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Buch lesen: «Fadette», Seite 13

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Dreißigstes Kapitel

Anfangs empfand Sylvinet eine Art selbstsüchtiger Befriedigung, als er erfuhr, daß die kleine Fadette fort sei. Er schmeichelte sich damit, daß sein Zwillingsbruder künftig nur noch ihn allein lieben werde und ihn für niemanden in der Welt mehr verlassen würde. Allein die Dinge verhielten sich ganz anders. Wohl war es Sylvinet, den Landry nächst der kleinen Fadette am meisten liebte, aber dennoch konnte es ihm in seiner Gesellschaft nicht lange behagen, denn Sylvinet wollte sich von seinem Widerwillen gegen die Fadette durchaus nicht lossagen. Sobald Landry nur versuchte in seiner Gegenwart von ihr zu reden und ihn mit in sein Interesse zu ziehen, wurde dieser betrübt darüber und machte ihm Vorwürfe, daß er so hartnäckig an einem Gedanken festhalte, der ihren Eltern so widerwärtig und auch ihm höchst unangenehm sei. Von da an hörte Landry auf mit ihm darüber zu sprechen; da er aber nicht sein konnte, ohne von seiner Geliebten zu reden, teilte er seine Zeit zwischen Cadet Caillaud und dem kleinen Jeanet, den er mit sich herumführte, seinen Katechismus aufsagen ließ und ihn nach besten Kräften tröstete. Wenn man ihn mit dem Kinde an der Hand begegnete, hätte man sich gern lustig über ihn machen mögen, wenn man es nur gewagt hätte. Aber, ganz abgesehen davon, daß Landry sich niemals eine Verspottung gefallen ließ, worin es auch sein mochte, war er viel eher stolz darauf, als daß er sich geschämt hätte, seine Freundschaft für den Bruder von Fränzchen Fadet offen zu zeigen, und grade dadurch widersprach er dem Geschwätz von Leuten, welche da behaupten wollten, er habe wohlweislich seiner Liebe beizeiten den Zügel anzulegen gewußt. Mit großem Kummer sah Sylvinet, daß sein Bruder sich ihm nicht in dem Maße, wie er es wünschte, wieder zuwandte, und daß er sich nun gar darauf beschränken mußte seine Eifersucht gegen Cadet Caillaud und den kleinen Jeanet zu richten. Zu alledem mußte er es auch noch erleben, daß seine Schwester Nanette, welche ihn bisher immer getröstet und durch ihre zärtliche Fürsorge und zarten Aufmerksamkeiten wieder erquickt hatte, jetzt großes Wohlgefallen an der Gesellschaft eben jenes Cadet Caillaud zu finden schien, und daß diese Neigung von beiden Familien sehr gebilligt wurde. Der arme Sylvinet, der sich einbildete, er müsse die Gefühle von allen, die er liebte, nur ganz allein für sich besitzen, verfiel endlich in einen tödlichen Kummer. In ein sonderbares Hinbrüten versunken, verdüsterte seine Stimmung sich so sehr, daß man nicht mehr wußte, was man mit ihm anfangen sollte, um ihn nur etwas zufriedener zu sehen. Kein Lächeln trat auf seine Lippen, an nichts fand er mehr Geschmack und er vermochte kaum noch zu arbeiten, so sehr verzehrte er sich in seinem Schmerz. Schließlich welkte er dahin, sodaß man endlich für sein Leben zu fürchten begann; das Fieber verließ ihn fast nicht mehr, und wenn er es etwas mehr als gewöhnlich hatte, führte er Reden, als ob der Gram ihm die Vernunft zu erschüttern beginne, und die für das Herz der Eltern grausam anzuhören waren. Er, den man stets gehätschelt und verzogen hatte, mehr als alle anderen in der Familie, behauptete, daß er von niemanden geliebt werde. Er wünschte den Tod herbei, weil er ja doch zu nichts tauge; daß man ihn damit verschonen möge, ihn wegen seines Zustandes zu bemitleiden; er sei nur noch eine Last für seine Eltern, und es würde die größte Gnade sein, die der liebe Gott ihnen erzeigen könnte, wenn er sie von ihm erlösen wolle.

Manchmal, wenn der Vater Barbeau diese wenig christlichen Reden vernahm, tadelte er ihn streng deshalb. Es wurde aber nichts dadurch gebessert. Mitunter beschwor der Vater seinen Sohn unter Thränen, daß er seine Liebe doch besser erkennen solle. Dies machte die Sache noch schlimmer: denn Sylvinet fing an zu weinen, empfand heftige Reue und bat seinen Vater, seine Mutter, seinen Zwillingsbruder, ja die ganze Familie um Verzeihung. Wenn er bei solchen Gelegenheiten der übergroßen Zärtlichkeit seines kranken Gemütes einen freien Erguß gestattet hatte, kehrte das Fieber um so stärker zurück.

Man befragte aufs neue die Ärzte um Rat. Sie wußten nicht, was sie raten sollten. An ihren Mienen war es aber zu erkennen, daß sie der Meinung waren: das ganze Übel entstamme der Zwillingsschaft, die dem einen oder dem anderen tödlich sein müsse, folglich den Schwächsten von beiden hinwegraffen werde. Man befragte auch noch die Badefrau von Clavières, welche nächst der Sagette, die gestorben war, und nächst der Mutter Fadet, welche begann kindisch zu werden, die weiseste Frau des Bezirkes war. Diese geschickte Frau gab der Mutter Barbeau die folgende Auskunft:

»Es giebt nur ein Mittel Euer Kind zu retten, und dies ist: daß er die Frauen liebt.«

»Und grade die kann er nicht leiden,« sagte die Mutter Barbeau. »Nie hat es einen Burschen geben können, der stolzer und verständiger gewesen wäre; aber seit dem Augenblick, wo sein Zwilling sich die Liebe zu einer Frau in den Kopf gesetzt hat, begann er von allen Mädchen unserer Bekanntschaft nur noch böses zu reden. Er mißachtet sie alle, weil eine von ihnen, – und unglücklicherweise ist dies nicht die beste, – wie er behauptet, ihm das Herz seines Bruders geraubt hat.«

»Nun wohl,« sagte die Badefrau, die alle Krankheiten des Körpers und der Seele recht gut zu beurteilen wußte, »von dem Tage an, wo Euer Sohn Sylvinet eine Frau zu lieben beginnt, wird er sie noch viel heftiger lieben, als er jetzt seinen Bruder liebt. Das laßt Euch von mir im voraus gesagt sein. Er hat in seinem Herzen ein Übermaß von Liebesbedürfnis, und da er dies bis jetzt immer auf seinen Zwillingsbruder übertragen hat, vergaß er darüber, sozusagen, sein Geschlecht, und darin hat er sich gegen das Gebot des lieben Gottes verfehlt, nach dessen Willen der Mann eine Frau mehr lieben soll als Vater und Mutter, als Schwester und Bruder. Indessen tröstet Euch, denn es kann ja nicht lange auf sich warten lassen, daß die Natur in ihm erwachen muß. Und dann zögert nur nicht, die Frau, die er lieben wird, – mag sie nun arm oder reich, häßlich oder schön, gut oder böse sein, – ihm zum Weibe zu geben. Denn, allem Anscheine nach, wird er in seinem Leben nicht eine zweite lieben. Sein Herz ist einer außerordentlichen Treue und Ergebenheit fähig, und wenn schon ein Wunder geschehen muß, um seine Gefühle nur ein wenig von seinem Zwilling abzulenken, so würde es eines noch viel größeren bedürfen, um ihn von einer Frau zu trennen, der es gelungen wäre jenen aus seinem Herzen zu verdrängen.«

Die Ansicht der Badefrau schien dem Vater Barbeau sehr richtig zu sein, und er suchte Sylvinet bei den Familien einzuführen, wo es schöne und brave Töchter zu verheiraten gab. Aber, obgleich Sylvinet gewiß ein hübscher und wohlerzogener Bursche war, fühlten sich die Mädchen doch durchaus nicht zu ihm hingezogen, wegen seiner eignen gleichgültigen und traurigen Miene. Sie kamen ihm also nichts weniger als aufmunternd entgegen, und er selbst, der so schüchtern war, begann sie zu fürchten und bildete sich dazu noch ein, daß sie ihn gar verabscheuten. Der Vater Caillaud, welcher der aufrichtigste Freund und der bewährteste Ratgeber der Familie war, trat jetzt mit einer anderen Meinung hervor:

»Ich habe es euch immer gesagt, daß es kein besseres Heilmittel giebt, als ihn fortzuschicken. Da seht einmal Landry! Er raste für die kleine Fadette, und doch hat er durch die Entfernung derselben weder an Vernunft noch an Gesundheit irgendwie eingebüßt; er ist sogar weniger traurig, als er dies, wie wir selbst bemerkten, ohne die Ursache davon zu wissen, schon oft gewesen ist. Jetzt scheint er nun ganz vernünftig geworden zu sein und sich gefügt zu haben. Grade so würde es mit Sylvinet gehen, wenn er einmal fünf oder sechs Monate lang seinen Bruder nicht mehr zu Gesichte bekäme. Ich werde euch das Mittel angeben, wie man sie ganz allmählich voneinander entwöhnen kann. Mit meiner Meierei in la Priche steht es gut; aber mit meinem Anwesen, das nach Arton zu liegt, steht es dagegen um so schlechter. Mein Großknecht, den ich dort habe, ist schon seit ungefähr einem Jahre krank und kann sich nicht wieder erholen. Ich will ihn gewiß nicht beiseite schieben, denn er ist wirklich ein tüchtiger und fleißiger Mann. Aber wenn ich ihm einen guten Arbeiter zur Unterstützung schickte, würde er sich gewiß wieder erholen, weil er vielleicht nur durch Überanstrengung krank geworden ist. Wenn es euch also recht ist, werde ich Landry dahin schicken, damit er den Rest des Jahres dort zubringen kann. Wenn er geht, darf aber Sylvinet nichts davon erfahren, daß es für längere Zeit ist. Wir sagen im Gegenteil, daß er nur auf acht Tage fort geht. Und, wenn diese acht Tage vergangen sind, sprechen wir von noch weiteren acht Tagen, und so treiben wir es fort, bis Sylvinet sich an die Trennung gewöhnt hat. Thut nach meinem Rat, statt immer der Laune eines Kindes zu stöhnen, das ihr zuviel verwöhnt habt, bis es euch über den Kopf gewachsen ist.«

Der Vater Barbeau war geneigt diesen Rat zu befolgen, aber die Mutter Barbeau erschrak davor. Sie fürchtete, dies könne für Sylvinet der Todesstoß sein. Es war daher nötig, daß man sich auf eine Unterhandlung mit ihr einließ. Sie verlangte, daß man zuerst den Versuch machen solle, Landry vierzehn Tagelang hintereinander im elterlichen Hause zu behalten, um zu sehen, ob es sich zunächst mit Sylvinets Gesundheit nicht bessern würde, wenn er seinen Bruder zu jeder Stunde um sich habe. Sollte sich im Gegenteil der Zustand des Leidenden verschlimmern, dann wollte sie sich den Ratschlägen des Vaters Caillaud ergeben.

Man kam also überein, in dieser Weise einen Versuch zu machen. Landry war gern bereit, wie man es von ihm verlangte, die bestimmte Zeit auf dem Zwillingshofe zuzubringen. Unter dem Vorwande, daß Sylvinet nicht mehr arbeiten könne, und daß der Vater seiner bedürfe, um den Rest des Getreides zu dreschen, ließ man ihn dahin kommen. Landry bot nun alles auf, seinen Bruder durch Sorgfalt und Güte zufriedenzustellen. In jeder Stunde suchte er ihn auf, schlief mit ihm in demselben Bette und pflegte ihn, als ob er ein kleines Kind gewesen wäre. Am ersten Tage zeigte sich Sylvinet hocherfreut; aber schon am zweiten behauptete er, Landry langweile sich bei ihm, und Landry war nicht imstande ihn von diesem Gedanken wieder abzubringen. Am dritten Tage geriet Sylvinet in Zorn, weil der Grashüpfer sich einfand, um Landry zu besuchen, und dieser es nicht über das Herz bringen konnte, das Kind wieder fortzuschicken. Endlich, gegen den Schluß der Woche mußte man die Sache wieder aufgeben, denn Sylvinet wurde immer ungerechter und anmaßender, und war zuletzt eifersüchtig auf seinen eignen Schatten. Man dachte also jetzt daran, den Plan des Vaters Caillaud zur Ausführung zu bringen. Landry, der so sehr an seiner Heimat hing, der seine Arbeit so gern verrichtete und seiner Familie und seiner Dienstherrschaft so ergeben war, war keineswegs besonders geneigt nach Arton unter lauter Fremde zu gehen. Dennoch unterwarf er sich allem, was man im Interesse seines Bruders von ihm verlangte.

Einunddreißigstes Kapitel

Diesesmal wäre Sylvinet am ersten Tage nach Landrys Entfernung fast gestorben; aber am zweiten war er ruhiger und am dritten verließ ihn sogar das Fieber. Anfangs fügte er sich mit Ergebung, und bald darauf zeigte er eine frische Entschlossenheit. Gegen das Ende der Woche war es klar, daß die Abwesenheit seines Bruders wohlthätiger für ihn war, als dessen Gegenwart. Er fand bei seinen Grübeleien, zu denen er im geheimen durch seine Eifersucht gedrängt wurde, einen Grund auf, der ihn sozusagen mit Landrys Entfernung versöhnte. »Wenigstens,« sagte er sich, »wird er an dem Ort, wo er jetzt weilt, und wo er niemanden kennt, nicht gleich neue Freundschaften schließen. Er wird sich langweilen, und dann an mich denken und sich nach mir sehnen.«

So waren schon drei Monate verflossen, seit Landry fortgegangen war, und, beinah ein Jahr, seitdem die kleine Fadette die Gegend verlassen hatte, als diese plötzlich dahin zurückkehrte, weil ihre Großmutter vom Schlage getroffen war. Sie pflegte die alte Frau mit unermüdlicher Sorgfalt und Treue, aber das Alter ist die schlimmste aller Krankheiten, und nach Verlauf von vierzehn Tagen gab die Mutter Fadet den Geist auf, noch ehe man es vermutet hatte. Drei Tage später, nachdem sie den Körper der armen Alten zur letzten Ruhestatt geleitet hatte und das Haus wieder geordnet war, saß die kleine Fadette sehr traurig vor ihrem dürftigem Feuer, das die Gegenstände im Zimmer nur matt erhellte. Ihren Bruder hatte sie entkleidet und ins Bett gelegt, und ihre gute Patin, die sich in das andere Zimmer zurückgezogen hatte, um zu schlafen, hatte sie mit einem Kuß entlassen. Sie allein saß also wachend da und hörte in ihrem Kamin den Gesang der Grille, die ihr zu sagen schien:

 
Grille, Grille, Grille klein,
Die Hexe will beim Kobold sein!
 

Der Regen fiel und rieselte gegen die Scheiben, und die Fadette dachte an ihren Geliebten, als es plötzlich an die Thüre klopfte und eine Stimme zu ihr sprach:

»Fränzchen Fadet, bist du da und erkennst du mich?«

Sie zögerte nicht zu öffnen, und groß war ihre Freude sich an das Herz ihres Freundes Landry gedrückt zu fühlen. Landry hatte von der Krankheit der Großmutter gehört und auch die Rückkehr der Fadette erfahren. Er hatte dem Verlangen sie zu sehen nicht widerstehen können und kam jetzt in so später Stunde, um mit Tagesanbruch wieder fortzugehen. So verbrachten sie die ganze Nacht am Herde in ernsthaftem und verständigem Geplauder, denn die kleine Fadette erinnerte Landry daran, daß das Sterbebett ihrer Großmutter noch kaum erkaltet sei, und daß weder die Zeit noch der Ort dazu angethan seien, sich dem Glück hinzugeben. Aber trotz ihrer guten Vorsätze saßen sie glückselig beieinander und fühlten, daß sie sich noch viel lieber hatten, als je zuvor.

Als der Tag zu grauen begann, wurde es Landry etwas seltsam zu Mute, und er bat Fränzchen ihn doch auf dem Heuboden zu verbergen, damit er sie auch die folgende Nacht noch sehen könne. Aber, wie es noch jedesmal geschehen war, brachte sie ihn auch jetzt wieder zur Vernunft. Sie gab ihm zu verstehen, daß sie nicht lange mehr getrennt sein würden, daß sie entschlossen sei in der Heimat zu bleiben.

»Ich habe meine Gründe dafür,« sagte sie, »die ich dir später mitteilen werde, und die der Aussicht auf unsere Verbindung nicht im Wege sein werden. Geh, bringe die Arbeit zu Ende, die dir von deinem Herrn anvertraut wurde, weil es, wie meine Pate mir gesagt hat, zur Genesung deines Bruders notwendig ist, daß er dich für einige Zeit nicht sieht.«

»Dieser Grund allein kann mich dazu bewegen dich zu verlassen,« sagte Landry; »mein armer Bruder hat mir viele Sorgen und Kummer gemacht, und ich fürchte, daß er mir noch größeren machen wird. Du Fränzchen, du bist so klug, du wüßtest gewiß ein Mittel zu finden, das ihn heilen könnte.« »Ich weiß kein anderes Mittel, als ihm Vernunft zu predigen,« erwiderte sie; »denn es ist seine Seele, die ihm den Körper krank macht; wie könnte man da den einen heilen, ohne die andere. Aber sein Widerwille gegen mich ist ja so groß, daß ich gar nicht wüßte, wie ich je die Gelegenheit finden sollte mit ihm zu reden und ihm Trost zu bringen.«

»Und doch hast du so vielen Verstand, Fadette; du weißt so gut zu sprechen und hast eine ganz besondere Gabe zu überreden, sobald du nur willst. Er würde gewiß die Wirkung davon empfinden, wenn du nur einmal, auch nur eine einzige Stunde lang mit ihm reden wolltest. Ich bitte dich, versuche es doch. Lasse dich nicht zurückstoßen durch seinen Hochmut und seine übele Laune. Bewege ihn dich anzuhören. Überwinde dich dazu, um meinetwillen, thue es mein Fränzchen; und auch um unserer Liebe willen, denn das Widerstreben meines Bruders ist nicht das geringste Hindernis, daß wir zu unserem Ziele kommen.«

Fränzchen gab ihre Zusage, und so trennten sie sich unter mehr als tausendmal wiederholten Beteuerungen, wie sehr sie sich liebten, und daß sie es ewig thun würden.

Zweiunddreißigstes Kapitel

Kein Mensch in der Gegend erfuhr etwas davon, daß Landry dagewesen war. Wenn Sylvinet nur eine Ahnung davon gehabt hätte, würde er gleich wieder in seine Krankheit verfallen sein, und seinem Bruder würde er es nie verziehen haben, daß er in die Gegend gekommen war, um die Fadette zu sehen, ohne nicht auch zu ihm gekommen zu sein.

Etwa zwei Tage später, legte die kleine Fadette ein sehr sauberes Gewand an, denn sie war jetzt nicht mehr ohne einen Kreutzer in der Tasche, und ihr Trauerkleid war von feiner schöner Sarsche. Sie nahm ihren Weg durch den ganzen Flecken von la Cosse, und da sie viel größer geworden war, wurde sie anfangs von denen, die sie vorübergehen sahen, nicht erkannt. Sie hatte sich in der Stadt außerordentlich verschönert; denn, da sie die bessere Nahrung gehabt und überhaupt mehr gepflegt war, hatte sie an Farbe und Fülle soviel gewonnen, wie es ihrem Alter zukam, und man konnte sie nicht mehr für einen verkleideten Knaben halten, eine so schöne schlanke Taille hatte sie, und so lieblich war sie anzusehen. Die Liebe und das Glück hatten ihrem Gesicht und ihrer ganzen Erscheinung ein gewisses Etwas aufgeprägt, das man wahrnimmt, ohne es genau bestimmen zu können. Sie war nicht grade das schönste Mädchen von der Welt, wie Landry sich dies einbildete; aber sie war das anmutigste, das zierlichste, das frischeste und vielleicht das begehrenswerteste im ganzen Lande.

Sie trug einen großen Korb am Arme und ging auf den Zwillingshof, wo sie mit dem Vater Barbeau zu reden verlangte. Sylvinet war der erste, der sie erblickte, und er wandte sich sofort von ihr ab, so sehr verdroß es ihn, ihr in den Weg zu geraten. Sie aber fragte ihn mit so vielem Anstand, wo sein Vater sei, daß er gezwungen war ihr zu antworten und sie in die Scheune zu führen, wo der Vater Barbeau mit Schleifen beschäftigt war. Die kleine Fadette ersuchte den Vater Barbeau sie an einen Ort zu führen, wo sie unbehorcht mit ihm reden könne. Er schloß darauf die Thür der Scheune und sagte dann, daß sie nun alles mit ihm reden könne, was sie immer wolle.

Die Fadette ließ sich durch die frostige Miene des Vaters Barbeau nicht im mindesten aus der Fassung bringen. Sie setzte sich auf ein Bündel Stroh, und als er sich dann auch auf ein anderes gesetzt hatte, sprach sie in folgender Weise zu ihm:

»Vater Barbeau, trotzdem meine verstorbene Großmutter gegen Sie eingenommen war, so wie Sie es gegen mich sind, so ist es darum doch nicht weniger wahr, daß ich Sie für den gerechtesten und zuverlässigsten Mann in der ganzen Gegend halte. Es giebt darüber nur eine Stimme, und sogar meine Großmutter ließ Ihnen darin Gerechtigkeit widerfahren, wenn sie auch in demselben Atem Sie des Stolzes beschuldigte. Sie wissen, daß ich seit langer Zeit eine Freundschaft mit Ihrem Sohne Landry habe. Er hat mir oft von Ihnen erzählt, und durch ihn weiß ich noch mehr, als durch andere, wer Sie sind und welchen Wert Sie haben. Deshalb komme ich jetzt zu Ihnen, um mir einen Dienst von Ihnen zu erbitten, und Ihnen mein Vertrauen zu schenken.«

»Reden Sie Fadette,« antwortete der Vater Barbeau; »ich habe noch nie jemandem meinen Beistand verweigert, und wenn es etwas ist, daß mein Gewissen mir nicht verbietet, so können Sie auf mich zählen.«

»Hier ist es, um was es sich handelt,« sagte die kleine Fadette, indem sie den Korb aufhob und ihn zwischen die Beine des Vaters Barbeau stellte. »Meine verstorbene Großmutter hat während ihres Lebens dadurch, daß sie Rat erteilte und Heilmittel verkaufte, mehr Geld erworben, als man denken sollte. Da sie fast gar keine Ausgaben machte und auch kein Kapital anlegte, konnte niemand etwas davon wissen, was sie in einem versteckten Loche ihres Kellers verborgen hatte. Sie hat es mir oft mit den Worten gezeigt: »Hier wirst du finden, wenn ich nicht mehr bin, was ich hinterlassen habe. Es ist dein Hab und Gut, sowie das deines Bruders; und wenn ich euch jetzt etwas knapp halte, so werdet ihr dafür eines Tages desto mehr finden. Aber lasset nur nicht die Leute des Gesetzes daran rühren, denn sie würden es durch ihre Forderungen von Gebühren verschlingen. Behüte es wohl, wenn es in deinen Besitz gekommen ist; dein Lebenlang halte es verborgen, damit es dir zu gute kommt in deinen alten Tagen und du keinen Mangel zu leiden brauchst.«

»Als nun das Begräbnis vorüber war, bin ich dem Befehl meiner armen Großmutter nachgekommen. Ich nahm die Schlüssel zum Keller, und habe an der von ihr bezeichneten Stelle die Steine aus der Mauer gelöst. Ich habe dort gefunden, was ich hier in diesem Korbe mitgebracht habe, und ich bitte Sie nun, Vater Barbeau, es für mich anzulegen, wie es Ihnen gut dünkt, nachdem dem Gesetze, von dem ich nicht viel verstehe, Genüge geleistet ist, und ich vor den großen Kosten, die ich fürchte, bewahrt bleibe.«

»Ich danke dir, Fadette, für dein Vertrauen,« sagte der Vater Barbeau, ohne den Korb zu öffnen, trotzdem er eine Anwandlung von Neugierde hatte; »aber es steht mir nicht zu dein Geld in Bewahrung zu nehmen, so wenig wie deine Angelegenheiten zu überwachen. Ich bin ja nicht dein Vormund. Jedenfalls wird deine Großmutter ein Testament gemacht haben.«

»Sie hat kein Testament gemacht, und nach dem Gesetz fiele meiner Mutter die Vormundschaft über mich zu. Nun habe ich aber, wie Sie wissen, seit langer Zeit nichts mehr von ihr gehört, sodaß ich nicht weiß, ob die Arme überhaupt noch am Leben ist. Außer ihr habe ich keine weitere Verwandtschaft, als meine Patin Fanchette, die eine brave und rechtschaffene Frau ist, aber durchaus unfähig mein Vermögen zu verwalten, oder auch nur in Bewahrung zu nehmen und darüber zu schweigen. Sie würde sich nicht enthalten können, davon zu reden und jedermann davon in Kenntnis setzen; auch möchte ich fürchten, daß sie es schlecht anlegen würde. Oder, sie könnte auch den Neugierigen und Aufdringlichen zu vielen Einfluß gestatten und es dadurch, ohne nur selbst darum zu wissen, vermindern. Dabei ist meine arme Pate gar nicht in der Lage, daß man sie zur Rechenschaft ziehen könnte.«

»So ist der Nachlaß wohl bedeutend?« fragte der Vater Barbeau, indem seine Augen sich ihm zum Trotze auf den Deckel des Korbes hefteten; er griff sogar nach dem Henkel, um sich von seinem Gewichte zu überzeugen. Er fand ihn so schwer, daß er darüber staunen mußte, und er sagte:

»Wenn dies altes Eisen ist, so fehlt nicht viel daran, um ein Pferd damit beschlagen zu können.«

Die kleine Fadette, die an Schlauheit dem Teufel nichts nachgab, belustigte sich heimlich darüber, wie sehr es ihn stachelte den Inhalt des Korbes zu sehen. Sie that, als ob sie ihn öffnen wollte, aber der Vater Barbeau würde geglaubt haben seiner Würde etwas zu vergeben, wenn er sie hätte gewähren lassen.

»Das geht mich ja gar nichts an,« sagte er, »und da ich den Korb nicht in Bewahrung nehmen kam:, brauche ich ja auch nichts von deinen Verhältnissen zu wissen.«

»Dennoch ist es durchaus nötig, Vater Barbeau,« sagte die kleine Fadette, »daß Sie mir diese kleine Gefälligkeit erzeigen. Ich bin nicht viel klüger in solchen Dingen, als meine Pate, und kann nicht über hundert hinaus zählen. Auch kenne ich den Wert aller dieser alten und neuen Münzsorten nicht, und ich kann mich nur auf Sie verlassen, um mich über den Betrag meines Vermögens in Kenntnis zu setzen und mir zu sagen, ob ich reich oder arm bin.«

»Sehen wir einmal nach,« sagte der Vater Barbeau, der sich nicht länger bezwingen konnte. »Es ist kein so großer Dienst, den du von mir verlangst, und ich kann ihn dir nicht verweigern.«

Die kleine Fadette schlug darauf rasch die beiden Deckel des Korbes zurück, und zog zwei große Säcke daraus hervor, von denen jeder zweitausend Francs in blanken Thalern enthielt.

»Nun! das laß ich mir gefallen,« sagte Vater Barbeau, »das ist eine hübsche Mitgift, die dir manchen Freier herbeilocken wird.«

»Das ist noch nicht alles,« sagte die kleine Fadette; »da ist noch etwas auf dem Boden des Korbes, so ein kleines Ding, das ich nicht recht kenne.«

Dabei zog sie eine Börse von Fischhaut hervor, und schüttelte den Inhalt derselben in Vater Barbeaus Hut. Es waren hundert Louisdors von altem Gepräge, und der gute Mann betrachtete sie mit großen Augen. Als er sie gezählt und in den Beutel zurückgethan hatte, zog sie einen zweiten mit demselben Inhalte hervor, und dann noch einen dritten und einen vierten, sodaß zuletzt in Gold und Silber und kleiner Münze, alles zusammen genommen, nicht viel weniger als vierzigtausend Francs in dem Korbe enthalten waren.

Dies war nun ungefähr um ein ganzes Dritteil mehr, als was der Vater Barbeau überhaupt an Vermögen besaß, die Gebäude und alles zusammengerechnet. Da die Landleute selten viel bares Geld in ihrem Besitz haben, hatte er noch nie in seinem Leben eine so große Summe beisammen gesehen.

So rechtschaffen und uneigennützig ein Bauer auch sein mag, so kann man doch nicht sagen, daß ihm beim Anblick des Geldes nicht das Herz aufginge. So geschah es auch dem Vater Barbeau; für einen Augenblick trat ihm der Schweiß auf die Stirn. Nachdem er alles gezählt hatte, sagte er:

»Es fehlen dir, um ein Vermögen von vierzigtausend Francs zu haben, nur zweiundzwanzig Thaler, und das heißt also: du hast für dein Teil zweitausend schöne Pistolen in klingender Münze geerbt. Das macht dich zur besten Partie in der ganzen Gegend, und wenn dein Bruder, der Grashüpfer, auch sein Lebenlang elend und hinkend bleibt, so macht das nichts: er kann ja im Wagen fahren, um seine Ländereien zu besichtigen. Sei also frohen Mutes; du kannst sagen, daß du reich bist, und brauchst dies nur bekannt werden zu lassen, um rasch einen schönen Mann zu finden.«

»O! damit hat es gar keine Eile,« fiel die kleine Fadette rasch ein; »und ich bitte Sie im Gegenteil diesen Reichtum sorgfältig geheim zu halten. Häßlich, wie ich es bin, habe ich mir in den Kopf gesetzt, daß ich nicht meines Geldes wegen geheiratet sein will, sondern meines guten Herzens und meines guten Rufes wegen. Da ich nun hier in meiner Heimat in einem sehr schlechten stehe, will ich einige Zeit in der Gegend verweilen, damit man sich überzeugen kann, daß ich ihn nicht verdiene.«

»Was deine Häßlichkeit betrifft, Fadette,« sagte Vater Barbeau, indem er seine Augen unverwandten Blickes an dem Korbe haften ließ, – »so kann ich dir mit gutem Gewissen die Versicherung geben, daß man verteufelt wenig mehr daran erinnert wird, und daß du dich in der Stadt so gut herausgemacht hast, daß du jetzt für ein sehr hübsches Mädchen gelten kannst. Und was nun deinen übelen Ruf betrifft, wenn du ihn, wie ich gern glauben möchte, auch durchaus nicht verdient hast, so stimme ich dir doch bei, wenn du noch ein wenig wartest und deinen Reichtum einstweilen noch geheim hältst. Es giebt ja Burschen genug, die dadurch verblendet, dich zum Weibe begehren würden, ohne dir gleich anfangs die Achtung entgegenzubringen, die eine Frau von ihrem Manne verlangen muß.

Und schließlich, wenn du mir nun auch gern dein Geld anvertrauen willst, so würde dies gegen das Gesetz sein und könnte mich später dem Argwohn und allerlei Verdächtigungen aussetzen, denn es fehlt nicht an bösen Zungen. Außerdem, wenn dir auch wirklich das Recht zustände über das, was dir gehört zu verfügen, so darfst du doch keineswegs so ohne weiteres über das verfügen, was deinem minderjährigen Bruder gehört. Alles, was ich thun könnte, wäre, daß ich mich bei der Behörde, ohne dich zu nennen, erkundigte, was man zu thun hat. Wenn dies geschehen ist, setze ich dich davon in Kenntnis, wie wir es anzufangen haben, das Erbteil deiner Mutter, sowie das deinige in Sicherheit zu bringen, und wie es am vorteilhaftesten anzulegen ist, ohne daß die Rechtsverdreher, die noch lange nicht alle von der ehrlichsten Sorte sind, ihre Hände dabei im Spiel zu haben brauchen. So, nun trage für jetzt deine Schätze wieder heim und halte sie einstweilen verborgen, bis du wieder von mir gehört hast. Wenn es nötig sein sollte, erbiete ich mich dir, vor den Mandataren deines Miterben Zeugnis abzulegen über die Höhe der Summe, welche wir miteinander gezählt haben, und die ich, um sie nicht zu vergessen, mir in einem Winkel meiner Scheune aufschreiben werde.«

Dies war alles, was die kleine Fadette wünschte; der Vater Barbeau hatte wissen sollen, wie die Dinge standen. Wenn sie sich etwas einbildete vor ihm als reich zu erscheinen, so hatte dies keinen anderen Grund, als daß er sie nicht mehr im Verdacht haben sollte, sie könne es darauf abgesehen haben Landry auszubeuten.