich, übel mitgespielt haben wird. Daraus hätten Sie erkennen sollen, wie wenig Freundschaft er für mich hat. Wenn Sie mich kennen, oder zu kennen glauben, so kann dies nur durch ihn sein.«

»Dies ist der Punkt, auf dem ich Sie haben wollte, Sylvain. Ich wußte recht gut, daß Sie nicht drei Worte reden können, ohne sich über Ihren Zwilling zu beklagen und Ihre Anklagen gegen ihn zu erheben. Dies kommt daher, weil die Freundschaft, welche Sie für ihn haben zu wahnsinnig und zu zügellos ist, und sich deshalb in Groll und Zorn verwandelt. Eben daran erkenne ich, daß Sie schon halb wahnsinnig und nichts weniger als gut find. Wohlan! Ich, ich bin es, die Ihnen sagt, daß Landry Sie tausendmal mehr liebt, als Sie ihn lieben; zum Beweis dafür erinnern Sie sich daran, daß er Ihnen niemals einen Vorwurf daraus macht, wenn Sie ihn auch noch so sehr betrüben, während Sie ihm aus allem einen Vorwurf machen, wenn er auch nichts thut, als daß er Ihnen immer nachgiebt und Ihnen gefällig sein möchte. Können Sie sich einbilden, daß ich den Unterschied zwischen ihm und Ihnen nicht erkennen sollte? Je mehr mir Landry Gutes von Ihnen gesagt hat, um so schlimmer habe ich Sie beurteilt, weil ich mir bei einigem Nachdenken sagen mußte, daß nur ein ungerechtes Herz einen so guten Bruder verkennen kann?«

»So hassen Sie mich also, Fadette? Ich habe mich darüber nie getäuscht, und ich wußte recht gut, daß Sie es sind, die mir die Liebe meines Bruders entzieht, indem Sie ihm Böses von mir sagen.«

»Auch diesen Vorwurf habe ich von Ihnen erwartet, Meister Sylvian; und es freut mich, daß endlich auch die Reihe an mich kommt. Wohlan! ich antworte Ihnen darauf, daß Sie ein böses Herz haben und mit Lügen umzugehen wissen, da Sie eine Person, die Ihnen stets gedient und Sie in ihrem Innern entschuldigt hat, trotzdem sie recht gut wußte, daß Sie ihr feindselig gesinnt waren – also verkennen und beleidigen können. Eine Person, die sich hundertmal der größten und einzigen Freude, die es auf der Welt für sie gab, des Vergnügens Landry zu sehen und in seiner Gesellschaft verweilen zu können, beraubte, nur damit Landry bei Ihnen bleiben konnte und Sie das Glück genießen sollten, das ich mir selbst entzog. Und doch war ich Ihnen gar nichts schuldig, denn Sie sind von jeher mein Feind gewesen. So weit meine Erinnerung zurückgeht, ist mir niemals ein Knabe vorgekommen, der so hart und hochmütig gewesen wäre, wie Sie es gegen mich waren. Der Wunsch, mich dafür zu rächen, hätte mir wohl nahe liegen können, und an Gelegenheit dazu hat es mir nicht gefehlt. Wenn ich es nicht gethan habe, und Ihnen, ohne daß Sie darum wußten, das Böse mit Gutem vergolten habe, so kommt das daher, weil es nach meinen Begriffen zu den ersten Pflichten des Christen gehört, aus Liebe zu Gott seinem Nächsten zu verzeihen. Aber, wenn ich Ihnen von Gott rede, so werden Sie mich gewiß kaum verstehen, denn, wie Sie ein Feind Ihres eigenen Heils sind, so sind Sie auch der Feind Gottes.«

»Ich habe mir von Ihnen manches sagen lassen, Fadette; aber jetzt ist es mir doch zu arg; Sie klagen mich an, daß ich ein Heide sei.«

»Haben Sie mir nicht eben jetzt gesagt, daß Sie sich den Tod wünschen? Glauben Sie denn, das dieser Gedanke etwa christlich sei?«

»Das habe ich nicht gesagt, Fadette; ich habe gesagt, daß …« Sylvinet verstummte ganz entsetzt, indem er daran dachte, was er gesagt hatte; und dies schien ihm jetzt den Vorstellungen der Fadette gegenüber etwas Gotteslästerliches zu sein.

Aber sie ließ ihm keine Ruhe und fuhr fort ihn ins Gebet zu nehmen.

»Es ist möglich,« sagte sie, »daß Ihre Worte schlimmer waren, als Ihre Gedanken, denn ich glaube wohl, daß Sie nicht so sehr den Tod herbeiwünschen, als es Ihnen ein Vergnügen macht, dies Ihre Umgebung glauben zu machen, um den Herrn in Ihrer Familie zu spielen. Ihre arme Mutter, die untröstlich darüber ist, quälen Sie damit; ebenso Ihren Zwillingsbruder, der unerfahren genug ist, daran zu glauben, daß Sie wirklich Ihrem Leben ein Ende machen wollen. Mich aber, Sylvain, mich täuschen Sie nicht. Ich glaube, daß Sie den Tod ebenso sehr, und sogar noch mehr fürchten als jeder andere. Sie treiben nur ein Spiel mit der Furcht, die Sie den Ihrigen dadurch einstoßen. Sie haben ein Vergnügen daran zu sehen, wie die vernünftigsten und notwendigsten Beschlüsse immer wieder aufgegeben werden müssen, vor der Drohung, daß Sie sich das Leben nehmen wollen. Wahrhaftig, es ist sehr bequem und angenehm, wenn man nur so eine Redensart hinzuwerfen braucht, um sich seine ganze Umgebung willfährig zu machen. Auf diese Art sind Sie hier Herr und Meister über alle. Aber, da dies wider die Natur ist, und Sie auch nur durch Mittel dazu gelangen, die von Gott verworfen sind, finden Sie zugleich Ihre Strafe darin. Sie sind noch viel unglücklicher dadurch, als Sie es sein würden, wenn Sie anstatt zu befehlen, gehorchen müßten. So kommt es, daß Ihnen ein Leben, das man Ihnen zu leicht machte, zum Überdruß geworden ist. Ich will Ihnen jetzt sagen, Sylvain, woran es Ihnen gefehlt hat, um ein guter verständiger Mensch zu werden. Sie hätten recht strenge Eltern, nicht immer das tägliche Brot und recht häufig Züchtigungen haben müssen. Wären Sie in derselben Schule groß geworden, wie ich und mein Bruder Jeanet, dann würden Sie statt undankbar zu sein, für die geringste Gabe erkenntlich sein. Berufen Sie sich auch nicht zu sehr darauf, daß Sie ein Zwilling sind. Ich weiß, daß man in Ihrer Umgebung viel zu viel davon gesprochen hat, daß diese Zwillingsliebe ein Naturgesetz sei, und daß Sie sterben würden, wenn man Ihrem Gefühl entgegentreten wollte. So glaubten Sie Ihrer Bestimmung zu gehorchen, indem Sie diese Liebe bis aufs Äußerste trieben. Gott aber ist nicht so ungerecht uns schon im Mutterschoße für ein schweres Schicksal zu bezeichnen. Er ist nicht so erbarmungslos uns mit Vorstellungen zu erfüllen, die es nicht in unsere Macht gegeben wäre überwinden zu können. In Ihrem Aberglauben fügen Sie dem lieben Gott eine Beleidigung zu, wenn Sie annehmen, das böse Geschick und die Fähigkeit dagegen anzukämpfen seien mehr in dem Blute Ihres Körpers begründet, als daß die Kraft des Widerstandes und der Vernunft in Ihrem geistigen Wesen Ihrem eigenen Willen zur Verfügung gestellt sind. Niemals, wenigstens nicht, so lange Sie noch im Besitz Ihrer Vernunft sind, werde ich glauben, daß Sie Ihre Eifersucht nicht bekämpfen können, sobald Sie den Willen dazu haben. Aber Sie wollen es nicht, weil man Sie bei der Schwäche Ihres Gemütes zu sehr verhätschelt hat, und weil Sie Ihre Pflicht geringer achten als Ihre Laune.«

Sylvinet antwortete nichts, und ließ sich die Zurechtweisungen der Fadette, die ihm auch nicht einen einzigen Vorwurf ersparte, noch lange gefallen. Er empfand, daß sie im Grunde Recht habe, und daß es ihr, einen einzigen Punkt ausgenommen, auch nicht an Nachsicht fehle. Dieser Punkt bestand darin, daß sie zu glauben schien, daß er nie versucht habe seinen bis zur moralischen Schwäche gesteigerten Schmerz zu bekämpfen, und daß er stets nur seiner Selbstsucht gefröhnt habe, während er doch nur ohne es zu wollen und ohne es zu wissen selbstsüchtig gewesen war. Dies schmerzte und demütigte ihn sehr, und er hätte gewünscht ihr eine bessere Meinung von seinem Gewissen beibringen zu können. Was sie selbst betraf, so wußte sie recht gut, daß sie übertrieben hatte; aber sie hatte dies absichtlich gethan, um ihm den Geist tüchtig zu bestürmen, bevor sie ihn durch Sanftmut und tröstlichen Zuspruch gewinnen wollte. Sie zwang sich sogar dazu streng mit ihm zu reden, und ihm zornig zu erscheinen; denn im Herzen empfand sie so große Teilnahme und Liebe für ihn, daß sie sich von dem Zwang der Verstellung ganz elend fühlte, und als sie sich entfernte, war sie selbst viel angegriffener, als sie ihn zurückließ.

Achtunddreißigstes Kapitel

Die Wahrheit ist, daß Sylvinet nicht halb so krank war, als es den Anschein hatte, und daß er sich darin gefiel, sich selbst dafür zu halten. Als die kleine Fadette ihm den Puls fühlte, hatte sie gleich erkannt, daß das Fieber nicht stark war, und wenn er auch ein wenig phantasiert hatte, so fand dies seine hinlängliche Erklärung in dem aufgeregten Zustande seines Gemütes. Da er also ihrer Überzeugung nach weniger krank am Körper, als krank und geschwächt im Gemüte war, glaubte sie von der geistigen Seite auf ihn einwirken zu müssen, und trachtete zunächst dahin, sich so zu verhalten, daß er mit großer Furcht vor ihr erfüllt werden mußte. Am folgenden Morgen kehrte sie mit Tagesanbruch zu ihm zurück. Er hatte fast gar nicht geschlafen, aber er war ruhig und sehr matt. Sobald er sie erblickte streckte er ihr die Hand entgegen, statt sie ihr zu entziehen, wie er es am Abend vorher noch gethan hatte.

»Warum reichen Sie mir die Hand, Sylvain?« fragte sie; thun Sie es, damit ich prüfen soll, wie es mit Ihrem Fieber steht? Ich sehe schon an Ihrem Gesicht, daß Sie es nicht mehr haben.«

Ganz beschämt darüber, daß er seine Hand, die sie nicht einmal berühren wollte, zurücknehmen mußte, sagte er darauf: »Ich that es, um Sie zu begrüßen, Fadette, und Ihnen für alle die Mühe zu danken, die Sie meinetwegen gehabt haben.«

»So lasse ich mir Ihre Begrüßung gefallen,« sagte sie, indem sie seine Hand ergriff und in der ihrigen behielt; »denn ich weise niemals eine Höflichkeit zurück, und ich halte Sie auch durchaus nicht für so falsch, daß Sie mir mit Freundlichkeit entgegenkommen würden, wenn Sie mir nicht auch wirklich ein wenig freundlich gesinnt wären.«

Obgleich Sylvinet vollkommen wach war, so erfüllte es ihn doch mit großem Behagen, daß seine Hand in der Fadettens ruhte, und er sprach zu ihr in sehr sanftem Tone:

»Sie haben mir gestern Abend doch arg zugesetzt, Fränzchen, und ich weiß wirklich nicht, wie es kommt, daß ich Ihnen deshalb nicht böse bin. Ich finde es sogar sehr liebenswürdig von Ihnen, daß Sie, nach allem, was Sie mir vorzuwerfen haben, noch kommen mich zu besuchen.«

Die Fadette setzte sich an sein Bett und redete in ganz anderer Weise zu ihm, als sie es am vergangenen Abend gethan hatte. Sie sprach mit so viel Güte, Sanftmut und Zärtlichkeit, daß Sylvinet sich dadurch umsomehr getröstet und sogar freudig gestimmt fühlte, als er sich gedacht hatte, sie würde noch sehr aufgebracht sein. Er vergoß viele Thränen, gestand sein ganzes Unrecht ein, und bat sie so artig und liebenswürdig ihm zu verzeihen und ihm freundlich gesinnt zu sein, daß sie wohl erkannte sein Herz müsse besser sein als sein Kopf. Sie ließ ihn sich aussprechen, gab ihm auch noch einige leichte Verweise, und als sie dann ihre Hand zurückziehen wollte, hielt er sie fest, weil es ihm war, als ob dieser Hand zugleich mit der Heilung für seine Krankheit auch die Linderung seines Kummers entströme.

Als sie nun sah, daß es mit ihm bis zu dem Punkte gekommen war, auf dem sie ihn haben wollte, sagte sie:

»Ich gehe jetzt, Sylvain, und Sie stehen auf, denn Sie haben kein Fieber mehr und müssen sich nicht länger verweichlichen, während Ihre Mutter sich abmüht, Sie zu bedienen und ihre Zeit damit verbringt Ihnen Gesellschaft zu leisten. Und Sie werden jetzt auch essen, was ich Ihnen durch Ihre Mutter schicken werde. Es wird Fleisch sein, von dem Sie, wie ich weiß behaupten, daß es Ihnen widersteht, weil Sie sich nur noch von schlechten Kräutern nähren wollten. Aber das schadet nichts, Sie werden sich kräftigen, und wenn Sie auch noch einigen Widerwillen empfinden sollten, so lassen Sie sich wenigstens nichts davon merken. Ihrer Mutter wird es eine große Freude sein, Sie etwas Nahrhaftes essen zu sehen, und wenn Sie Ihren Widerwillen einmal überwinden, wird er schon das nächste Mal sich sehr vermindert haben und beim drittenmale ganz verschwunden sein. Sie werden sehen, daß ich recht habe. Nun behüte Sie Gott! und daß man mich Ihretwegen nicht sobald wiederzuholen braucht, denn ich weiß, Sie werden nicht mehr krank sein, sobald Sie es nicht mehr sein wollen.«

»Sie wollen also heute Abend nicht wieder kommen?« sagte Sylvinet. »Ich hatte mir doch gedacht, Sie würden wieder kommen.«

»Ich bin kein Arzt, der sich bezahlen läßt, Sylvain; außerdem habe ich was anderes zu thun, als Sie zu pflegen, da Sie ja doch nicht krank sind.«

»Sie haben recht, Fadette; aber glauben Sie denn das Verlangen Sie zu sehen, sei nur Selbstsucht gewesen? es war etwas ganz anderes: Es gewährte mir Trost mit Ihnen zu reden.«

»Nun gut, Sie können sich ja bewegen und wissen, wo ich wohne. Es ist kein Geheimnis mehr für Sie, daß ich durch meine Verheiratung Ihre Schwester werde, wie ich es aus Freundschaft schon bin. Sie können mich also besuchen, um mit mir zu Plaudern, ohne daß etwas Anstößiges darin zu finden wäre.«

»Ich werde kommen, da Sie es mir erlauben,« sagte Sylvinet. »Also auf Wiedersehen, Fadette; sogleich stehe ich auf, trotzdem ich heftiges Kopfweh habe, weil ich die ganze Nacht hindurch sehr traurig war und gar nicht geschlafen habe.«

»Ich bin bereit Ihnen dieses Kopfweh noch zu vertreiben; aber denken Sie daran, daß es zum letztenmale geschieht, und daß ich Ihnen befehle in der nächsten Nacht gut zu schlafen.«

Sie legte ihm die Hand auf die Stirn und nach fünf Minuten fühlte er sich so erfrischt und gestärkt, daß er überhaupt nichts mehr von Kranksein wußte.

»Ich sehe wohl, Fadette,« sagte er, »daß ich unrecht that mich gegen Sie zu sträuben, denn Sie sind eine große Wunderdoktorin und verstehen es die Krankheit nur so fortzuzaubern. Alle anderen haben durch Ihre Tränke mein Übel nur verschlimmert, und Sie brauchten mich nur zu berühren, um mich zu heilen. Ich glaube, wenn ich immer in Ihrer Nähe sein könnte, würden Sie mich für immer vor Krankheit und Sünde behüten. Aber sagen Sie mir nur Fadette, Sie sind mir doch nicht mehr böse? Und wollen Sie sich auch darauf verlassen, wie ich Ihnen mein Wort gegeben habe, daß ich mich Ihnen ganz und gar unterwerfe?«

»Ich verlasse mich darauf,« sagte sie; »wenigstens werde ich Sie lieben, als ob Sie mein Zwilling wären, so lange Sie Ihrem Vorsatz treu bleiben.«

»Wenn Sie empfinden könnten, was Sie mir da sagen, Fränzchen, dann würden Sie mich »du« nennen und nicht mehr »Sie«. Unter Zwillingen ist es nicht Brauch so viele Umstände untereinander zu machen.«

»Gut, Sylvain, stehe auf, iß und trink, gehe spazieren und schlafe,« sagte sie, indem sie sich selbst erhob. »Dies ist's, was ich dir für heute zu thun befehle. Morgen sollst du arbeiten.«

»Und ich werde mich aufmachen, dich zu besuchen,« sagte Sylvinet.

»So sei's,« sagte sie; und indem sie sich zum Gehen wandte, betrachtete sie ihn mit einem Ausdruck der Liebe und der Versöhnung, daß er sich davon berührt fühlte, als ob durch diesen Blick die Kraft und die Lust, sich von dem Lager des Müßigganges und des Kummers zu erheben, plötzlich in ihm entzündet würden.